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https://de.wikipedia.org/wiki/SNCF
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SNCF
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Die Société nationale des chemins de fer français (SNCF; ) ist die staatliche Eisenbahngesellschaft Frankreichs mit Sitz in Saint-Denis bei Paris. Sie betreibt beinahe den kompletten Schienenverkehr in Frankreich und in Monaco, den Hochgeschwindigkeitszug TGV, Teile des Pariser Vorortverkehrs RER sowie die Linie 4 der Pariser Straßenbahn. Ihr Teilunternehmen SNCF Réseau ist Eigentümer des Streckennetzes. Die SNCF ist Mitglied der Railteam-Allianz.
Kennzahlen
Die SNCF zählt rund 270.000 Beschäftigte. Täglich verkehren über 14.000 Züge im Netz der SNCF. Diese transportierten 2005 rund 974 Millionen Passagiere, davon 632 Millionen im Nahverkehr von Paris.
2005 betrug der Umsatz 16 Milliarden Euro, dabei wurde ein Gewinn von 533 Millionen Euro erwirtschaftet. 2007 betrug der Gewinn 1,11 Milliarden Euro. Nach einem Gewinn von 575 Millionen Euro im Jahr 2008 gab die SNCF im Frühjahr 2010 einen Jahresfehlbetrag von 980 Millionen Euro bekannt.
Geschichte
Vorgeschichte bis zur Gründung 1937
Die ersten Eisenbahnstrecken entstanden in Frankreich um 1830. Bald wurden verschiedene private Eisenbahnunternehmen ins Leben gerufen, die durch den Staat konzessioniert mit dem Aufbau eines Streckennetzes begannen. Um 1870 waren die wichtigsten Städte Frankreichs über ein Streckennetz von 17.430 Kilometern mit Paris verbunden.
Ein wichtiger Bestandteil der französischen Eisenbahnpolitik war der „Freycinet-Plan“, der am 17. Juli 1879 Gesetzeskraft erlangte. Danach sollten alle Franzosen Zugang zur Eisenbahn bzw. jeder Ort mit mehr als 1500 Einwohnern einen Eisenbahnanschluss erhalten, wobei Lücken durch Neben- und Schmalspurbahnen geschlossen werden sollten. Das Netz wuchs dadurch bis 1914 auf eine Länge von 39.400 Kilometern. Damit waren alle Unterpräfekturen und wichtigen Städte Frankreichs an die Eisenbahn angeschlossen.
Diese Erweiterungen waren jedoch durch die Bahngesellschaften nicht aus eigener Kraft zu finanzieren, so dass sich der Staat teilweise gezwungen sah, zu intervenieren. Bereits in den späten 1870er Jahren kam es zu einer landesweiten Debatte über den Status der Eisenbahnen und dem Wunsch nach deren Verstaatlichung. 1878 musste der Staat zehn Gesellschaften, die von Insolvenz bedroht waren, übernehmen. Zu diesem Zweck schuf er die Chemins de fer de l’État (ETAT), ein staatliches Unternehmen, das zunächst als Auffanggesellschaft wirtschaftlich prekärer Eisenbahnbetriebe fungierte. Nach der Übernahme der Compagnie des chemins de fer de l’Ouest im Jahr 1909 wuchs die Bedeutung der ETAT, die schließlich den überwiegenden Teil Frankreichs westlich der Achse Paris–Bordeaux abdeckte. Die übrigen großen Bahngesellschaften, die sich das Land räumlich aufgeteilt hatten, blieben indes in privaten Händen.
Infolge des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die finanzielle Situation erneut; die Bahnnetze waren abgewirtschaftet und der aufkommende Straßenverkehr sorgte für neue Konkurrenz. Nach einer erneuten Krise 1929 wurde seitens des Staates die Verstaatlichung der Bahnen in die Wege geleitet.
In den 1930er-Jahren begann der wachsende Wettbewerb der Straße, seinen Tribut zu fordern. Die Schmalspurbahnen litten am stärksten unter dem wachsenden Wettbewerb der Straße, und so wurden tausende von Kilometern Schmalspurstrecken in den 1930er-Jahren stillgelegt (erste Stilllegungswelle).
Gründung
Am 31. August 1937 wurde der Vertrag zur Schaffung einer „nationalen Eisenbahngesellschaft“ unterzeichnet. Die ab dem 1. Januar 1938 geltende Vereinbarung hatte eine Laufzeit von 45 Jahren. Ziel des Vertrags war die Schaffung eines gemeinsamen Netzes unter Staatskontrolle und Beseitigung des defizitären Betriebs. In der SNCF gingen dabei sechs große Bahngesellschaften auf: Die privaten Gesellschaften Est, Nord, PLM und PO-Midi (entstanden durch die Fusion von PO und Midi) sowie die staatliche Gesellschaft État (inklusive der Ouest) und die staatlich verwaltete AL.
Mit diesem Vertrag übernahm die SNCF die Konzessionen der übernommenen Bahnen. Am neuen Unternehmen war der Staat mit 51 % und die Aktionäre der ehemaligen Bahngesellschaften mit 49 % beteiligt. Die Vereinbarung sah vor, dass während der Vertragslaufzeit der Staat sukzessive alle privaten Aktienanteile erwerben sollte.
Die SNCF übernahm von den bisherigen Gesellschaften 15.235 Dampflokomotiven, 723 Elektrolokomotiven, 455 Elektrotriebwagen und 671 andere Triebfahrzeuge (Diesellokomotiven, Dieseltriebwagen und Rangierloks).
Die ehemaligen Gesellschaften bildeten von nun an nur noch Netzregionen (Régions), und zwar Est, Nord, Ouest, Sud-Est und Sud-Ouest mit Direktionen in Paris. Hinzu kamen zwei Regionaldirektionen. In Marseille wurde wegen der großen Ausdehnung der Region Sud-Est die Regionaldirektion Méditerranée angesiedelt. Strasbourg wurde Sitz einer Regionaldirektion der Region Est, die das Gebiet der vormaligen AL (Elsass-Lothringen und Luxemburg) umfasste. Das dortige Netz unterschied sich vom übrigen nicht nur durch die Fahrzeuge und die Signalisierung (Rechts- statt Linksverkehr), auch Dinge wie die Krankenversorgung und Rentenansprüche des Personals waren anders geregelt.
Im Vertrag wurde festgelegt, dass die SNCF als Wirtschaftsunternehmen zu führen ist und die Tarife so festzusetzen sind, dass die Ausgaben gedeckt werden. Bei einem Veto des Staats gegen die Tarife war dieser zu Ausgleichsleistungen verpflichtet.
In der Folge wurden noch umfangreiche Richtlinien zum Betrieb festgelegt, um dem staatlichen Transportauftrag gerecht zu werden und die finanziellen Schwierigkeiten zu beseitigen.
Rolle der SNCF während der Okkupation
Mit dem Waffenstillstand von Compiègne kam die SNCF unter die Kontrolle der deutschen Besatzungsbehörden. Man versuchte jedoch, eine wirtschaftliche Unabhängigkeit des Unternehmens aufrechtzuerhalten. Neben den durch den Vertrag vorrangig zu behandelnden Zügen der Besatzungsmacht wurde ein umfangreicher Zugbetrieb aufrechterhalten. Das Schienennetz in Elsass-Lothringen wurde jedoch von der Deutschen Reichsbahn verwaltet.
Die SNCF war auch an der Deportation von Juden in die Vernichtungslager in Polen beteiligt. Im Juni 2006 erging deshalb ein Urteil wegen Freiheitsberaubung und menschenunwürdiger Unterbringung (im Sammellager Drancy). Im Gegensatz zu der in die Deportationen verwickelten SNCF-Führung haben viele Eisenbahner, deren Arbeit die Bahn für Truppen- und Materialtransport benötigte, zunehmenden Widerstand gegen die Besatzer geleistet (die sogenannte Résistance-fer). Viele Eisenbahner bezahlten diesen Kampf, der auf die Erschwerung oder Verhinderung von Transporten zielte, mit ihrem Leben. Henri Lang, Chef der Regionaldirektion in Marseille, durfte als Jude ab Herbst 1940 sein Amt nicht mehr ausüben. Im März 1942 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo er zwei Monate später verstarb.
Am 12. November 2010 brachte SNCF erstmals tiefen Kummer und Bedauern für ihre Beteiligung an der Judendeportation während der deutschen Besatzung in Frankreich zum Ausdruck. SNCF beugte sich damit unter anderem dem Druck der Vereinigten Staaten, die der französischen Staatsbahn damit drohten, den Zugang zum Wettbewerb um Bahnverkehrsdienstleistungen in Florida und Kalifornien zu verweigern. Am 23. Mai 2012 unterzeichnete die SNCF eine Vereinbarung mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem über die weitere Erforschung der Deportationen. Am 5. Dezember 2014 erklärte sich SNCF bereit, eine Entschädigungssumme von 60 Millionen US-Dollar an die Überlebenden und Hinterbliebenen der Deportierten zu bezahlen.
Nachkriegszeit
Nach dem Krieg begann man mit dem Wiederaufbau des durch die Kriegseinwirkung teilweise zerstörten Netzes. Gleichzeitig wurde auch die Konkurrenz der Verkehrsträger Straße, Luftfahrt und Pipelines größer.
Man setzte deshalb schon frühzeitig auf qualitativ bessere Angebote und technisch fortschrittliche Technologien. Diese Entwicklung wird vor allem am frühzeitigen Beginn der Elektrifizierung des Streckennetzes in Einphasenwechselstrom sowie dem aufgestellten Weltrekord für Schienenfahrzeuge 1955 deutlich.
Ab dem Jahre 1969 erfolgt eine zweite große Stilllegungswelle von Eisenbahnstrecken, vor allem das Nebenbahnnetz schrumpfte stark.
Um eine Bevorzugung der Bahn gegenüber anderen Verkehrsträgern zu vermeiden, wurde am 27. Januar 1971 ein Nachtrag zum Vertrag von 1937 ratifiziert. Von nun an musste die SNCF alle Ausgaben selbst tragen und hatte für ein ausgeglichenes Ergebnis zu sorgen. Durch den Staat erfolgte nur noch die Bezuschussung spezieller vergünstigter Tarife und die zusätzlichen Kosten des öffentlichen Bahnverkehrsangebots. Im Gegenzug sollte die SNCF ihre Aktivitäten im Personen- und Güterverkehr erhöhen. Die geplante Entwicklung wurde jedoch durch die Erdölkrise und den Rückgang der Schwerindustrie in Frankreich erschwert. Insbesondere der wirtschaftlich bedeutsame Transport von Kohle und Eisen brach nahezu völlig zusammen. In dieser Situation beschloss die SNCF, ihr Hauptaugenmerk auf den Personenverkehr zu legen, und entwickelte den Hochgeschwindigkeitszug TGV.
TGV-Ära
Nach mehrjähriger Bauzeit wurde im September 1981 auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Paris–Lyon der Verkehr aufgenommen. Die TGV-Fahrzeuge verkehrten auf den Strecken planmäßig mit 260 km/h, später 270 km/h. Mit diesem Konzept (spezielle Hochgeschwindigkeitsstrecken kombiniert mit dem übrigen Streckennetz) wurde die SNCF wegweisend für die weitere Entwicklung des weltweiten Hochgeschwindigkeitsverkehrs.
Neben dem Einsatz des TGV wurden weitere Rationalisierungsmaßnahmen an der Infrastruktur durchgeführt. Insbesondere der Automatisierung der Zugsicherung wurde starke Beachtung geschenkt.
Am 31. Dezember 1982 lief die Vereinbarung von 1937 aus. Die SNCF fiel an den Staat und wurde durch diesen mit einer neuen Verfassung versehen. Die Gesellschaft wird nur als ein EPIC (= Établissement Public à caractère Industriel ou Commercial = Öffentliches Unternehmen industrieller oder kommerzieller Art) betrieben. Es wurden genaue Regelungen über die zu erbringenden Leistungen der SNCF und die Zahlungsleistungen der Republik für verbilligte Beförderungstarife (Familien, Militär) und regionale Bahnangebote festgesetzt.
In der folgenden Zeit baute die SNCF ihr Hochgeschwindigkeitsnetz weiter aus und bietet seitdem mit Eurostar, Thalys, Alleo und Lyria auch Hochgeschwindigkeitsverbindungen ins Ausland an.
Anfang 1993 entschied die SNCF, den UIC-Bestimmungen gemäß an ihren neuen Triebfahrzeugen das Dreilicht-Spitzensignal einzuführen. Bis dahin war das dritte Licht nur an den Triebfahrzeugen vorhanden, die für den Einsatz im grenzüberschreitenden Verkehr bestimmt waren. Zu den Letzteren zählten neben den TGV die Baureihen BB 20200, CC 40100, BB 67000, A1AA1A 68000, CC 72000, ETG und X 4300. Als erste Maschine mit fortan serienmäßigem Dreilicht-Spitzensignal verließ die BB 26188 im Oktober 1995 das Alsthom-Werk. Eine Nachrüstung der älteren Triebfahrzeuge mit einem dritten Licht war nicht vorgesehen.
Mit den Regionen Frankreichs wurden Übereinkommen zum Angebot und zur Finanzierung regionaler Angebote im Personenverkehr getroffen. So erwarben die Regionen unter anderem die notwendigen Lokomotiven und Wagen von der SNCF.
Als Folge der Umsetzung der EU-Richtlinie gehörte das Streckennetz von 1997 bis 2014 dem zu diesem Zweck geschaffenen öffentlich-rechtlichen Unternehmen Réseau Ferré de France (RFF). Im Rahmen dieser Reform wurden die Schulden für die Infrastruktur auf das neue Unternehmen übertragen. Außerdem verpflichtete sich der Staat, die bei der SNCF verbliebenen Schulden zu übernehmen und die Beschäftigung des entsprechenden Personals zu sichern. Außerdem garantierte er der SNCF den exklusiven Zugang zum Netz. Im Gegenzug verpflichtete sich die Bahn zu einem wirtschaftlichen gewinnbringenden Geschäftsverlauf. Die Bahn bleibt weiter Verkehrsdienstleister und behält die Regie über den kommerziellen Teil der Bahnhöfe. Für die Streckenbenutzung wurde ein entsprechendes Entgelt an RFF gezahlt. Die SNCF nahm im Rahmen einer Vereinbarung für die RFF die Aufgaben der Betriebsabwicklung und der Netzunterhaltung wahr.
Anfang 2005 genehmigte die Europäische Kommission eine mehrere Milliarden Euro umfassende finanzielle Unterstützung des französischen Staates für die Güterverkehrssparte der SNCF. Dennoch reduzierte die SNCF zur gleichen Zeit die Zahl der Rangierbahnhöfe und den Einzelwagenverkehr deutlich.
Mitte März 2005 führte die SNCF ein neues Logo ein.
Anfang 2012 wurden die bisherigen Produkte Corail, Téoz, Lunéa und Intercités unter der gemeinsamen Marke Intercités vereinheitlicht.
Seit Dezember 2013 bietet das spanisch-französische Gemeinschaftsunternehmen Elipsos von SNCF und RENFE Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen Spanien und Frankreich an. Es werden unter anderem die Städte Paris, Lyon, Marseille mit Barcelona und Toulouse mit Madrid verbunden. Diese TGV- und AVE-Züge verkehren unter dem Markennamen Renfe-SNCF en cooperación / en coopération.
Im Geschäftsjahr 2015 wies das Unternehmen aufgrund von Sondereffekten einen Nettoverlust von 12,2 Milliarden Euro aus. Hauptursache dafür war die Korrektur des buchhalterischen Wertes des Bestandsnetzes sowie eine um zwei Milliarden Euro verminderte Bewertung der TGV-Flotte. Ohne diese Sondereffekte hätte das Unternehmen einen Gewinn von 377 Millionen Euro ausgewiesen, bei einem Umsatz von 31,4 Milliarden Euro.
Unternehmensstruktur
Die SNCF besteht seit 1. Januar 2015 aus mehreren Unternehmensteilen: der Holding Groupe SNCF, dem Netzbetreiber SNCF Réseau (ehemals RFF) und dem Bahnbetreiber SNCF Mobilité.
Zur SNCF-Gruppe gehören über 700 Unternehmen, an denen die SNCF beteiligt ist. Die meisten davon sind in der Tochtergesellschaft SNCF Participations (SNCFP) zusammengefasst. Diese Unternehmen sind überwiegend in den Bereichen Verkehr und Logistik tätig.
Die SNCF ist wiederum in die 5 Sparten Personenfernverkehr, Personennahverkehr, Güterverkehr, Infrastruktur und gemeinsame Unternehmen/Investments eingeordnet. Zum Bereich Personenfernverkehr gehören unter anderem TGV, Corail, Eurostar und Thalys. Seit Anfang Mai 2012 tritt dieser Bereich auch als SNCF Voyages Deutschland GmbH in Deutschland auf.
Seit 2013 betreibt die SNCF unter dem Namen Ouigo eine Marke für den Personenverkehr, welche sich vor allem durch günstige Preise auszeichnen soll. Über die folgenden Jahre wurde das angebotene Streckennetz innerhalb Frankreichs stetig ausgebaut und seit dem Jahr 2018 wurde ein ähnliches Konzept auch (seit 2020 unter dem Namen Ouigo España) in Spanien umgesetzt.
Im Personennahverkehr sind die regionalen Eisenbahnaktivitäten TER, die Chemins de fer de la Corse auf Korsika sowie Transilien, Corail Intercity und die Beteiligungen an Keolis und Effia zusammengefasst. Der Frachtbereich umfasst unter anderem Rail Logistics Europe, die Geodis-Gruppe und von 2010 bis 2020 Ermewa.
Beteiligt ist die SNCF unter anderem an der Eurofima und der österreichischen RAIL Holding AG, Muttergesellschaft des privaten Personenverkehrsunternehmens WESTbahn Management GmbH. Frühere Beteiligungen umfassten diejenigen an der staatlichen Fährlinie SNCM, an der inzwischen liquidierten Seafrance, an der italienischen Bahngesellschaft NTV S.p.A. oder bis 2005 am Telekommunikationsanbieter cegetel.
Schienengüterverkehr
Der Bereich Rail Logistics Europe besteht aus folgenden Unternehmen / Unternehmensbereichen:
Fret SNCF, die inländische Gütereisenbahn hat einen Marktanteil von 55 % am französischen Schienengüterverkehr
VIIA, das SNCF-Unternehmen betreibt Kombinierten Verkehr auf „autoroutes ferroviaires“ ()
Captrain, internationaler Schienengüterverkehr mit mehreren europäischen Landesgesellschaften
Naviland Cargo bietet Transportdienstleistungen für Schiffscontainer, Wechselaufbauten und Tanks in Europa
Forwardis ist eine Spedition für multimodalen und Eisenbahntransport
Für Deutschland, Österreich und einige Nachbarländer sind Captrain Deutschland und seine Tochterunternehmen und die Fowardis GmbH zuständig. In der Schweiz arbeitet man mit BLS Cargo zusammen, an der die SNCF mit 45 % beteiligt ist.
Präsidenten
Maßnahmen zur Senkung der Schwarzfahrerquote
Die SNCF geht davon aus, dass ihr durch Schwarzfahrten jährlich Gewinnausfälle in Höhe von 300 bis 500 Millionen Euro entstehen. Sie versucht, seit etwa 2014 massiv dagegen anzukämpfen.
2014 betrug das pauschale Beförderungsentgelt im Nahverkehr für Fahrten ohne gültiges Ticket 49,50 Euro. Vielen Verkehrsbereichen erscheint dies nicht abschreckend genug. Die SNCF verlangt eine Anhebung auf 72 Euro als möglichen Maximalbetrag, wobei den Verkehrsverbünden die Möglichkeit eingeräumt werden soll, den eigenen Pauschalbetrag niedriger anzusetzen. Bahnreisende, die ohne gültige Fahrkarte angetroffen werden, haben zwei Monate Zeit, um das Pauschalentgelt zu bezahlen. Falls die Bezahlung nicht fristgerecht erfolgt, wird ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 180 Euro von der Finanzverwaltung in Rechnung gestellt.
Eine Vereinbarung zwischen der SNCF und dem Finanzministerium erlaubt der SNCF, nach zwei Monaten die Fälle unbezahlter Pauschalentgelte, die wegen Fahrens ohne gültigen Fahrschein verhängt wurden, in sieben Finanzbezirken an die staatliche Finanzverwaltung weiterzuleiten. Dort erfolgt ein Datenabgleich und falsch angegebene Anschriften können enttarnt werden. Im Rahmen des Projekts stieg der Anteil von erfolgreich kassierten Pauschalentgelten von 10 % auf 50 %.
Die SNCF wird bis Ende des Jahres 2015 testweise Zugangstüren zu den Bahnsteigen in den Bahnhöfen Marseille Saint-Charles und Paris-Montparnasse von vier verschiedenen Herstellern installieren. Die Türen mit Lesegeräten werden von den Firmen Thales, Xerox, vom deutschen Hersteller Scheidt & Bachmann und IER, einer Tochter des Unternehmens Bolloré, geliefert. Verlangt wird, dass die Lesegeräte alle derzeit üblichen Fahrkartentypen erkennen: die klassische Fahrkarte auf Papier, die Ausdrucke von Internetkäufen, das E-Ticket auf dem Smartphone, NFC-Karten usw.
Bildergalerie
Literatur
Christian Chevandier: Feinde oder Kollegen? Bei der französischen Eisenbahn 1940 bis 1944, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft II/2013.
Georg Wagner: Die SNCF heute. Frankreichs Bahnlandschaft zwischen Atlantik und Mittelmeer. Stuttgart: Franckh-Kosmos, 1990. ISBN 3-440-06149-3
Siehe auch
Liste der Lokomotiven und Triebwagen der SNCF
Railteam
Liste der Kursbuchstrecken in Frankreich
Weblinks
Offizielle Webpräsenz der SNCF (französisch, englisch, deutsch)
Webpräsenz von SNCF Connect (französisch, italienisch, englisch, deutsch)
Einzelnachweise
Verkehrsunternehmen (Paris)
Schienenverkehr (Frankreich)
Bahngesellschaft (Frankreich)
Öffentliches Unternehmen (Frankreich)
Abkürzung
Gegründet 1938
Straßenbahnbetrieb (Frankreich)
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Q13646
| 127.831434 |
14977
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https://de.wikipedia.org/wiki/Gezeitenkraft
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Gezeitenkraft
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Gezeitenkräfte treten auf, wenn sich ein ausgedehnter Körper in einem äußeren Gravitationsfeld befindet, dessen Stärke räumlich variiert. Die auf der Erde nachweisbaren Gezeitenkräfte werden durch Mond und Sonne verursacht und rufen (unter anderem) die Gezeiten der Meere hervor.
Die Gezeitenkraft auf einen bestimmten Teil des ausgedehnten Körpers ist die Differenz der äußeren Gravitationskraft, die auf diesen Teil an seinem Ort wirkt, und der Gravitationskraft, die auf ihn wirken würde, wenn er sich am Ort des Massenmittelpunktes des ausgedehnten Körpers befände (siehe Abbildung, oberer Teil). Drei dazu äquivalente Definitionen sind: (1) Die Gezeitenkraft auf einen Teil des Körpers ist die Summe aus der äußeren Gravitationskraft und der Trägheitskraft, die sich aus der Beschleunigung des Massenmittelpunkts des ausgedehnten Körpers ergibt (siehe Abbildung, unterer Teil). (2) Die Gezeitenkraft ist die äußere Gravitationskraft, wie sie sich in dem beschleunigten Bezugssystem auswirkt, in dem der Massenmittelpunkt des ausgedehnten Körpers ruht. (3) Die Gezeitenkräfte ergeben sich aus den Gezeitenbeschleunigungen, das sind die Unterschiede in der Fallbeschleunigung, die verschiedene Teile des ausgedehnten Körpers in dem äußeren Gravitationsfeld erfahren.
Gezeitenbeschleunigungen sind relativ klein im Vergleich zu der Beschleunigung, die der ausgedehnte Körper als Ganzes durch das äußere Gravitationsfeld erfährt. Bemerkbar werden Gezeitenkräfte vor allem dann, wenn das System keinen weiteren äußeren Kräften unterworfen ist, sich also z. B. in einer Umlaufbahn frei bewegt oder, allgemein gesagt, sich im freien Fall befindet.
In der Allgemeinen Relativitätstheorie wird das durch den Riemannschen Krümmungstensor der Raum-Zeit beschriebene Verhalten benachbarter Geodäten, die aufgrund der Raumzeitkrümmung aufeinander zulaufen oder sich voneinander entfernen, ebenfalls als Gezeitenkraft bezeichnet.
Wirkung von Gezeitenkräften
Die Gezeitenkräfte bewirken eine Verformung ausgedehnter Körper oder Systeme. Beispiele für die Wirkung von Gezeitenkräften sind, neben den Gezeiten, die Abbremsung der Erdrotation, die gebundene Rotation des Erdmondes, der Vulkanismus des Jupitermondes Io und das Auseinanderreißen von Kometen (siehe z. B. Shoemaker-Levy 9) oder Galaxien bei Beinahezusammenstößen (siehe z. B. Antennen-Galaxien).
Ein typisches inhomogenes Gravitationsfeld ist das Zentralfeld, das durch einen entfernten Körper erzeugt wird. Ein ausgedehnter Körper, der darin frei fällt, wird parallel zur Richtung des Fallens (im Bild waagerecht) gestreckt, senkrecht dazu gestaucht. Ein einfacher Probekörper zur Erkundung der Gezeitenbeschleunigung ist eine Hantel in Gestalt zweier starr verbundener Punktmassen. Die Hantel gerät unter eine Zugspannung (ihre Massen streben auseinander), wenn sie radial, also parallel zur Fallbeschleunigung orientiert ist. Dagegen gerät sie unter eine Druckspannung von der halben Größe dieser Zugspannung, wenn sie quer zur Fallrichtung orientiert ist. Liegt sie schräg zu einer dieser Richtungen, erfährt sie ein Drehmoment, das sie in die radiale Orientierung dreht. Dies gilt entsprechend auch für näherungsweise kugelförmige Körper, wenn sie gestreckt oder gestaucht sind. Für eine Anwendung siehe Stabilisierung (Raumfahrt).
Ein kugelsymmetrischer Körper erfährt insgesamt kein Drehmoment. Die Gezeitenkräfte an seiner Oberfläche sind an den beiden Punkten des kleinsten bzw. größten Abstands zum Mittelpunkt des Zentralfelds radial nach außen gerichtet. In gewissem Abstand von diesen beiden Punkten sind die Gezeitenkräfte parallel zur Oberfläche und auf diese Punkte hin gerichtet. Auf der Erde, die im Gezeitenpotential von Mond und Sonne rotiert, erzeugen sie in den Wassermassen der Ozeane periodisch Strömungen, die an den Küsten Ebbe und Flut verursachen, eben die Gezeiten.
Auf einen nicht-kugelsymmetrischen Körper kann jedoch auch ein Drehmoment wirken. So erfährt die abgeplattete Erde von Mond, Sonne und anderen Planeten ein Drehmoment, das ihren Eigendrehimpuls ändert und so zur Präzession der Erdachse führt.
In der Geophysik und Planetologie gibt die Messung von Verformungen durch Gezeitenkräfte auch Hinweise auf die Elastizität und den inneren Aufbau von Planeten. In den 1980er Jahren wurden mathematisch-physikalische Erdmodelle entwickelt, die den Unterschied zwischen starrer und elastischer Erde mittels Shida- und Love-Zahlen beschreiben. Neben den Ozeanen hebt sich auch die feste Erdkruste 2 × täglich um ±(30 bis 50) cm. Heute ist diese Theorie auf einige mm genau und dient zur Reduktion aller geodätischen Erdbeobachtungen und sogar von Satellitenbahnen.
Maximale Werte der Gezeitenbeschleunigung an einem Trabanten
Ein Zentralkörper der Masse M verursacht auf der Oberfläche eines Trabanten, der den Radius R hat und sich mit seinem Mittelpunkt im Abstand r befindet, im nächsten und fernsten Punkt die Gravitationskraft:
(1)
Das Vorzeichen ist hier auf den Mittelpunkt des Zentralkörpers bezogen. Vom Mittelpunkt des Trabanten aus gesehen weist die Gezeitenbeschleunigung hingegen an beiden Punkten nach außen.
Herleitung
Die mittlere Gravitationsbeschleunigung , die auf den ganzen Trabanten wirkt, ist
(2) .
Der dem Zentralkörper nächste Punkt an der Oberfläche des Trabanten hat den Abstand , der fernste . Die Gravitationsbeschleunigung an diesen Punkten ist daher
(3)
Dies ist die größte bzw. kleinste Gravitationsbeschleunigung, die auf ein Massenelement des Trabanten wirkt. Sie ist im „vorderen“ Punkt also größer und im „hinteren“ kleiner als .
Die Gezeitenbeschleunigung an jedem Punkt ist ganz allgemein die vektorielle Differenz zwischen der dort herrschenden Gravitationsbeschleunigung und der mittleren Gravitationsbeschleunigung des Körpers. Da alle drei Beschleunigungen im vorliegenden Fall parallel sind, folgt:
(4)
Wenn gilt, wie in den meisten Fällen, kann man den Bruch durch
(5)
wiedergeben und die unendliche Reihe näherungsweise nach dem linearen Glied abbrechen. Es folgt:
(6)
Die Gezeitenbeschleunigung weist auf beiden Seiten vom Mittelpunkt des Trabanten weg. Sie ist genau genommen nicht auf beiden Seiten gleich groß, wie man sieht, wenn man die Näherung bis zum quadratischen Glied oder gleich die ungenäherte Formel nimmt.
Eine Gezeitenbeschleunigung zum Mittelpunkt des Trabanten ergibt sich für die Punkte der Oberfläche, die vom Zentralkörper den gleichen Abstand haben. Dort sind zwar die Beträge der Gravitationsbeschleunigung zum Zentralkörper gleich groß wie die mittlere Beschleunigung, aber nicht ihre Richtungen. Verglichen mit der am Mittelpunkt angreifenden Beschleunigung haben sie eine nach innen gerichtete Komponente der Größe , also der Hälfte des Wertes für die Punkte mit minimalem oder maximalem Abstand zum Zentralkörper.
Roche-Grenze
Ist der Abstand eines Trabanten zu seinem Zentralkörper sehr klein, so werden die Gezeitenkräfte sehr stark.
Um die Stabilität eines Körpers zu untersuchen, betrachtet man die Gezeitenkräfte im Vergleich zu den Gravitationskräften, die den Körper selbst zusammenhalten. Im Stabilitätsbereich sind die Gezeitenkräfte nicht größer als die Gravitationskräfte, wobei man zur Abschätzung den Trabanten in zwei Teilkörper unterteilt, mit jeweils der halben Trabantenmasse in einem Abstand, der seinem Radius entspricht:
mit dem Abstand r von der Zentralmasse , c ist hierbei eine Konstante von der Größenordnung 1. Mit den mittleren Dichten ρ und ρt des Zentralkörpers und des Trabanten sowie dem Radius R des Zentralkörpers erhält man:
Eine genauere Rechnung ergibt:
Bei einem Abstand von weniger als dem 2,44-Fachen des Radius seines Zentralkörpers wird ein Trabant mit gleicher Dichte durch die Gezeitenkräfte auseinandergerissen bzw. kann sich gar nicht erst bilden. Dieser Abstand wird nach Édouard Albert Roche, der diese Abschätzung erstmals durchgeführt hat, „Roche-Grenze“ genannt.
Diese Überlegungen gelten für die eigene Schwerkraft als relevanten Gegenspieler der Gezeitenkraft, der für Zusammenhalt sorgt, also für den Fall größerer Körper (vgl. Zwergplanet). Bei kleineren Körpern überwiegt jedoch die Stabilisierung durch Kohäsionskräfte.
Bei künstlichen Satelliten ist die eigene Gravitation für die Betrachtung des Zusammenhalts vernachlässigbar gegenüber der Zug- und Druckfestigkeit und Steifigkeit der Konstruktionsmaterialien. Wo keine mechanisch feste Verbindung besteht, können Gezeitenkräfte spürbar werden: Beim Schweben eines Astronauten außerhalb oder auch innerhalb der Kapsel, beim Entschweben von Werkzeug ohne Fangleine, bei einem Koppelmanöver von zwei Raumfahrzeugen, bei Flüssigkeit in einem halbvollen Tank.
Kosmische Beispiele
Roche-Grenze unterschritten
Die Saturnringe liegen zum großen Teil innerhalb der Roche-Grenze des Saturns. Dies ist neben den Hirtenmonden, deren Stabilität durch innere Kohäsionskräfte erhöht wird, der Hauptgrund für die Stabilität des Ringsystems.
Der Komet Shoemaker-Levy 9 passierte im Juli 1992 den Planeten Jupiter und zerbrach dabei in 21 Fragmente zwischen 50 und 1000 m Größe, die sich auf einer mehrere Millionen Kilometer langen Kette aufreihten. Zwischen dem 16. und dem 22. Juli 1994 tauchten diese Bruchstücke dann in Jupiter ein.
Bei engen Begegnungen von Sternen mit einem Abstand, der geringer ist als die Roche-Grenze, werden diese in einer sogenannten Sternkollision stark verändert, meist wird der kleinere zerrissen.
Roche-Grenze nicht unterschritten
Die Gezeitenwirkung des Jupiters verhindert, dass sich der Asteroidengürtel zu einem Planeten zusammenballt. Wenn zum Beispiel zwei Asteroiden Jupiter passieren, zieht dieser den ihm näher gelegenen stärker an als den entfernteren. Die Distanz zwischen den Asteroiden vergrößert sich.
Auf der Erde führen die Gezeiten in den Meeren zu Ebbe und Flut. Die Gezeiten wirken jedoch auch auf den Erdmantel selbst, sodass auch die Kontinente den Gezeiten mit einer Verzögerung von zwei Stunden folgen, allerdings ist der Effekt mit Vertikalbewegungen von 20 bis 30 Zentimeter deutlich geringer als die mehrere Meter hohen Tiden der Meere.
Durch die Gezeiten in großen Meeren können durch den Tidenhub lokal sehr starke Strömungen entstehen. Die dabei vorhandene kinetische Energie kann mittels eines Gezeitenkraftwerks genutzt werden.
Gezeitenreibung (Roche-Grenze nicht unterschritten)
Die Gravitationskräfte, die einander umkreisende Körper aufeinander ausüben, bewirken eine meist schwache Kopplung von Rotation und Revolution. Dadurch wird meist Rotationsdrehimpuls in Bahndrehimpuls verwandelt – selten umgekehrt, weil Rotationen typischerweise größere Winkelgeschwindigkeiten besitzen als die Bahnbewegung. Folgende Darstellung des Mechanismus, also der Ursache des Drehmomentes zwischen Rotation und Revolution, spricht dabei von einem rotierenden und einem „fernen“, vereinfacht gesagt dem „anderen“, meist größeren Körper (z. B. dem betreffenden Zentralgestirn), wobei, falls beide rotieren, der Effekt auch mit vertauschten Rollen auftreten kann.
Unter der Gezeitenbeschleunigung des fernen Körpers nimmt der rotierende Körper eine leicht längliche (prolate) Form an. Aufgrund innerer Reibung bei der Verformung ist die Längsachse nicht auf den fernen Körper ausgerichtet, sondern in Rotationsrichtung verdreht. Die Wechselwirkung des fernen Körpers mit dem ihm zugewandten Ende des rotierenden Körpers ist stärker als mit dem abgewandten Ende. Der effektive Angriffspunkt für die Gesamtkraft, das sogenannte Gravizentrum, liegt nicht mehr auf der Verbindungslinie der Baryzentren der beiden Körper, sondern ist etwas in Rotationsrichtung verschoben, was das Drehmoment erklärt.
Das Zeitintegral des Drehmoments ist der Drehimpuls, den der rotierende Körper verliert. Drehimpuls ist eine vektorielle Erhaltungsgröße. Was der rotierende Körper an Drehimpuls verliert, addiert sich vektoriell zum Bahndrehimpuls des Systems. Dadurch nimmt der Bahndrehimpuls betragsmäßig zu, falls die Richtungen passen (oder ab, falls der ferne Körper schneller umläuft, als der Zentralkörper sich dreht, Beispiel Phobos, oder gegen die Rotationsrichtung umläuft, Beispiel Triton). Höherer Bahndrehimpuls bewirkt nicht etwa eine höhere, sondern eine geringere Bahngeschwindigkeit – auf einer größeren Bahn, siehe das dritte Keplersche Gesetz.
Auf lange Sicht kann die Rotation in eine gebundene Rotation übergehen. Dieses Schicksal trifft meist den kleineren Körper zuerst, wie beim Erdmond. Solange die Rotation noch viel schneller ist als die Revolution, wird der größte Teil der Rotationsenergie, die der rotierende Körper verliert, nicht als Arbeit am fernen Körper geleistet, sondern geht überwiegend als Wärme verloren. Im Fall des retrograd umlaufenden Triton wird auch Bahnenergie und gravitative Bindungsenergie als Wärme frei – der Mond driftet nach innen, zur Roche-Grenze seines Planeten Neptun, wo er in weniger als einer Milliarde Jahre in ein Ringsystem zerrissen wird.
Beispiel Erde-Mond-System
Zum Drehmoment zwischen Erde und Mond tragen hauptsächlich die Gezeiten bei. Die Verformung des Erdmantels ist auf der kurzen Zeitskala der Erdrotation weit überwiegend elastisch und daher wenig phasenverschoben gegenüber der Gezeitenbeschleunigung. Die Atmosphäre dagegen hat zu wenig Masse, um viel beizutragen. Für Zahlenangaben zu aktuellen Änderungsraten siehe Langfristige Änderungen der Erdrotation und Säkulare Akzeleration der Mondbahn.
Zusammenfassung der Auswirkungen
Durch Gezeitenkräfte verformen sich Himmelskörper, sie werden geringfügig auf der Linie durch ihren Schwerpunkt und den des anderen Körpers in die Länge gezogen. Rotiert der Himmelskörper, so wird er dabei „durchgewalkt“, ähnlich wie ein platter Reifen am Auto. Dadurch wird Rotationsenergie in Wärme umgewandelt; die Rotation verlangsamt sich dadurch so lange, bis sich eine gebundene Rotation einstellt. Der Erdmond weist der Erde aufgrund dieses Effektes immer die gleiche Seite zu, und der Erdkern wird erhitzt. Beim Jupitermond Io sind es Gezeitenkräfte, die über Walken und Reibung von Gestein die Wärmeenergie für den Vulkanismus liefern.
Die Verformung des Erdkörpers ist gering, dagegen ist die Auswirkung auf das beweglichere Wasser an seiner Oberfläche deutlich. Es entstehen die maritimen Gezeiten, woher der Name Gezeitenkraft stammt.
In Doppelsternsystemen können Gezeitenkräfte einen Materiefluss von einem Stern zum anderen verursachen, was in bestimmten Fällen zu einer Supernova (Typ 1a) führen kann.
Sind die Gezeitenkräfte stärker als die Kräfte, die ein Objekt zusammenhalten, so können sie auch zum Zerreißen des Objekts führen, so geschehen beim Kometen Shoemaker-Levy 9 (siehe Roche-Grenze).
Siehe auch
Spaghettisierung (extreme Verformung eines Objekts, das in die Nähe eines Schwarzen Lochs gerät)
Literatur
David E. Cartwright: Tides – a scientific history. Cambridge Univ. Press, Cambridge 1999, ISBN 0-521-62145-3 (englisch).
Georg Hamel: Theoretische Mechanik. Berichtigter Reprint. Springer, Berlin / Heidelberg / New York 1978. ISBN 3-540-03816-7. Kap. VIII, S. 379.
Weblinks
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N. Gasch: Rhythmen des Mondes – Geologische Zeugnisse aus alter Zeit.
Gezeiten-Simulation auf beltoforion.de (Javascript)
Gezeiten-Simulation auf wissen.swr.de (Flash Player)
Astrophysikalischer Prozess
Himmelsmechanik
Gezeitenrechnung
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Q223325
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64848
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https://de.wikipedia.org/wiki/Romanow
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Romanow
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Die Romanows (Betonung auf der zweiten Silbe: []) sind ein altes russisches Adelsgeschlecht und nach den Rurikiden die zweite Dynastie, aus der die russischen Zaren hervorgingen. Sie herrschten von 1613 bis 1762. Auch die Mitglieder des Hauses Romanow-Holstein-Gottorp, die auf die Romanows folgten (1762 bis 1917), werden häufig als Romanows bezeichnet und trugen auch weiterhin den Familiennamen Romanow.
Geschichte
Herkunft
Der Ahnherr der Romanows ist der Bojar Andrei Kobyla. Möglicherweise war er ruthenischer Herkunft und während der Regierungszeit des Moskauer Großfürsten Simeon Iwanowitsch (14. Jahrhundert) aus dem Großfürstentum Litauen nach Russland immigriert. Nachfolgende Generationen wiesen ihn als Sohn des legendären Prinzen Glanda Kambila Diwonowitsch aus, der selbst einem alten litauischen bzw. samogitischen Fürstengeschlecht entspross. Im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts floh er mit seinem unmündigen Sohn vor dem einfallenden Deutschen Orden nach Russland. 1287 empfing er die Taufe und nahm den Namen Iwan an. Bereits im 18. Jahrhundert wies der Historiker August Ludwig von Schlözer auf die Inkonsistenz dieser Abstammungslegende hin.
Später wurde auch die ruthenische bzw. samogitische Herkunft Andrei Kobylas in Frage gestellt. Einige Historiker vertreten die These, dass er Abkömmling einer edlen Moskauer Familie aus Nowgorod war. Der russische Beiname Kobyla bedeutet auf deutsch Stute. Laut des russischen Historikers Kuzmin stammte Andrei aus Kostroma und könnte der Sohn eines Bojaren Alexei gewesen sein, der 1304 getötet wurde. Die Nachkommen Kobylas, insbesondere die Romanows, besaßen in der Nähe von Kostroma Landgüter. Um 1330 trat Andrei Kobyla in die Dienste des Großfürsten Simeon Iwanowitsch ein und genoss hohes Ansehen. 1347 wurde er vom Großfürsten nach Twer gesandt, um in seinem Namen mit Maria von Twer Heiratsverhandlungen aufzunehmen.
Familienzweige
Andrei Kobyla hinterließ fünf Söhne, darunter der Woiwode Feodor Andrejewitsch Kobylin, genannt Koschka, auf deutsch Katze. Großfürst Wassili beorderte ihn nach Nowgorod und vertraute ihm dort später die Regierung an. Im hohen Alter erhielt er die Bojarenwürde. Seine Nachkommen trugen den Familiennamen Koschkin. Von dem ältesten seiner fünf Söhne stammte die Familie Romanow, von dem vierten Sohn die Familie Scheremetew ab. Seine Töchter Anna und Akulina heirateten die Fürsten von Rostow und Mikulin. Sachari Iwanowitsch Koschkin, der jüngste Sohn des Iwan Feodorowitsch Koschkin, wurde Bojar unter der Regierung des Großfürsten Wassili II. des Blinden. Seine Kinder nahmen von ihm den Namen Sacharjin () an. Die Familie Jakoslef stammte vom ältesten der beiden Sacharjins, der jüngere Juri Sacharjitsch starb 1501. Dessen Söhne führten den Beinamen Jurjew. Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts nannte sich die Familie Sacharjin-Jurjew.
Aufstieg
Der dritte Sohns Juris, Roman Jurjewitsch Sacharjin, ist der Stammvater des Hauses Romanow. Seine drei Söhne Daniel, Dolmat und Nikita Romanowitsch bekleideten einflussreiche Stellungen am Zarenhof. Daniel Romanowitsch hatte sich als Feldherr im Krieg gegen die Tataren verdient gemacht. Seine ältere Schwester Anastassija Romanowna Sacharjina wurde unter einer Vielzahl heiratsfähiger Töchter nobler russischer Familien als Braut von Zar Iwan IV. auserwählt. Ihre jüngere Schwester Anna Romanowa vermählte sich mit dem Fürsten Wassili Andrejewitsch Sitsky. Nach dem Tod Iwan IV. 1584 führte Nikita Romanowitsch die Regentschaft für seinen noch minderjährigen Neffen Fjodor I. Nach seinem Tod im April 1586 übernahm Boris Godunow die Regentschaft für den regierungsunfähigen Zaren.
Verfolgung
Nach dem Tod Fjodors I. entbrannte ein Machtkampf um den Thron, der das Land in eine tiefe soziale und politische Krise stürzte. Boris Godunow ergriff am 7. Januar 1598 als Usurpator die Macht. Die Moskauer Bojaren machten ihn für die Ermordung des für die Thronfolge vorgesehenen jüngsten Bruders Fjodors, Dmitri Iwanowitsch verantwortlich. Die Romanows wurden von Godunow nach einer Denunziation verfolgt. Sämtliche Söhne Nikitas erhielten Kerkerhaft. Der Sohn Nikitas, Fjodor Nikititsch Romanow, der spätere Patriarch Philaret, wurde 1601 gezwungen, ins Kloster zu gehen und das Mönchsgelübde abzulegen. Xenia Iwanowna zog sich als Marfa in ein Kloster nahe dem Onegasee zurück. Der Sohn Fjodors Nikititschs, Michael Fjodorowitsch, flüchtete mit zwei seiner Tanten 1603 in die eigentliche Heimat der Romanows, in die Stadt Klin. Nach der Machtübernahme des Pseudodimitri I. 1605/06 wurde die Familie rehabilitiert.
Zarenherrschaft
1612 brach unter der Führung des Nischni Nowgoroder Kaufmanns Kusma Minin und des Fürsten Dmitri Poscharski mit Unterstützung durch den Metropoliten Philaret in Moskau ein Volksaufstand aus, der die polnische Besatzungszeit beendete. Nach der Smuta wurde Michael Fjodorowitsch 1613 vom Semski Sobor zum Zaren gewählt und begründete die Dynastie der Romanows. Die Krönung fand am 22. Juli 1613 statt. Seine Politik war in den Anfangsjahren vor allem gegen Polen gerichtet. König Sigismund III., der seinen Sohn Władysław IV. Wasa auf den russischen Thron bringen wollte, weigerte sich, Michaels Herrschaft anzuerkennen. Erst der Vertrag von Polanów 1634 beendete den Russisch-Polnischen Krieg, auch Smolensker Krieg genannt.
Michael I. hinterließ zehn Kinder, wovon sein Sohn Alexei die Nachfolge antrat. Während der Regierungszeit Alexei I. herrschte eine starke Unterdrückung der Bauern. Die zusätzliche hohe Steuerlast führte ab 1648 immer wieder zu Aufständen. 1649 wurde die Leibeigenschaft per Gesetz festgelegt. Alexei führte seit 1654 einen Krieg mit Polen, in den auch Schweden 1656 eintrat und gegen Russland kämpfte. 1658 überwarf er sich mit dem Patriarchen Nikon über die von diesem eingeleiteten kirchlichen Reformen. Der Konflikt führte 1666 zur Spaltung der russisch-orthodoxen Kirche. Ende 1655 schloss Russland mit Polen einen Waffenstillstand und wandte sich gegen Schweden. Der Friede von Andrussowo 1667 beendete die Kriegshandlungen und Smolensk, Kiew und die Ostukraine wurden Teil Russlands. In östlicher Richtung dehnte Alexei sein Reich mit der Eroberung Ostsibiriens bis an die Grenze Chinas aus.
Petrinische Reformen
1682 wurde Peter zusammen mit seinem älteren Halbbruder Iwan zum Zaren ernannt, jedoch auf Grund der Minderjährigkeit der beiden Brüder zunächst Iwans Schwester und Peters Halbschwester Sophia, als Regentin eingesetzt. Sophias Sturz im Jahre 1689 durch die Hofpartei Peters und seiner Mutter begründete Peters Alleinherrschaft. Peter I. brach mit den altrussischen Traditionen in dem er weltliche Schulen bauen ließ und die Macht der Kirche zurückdrängte. Die sogenannten Petrinische Reformen wurden nach dem langjährigen und schließlich siegreichen Großen Nordischen Krieg mit Schweden eingeleitet und durchgesetzt. Dies trug zur Modernisierung des Russischen Reiches bei, die letztlich zur Großmachtstellung Russlands im 18. Jahrhundert führte.
1703 gründete er an der Newa-Mündung die Stadt Sankt Petersburg. Den Standort seiner zukünftigen Hauptstadt, eines „Fensters nach Europa“, soll Peter selbst ausgewählt haben. Erst mit der Gründung der Stadt verfügte Russland wieder über einen eigenen Hafen, der zugleich umfangreiche Westverbindungen aufrechterhielt. Der den Reformkurs seines Vaters ablehnende Zarewitsch Alexei floh 1717 über Wien nach Neapel. Von Gesandten seines Vaters überredet, nach Russland zurückzukehren, wurde er von seinem Vater enterbt und der Verschwörung angeklagt. Er starb 1718 an der Folter. 1721 nahm Peter den Kaisertitel an und verlegte seinen Herrschaftssitz aus Moskau in die neue Hauptstadt Sankt Petersburg. Er starb 1725. Nur drei seiner Töchter überlebten Peter, eine davon nur wenige Tage.
Dynastische Krisen
Nach Peters Tod 1725 war seine zweite Frau Katharina I. zwei Jahre lang bis zu ihrem eigenen Ableben regierende Kaiserin von Russland und versprach, ihren Stiefenkel Peter Alexejewitsch zu ihrem Nachfolger zu ernennen. Die Regierungsgewalt übte de facto Fürst Alexander Danilowitsch Menschikow aus. Nach dem Tod Katharinas bestieg Peter II. am 17. Mai 1727 im Alter von elf Jahren den Thron. Zu seinen Vormündern wurden Alexander Menschikow und seine Tanten Anna und Elisabeth Petrowna bestimmt. Peter II. starb nach nur dreijähriger Amtszeit an den Pocken. Mit dem Tod Peter II. erlosch die männliche Linie der Romanows.
1730 bestieg Anna Iwanowna, die Halbnichte Peters I., den Thron. Unter ihrer Herrschaft erhielt Sankt Petersburg den Status der Hauptstadt zurück und wurde grundlegend verändert. Ihre zehnjährige Regierungszeit wird auch als die „dunkle Epoche“ zwischen der Ära von Peter dem Großen und derjenigen der Kaiserin Elisabeth Petrowna bezeichnet. Da ihre kurze Ehe kinderlos geblieben war, bestimmte Anna ihren Großneffen, den Enkel ihrer älteren Schwester Katharina, zu ihrem Nachfolger, den man als Iwan VI. zum Kaiser ausrief. Als Regenten für den noch minderjährigen Knaben ernannte Anna dessen Mutter und ihren Favoriten Ernst Johann von Biron. Elisabeth Petrowna stürzte den jungen Zaren bereits im Jahr darauf. Iwan wurde inhaftiert und 1764 ermordet. Elisabeth Petrowna war die letzte Romanow auf dem Thron. Innenpolitisch konnte Elisabeth das Reich stabilisieren. Sie führte eine strenge Religionspolitik, wodurch Juden und Andersgläubige unter Repressalien zu leiden hatten. Im Siebenjährigen Krieg kämpfte Russland auf der Seite Österreichs gegen Preußen.
Romanow-Holstein-Gottorp
Elisabeth, die unverheiratet und kinderlos blieb, ernannte ihren Neffen zum Thronfolger, der ihr 1762 als Peter III. folgte. Der Sohn von Peters I. Tochter Anna Petrowna, die mit Karl Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorf verheiratet war, begründete das Haus Romanow-Holstein-Gottorp. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1739 wurde das elfjährige Waisenkind Herzog von Holstein-Gottorf, das seit 1713, als es die im Herzogtum Schleswig gelegenen Territorien an die dänische Krone verloren hatte, nur noch einen Rumpfstaat darstellte. 1745 wurde Peter, inzwischen volljährig, mit Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst-Dornburg, vermählt, die aus diesem Anlass ebenfalls zum russisch-orthodoxen Glauben konvertierte und den Namen Katharina annahm.
Im Jahre 1762 war Peter sechs Monate lang Kaiser von Russland. Die ersten Staatshandlungen Peters waren ein Sonderfrieden mit Preußen, wodurch er sich die Feindschaft der konservativen Kräfte des Landes zuzog. Nach einem Staatsstreich ließ sich seine Frau Katharina zur Zarin und Alleinherrscherin Russlands ausrufen, während Peter für abgesetzt erklärt wurde und am 17. Juli 1762 unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Katharina förderte die Ansiedlung von Ausländern in Russland. Russlands Machtbereich konnte sie so weit ausbauen, dass nach zwei Kriegen gegen die Türken Russland über einen Zugang zum Schwarzen Meer verfügte. Außerdem wirkte sie an den drei Teilungen Polens entschieden mit und führte 1788 Krieg gegen die Schweden. Die offiziellen Nachkommen Peters herrschten bis zur Februarrevolution im Jahre 1917 über das russische Zarenreich.
Genealogie
Stammliste
Stammtafel
Liste der Zaren aus dem Hause Romanow
Liste der Kaiser aus dem Hause Romanow
Bilder
Siehe auch
Liste der russischen Herrscher
Literatur
Simon Sebag Montefiore: Die Romanows. Glanz und Untergang der Zarendynastie 1613–1918 (Im Original: The Romanovs: 1613-1918). S. Fischer, Frankfurt/M. 2016, ISBN 978-3-10-050610-8.
Matthias Stadelmann: Die Romanovs. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007. ISBN 978-3-17-018947-8
Weblinks
Einzelnachweise
Russisches Adelsgeschlecht
Dynastie
Stammtafel
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Q112707
| 101.505469 |
5474007
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https://de.wikipedia.org/wiki/NoSQL
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NoSQL
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NoSQL ( für Not only SQL deutsch: „Nicht nur SQL“) bezeichnet Datenbanken, die einen nicht-relationalen Ansatz verfolgen und damit mit der langen Geschichte relationaler Datenbanken brechen. Diese Datenspeicher benötigen keine festgelegten Tabellenschemata und versuchen Joins zu vermeiden. Sie skalieren dabei horizontal. Im akademischen Umfeld werden sie häufig als „strukturierte Datenspeicher“ (engl. structured storage) bezeichnet.
Bekannte Implementierungen sind Riak, Apache Cassandra, CouchDB, MongoDB und Redis.
Geschichte
Der Begriff NoSQL, noch im Sinne von no SQL, wurde erstmals für eine 1998 erschienene einfache Open-Source-Datenbank verwendet, die keine SQL-Zugriffsmöglichkeit bereitstellte. Carlo Strozzi, der Entwickler dieser Datenbank, unterscheidet allerdings die NoSQL-Datenbank von der NoSQL-Bewegung insofern, als erstere eine Datenbank ist, welche auf die Verwendung der Sprache SQL verzichtet, während letztere ein Konzept ist, das vom relationalen Modell Abstand nimmt.
Der Begriff NoSQL im Sinne von Not only SQL wurde Anfang 2009 von Johan Oskarsson für ein Treffen über verteilte strukturierte Datenspeicher neu eingeführt. Der Name war ein Versuch einer gemeinsamen Begriffsfindung für die wachsende Zahl an nicht relationalen, verteilten Datenspeichersystemen, die meist auch auf ACID-Eigenschaften verzichteten.
Dieses Thema ist nicht ganz neu. Die Bestrebung, Daten ohne die Einschränkungen des relationalen Modells zu speichern, war bereits früher unter dem Titel dokumentenorientierte Datenbank bekannt. Insofern sind alle Vertreter dieser Thematik auch als NoSQL-Systeme zu betrachten.
Obwohl sich NoSQL-Systeme kontinuierlich verbreiten, wird der Markt nach wie vor deutlich von relationalen Systemen dominiert (Stand 2020).
Architektur
Relationale Datenbanken leiden üblicherweise unter Leistungsproblemen bei datenintensiven Applikationen wie Indexierung großer Dokumentmengen, Webseiten mit hohen Lastaufkommen sowie Streaming-Media-Applikationen. Relationale Datenbanken sind nur dann effizient, wenn sie für häufige, aber kleine Transaktionen oder für große Batch-Transaktionen mit seltenen Schreibzugriffen optimiert sind. Sie können aber schlecht mit gleichzeitig hohen Datenanforderungen und häufigen Datenänderungen umgehen. NoSQL dagegen kann mit vielen Schreib-/Leseanfragen umgehen.
NoSQL-Architekturen bieten meist nur schwache Garantien hinsichtlich Konsistenz wie beispielsweise eventual consistency oder auf einzelne Datensätze eingeschränkte Transaktionen. Einige Systeme unterstützen auch ACID, beispielsweise durch Hinzufügung spezieller Middleware wie CloudTPS.
Viele NoSQL-Implementierungen unterstützen verteilte Datenbanken mit redundanter Datenhaltung auf vielen Servern, beispielsweise unter Nutzung einer verteilten Hashtabelle. Damit können die Systeme einfach erweitert werden sowie Ausfälle einzelner Server überstehen.
Unterscheidung nach Datenmodell
NoSQL-Implementierungen können folgendermaßen gegliedert werden:
Leistung
Nach Ben Scofield kann die Leistung von NoSQL-Datenbanken wie folgt bewertet werden:
Literatur
Weblinks
Binärgewitter #1: NoSQL (Podcast bei RadioTux)
NoSQL Databases (Links zu NoSQL-Themen, gepflegt durch Stefan Edlich)
NoSQL Anwendergruppen in Deutschland
Überblicksartikel zum Thema NoSQL (Heise online)
Stefan Edlich: Ausblick zur Entwicklung von SQL zu NoSQL. Frankfurter Datenbanktage
Roberto V. Zicari: Free Downloads/Artikel zu NoSQL ODBMS.org
Einzelnachweise
Datenbanken
Abkürzung
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Q82231
| 85.514248 |
6892
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https://de.wikipedia.org/wiki/1690er
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1690er
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Ereignisse
1688 bis 1697 Pfälzischer Erbfolgekrieg: Zunächst nur gegen den Deutschen Kaiser gerichtet, kämpft Frankreich später gegen eine Allianz von Großbritannien, Schweden, Spanien, Savoyen und den Niederlanden. Frankreich geht stark geschwächt aus dem Kampf hervor, Beginn der Machtverlagerung in Richtung Großbritanniens, entscheidender Wegbereiter für den Spanischen Erbfolgekrieg.
1699 – Die Türken verlieren infolge des Großen Türkenkrieges im Frieden von Karlowitz Ungarn und Siebenbürgen an Österreich. Österreich wird europäische Großmacht.
Persönlichkeiten
Ludwig XIV., König von Frankreich und Navarra
Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, König von Ungarn, König von Böhmen
Karl II., König von Spanien
Friedrich I., Kurfürst und Herzog von Brandenburg-Preußen
Innozenz XII., Papst
Peter I., Zar in Russland
Maria II., Königin von England, Schottland und Irland
Wilhelm III., König von England, Schottland und Irland
Higashiyama, Kaiser von Japan
Kangxi, Kaiser von China
Weblinks
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Q197012
| 129.73264 |
40312
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https://de.wikipedia.org/wiki/Peter-I.-Insel
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Peter-I.-Insel
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Die Peter-I.-Insel (gesprochen Peter-der-Erste-Insel; , , , ) ist eine unbewohnte Insel am nordwestlichen Rand der Bellingshausen-See im Südpolarmeer, 450 km nördlich der Eights-Küste, Westantarktika.
Die Insel wird von Norwegen beansprucht. Der Besitzanspruch wird jedoch, wie alle Gebiete des norwegischen Antarktisterritoriums außer der Bouvetinsel und alle übrigen Gebiete südlich des 60. Breitengrades, aufgrund des Antarktisvertrags international nicht anerkannt.
Geographie und Geologie
Die Fläche der fast vollständig von Eis bedeckten Insel beträgt etwa 156 km², einschließlich einiger kleiner vorgelagerter Felseninseln wie Auroraholmen. Im Westen befindet sich ein rund drei Kilometer langes und einen Kilometer breites Küstenstück, das im Gegensatz zur restlichen Insel nicht mit Eis bedeckt ist und das sich von Kap Ingrid nordwärts an der Norvegiabukta erstreckt. Am Südende wurde 1929 eine Schutzhütte mit Lebensmitteln und Medikamenten errichtet. Sie konnte jedoch bei den Landgängen von 1982 und 1987 nicht mehr gefunden werden.
Die Insel ist in vier benannte Küstenabschnitte untergliedert (im Uhrzeigersinn, beginnend im Norden):
Mirny-Küste, 5 km, im Nordosten, von Kap Eva () bis zur Mündung des Gletschers Simonovbreen ()
Von-Bellingshausen-Küste, 11 km im Osten, von der Mündung des Simonovbreen bis zum Kap Michajlovodden ()
Wostok-Küste, 14 km, im Südosten und Süden, von Michajlovodden bis zur Mündung des Zavodovskijbreen ()
Lazarew-Küste, 19 km, im Westen, von der Mündung des Zavodovskijbreen bis zum Kap Eva
Geologisch handelt es sich bei der Insel um einen erloschenen Schildvulkan, der aus Lagen von Alkalibasalt und Hawaiit aufgebaut ist. Das Alter der Laven liegt zwischen 100.000 und 300.000 Jahren.
Flora und Fauna
Die Vegetation besteht vorwiegend aus Moosen und Flechten, die sich dem antarktischen Klima angepasst haben. Wenige Paare des Silbersturmvogels brüten auf den Kliffs. Zahlreiche Robben, vor allem Krabbenfresser und Seeleoparden, sind an der Küste und im umliegenden Meer zu finden. Die Insel wird bisweilen von Pinguinen aufgesucht, darunter Adeliepinguine und Zügelpinguine.
Geschichte
Die Insel wurde am 10. Januar 1821 von Admiral Fabian Gottlieb von Bellingshausen entdeckt und nach Zar Peter I. (dem Großen) benannt. Aufgrund der Wetterverhältnisse konnte Bellingshausen die Insel jedoch nicht betreten. Erst ein Jahrhundert später, nach zwei weiteren Kontakten, die aber nicht zu einer Landung auf der Insel führten, nahm am 2. Februar 1929 eine norwegische Expedition die Insel durch die Errichtung der oben erwähnten Schutzhütte in Besitz. Die Inbesitznahme wurde 1931 vom norwegischen Parlament bestätigt.
Um 1950 meldete die Sowjetunion Besitzansprüche an. Anfang 1971 errichtete Argentinien eine Station im Norden der Insel, rund 500 Meter landeinwärts von Kap Eva auf der später (1987) so benannten Gletscherebene Radiosletta. Die Hütte wurde am 3. März 1971 fertiggestellt und hieß Teniente Luis Ventimiglia. Sie wurde aber nach wenigen Jahren aufgegeben und verschwand. Heute steht an dieser Stelle eine automatische Wetterstation des Alfred-Wegener-Instituts.
Unter den seltenen Landgängen sind jene unter Kapitän Heinz Aye von 1982 und 1987 (30. Januar, World Discoverer). Hauptproblem eines Landgangs sind die nur kurz währenden Packeislücken und die starke Strömung. 1987, 1994 und im Februar 2006 wurde die Insel von Amateurfunk-Expeditionen besucht und 2006 von dort das Rufzeichen 3Y0X aktiviert.
Weblinks
Peter I Øy. In: Place names in Norwegian polar Areas. Norsk Polar Institutt (englisch/norwegisch).
Peter I Island DXpedition 3YØX – Antarctica 2006. Bilder und Informationen der Amateurfunk-Expedition 2006 (englisch).
Peter I Øy. Norsk Polarinstitutt (norwegisch).
Yr.no - Norwegian Meteorological Institute and NRK - Peter-I.-Insel
Einzelnachweise
Insel ohne Kontinentalbezug
Insel (Bellingshausen-See)
Insel (Antarktis)
Norwegische Geschichte
Abhängiges Gebiet (Norwegen)
Peter der Große als Namensgeber
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Q202780
| 106.062698 |
366906
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hals
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Hals
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Der Hals, lateinisch Collum oder Cervix, ist derjenige Körperteil von Menschen und Tieren, der Kopf und Rumpf miteinander verbindet. Er ist mit seinen verschiedenen zu erfüllenden Funktionen ein komplexes Gebilde, das auch eine gefährdete Engstelle darstellt.
Die Zugehörigkeit zum Hals wird mit dem Adjektiv zervikal bezeichnet, z. B. beim Begriff Zervikalsyndrom. Allerdings kann sich zervikal auch auf andere anatomische Strukturen beziehen, siehe Cervix uteri (Gebärmutterhals).
Etymologie
Die gemeingerm. Körperteilbezeichnung mhd., ahd. hals gehört wie lat. collum zu der idg. Wurzel *ku̯el „[sich] drehen, [sich] herumbewegen“ und bedeutet demnach eigentlich „[Kopf]-Dreher“.
Anatomie
Begrenzungen
Die Grenze des Halses bildet
nach oben: die Verbindungslinie vom Unterrand des Unterkiefers zum Processus mastoideus und entlang der Linea nuchalis superior zur Protuberantia occipitalis externa des Hinterhauptbeins.
nach unten: die Verbindungslinie vom Oberrand des Brustbeins (Manubrium sterni), über das Schlüsselbein zum Acromion des Schulterblatts und nach hinten zum Dornfortsatz des siebten Halswirbels.
Regionen
Der Hals wird beim Menschen in acht Regionen (Regiones cervicales) unterteilt:
Regio cervicalis posterior, Syn. Regio nuchae, Nacken
Regiones cervicales ventrolaterales
Regio cervicalis lateralis (seitliche Halsgegend) mit Trigonum omoclaviculare (Syn. Fossa supraclavicularis major)
Regio sternocleidomastoidea mit Fossa supraclavicularis minor
Regio cervicalis anterior (vordere Halsgegend)
Kinndreieck (Trigonum submentale)
Unterkieferdreieck (Trigonum submandibulare)
Karotisdreieck (Trigonum caroticum)
Muskeldreieck (Trigonum musculare).
Faszien des Halses
Die Halsfaszie gliedert mit ihren drei Blättern den Hals in mehrere Bereiche und bedeckt die Muskulatur des Halses. Daneben werden die verschiedenen Halseingeweide und die Leitungsbahnen des Halses von eigenen bindegewebigen Strukturen bedeckt, der Eingeweidefaszie und der Vagina carotica.
Das oberflächliche Blatt (die Lamina superficialis) umhüllt als Teil der oberflächlichen Körperfaszie den gesamten vorderen Hals, bedeckt den Musculus sternocleidomastoideus und die Glandula parotidea. Einzig das Platysma und epifasziale Venen und Nerven liegen noch oberhalb dieser Faszie. Sie geht am Unterkiefer aus der Fascia parotideomasseterica hervor, geht nach unten in die Brustfaszie und nackenwärts in die Fascia nuchae über.
Das mittlere Blatt, die Lamina pretrachealis beginnt etwa am Zungenbein und erstreckt sich bis zum Brustbein und zum Schlüsselbein. Dabei wird sie nach unten hin immer breiter und ist besonders fest in dem Bereich, wo sie die infrahyoidale Muskulatur bedeckt. Sie ist mit der Vagina carotica verwachsen, der Bindegewebshülle, die wichtige Leitungsbahnen wie die Halsschlagader, die Vena jugularis interna und den Vagusnerv umhüllt.
Unter der Lamina pretrachealis liegt die Eingeweidefaszie, die die Halseingeweide (oder Halsorgane), nämlich Kehlkopf, Rachen, Schilddrüse, Luft- und Speiseröhre, bedeckt.
Das tiefe Blatt (Lamina prevertebralis) der Halsfaszie liegt direkt vor der Wirbelsäule und spaltet sich nach unten hin auf, so dass sie die Skalenusmuskeln und die prevertebrale Muskulatur, die autochthone Nackenmuskulatur und dem Musculus levator scapulae umhüllt. Sie reicht von der Schädelbasis bis etwa zum dritten Brustwirbel, wo sie in die Fascia endothoracica übergeht. Sie bedeckt außerdem den Truncus sympathicus mit den drei Halsganglien, den Plexus brachialis, die Arteria subclavia und den Nervus phrenicus.
Muskulatur
Die Muskulatur des Halses lässt sich in verschiedene Gruppen einteilen. Zum einen sind dies die infrahyoidale Muskulatur, bestehend aus Musculus sternohyoideus, Musculus sternothyroideus, Musculus thyrohyoideus und Musculus omohyoideus. Diese Muskeln sind allesamt für das Schlucken von Bedeutung. Sie verlagern allesamt das Zungenbein nach unten und – bis auf den Musculus thyrohyoideus – außerdem den Kehlkopf und spielen so auch bei der Phonation eine Rolle. Der Musculus thyrohyoideus hingegen verlagert den Kehlkopf nach oben, sofern das Zungenbein fixiert ist. Der Musculus omohyoideus spannt außerdem die Lamina pretrachealis der Halsfaszie, mit der er über seine Zwischensehne verwachsen ist.
Den Gegenpart zur infrahyoidalen Muskulatur bildet die suprahyoidale Muskulatur mit dem Musculus digastricus, Musculus geniohyoideus, Musculus mylohyoideus und dem Musculus stylohyoideus. Diese Muskeln heben das Zungenbein beim Schlucken nach oben und unterstützen darüber hinaus die Kieferöffnung.
Die Gruppe der tiefen Halsmuskeln bildet die prävertebrale Muskulatur, die sich aus dem Musculus longus capitis, dem Musculus longus colli, dem Musculus rectus capitis anterior und aus dem Musculus rectus capitis lateralis zusammensetzt. Sie können die Halswirbelsäule drehen, bzw. bei beidseitiger Aktion nach vorne beugen, oder den Kopf drehen, zur Seite oder nach vorn beugen.
Daneben kann man noch die Musculi scaleni („Treppenmuskeln“) unterscheiden, die aus Musculus scalenus anterior, medius, posterior und bei manchen Menschen auch aus einem Musculus scalenus minimus besteht. Diese Muskeln wirken als Atemhilfsmuskeln, oder können – wenn die Rippen fixiert sind – die Halswirbelsäule zur Seite oder nach vorne beugen.
Der Musculus sternocleidomastoideus und das oberflächlich gelegene Platysma lassen sich keiner Gruppe zuordnen. Im Nacken liegen außerdem die Nackenmuskeln, die aber zur autochthonen Rückenmuskulatur zählen.
Leitungsbahnen
Arterien
Durch den Hals ziehen mehrere große Blutgefäße, die teilweise an der Versorgung des Halses beteiligt sind, teilweise aber ohne Versorgungsfunktion zum Gehirn ziehen. Die beiden Gefäße des Halses, aus denen alle weiteren Gefäße abgehen, sind die Arteria carotis communis und die Arteria subclavia. Rechts entspringen diese beiden Arterien aus dem Truncus brachiocephalicus, links direkt aus der Aorta. Die Arteria subclacia zieht nicht zum Hals, gibt aber die Arteria vertebralis ab, die durch Löcher in den Dornfortsätzen der Halswirbel (Foramina transversaria), hinauf zum Schädel zieht. Daneben gibt sie noch den Truncus thyrocervicalis ab, der sich in eine Reihe von Arterien aufteilt, die im Wesentlichen seitliche Strukturen an der Halsbasis versorgen.
Die Arteria carotis communis verzweigt sich in ihrem weiteren Verlauf in die Arteria carotis interna und die Arteria carotis externa, von denen die Arteria carotis interna keine versorgende Funktion für den Hals einnimmt, sondern zum Gehirn zieht. Im Regelfall (50 Prozent) gehen dann aus der Arteria carotis externa die Arteria thyroidea superior, die Arteria lingualis und die Arteria facialis oberhalb der Bifurkation einzeln ab. Von diesen verzweigt sich die Arteria thyriodea superior in weitere Arterien, die den Kehlkopf, die Schilddrüse und den Musculus sternocleidomastoideus versorgen. Außerdem anastomosiert ein Ast der Arteria thyroidea superior – der Ramus infrahyoideus – mit dem Ast der Gegenseite, so dass eine Verbindung der beiden Arterien hergestellt ist. Die Arteria lingualis versorgt hauptsächlich die Zunge und den Mundboden, über ihre Rami dorsales linguae aber auch den Zungengrund und den Kehldeckel.
Weitere Arterien aus der Arteria carotis externa sind die Arteria pharyngea ascendens, die Arteria auricularis posterior, die Arteria occipitalis, die Arteria maxillaris und die Arteria temporalis superficialis, von denen nur die Arteria pharyngea ascendens über ihre Rami pharyngeales einen Teil des Halses versorgt, nämlich Teile des Kehlkopfs.
Venen
Die Venen des Halses sind größtenteils „Durchgangsstraßen“, die das Blut aus dem Kopf zurück zum Herzen führen. Sie verfügen über keine Klappen, sind – da sie oberhalb des Herzens liegen – nur wenig gefüllt und sind normalerweise im Stehen nicht sichtbar. Erst im Liegen beim Gesunden und bei Patienten mit Rechtsherzinsuffizienz auch im Stehen kann man sie erkennen. Die Abflüsse beider Seiten des Halses sind über den Arcus venosus jugularis verbunden. Auf ihn muss bei Tracheotomien wegen der Gefahr von Blutungen geachtet werden. Außerdem sind die Venen untereinander stark anastomosiert, so dass es selbst bei Unterbinden einer größeren Vene nicht zu Blutstauungen kommt.
Die größte Vene des Halses ist die Vena jugularis interna. Sie tritt durch das Foramen jugulare aus der Schädelhöhle heraus und drainiert so das Blut aus dem Gehirn über die venösen Abflüsse der harten Hirnhäute – die Sinus durae matris – und über die Vena facialis, die Vena lingualis, die Vena thyroidea superior und die Venae thyroideae mediae auch Blut aus dem Gesicht und der Schilddrüse.
Die Vena jugularis externa drainiert Blut aus dem oberflächlichen Bereich hinter dem Ohr. Sie verläuft zunächst über der Faszie (Lamina superficialis), aber unter dem Platysma, durchbricht diese dann, um in die Vena subclavia zu münden.
Die Vena jugularis anterior ist variabel ausgebildet und beginnt, wenn sie ausgeprägt ist, unter dem Zungenbein. Sie verläuft nach unten, drainiert Blut aus der vorderen, oberflächlichen Halsregion und mündet zumeist in die Vena jugularis externa.
Die Vena subclavia verbindet sich schließlich mit der Vena jugularis interna zur Vena brachiocephalica, in die außerdem der Plexus thyroideus impar und die Vena vertebralis mündet. Ebenfalls kann die Vena thyroidea inferior hineinmünden. Der Plexus thyriodeus impar ist ein venöses Geflecht, das Blut aus der Schilddrüse drainiert. Aus der Verbindung der linken Vena subclavia und Vena jugularis interna entsteht der linke Venenwinkel, in den der Ductus thoracicus einmündet. Die Vena subclavia rechts und links verbinden sich schließlich zur oberen Hohlvene, die das Blut zum Herzen befördert.
Daneben existieren noch eine Vielzahl weiterer Venen, die jedoch zu variabel auftreten, so dass sie hier nicht genannt werden.
Lymphbahnen
Generell kann man am Hals oberflächliche von tiefen Lymphknoten und regionäre von Sammellymphknoten unterscheiden. Regionäre Lymphknoten sind erste Stationen im Lymphsystem und erhalten die Lymphe von einem Organ oder einer Region. Sammellymphknoten sind nachgeschaltete Stationen und erhalten ihre Lymphe aus regionären Lymphknoten. Dabei sind oberflächliche Lymphknoten meist regionär und tiefe Lymphknoten meist Sammellymphknoten. Von den oberflächlichen Lymphknoten, den Nodi occipitales am Hinterhauptbein, den Nodi infraauriculares hinter dem Ohr, den Nodi parotidei superficialis, den Nodi parotidei profundi an der Ohrspeicheldrüse, den Nodi anteriores superficialis und den Nodi laterles superficiales fließt die Lymphe zu den tiefen Sammellymphknoten und weiter in den rechten bzw. linken Truncus jugularis – größere Lymphstämme entlang der Vena jugularis interna. Auf der rechten Seite mündet der Truncus jugularis schließlich in den Ductus lymphaticus dexter, der im rechten Venenwinkel endet, und auf der linken Seite mündet der linke Truncus jugularis in den Ductus thoracicus, der im linken Venenwinkel endet.
Die tiefen Lymphknoten können in sechs verschiedene Regionen eingeteilt werden (nach der American Academy of Otolaryngology):
Die Nodi submetales und submandibulares
Die Nodi cervicales profundi, die sich jeweils in drei weitere Gruppen unterteilen lassen, nämlich die obere, mittlere und die untere Gruppe
Die Nodi trigoni cervicalis posterioris
Die Nodi cervicales anteriores
Nerven
Die Nerven, die im Bereich des Halses verlaufen, lassen sich in drei Gruppen einteilen:
Es gibt die Nerven der cervicalen Rückenmarkssegmente C1 bis C4, deren vordere Äste den Plexus cervicalis und große Teile des Plexus brachialis bilden. Für die hinteren Äste der Spinalnerven siehe Nacken, da sie dessen Muskulatur innervieren
Darüber hinaus durchziehen den Hals verschiedene Hirnnerven und
Nerven des Halsteils des sympathischen Grenzstrangs, die in der Lamina praevertebralis liegen.
Die Spinalnerven der Rückenmarkssegmente C1 bis C4 geben nach Austritt aus dem Rückenmark vordere und hintere Äste ab, von denen die vorderen – nachdem sie einige direkte Muskeläste angegeben haben – den Plexus cervicalis bilden. Dieser hat sowohl sensible als auch motorische Anteile. Die sensiblen Anteile verlassen den Plexus aber wieder und ziehen am Hinterrand des Musculus sternocleidomastoideus an die Oberfläche (Punctum nervosum). Dabei handelt es sich um den Nervus auricularis magnus, den Nervus occipitalis minor, den Nervus transversus colli und die supraclaviculären Nerven (Nervus supraclavicularis anterior, intermedius und lateralis). Eine Ausnahme bilden dabei die sensiblen Anteile des Nervus phrenicus (größtenteils C4), der aus den Segmenten C3 bis C5 gebildet wird. Er zieht nach unten zum Brust- und Bauchraum und innerviert das Zwerchfell motorisch und sensibel und das Bauchfell, Perikard und die parietale Pleura sensibel.
Aus den Spinalnerven der Segmente C5 bis C8 entsteht zusammen mit Th1 der Plexus brachialis, der durch die hintere Skalenuslücke und über das Schlüsselbein zieht. Er besteht aus drei Ästen (Trunci), die sich zusammenlagern und die obere Extremität innervieren.
Die Hirnnerven, die im Bereich des Halses verlaufen, sind der VII (Nervus facialis), IX (Nervus glossopharyngeus), X (Nervus vagus), der XI (Nervus accessorius) und der XII (Nervus hypoglossus). Hier werden nur die Äste aufgeführt, die wichtig für die Strukturen des Halses sind: Der Nervus facialis zieht etwa vom hinteren Rand des Unterkiefers zum Nervus transversus colli und bildet dort eine Art Schlinge, die man früher Ansa cervicalis superficialis nannte. Dabei sind die Fasern des N. facialis hier rein motorischer Natur während die des Nervus transversus colli sensorisch sind. Der VII Hirnnerv innerviert das Platysma im Bereich des Halses.
Der Nervus glossopharyngeus enthält gemischte Fasern, von denen die sensorischen zur Teilungsstelle der Arteria carotis communis verlaufen, wo sie das dort gelegene Sinus carotis und Glomus carotis mit seinen Chemo- und Pressorezeptoren innervieren. Daneben gibt der Nervus glossopharyngeus sensible und motorische Fasern in Ästen (Rami paryngei) ab, die zusammen mit den Rami pharyngei der Nervus vagus den Plexus pharyngeus bilden, der fast alle Muskeln des Rachens motorisch und den ganzen Rachen sensibel versorgt. Einzig der Musculus stylopharyngeus wird von motorischen Ästen des Nervus glossopharyngeus allein innerviert.
Der Nervus vagus ist neben der Innervation des Rachens auch an der Innervation des Kehlkopfs beteiligt. Dazu gibt er zwei Äste ab: Der erste Ast, der Ramus laryngeus superior, versorgt am Kehlkopf mit seinem Ramus externus den Musculus cricothyroideus und mit seinem Ramus internus die Schleimhaut des Kehlkopfes oberhalb der Rima glottidis. Unterhalb der Rima glottidis fällt die Innervation der Schleimhaut, wie auch die aller inneren Kehlkopfmuskeln, dem Nervus laryngeus recurrens zu – dem anderen Ast des Nervus vagus, der von Bedeutung für den Kehlkopf ist.
Der Nervus accessorius ist rein motorisch und versorgt den Musculus sternocleidomastoideus und den Musculus trapezius zum Teil. Der Nervus hypoglossus ist ebenfalls motorisch und innerviert Zungenmuskulatur und dem Musculus styloglossus.
Weitere Anatomie
Durch den Hals verlaufen verschiedene Versorgungsstränge wie Speiseröhre, Luftröhre und Blutbahnen. Das Knochengerüst (Halswirbelsäule) muss eine möglichst große Flexibilität für den Kopf herstellen. Der vordere Teil des Halses, der den Kehlkopf und den Schlund enthält, wird als Gurgel bezeichnet (von lateinisch: gurgulio = Schlund, Kehle, Luftröhre).
Redewendungen
Jemandem „den Hals umdrehen“ oder „den Hals abschneiden“ (wörtlich gemeint) bedeutet, jemanden umzubringen, da dadurch alle wichtigen Körperfunktionen unterbrochen werden. Dasselbe passiert bei Hinrichtungen mittels Enthauptung (Guillotine) oder Aufhängen („Tod durch den Strang“). Die Redewendung wird als „leere Drohung“ verwendet, die signalisieren soll, wie ernst man etwas meint.
Ein Halsabschneider ist jemand, der einen anderen finanziell übervorteilt, ein Wucherer oder Ausbeuter.
Mit der Redensart „jemandem an den Hals gehen“ (oder auch „an die Gurgel“) ist ebenfalls ein lebensbedrohlicher, v. a. auf die Unterbrechung der Luftzufuhr abzielender Angriff gemeint.
Die Redewendung „einen Frosch im Hals haben“ hat ihren etymologischen Ursprung in der Froschgeschwulst, medizinisch Ranula. Die Schwellung des Halses, die durch eine Rötung der Mandeln hervorgerufen wird, sorgt für Schmerzen beim Schlucken.
Der Ausdruck „einen (dicken) Hals haben“, bekommen oder kriegen beschreibt einen Zustand von Wut oder Entrüstung über eine bestimmte Gegebenheit oder das Verhalten einer Person.
Einen „langen Hals bekommen“ oder l„angen Hals kriegen“ bedeutet, dass sich jemand reckt oder nach etwas giert.
Der Wunsch „Hals- und Beinbruch“ hat ursprünglich nichts mit dem Hals zu tun, sondern ist eine Verballhornung des jiddischen Ausspruchs hatslokhe u brokhe („Erfolg (Glück) und Segen“)
Der Begriff Freiheit hat seinen Ursprung in der Freihalsigkeit, dem collum liberum, einem Hals, der kein Joch auf sich trägt.
Siehe auch
Halsband
Halskette
Torticollis (Schiefhals)
Zahnhals
Weblinks
Einzelnachweise
Körperregion
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Q9633
| 216.566779 |
5793325
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https://de.wikipedia.org/wiki/So%C5%82ectwo
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Sołectwo
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Ein Sołectwo (deutsch Schulzenamt) ist eine der Gmina (Gemeinde) untergeordnete Verwaltungseinheit in Polen. Üblicherweise ist diese Verwaltungsform in ländlichen Regionen anzutreffen, aber auch Städte können über ein oder mehrere Schulzenämter verfügen. Dazu gehört in der Regel mindestens ein Dorf, häufig sind mehrere Dörfer zu einem Schulzenamt zusammengeschlossen. Zum 31. Dezember 2009 gab es in Polen 40.461 Schulzenämter. Die entsprechenden Verwaltungseinheiten in Städten heißen Dzielnica ((Stadt-)Bezirk) oder Osiedle (Siedlung).
Dem Sołectwo steht der Sołtys (Schultheiß) vor, welchem eine Rada Sołecka (Dorfrat) zur Seite steht. Beide Institutionen werden von den Einwohnern des Schulzenamtes in geheimer Abstimmung gewählt.
Aufgaben
Zu den Aufgaben des Schulzenamtes gehören:
die Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen
Aktivitäten zur Stärkung der Familie und Kultur
Organisation der Freizeitbeschäftigung für Kinder und Jugendliche
Maßnahmen für Sicherheit und öffentliche Ordnung
Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden für die Bereiche Hygiene, Brandschutz und Sicherheit
Entscheidungen über die Nutzung des sich auf dem Gebiet des Schulzenamtes befindenden Eigentums der Gemeinde
Festlegen von Richtung, Umfang und Form kommunaler Aufgaben
Wartung und Reparatur kommunaler Einrichtungen.
Weiterhin wirken die Schulzenämter mit bei Entscheidungen der Gemeinde zu Entwicklungsplänen für das Schulzenamt, Investitionen, Reparatur und Instandhaltung von öffentlichen Infrastruktureinrichtungen.
Fußnoten
Verwaltungsgliederung Polens
Verwaltungseinheit in Polen
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Q1512068
| 120.790767 |
17531
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https://de.wikipedia.org/wiki/Putsch
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Putsch
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Ein Putsch oder Staatsstreich (oft []) ist eine meist gewaltsame und überraschende Aktion von Angehörigen des Militärs oder paramilitärischer Organisationen und/oder einer Gruppe von Politikern mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und die Macht im Staat zu übernehmen. Häufig folgt auf einen Putsch eine Militärdiktatur oder die Herrschaft eines autoritären Regimes.
Antonym ist Revolution, bei der der Regimewechsel nicht nur von einer kleinen Gruppe, sondern von relevanten Teilen des Volkes ausgeht und die einen tiefgreifenderen Wandel zur Folge hat.
Das Wort Putsch wird zumeist nur für einen gelungenen Putsch benutzt, ein fehlgeschlagener Putsch wird meist Putschversuch oder Revolte genannt. Auf einen gescheiterten Putsch folgt häufig eine Anklage wegen Hochverrats. Das Wort Putsch ist zugleich negativ konnotiert; Putschisten verwenden daher in der Regel euphemistische Bezeichnungen für ihre Handlungen.
Als Staatsstreich von oben wird die Situation bezeichnet, in der nicht Militärangehörige als Anführer agieren, sondern ursprünglich demokratisch in ihr Amt gewählte Staatsoberhäupter bzw. Präsidenten die Institutionen ihres Landes untergraben. Beispielsweise wurden die Entmachtung der Nationalversammlung von Venezuela im Jahr 2017 durch Präsident Maduro als Staatsstreich von oben bezeichnet, ebenso wie die Polnische Verfassungskrise und Justizreform von 2015.
Begriffsherkunft
Ursprünglich stammt der Begriff aus der Schweiz, wo das schweizerdeutsche Dialektwort eigentlich ‚Stoß‘, ‚Zusammenstoß‘ bedeutet. Schon im 16. Jahrhundert wurde es auch im übertragenen Sinn militärisch für einen plötzlichen Vorstoß, den Aufprall gegen ein Hindernis oder die Initiative zu einem Unternehmen verwendet und erhielt schließlich auch die speziellere Bedeutung ‚Volksauflauf‘, ‚Revolte‘. Im 19. Jahrhundert wurde das Wort im letztgenannten Sinn für verschiedene regionale und kantonale Umstürze und Unruhen wie den Freiämter Putsch (1830), den Züriputsch (1839), den Neuenburger Putsch (1856) oder den Tessiner Putsch (1890) gebraucht. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich das Wort dann im gesamten deutschen Sprachraum, insbesondere befördert durch Zeitungsberichte über den reaktionären Züriputsch in Zürich (1839).
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Begriff auch ins Englische sowie ins Französische entlehnt, wobei er hier zunächst nur als Terminus technicus in Zusammenhang mit den politischen Wirren der Zwischenkriegszeit in Deutschland und Österreich begegnet (Kapp-Putsch 1920, Hitlerputsch 1923, Juliputsch 1934), in der allgemeineren Bedeutung „Umsturzversuch [gleich wo]“ erst seit etwa 1950. Spätestens seit dem so genannten Putsch d’Alger (1958) ist er im politischen Diskurs Frankreichs fest verankert.
Putsch und Staatsstreich
Darüber, ob und inwiefern sich die Begriffe Putsch und Staatsstreich unterscheiden, besteht keine Einigkeit. Oft wird der Unterschied darin gesehen, dass bei einem Putsch der gewaltsame Sturz der Regierung von außen versucht wird (etwa vom Militär), während an einem Staatsstreich ein oder mehrere Mitglieder der aktuellen Regierung beteiligt sind. Der Begriff Staatsstreich orientiert sich dabei am Staatsstreich des 18. Brumaire VIII, d. h. der Machtübernahme Napoleons in Frankreich 1799.
Der Duden gibt bei Putsch als Bedeutung an: „von einer kleineren Gruppe [von Militärs] durchgeführter Umsturz[versuch] zur Übernahme der Staatsgewalt“. Bei Staatsstreich lautet die Bedeutungsangabe dagegen: „gewaltsamer Umsturz durch etablierte Träger hoher staatlicher Funktionen“. Coup d’État wird als (weitgehend) gleichbedeutend mit Staatsstreich behandelt.
Der Brockhaus vermerkt ergänzend, dass ein Staatsstreich ein planmäßig gegen die Verfassung gerichteter Umsturz bzw. Umsturzversuch sei. Meyers Konversations-Lexikon nennt Verfassungswidrigkeit als besonderes Merkmal eines Staatsstreichs. Einen Putsch hingegen beschreiben beide weniger spezifisch, das Merkmal eines gegen die Verfassung gerichteten Umsturzplanes muss dafür nicht notwendig erfüllt sein.
Auch das Politiklexikon sieht den Unterschied darin, dass die Akteure eines Staatsstreiches bereits an der Macht beteiligt seien. Als Antonym zu Staatsstreich nennt es Putsch.
Nach Walter Theimers Lexikon der Politik wird ein Staatsstreich „insbesondere vom Militär oder Teilen davon“ durchgeführt. Der Unterschied bestehe darin, dass die Putschisten „subalterne Offiziersgruppen“ oder andere eher machtlose Gruppen seien; Voraussetzung für die Durchführung eines Staatsstreichs sei dagegen eine hohe Machtstellung der Akteure, die – wie bei der Absetzung Mussolinis durch König Viktor Emanuel III. 1943 – sogar Staatsoberhäupter sein könnten. Das Antonym von Staatsstreich sei Revolution.
Das Wörterbuch zur Geschichte definiert Putsch als Sonderform des Staatsstreichs: Er sei ein „Staatsstreich von unten durch eine kleinere Gruppe“.
Andere Autoren behandeln die Begriffe als mehr oder weniger gleichbedeutend:
Der Kriminologe Wolf Middendorf sieht keinen wesentlichen Bedeutungsunterschied, allenfalls gehörten Putschisten oft niedrigeren militärischen Rängen an.
Das Wortschatzlexikon der Universität Leipzig bezeichnet beide Begriffe als synonym.
Auch der Osteuropahistoriker Manfred Hildermeier benutzt beide Begriffe synonym, wenn er etwa die Moskauer Ereignisse vom August 1991 einmal als „gescheiterten Putsch“ und einmal als „versuchten Staatsstreich“ bezeichnet.
Militärputsch
Streitkräfte haben häufig Traditionen und Organisationsstrukturen, die älter sind als das Regime, dessen Existenz zu sichern ihre Aufgabe ist. Die Zusammensetzung des Offizierskorps kann dabei eine Rolle spielen, die Größe der Armee, eine Tradition von vorangegangenen Militärputschen, Niederlagen in Kriegen oder nationale Krisen, deren Bewältigung einer zivilen Regierung nicht zugetraut wird. Das kann dazu führen, dass zivile Regierungen entweder von Militärs in Putschen direkt beseitigt, oder aber vom Militär ihren inneren Feinden ausgeliefert werden.
Häufiger als der direkte Putsch mit dem Sturz der Regierung ist die legalisierte Auflehnung, bei der das Militär seine umfangreichen Machtbefugnisse nutzt, um direkten Einfluss auf politische Regierungsentscheidungen zu nehmen. In der Türkei, Thailand, Chile und in Burma hatte sich das Militär nach Militärputschen auch für die Zeit nach der Rückgabe der Macht an die Zivilisten derartige Einflussmöglichkeiten gesichert. Parlamentssitze und andere institutionalisierte Einflussmöglichkeiten sichern dem Militär einen Einfluss an der politischen Macht, ohne dass eine direkte Gewaltandrohung ausgesprochen werden muss.
Frankreich erlebte während der Auflösung seines Kolonialreiches zwei Militärputsche von Offizieren, die die Entwicklung aufhalten wollten. Der erste, der Putsch von Algier, führte 1958 zum Sturz der Vierten Republik, der zweite Putsch der Generale von 1961 scheiterte, bevor Algerien schließlich im März 1962 unabhängig wurde.
Palastrevolution
Eine Sonderform des Putsches ist die Palastrevolution. Sie bezeichnet keine Revolution, sondern einen Sturz von Herrschern oder Staatsmännern, der nicht durch Volksaufstände oder Erhebungen der Bevölkerung, sondern durch Intrigen im Umfeld der jeweiligen Herrscher herbeigeführt wird. Umgangssprachlich wird auch die Auflehnung gegen Vorgesetzte in Firmen und Organisationen als Palastrevolution bezeichnet. Beispiele sind die Russischen Palastrevolutionen.
Selbstputsch
Als Selbstputsch (spanisch Autogolpe) wird ein Putsch bezeichnet, bei welchem ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt oder Regierungschef mithilfe des Militärs oder unverfassungsgemäßer Methoden das Parlament und/oder das Verfassungsgericht ausschaltet, um diktatorische Macht zu erlangen. Als bekanntestes Beispiel dieses Selbstputsches gilt der Autogolpe von Perus Präsidenten Alberto Fujimori im April 1992. In Guatemala versuchte 1993 Jorge Antonio Serrano Elias nach dem Vorbild Fujimoris die Macht an sich zu reißen, wurde aber nach massiven Protesten entmachtet. Ein weiterer, aber erfolgloser Selbstputsch in Peru wurde im Dezember 2022 von Pedro Castillo durchgeführt, welcher infolgedessen des Amtes enthoben wurde.
Auch der im Interesse Donald Trumps durchgeführte Kapitolsturm 2021 wird von einigen Autoren als versuchter Selbstputsch gewertet.
Putsche in der Geschichte
Obwohl das Wort Putsch international erst seit dem „Züriputsch“ in Gebrauch ist, können Staatsstreiche in davorliegenden Zeiten ebenso bezeichnet werden.
Literatur
David Hebditch, Ken Connor: Wie man einen Militärputsch inszeniert. Von der Planung bis zur Ausführung. Ares-Verlag, Graz 2006, ISBN 3-902475-23-4.
Edward Luttwak: Wie inszeniert man einen Staatsstreich oder: Der Coup d’Etat. Rowohlt, Reinbek 1969.
François Mitterrand: Le Coup d’État permanent (dt. Der permanente Staatsstreich), 1964.
Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. 4. Aufl. (August 1998), ISBN 978-3-88680-539-6.
Bruce W. Farcau: The Coup. Tactics in the Seizure of Power. Praeger, Westport 1994, ISBN 0-275-94783-1, S. 2.
Weblinks
Gefahr von Staatsstreichen in der Welt (A World in Trouble), Maximiliano Herrera (englisch)
Einzelnachweise
Autoritarismus
Politisches Instrument
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Q45382
| 529.570532 |
354
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https://de.wikipedia.org/wiki/Albedo
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Albedo
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Die Albedo (; von ) ist ein Maß für das Rückstrahlvermögen (Reflexionsstrahlung) von diffus reflektierenden, also nicht selbst leuchtenden Oberflächen. Sie wird als dimensionslose Zahl angegeben und entspricht dem Verhältnis von rückgestrahltem zu einfallendem Licht (eine Albedo von 0,9 entspricht 90 % Rückstrahlung). Die Albedo hängt bei einer gegebenen Oberfläche von der Wellenlänge des einstrahlenden Lichtes ab und kann für Wellenlängenbereiche – z. B. das Sonnenspektrum oder das sichtbare Licht – angegeben werden. Vor allem in der Meteorologie ist sie von Bedeutung, da sie Aussagen darüber ermöglicht, wie stark sich eine Oberfläche erwärmt – und damit auch die Luft in Kontakt mit der Oberfläche.
In der Klimatologie ist die so genannte Eis-Albedo-Rückkopplung ein wesentlicher, den Strahlungsantrieb und damit die Strahlungsbilanz der Erde beeinflussender Faktor, der relevant für den Erhalt des Weltklimas ist.
In der 3D-Computergrafik findet die Albedo ebenfalls Verwendung; dort dient sie als Maß für die diffuse Streukraft verschiedener Materialien für Simulationen der Volumenstreuung.
In der Astronomie spielt die Albedo eine wichtige Rolle, da sie mit grundlegenden Parametern von Himmelskörpern (z. B. Durchmesser, scheinbare/absolute Helligkeit) zusammenhängt.
Albedoarten
Es werden verschiedene Arten der Albedo unterschieden:
Die sphärische Albedo (auch planetarische Albedo, Bondsche Albedo oder bolometrische Albedo genannt) ist das Verhältnis des von einer Kugeloberfläche in alle Richtungen reflektierten Lichts zu der auf den Kugelquerschnitt einfallenden Strahlung. Bei der planetarischen Albedo gilt als Oberfläche der obere Rand der Atmosphäre. Die sphärische Albedo liegt stets zwischen 0 und 1. Der Wert 0 entspricht einer vollständigen Absorption und 1 einer vollständigen Reflexion des einfallenden Lichts.
Die geometrische Albedo ist das Verhältnis des von einer vollen bestrahlten Fläche zum Beobachter gelangenden Strahlungsstroms zu dem, der von einer diffus reflektierenden, absolut weißen Scheibe (ein sogenannter Lambertstrahler) gleicher Größe bei senkrechtem Lichteinfall zum Beobachter gelangen würde. Die geometrische Albedo kann in seltenen Fällen auch Werte größer 1 annehmen, weil reale Oberflächen nicht ideal diffus reflektieren.
Das Verhältnis zwischen sphärischer Albedo und geometrischer Albedo ist das sogenannte Phasenintegral (siehe Phase), das die winkelabhängige Reflektivität jedes Flächenelements berücksichtigt.
Messung
Die Messung der Albedo erfolgt über Albedometer und wird in Prozent angegeben. In der Astronomie können aufgrund der großen Entfernungen keine Albedometer eingesetzt werden. Die geometrische Albedo kann hier aber aus der scheinbaren Helligkeit und dem Radius des Himmelskörpers und den Entfernungen zwischen Erde, Objekt und Sonne berechnet werden. Um die sphärische Albedo zu bestimmen, muss auch das Phasenintegral (und somit die Phasenfunktion) bekannt sein. Diese ist allerdings nur für diejenigen Himmelskörper vollständig bekannt, die sich innerhalb der Erdbahn bewegen (Merkur, Venus). Für die oberen Planeten kann die Phasenfunktion nur teilweise bestimmt werden, wodurch auch die Werte für ihre sphärische Albedo nicht exakt bekannt sind.
Satelliten der US-Raumfahrtbehörde NASA messen seit ca. 2004 die Albedo der Erde. Diese ist insgesamt, abgesehen von kurzfristigen Schwankungen, in den letzten zwei Jahrzehnten konstant geblieben; regional dagegen gab es Veränderungen von mehr als 8 %. In der Arktis z. B. ist die Rückstrahlung geringer, in Australien höher geworden. Demgegenüber steht eine Studie aus dem Jahr 2021 – sie zeigt, dass die Albedo zwischen 1998 und 2017 um ~0,5 % abgesunken ist, wobei der Zusammenhang zum Klimawandel ungeklärt ist. Die Entwicklung könnte durch den Klimawandel mitverursacht worden sein und/oder die globale Erwärmung signifikant verstärken.
Das Deep Space Climate Observatory misst seit 2015 die Erd-Albedo in einem Abstand von 1,5 Millionen Kilometern zur Erde vom Lagrange-Punkt L1 aus. An diesem Punkt hat die Sonde einen dauerhaften Blick auf die sonnenbeschienene Seite der Erde.
Einflüsse
Die Oberflächenbeschaffenheit eines Himmelskörpers bestimmt seine Albedo. Der Vergleich mit den Albedowerten irdischer Substanzen ermöglicht es also, Rückschlüsse auf die Beschaffenheit anderer planetarer Oberflächen zu ziehen. Gemäß der Definition der sphärischen Albedo ist die Voraussetzung von parallel einfallendem Licht wegen der großen Entfernungen der reflektierenden Himmelskörper von der Sonne als Lichtquelle sehr gut gegeben. Die stets geschlossene Wolkendecke der Venus strahlt viel mehr Licht zurück als die basaltartigen Oberflächenteile des Mondes. Die Venus besitzt daher mit einer mittleren sphärischen Albedo von 0,76 ein sehr hohes, der Mond mit durchschnittlich 0,12 ein sehr geringes Rückstrahlvermögen. Die Erde hat eine mittlere sphärische Albedo von 0,3. Durch die globale Erwärmung verschieben sich auf der Erde die regionalen Albedo-Werte. Durch Verschiebung der Wolkenbänder sank die Albedo z. B. in der nördlichen gemäßigten Zone, stieg dafür aber weiter im Norden. Die höchsten bisher gemessenen Werte fallen auf die Saturnmonde Telesto (0,994) und Enceladus (0,99). Der niedrigste Mittelwert wurde mit nur 0,03 am Kometen Borrelly festgestellt.
Glatte Oberflächen wie Wasser, Sand oder Schnee haben einen relativ hohen Anteil spiegelnder Reflexion, der von Kreide ebenso, ihre Albedo ist deshalb stark abhängig vom Einfallswinkel der Sonnenstrahlung (siehe Tabelle).
Die Albedo ist außerdem abhängig von der Wellenlänge des Lichts, das untersucht wird, weswegen bei der Angabe der Albedowerte immer der entsprechende Wellenlängenbereich angegeben werden sollte.
Berücksichtigung in der Bautechnik
Zur Verbesserung des städtischen Mikroklimas werden bei der Planung und Ausführung von Verkehrsflächen im zunehmenden Maße Oberflächen mit günstigen Albedowerten berücksichtigt.
Die Reflexionseigenschaften von Asphalt- und Betonoberflächen können beispielsweise durch die Verwendung heller Gesteinskörnungen optimiert werden. Zwei ausführliche Fachartikel finden sich in .
Weblinks
Mehrsprachige Umweltenzyklopädie ESPERE
Einzelnachweise
Meteorologische Größe
Photometrische Größe
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Q101038
| 267.551768 |
10075943
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Edit-a-thon
|
Edit-a-thon
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Ein Edit-a-thon (auch Editathon) ist eine Veranstaltung, bei der Autoren von Online-Plattformen wie OpenStreetMap, Wikipedia oder lokalen Wikis kollaborativ Artikel erstellen oder verbessern. Edit-a-thons stehen zumeist unter einem Thema und beinhalten in der Regel auch Einführungen für neue Nutzer in die Bearbeitung von Inhalten. Edit-a-thons finden meist an gemeinsamen (physischen) Orten statt, können aber auch online stattfinden. Die Wortbildung „Edit-a-thon“ ist ein Kofferwort aus englischen Verbs to edit („bearbeiten“) mit dem Wort „Marathon“.
Bekannte Edit-a-thons
Wikipedia-Edit-a-thons fanden in den Büros spezifischer Wikimedia-Chapter, an diversen Hochschulen wie der Sonoma State University, Arizona State University, University of Victoria in Kanada, der Universität Wien oder der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel statt, aber auch in Kulturinstitutionen wie Museen und Archiven. Die Schwerpunktthemen reichten von kulturellem Erbe, (musealer) Sammlungsgeschichte, über Feminismus und Kunst (um gegen die Gender Bias auf Wikipedia zu arbeiten), bis hin zu anderen Themen im Bereich sozialer Gerechtigkeit. Frauen, Afroamerikaner und Latinos verwenden Edit-a-thons als ein Werkzeug, um spezifischen gender-basierten oder rassifizierten Verzerrungen im Inhalt der Enzyklopädie entgegenzutreten (vergleiche das Projekt Women in Red).
Der längste Edit-a-thon fand vom 9. bis 12. Juni 2016 im Museo Soumaya in Mexiko-Stadt statt, wo Freiwillige von Wikimedia Mexiko zusammen mit Museumsangestellten 72 Stunden lang (kontinuierlich) editieren. Dieser Edit-a-thon wurde vom Guinness-Buch der Rekorde als längster seiner Art anerkannt.
Die OpenStreetMap-Community hat auch mehrere Edit-a-thons veranstaltet.
Organisationen in der Schweiz und Österreich, die Edit-a-thons veranstalten
Wikimedia Österreich
Wikimedia Schweiz, u. a. Editathon „Frauen für Wikipedia“ in Zusammenarbeit mit Ringier und SRF.
Who writes his story? (Schweiz, Österreich, u. a. im Kaskadenkondensator Basel (CH), bei Lames in St. Pölten (AT) oder im Kunsthaus Langenthal (CH))
Siehe auch
Liste von Edit(h)-a-thons im deutschsprachigen Raum
Hackathon (kollaborative Soft- und Hardwareentwicklungsveranstaltung)
Art+Feminism (Edit-a-thon zu Frauen in der Kunst)
Weblinks
OpenStreetMap (OSM): Mapathon
Einzelnachweise
OpenStreetMap
Wikipedia
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Q16022392
| 421.497154 |
2186465
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pancrustacea
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Pancrustacea
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Als Pancrustacea oder Tetraconata wird eine Gruppe der Gliederfüßer bezeichnet, in der die Insekten mit den Krebstieren zu einer Gruppe zusammengefasst werden. Dies ist Gegenstand verschiedener phylogenetischer Hypothesen.
Systematik
Die Systematik innerhalb der Euarthropoden (Gliederfüßer im engeren Sinn ohne Onychophora und Tardigrada) ist, wie ihre Verwandtschaftszugehörigkeit zu außenstehenden Gruppen, immer noch umstritten.
Traditionelle Gliederung
Traditionell werden die Cheliceraten (Pfeilschwänze und Spinnentiere) den Mandibeltieren (Mandibulata) (Tausendfüßer, Krebse und Insekten) gegenübergestellt. Innerhalb des Taxons Mandibulata ist die Frage offen, ob die Insekten mit den Tausendfüßern als Tracheata (Antennata) zusammengefasst werden sollten. Argumente hierfür sind Gemeinsamkeiten, wie die Reduktion der 2. Antenne und der Besitz von spezifischen Tracheen:
Tetraconatahypothese
Nach verschiedenen Untersuchungen wird häufig in der Literatur die Hypothese vertreten, dass die Insekten innerhalb der Mandibeltiere näher bei den Krebstieren (Crustacea) einzuordnen und den Tausendfüßern als gemeinsames Taxon Tetraconata gegenüberzustellen sind. Das wichtigste Argument hierfür ist der Bau der Komplexaugen bei Krebsen und Insekten. Sie stimmen in ihrem Bau bis ins Detail überein und besitzen zwei Corneagenzellen, vier Semperzellen und acht Retinulazellen.
Pancrustaceahypothese
Manche Autoren gehen davon aus, dass sich die Insekten innerhalb der Krebstiere entwickelt haben. Dadurch würde "Crustacea" zu einem Paraphylum, wenn nicht die Insekten mit einbezogen würden. Diese These wird durch den Begriff Pancrustacea ausgedrückt. Argumente hierfür liefert vor allem die Entwicklungsbiologie.
Myriochelatahypothese
Ebenfalls von manchen Autoren vertreten wird die Myriochelata-Hypothese. Hiernach bilden die Tausendfüßer mit den Kieferklauenträgern das Monophylum Myriochelata, das den Tetraconaten gegenübergestellt wird. Das Hauptargument für die Verwandtschaft von Spinnentieren zu Tausendfüßern ist die übereinstimmende Anzahl der neuronalen Immigrationszentren bei der Ganglienbildung.
Quelle
H. Paulus: Euarthropoda, Gliederfüßer i.e.S In W. Westheide und R. Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere. Spektrum Verlag, Heidelberg 2006; S. 463–473
J. Regier, J. Shultz, A. Zwick, A. Hussey, B. Ball, R. Wetzer, J. Martin, & C. Cunningham: Arthropod relationships revealed by phylogenomic analysis of nuclear protein-coding sequences. Nature, 2010
Weblinks
Arthropod Phylogeny
Gliederfüßer
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Q671280
| 129.879045 |
2099
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https://de.wikipedia.org/wiki/Geochronologie
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Geochronologie
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Geochronologie (von und , ‚Zeitdauer‘ und -logie) ist die Wissenschaftsdisziplin, die Ereignisse der Erdgeschichte und sekundär die Entstehungszeit von Gesteinen und Sedimenten (siehe Chronostratigraphie) absolut-zeitlich datiert. Unter anderem erstellt sie aus den ermittelten Daten die geologische Zeitskala, in der Zeitintervalle identifiziert, als geochronologische Einheiten benannt und zeitlich datiert dargestellt sind.
Häufig korrespondieren geochronologische Einheiten mit der Bildungszeit chronostratigraphischer Einheiten, also physisch existenter Gesteinskörper. Die Geochronologie ist ihrem Wesen nach dagegen immateriell und ist daher nicht im eigentlichen Sinne eine stratigraphische (gesteinsdatierende) Disziplin. Die Beziehungen zwischen konkreten geochronologischen Einheiten werden immer in einer älter/jünger-Beziehung ausgedrückt.
Die Datierung von Gesteinen kann absolut oder relativ erfolgen.
Methoden
Sedimentierung
Lange gab es keine direkten Methoden zur absoluten Altersbestimmung von Gesteinen. Schätzungen basierten auf Erosionsraten der Gebirge sowie Sedimentationsraten in Seen und Ozeanen. Anfang des 20. Jahrhunderts begründete der schwedische Geologe Gerard Jakob De Geer die Warvenchronologie, also das Auszählen von jährlichen Schichten (Warven). Jährliche Schichten sind auch in Eisbohrkernen erkennbar.
Die Aufstellung lokaler relativer Schichtfolgen und deren regionale und globale Zuordnung ist Thema der Stratigraphie.
Isotopenmessung
Die Isotopenmessung nutzt Erkenntnisse zu chronometrischen Fragestellungen aus der Isotopengeologie zur Altersbestimmung.
Mit der Entdeckung der Radioaktivität wurden verschiedene Messmethoden entwickelt, die auf der Untersuchung des Mengenverhältnisses natürlicher Radioisotope beruhen. Die Isotopenverhältnisse ändern sich aufgrund unterschiedlicher Zerfallszeiten (Halbwertszeit) oder natürlicher Bestrahlung (Radioaktivität der Erde oder extraterrestrische Strahlung).
Heute werden auch Methoden eingesetzt, die auf der quantitativen Bestimmung künstlich erzeugter Radioisotope beruhen, z. B. die Tritiummethode zur Bestimmung des Alters oberflächennaher Grundwässer. Nach einem Eintrag eines solchen Isotops in das Wasser nimmt der Gehalt des Isotops durch Zerfall und ggf. Verdünnung ab.
Die erste auf der Uran-Blei-Zerfallsreihe beruhende Altersbestimmung wurde 1913 von Arthur Holmes veröffentlicht und war seinerzeit sehr umstritten. Friedrich Georg Houtermans publizierte 1953, basierend auf von Clair Cameron Patterson durchgeführten Uran-Blei-Isotopenmessungen an Meteoriten, das heute akzeptierte Erdalter von ca. 4,5 Milliarden Jahren. Heute werden unterschiedliche radioaktive Isotope sowie ihre Zerfallsprodukte benutzt, um das Alter von Gesteinen zu bestimmen. Das Alter eines Gesteins ist je nach Untersuchungsmethode unterschiedlich zu interpretieren. Bei magmatischen Gesteinen können sowohl das Alter der Kristallisation (der Platznahme in der Erdkruste) und je nach untersuchtem Mineral auch mehrere Abkühlalter bestimmt werden. Ebenso kann in metamorphen Gesteinen der Zeitraum eines Metamorphose-Ereignisses festgestellt werden. In manchen Sedimenten bilden sich während der Ablagerung bestimmte Minerale (zum Beispiel Glaukonit in vielen marinen (Grün-)Sandsteinen), deren Entstehungsalter durch Messung radioaktiver Isotope bestimmt werden kann. Dieses Alter wird dann als Sedimentationsalter interpretiert.
Rubidium-Strontium-Methode
Rubidium 87Rb zerfällt mit einer Halbwertszeit von 47 Mrd. Jahren in 87Sr. Die Radiometrische Datierung eignet sich für sehr alte Gesteine. Da neben 87Sr auch das stabile 86Sr vorkommt, erhält man über die Isochronenmethode recht genaue Daten für beispielsweise Feldspäte, Hornblende oder Glimmer in der Größenordnung von 1000 Mio. Jahren mit einem Fehler von mehreren 10 Mio. Jahren.
Uran-Blei-Methode
Die Uran-Blei-Methode nutzt zwei Zerfallsreihen:
Zerfall des Radioisotops 235U mit einer Halbwertszeit von 703,8 Mio. Jahren über verschiedene Tochterisotope zu stabilem 207Pb (Uran-Actinium-Reihe)
Zerfall des Radioisotops 238U mit einer Halbwertszeit von 4,468 Mrd. Jahren über verschiedene Tochterisotope zu stabilem 206Pb (Uran-Radium-Reihe)
Das Alter uranhaltiger Minerale kann nun über das Verhältnis der Tochterisotope zum verbliebenen Anteil des Mutterisotops (hier: U) unter Kenntnis der Halbwertszeit des Mutterisotops bestimmt werden. Dabei muss ggf. der vor dem radioaktiven Zerfall bestehende Gehalt an den Bleiisotopen 207Pb und 206Pb berücksichtigt werden; dies geschieht durch die Messung des Gehalts an nicht durch radioaktiven Zerfall entstandenem, das heißt bereits vorhandenem 204Pb: Die unveränderten Verhältnisse 207Pb/204Pb und 206Pb/204Pb sind aus der Messung von Meteoritenmaterial bekannt, daher kann aus dem 204Pb-Gehalt auch der ursprüngliche Gehalt an 207Pb bzw. 206Pb berechnet werden; dieser muss von dem gemessenen Gehalt abgezogen werden – der Rest ist dann durch radioaktiven Zerfall entstanden.
Ein großer Vorteil der Uran-Blei-Methode ist, dass man meist beide Zerfallsreihen benutzen und damit sein Ergebnis absichern kann. Wegen der hohen Halbwertszeiten ist die Methode am besten geeignet, Alter ab einer Million Jahren zu bestimmen.
Kalium-Argon- und Argon-Argon Methode
Die Kalium-Argon-Methode nutzt die Zerfallsprodukte des Kaliums. Kalium selbst kommt in der Natur in Form von drei Isotopen vor: 39K (93,26 %), 40K (0,012 %), 41K (6,73 %).
Das radioaktive 40K zerfällt mit einer Halbwertszeit von 1,277 · 109 Jahren zu 40Ar und 40Ca. Das selten auftretende 40Ar wird für die Altersbestimmung verwendet. 40Ca kommt als Isotop des Calciums sehr häufig vor, so dass die Entstehung von zusätzlichem 40Ca aus dem Zerfall von Kalium kaum messbar ist und sich daher für Altersbestimmungen nicht eignet.
Zur Bestimmung des 40Ar-Gehaltes eines Gesteins muss das Gestein geschmolzen werden. In dem dabei austretenden Gas wird das Edelgas 40Ar bestimmt. Wenn auch der 40K-Gehalt des Gesteins bestimmt ist, lässt sich aus der Veränderung des Verhältnisses von 40K zu 40Ar zwischen der Zeit der Gesteinentstehung bzw. -erstarrung und dem Zeitpunkt der Bestimmung des Verhältnisses im Labor das Alter des Gesteins berechnen.
Durch die relativ lange Halbwertszeit von 1,28 · 109 Jahren eignet sich diese Methoden für Gesteine, die älter als ca. 100 000 Jahre sind.
Die 40Ar/39Ar-Methode nutzt die Entstehung von 39Ar aus 39K durch Neutronenbeschuss einer Gesteinsprobe in einem Reaktor. Nach dem Beschuss wird das Verhältnis der beim folgenden Schmelzen einer Gesteinsprobe austretenden Isotope 40Ar und 39Ar bestimmt.
Wie bei der Kalium-Argon-Methode ist 40Ar das Tochterisotop. Da die Isotopenverhältnisse des K bekannt sind, kann 39Ar, das bei dem Zerfall von 39 K durch Neutronenbeschuss entsteht, als Ersatz für das K-Mutterisotop verwendet werden.
So ist lediglich das Verhältnis von 40Ar zu 39Ar im austretenden Gas zu bestimmen. Analysen anderer Isotope durch weitere Analysemethoden sind nicht erforderlich.
Radiokohlenstoffmethode
Die besonders zur Altersbestimmung organischen Materials erdgeschichtlich jüngeren Materials geeignete Radiokohlenstoffmethode nutzt den Zerfall des durch kosmische Strahlung in der höheren Atmosphäre entstandenen 14C (Halbwertszeit: 5730 Jahre). Sie ist für geologische Zwecke nur dann geeignet, wenn kohlenstoffhaltige Objekte datiert werden sollen, die weniger als ca. 50.000 Jahre alt sind. Damit ist sie auf das Quartär begrenzt.
Die Hauptanwendungsgebiete der Radiokarbonmethode sind die Archäologie, die archäologische Stratigraphie sowie die Historische Klimatologie.
Aluminium-Beryllium-Methode
Die Altersbestimmung mit Hilfe der Oberflächenexpositionsdatierung über das Aluminiumisotop 26Al und das Berylliumisotop 10Be im Mineral Quarz (SiO2) basiert auf dem (bekannten) Verhältnis von 26Al und 10Be, die beide durch kosmische Strahlung (Neutronen-Spallation, Myonen-Einfang) an der Oberfläche von Steinen/Mineralen entstehen. Das Verhältnis ist abhängig u. a. von der Höhenlage, der geomagnetischen Breite, der Strahlungsgeometrie und einer möglichen Schwächung der Strahlung durch Abschirmungen (Verbringung, Bedeckung). Die spezifischen Strahlungsbedingungen und damit das Verhältnis von 26Al zu 10Be müssen vor der Altersbestimmung festgelegt bzw. abgeschätzt werden können.
Ab dem Zeitpunkt, zu dem das in Frage kommende Material vor der kosmischen Strahlung abgeschirmt wurde (z. B. durch Einlagern in eine Höhle), nimmt der Anteil der beiden Radionuklide durch radioaktiven Zerfall unterschiedlich schnell ab, sodass sich aus dem Verhältnis dieser Radionuklide zum Zeitpunkt der Untersuchung und dem angenommenen (bekannten) Gleichgewichtsverhältnis unter Bestrahlung und Kenntnis der jeweiligen Halbwertszeiten (siehe auch Nuklidkarte) das Alter abschätzen lässt.
Diese Methode wurde auch zur Bestimmung des Alters von fossilen Hominiden-Knochen genutzt. Allerdings können die Knochen nicht direkt untersucht werden, sondern es werden die sie umgebenden Quarz enthaltenden Sedimente herangezogen.
Samarium-Neodym-Methode
Samarium-147 (147Sm) wandelt sich über Alphazerfall in Neodym-143 (143Nd) um. Die lange Halbwertszeit des Samariumisotops 147Sm von ca. 106 Mrd. Jahren erlaubt Altersbestimmungen in geologischen Zeiträumen.
Ein weiteres radioaktives Samarium-Isotop, 146Sm, das sich ebenfalls über Alphazerfall in Neodym-142 (142Nd) umsetzt, existiert nicht mehr in der Natur. Es ist ausgestorben, bietet aber mit seiner Halbwertszeit von ca. 103 Mio. Jahren die Möglichkeit, über 142Nd-Anomalien in sehr alten Gesteinen Geoprozesse in der Frühzeit der Erde zu erforschen. Forschungsergebnisse der letzten Jahre deuten darauf hin, dass die Halbwertszeit von 146Sm mit ca. 68 Mio Jahren deutlich kürzer sein könnte.
Tritiummethode
Tritium (3H) ist ein natürliches Isotop des Wasserstoffs und zerfällt mit einer Halbwertzeit 12,32 Jahren. Durch die atmosphärischen Kernwaffentests in den 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre wurden große Mengen Tritium in der Atmosphäre freigesetzt.
Durch Niederschlag gelangte dann Tritium in Oberflächengewässer und oberflächennahes Grundwasser. Die Abnahme der Tritiumkonzentration durch Verdünnung und radiologischem Zerfall ermöglicht die Bestimmung des Alters eines Wassers, d. h. dessen Eintrag über den Niederschlag bzw. dessen Verweilzeit im Grundwasserleiter sofern mögliche Verdünnung durch vorhandenes Wasser oder andere Zuströme abgeschätzt werden können.
Mit der Tritiummethode ist die Bestimmung der Verweilzeiten des Grundwassers von einigen Jahren bis zu mehreren Jahrzehnten möglich. Voraussetzung ist, dass dieser Eintrag nicht vor den atmosphärischen Kernwaffentests stattfand.
Weitere Methoden
Neodym-Strontium-Methode
Lutetium-Hafnium-Methode
Rhenium-Osmium-Methode
Siehe auch
Historische Geologie
Eventstratigraphie
Warventon, Warvenchronologie
Dendrochronologie
Tephrochronologie
Oberflächenexpositionsdatierung
Literatur
Douglas G. Brookins: Geochemical Aspects of Radioactive Waste Disposal. Springer, New York 1984, ISBN 3-540-90916-8.
G. Faure: Principles of Isotope Geology. John Wiley & Sons, 1986, ISBN 0-471-86412-9.
G. Faure, D. Mensing: Isotopes – Principles and applications. Third Edition. J. Wiley & Sons, 2005, ISBN 0-471-38437-2.
Mebus A. Geyh: Handbuch der physikalischen und chemischen Altersbestimmung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-17959-5.
H. Murawski, W. Meyer: Geologisches Wörterbuch. 10. Auflage. Enke, Stuttgart 1998.
St. M. Stanley: Historische Geologie. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg u. Berlin 2001.
F. F. Steininger, W. E. Piller (Hrsg.): Empfehlungen (Richtlinien) zur Handhabung der stratigraphischen Nomenklatur. Bd. 209, Courier Forschungsinstitut Senckenberg, Frankfurt am Main 1999.
Weblinks
Mineralienatlas:Altersbestimmung
Geochronologische Methoden, ein Linkverzeichnis (in Englisch)
Radioaktivität und Altersdatierung von Gesteinen – Eine Informationsbroschüre für Lehrer und Schüler, Deutsche Mineralogische Gesellschaft (pdf; 5,14 MB)
Quellen
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Q213891
| 290.823334 |
15486
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https://de.wikipedia.org/wiki/Katowice
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Katowice
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Katowice [] (, schlesisch Katowicy) ist die Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Schlesien. Sie hat über 282.000 Einwohner.
Die knapp 80 km westnordwestlich von Krakau im Oberschlesischen Industrierevier liegende Stadt ist das Zentrum der Metropolregion Silesia, zu der je nach Definition zwischen 2,5 und 5 Mio. Einwohner gezählt werden. In der Gegend existieren reichhaltige Kohle- und Erzlagerstätten. Die Stadt ist ein wichtiger und florierender Wirtschaftsstandort, wobei die wirtschaftliche Bedeutung der Bergwerke und Schwerindustrie immer mehr zugunsten der Dienstleistungsbranche, Elektroindustrie und Informationstechnik abnimmt.
Ab 1742 gehörte Kattowitz zu Preußen und entwickelte sich im Gefolge der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert vom unbedeutenden schlesischen Dorf zu einer Industriestadt, die ab 1871 Teil des Deutschen Kaiserreichs war und nach dem Versailler Vertrag mit der Teilung Oberschlesiens im Jahr 1921 an Polen fiel. Während der Zweiten polnischen Republik 1922 bis 1939 war Katowice Hauptstadt der Autonomen Woiwodschaft Schlesien. Nach der deutschen Besetzung 1939 wurde sie 1941 Hauptstadt des Gaus Oberschlesien, nachfolgend in der Volksrepublik Polen wieder Hauptstadt der Woiwodschaft. 1924 überschritt die Einwohnerzahl die 100.000er-Marke, wodurch es zur Großstadt wurde. 1953 bis 1956 trug die Stadt den Namen Stalinogród.
Kattowitz ist Universitätsstadt, katholischer Erzbischofs- sowie evangelisch-augsburgischer Bischofssitz (→ Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen); vom 3. bis 14. Dezember 2018 fand hier die 24. UN-Klimakonferenz statt (United Nations Framework Convention on Climate Change bzw. 24th Conference of the Parties, kurz COP 24).
Geographie
Geographische Lage
Die Stadt liegt im äußersten Osten der Region Oberschlesien auf einer von Beuthen bis nach Kattowitz reichenden Hochebene, die reiche Steinkohlevorkommen besitzt und einen Teil des Schlesischen Hochlandes darstellt. Dies ist auch die Übergangszone der Beskiden zu den polnischen Mittelgebirgen. Für die Höhenlage ergeben sich in Kattowitz Werte zwischen 266 und 352 m Höhe über dem Meeresspiegel, der Durchschnittswert in der Stadt liegt bei 272 m ü. NHN. Die wichtigsten Flüsse, die die Stadt durchziehen, sind die Rawa, die in Ost-West-Richtung fließt, und die Klodnitz, die südlich der Innenstadt nahe dem Ortsteil Brynów (Brynow) entspringt und dann im Westen das Stadtgebiet in Richtung Ruda Śląska (Ruda O.S.) verlässt.
Ausdehnung des Stadtgebiets
Das Stadtgebiet von Katowice hat eine Fläche von 164,6 km², von der etwa 40 % Wälder einnehmen, weitere 20 % sind Grünflächen, womit die Stadt zu den grünsten in der Region zählt. Wegen der Größe des Stadtgebiets ergeben sich auch Unterschiede in der Flächennutzung. Die größten bebauten Flächen dehnen sich in Bogenform von Südwesten bis nach Norden zur Innenstadt und weiter Richtung Nordosten aus. Im Osten, aber vor allem im Südosten befinden sich ausgedehnte Waldgebiete und nur vereinzelt Siedlungen.
Stadtgliederung
Seit dem 29. September 1997 besteht Katowice offiziell aus fünf Stadtbezirken (zespoły dzielnic), die wiederum in 22 Stadtteile (dzielnice) gegliedert sind.
Da bei dieser amtlichen Aufteilung teilweise mehrere Orte zu Stadtteilen zusammengelegt sind und neben diesen Stadtteilen noch weitere Siedlungen und Kolonien bestehen, sind alle aktuellen und historischen Stadtteile von Katowice in einem eigenen Artikel zusammengefasst.
Nachbargemeinden
Die kreisfreie Stadt ist relativ zentral im Oberschlesischen Industrierevier gelegen und hat als Zentrum dieses Ballungsraumes viele Nachbarstädte bzw. Landkreise, die an die Stadt angrenzen. Im Norden ist dies Siemianowice Śląskie und dann im Uhrzeigersinn, also ostwärts, Sosnowiec, Mysłowice, der Powiat Bieruńsko-Lędziński mit der Stadt Lędziny, Tychy, der Powiat Mikołowski mit der Stadt Mikołów, Ruda Śląska und Chorzów.
Klima
In Katowice herrscht überwiegend maritimes Klima vor, das jedoch in kontinentales Klima übergeht. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 7,9 °C, das Jahresmittel der Niederschläge 723 mm. Aus Richtung Osten ist Kattowitz wegen des nahegelegenen Krakau-Tschenstochauer Juras vor Winden geschützt, so dass schwache Westwinde von nicht mehr als 2 m/s überwiegen.
Geschichte
Der Name der Stadt ist erstmals 1598 als Katowicze belegt. Davor gibt es jedoch Zeugnisse zu heutigen Stadtteilen. Dąb wird bereits 1299 erwähnt, Bogucice ab 1397.
Im preußischen Staat
1526 erbten die Habsburger sowohl die ungarische als auch die böhmische Königskrone und erlangten damit auch die Herrschaft über Schlesien. Infolge des Friedensvertrags von Breslau vom 11. Juni 1742, der den Ersten Schlesischen Krieg beendete, erhielt Preußen Ober- und Niederschlesien und die Grafschaft Glatz, somit auch das oberschlesische Dorf Kattowitz.
Der schnelle Aufstieg des Dorfes Kattowitz begann 1846 in Zusammenhang mit dem Bau der oberschlesischen Eisenbahn nach Myslowitz. Die herausragende Rolle bei der Zusammenführung der Dörfer entlang des Flusses Rawa und deren Weiterentwicklung zu einer florierenden Stadt spielten der Unternehmer Franz Winckler, der örtliche Gutsverwalter Friedrich Wilhelm Grundmann (seit 1839), der Städteplaner Nottenbohn und der Arzt und erste Stadtratsvorsitzende der Stadt Kattowitz, Richard Holtze. 1865 wurden dem rasant wachsenden Kattowitz die Stadtrechte verliehen. Ein Vierteljahrhundert zuvor war der Flecken Kattowitz noch ein unansehnliches Dorf mit hölzernen Häusern gewesen.
Bis zum Dienstantritt des vierten Bürgermeisters, August Schneider, Rechtsanwalt und Notar in Myslowitz, am 4. August 1890, führte die Geschäfte der Referendar a. D. Kosch, der ebenfalls aus Myslowitz kam und 1893 zweiter Bürgermeister wurde. August Schneider amtierte bis 1905 und hatte bei seinen Maßnahmen zum Wohle der Stadt eine glückliche Hand. Zunächst brachte der 1893 zwischen Deutschland und Russland ausgebrochene Zollkrieg der Industrie und dem Handel großen Schaden. Die reichen Bürger flüchteten wegen der steuerlichen Selbsteinschätzung aus Kattowitz, darunter sechs Millionäre; aber schon ein Jahr später kam der Handelsvertrag zustande und brachte eine Besserung der Lage. Schneider ist der Bau eines im Grenzverkehr mit Russland besonders wichtigen Schlachthofes, der Erwerb einer Gasanstalt zur besseren Beleuchtung der Straßen und die endgültige Überwindung der Wirtschaftskrise zu verdanken.
Besondere Verdienste hat sich Schneider auf dem Gebiet des Ausbaus des städtischen Schulwesens erworben. Der Magistrat der Stadt ließ dem inzwischen zum Geheimen Justizrat ernannten Bürgermeister eine doppelte Ehrung zuteilwerden: Die bisherige Uferstraße wurde in August-Schneider-Straße umbenannt und Schneider überdies das Ehrenbürgerrecht verliehen.
Der Goldstein-Palast wurde 1872 errichtet.
1873 erhielt Kattowitz das Landratsamt des neu gebildeten Kreises Kattowitz, bildete ab 1899 einen eigenen Stadtkreis und wurde zum Sitz von Industrie-Großkonzernen (z. B. seit 1889 Kattowitzer Aktien-Gesellschaft) und Großbanken. Die in der Stadt ansässige Schwerindustrie entwickelte sich günstig. Einen beträchtlichen Aufschwung brachte auch die Gründung der Eisenbahndirektion Kattowitz zum 1. April 1895 (1922 Verlegung und Umbenennung zur Reichsbahndirektion Oppeln).
Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Kattowitz eine evangelische Kirche, zwei katholische Kirchen, eine altkatholische Kirche, eine Synagoge, ein Gymnasium, eine Oberrealschule, eine Baufachschule, eine Präparandenanstalt, eine Psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt, zwei Bergreviere, ein Landratsamt für den Landkreis Kattowitz, eine Reichsbanknebenstelle, Phosphor-Bronze-Industrie, eine Holz-Imprägnierungsanstalt, Dachpappen-, Ceresin- und Tonwarenfabriken, Ziegeleien, Brauereien und Mühlen und war Sitz eines Amtsgerichts.
Der Erste Weltkrieg (1914–1918) brachte neue Aufträge für die Stahlwerke. Die Stadt wurde nicht beschädigt.
Zwischenkriegszeit
Nach dem Ersten Weltkrieg sollte Deutschland nach dem Erstentwurf des Versailler Vertrages Oberschlesien ohne Volksabstimmung an Polen abtreten. Nachdem Großbritannien sein Veto eingelegt hatte, erreichte die Regierung Ebert jedoch, dass die Gebietsaufteilung von einer Volksabstimmung abhängig gemacht werden sollte. Nach der Endversion des Friedensvertrages von Versailles war daher eine Volksabstimmung vorgesehen, die über die Staatszugehörigkeit Oberschlesiens und somit auch von Kattowitz entscheiden sollte.
Die Hoffnungen und Erwartungen vor der Volksabstimmung führten zu Spannungen zwischen pro-deutschen und pro-polnischen Bevölkerungsgruppierungen, die von 1919 bis 1921 in die drei Schlesischen Aufstände mündeten.
Das Plebiszitkommissariat für Deutschland wurde 1920 gegründet.
Am 20. März 1921 wurde die Volksabstimmung in Oberschlesien unter der Aufsicht einer interalliierten Kommission und Präsenz der Truppen der Siegermächte durchgeführt und ergab eine Mehrheit von 59,42 % für Deutschland. Im Stimmkreis Kattowitz stimmten 51,9 % der Wähler für Deutschland. Während im dazugehörigen Landkreis Kattowitz eine Mehrheit von 55,6 % der abgegebenen Stimmen für Polen abgegeben wurde, sprachen sich die Wahlberechtigten der Stadt zu 85,4 % für einen Verbleib bei Deutschland aus.
Dies entsprach auch der Bevölkerungsstruktur. Die deutsche Bevölkerung stellte im Landkreis Kattowitz eine Minderheit von etwa 30 %, im Stadtkreis Kattowitz dagegen eine 87-prozentige Mehrheit dar, wovon rund 30 % jüdische Familien waren, die sich zum Deutschtum bekannten und die maßgeblich am industriellen Aufschwung der Stadt beteiligt waren. In Stadt- und Landkreis Kattowitz zusammengenommen stimmten 47,0 % für Polen.
Auch die Siegermächte waren sich über die Teilungsgrenzen in Oberschlesien uneins; während Großbritannien und Italien eher deutsche Interessen verteidigten und ¾ des Gebietes Deutschland zusprechen wollten, vertrat Frankreich die gegenteilige Position.
Diese Interessenkonflikte blieben auch der Bevölkerung nicht verborgen und führten am 3. Mai 1921 zum Ausbruch des dritten Aufstandes. In seiner Folge sprach die internationale Kommission rund zwei Drittel Oberschlesiens Deutschland und ein Drittel einschließlich Kattowitz Polen zu. Mit der Angliederung 1922 nach Polen wurde statt der deutschen Namensform die polnische die amtliche. In den nächsten Monaten und Jahren siedelten viele Deutsche aus der Stadt aus und sehr viele polnische Schlesier aus dem deutschen Teil Schlesiens in die Stadt über, wobei die Bevölkerungszahl insgesamt stark anstieg.
Am 15. Juli 1924 wurden die angrenzenden Gemeinden Bogucice, Brynów, Dąb, Ligota, Załęska Hałda, Załęże und Zawodzie eingemeindet, worauf sich die Bevölkerungszahl von etwa 50.000 im Jahr 1921 auf 112.822 verdoppelte. Es blieb dennoch eine deutsche Minderheit in der Stadt, davon rund 8000 Deutsche jüdischer Abstammung.
Katowice wurde Hauptstadt der Autonomen Woiwodschaft Schlesien (Autonomiczne Województwo Śląskie), Sitz des Schlesischen Parlaments und der Oberschlesischen Mischkommission (Górnośląska Komisja Mieszana), aber auch zum Standort zahlreicher Banken und zum Zentrum der Oberschlesischen Industrieregion (Górnośląski Okręg Przemysłowy). Somit kam sie zu politischer, kultureller und wirtschaftlicher Bedeutung und es entstanden viele moderne, repräsentative Bauten, z. B. das Schlesische Parlaments-Gebäude, das Schlesische Museum, die Christkönigskathedrale, der „Wolkenkratzer“ Drapacz Chmur und viele weitere in südlichen Bezirken der Stadt.
Zweiter Weltkrieg
Beim Überfall auf Polen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt am 4. September 1939 von der 239. Infanterie-Division der deutschen Wehrmacht besetzt, nachdem sich die polnische Armee kampflos aus Katowice zurückgezogen hatte. Es kam dennoch zu vereinzelten Kämpfen in der Stadt, und zwar zwischen Zivilisten – überwiegend polnischen Pfadfindern – und der deutschen Wehrmacht in der Gegend um den Tadeusz-Kościuszko-Park, wobei das genaue Ausmaß der Kämpfe nicht bekannt ist. Kurz nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurden etwa 80 zivile Stadtverteidiger (überwiegend Aufständische von 1919 bis 1921 und Pfadfinder) hingerichtet. Andererseits begrüßten Angehörige der örtlichen deutschen Bevölkerung die einmarschierenden Wehrmachtsoldaten als Befreier. Am 8. September 1939 setzten Deutsche die Große Synagoge an der Adam-Mickiewicz-Straße (früher August-Schneider-Straße) in Brand und zerstörten das Schlesische Museum.
Die Stadt (samt Ostoberschlesien) wurde – wie fast alle nach 1918 vom Deutschen Reich abgetrennten Gebiete – direkt dem Deutschen Reich angegliedert. In den darauffolgenden Monaten und Jahren war die polnische und jüdische Bevölkerung der Verfolgung durch das Deutsche Reich ausgesetzt. Im Zeitraum von September 1939 bis April 1941 wurden 8300 Kattowitzer Juden deportiert und überwiegend in Konzentrationslagern ermordet.
In Kattowitz wurde nach dem Anschluss an das Reich eine Ingenieurschule aufgebaut.
Nachkriegszeit
Am 27. Januar 1945 wurde die Stadt durch die Rote Armee besetzt, nachdem sich die deutsche Wehrmacht kampflos aus Stadt und Umgebung zurückgezogen hatte, und es kam zu zahlreichen Verbrechen an der Bevölkerung. Der Teil der Bevölkerung, der als deutsch eingestuft wurde, wurde aufgrund der Bierut-Dekrete vertrieben. Wer hingegen als autochthon eingestuft wurde, erhielt ein Bleiberecht. Es gelang einem Teil der deutschen Bevölkerung, als autochthon eingestuft zu werden, und so blieb in Katowice eine deutsche Minderheit zurück, die nicht vertrieben wurde. Bei der polnischen Volkszählung von 2002 im Ballungsraum Katowice umfasste diese etwa 20.000 Personen, was ca. 0,5 Prozent der 3,5 Millionen Bewohner der Region ausmachte.
Nach 1945 hat die Stadt ihre frühere Position als Industrie- und Verwaltungszentrum in der Woiwodschaft Schlesien und der Woiwodschaft Katowice zurückerlangt. Die Bedeutung der Stadt als Wissenschafts- und Kulturstätte stieg ebenfalls, besonders als Katowice Universitätsstadt wurde. Die Bevölkerungszahl ist beträchtlich gewachsen und die bebaute Fläche ebenfalls. Mit dem Aufschwung verbunden war aber auch die geplante Umwandlung der Stadt in eine kommunistische Musterstadt. Dies wurde mit der von 1953 bis 1956 gültigen Umbenennung der Stadt in Stalinogród (Stalinstadt) betont. Das Stadtbild sollte vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren den Idealen der Kommunisten angepasst werden, wovon noch heute Plattenbauten in den Vorstädten zeugen. Aber auch die Innenstadt war davon betroffen, so entstanden beispielsweise am Nordende des Stadtzentrums am 1965 angelegten Rondo Generała Jerzego Ziętka Plattenbauten und Hochhäuser, allen voran der 16-stöckige Wohnblock Superjednostka, erbaut 1967 bis 1972, der bis heute eines der größten Wohnhäuser in Polen ist und 2800 Menschen in 762 Wohnungen unterbringen sollte. In den 1970ern musste ein Großteil der Häuser am Ring aus der Gründerzeit neuen Bauten weichen, wodurch die historische urbane Struktur des Platzes zerstört wurde.
Mittlerweile zieht Kattowitz, aber auch der gesamte Ballungsraum, das Investmentkapital vieler ausländischer Firmen so stark wie kaum eine andere Region im ehemaligen Ostblock. Durch neue Büro- und Geschäftsbauten, aber auch durch die fortschreitende Tertiärisierung wandelt sich das Antlitz der Stadt von einer von Schwerindustrie und Bergwerken bestimmten zu einer modernen, von Informationstechnik, Wissenschaft und Forschung geprägten Kulturstadt.
Nur wenige hundert Meter westlich der Stadtgrenze, im Stadtgebiet von Chorzów, kam es am 28. Januar 2006 zu einem Dacheinsturz auf dem Messegelände, als das Dach der größten Halle der Kattowitzer Messe einstürzte. Dabei starben 65 Menschen, weitere 141 wurden verletzt.
Im Jahr 2008 erhielt die Stadt den Europapreis für ihre herausragenden Bemühungen um den europäischen Integrationsgedanken.
Eingemeindungen
Die Einwohnerzahl der Kattowitzer Innenstadt macht heute mit etwa 40.000 nur etwas mehr als 12 % der gesamten Stadtbevölkerung aus. Im Gegensatz zu anderen neugegründeten oberschlesischen Industriestädten, wie Königshütte (Chorzów), die durch den Zusammenschluss verschiedener Siedlungen und Arbeiterkolonien entstanden, konzentrierte sich das Wachstum der Stadt Kattowitz bzw. Katowice zunächst auf den großstädtischen Ausbau der Innenstadt, der rasant fortschritt. Nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. während der kommunistischen Zeit vervierfachte sich die Größe des Stadtgebiets durch die Einverleibung von nahegelegenen Städten und Gemeinden, auf deren Gebieten viele große Wohnsiedlungen entstanden, was eine Dezentralisierung des Stadtgebiets mit sich brachte.
Die erste Eingemeindung erfolgte 1914 mit der Angliederung der Gutsbezirke Brynow und Kattowitz-Schloss.
Zum 1. Juli 1924 wurden die bis dahin selbstständigen Gemeinden Załęże, Bogucice, Brynów und Ligota, die direkt an das Stadtgebiet grenzten, eingemeindet – das Stadtgebiet und die Einwohnerzahl verdoppelten sich.
Mit den Gemeinden Wełnowiec, Teilen von Kostuchna, Panewniki, Piotrowice sowie Ochojec kamen 1951 neue Gebiete von 26,4 km² im Süden hinzu.
Im Osten wurde im Jahre 1960 die Stadt Szopienice angeschlossen, auf deren ungefähr 33 km² großem Stadtgebiet sich noch die Ortschaften Giszowiec, Janów und Dąbrówka Mała befanden.
Eine weitere Ausdehnung des Stadtgebiets von 65 km² im Süden brachte die Eingemeindung der Stadt Kostuchna samt den Orten Podlesie und Zarzecze sowie der abgelegenen Stadt Murcki 1975.
Demographie
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer dynamischen Bevölkerungszunahme. Faktoren waren die Industrialisierung und das allgemeine Bevölkerungswachstum. Im 20. Jahrhundert, vor allem als Teil Polens, wuchs die Stadt durch zahlreiche Eingemeindungen. 1924 wurde die Grenze von 100.000 Einwohnern überschritten. Seit der Politischen Wende in Polen 1989 (Ende des Ostblocks) und dem Höchststand der Einwohnerzahl gegen Ende der 1980er bei über 370.000, nahm die Bevölkerung der Stadt um über 60.000 auf heute (Ende 2012) rund 307.000 ab.
Bei der Volkszählung von 2002 bekannten sich von den damals 327.222 Einwohnern 296.792, oder 90,7 % zur polnischen Nationalität, 17.777 Personen (5,4 %) bezeichneten sich als Schlesier, 674 (0,2 %) als Deutsche und 165 (0,05 %) als Roma.
Alters- und Beschäftigungsstruktur
Katowice ist von der Altersstruktur her eine junge Stadt, statistisch gesehen sind 19 % ihrer Einwohner jünger als 18 Jahre, 64 % befinden sich im erwerbsfähigen Alter (19–65 Jahre) und 17 % der Katowicer sind älter als 65. Der Strukturwandel wurde in der Stadt vergleichsweise schnell vollzogen und neue Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig verließen viele Menschen die Stadt, so dass von Vollbeschäftigung gesprochen werden konnte. Die Arbeitslosenquote fiel auf einen Wert von 1,9 % (3.831 gemeldete Arbeitslose) und lag damit deutlich unter dem Wert der Woiwodschaft (6,9 %) und Polens (9,5 %) (Stand jeweils 31. Dezember 2008). So waren 2004 noch 15.258 Personen, bzw. 7,7 %, im Jahre 2006 noch 10.810 bzw. 5,4 %, und im selben Zeitraum des Jahres 2007 noch 6.826 Personen, bzw. 3,4 % der Erwerbstätigen arbeitslos. Angesichts der globalen Finanzkrise trat seitdem allerdings eine Verschlechterung der Situation ein. Die Arbeitslosenquote wuchs von 4,3 % Ende 2011 bis 5 % im März 2012 an, um sich danach auf einem Niveau von 4,8 % einzupendeln. Nach wie vor weist Katowice aber die niedrigste Quote in der Woiwodschaft auf (Durchschnitt 10,2 %).
Religionen
Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Stadt von den beiden christlichen Konfessionen sowie vom jüdischen Glauben geprägt. Heute wird die katholische Bischofsstadt fast ausschließlich von Katholiken bewohnt, die 17 Pfarreien angehören. Katowice ist auch Sitz der Diözese Katowice der Evangelisch-Augsburgischen Kirche mit je einer Pfarrei im Stadtteil Szopienice und in der Innenstadt.
Da die Gebiete Oberschlesiens im Zuge der Gegenreformation größtenteils rekatholisiert wurden, war auch die Bevölkerung des Dorfes Katowice, Deutsche wie Polen, katholisch. An diesem Zustand änderte auch die Stadterhebung 1865 wenig, auch wenn der Anteil der anderen Glaubensrichtungen zunahm. 1860 wurde Katowice eigene Pfarrei und erhielt ein erstes katholisches Holzkirchlein am heutigen Plac Wolności. Das Gebäude wurde später aufgrund von Baufälligkeit abgetragen und das Grundstück erhielt die 1874 gegründete Alt-Katholiken-Pfarrei. 1870 war die Marienkirche erbaut worden, die seitdem als neue Pfarrkirche diente. Eine zweite Kirche wurde 1902 mit der Peter- und Paulskirche im Süden der Stadt errichtet. Es folgten im Innenstadtgebiet die Garnisonskirche 1933, die historische Michaelskirche, die 1938 nach Katowice verlegt wurde, die Christkönigskathedrale 1955 sowie 1977 die Kirche zur Verklärung des Herrn an Stelle der altkatholischen Kirche.
Der Anteil der Evangelischen an der Gesamtbevölkerung von Katowice hatte vor allem seit der Industrialisierung stark zugenommen. Im Jahre 1857 wurde eine evangelische Gemeinde gegründet. Auch wenn die Protestanten in der Minderheit waren, errichteten sie dank der Spenden der evangelischen Stadtväter bereits ein Jahr später mit ihrer Auferstehungskirche das erste Gotteshaus der Stadt. Bis dahin wurden Gottesdienste in der Marthahütte abgehalten. 1860 wurde die evangelische Schule gegründet. Verglichen mit anderen Städten im katholischen Oberschlesien hatte Kattowitz mit 8831 Mitgliedern 1910 eine relativ große evangelische Gemeinde, die somit 20,4 % der Bevölkerung stellte. Nach 1922, als Katowice Teil Polens wurde, kehrten viele der Stadt den Rücken, und nach 1945 wurden die meisten deutschen Protestanten vertrieben, so dass heute nur noch wenige dieser Glaubensgemeinschaft angehören.
Ebenso hatte die Stadt Katowice traditionell eine große jüdische Bevölkerung. 1733 ist diese Gruppe zum ersten Mal im Dorf Kattowitz nachweisbar, ihre Anzahl blieb aber in den folgenden Jahrzehnten noch gering. Von 1781 bis 1787 durften sich auf königliches Dekret keine Juden in der Stadt niederlassen. Ab 1825 siedelten sich in Katowice wieder Juden an, deren Zahl bis 1844 auf zwölf anwuchs. Mit der Industrialisierung, deren Mitbegründer in der Stadt sie waren, nahm ihre Zahl in großem Maße zu, viele neue Unternehmen und Industrieanlagen wurden von ihnen gegründet. Am 4. April 1862 wurde die jüdische Gemeinde gegründet und eine erste Synagoge an der August-Schneider-Straße (heute ul. Mickiewicza) errichtet. Eine Mikwe folgte 1867 und 1868 wurde der Jüdische Friedhof angelegt. Die Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Katowice wird an der internationalen Kattowitzer Konferenz von Chovevei Zion, die vom 6. bis 11. November 1884 unter Leo Pinsker hier tagte, und am Bau der neuen Synagoge 1900 ersichtlich. Laut der Volkszählung von 1910 lebten 2975 Juden (6,9 % der Gesamtbevölkerung) in der Stadt. Auch diese Zahl überstieg den oberschlesischen Durchschnitt, die jüdische Gemeinde von Kattowitz stellte sogar 16 % der Gesamtzahl der Juden im Regierungsbezirk Oppeln dar. 1932 waren es – nach der Eingemeindung der Vororte – rund 9000, was in etwa dem gleichen Prozentsatz entsprach. Aufgrund des zunehmenden Antisemitismus im Zwischenkriegspolen sahen sich viele Katowiceer Juden gezwungen, die Stadt zu verlassen. Dazu kam dann die Angst vor einem Angriff des nationalsozialistischen Nachbarlandes Deutschland, so dass die jüdische Gemeinde im Jahre 1939 noch 8.785 Mitglieder zählte. Die Besetzung von Katowice durch Hitler-Deutschland am 3. September 1939 beendete endgültig das Bestehen der großen Gemeinde: Die große Synagoge wurde niedergebrannt und anschließend vollständig zerstört, nahezu alle Juden aus der Stadt deportiert und der Großteil in Konzentrationslagern umgebracht. Nach dem Krieg lebten in Katowice zwischenzeitlich wieder etwa 1500 Juden, von denen viele in den 1960er-Jahren nach Israel auswanderten.
Politik
Stadtpräsident
Die Kattowitzer Bürgermeister nannten sich zu deutscher Zeit Oberbürgermeister (1866–1920 und 1939–1945). In der Zwischenkriegszeit (1922–1939) und in der Nachkriegszeit bis 1950 regierten sie als Stadtpräsidenten (prezydent miasta), um sich seit dem 24. März 1950 als Vorsitzende des Stadtrats zu bezeichnen. Am 1. Januar 1974 wurde die Präsidentenfunktion wieder eingeführt und blieb auch nach der ersten demokratischen Selbstverwaltungswahl in Polen am 27. Mai 1990 bestehen. Seit 2014 ist Marcin Krupa Stadtpräsident.
Bei der Wahl 2018 wurde Krupa, der selbst parteilos ist, von der rechtskonservativen PiS und der linken SLD unterstützt. Die Abstimmung brachte folgendes Ergebnis:
Marcin Krupa (Wahlkomitee Marcin Krupa) 55,4 % der Stimmen
Jarosław Makowski (Koalicja Obywatelska) 24,1 % der Stimmen
Jarosław Gwizdak (Wahlkomitee Recht auf Katowice) 10,6 % der Stimmen
Ilona Kanclerz (Schlesische Regionalpartei) 6,0 % der Stimmen
Übrige 3,9 % der Stimmen
Damit wurde Krupa im ersten Wahlgang wiedergewählt.
Stadtrat
Der Stadtrat besteht aus 28 Mitgliedern und wird direkt gewählt. Die Stadtratswahl 2018 führte zu folgendem Ergebnis:
Koalicja Obywatelska (KO) 33,5 % der Stimmen, 12 Sitze
Wahlkomitee Marcin Krupa 29,9 % der Stimmen, 11 Sitze
Prawo i Sprawiedliwość (PiS) 20,0 % der Stimmen, 5 Sitze
Schlesische Regionalpartei 5,9 % der Stimmen, kein Sitz
Wahlkomitee Recht auf Katowice 4,3 % der Stimmen, kein Sitz
Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD) / Lewica Razem (LR) 3,5 % der Stimmen, kein Sitz
Übrige 2,9 % der Stimmen, kein Sitz
Wappen
Nach der erstmaligen Verwendung des Wappens 1816 blieb der Inhalt des Wappens weitgehend unverändert; nur die grafische Gestaltung war gewissen Änderungen unterworfen. Das Wappen wurde nach der Stadterhebung 1865 als offizielles Wappen der Stadt Kattowitz angenommen. Das damalige Wappen zeigte ein größeres Zahnrad und im Schildfuß nur die gelbe Jahreszahl 1866 auf rotem Grund. Die Jahreszahl deutete auf die erste Magistratsversammlung am 14. Mai 1866 hin. 1937 wurde das Wappen bestätigt, jedoch wurde die Jahreszahl gegen einen roten Holzbalken ersetzt. Die letzte Änderung wurde 2005 eingeführt, als das Zahnrad und der Hammer wieder vergrößert sowie der Holzbalken braun gefärbt wurde.
Städtepartnerschaften
Die Stadt Katowice ist Mitglied verschiedener internationaler Organisationen und Verbände wie Eurocities oder ICLEI und unterhält mit folgenden Städten Partnerschaften:
Butscha (Ukraine) seit 2022
Miskolc (Ungarn) seit 1973 (1993 erneuert)
Mobile (Vereinigte Staaten) seit 1990
Köln (Deutschland) seit 1991
Odense (Dänemark) seit 1992
Groningen (Niederlande) seit 1992
Saint-Étienne (Frankreich) seit 1994
Ostrava (Tschechien) seit 1996
South Dublin County (Irland)
Shenyang (Volksrepublik China)
Salzgitter (Deutschland) seit 1962 (Vertriebenenpatenschaft)
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Museen
Das bekannteste Museum der Stadt Katowice ist das Schlesische Museum (Muzeum Śląskie). Das Museum wurde kraft des Beschlusses des Schlesischen Parlamentes (Sejm Śląski) am 23. Januar 1929 gegründet. Anfangs wurden die Exponate im Gebäude des Schlesischen Parlamentes ausgestellt, gleichzeitig wurde jedoch mit der Errichtung des modernen, repräsentativen Neubaus, nach dem Projekt des Katowicer Architekten Karol Schayer, für das Museum begonnen. Dieses Gebäude wurde am 8. September 1939 als Symbol der Autonomieanstrengungen Schlesiens und des Polentums von den Deutschen dem Erdboden gleichgemacht, wobei die heilgebliebenen Exponate nach Beuthen in das dort befindliche Oberschlesische Museum geschafft wurden. 1984 wurde das Schlesische Museum neugegründet. Als dessen vorläufiges Quartier wurde ein repräsentatives Neurenaissancegebäude, das ehemalige Grand Hotel Wiener, an der al. Korfantego 3 gewählt. Heute gehören zu seinen Sammlungen vor allem ethnologische und archäologische Exponate, die mit der Stadt und der Region Oberschlesien zusammenhängen. Außerdem befindet sich im Museum eine Gemäldegalerie der polnischen Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts, die schon im Gründungsjahr 250 Kunstwerke zählte. Darüber hinaus ist das Museum Ort verschiedener Wanderausstellungen, die thematisch auch andere Regionen betreffen. 1986 begannen erste Planungen, dem Museum eine neue Bleibe zu geben. Hierzu wurde ein Architektenwettberwerb ausgeschrieben, den der Warschauer Architekt Jan Fiszer gewann. Sein Vorschlag kam jedoch nicht zur Ausführung, sondern man nutzte das Gelände der stillgelegten Zeche Ferdinandgrube/KWK Katowice, um dort ein völlig neues Museum zu errichten. Dieses wurde im Sommer 2015 eröffnet.
Das in seiner heutigen Form 1981 gegründete Museum der Stadtgeschichte (Muzeum Historii Katowic) befindet sich in einem sehenswerten Jugendstilbürgerhaus aus dem Jahr 1908 an der ul. Szafranka 9. Die wichtigste Dauerausstellung behandelt anhand zahlreicher bebilderter Stellwände, originaler Dokumente und ethnologischer Ausstattungsstücke die Geschichte der Stadt von 1299 bis 1990. Darüber hinaus verdienen die über 30 im Museum befindlichen Porträts von Stanisław Ignacy Witkiewicz und Holzschnitte Paweł Stellers Beachtung. Ein ganzes Stockwerk des Gebäudes wird von zwei Wohnungen eingenommen, die noch in ihrer alten Raumaufteilung erhalten sind. Die Ausstattung dieser Wohnungen wurde durch Mobiliar anderer Kattowitzer und oberschlesischer Bürgerhäuser ergänzt. Die Räumlichkeiten dokumentieren das Leben in einer typischen mittelständischen sowie einer großbürgerlichen Wohnung in Kattowitz um die Jahrhundertwende. Ergänzt werden die Museumsbestände durch historische Fotografien und Postkarten von Kattowitz und Porzellan der Firma Giesche.
Als Zweigstelle des Schlesischen Museums 1990 gegründet, hat sich das Museum der polnischen Bühnenbildner (Centrum Scenografii Polskiej) am Plac Sejmu Śląskiego 2 durch Ausstellungen im Ausland einen internationalen Ruf erworben. Das Museum ist das einzige in Polen, das ausschließlich Requisiten ausstellt, von denen über 7000 zu besichtigen sind.
Südlich der Christkönigskathedrale befindet sich im Erzbischöflichen Palast an der ul. Jordana 39 das Erzdiözesanmuseum. Eröffnet wurde das Museum, in dem Werke der oberschlesischen Kirchenkunst ausgestellt werden, 1983. Besonders wertvoll sind die gotischen, polychromierten Madonnenfiguren, die, wie die anderen Exponate, aus Kirchen der Umgebung stammen. Daneben finden in der 1987 eröffneten Fra-Angelico-Galerie Wanderausstellungen zum Thema Kirchenkunst statt. Bis zur Fertigstellung der Kathedrale im Jahr 1957 hatte die 1898–1902 erbaute St.-Peter-und-Pauls-Kirche als Bischofskirche gedient.
Das Paweł-Steller-Museum an der ul. Andrzeja 13 setzt sich mit dem Leben des polnischen Malers und renommierten Holzschnitzers Paweł Steller (1895–1974) auseinander, der viele Jahre seines Lebens in Katowice verbrachte.
In Europa einmalig ist das 1975 eröffnete Museum des Rechts und der Juristen in Polen (Muzeum Prawa i Prawników Polskich) an der ul. Andrzeja 19. Über 2000 Ausstellungsstücke veranschaulichen die Geschichte der polnischen Rechtsanwälte vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart und im Zweiten Weltkrieg. Zu den Sammlungen gehören Exponate wie ein Buch der Gesetze und Privilegien des Königreichs Polen von 1739 oder eine Klageschrift von 1756.
Im Katowicer Stadtteil Panewnik bei Ligota befindet sich an der ul. Panewnicka 76 das Missionsmuseum der Franziskaner. Es wird von den Franziskanern des nahegelegenen Franziskanerklosters geleitet und hat das Wirken des Ordens zum Thema.
In der Kolonie Giszowiec befindet sich am Marktplatz 3–3a (Plac pod Lipami) das Heimatmuseum Izba Śląska. Es wurde in einem alten Werkswohnhaus eingerichtet und dient als Kulturhaus für oberschlesische Traditionen. Dementsprechend wurde auch das Innere ausgestattet, in dem auch Werke des Malers Ewald Gawlik besichtigt werden können.
Die Erzengel-Michael-Kirche, eine Schrotholzkirche, wurde als Bestandteil eines geplanten und nicht vollendeten Freilichtmuseums errichtet.
Theater
Das Schlesische Theater (Teatr Śląski im. Stanisława Wyspiańskiego) nimmt nicht nur einen zentralen Platz am Ring in Katowice ein und ist eines der Wahrzeichen der Stadt; es ist auch das größte und wichtigste oberschlesische Theater. Es trägt den Namen des polnischen Malers und Dramatikers Stanisław Wyspiański. Der Bau wurde am 2. Oktober 1907 eröffnet. Der Kölner Architekt Carl Moritz schuf für eine fast 40.000 Einwohner zählende Stadt ein überproportional großes Theater mit 410 Sitzplätzen, das durch sein kulturelles Angebot und auch durch seine Architektur sowie imponierende Größe in eine Großstadt gepasst hätte. Nach der Zuteilung Ostoberschlesiens zu Polen wurde auch das Theater polnisch; es wurde aber aufgrund des am 28. Juni 1919 abgeschlossenen Minderheitenschutzabkommens eine deutsche Theatergemeinde eingerichtet, die von deutschen Bühnen bespielt wurde.
Das Kinoteatr Rialto an der ul. św. Jana 24 entstand bereits 1913 als Kinotheater Kammerlichtspiele. 1928 wurde auf öffentlichen Druck die deutsche Bezeichnung gegen Rialto ersetzt. Nach seiner Neueröffnung am 11. September 2005 zeigt es vor allem Filme, die Räumlichkeiten wurden aber auch (wie in seinen Anfangsjahren) für Konzerte, Theater und Kabaretts angepasst. Von 2004 bis 2005 wurde das Äußere und Innere des Kinos Rialto renoviert, wobei das Relief über dem Haupteingang, das einen Streitwagen zeigt, sowie das ursprüngliche Aussehen und die Fensteraufteilung der Fassade wiederhergestellt wurden, die im Laufe der Zeit vereinfacht worden waren. Das Innere besticht nun wieder durch seine dem Art déco ähnelnde Ausstattung.
Der Klub GuGalander an der ul. Jagiellońska 17a ist ein Non-Profit-Theater, das 1986 als Teatr GuGalander gegründet wurde. Außerdem finden hier Diskussionsforen zu Musik, Theater und Film statt.
Seit 1945 besteht das Schlesische Puppentheater Ateneum (Śląski Teatr Lalki i Aktora Ateneum), das auch das Internationale Puppentheater Festival in Katowice organisiert.
Am Platz Sejmu Śląskiego 2 hat das Theater Korez seinen Sitz. Das kleine Theater wurde ursprünglich 1992 in Chorzów gegründet und bietet wegen seiner Größe die Möglichkeit, das Publikum in die Veranstaltungen einzubeziehen.
Auf eine über 20-jährige Geschichte kann das Teatr Cogitatur an der ul. Gliwicka 9a zurückblicken. Die Schauspieler des Cogitatur haben internationale Erfahrung und traten unter anderem auf der Expo 2000 in Hannover auf. Jedes Jahr im September ist das Theater außerdem Ort des Internationalen Theaterfestivals APAR’T (Międzynarodowy Festiwal Teatralny APAR’T).
Unter der Adresse ul. Kościuszki 88 befindet sich die Kulturinstitution Estrada Śląska. Unter wechselndem Namen und zeitweise als Staatsunternehmen existiert sie seit 1949. In der heutigen Form besteht sie seit den 1990er-Jahren und organisiert verschiedene Veranstaltungen und Festivals, die unter anderem mit Musik und Theater zu tun haben.
Einen ungewöhnlichen Sitz hat das 1996 gegründete Theater Spiele und Menschen (Teatr Gry i Ludzie), das sich an der al. Niepodległości 2 im ehemaligen Bahnhof von Dąbrówka Mała befindet, wo sich früher eine Kohleverladerampe befand. Das Theater legt großen Wert auf visuelle Veranstaltungen, die es auch außerhalb des Theatersaales und für Kinder aufführt.
Musik
Die Schlesische Philharmonie (Filharmonia Śląska) veranstaltete am 16. Mai 1945 ihr erstes Konzert. Seitdem hat sie sich zu einer der wichtigsten Musikinstitutionen in Polen entwickelt und ist heute die einzige Philharmonie in Polen, die mit dem Kammerorchester, dem Symphonieorchester und dem Chor drei Musikensembles besitzt. Dem wohl bekanntesten polnischen Dirigenten Grzegorz Fitelberg ist der seit 1979 alle vier Jahre stattfindende Internationale Dirigentenwettbewerb (Międzynarodowy Konkurs Dyrygentów) gewidmet. Die Philharmonie ist in einem Gebäude an der ul. Sokolska 2 untergebracht.
1935 wurde in Warschau das Nationale Symphonieorchester des polnischen Rundfunks (Narodowa Orkiestra Symfoniczna Polskiego Radia) ins Leben gerufen. Im Zweiten Weltkrieg war ein Auftreten nicht möglich, das Symphonieorchester wurde aber 1945 in Katowice neu gegründet. Der Sitz des renommierten Orchesters, das zahlreiche Auftritte im Ausland hatte, befindet sich im Oberschlesischen Kulturzentrum am Plac Sejmu Śląskiego 2.
Am 1. Oktober 2014 wurde ein neues Musikzentrum mit einem neuen Konzertsaal für das Nationale Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks eingeweiht. Diese NOSPR Konzerthalle hat 1800 Plätze und soll zu den besten Konzertsälen Europas gehören.
Sport
Nach dem Zerfall des 1904 entstandenen Fußballvereins Frisch Auf Kattowitz wurden 1905 die drei Vereine SC Diana Kattowitz, SC Germania Kattowitz sowie der 1. FC Kattowitz (1. FCK) gegründet, die zusammen den Kattowitzer Ballspiel-Verband bildeten. Der 1. FCK war auch nach der Zuteilung Kattowitz’ an Polen der erfolgreichste Sportclub der Stadt und wurde 1927 polnischer Vizemeister. 1945 folgte dann die Auflösung aller „deutschen“ Vereine. Jedoch wurde der 1. FCK im Jahr 2007 von der Bewegung für die Autonomie Schlesiens wiedergegründet und spielt seitdem als 1. FC Katowice in regionalen schlesischen Ligen.
Der GKS Katowice ist der bedeutendste Fußballverein der Stadt. Er wurde 1964 gegründet und war bereits mehrfach polnischer Pokal- und Superpokalsieger.
Rozwój Katowice spielte eine Spielzeit in der zweitklassigen 1. Liga.
Unter dem Namen GKS Katowice besteht auch ein Eishockeyclub, der mehrfach polnischer Meister war.
Der AWF Mickiewicz Katowice ist ein erst 1999 gegründeter, aber erfolgreicher Basketballverein und polnischer Erstligist.
Seit 2013 findet das WTA-Turnier von Katowice im Spodek statt.
Regelmäßige Veranstaltungen
In Katowice werden jährlich viele verschiedene Festivals und andere Kulturereignisse veranstaltet. Eine der wichtigsten Veranstaltungen der Stadt und der Region ist das Rawa-Blues-Festival, das größte und traditionsreichste Bluesfestival in Polen und seit 1992 auch von internationaler Bedeutung. Erstmals fand es im April/Mai 1981 im Spodek statt und wird jährlich von mehr als 10.000 Menschen besucht.
Ebenfalls im Spodek wird das jährliche Metalmania-Festival veranstaltet, bei dem seit der Gründung 1986 Metal- und Hard-Rock-Gruppen auftreten.
Im Katowicer Spodek findet seit 2000 jedes Jahr am 10. November auch die Techno-Veranstaltung Mayday statt.
Nicht mit Musik zu tun hat das Polnische Regisseursfestival (Ogólnopolski Festiwal Sztuki Reżyserskiej „Interpretacje“), das jährlich im März abgehalten wird und bei dem junge Regisseure, die nicht länger als 15 Jahre tätig sind, die Möglichkeit haben, ihre Werke einem breiten Publikum vorzustellen. Bis 2003 wurde es von Kazimierz Kutz geleitet.
Seit 2006 findet jährlich das Off-Festival statt, an dem internationale Künstler und Künstlerinnen ihre Musik, Literatur und grafische Kunst vorführen.
Alle vier Jahre organisiert die Schlesische Philharmonie den Internationalen Dirigentenwettbewerb (Międzynarodowy Konkurs Dyrygentów im. G. Fitelberga), der zu den wichtigsten Wettbewerben seiner Art zählt.
Darüber hinaus finden in Katowice das Internationale Festival des Militärorchesters (Międzynarodowy Festiwal Orkiestr Wojskowych) und die Internationale Grafikausstellung (Międzynarodowa Wystawa Grafiki Intergrafia) statt.
Jährlich finden in Katowice E-Sport-Turniere in der Spodek-Arena statt, beispielsweise Wettbewerbe der Intel Extreme Masters Season und der ESL One.
Wirtschaft und Infrastruktur
Fernverkehr
Die Verkehrsanbindung von Katowice ist im polnischen Vergleich dank der Lage im Ballungsraum des Oberschlesischen Industriegebiets sehr gut.
Die Stadt ist an die wichtige Ost-West-Verbindung, die Autobahn A4 von Dresden nach Krakau, und die Nord-Süd-Verbindung, die Schnellstraße E 75 von Warschau über Częstochowa nach Bielsko-Biała angeschlossen. Rund 20 km westlich der Stadt in Gliwice-Sośnica liegt ein großes Autobahnkreuz der A4 und der neuen polnischen Nord-Süd-Verbindung, der Autobahn A1. Es besteht eine Schnellstraßen-Direktverbindung von Katowice nach Skoczów (E 75) nahe der tschechischen Grenze und in das nordöstlich gelegene Olkusz (E 40). Weiterhin verbindet die sog. Drogowa Trasa Średnicowa (DTŚ) Katowice mit allen Nachbarstädten bis nach Gliwice; im Norden des Stadtzentrums bildet sie mit der innerstädtischen ul. Korfantego das Rondo Generała Jerzego Ziętka, einen großen Kreisverkehr. Es wird geplant diese Trasse nach Osten und Nordwesten weiter auszubauen. Insgesamt wird die Innenstadt im Norden von der Staatsstraße 79, im Osten von der 86, im Süden von der A4 sowie im Westen von der 81 umfasst, die faktisch eine Ringstraße bilden.
Der Bahnhof Kattowitz ist einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte Polens. Von hier sind neben den Regionalverbindungen alle wichtigen polnischen Städte zu erreichen und es bestehen Direktverbindungen zu bedeutenden Städten in den Nachbarländern wie Berlin, Hamburg, Wien, Prag oder Bratislava.
Des Weiteren bestehen direkte Nachtzugverbindungen mit den folgenden Destinationen: Danzig / Gdynia, Kołobrzeg, Świnoujście, Berlin, Wien.
Nahverkehr
Katowice ist durch das Netz der Straßenbahn im oberschlesischen Industriegebiet mit den wichtigsten Nachbarstädten verbunden. Beim Verkehrsunternehmen Tramwaje Śląskie ist es der größte Aktionär. Alle Linien sind in den kommunalen Verkehrsverbund ZTM integriert. Es verfügt auch über ein Busnetz, das von PKS Katowice betrieben wird. Die Spurweite der Gleise ist Normalspur.
Katowice ist der Sitz des regionalen Eisenbahnverkehrsunternehmens und ein zentraler Umsteigepunkt der Koleje Śląskie.
Flughafen
30 km vom Stadtzentrum entfernt befindet sich der Flughafen Katowice mit internationalen Linienflügen. 4 km vom Stadtzentrum entfernt liegt der Flugplatz Katowice-Muchowiec, der nur der allgemeinen Luftfahrt dient.
Wirtschaft
Katowice bildet das Zentrum der Katowicer Sonderwirtschaftszone (polnisch Katowicka Specjalna Strefa Ekonomiczna). Traditionell sind besonders der Bergbau und die Hüttenindustrie nebst Maschinenbau stark vertreten. Im Zuge des Strukturwandels wurden diese Unternehmen der Schwerindustrie jedoch häufig verkleinert oder aufgelöst. So entstand beispielsweise an Stelle des stillgelegten Steinkohlenbergwerks Gottwald das Einkaufszentrum Silesia City Center. Durch die Überbauung des Plac Wilhelma Szewczyka und den Umbau des Hauptbahnhofs entstand das Einkaufszentrum Galeria Katowicka.
Unter anderen die folgenden Firmen haben in Katowice investiert: IBM, Capgemini, Unilever, Rockwell Automation, Oracle, PwC, Deloitte, Vattenfall, Kroll Ontrack, ING, ABB, Bombardier, Mentor Graphics und United Pan-Europe Communications. Trotz des Strukturwandels haben die beiden großen Bergbaugesellschaften, die Kompania Węglowa S.A. und die Katowicki Holding Węglowy, weiterhin ihren Sitz in der Stadt.
Bildung und Forschung
Nach wie vor ist Katowice nicht nur das wirtschaftliche und politische, sondern auch das kulturelle Zentrum des Oberschlesischen Industriereviers. Den anhaltenden Strukturwandel in Katowice und den Rückgang der Bedeutung der Schwerindustrie kann man auch am Beispiel der Hochschulen und Universitäten sehr gut beobachten, von denen es in der Stadt mittlerweile über 20 gibt. Die größte von ihnen ist die Schlesische Universität (Uniwersytet Śląski) an deren sechs Niederlassungen in Sosnowiec, Cieszyn, Jastrzębie-Zdrój, Chorzów, Rybnik und Katowice 45.716 Studenten studieren. Geforscht wird in zahlreichen Bereichen (z. B. Medizin und Physik). Die kleinsten Katowicer Hochschulen zählen hingegen lediglich einige hundert Studenten. Außerdem ist in Katowice ein Teil der Schlesischen Technischen Universität untergebracht. Hier wird in den Bereichen Metallurgie, Materialwissenschaften und Logistik geforscht.
Alle Katowicer Hochschulen zusammen bieten etwa 100.000 Studierenden einen Studienplatz an. In den letzten 15 Jahren hat sich diese Zahl mehr als vervierfacht. Statistisch gesehen, besitzen 67 % der 20- bis 24-jährigen Katowicer die Hochschulreife oder haben einen Fachhochschulabschluss, während vergleichsweise weniger als 30 % der 25- bis 29-jährigen ein Universitätsstudium abgeschlossen haben. Noch deutlicher wird diese Tendenz, wenn man den Prozentsatz der Universitätsabsolventen unter der Katowicer Gesamtbevölkerung betrachtet, der nur 16 % beträgt. Darüber hinaus wird der hohe Bildungsstandard durch 55 Grundschulen (szkoła podstawowa), 35 Mittelschulen (gimnazjum), ebenso viele Gymnasien (liceum) und 45 Berufsoberschulen (Technikum) in allen Altersgruppen gewährleistet.
Erwähnenswert sind außerdem die 50 Bibliotheken im Stadtgebiet, von denen die modernste Bibliothek Polens, die Schlesische Bibliothek (Biblioteka Śląska) besonders hervorzuheben ist. Gegründet wurde sie 1922/1924 als Bibliothek des Schlesischen Parlaments und nahm in den 30er-Jahren öffentlichen Charakter an. Seit 1934 war die Bibliothek in einem klassisch-modernen Gebäude an der ul. Francuska untergebracht, dessen Räumlichkeiten aber bald nicht mehr genügend Platz boten, da die Bibliothek seit 1969 das Pflichtexemplarrecht besitzt. 1989 wurde mit dem Bau des neuen Bibliothekssitzes am Platz Rady Europy 1 begonnen, der am 24. Oktober 1998 eingeweiht wurde. Seitdem besitzt Katowice einen Bibliotheksbau von europäischem Maßstab. Die Bestände der Bibliothek umfassen eine Million Bände, darunter auch die oberschlesische Abteilung Silesiana, sowie alte Handschriften und Karten.
1972 wurde das Institute for Ecology of Industrial Areas (IETU, poln. Instytut Ekologii Terenów Uprzemysłowionych) – seit 1992 unter diesem Namen – gegründet. Hier wird u. a. über Flächenkreislaufwirtschaft geforscht.
Persönlichkeiten
Bekannte, in Katowice geborene Persönlichkeiten sind unter anderem der Künstler Hans Bellmer, die Physikerin und Nobelpreisträgerin Maria Goeppert-Mayer, der SS-Funktionär Wolfgang Otto, der Journalist Henryk M. Broder sowie die ehemalige EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska.
Literatur
Felix Triest: Topographisches Handbuch von Oberschlesien, Wilh. Gottl. Korn, Breslau 1865, S. 364–368.
Jerzy Moskal, Wojciech Janota: … Bogucice, Załęże et nova villa Katowice. Śląsk, Katowice 1993, ISBN 83-85831-35-5.
Lech Szaraniec: Osady i osiedla Katowic. Artur, Katowice 1996, ISBN 83-905115-0-9.
Helmut Kostorz (Hrsg.): Kattowitz – seine Geschichte und Gegenwart. Ein Jubiläumsbuch zum 120. Gründungsjahr. Oberschlesischer Heimatverlag, Dülmen 1985, ISBN 3-87595-075-5.
Weblinks
Website der Stadt
Neue Innenstadtplanung von Katowice bei sztuka-architektury (polnisch)
Publikationen über Katowice/Kattowitz im Bibliotheks- und Bibliographieportal / Herder-Institut (Marburg)
Katowice.eu: Bericht zum Stand der Stadt Katowice (Januar 2005, polnisch, neueste öffentlich verfügbare Version; PDF-Datei; 11,15 MB)
Einzelnachweise
Ort der Woiwodschaft Schlesien
Hauptstadt einer Woiwodschaft
Ort in Schlesien
Träger des Europapreises
Sonderwirtschaftszone
Ersterwähnung 1598
Stadtrechtsverleihung 1865
Hochschul- oder Universitätsstadt in Polen
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Q588
| 210.126165 |
633477
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https://de.wikipedia.org/wiki/Cryogenium
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Cryogenium
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Das Cryogenium ist ein chronostratigraphisches System und eine geochronologische Periode der Geologischen Zeitskala. Es ist das neunte System des Proterozoikums und das zweite des Neoproterozoikums. Es begann vor Millionen Jahren und endete vor Millionen Jahren, dauerte also Millionen Jahre. Es folgte auf das Tonium und ging dem Ediacarium voraus.
Da aus dem nachfolgenden Ediacarium die ältesten Fossilien komplexer mehrzelliger Lebewesen (einschließlich der mutmaßlich frühesten bilateralsymmetrischen Tiere) überliefert sind, spielte das Cryogenium wahrscheinlich eine bedeutende, jedoch bislang weitgehend unverstandene Rolle in der Evolution des „höheren“ Lebens.
Namensgebung und Definition
Der Name Cryogenium ist vom Altgriechischen (kryos) mit der Bedeutung kalt bzw. Eis und (genesis) mit der Bedeutung Geburt, Entstehung abgeleitet. Der Name spielt auf die damalige annähernd globale Vereisung der Erde an.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Systemen des Proterozoikums ist nur der Beginn des Cryogeniums nicht durch ein GSSP definiert, sondern durch ein GSSA (Global Stratigraphic Standard Ages), das heißt durch einen absoluten Zahlenwert, der nicht an ein Referenzprofil gebunden ist. Das Ende des Cryogeniums, zugleich Beginn des Ediacariums, ist über den GSSP des Ediacariums definiert.
Ereignisse während des Cryogeniums
Eiszeiten
In die Periode des Cryogeniums fallen die Sturtische (720 bis 658 mya) und Marinoische Eiszeit (655 bis 635 mya) mit annähernd globaler Vereisung (siehe „Schneeball Erde“). Allerdings ist das Ausmaß der Vereisung durch neuere Forschungsergebnisse etwas relativiert worden und die kritischen Stimmen mehren sich. Am Äquator bestanden wohl doch eisfreie Gebiete. Viele neuere Modelle gehen heute eher von einer „Slushball Earth“ (aus dem Englischen übersetzt mit Schneematscherdball) aus.
Die sich anschließende Gaskiers-Eiszeit (ca. 579 mya) gehört bereits zum Ediacarium. Möglicherweise war der Sturtischen Eiszeit noch eine Vereisung vorausgegangen, die so genannte Kaigas-Eiszeit um 750 mya, die aber nicht so deutlich dokumentiert ist.
Bei den glazigenen Ablagerungen des Cryogeniums handelt es sich vorwiegend um Diamiktite oder proximale, proglaziale Sedimente, die in passiven Riftgräben während des Auseinanderbrechens von Rodinia abgesetzt wurden. Sie finden sich auf vielen der damaligen Paläo- und Mikrokontinente, wie beispielsweise westliches Nordamerika, China, Australien, Westafrika, Südamerika und Oman. In der Schichtenabfolge zeichnen sich die glazigenen Sedimente durch ihr abruptes Einsetzen, aber genauso auch durch ihr jähes Verschwinden aus. Gewöhnlich werden sie von so genannten Hutkarbonaten (Englisch cap carbonates) abgeschlossen, die ungewöhnliche sedimentologische, geochemische und Isotopenverhältnisse an den Tag legen. Die Hutkarbonate (meist Kalke, aber auch Dolomite) entstanden unter steigendem Meeresspiegel nach Beendigung der Vereisungen.
Die beiden für das Cryogenium charakteristischen Vereisungen waren von starken, positiven und negativen Exkursionen der δ13C-Werte begleitet.
Nach fast 1000 Millionen Jahre währender Abwesenheit kehrten die Bändererze erneut wieder und in ihrem Gefolge Phosphorite und Manganerze. Während des Cryogeniums wurden auch weltweit Schwarzschiefer abgelagert. Der Sulfatgehalt des Meerwassers nahm einen niedrigen Wert ein.
Noch vor Beginn des Cryogeniums begann der Superkontinent Rodinia um 750 mya auseinanderzubrechen und der umgebende Ozean Mirovia schloss sich allmählich. Als Neuformation sollte während des Ediacariums der Superkontinent Pannotia mit dem Ozean Panthalassa hervorgehen. Die Ursachen der weltumspannenden Vereisungen dürften wahrscheinlich in diesem Auseinanderbrechen Rodinias begründet sein, da die Kontinentfragmente gen Äquator drifteten und sich dort ansammelten. Der Riftvorgang hatte gleichzeitig zu einem Herausheben der Kontinentbruchstücke geführt. Beide Effekte zusammengenommen hatten letztlich die Albedo und gleichzeitig die Erosionsrate erhöht und somit über eine Erniedrigung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre die weltweite Abkühlung in Gang gesetzt. Die beginnende Abkühlung reduzierte ihrerseits wiederum die biologische Aktivität.
Meteoriteneinschlag
In die Zeit des Cryogeniums fällt der Einschlagkrater von Strangways im Northern Territory Australiens. Der Impakt erfolgte vor 646 ± 42 Millionen Jahren, der Durchmesser des Kraters betrug mehr als 24, möglicherweise sogar bis 40 Kilometer.
Biologische Entwicklung
Aus dem Cryogenium liegen sog. „vasen-förmige Mikrofossilien“ vor, die sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Hüllen von Arcellinida, einer Gruppe der gehäusetragenden Amöben (Thecamoeben) beziehen lassen. Entgegen früherer Annahmen war die Gruppe aber bereits vor der Sturtischen Vereisung im Fossilbericht präsent. Mikrofossilien liegen auch von den Acritarcha, einer problematischen Gruppe, die oft als Zysten oder Dauerstadien unbekannter einzelliger Eukaryoten interpretiert wird, vor. Vielzellige Algen müssen, durch den berühmten Fund von Bangiomorpha pubescens nachgewiesen, bereits lange Zeit vorher existiert haben, auch wenn unzweideutige Fossilfunde aus dem Cryogenium selbst fehlen. Der Fund eines Otavia antiqua genannten Fossils, das von seinen Entdeckern den Schwämmen zugeordnet worden ist, würde auch den Ursprung der vielzelligen Tiere ins Cryogenium oder eine frühere Epoche datieren; die Deutung als Schwamm wird aber von anderen Forschern bestritten, so dass die Existenz von Metazoa im Cryogenium unsicher ist. Funde wie rätselhafte, scheibenartige Fossilien aus China, als „Jinxian Biota“ beschrieben könnten möglicherweise eukaryotische vielzellige Organismen repräsentieren, sind aber in ihrer Zuordnung völlig unsicher.
Schlüsselmikrofossilien des Cryogeniums:
Cerebrosphaera buickii
Leiosphaeridia crassa
Bonniea dacruchares
Acaciella australica
Baicalia burra
Irridinitus? – eine so genannte Twitya-Scheibe (engl. Twitya disc) der Twitya-Formation in Kanada
Sphaerocongregus
Stratigraphie
Bedeutende Sedimentbecken und geologische Formationen
Jangtse-Kraton, südliches China:
Nantuo-Formation – 654 bis 635 mya
Datangpo-Formation – 663 mya
Liantuo-Formation – um 750 mya
Vindhya-Supergruppe im Norden Indiens – 1700 bis 600 mya
Otavi Group in Namibia – 760 bis 650 mya
Abenab Subgroup – 720 bis 635 mya
Chuos-Formation (entspricht der Sturtischen Eiszeit) – um 720 mya
Ugab Subgroup – 746 bis 720 mya
Ombombo Subgroup – 760 bis 746 mya
Pahrump Group im Death Valley – 1200 bis zirka 550 mya
Grand Canyon Supergroup in Arizona – 1250 bis 700/650 mya
Chuar Group – 770 bis 742 mya
Windermere Supergroup in den Mackenzie Mountains und in Südwestkanada – 762 bis 728 mya
Eleonore Bay Supergroup im Osten Grönlands – 950 bis 610 mya
Polarisbreen Group auf Spitzbergen – 700/650 bis 575 mya
Akademikerbreen Group auf Spitzbergen – 800 bis zirka 700/650 mya
Dalradian Supergroup in Schottland – 806 bis 480 mya
Argyll Group – 645 bis 595 mya
Appin Group – 659 bis 645 mya
Grampian Group – 806 bis zirka 700 mya
Literatur
Kenneth A. Plumb: New Precambrian time scale. In: Episodes, 14(2), Beijing 1991, S. 134–140, .
Weblinks
Internetseite der International Commission on Stratigraphy
International Chronostratigraphic Chart Februar 2017 (PDF; 289 kB)
Einzelnachweise
Zeitalter des Proterozoikum
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Q507402
| 136.270103 |
427923
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https://de.wikipedia.org/wiki/%C5%A0
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Š
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Das Š (kleingeschrieben š) ist ein Buchstabe des lateinischen Schriftsystems, bestehend aus einem S mit Hatschek. Er wird vor allem in den slawischen und den baltischen Sprachen verwendet. In den meisten Fällen entspricht der Buchstabe dem IPA-Laut , die Aussprache ist also gleich wie das „Sch“ in „Schule“.
Im 15. Jahrhundert gelangte der Buchstabe mit den Reformen von Jan Hus zuerst in die tschechische Sprache. 1830 übernahm Ljudevit Gaj den Buchstaben in die kroatische Sprache. Später wurde der Buchstabe auch in die verwandte bosnische, serbische und die slowenische Sprache übernommen. Ferner wird der Buchstabe in der slowakischen, estnischen, lettischen, litauischen, nordsamischen und den beiden sorbischen Standardsprachen sowie der belarussischen Łacinka verwendet. Im Finnischen kommt er nur in Fremdwörtern vor und wird alphabetisch identisch mit dem albanischen und englischen Digraphen sh einsortiert. Im Schwedischen steht der Buchstabe (z. B. in nichtschwedischen Namen in Telefonbüchern) an derselben Position wie im Finnischen.
Nach ISO 9 ist das Š die Transliteration des kyrillischen Ш, nach DIN 31635 wird es zur Umschrift des arabischen ش verwendet.
Darstellung auf dem Computer
Unicode enthält das Š an den Codepunkten U+0160 (Großbuchstabe) und U+0161 (Kleinbuchstabe). In ISO 8859-2 belegt der Buchstabe die Stellen 0xA9 (Großbuchstabe) bzw. 0xB9 (Kleinbuchstabe).
In HTML kann man das Š bzw. š mit Š bzw. š sowie mit
Š bzw.
š bilden.
In TeX kann man das Š mit den Befehlen \v S und \v s bilden.
Tastatureingabe
Mit der deutschen Standard-Tastaturbelegung E1 wird Š/š unter Windows mit der Tastenfolge + (für den Hatschek) gefolgt von bzw. eingegeben, mit der Vorgängerfassung T2 mit der Tastenfolge +gefolgt von bzw. und unter Linux ++ gefolgt von bzw. .
Unter Windows können die Zeichen durch Gedrückthalten von während der Eingabe der Ziffernfolge (Š) bzw. (š) auf dem Ziffernblock eingegeben werden.
Weblinks
Sˇ
Kroatische Sprache
Slowenische Sprache
Slowakische Sprache
Estnische Sprache
Lettische Sprache
Litauische Sprache
Sorbisches Alphabet
Tschechische Sprache
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Q16075
| 85.62121 |
210147
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https://de.wikipedia.org/wiki/Alkane
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Alkane
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Als Alkane (Grenzkohlenwasserstoffe, früher Paraffine) bezeichnet man in der organischen Chemie die Stoffgruppe der gesättigten, acyclischen Kohlenwasserstoffe. Das heißt, ihre Vertreter bestehen nur aus den beiden Elementen Kohlenstoff (C) und Wasserstoff (H), weisen nur Einfachbindungen und keine Kohlenstoffringe auf. Damit sind sie eine Untergruppe der aliphatischen Kohlenwasserstoffe. Für sie gilt die allgemeine Summenformel CnH2n+2 mit n = 1, 2, 3, …
Das Grundgerüst der Alkane kann ab n = 4 aus unverzweigten (linearen) oder aus verzweigten Kohlenstoffketten bestehen. Die unverzweigten Verbindungen werden als n-Alkane bezeichnet und bilden eine homologe Reihe der Alkane. Die verzweigten Alkane werden Isoalkane (i-Alkane) genannt.
Gesättigte cyclische Kohlenwasserstoffe haben eine abweichende allgemeine Summenformel und bilden die Gruppe der Cycloalkane und werden dort beschrieben.
n-Alkane
Das einfachste Alkan ist das Methan. Die ersten zwölf n-Alkane sind in der folgenden Tabelle angegeben. Sie bilden die Homologe Reihe der Alkane.
i-Alkane
Mit steigender Anzahl an Kohlenstoffatomen steigt auch die Anzahl der Möglichkeiten für deren kovalente Verknüpfung. Deswegen kommen alle Alkane mit einer höheren Zahl an Kohlenstoffatomen als Propan in einer Vielzahl von Konstitutionsisomeren – Molekülen mit der gleichen Summenformel, aber unterschiedlichem Aufbau (Konstitution) – vor. Diese werden als Isomere bezeichnet.
Beim Butan tritt der Fall ein, dass bei gleicher Summenformel C4H10 zwei unterschiedliche Anordnungsmöglichkeiten für die Kohlenstoffatome im Alkanmolekül möglich sind. Butan existiert also in zwei verschiedenen Konstitutionen: n-Butan und iso-Butan (isomeres Butan). Davon leitet sich der Begriff iso-Alkane – abgekürzt i-Alkane – ab.
Pentan tritt bereits in drei verschiedenen Konstitutionen auf, dem n-Pentan mit einer unverzweigten Kette, dem iso-Pentan mit einer Verzweigung am zweiten Kohlenstoffatom und dem neo-Pentan mit zwei Verzweigungen am zweiten Kohlenstoffatom.
Mit wachsender Anzahl der Kohlenstoffatome steigt rasch auch die Zahl der möglichen Isomere, von denen die meisten allerdings nur theoretisch bestehen – in Natur und Technik sind nur wenige von Bedeutung (siehe Anzahl der Isomere von Alkanen weiter unten). Icosan (ehemals Eicosan) mit einer Kette aus zwanzig Kohlenstoffatomen besitzt bereits 366.319 verschiedene Konstitutionsisomere. Bei Alkanen mit 167 Kohlenstoffatomen übersteigt die Anzahl der theoretisch möglichen Isomere die geschätzte Zahl der Teilchen im sichtbaren Universum.
Langkettige, verzweigte Alkane werden auch als Isoparaffine bezeichnet.
Stereochemie der Alkane
Verzweigte Alkane können chiral sein, d. h. bei gleicher Konstitution sind spiegelbildlich verschiedene Anordnungen möglich. Bei 3-Methylhexan tritt dies beispielsweise am Kohlenstoff in Position 3 auf. Dies ist in vielen Biomolekülen biologisch relevant. So ist die Seitenkette des Chlorophylls wie auch die des Tocopherols (Vitamin E) ein verzweigtes chirales Alkan. Chirale Alkane können durch enantioselektive Gaschromatographie in ihre Enantiomere getrennt werden.
Nomenklatur
Die Nomenklatur der Alkane ist durch die International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC) genau festgelegt.
Alle Stammnamen weisen die Endung -an auf. Dieser Endung wird ein griechisches Zahlenwort vorangestellt, das auf die Anzahl der Kohlenstoffatome hinweist. Für die ersten vier Alkane, hierbei handelt es sich um Trivialnamen, werden stattdessen historisch bedingt die Namen Methan, Ethan (vormals Äthan), Propan und Butan vergeben. Wie die Namen von Alkanen mit mehr als zehn Kohlenstoffatomen gebildet werden, findet sich im Artikel Nomenklatur.
Für verzweigte Alkane gelten die folgenden Benennungsregeln:
Die Kohlenstoffatome der längsten durchgehenden Kohlenstoffkette werden so durchnummeriert, dass die tertiären bzw. quartären Kohlenstoffatome jeweils eine möglichst niedrige Zahl erhalten. Dies ist der Fall, wenn die Summe aller dieser Zahlen am niedrigsten ist (Beispielmolekül oben: 2 + 3 + 4 = 9). Entsprechend dieser längsten Kette erhält das Molekül seinen Stammnamen (Beispielmolekül oben: 6 Kohlenstoffatome → Hexan).
Die Namen der abzweigenden Alkylgruppen (Seitenketten) werden ebenfalls durch ihre Länge bestimmt und alphabetisch aufsteigend sortiert dem Stammnamen des Alkans vorangestellt (s. u. 4. Zusatzregel a).
Diesen Alkylgruppennamen werden die Nummern, durch Bindestriche von diesen getrennt, der Kohlenstoffatome, an denen sie abzweigen, vorangestellt (s. u. 5. Zusatzregel b).
Zusatzregel a) Zweigt mehr als eine Alkylgruppe mit gleichem Namen von der Hauptkette ab, werden diesen Alkylgruppennamen deren Anzahl in der griechischen Schreibweise (di = zwei, tri = drei usw.) als Zahlwort vorangestellt. Zu beachten ist dabei, dass diese Zahlenwörter bei der alphabetischen Sortierung nicht berücksichtigt werden.
Zusatzregel b) Gibt es mehrere abzweigende Alkylgruppen mit gleichem Namen, werden die Zahlen mit aufsteigendem Wert durch Kommata getrennt notiert. Zweigen zwei gleiche Alkylgruppen an einem quartären Kohlenstoffatom ab, dann wird die Nummer des Kohlenstoffatoms doppelt notiert.
Ein Beispiel für die Zusatzregeln a) und b) ist das 3-Ethyl-2,2,4-trimethylhexan: Am oben abgebildeten 3-Ethyl-2,4-dimethylhexan wäre am zweiten Kohlenstoffatom das Wasserstoffatom durch eine Methylgruppe ersetzt. Anmerkung: Die beiden genannten Verbindungen haben mehrere je zwei Chiralitätszentren, so dass diese Nomenklatur unvollständig ist.
Früher wurden Alkane als „Grenzkohlenwasserstoffe“ oder Paraffine bezeichnet. Letzteres leitet sich von lateinisch parum affinis ab, was sich mit „wenig verwandt“ übersetzen lässt – man glaubte früher, dass Stoffe, die miteinander reagieren, irgendeine Art von „Verwandtschaft“ aufweisen müssten – und brachte damit die relative Reaktionsträgheit dieser Verbindungen zum Ausdruck. Heute bezeichnet der Name meist nur noch ein Stoffgemisch aus bestimmten festen Alkanen.
Alkylrest
Wird einem Alkanmolekül ein Wasserstoffatom entzogen, entsteht ein Radikal, ein Molekül mit einem ungebundenen Elektron, das man als Alkylradikal bezeichnet. Den Namen dieses Alkylrestes erhält man, wenn man bei der Endung des Alkans, dem das Wasserstoffatom entzogen wurde, das -an durch ein -yl ersetzt. Symbolisch werden Alkyle häufig mit R notiert; sind die Alkylreste unterschiedlich, wird dieses durch R1, R2, R3 usw. kenntlich gemacht.
Molekülgeometrie
Die räumliche Struktur der Alkane wirkt sich direkt auf ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften aus. Entscheidend für ihr Verständnis ist die Elektronenkonfiguration des Kohlenstoffs. Dessen Atome weisen im Grundzustand vier freie Elektronen, die so genannten Valenzelektronen auf, die für Bindungen und Reaktionen zur Verfügung stehen. Im ungebundenen Kohlenstoffatom befinden sich diese vier Elektronen in Orbitalen unterschiedlicher Energie, in Alkanen dagegen ist das Kohlenstoffatom immer sp³-hybridisiert, das bedeutet, dass durch Überlagerung der vier Ausgangsorbitale (ein s-Orbital und drei p-Orbitale) vier neue Orbitale gleicher Energie vorhanden sind. Diese sind räumlich in der Form eines Tetraeders angeordnet, der Winkel zwischen ihnen beträgt daher 109,47 Grad.
Bindungslängen und Bindungswinkel
Ein Alkanmolekül weist nur C-H- und C-C-Bindungen (Kohlenstoffeinfachbindungen) auf. Erstere entstehen durch Überlappung eines sp³-Hybridorbitals des Kohlenstoffs mit dem 1s-Orbital des Wasserstoffs, Letztere durch Überlappung zweier sp³-Hybridorbitale unterschiedlicher Kohlenstoffatome.
Die Bindungslänge beträgt 109 Pikometer für die C-H-Bindung und 154 Pikometer für die C-C-Bindung, der Abstand zweier Kohlenstoffatome ist also etwa 50 Prozent größer als der Abstand zwischen einem Kohlenstoff- und einem Wasserstoffatom, was in erster Linie mit den unterschiedlichen Atomradien zusammenhängt.
Die räumliche Anordnung der Bindungen folgt aus der Ausrichtung der vier sp³-Orbitale – da diese tetraedrisch angeordnet sind, sind dies auch die C-C- und C-H-Bindungen, auch zwischen ihnen liegt also jeweils ein fester Winkel von 109,47 Grad. Die Strukturformel, die die Bindungen der Moleküle vollkommen geradlinig dargestellt, entspricht also in dieser Hinsicht nicht der Realität.
Konformation der Alkane
Die Kenntnis der Strukturformel und der Bindungswinkel legt in der Regel noch nicht vollständig den räumlichen Aufbau eines Moleküls fest. So besteht für jede Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung ein weiterer Freiheitsgrad: der Winkel, den die an die beiden Bindungsatome gebundenen jeweils drei Atome beziehungsweise Atomgruppen zueinander einnehmen. Die durch diese Winkel beschriebene räumliche Anordnung bezeichnet man als Konformation des jeweiligen Moleküls.
Ethan
Den einfachsten Fall bildet innerhalb der Stoffklasse der Alkane das Ethan; hier existiert genau eine C-C-Bindung. Blickt man entlang der dadurch definierten Achse auf das Molekül, so ergibt sich die so genannte Newman-Projektion: Ein Kohlenstoffatom ist in der Projektion mit seinen drei Wasserstoffatomen im Vordergrund zu sehen, das andere wird symbolisch durch einen Kreis abgedeckt und befindet sich definitionsgemäß im Hintergrund; die Bindungen zu seinen drei Wasserstoffatomen sind im Diagramm entsprechend nur teilweise zu sehen. Sowohl die vorderen als auch die hinteren drei Wasserstoffatome nehmen in der Projektion 120-Grad-Winkel zueinander ein, wie dies für die Projektion eines Tetraeders in die Ebene auch gelten muss. Nicht festgelegt ist jedoch der Winkel θ zwischen den beiden Gruppen von Wasserstoffatomen – er beschreibt im Ethanmolekül die Konformation.
Der Konformationswinkel kann beliebige Werte zwischen 0 und 360 Grad annehmen, qualitativ sind jedoch nur zwei verschiedene Konformationen interessant:
In der ekliptischen Konformation beträgt der Konformationswinkel 0, 120 oder 240 Grad, in der Projektion fallen je ein vorderes und ein hinteres Wasserstoffatom zusammen.
In der gestaffelten Konformation beträgt der Konformationswinkel 60, 180 oder 300 Grad, so dass in der Projektion jeweils ein hinteres Wasserstoffatom zwischen zwei vorderen zu liegen kommt.
Die beiden Konformationen, auch Rotamere genannt, unterscheiden sich in ihrer Energie, die in diesem Fall als Torsionsenergie bezeichnet wird, um etwa 12,6 Kilojoule pro Mol. Während die ekliptische Konformation diese maximiert und daher instabil ist, wird sie von der gestaffelten Konformation minimiert, diese ist folglich energetisch bevorzugt. Alle anderen Konformationen liegen bezüglich ihrer Energie zwischen diesen beiden Extremen. Die Ursache für die Differenz ist noch nicht vollständig aufgeklärt: Bei der ekliptischen Konformation ist der Abstand zwischen den C-H-Bindungselektronen des vorderen und hinteren Kohlenstoffatoms geringer, die elektrostatische Abstoßung zwischen ihnen und damit die Energie des Zustandes folglich höher. Umgekehrt erlaubt die gestaffelte Konformation eine stärkere Delokalisation der Bindungselektronen, ein quantenmechanisches Phänomen, das die Struktur stabilisiert und die Energie herabsetzt. Heute gilt der Letztere Erklärungsansatz als wahrscheinlicher.
Die Torsionsenergie des Ethanmoleküls ist bei Raumtemperatur klein gegenüber der thermischen Energie, so dass es sich dann in konstanter Rotation um die C-C-Achse befindet. Allerdings „rastet“ es in regelmäßigen Abständen in der gestaffelten Konformation „ein“, so dass sich zu jedem Zeitpunkt etwa 99 Prozent aller Moleküle nahe dem Energieminimum befinden. Der Übergang zwischen zwei benachbarten gestaffelten Konformationen dauert aber nur durchschnittlich 10−11Sekunden.
Höhere Alkane
Während für die beiden C-C-Bindungen des Propanmoleküls qualitativ dasselbe gilt wie für Ethan, ist die Situation für Butan und alle höheren Alkane komplexer.
Betrachtet man die mittlere C-C-Bindung des Butanmoleküls, so ist jedes der beiden Kohlenstoffatome an jeweils zwei Wasserstoffatome und eine Methylgruppe gebunden. Wie an der Newman-Projektion erkennbar ist, lassen sich vier qualitativ unterschiedliche Rotamere unterscheiden, zwischen denen wiederum beliebige Übergangszustände möglich sind. Sie entsprechen wie schon beim Ethan Konformationen maximaler beziehungsweise minimaler Energie:
Liegen in der Projektion die beiden Methylgruppen an derselben Stelle, also bei einem Torsionswinkel von 0 Grad, spricht man von der voll-ekliptischen oder synperiplanaren Konformation. Sie entspricht einem globalen Maximum der Torsionsenergie, da sich die Wasserstoffatome der Methylgruppen so nahe kommen, dass es zur Abstoßung zwischen ihren Elektronenwolken kommt.
Bei einem Torsionswinkel von 60 oder 300 Grad nennt man die Konformation schiefgestaffelt oder synklinar; anders als bei den ekliptischen Strukturen kommen hier alle Atome beziehungsweise Atomgruppen des vorderen Kohlenstoffatoms in der Projektion zwischen denen des hinteren zu liegen. Dadurch ergibt sich ein Minimum der Energie; aufgrund der Nähe der beiden Methylgruppen zueinander ist es allerdings nur lokal, es existiert also noch eine energetisch günstigere Konformation.
Beträgt der Torsionswinkel 120 oder 240 Grad, so ist die Konformation partiell-ekliptisch. Sie ist aus den gleichen Gründen wie beim Ethan energetisch ungünstig. Anders als in der voll-ekliptischen Konformation kommen sich die beiden Methylgruppen jedoch nicht zu nahe, so dass die Energie nur lokal ein Maximum darstellt.
Bei einem Torsionswinkel von 180 Grad schließlich liegt eine antiperiplanare Konformation vor. Wie bei der gestaffelten Konformation des Ethan tritt hier eine nur quantenmechanisch erklärbare verstärkte Delokalisation der Elektronen auf, zugleich nehmen die beiden Methylgruppen den größtmöglichen räumlichen Abstand zueinander ein. Die Torsionsenergie wird daher für diesen Zustand global minimiert.
Der Energieabstand zwischen syn- und antiperiplanarer Konformation beträgt etwa 19 Kilojoule pro Mol und ist damit bei Raumtemperatur immer noch klein gegenüber der thermischen Energie. Daher sind Drehungen um die mittlere C-C-Achse immer noch leicht möglich. Wie beim Ethan ist jedoch die Wahrscheinlichkeit dafür, ein Molekül in einem bestimmten Zustand zu finden, nicht gleich groß; für die antiperiplanare Konformation ist sie etwa doppelt so hoch wie für die synklinale, während sie für die beiden ekliptischen Konformationen vernachlässigbar gering ist.
Bei den höheren Alkanen ergibt sich grundsätzlich dasselbe Bild – für alle C-C-Bindungen ist immer die antiperiplanare Konformation, bei der die angebundenen Alkylgruppen den größtmöglichen Abstand einnehmen, die energetisch günstigste und daher die am wahrscheinlichsten anzutreffende. Aus diesem Grund wird die Struktur der Alkane meist durch eine Zickzackanordnung wiedergegeben; dies ist auch in den weiter oben zu sehenden Molekülmodellen der Fall. Die tatsächliche Struktur wird sich bei Raumtemperatur immer etwas von dieser idealisierten Konformation unterscheiden – Alkanmoleküle haben also keine feste Stäbchenform, wie das Modell suggerieren könnte.
Andere Kohlenwasserstoffmoleküle wie zum Beispiel die Alkene bauen auf dieser Grundstruktur auf, enthalten durch Doppelbindungen aber auch versteifte Abschnitte, die zu permanenten „Verbiegungen“ führen können.
Die Ketten der höheren Alkane haben grundsätzlich eine gestreckte Konformation. Ab 18 bis 19 Kettengliedern lassen sich bei tiefen Temperaturen auch gefaltete Haarnadelstrukturen nachweisen. Zur Bildung von Haarnadelstrukturen müssen die Kohlenwasserstoffketten zunächst erhitzt und anschließend mithilfe eines Trägergases extrem schnell auf minus 150 °C abgekühlt werden.
Anzahl der Isomere von Alkanen
Zur Bestimmung der Anzahl von Isomeren der Alkane gibt es keine einfache Formel; man muss mit einem Algorithmus und einer Baumstruktur arbeiten.
Bei diesen Zahlen handelt es sich um die theoretisch möglichen Isomere. Viele davon sind aber aus sterischen Gründen nicht existenzfähig.
In dieser Liste ist die Anzahl der Konstitutionsisomere bis 100 C-Atome aufgeführt.
Eigenschaften
Alkane bilden eine besonders einheitliche Stoffklasse, die Kenntnis der Eigenschaften weniger Vertreter genügt, um das Verhalten der übrigen vorherzusagen. Dies gilt sowohl für die intra- beziehungsweise intermolekularen Wechselwirkungen der Alkane, die sich auf die Schmelz- und Siedepunkte auswirken, als auch für die Betrachtung ihrer Synthesen und Reaktionen.
Physikalische Eigenschaften
Die Molekülstruktur, speziell die Größe der Oberfläche der Moleküle, bestimmt den Siedepunkt des zugehörigen Stoffes: je kleiner die Fläche, umso niedriger ist der Siedepunkt, da so die zwischen den Molekülen wirkenden Van-der-Waals-Kräfte kleiner sind; eine Verkleinerung der Oberfläche kann dabei durch Verzweigungen oder durch eine ringförmige Struktur erreicht werden. Das bedeutet in der Praxis, dass Alkane mit höherem Kohlenstoffanteil in der Regel einen höheren Siedepunkt als Alkane mit geringerem Kohlenstoffanteil haben; unverzweigte Alkane haben höhere Siedepunkte als verzweigte und ringförmige wiederum höhere Siedepunkte als die unverzweigten. Ab fünf Kohlenstoffatomen sind unverzweigte Alkane unter Normalbedingungen flüssig, ab siebzehn fest. Der Siedepunkt nimmt pro CH2-Gruppe um zwischen 20 und 30 °C zu.
Auch der Schmelzpunkt der Alkane steigt mit zwei Ausnahmen bei Ethan und Propan bei Zunahme der Anzahl der Kohlenstoffatome; allerdings steigen die Schmelzpunkte insbesondere bei den höheren Alkanen langsamer als die Siedepunkte. Außerdem steigt der Schmelzpunkt von Alkanen mit ungerader Kohlenstoffzahl zu Alkanen mit gerader Kohlenstoffzahl stärker als umgekehrt. Die Ursache dieses Phänomens ist die größere Packungsdichte der Alkane mit geradzahliger Kohlenstoffzahl. Der Schmelzpunkt der verzweigten Alkane kann sowohl ober- als auch unterhalb des entsprechenden Wertes für die unverzweigten Alkane liegen. Je sperriger das Molekül ist, desto schwieriger lässt sich die entsprechende Substanz eng packen und desto niedriger liegt folglich auch der Schmelzpunkt. Umgekehrt existiert eine Reihe von Isoalkanen, die eine wesentlich kompaktere Struktur einnehmen als die korrespondierenden n-Alkane; in diesem Fall liegen ihre Schmelzpunkte daher über denjenigen ihrer geradlinigen Isomere.
Alkane leiten weder den elektrischen Strom noch sind sie dauerhaft elektrisch polarisiert. Aus diesem Grund bilden sie keine Wasserstoffbrückenbindungen aus und lassen sich in polaren Lösungsmitteln wie Wasser sehr schlecht lösen. Da die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den einzelnen Wassermolekülen in der unmittelbaren Nähe eines Alkans von diesem wegweisen und daher nicht isotrop ausgerichtet sind, also nicht gleichmäßig in alle Richtungen zeigen, wäre eine Mischung beider Substanzen mit einer Zunahme der molekularen Ordnung verbunden. Da dies nach dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verboten ist, bilden sich bei dem Versuch einer Mischung immer zwei separate Schichten. Man bezeichnet Alkane daher als wasserabweisend oder hydrophob.
Ihre Löslichkeit in unpolaren Lösungsmitteln ist dagegen gut, ein Umstand, der als lipophil bezeichnet wird. Untereinander sind sie beispielsweise bei gleichem Aggregatzustand in jedem Verhältnis mischbar.
Bis auf einige Ausnahmen nimmt die Dichte der Alkane mit zunehmender Zahl der Kohlenstoffatome zu. Da sie bei allen flüssigen Alkanen geringer ist als diejenige des Wassers, schwimmen Alkane bei versuchter Mischung immer oben, weshalb brennende, flüssige Alkane nicht mit Wasser gelöscht werden können.
Chemische Eigenschaften
Generell zeigen Alkane eine relativ geringe Reaktivität, weil ihre C-H- und C-C-Bindungen relativ stabil sind und nicht einfach zerbrochen werden können. Anders als die meisten anderen organischen Verbindungen besitzen sie auch keine funktionellen Gruppen.
Mit ionischen oder allgemeiner polaren Substanzen reagieren sie nur sehr schlecht. Ihr pKs-Wert liegt oberhalb von 60 (Methan 48), mit normalen Säuren oder Basen reagieren sie daher praktisch gar nicht, worauf auch der Trivialname Paraffin hinweist (lat.: parum affinis = wenig geneigt). Im Erdöl sind die Alkanmoleküle sogar seit Millionen von Jahren chemisch unverändert geblieben.
Allerdings gehen Alkane Redoxreaktionen, insbesondere mit Sauerstoff und den Halogenen ein, da sich ihre Kohlenstoffatome in stark reduziertem Zustand befinden; im Falle des Methans wird sogar die niedrigstmögliche Oxidationsstufe −IV erreicht. Im ersten Fall handelt es sich um Verbrennungen, im zweiten um Substitutionsreaktionen.
Radikale, also Moleküle mit ungepaarten Elektronen, spielen bei den meisten Reaktionen eine große Rolle, so auch beim so genannten Cracken und bei der Reformierung, bei denen langkettige Alkane in kurzkettige und unverzweigte in verzweigte umgewandelt werden.
Bei stark verzweigten Molekülen tritt eine Abweichung vom optimalen Bindungswinkel auf, die dadurch hervorgerufen wird, dass sich Alkylgruppen, die an unterschiedlichen Kohlenstoffatomen sitzen, räumlich sonst zu nahekommen würden. Durch die dadurch hervorgerufene „Spannung“, die man als sterische Spannung bezeichnet, sind diese Moleküle wesentlich reaktiver.
Reaktionen
Reaktionen mit Sauerstoff
Alle Alkane reagieren mit Sauerstoff, sind also brennbar, aber nicht brandfördernd; ihr Flammpunkt steigt allerdings mit zunehmender Zahl der Kohlenstoffatome. Im Vergleich zu anderen Kohlenwasserstoffen wie Alkenen und Alkinen reagieren sie unter Freisetzung der meisten Energie. Zwar setzt eine Doppel- oder Dreifachbindung mehr Energie frei als eine Einfachbindung, allerdings wird dies durch die höhere Zahl an oxidierbaren Wasserstoffatomen im Molekül (6 bei Ethan, 4 bei Ethen und 2 bei Ethin) überkompensiert. Die Standardverbrennungsenthalpien liegen in etwa bei folgenden Werten:
Ethan: ΔcH° = −1560,7 kJ/mol
Ethen: ΔcH° = −1411,2 kJ/mol
Ethin: ΔcH° = −1301,1 kJ/mol
Somit wird bei der Verbrennung des Ethans die meiste Energie freigesetzt (negative Enthalpie). Alkane verbrennen bei ausreichender Sauerstoffzufuhr mit schwach leuchtender, nicht rußender Flamme.
Chemisch ist die Reaktion mit Sauerstoff eine Redoxreaktion, bei der die Alkane oxidiert und der Sauerstoff reduziert werden. Bei vollständiger Verbrennung reagiert der Kohlenstoff zu Kohlenstoffdioxid (Oxidationszahl +IV) und der Wasserstoff zu Wasser, das in Form von Wasserdampf freigesetzt wird:
Die totale Verbrennungsenergie steigt vergleichsweise regelmäßig mit zunehmender Anzahl der Kohlenstoffatome; jede CH2-Gruppe steuert etwa 650 Kilojoule pro Mol bei. Aus der Tatsache, dass die Verbrennungsenergie verzweigter Alkane etwas niedriger ist als die unverzweigter, lässt sich auf eine höhere Stabilität ersterer Gruppe schließen.
Werden Alkane nicht vollständig verbrannt, weil zu wenig Sauerstoff vorhanden ist, entstehen unerwünschte Nebenprodukte wie Alkene, Kohlenstoff und Kohlenstoffmonoxid und die Energieausbeute ist geringer; eine vollständige Verbrennung der Alkane ist daher wichtig. Ein Beispiel für eine unvollständige Verbrennung ist die folgende Reaktion
Schwarzer Rauch deutet bei der Benzinverbrennung daher auf ungenügende Sauerstoffzufuhr hin.
Reaktionen mit den Halogenen
Eine weitere wichtige Reaktionsgruppe der Alkane sind Halogenierungsreaktionen – auch sie zählen zu der größeren Gruppe der Redoxreaktionen, da sich die Oxidationszahlen der betroffenen Kohlenstoffatome ändern.
Bei der Halogenierung werden die Wasserstoffatome eines Alkans teilweise oder vollständig durch Halogenatome wie Fluor, Chlor oder Brom ersetzt beziehungsweise substituiert, daher spricht man auch von einer Substitutionsreaktion. Bei der Reaktion entstehen sogenannte Halogenalkane, meist in Mischung, wie aus dem folgenden Beispiel für Methan hervorgeht:
Das Mischungsverhältnis der einzelnen Halogenalkane hängt von den Reaktionsbedingungen und dem Reaktionsverlauf ab und ist in der Reaktionsgleichung vollkommen willkürlich gewählt, also nicht repräsentativ.
Die Reaktion mit Chlor wird schon bei geringer Energiezufuhr in Form von ultraviolettem Licht ausgelöst – der hohe Ertrag der Reaktion pro Energieeinheit weist darauf hin, dass es sich um eine Kettenreaktion handelt. Bei dieser wird, wenn erst einmal ein Halogenradikal vorhanden ist, durch den Reaktionsverlauf beständig ein neues nachgebildet, jedenfalls so lange, bis der Überschuss an Halogenatomen abgebaut ist. Es handelt sich hier also um eine radikalische Substitution.
Wie bei jeder Kettenreaktion existieren bei den Halogenierungsreaktionen drei Schritte:
Initiierung: Die zweiatomigen Halogenmoleküle werden zum Beispiel durch energiereiche Lichteinstrahlung homolytisch, also bei symmetrischer Aufteilung der Elektronen, in Radikale aufgespalten:
Propagierung Schritt 1: Ein Halogenradikal löst ein Wasserstoffatom aus einem Alkanmolekül heraus und lässt ein Alkylradikal zurück:
Propagierung Schritt 2: Ein Alkylradikal löst aus einem Halogenmolekül ein Halogenatom heraus und lässt ein Halogenradikal zurück:
Schritt 1 und Schritt 2 wechseln sich bei der Reaktion kontinuierlich ab – es entsteht aus wenigen anfänglichen Chlorradikalen eine immer größere Zahl an Reaktionsprodukten.
Terminierung: Die Reaktion stoppt, wenn die Wahrscheinlichkeit zweier Radikale, aufeinanderzutreffen, größer wird als diejenige, auf ein Ausgangsprodukt (oder ein noch nicht vollständig halogenisiertes Alkan) zu treffen. Es kommt in diesem Fall zur Rekombination:
Obwohl auch die letzte dieser Terminierungsreaktionen zu Halogenalkanen führt, ist die Zahl der so erzeugten Produkte vernachlässigbar gegenüber der Zahl der bei der Kettenreaktion entstandenen.
In der vorstehenden Betrachtung wurde keine Aussage dazu gemacht, welche Wasserstoffatome im Falle eines gegebenen Alkans zuerst ersetzt werden. Für die wichtigsten Fälle des Methans oder Ethans stellt sich diese Frage nicht, da alle Wasserstoffatome äquivalent sind. Ab dem Propan sind jedoch manche von ihnen an sekundäre oder tertiäre Kohlenstoffatome gebunden, also solche mit zwei beziehungsweise drei Bindungen zu anderen Kohlenstoffatomen. Diese Bindungen sind schwächer, was sich bei Halogenierungen dadurch auswirkt, dass bevorzugt die an einem sekundären beziehungsweise gar tertiären Kohlenstoff sitzenden Wasserstoffatome durch Halogene ersetzt werden.
Beispiel: 2-Chlorpropan CH3–CHCl–CH3 tritt im Vergleich zum 1-Chlorpropan CH2Cl–CH2–CH3 als Reaktionsprodukt häufiger auf, als dies statistisch zu erwarten wäre.
Die Reaktionsraten sind für die vier Halogene extrem unterschiedlich. Bei 27 °C beträgt das Verhältnis
F : Cl : Br : I = 140.000 : 1300 : 9 · 10−8 : 2 · 10−19.
Daraus lässt sich der unterschiedliche Verlauf der Reaktionen schon ablesen: Mit Fluor reagieren die Alkane kaum kontrollierbar, mit Chlor moderat, mit Brom schwach und nur unter Lichteinwirkung, mit Iod dagegen praktisch gar nicht.
Die Iodierung ist sogar energetisch ungünstig, daher wird Iod bei Halogenisierungsreaktionen als Radikalfänger verwendet, um die Kettenreaktionen abzubrechen. Durch Anhalten der Substitutionsreaktion lässt sich diese teilweise steuern, um die Ausbeute eines bestimmten Reaktionsproduktes zu erhöhen.
Technisch von Bedeutung sind vor allem chlorierte und fluorierte Methangase, die Reaktion zu ihnen kann allerdings zur Explosion führen. Trichlormethan wurde früher unter dem Namen Chloroform als Narkosemittel eingesetzt, Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe dienten lange Zeit als Treibmittel, bis sie durch ihre schädlichen Einwirkungen auf die Ozonschicht der Erde an Bedeutung verloren.
Chemisch nachweisbar sind Halogenalkane mit Hilfe der Beilsteinprobe.
Cracken und Reformierung
Wichtige Reaktionen bei der Aufbereitung von Rohöl sind das Cracken und die Reformierung.
Bei Ersterem werden aus höheren Alkanen unter hohem Druck und bei hoher Temperatur die wesentlich begehrteren niederen Alkane gewonnen. An Katalysatoren wie Aluminiumoxid kommt es zur Aufspaltung von C-C-Bindungen. Beispiel
Durch Rekombination setzen sich diese wieder zu neuen Alkanen zusammen. Beispiel:
Durch geeignete Reaktionsbedingungen lässt sich sicherstellen, dass als Folge dieser Reaktionen in erster Linie kurze Alkanmoleküle entstehen. Auf demselben Wege lassen sich auch störende Nebenreaktionen wie die Bildung von Alkenen weitgehend unterbinden. Meist wird beim Cracking noch Wasserstoff zugesetzt, um Verunreinigungen wie Schwefel oder Stickstoff zu entfernen – man spricht dann entsprechend vom Hydrocracking.
Die Reformierung ist dagegen bei Alkangemischen notwendig, die als Benzin Einsatz finden sollen. Dazu werden unverzweigte Alkane, die für diesen Zweck ungünstige Verbrennungseigenschaften haben, an Katalysatoren in verzweigte Alkane und Arene, also aromatische Kohlenwasserstoffe, umgewandelt.
Weitere Reaktionen
Mithilfe von Nickel-Katalysatoren kann aus den Alkanen bei einer Reaktion mit Wasserdampf Wasserstoff gewonnen werden. Weitere Reaktionen der Alkane sind die Sulfochlorierung und die Nitrierung, eine Reaktion mit Salpetersäure, die aber beide besondere Bedingungen erfordern. Technisch weitaus bedeutender ist die Fermentation zu Alkansäuren.
Gefahren
Alkane können aufgrund ihrer Brennbarkeit eine Gefahr darstellen; mit zunehmenden Kohlenstoffanteilen steigt allerdings auch der Flammpunkt. Alle gasförmigen und flüssigen Alkane bis zu einem Flammpunkt von 55 °C bilden mit Luft bzw. Sauerstoff explosionsfähige Gemische.
Alkane sind zudem Gefahrstoffe aufgrund ihrer gesundheitsschädlicher Eigenschaften, ihr MAK-Wert ist aber relativ hoch angesetzt. Für Pentan beträgt er 3000 mg/m³, für Hexan nur 180 mg/m³. Pentan, Hexan, Heptan und Octan sind darüber hinaus umweltgefährlich und höhere Alkane sind meist nur noch reizend eingestuft oder gar keine Gefahrstoffe mehr.
Darstellung
Die Alkane mit wenigen Kohlenstoffatomen können aus den Elementen selbst hergestellt werden; höhere Alkane müssen nach dem Bergius-Verfahren unter hohem Druck produziert werden. Einige der Reaktionen haben einen eigenen Namen erhalten.
Die Darstellung von Alkanen kann auf mehrere Weisen erfolgen:
über katalytische Hydrierung von Alkenen, etwa gemäß
Darstellung aus Halogenalkanen mit Hilfe von Wasserstoff. Beispiel:
über die Kolbe-Elektrolyse; hierbei werden Alkancarboxylate zum Radikal reduziert, das unter Kohlendioxidabgabe in Alkylreste zerfällt, diese dimerisieren zu Alkanen.
über die Wurtzsche Synthese, hierbei entstehen Alkane unter Bildung von Metallhalogeniden aus Halogenalkanen und Metallorganylen. Allgemeine Reaktionsgleichung:
über das Bergius-Verfahren, die Herstellung der Alkane erfolgt unter hohem Druck aus Kohle und Wasserstoff.
über das Fischer-Tropsch-Verfahren, die Herstellung von flüssigen Alkanen erfolgt aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff. Beispiel:
Im Jahre 1985 wurde eines der längsten jemals synthetisierten Alkane dargestellt; es besteht aus Molekülen mit einer Kettenlänge von genau 390 Kohlenstoffatomen (C390H782).
Vorkommen
Alkane kommen sowohl auf der Erde als auch im Sonnensystem vor, allerdings nur etwa die ersten 100, die meisten davon lediglich in Spuren. Von großer Bedeutung auf anderen Himmelskörpern sind in erster Linie die leichten Kohlenwasserstoffe: So konnten die beiden Gase Methan und Ethan sowohl im Schweif des Kometen Hyakutake als auch in einigen Meteoriten, den so genannten kohligen Chondriten nachgewiesen werden. Sie bilden zudem einen wichtigen Anteil der Atmosphären der äußeren Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Auf dem Saturnmond Titan wurden sogar lange Zeit ganze Ozeane aus diesen und langkettigeren Alkanen vermutet, heute geht man allerdings davon aus, dass allenfalls kleinere Seen aus Ethan existieren. Auf dem Mars wurden Methanspuren in der Atmosphäre entdeckt, was den bisher stärksten Hinweis auf Lebewesen (Bodenbakterien) auf diesem Planeten darstellt.
Auf der Erde kommt Methan in Spuren in der Atmosphäre vor, der Gehalt beträgt etwa 0,0001 Prozent oder 1 ppm („parts per million“) und wird in erster Linie von den bakterienartigen Archaeen erzeugt. Der Gehalt in den Ozeanen ist aufgrund der fehlenden Löslichkeit in Wasser vernachlässigbar, Methan findet sich allerdings unter hohem Druck und bei niedriger Temperatur in Wassereis eingefroren am Grunde der Meere als so genanntes Methanhydrat. Obwohl es bis heute nicht kommerziell abgebaut werden kann, übersteigt der Brennwert der bekannten Methanhydratfelder den Energiegehalt aller Erdgas- und Erdölvorkommen zusammengerechnet um ein Mehrfaches – aus Methanhydrat gewonnenes Methan gilt daher als Kandidat für zukünftige Brennstoffe.
Die heute wichtigsten kommerziellen Quellen für Alkane sind jedoch eindeutig Erdgas und Erdöl, die als einzige organische Verbindungen mineralisch in der Natur vorkommen. Erdgas enthält in erster Linie Methan und Ethan, daneben auch Propan und Butan, Erdöl besteht dagegen aus einem Gemisch flüssiger Alkane und anderer Kohlenwasserstoffe. Beide entstanden, als tote Meerestiere unter Sauerstoffabschluss von Sedimenten bedeckt und im Verlauf vieler Millionen Jahre bei hohen Temperaturen und hohem Druck zu den jeweiligen Naturstoffen umgewandelt wurden. Erdgas entstand dabei beispielsweise durch folgende Reaktion:
Sie sammelten sich dann in porösen Gesteinen, die nach oben durch undurchlässige Schichten abgedichtet waren. Anders als Methan, das ständig in großem Maße neu gebildet wird, entstehen höhere Alkane in der Natur nicht in nennenswertem Umfang neu. Ihr Vorkommen wird in einigen Jahrzehnten daher erschöpft sein.
Feste Alkane kommen als Verdunstungsrückstand zutage getretenen Erdöls, als so genanntes Erdwachs vor. Eines der größten Vorkommen natürlicher fester Alkane befindet sich im so genannten Asphaltsee von La Brea auf der Karibik-Insel Trinidad.
Verwendung und Weiterverarbeitung
Alkane sind zum einen bedeutende Grundstoffe der chemischen Industrie, wo sie zum Beispiel zu Kunststoffen weiterverarbeitet werden, zum anderen die wichtigsten Brennstoffe der Weltwirtschaft.
Ausgangspunkt der Verarbeitung sind immer Erdgas und Erdöl. Letzteres wird in der Erdölraffinerie durch fraktionierte Destillation aufgetrennt und dann zu vielen weiteren wichtigen Produkten wie zum Beispiel Benzin weiterverarbeitet. Dazu wird ausgenutzt, dass unterschiedliche „Fraktionen“ des Rohöls unterschiedliche Siedepunkte besitzen und so leicht voneinander getrennt werden können. Innerhalb der einzelnen Fraktionen liegen die Siedepunkte dagegen eng beieinander.
Das jeweilige Einsatzgebiet eines bestimmten Alkans lässt sich recht gut nach der Zahl der enthaltenen Kohlenstoffatome einteilen, obwohl die folgende Abgrenzung idealisiert ist und nicht streng gilt:
Die ersten vier Alkane werden hauptsächlich für Heiz- und Kochzwecke verwendet. Methan und Ethan sind die Hauptbestandteile von Erdgas; sie werden normalerweise unter Druck in gasförmigem Zustand gelagert. Ihr Transport ist allerdings im flüssigen Zustand günstiger, das Gas muss zu diesem Zweck dann durch hohen Druck komprimiert werden.
Propan und Butan lassen sich dagegen schon durch niedrigen Druck verflüssigen und kommen daher im Flüssiggas vor, das als Kraftstoff benutzt wird – als Autogas in Verbrennungsmotoren und in der Landwirtschaft beim Antrieb von Traktoren. Propan kommt zum Beispiel im Propangasbrenner, Butan in Feuerzeugen zum Einsatz – beim Austritt geht die unter leichtem Druck stehende Flüssigkeit, die zu 95 Prozent aus n-Butan und zu 5 Prozent aus iso-Butan besteht, in ein Gemisch aus Gas und feinen Tröpfchen über und lässt sich so leicht entzünden. Daneben werden die beiden Alkane als Treibmittel in Spraydosen genutzt.
Pentan bis Octan sind leicht flüchtige Flüssigkeiten und daher als Brennstoff in gewöhnlichen Verbrennungsmotoren brauchbar, da sie beim Eintritt in die Verbrennungskammer leicht in den gasförmigen Zustand übergehen und dort keine Tröpfchen bilden, was die Gleichmäßigkeit der Verbrennung beeinträchtigen würde. Im Treibstoff sind nur verzweigte Alkane erwünscht, weil sie nicht wie die unverzweigten leicht zur Frühzündung neigen. Ein Maß für die Frühzündung einer Benzinart ist ihre Oktanzahl. Sie gibt an, in welchem Maße ein Stoff zur frühzeitigen Selbstentzündung neigt. Als Bezugszahl für die Oktanwerte wurden willkürlich die zwei Alkane Heptan (n-Heptan) und iso-Octan (2,2,4-Trimethylpentan) gewählt, die jeweils die Oktanzahl 0 (Heptan, neigt zu Frühzündung) und die Oktanzahl 100 (iso-Octan, neigt kaum zur Selbstentzündung) erhielten. Die Oktanzahl eines Treibstoffes gibt an, wie viel Vol.-% iso-Octan in einer Mischung aus iso-Octan und Heptan seinen Klopfeigenschaften entspricht. Neben ihrer Funktion als Brennstoff sind die mittleren Alkane auch gute Lösungsmittel für unpolare Substanzen.
Alkane von Nonan bis etwa zum Hexadecan, einem Alkan mit sechzehn Kohlenstoffatomen, sind Flüssigkeiten von höherer Viskosität, sind also zähflüssiger und eignen sich daher mit zunehmender Kohlenstoffzahl immer schlechter für den Einsatz in gewöhnlichem Benzin. Sie bilden stattdessen den Hauptbestandteil von Dieselkraftstoff und Flugbenzin. Da sich die Wirkweise eines Dieselmotors oder einer Turbine grundlegend von derjenigen eines Otto-Motors unterscheidet, spielt ihre größere Zähflüssigkeit hier keine Rolle. Wegen seines hohen Gehalts an langkettigen Alkanen kann Dieselkraftstoff bei tiefen Temperaturen allerdings fest werden, ein Problem, das sich hauptsächlich in polnahen Gebieten stellt. Schließlich sind die angegebenen Alkane Teil des Petroleums und wurden früher in Petroleumlampen eingesetzt.
Alkane vom Hexadecan aufwärts bilden die wichtigsten Bestandteile von Heizöl und Schmieröl. In Letzterer Funktion wirken sie gleichzeitig als Antikorrosionsmittel, da durch ihre hydrophobe Art kein Wasser an die korrosionsgefährdeten Teile gelangen kann. Viele feste Alkane finden Verwendung als Paraffinwachs, aus dem zum Beispiel Kerzen hergestellt werden können. Es sollte allerdings nicht mit echtem Wachs verwechselt werden, das in erster Linie aus Estern besteht.
Alkane mit einer Kettenlänge von etwa 35 oder mehr Kohlenstoffatomen finden sich in Asphalt, werden also unter anderem als Straßenbelag eingesetzt. Insgesamt haben die höheren Alkane allerdings wenig Bedeutung und werden deshalb meist durch Cracken in niedere Alkane zerlegt.
Alkane in der belebten Natur
Alkane kommen in der Natur auf vielfältige Weise vor, zählen aber biologisch nicht zu den essentiellen Stoffen.
Alkane bei Bakterien und Archaeen
Bestimmte Bakterienarten setzen Alkane in ihrem Stoffwechsel um. Dabei werden geradzahlige Kohlenstoffketten von ihnen bevorzugt, weil diese leichter abbaubar sind als ungeradzahlige.
Umgekehrt produzieren manche Archaeen, die so genannten Methanbildner, in großen Mengen das leichteste Alkan, Methan, aus Kohlendioxid. Die dazu notwendige Energie gewinnen sie durch Oxidation molekularen Wasserstoffs:
Methanbildner sind auch die Erzeuger des in Mooren und Sümpfen freiwerdenden Sumpfgases, das auf ähnliche Weise in den Faultürmen der Klärwerke entsteht, und setzen jährlich etwa zwei Milliarden Tonnen Methan frei – der atmosphärische Gehalt an diesem Gas ist praktisch ausschließlich von ihnen erzeugt worden.
Auch der Methanausstoß der Cellulose verdauenden Pflanzenfresser, u. a. den Wiederkäuern – speziell den Rindern, die täglich bis zu 150 Liter freisetzen können – bis zu den Termiten geht letztlich auf Methanbildner zurück. In – allerdings kleinerem – Maßstab produzieren sie dieses einfachste aller Alkane auch im Darm des Menschen. Methanbildende Archaeen sind daher entscheidend am Kohlenstoffkreislauf beteiligt, in dem sie photosynthetisch gebundenen Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre zurückführen. Die heutigen Erdgasvorkommen gehen wahrscheinlich zu einem großen Teil auf diese Lebewesengruppe zurück.
Alkane bei Pilzen und Pflanzen
Auch bei den drei eukaryotischen Hauptgruppen der Lebewesen, den Pilzen, Pflanzen und Tieren spielen Alkane eine gewisse, wenn auch insgesamt untergeordnete Rolle. Bei Ersteren treten hauptsächlich die flüchtigeren Vertreter auf und zwar in den Sporen; einige spezialisierte Hefen, die Alkanhefen, nutzen Alkane zudem als Energie- und Kohlenstoffquelle. Der Kerosinpilz (Amorphotheca resinae) verstoffwechselt bevorzugt Flugbenzin aus langkettigen n-Alkanen.
Bei Pflanzen finden sich neben verzweigten, cyclischen, ungesättigten und Heterokomponenten enthaltenden organischen Substanzen in erster Linie die langkettigen festen Vertreter; sie bilden zusammen mit den anderen Verbindungen bei fast allen eine feste Wachsschicht, welche die an der Luft freiliegende Außenhaut, die Cuticula, bedeckt. Ihre Funktion liegt zum einen im Schutz gegen Austrocknung, zum anderen in der Vorsorge gegen Auswaschung wichtiger Minerale durch Regen und schließlich in der Abwehr von Bakterien, Pilzen und Schadinsekten – Letztere sinken mit ihren Beinen oft in die weiche wachsartige Substanz ein und werden dadurch beim Laufen behindert. Auch die glänzende Schicht auf Früchten wie Äpfeln besteht aus langkettigen Alkanen. Die Kohlenstoffketten sind meist zwischen zwanzig und vierzig Atome lang und haben Alkansäuren als Vorläuferverbindungen in der Wachssynthese der Pflanzen. Da die Alkansäuren aus C2-Einheiten aufgebaut werden (Citratcyclus) und Alkane durch Verlust der Carboxygruppe – der Decarboxylierung – gebildet werden, weisen Blattwachsalkane höherer Landpflanzen eine ungeradzahlige Kohlenstoffzahlbevorzugung im oben genannten Kohlenstoffzahlbereich auf. Die genaue Zusammensetzung der Wachsschicht ist nicht nur artabhängig, sondern wechselt auch mit der Jahreszeit und hängt zudem von Umweltfaktoren wie Lichtverhältnissen, Temperatur oder Luftfeuchte ab. Jedoch wurde herausgefunden, dass insbesondere Gräser, am deutlichsten Gräser der tropischen und subtropischen Vegetationszonen (in Steppen und Savannen) sich im Vergleich zu Bäumen und Sträuchern deutlich in den Kettenlängenverteilungsmustern der Alkane durch einen leichten Versatz zu längeren Kohlenstoffketten auszeichnen. Diese Tatsache nutzen z. B. Agrarwissenschaftler in der Ernährungsforschung von Herbivoren, als auch Klimaforscher zur Beurteilung der klimaabhängigen Grasverteilung der Erde in der geologischen Vergangenheit.
Alkane bei Tieren
Bei Tieren treten Alkane in ölhaltigen Geweben auf, spielen dort im Gegensatz zu den ungesättigten Kohlenwasserstoffen aber keine bedeutende Rolle. Ein Beispiel ist die Haileber, aus der sich ein Öl gewinnen lässt, das zu etwa 14 Prozent aus Pristan besteht, einem Alkan mit der Strukturbezeichnung 2,6,10,14-Tetramethylpentadecan (C19H40). Wichtiger ist das Vorkommen in Pheromonen, chemischen Botenstoffen, auf die vor allem Insekten zur Kommunikation angewiesen sind. Bei manchen Arten, wie dem Bockkäfer Xylotrechus colonus, der vor allem n-Pentacosan (C25H52), 3-Methylpentacosan (C26H54) und 9-Methylpentacosan (C26H54) produziert, werden sie durch Körperkontakt übertragen, so dass man von Kontaktpheromonen spricht. Auch bei anderen wie der Tse-Tse-Fliege Glossina morsitans morsitans, deren Pheromon vorrangig aus den vier Alkanen 2-Methylheptadecan (C18H38), 17,21-Dimethylheptatriacontan (C39H80), 15,19-Dimethylheptatriacontan (C39H80) und 15,19,23-Trimethylheptatriacontan (C40H82) besteht, wirken die Stoffe über Körperkontakt und dienen als Sexuallockstoff – ein Umstand, den man sich bei der Bekämpfung dieses Krankheitsüberträgers zunutze macht.
Alkane und ökologische Beziehungen
Ein Beispiel, bei dem sowohl die pflanzliche als auch die tierische Alkannutzung eine Rolle spielt, bietet die ökologische Wechselbeziehung zwischen der zu den Sandbienen (Andrena) gehörigen Art Andrena nigroaenea und der zu den Orchideen (Orchidaceae) gezählten Großen Spinnen-Ragwurz (Ophrys sphegodes). Letztere ist zur Bestäubung auf Erstere angewiesen. Auch Sandbienen nutzen zur Partnerfindung Pheromone; im Falle von Andrena nigroaenea setzen die Weibchen der Art ein Gemisch ein, dass aus Tricosan (C23H48), Pentacosan (C25H52) und Heptacosan (C27H56) im Verhältnis 3:3:1 besteht – Männchen werden durch genau diesen Duftstoff angelockt. Die Orchidee macht sich diesen Umstand zunutze – Teile ihrer Blüte ähneln nicht nur optisch den Sandbienen, sondern strömen auch große Mengen der oben genannten drei Substanzen aus – und zwar in demselben Verhältnis. Selbst das die Blätter bedeckende Wachs hat die gleiche chemische Zusammensetzung wie der Sexuallockstoff der weiblichen Bienen. Als Resultat werden zahlreiche Männchen zu den Blüten gelockt und vollführen dort so genannte Pseudokopulationen, unternehmen also den Versuch, sich mit einer imaginären Partnerin auf der Blüte fortzupflanzen. Während dieses Unterfangen naturgemäß für die Bienen nicht von Erfolg gekrönt ist, wird durch die Kopulationsversuche Pollen auf das jeweilige Insekt übertragen, der nach frustriertem Abzug desselben zu anderen Blüten verbracht werden kann, also der Fortpflanzung der Orchidee dient. Die Spinnen-Ragwurz ist durch diesen als chemische Mimikry bezeichneten Alkaneinsatz in der Lage, auf die energieintensive Produktion konventioneller Insektenlockmittel weitgehend zu verzichten.
Literatur
Peter W. Atkins: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie. Wiley-VCH, Weinheim 2001, ISBN 3-527-30433-9.
Peter Pfeifer, Roland Reichelt (Hrsg.): H2O & Co Organische Chemie. Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-16032-X.
Kurt Peter C. Vollhardt, Neil E. Schore: Organische Chemie. Wiley-VCH, Weinheim 2000, ISBN 3-527-29819-3.
Eberhard Breitmaier, Günther Jung: Organische Chemie. Thieme, Stuttgart 2001, ISBN 3-13-541504-X.
F. Rommerskirchen, A. Plader, G. Eglinton, Y. Chikaraishi, J. Rullkötter: Chemotaxonomic significance of distribution and stable carbon isotopic composition of long-chain alkanes and alkan-1-ols in C4 grass waxes. In: Organic Geochemistry, 37, 2006, S. 1303–1332; doi:10.1016/j.orggeochem.2005.12.013.
Weblinks
Enzyklopädie: Struktur, Bindungsverhältnisse, Vorkommen, Verwendung, Eigenschaften und Aufbau, Cracking
Eigenschaften, Vorkommen, Nomenklatur und Isomere
Schülergerechte Erläuterungen
Einzelnachweise
Stoffgruppe
Alkane
Alkane
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Q41581
| 111.475936 |
167622
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https://de.wikipedia.org/wiki/Oran
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Oran
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Oran (, tamazight ⵡⴻⵀⵔⴰⵏ Wehran) ist eine Küstenstadt in der gleichnamigen Provinz im Westen von Algerien.
Sie ist nach der Hauptstadt Algier die zweitgrößte Stadt des Landes und eine bedeutende Industriestadt (Metall-, chemische, Leicht-, Lebensmittelindustrie). Sie besitzt einen Hafen, den Flughafen Oran Es Sénia und ist Kulturzentrum mit Universität, Theater und Museen.
Oran ist auch der Ort des fiktiven Geschehens des Romans Die Pest des französischen Schriftstellers Albert Camus, der einen Pestausbruch in den 1940er Jahren beschreibt und der 1947 erschien. Vier Jahre zuvor hatte der italienische Schriftsteller Raoul Maria de Àngelis den Roman La peste a Urana (Die Pest in Urana) veröffentlicht. Oran ist die Heimatstadt des Raï.
In Oran ist das algerische Raumfahrtentwicklungszentrum Centre de développement spatial der algerischen Weltraumbehörde Agence Spatiale Algérienne beheimatet.
Klima
Oran befindet sich in der subtropischen Klimazone. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 17,7 Grad Celsius, die jährliche Niederschlagsmenge 366 Millimeter im Mittel. Die wärmsten Monate sind Juli und August mit durchschnittlich 24,2 bis 24,8 Grad Celsius, die kältesten Monate Dezember bis Februar mit 11,7 bis 12,4 Grad Celsius im Mittel. Der meiste Niederschlag fällt von Oktober bis April mit durchschnittlich 32 bis 67 Millimeter, der wenigste von Mai bis September mit eins bis 19 Millimeter im Mittel.
Geschichte
Oran wurde der Legende nach im Jahr 902 von den andalusischen Kaufleuten Mohammed ben-Abbi-Aoun und Mohammed ben-Abdoun gegründet. Sie errichteten mit Hilfe lokaler Seefahrer eine Handelsstation namens Orhan oder Ouarhan, doch bereits 910 wurde diese von den Fatimiden erobert und niedergebrannt. 1083 nahmen die Almoraviden Oran ein. Ihnen folgten 1137 die Almohaden und ab 1242 die Meriniden. Mit dem Niedergang des Reichs der Abdalwadiden, die Oran ab 1360 regierten, wechselte die Stadt erneut den Besitzer. Die Katholischen Könige eroberten 1505 den nahen Korsaren-Hafen Mers el Kebir (Mazalquivir) für Kastilien und Aragón. Oran fiel am 17. Mai 1509 an die Spanier unter Kardinal Francisco Jiménez de Cisneros. Die spanische Monarchie machte aus Oran einen Verbannungsort für in Ungnade gefallenes politisches Personal.
1698–1708 entstand das Fort de Santa-Cruz (Bordj el-Djebel). 1709 mussten sie sich nach einer Belagerung durch die Mauren ergeben. Diese konnten unter Führung von Mustafa Ben Youssef währen 25 Jahren die Kontrolle über Oran erhalten. 1732 wurde Oran unter Philipp V. zurückerobert. Die Spanier waren überraschend am 22. Juni 1732 vor Oran gelandet. Am 24. Juni kam es zur Schlacht bei Mazalquivir, in der die Mauren geschlagen wurden. Diese zogen sich in die Stadt zurück und ergaben sich am 27. Juni 1732. Die Spanier blieben bis 1790, bauten zwischenzeitlich mit dem Fort Lamoune von 1742 noch eine weitere Stadtfestung in Meeresnähe, ein Schutz des westlichen Stadtrands. 1792 verkauften sie Oran, oder was nach dem Erdbeben vom 8.–9. Oktober 1790 davon noch übrig war, insbesondere die unbeschadete Bergfestung, an die Osmanen unter Mohammed el-Kebir. Beim Erdbeben waren rund 2000 Menschen gestorben. 1797 wurde die Hassan-Pascha-Moschee errichtet. Die Beylik des Westens verlegten ihre Residenz von Muaskar nach Oran, das sie bis zur kampflosen Übergabe an General Bertrand Clausel am 4. Januar 1831 regierten.
Die Herrschaft der Osmanen endete 1831, als Frankreich Oran in Besitz nahm und rund 90 % der damals etwa 10.000 Einwohner aus der Stadt vertrieb. Die Bevölkerung Westalgeriens leistete Widerstand und rief 1832 in Oran Abd el-Kader zum Emir aus, den die Franzosen widerwillig 1834 als Bey von Oran anerkannten, was 1837 im Vertrag von Tafna bestätigt wurde. 1847 wurde Abd el-Kader nach Syrien deportiert.
Am 12. Oktober 1844 erschien die erste Nummer der Lokalzeitung L’Écho d’Oran in der Stadt mit 13.222 Einwohnern. Bereits in jenem Jahr lebtem mit 4322 Personen mehr Iberer als Franzosen (1740) in der Stadt. Die Zahl der jüdischen Einwohner Orans erreichte 4287 Personen. Das Jahr 1849 brachte die Cholera. Man beeilte sich, auf dem Murdajadji die erste Chapelle de Santa-Cruz zu errichten, die am 9. Mai 1850 geweiht wurde.
Die muslimische Vorstadt wurde von den Franzosen als Village nègre bezeichnet. Das Armenviertel wurde auch von zahlreichen Juden und Schwarzafrikanern bewohnt. Es wurde in militärisch leicht kontrollierbarer Schachbrettanlage ab dem 20. Juni 1845 westlich des Stadtteils Saint-Michel nahe der neuen Militärkaserne errichtet und bot einem arabischen Markt für Touristen. 1896 hatte Oran 85.081 Einwohner, davon waren 24.088 Franzosen und 33.873 weitere Europäer. 16.466 Einwohner waren Muslime und 10.654 waren Juden. Europäer, die Zeit und Geld hatten, ließen sich zum Aussichtspunkt Belvédère kutschieren. Muslime fanden sich unweit davon an der Koubia des Marabout Abd el-Kader el-Djilali ein. Europäern war auch die Promenade de Létang (sic) willkommen, bot sie doch einen Musikpavillon und andere Annehmlichkeiten in ihrem ausgedehnten Park mit Sicht auf das Meer. In der Rue de la Révolution befand sich der protestantische Temple.
Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens nach französischer Art war die Place d’Armes mit der anschließenden Allée des Promeneurs und dem Boulevard Séguin. Ein prachtvolles Stadthaus gönnten sich die Oranais 1888, ein klassizistisches Theatergebäude 1906, der Zentralbahnhof eröffnete 1912. Das Sendungsbewusstsein des Vorpostens vertrat der Oranais Eugène Étienne in der Chambre des députés der Dritten Republik als Vorsitzender der parlamentarischen Groupe colonial, einer Pressure Group, die der Metropole ihre kolonialen Vorstellungen kommunizierte.
1911 stellten Spanier und durch die „Gesetze für automatische Einbürgerung“ seit 1889 als Franzosen eingebürgerten Spanier 65 % der europäischen Stadtbevölkerung. 1911 lebten in der ganzen Region Oran 92.000 eingebürgerte Spanier und 93.000 Spanier, deren Einbürgerung noch ausstehend war. Juden lebten zahlreich in der Rue d’Austerlitz, der sogenannten Rue des Juifs. Bald erschien die dortige alte Synagoge zu beengt, worauf die Große Synagoge am Boulevard du Maréchal Joffre eröffnet wurde. Bei den von Algerienfranzosen durchgeführten antisemitischen Ausschreitungen von 1897 flohen viele Juden, die seit dem Décret Crémieux von 1870 Franzosen waren, aus anderen Stadtteilen in den Schutz des muslimischen Stadtteils, um dem Gewaltausbruch der Franzosen zu entgehen. Jedoch zwangen uniformierte Polizeibeamte einige muslimische Algerier dazu, sich an den Übergriffen zu beteiligen, schwebte doch antisemitischen Franzosen in Algerien eine Allianz von Franzosen und Muslimen gegen die Juden als erstrebenswertes Ziel vor. Im Mai 1898 wurde der Oranais Firmin Faure, als einer von vier algerischen Antisemiten, in die französische Nationalversammlung nach Paris gewählt. 1921 wurde Jules Molle (1868–1931), ebenfalls ein bekennender Antisemit und Direktor der Zeitung Le Petit Oranais, zum Bürgermeister gewählt.
1931 eröffnete das in einem modernistischen Stil gehaltene Maison du Colon, der Sitz sämtlicher landwirtschaftlichen Siedler-Organistationen der Region Oran. Der Bau bezeugte, wie Albert Camus 1939 in Le Minotaure ou la halte d’Oran ironisch schrieb, „Unerschrockenheit im Geschmack, Liebe zur Gewalt und ein synthetisches Verständnis von Geschichte“. Im Mai 1936 fand jedoch auch der linke Front populaire Zustimmung. Oran entsandte den SFIO-Politiker Maurice Dubois nach Paris. Der rechtsextreme Bürgermeister Gabriel Lambert, ein aus seinen Funktionen entlassener katholischer Priester, seit 1934 Bürgermeister von Oran, organisierte mit dem quasi-monopolistischen Seefahrtsunternehmen Scotto Ambrosino Pugliese und rechtsextremen Gruppen am 14. Juli 1936 über 50.000 Demonstranten gegen die Regierung des Front populaire. Dies waren zwei Mal mehr als die Unterstützer der Linksregierung einen Monat zuvor hatten aufbieten können. Dubois flüchtete mit Jean-Marie Guastavino aus Algier im Sommer 1940 noch vor der Vollmachterteilung an Marschall Philippe Pétain auf dem Schiff Massilia von Oran nach Casablanca.
Im Juli 1940 ließ der britische Premierminister Winston Churchill die im Hafen von Oran vor Anker liegende (vichy-)französische Flotte beschießen, um eine befürchtete Übernahme durch die Deutschen zu verhindern (Operation Catapult). Am 10. November 1942 wurde die Stadt im Rahmen der Operation Torch von US-amerikanischen Truppen eingenommen und diente als Ausgangspunkt der folgenden Landung auf Sizilien. 1942–1959 ließen die Europäer die Basilique de Santa-Cruz errichten.
Während der französischen Kolonialzeit hatte Oran den höchsten Prozentsatz an europäischer Bevölkerung in ganz Algerien, 1962 waren es 54 %. Die Gruppe der „Europäer“ gemäß der juristischen Definition der Kolonie bestand aus den Christen spanischer, italienischer und französischer Herkunft sowie den sephardischen Juden. Im Algerienkrieg und der chaotischen Zeit der Unabhängigkeit betrieb die rechte französisch-nationalistische Terrorgruppe OAS eine Politik der verbrannten Erde: Den verhassten Muslimen wollte man keine französischen Errungenschaften hinterlassen und so brannten Delta Commandos der OAS nicht nur Algiers Bücherei nieder, sondern sprengten auch die Stadthalle und vier Schulen. In Oran kamen durch Bombenanschläge der OAS im Mai 1962 täglich 10–15 Menschen ums Leben. Dafür und für über 100 Jahre der Unterdrückung rächte sich die Nationale Befreiungsfront (FLN) am 5. Juli 1962 mit einem Blutbad. Zwischen 95 und 3500 christliche Europäer wurden bei einem Massaker getötet. Die verbliebene europäische Bevölkerung wurde größtenteils enteignet und vertrieben. Auch zahlreiche frankophile Muslime wurden ermordet. Charles de Gaulle hatte indes bereits am 24. Mai 1962 seine Politik der Nichtintervention verkündet. Zahlreiche für Frankreich kämpfende Harki wurden von ihren französischen Offizieren entwaffnet und fielen der Rache des FLN zum Opfer. Seit 1962 ist Oran Teil des unabhängigen Staates Algerien.
Die Proteste des Arabischen Frühlings, die auf Algerien bezogen als „Unruhen in Algerien“ mediatisiert wurden, brachten in Oran nie mehr als 7000 Demonstranten auf die Straßen, was der EHESS-Studiendirektor Hamit Bozarslan mit dem Trauma des Algerischen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren mit insgesamt rund 200.000 Toten erklärt.
Bevölkerung und Religion
Oran hat 645.984 Einwohner (Berechnung 2012).
Bevölkerungsentwicklung:
Seit der Unabhängigkeit 1962 ist der Islam die mit Abstand wichtigste Religion in Oran. Es gibt etwa 93 % Muslime (1962 waren es nur ca. 44 %), 4 % sind Christen, 3 % sind Juden. In vielen Vierteln Orans findet man oft mehrere Moscheen. Die bekanntesten Moscheen in Oran sind:
Moschee Sidi El Houari
Moschee Eckmühl
Moschee El Mouahidine
Moschee Zin El abidine
Moschee Osama bno Zaid
Moschee el Fath
Moschee Maghrawa
Moschee Abubakr Es-Sedik
Wirtschaft
Durch den großen Hafen entwickelte sich die Stadt seit der Kolonialzeit zu einem wichtigen Industrie- und Handelszentrum. Unter anderem gibt es Chemieindustrie und Nahrungsmittelindustrie. Erdgas aus der algerischen Sahara erreicht über Pipelines Oran und wird von hier aus exportiert. Die Ost-West-Autobahn führt nahe an der Stadt vorbei.
Der Hafen „Marsa el Kebir“ ist ein wichtiger Umschlagplatz für Export und Import Algeriens. Die meisten algerischen Unternehmen haben ihren Hauptsitz in Oran. Die Industriegebiete Es Senia, Oued Tlilet, und Hassi Ameur sind für ihre vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen bekannt; dort werden Lebensmittel, Kleidung, Möbel und Papierwaren hergestellt. Oran hat seit der Einführung der Marktwirtschaft viele ausländische Investitionen angezogen und gilt als wichtiges Zentrum der algerischen Wirtschaft. Auch der Tourismus gilt als wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Oran hat eine große Garnison des algerischen Militärs. Das Hauptquartier der Militärregion Nordwest des algerischen Heeres und ein Stützpunkt der algerischen Marine sind in Oran.
Sehenswürdigkeiten
Sidi El Houari ist das Altstadtviertel und Wahrzeichen Orans.
Die Küste um Oran verfügt über eine große Anzahl von Sandstränden; z. B. die Strände Coralès, La Grande, Les Andalouses und Bousfer.
Das von den Spaniern im 16. Jahrhundert erbaute Fort von Santa Cruz überragt die Stadt in fast 400 m Höhe.
Die ab 1880 errichtete Große Synagoge war eine der größten jüdischen Gotteshäuser in Nordafrika, 1975 wurde sie beschlagnahmt und in die Abdellah-ben-Salem-Moschee umfunktioniert.
Die Kathedrale des Heiligen Herzens (Sacré-Coeur) wurde ab 1903 erbaut und dient heute als Bibliothek.
Das Museum Ahmed Zabana zeigt die Geschichte Algeriens und bietet einen Einblick in die Kultur der dort lebenden Menschen.
Das Musée d’art modern d’Oran zeigt Moderne Kunst.
Cimètiere Tamashouet, größter europäischer Friedhof Orans
Kulinarische Spezialitäten
Oran ist eine Küstenstadt, was bedeutet, dass Fisch eine wichtige Rolle einnimmt. Unter anderem findet Fisch auch bei der Zubereitung von Paella Verwendung. Dieses Gericht wurde in Oran von den Spaniern übernommen, die zweihundert Jahre lang Herren der Stadt waren.
Es gibt auch Fast Food, das bekannteste heißt Karantika, eine Oraner Spezialität, bei der ein Sandwich mit gebackenem Pudding aus Kichererbsenmehl gefüllt wird. Eine andere Spezialität in Oran ist Couscous mit Lammfleisch, Karotten, weißen Rüben, Melonenkürbis, Kichererbsen und grünen Zucchini. Eine weitere kulinarische Besonderheit in Oran ist Chorba, eine besonders gewürzte Nudelsuppe mit Gemüse.
Städtepartnerschaften
Alicante, Spanien
Bordeaux, Frankreich
Casablanca, Marokko
Dakar, Senegal
Dschidda, Saudi-Arabien
Durban, Südafrika
Gdańsk, Polen
Havanna, Kuba
Kairo, Ägypten
Lyon, Frankreich
Oujda, Marokko
Sfax, Tunesien
Zarqa, Jordanien
Söhne und Töchter der Stadt
Émilie Ambre (1854–1898), französische Opernsängerin
Ernest Libérati (1906–1983), französischer Fußballspieler
Joseph Alcazar (1911–1979), französischer Fußballspieler
Camille Malvy (1912–1999), französischer Fußballspieler
Jean Bastien (1915–1969), französischer Fußballspieler und -trainer
Kader Firoud (1919–2005), französischer Fußballspieler und -trainer
Léon Ashkénasi (1922–1996), französischer Rabbiner, Kabbalist und Philosoph
Armand Mouyal (1925–1988), französischer Fechter
Renée Gailhoustet (1929–2023), französische Architektin und Stadtplanerin
Errol Parker (1930–1998), US-amerikanischer Jazz-Schlagzeuger, Pianist, Bandleader und Komponist
Antoine Pascual (* 1933), französischer Fußballspieler
Kaddour Bekhloufi (1934–2019), algerischer Fußballspieler
Claude Dray (1935–2011), französischer Immobilienunternehmer und Kunstsammler
Yves Saint Laurent (1936–2008), französischer Modeschöpfer
Hélène Cixous (* 1937), französische Philosophin
Jean-Pierre Elkabbach (1937–2023), französischer Journalist
Bernard Murat (* 1941), französischer Theaterregisseur, Schauspieler, Drehbuchautor und Synchronsprecher
Pierre-Alain Dahan (1943–2013), französischer Jazz-Schlagzeuger
Jean Benguigui (* 1944), französischer Schauspieler
Hamid Skif (1951–2011), algerischer Schriftsteller und Journalist
Laurence Tubiana (* 1951), französische Wirtschaftswissenschaftlerin
Jean-Marc Foussat (* 1955), französischer Komponist und Improvisationsmusiker
Étienne Daho (* 1956), französischer Pop-Sänger
Alain Chabat (* 1958), französischer Schauspieler und Regisseur
Rachid Taha (1958–2018), algerisch-französischer Raï-Musiker
Philippe Corcuff (* 1960), französischer Soziologe
Catherine Destivelle (* 1960), französische Alpinistin
Cheb Khaled (* 1960), Raï-Sänger
Franck Amsallem (* 1961), französischer Jazz-Pianist und Komponist
Frédéric Perez (* 1961), französischer Handballspieler
Chaba Fadela (* 1962), algerische Schauspielerin und Sängerin
Mustapha Moussa (* 1962), algerischer Boxer
Gerhard Dammann (1963–2020), Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker
Philippe Parreno (* 1964), französischer Künstler und Filmemacher
Cheb Hasni (1968–1994), algerischer Raï-Sänger
Abdelhafid Tasfaout (* 1969), Fußballspieler
Ysa Ferrer (* 1972), französische Schauspielerin und Sängerin
Noureddine Daham (* 1977), algerischer Fußballspieler
Ali Kaaf (* 1977), Künstler
Hemza Mihoubi (* 1986), algerisch-französischer Fußballspieler
Weblinks
Einzelnachweise
Ort in Algerien
Ort mit Seehafen
Ort in Afrika
Hauptort einer Verwaltungseinheit
Hochschul- oder Universitätsstadt
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Q131818
| 90.845225 |
24530
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https://de.wikipedia.org/wiki/Aeneis
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Aeneis
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Aeneis oder veraltet Äneide ist ein Epos, das der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) auf der Grundlage insbesondere der Homer zugeschriebenen Ilias und Odyssee gestaltete.
Es schildert die Flucht des mythologischen Aeneas aus dem brennenden Troja und seine Irrfahrten, die ihn schließlich nach Latium (heutiges Mittelitalien) führen, wo er in der Gegend von Torvaianica an Land gegangen sein soll und zum Stammvater der Römer wird. Die ganze Aeneis erzählt damit einen wichtigen Gründungsmythos des Römischen Reiches als Herkunftssage (Ansippung) an die Trojaner.
Vergil arbeitete ab 29 v. Chr. bis zu seinem Tode an dem Epos, es besteht aus 12 Büchern mit insgesamt rund 10.000 hexametrischen Versen.
Die Aeneis ist ein Epos auf die Größe Roms und feiert die niemals endende Herrschaft (imperium sine fine) der Römer. Zugleich wirbt die Aeneis um Mitgefühl für die Opfer der römischen Vorherrschaft, die im Macht- und Intrigenspiel der Götter, im sinnlosen Aufbegehren der Göttin Juno gegen das Schicksal (fatum), ihr Leben lassen. In der Gestalt des Aeneas hat Vergil das Ideal des römischen Princeps dargestellt, des „ersten Bürgers“ als offizieller Titel der römischen Kaiser. Damit hat er einen Helden geschaffen, der sich nicht durch kriegerisches Draufgängertum auszeichnet, sondern durch sein Pflichtbewusstsein (pietas), das ihn alle eigenen Belange hintanstellen lässt. Aeneas ordnet sich bedingungslos seinem Ziel unter und zeigt starke Bindung an Autoritäten wie seinen Vater Anchises und an die Weisungen der Götter.
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau der Aeneis verbindet mehrere Gliederungskonzepte. Am auffälligsten ist die Aufteilung in eine „odysseische“ und eine „iliadische“ Hälfte: Die ersten sechs Bücher der Aeneis übernehmen viele Motive aus Homers Odyssee (zum Beispiel Seesturm, Irrfahrten, Abstieg in die Unterwelt). In den weiteren sechs Büchern, die die Kämpfe in Latium beschreiben, orientiert Vergil sich vornehmlich an der Ilias. Ferner gibt es Vierer-, Dreier- und Zweiergruppen.
Die Bücher 1 und 4 bilden einen Rahmen: Aeneas landet nach einem Seesturm, den Juno aus anhaltendem Zorn über das Urteil des Paris ihm und den entkommenen Trojanern geschickt hat, an der Küste Karthagos. Dort wird er von Königin Dido gastlich aufgenommen. Seine Mutter Venus möchte weitere Irrfahrten verhindern und sorgt deshalb dafür, dass sich Dido in den Gast verliebt. Zu diesem Zweck lässt sie den Liebesgott Amor die Gestalt von Aeneas’ Sohn Ascanius annehmen; dieser wird von Venus eingeschläfert und an ihren Kultort Idalium gebracht. Als sich Amor in Gestalt von Ascanius beim abendlichen Gastmahl auf Didos Schoß setzt, „vergiftet“ er die Königin mit Liebesleidenschaft zu Aeneas (Liebe wird als Gift und zerstörerische Flamme dargestellt).
In den Büchern 2 und 3 erzählt Aeneas bei diesem Gastmahl am Hofe Didos rückblickend vom Untergang Trojas und seinen Irrfahrten.
Im 2. Buch flieht er auf Geheiß Jupiters aus der brennenden Stadt, um ein neues Troja zu gründen. Er kann seinen Sohn Ascanius (Iulus), seinen Vater Anchises und die Penaten retten, nicht aber seine Frau Krëusa.
Im 3. Buch berichtet Aeneas von seiner bisherigen Reise (von Troja nach Karthago):
Nach der Abfahrt aus dem zerstörten Troja landet Aeneas zunächst in Thrakien, wo er eine Stadt nach seinem Namen zu gründen gedenkt. Doch als er die für das Opfer nötigen Zweige einiger Sträucher auf einem nahe gelegenen Hügel ausreißen möchte, tropft Blut aus ihnen hervor. Aeneas befindet sich auf einem Grabhügel, wie die Stimme des Bestatteten verrät – es handelt sich um Polydorus, einen jungen Sohn des Priamus –, die aus dem Inneren des Hügels dringt; die Zweige sind die Speere, mit denen der thrakische König Polymestor ihn ermordet hat. In der Versammlung wird der Beschluss gefasst, den Landsmann ordentlich zu bestatten und daraufhin das befleckte Land zu verlassen.
Auf Delos werden die Trojaner von König Anius empfangen; der dortige Orakelgott Apollo trägt den Trojanern auf, ihre „alte Mutter“ (antiqua mater) zu suchen; dort werde ihren künftigen Generationen die Weltherrschaft zuteil. Anchises, der Vater des Aeneas, deutet den Spruch auf die Kultheimat der Großen Mutter (Magna Mater) Kybele, nämlich Kreta, wohin die Trojaner auch gleich aufbrechen.
Die neu gegründete Stadt auf Kreta wird jedoch bald von einer Seuche heimgesucht, einer gefährlichen Dürre im Hochsommer; Tiere und Menschen lassen ihr Leben. Als Anchises eine Rückkehr zum Orakelgott erwägt, erscheinen nachts dem Aeneas im Auftrag des Apollo die Penaten, die Staatsgötter, und berichten ihm vom Unwillen des obersten Gottes Jupiter: Hier auf seiner Insel sei es ihnen nicht vergönnt zu bleiben, sie sollen vielmehr ihre Fahrt fortsetzen und Hesperien, auch Italien genannt, suchen.
Nach der Abfahrt aus Kreta geraten die Trojaner in einen dreitägigen Seesturm, der ihnen jede Orientierung raubt. Am vierten Tag landen sie auf den Strophaden, wo sie unbeaufsichtigte Rinder- und Kleintierherden vorfinden. Ausgehungert schlachten sie sie als Opfer für Jupiter und machen sich ans Schmausen; da greifen die Harpyien an und beflecken die Speisen mit ihren Ausscheidungen. Wiederholte Opferversuche werden durch immer neue Angriffe der widerlichen Vogelwesen vereitelt. Da entschließt sich Aeneas zum Krieg und legt einen Hinterhalt; mit dieser List werden die Harpyien zurückgetrieben, doch eine von ihnen namens Celaeno prophezeit ihnen mit Berufung auf die höchsten Autoritäten Apollo und Jupiter fluchartig eine schlimme Hungersnot bei ihrer Ankunft in Italien: sie werden sogar Tische verzehren müssen.
Nach Ithaka, der Heimat ihres Erzfeindes Odysseus, die sie im Vorbeifahren verfluchen, gelangen die Trojaner an den Strand von Actium, wo Aeneas Wettspiele veranstaltet und am dortigen Apollotempel den Schild des Griechen Abas weiht. (Die Station verweist implizit auf die Bedeutung des Orts als Schauplatz der Schlacht bei Actium.)
Um die Zeit des Wintereinbruchs kommen die Trojaner dann in Buthrotum an; dort hat Helenus, ein Sohn des Priamus, die Herrschaft über die Griechen übernommen, ihm zur Seite steht Andromache, die Witwe des vor Troja im Zweikampf gegen Achilleus gefallenen Hektor, des Bruders des Helenus. Ihr begegnet Aeneas zuerst, als sie gerade am Kenotaph ihres früheren Mannes opfert. Als sie die Trojaner erblickt, bricht sie in eine Art hysterischen Anfall aus und hält Aeneas zunächst für einen Geist. Erst allmählich kehrt ihre Besinnung zurück, und sie berichtet von ihrem Schicksal nach dem Fall Trojas – zunächst Sklavin und Bettgenossin des Pyrrhus, dann Gemahlin des Helenus. Da kommt Helenus herbei und zeigt ihnen die Stadt: eine Replik Trojas, komplett mit Burg und gleichnamigen Flüssen. Aeneas umarmt weinend die Pfosten der Scheinheimat. Nach Tagen der Bewirtung gemahnen günstige Winde zur Abfahrt. Helenus erteilt dem Aeneas in seiner Funktion als Priester des Apollo eine ausgedehnte Prophezeiung über den weiteren Fahrtverlauf und wie er sich zu verhalten habe. Insbesondere ein Opfer an Juno vor der Überfahrt von Sizilien nach Italien wird ihm nahegelegt. Nach Geschenken und Abschiedsworten setzen die Trojaner in einer nächtlichen Fahrt vom Fuße des Kerauniagebirges an die Ostküste Italiens über.
Freudig begrüßen die Trojaner von See aus die neue Heimat. Doch es kann kein Bleiben geben: Wie sie von Helenus erfahren haben, ist die Gegend von feindlich gesinnten Griechen besiedelt. Nach einem Opfer an Juno und Minerva am Tempel in Castrum Minervae und einem Omen von vier weißen Pferden, das Krieg, aber letztendlich auch Frieden verheißt, fahren die Trojaner Richtung Sizilien.
An der Straße von Messina gewahren die Trojaner die Rauchschwaden des Ätna und steuern den Anweisungen des Helenus zufolge hart links, um Scylla zu entgehen; sie geraten jedoch in die Charybdis und werden gegen Nacht orientierungslos an die Gestade der Kyklopen gespült. Dort begegnen sie am nächsten Tag dem verwahrlosten Achaemenides, einem Gefährten des Odysseus, der von diesem in der Höhle des Kyklopen Polyphem zurückgelassen wurde. Er bittet die Trojaner, ihn mitzunehmen, obwohl er Gefährte ihres bitteren Feindes sei, um ihn vor den Ungeheuern zu retten. Anchises reicht dem einstigen Feind die Hand. Gerade noch rechtzeitig entkommen sie durch eilige Abfahrt dem Polyphem, der einen gewaltigen Schrei ausstößt, als er sie nicht mehr erreichen kann. Da eilen die anderen Kyklopen herbei und bleiben drohend am Gestade stehen, ohne dass auch sie etwas ausrichten könnten.
Achaemenides führt sie nun an den Städten Siziliens vorbei. In Drepanum (heute Trapani) an der Westküste Siziliens stirbt Anchises, der Vater des Aeneas, unerwartet an Erschöpfung. Die Erzählung erreicht hier eine bemerkenswerte Kürze: Weder von der Bestattung des Vaters noch von der gastlichen Aufnahme durch Acestes berichtet Aeneas genau. Von Drepanum aus verschlug „ein Gott“ ihn nach Karthago, so endet der Held seine Erzählung.
Im 4. Buch entbrennt Dido offen für Aeneas. Venus und Juno, die Beschützerin Didos, schließen ein Zweckbündnis, und es kommt während eines Unwetters bei einer Jagd zur Liebesvereinigung in einer Höhle, begleitet von einer Art kosmischer Parodie eines Hochzeitsritus. Aeneas und Dido werden ein Paar; Dido nennt ihr Zusammensein „eheähnliche Verbindung“ (coniugium im Gegensatz zu conubium, der Rechtsform der Ehe), verbrämt damit aber, so der Dichter, nur ihre Schuld: denn sie hat geschworen, ihrem ermordeten Gatten Sychaeus eine univira (Frau eines Mannes) zu bleiben. Das Gerücht von der Affäre gelangt schließlich zu den Ohren Jupiters. Der sendet Mercurius los, um Aeneas an seinen Schicksalsauftrag zu erinnern. Aeneas gehorcht sofort und rüstet zur Abfahrt. Als Dido davon erfährt, macht sie ihm verzweifelte Vorhaltungen. Aeneas aber bleibt fest. Heimlich reist er ab. Darauf tötet Dido sich selbst auf einem Scheiterhaufen mit einem Schwert, einem Geschenk des Aeneas. Doch zuvor schwört sie selbst Rache, beschwört einen Rächer herauf und schafft so die Grundlage für den späteren Konflikt zwischen Rom und Karthago (Punische Kriege). Das Buch schließt mit dem Tod der karthagischen Königin: Juno erbarmt sich ihres langen Todeskampfes und entsendet die Götterbotin Iris. Diese steigt in einem Regenbogen herab und schneidet Dido eine Locke ab, um sie der Unterwelt zu weihen. Da verlässt den Körper die Lebenswärme.
Das 5. Buch wird gerne als das „Buch der Spiele“ bezeichnet und beschreibt den zweiten Aufenthalt des Aeneas auf Sizilien.
Am Anfang des Buchs befindet sich Aeneas mitten auf dem Meer, von wo er den Schein des nun bereits brennenden Scheiterhaufens Didos erblickt: ein böses Omen, dessen genauer Bedeutung er sich jedoch nicht sicher sein kann. Ziel der Fahrt ist wieder Italien, doch Aeneas wird erneut durch einen Seesturm gezwungen, den Kurs zu ändern und nach Sizilien zurückzukehren, wo er vom dortigen König Acestes freundlich aufgenommen wird.
Anlässlich des Todestages seines Vaters, den er hier vor einem Jahr bestattet hat, opfert Aeneas am Grab. Eine Schlange zeigt sich und frisst die auf den Altären dargebotenen Speisen. Unschlüssig, ob es sich um eine Grabesschlange oder den Genius des Ortes handelt, nimmt Aeneas sie doch als günstiges Zeichen. Zudem hält der Held Leichenspiele mit Agonen in Rudern, Wettlauf, Boxkampf, Bogenschießen ab, die einen großen Teil des Buchs einnehmen. Zuletzt und als Überraschung lässt Aeneas das so genannte Trojaspiel (Troiae ludus), eine Reiterparade der trojanischen Jünglinge, aufführen.
An diesem Höhepunkt der Festlichkeiten entsendet die immer noch von Schmerz erfüllte Göttin Juno die Botin Iris, Göttin des Regenbogens. Diese erblickt die trojanischen Mütter, die den Spielen nicht beiwohnen dürfen und stattdessen auf einer Klippe um Anchises klagen; der Wunsch nach einer Stadt und dem Ende der Irrfahrten wird laut. Iris nimmt die Gestalt der erkrankten und daher nicht anwesenden Beroe an und mischt sich unter die Mütter. In einer Trugrede berichtet sie, dass ihr Cassandra im Traum dazu geraten habe, die Schiffe zu verbrennen, da hier das Ziel der Reise erreicht sei, worauf sie auch gleich eine Fackel auf die Schiffe wirft. Da ergreift Pyrgo, die Amme des Priamus, das Wort und verweist darauf, dass die echte Beroe erkrankt sei – sie habe sie eben erst besucht – und dass diese hier in vielem einer Göttin ähnele. Noch sind die Mütter unschlüssig, da gibt sich Iris in einem eindrucksvollen Abgang mit Regenbogen endgültig als Göttin zu erkennen. Die Mütter geraten in Raserei und setzen mit den Fackeln von den Altären Neptuns die Flotte in Brand. Als die beim Trojaspiel versammelten Männer den Rauch aufsteigen sehen, reitet Ascanius, der das Trojaspiel anführte, auf seinem Pferd zur Flotte und kann die Mütter zur Besinnung bringen und „von Juno befreien“. Doch erst als Aeneas den höchsten Gott Jupiter um Hilfe bittet, der als Antwort auf das Gebet des Helden einen gewaltigen Regenguss auf die Flotte niedergehen lässt, wird das Feuer gelöscht. Von den Schiffen sind vier verloren. Aeneas scheint nun gezwungen, den überschüssigen Teil seiner Gefolgschaft auf der Insel zurückzulassen und eine Stadt für sie zu gründen; so auch sein älterer Ratgeber Nautes. Doch ist Aeneas noch immer zwischen Weiterfahrt und Bleiben hin- und hergerissen. Da erscheint ihm in der Nacht der Geist seines Vaters Anchises, bekräftigt den Ratschlag des Nautes mit dem Hinweis, dass in Latium ein kriegerisches Volk zu besiegen sei und daher nur die Stärksten mitfahren sollten, und gibt seinem Sohn den Auftrag, ihn im Elysium zu besuchen, wo er ihm Näheres erzählen könne. Aeneas gründet nun die Stadt und benennt sie nach Acestes, ihrem Herrscher (gemeint ist das historische Segesta).
Nach einem tränenreichen Abschied von den Müttern, die nun doch gerne mitkommen wollten, segelt die Flotte nach Italien ab. Venus kann in einem Göttergespräch bei dem Aeneas freundlich gesinnten Meeresgott Neptun erwirken, dass die Fahrt gefahrlos verläuft, doch kündigt dieser an, dass ein Mensch sein Leben lassen wird: unum pro multis dabitur caput („ein Haupt wird anstelle von vielen hingegeben werden“). Auf der nächtlichen Überfahrt – die Mannschaft schläft, die Winde treiben die Flotte von selbst – erscheint gegen Mitternacht Somnus, der Gott des Schlafs, bei dem immer wachsamen und dem Meer gegenüber misstrauischen Palinurus, dem Steuermann des Flaggschiffs, schläfert ihn ein und stößt ihn mitsamt dem Steuer ins Meer. Als Aeneas es merkt – sie fahren gerade an den Gestaden der Sirenen vorüber –, übernimmt er selbst das Steuer und klagt unter Tränen um den verlorenen Gefährten.
Nach der Landung an der Westküste Italiens (Buch 6) steigt Aeneas mit der Sibylle von Cumae in die Unterwelt ab, wo die sogenannte Heldenschau stattfindet. Indem Anchises ihm dort die bedeutendsten Männer der römischen Zukunft vorstellt, erfährt er von der künftigen Größe und dem Geschichtsauftrag Roms, der Stadt, die aus seiner Gründung entstehen wird. Außerdem begegnet er dort der durch Suizid gestorbenen Dido, die ihn jedoch ignoriert. Sie ist noch immer von der tiefen Wunde gezeichnet.
Mit Buch 7 beginnt die Geschichte der Kämpfe des Aeneas. Er landet in Latium, dem verheißenen Land, und wird dort von König Latinus freundlich aufgenommen. Latinus verspricht ihm seine Tochter Lavinia zur Frau. Juno interveniert mittels der Furie Allecto und hetzt den Fürsten der Rutuler, Turnus, der seinerseits Lavinia begehrt, zum Krieg gegen Aeneas auf.
In Buch 8 sucht Aeneas auf den Ratschlag des Flussgottes Tiberinus Verbündete bei Euandros von Arkadien, der an der Stätte des zukünftigen Rom siedelt, und im Anschluss daran auch bei den noch weiter nördlich gelegenen Etruskern, die gegen ihren grausamen Tyrannen Mezentius, einen Mitstreiter des Turnus, aufbegehren. Außerdem erhält Aeneas von seiner Mutter Venus einen von Vulcanus gefertigten Schild, auf dem wichtige Ereignisse der römischen Geschichte dargestellt sind (die sogenannte Schildbeschreibung, s. a. Ekphrasis).
Währenddessen (Buch 9) geraten die Trojaner in größte Gefahr: Juno entsendet Iris, die Turnus auf die günstige Gelegenheit hinweist, in der Abwesenheit des Aeneas gegen das Lager der Trojaner zu ziehen. Turnus greift mit dem vollen Truppenaufgebot an, und als sich ihm niemand auf offenem Feld stellt – so der Auftrag des Aeneas –, macht er sich daran, die Flotte in Brand zu stecken. Da greift Cybele mit Zustimmung Jupiters ein und rettet die Schiffe, die aus den Fichten ihres Heiligen Hains am Ida gefertigt wurden, indem sie sie in Nymphen verwandelt. Turnus deutet das Zeichen dennoch zuversichtlich gegen die Trojaner.
In der Nacht versucht das Freundespaar Nisus und Euryalus, das schon im Wettlauf des 5. Buchs auftrat, in einem Ausfall die Nachricht von der Belagerung zu Aeneas zu bringen, der ja fern vom Lager bei den Etruskern ist. Die beiden richten im feindlichen Lager ein Blutbad an. Später werden sie jedoch von einer berittenen Verstärkung des Feindes am Glänzen eines erbeuteten Helms entdeckt. Sie sterben den Heldentod, ihre abgeschlagenen Köpfe werden auf Lanzen aufgespießt und am nächsten Tag vor den Augen der entsetzten Trojaner vorgeführt. Die Klagen der Mutter des Euryalus stellen eine Gefährdung für die Moral der Truppe dar; sie wird rechtzeitig beiseite geführt. Im Laufe der anschließenden Kämpfe kann Turnus ins Lager eindringen, jedoch allein; er wird erfolgreich zurückgeschlagen und rettet sich mit einem Sprung in den Tiber.
In Buch 10 beendet Jupiter eine Götterversammlung damit, dass er den Kampfparteien freie Hand gibt: Das Schicksal wird seinen Weg finden. Das Kriegsglück wendet sich für die Trojaner: Aeneas kommt zurück und verteidigt das Lager. Dabei stirbt Pallas, der jugendliche Sohn des Euandros, im Kampf gegen Turnus.
Buch 11 berichtet von Leichenfeiern und einem Waffenstillstand, daneben von weiteren Kämpfen unter vermehrtem Einsatz von Kavallerie, in denen die amazonenhafte Kriegerin Camilla auf italischer Seite ins Zentrum der Darstellung rückt.
Im letzten Buch greift Juno anfangs noch einmal für Turnus ein. Danach kommt es aber zum entscheidenden Zweikampf zwischen ihm und Aeneas. Aeneas siegt; Turnus fleht um Gnade. Aeneas hält inne; da fällt sein Blick auf das Wehrgehenk, das Turnus dem getöteten Pallas abgenommen hat, und zornentflammt tötet er den besiegten Gegner.
Textbeispiel: Das Ende der Aeneis (12, 940–952)
Vergils Quellen
Die wichtigsten Vorlagen für die Aeneis sind die homerischen Klassiker Ilias und Odyssee. Viele Haupt- und Nebenmotive, ja ganze Textpassagen sind eng an Homer angelehnt (beispielsweise Aeneas im Seesturm und das Beinahe-Ertrinken des Achilleus in einem Fluss). Dabei geht es Vergil nicht um bloßes Nachahmen, sondern um künstlerischen Wettstreit. Auch aus diesem Grund fasst er die je 24 Bücher Homers auf genau zwölf zusammen.
Neben Homer spielt auch das hellenistische Epos Argonautika des Apollonios von Rhodos (295–215 v. Chr.) eine große Rolle. Am deutlichsten wird dies in der Gestaltung der Liebeserzählung zwischen Dido und Aeneas nach derjenigen zwischen Iason und Medea. Dies ist wohl auch in der lateinischen Übersetzung des Publius Terentius Varro (82–35 v. Chr.) der Fall, die bis auf wenige Fragmente verloren ist.
Die wichtigsten lateinischen Vorlagen sind das Bellum Poenicum des Gnaeus Naevius und besonders die Annales des Ennius. Die Annales sind zur Zeit Vergils das klassische römische Epos. Ennius wird an zentralen Stellen teilweise wörtlich zitiert. Die Aeneas-Sage findet sich auch in Naevius’ Bellum Poenicum. Dort steht sie aber nicht im Vordergrund, sondern wird als Ursache angeführt für die Punischen Kriege, eine Serie von drei Kriegen der Antike (264 bis 146 v. Chr.) zwischen der See- und Handelsmacht Karthago und dem jungen Römischen Reich. Die Annales des Ennius unterscheiden sich vom Bellum Poenicum und der Aeneis besonders darin, dass keine Beschränkung auf ein einziges Thema vorliegt, sondern sie ein fortlaufendes Gedicht bilden.
Entstehungsgeschichte der Aeneis
Bereits in den Georgica, einem zwischen 37 und 29 v. Chr. verfassten Lehrgedicht Vergils, findet sich eine Andeutung auf seine Absicht, ein Epos zu schreiben. Es heißt dort (Georg. III 46–48):
Mox tamen ardentis accingar dicere pugnas / Caesaris et nomen fama tot ferre per annos / Tithoni prima quot abest ab origine Caesar(„Aber dann rüst’ ich mich bald, die heißen Schlachten zu singen / Cäsars, daß sein Name so viele Jahre durchtöne, / Als von Tithonus an bis herab auf Cäsar er zählet.“ Übersetzung: Johann Heinrich Voß).
Augustus, erster römischer Kaiser, war an diesem Vorhaben sehr interessiert und bat um Entwürfe. Vergil soll zunächst Prosafassungen erstellt haben, die er später in willkürlicher Reihenfolge in den Hexameter übertrug. In öffentlichen Vorlesungen trug Vergil einzelne Ausschnitte vor und beobachtete die Wirkung auf das Publikum. Er versuchte, sehr detailgenau zu schreiben, und stellte hohe Ansprüche an sein Schaffen. Daher verfügte er auch, dass bei seinem Tod das unvollendete Werk vernichtet werden sollte. Als er jedoch starb, ohne die Aeneis vollenden zu können, befahl Augustus den Nachlassverwaltern, Varius und Plotius Tucca, Vergils Wunsch nach Vernichtung zu missachten und die Aeneis so wenig bearbeitet wie möglich zu veröffentlichen. So sind in dem Werk zahlreiche Halbverse stehen geblieben; das tatsächliche Ausmaß der Überarbeitung der Aeneis durch Vergils Dichterkollegen ist jedoch schwer zu bestimmen und in der Forschung umstritten.
Kontroversen um die Aeneis
Aeneas und Dido
Die Rezeptionsgeschichte hat gezeigt, dass sich die Geschichte um Aeneas und Dido auf zwei völlig entgegengesetzte Weisen lesen lässt:
Als Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Dabei verzichtet der Held selbstlos auf persönliches Glück im Dienst der höheren Sache und auf Geheiß des obersten Gottes, nämlich in der Verpflichtung seinem Sohn Ascanius gegenüber, der einst in Italien herrschen soll,
oder als Konflikt zwischen wahrhaftiger Liebe und gefühlsverachtender männlicher Kälte.
Der Autor selbst lässt keinen Zweifel, wohin er den Leser lenken will, nämlich auf den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung: Bei aller Sympathie für Didos Leiden ist ihre Liebe unerlaubt, culpa; Aeneas begeht einen Fehler, als er sich auf die Affäre einlässt, zögert dann aber nicht, seinen eigenen Gefühlen zum Trotz, sich dem Willen der Götter zu fügen. Didos Tränen können seinen Trennungsentschluss nicht ändern: mens immota manet, lacrimae volvuntur inanes. („Seine Haltung bleibt unbewegt, die Tränen fließen eitel.“ Hierzu muss angemerkt werden, dass es umstritten ist, ob in diesem Vers die Tränen Didos oder nicht vielmehr diejenigen des Aeneas gemeint sind, so etwa der Vergil-Spezialist Nicholas Horsfall (1946–2019).) Die zweite Deutungsweise als Konflikt zwischen Liebe und Gefühlskälte findet sich zuerst in Ovids Heroides.
Aeneas und Turnus
Die Aeneis endet abrupt, indem Aeneas den wehrlosen Turnus tötet. Viele Leser hat dieses Ende nicht befriedigt. Schon der Kirchenvater Lactantius (ca. 250–320) befand, einen christlichen pietas-Begriff, d. h. Frömmigkeit, ansetzend, Aeneas erweise sich hier als impius, also gottlos. Wie verträgt sich Aeneas Verhalten mit der Bestimmung der Römer, wie sie im sechsten Buch formuliert wird: parcere subiectis et debellare superbos (Unterworfene zu schonen und die Überheblichen niederzuringen)? Hier scheint der Standpunkt des allwissenden Erzählers recht deutlich: Entscheidend ist, dass, als Aeneas schon Gnade gewähren will, sein Blick auf das Wehrgehänge (den Schwertgürtel) des Pallas fällt. Der Kampf des Turnus gegen Pallas war unfair. Turnus hätte das Kampfangebot eines offensichtlich unterlegenen Jugendlichen nicht annehmen dürfen. Turnus nahm das Kampfangebot dennoch an und verhöhnte dann auch noch die Leiche und raubte ihr die Ausrüstung. Dies zeigt, wie vieles andere, Turnus zwar nicht als Erzschurken, aber doch als Verkörperung des furor impius, des pflichtvergessenen Nachgebens gegenüber niederen Instinkten. Turnus ist eine Gestalt, die dem homerischen Achilleus nachempfunden ist, unbeherrscht und grenzenlos in seinen Leidenschaften, bewusst als Kontrastfigur zum „neuen Helden“ Aeneas geschaffen. Die Rache, die Aeneas Euandros für seinen Sohn gelobt hat, ist eine Verpflichtung. Im Hintergrund ist wohl auch die Stilisierung des Augustus als Rächer der Mörder des Gaius Iulius Caesar spürbar. Diese wurde im 2 v. Chr. fertiggestellten Mars-Ultor-Tempel (für den rächenden Kriegsgott) von Kaiser Augustus offenbar. Es befremdet dennoch, dass Aeneas die Rachetat furiis accensus et ira (von Raserei und Zorn entflammt) ausführt.
Götter, Menschen und das Schicksal
Götter sind in der Aeneis allgegenwärtig und greifen in das irdische Geschehen direkt ein. Dennoch sind die Menschen nicht ihre Spielbälle. Die Götter machen sich vielmehr nur deren innere Dispositionen zu Nutze und helfen, wie bei der Höhlenhochzeit, mit Naturereignissen nach. In einem anderen Sinne verkörpern die Götter die fortuna, das ziellose Schicksal, das mal den einen, mal den anderen bevorteilt. Über ihnen aber steht Jupiter, der Vater der Götter und Menschen, der eine andere Form von Schicksal vertritt: nämlich das fatum (Schicksal/Götterspruch, Plural fata), die Teleologie der Geschichte, der sich letztlich jede fortuna beugen muss. Bis sich dieses Schicksal erfüllt, folgen die übrigen Götter, wie die Menschen auch, ihren persönlichen, gefühlsbestimmten Interessen, mal in Einklang mit den fata, mal gegen die fata. So ist Venus von mütterlicher Sorge um ihren Sohn Aeneas geleitet, bringt ihn damit aber unter Umständen auch in große Schwierigkeiten, wie sich in der Dido-Geschichte zeigt. Junos Handlungsmotiv ist der Zorn über erlittene Schmach, die sie nicht aus ihrem Denken tilgen kann. Vergil versucht zu zeigen, dass Aeneas bestrebt ist, sein eigenes Schicksal dem fatum unterzuordnen. Dies ist für ihn oft mit schweren Opfern verbunden (zum Beispiel dem Verlust seiner Frau Krëusa beim Auszug aus Troja) und er muss ermahnt werden, dem Weg zu folgen – oftmals durch Ausblicke auf die blühende Zukunft Roms. Indem Aeneas sich aber dem Willen der Götter beugt, wird die Gründung Roms, die in der Aeneis als das Ziel der Geschichte erscheint, als Tat von tiefer pietas dargestellt. Diese Pflichterfüllung wird besonders deutlich, als Aeneas Dido verlässt: Italiam non sponte sequor (IV 361) („Eigener Trieb führt nicht nach Italien mich“, Übers. Hertzberg).
Die Bestimmung Roms, Aeneas und Augustus
Die Glorifizierung des imperialen Roms und seines Herrschers Augustus, auf den als Endziel alle Geschichte hinausläuft, ist für den modernen Leser wohl der problematischste Aspekt der Aeneis. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass die Gründung Roms das entfernte Ziel der Aeneis ist: tantae molis erat Romanam condere gentem (I 33). An mehreren Textstellen erscheint Augustus als die Vollendung dieser Entwicklung. Dementsprechend gibt es viele Andeutungen, die einen Bezug zwischen Aeneas und Augustus herstellen. Allerdings muss man die Aeneis aus ihrer Zeit und den Umständen ihrer Entstehung sehen. Nach einem Jahrhundert blutiger Bürgerkriege sahen viele Römer in Augustus einen Heilsbringer. Augustus forderte von Vergil unverhohlen eine Augusteis, ein Ruhmgedicht auf den Herrscher. Vergils Antwort war die Aeneis. In ihr wird der Herrscher in einen Schicksalsplan eingebettet und damit in die Pflicht genommen; Pflicht, pietas, ist ja das Leitmotiv der Aeneis. Augustus muss sich seines Ahnen (als Adoptivsohn Caesars ist Augustus Nachfahre des Iulus, auf den sich die Familie der Julier zurückführt) würdig erweisen. Gleiches gilt analog für das Römische Reich: Seine Macht wird über seinen Auftrag definiert; nicht blanke Eroberung ist das Ziel, sondern Gesetze zu stiften und der Welt den Frieden zu bringen (vgl. VI 851).
Vor dem Hintergrund der augusteischen Restaurationspolitik bedeutet die Betonung der pietas, die Erinnerung an die Sendung Roms, die Beschwörung der römischen Tugenden und die Ablehnung des Bürgerkrieges eine aktive Unterstützung der augusteischen Reformen. Auf diese Weise wird es zu einem Neuanfang kommen und das Goldene Zeitalter wiederkehren. In Augustus werden die Eigenschaften einiger herausragender Personen der frühen römischen Geschichte vereinigt: So erscheint er in der Heldenschau (VI 752–853) als eine Synthese zwischen Romulus als dem Stadtgründer und Numa, der Rom durch Religion und Recht „neu“ gegründet hat. Die oben angesprochenen Ansprüche Vergils an sein Werk werden hier besonders deutlich: Die Anzahl der Verse, die Augustus beschreiben, entspricht der Summe der Romulus und Numa gewidmeten.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich Augustus der Bedeutung der Aeneis für seine Politik bewusst war. Auf einer Volksversammlung soll er beim Anblick von Männern, die nicht die klassische Toga trugen, einen Vers der Aeneis zitiert haben: en Romanos, rerum dominos gentemque togatam! (I 282) („Siehe! Die Römer, die Beherrscher der Welt, das togatragende Geschlecht.“) Anschließend sorgte er dafür, dass man sich nur in der klassischen Tracht auf dem Forum aufhalten durfte.
Two-voices-Theorie
Eine amerikanische Forschungsrichtung seit den 1960er Jahren, bekannt als die Harvard School, vertritt die sogenannte Two-voices-Theorie. Nach dieser Auffassung würde Vergil einerseits vordergründig die augusteische Ideologie verherrlichen (public voice), andererseits auf eine subtile Art und Weise auch Kritik an Augustus üben (private voice). Ausgangspunkt dieser Theorie ist wiederum das Ende der Aeneis, wo sich Aeneas (wie ganz ähnlich schon bei Laktanz, s. o.) als moralischer Verlierer erweise.
Wirkungsgeschichte
Auch unvollendet wurde die Aeneis gleich als Meisterwerk erkannt. Sie wurde schon kurz nach ihrer Veröffentlichung zur Schullektüre, wobei sie das Epos des Ennius als Klassiker völlig verdrängte. Auf diese Weise war sie äußerst einflussreich für die weitere antike und christlich-antike Literatur. Es gab sogar Übersetzungen ins Griechische. Lucans Pharsalia war ein Gegenentwurf zur Aeneis, ohne freilich je deren Bedeutung zu erreichen. Bis in die Spätantike galt Vergils Werk als vorbildlich; so orientierte sich noch Gorippus an seiner Epik. Zudem wurde Ende des 4./Anfang des 5. Jahrhunderts vom so genannten Symmachuskreis eine verbesserte Neuausgabe erstellt, die sich heute im Vatikan befindet (Cod. Vat. lat. 3225; Vergilius Vaticanus).
Die Handschriftentradition der Aeneis wurde bruchlos ins Mittelalter geführt. Im Mittelalter galt Vergil als „der Dichter“. Ein wichtiges Werk der altfranzösischen Literatur ist der auf der Aeneis basierende Roman d’Énéas. Dessen Übertragung wiederum durch Heinrich von Veldeke etwa 1183 markiert den Beginn der höfischen deutschen Literatur in der Volkssprache. Am Beginn der Renaissance entwarf Dante Alighieri seine Göttliche Komödie auf der Folie des sechsten Buches der Aeneis. Die Dido-Geschichte findet sich bei Giovanni Boccaccio („Amorosa Visione“) und bei Francesco Petrarca, in der mittelenglischen Literatur bei Geoffrey Chaucer („Legend of Good Women“, „House of Fame“). Es gab sogar Versuche, das Ende der Aeneis durch ein dreizehntes Buch abzurunden. Daneben erschienen mehr und mehr nationalsprachliche Übersetzungen der Aeneis, in Deutschland zuerst durch Thomas Murner im Jahr 1515, in Spanien durch Enrique de Villena (1427/28). In der deutschen Klassik und besonders in der Romantik hingegen sank das Ansehen der Aeneis, da man Vergil als Epigonen verstand und das „Originalgenie“ Homer bevorzugte. Erst im 20. Jahrhundert setzte neues Interesse an Vergils Epos ein.
Die Aeneis hat in der Neuzeit zahlreiche Bearbeitungen erfahren und auch viele Komponisten zu Vertonungen angeregt. Am bekanntesten sind die Oper La Didone (1641) von Francesco Cavalli, die erste eigenständige englische Oper Dido and Aeneas (1689) von Henry Purcell und die große heroische Oper Les Troyens (entstanden bis 1858) von Hector Berlioz. Ebenfalls der Geschichte von Dido und Aeneas widmen sich Joseph Martin Kraus’ Æneas i Carthago eller Dido och Æneas (1799) und Franz Danzis Melodram Dido (1811).
Der Wiener Schriftsteller Aloys Blumauer verfasste 1784 die sehr erfolgreiche und in viele europäische Sprachen übersetzte Satire Vergils Äneide: Abenteuer des frommen Helden Äneas und machte sich darin über die moderne Bildung lustig. Das Buch blieb in Bayern und Österreich viele Jahre verboten.
Der österreichische Schriftsteller Hermann Broch nahm die Entstehungsgeschichte der Aeneis, genauer genommen den Wunsch Vergils, dass man das Werk vernichte, sollte es bei seinem Tode unvollendet bleiben, als Grundlage für seinen Roman Der Tod des Vergil.
Der Schriftsteller Toni Bernhart dramatisierte 2016 die Aeneis für das 5. Freie Theaterfestival Innsbruck.
Zwei Werke aus der Serie der italienischen Sandalenfilme der 60er Jahre greifen auf die Aeneis zurück. In beiden spielt Ex-Mr.-Universum Steve Reeves den Aeneas: Der Kampf um Troja (1961) erzählt vom Trojanischen Krieg ab dem Tod Hektors und vom Untergang der Stadt aus der Perspektive des Aeneas, der hier zum Haupthelden der Trojaner und Gegenspieler des Achilleus wird. Äneas, Held von Troja (1962) erzählt, trotz seines Titels, von den Ereignissen in Latium (und nur von diesen; die Reise von Troja nach Latium und die Begegnung mit Dido fehlen zur Gänze). Beide Filme unterscheiden sich merklich von den literarischen Vorlagen, nicht zuletzt durch das beinahe gänzliche Fehlen einer bei Vergil und Homer stark ausgeprägten Götterhandlung.
Für das Fernsehen wurde Die Äneis 1970 von Franco Rossi verfilmt. Die deutsche Erstausstrahlung des Vierteilers begann am 5. November 1972.
Textausgaben und Übersetzungen
Roger A. B. Mynors (Hrsg.): P. Vergili Maronis Opera. Clarendon Press, Oxford 1969 und Nachdrucke, ISBN 0-19-814653-1 (Oxford Classical Texts).
Gian Biagio Conte (Hrsg.): P. Vergilius Maro. Aeneis. de Gruyter, Berlin-New York 2009, ISBN 978-3-11-019607-8 (Bibliotheca Teubneriana).
Edith und Gerhard Binder (Hrsg./Übers.): P. Vergilius Maro. Aeneis. Lateinisch/Deutsch. 6 Bände. Reclam, Stuttgart 1994–2005. Auch Ausgabe in einem Band. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010668-6.
Volker Ebersbach (Übers.): Aeneis. Prosaübertragung. 4. Auflage. Reclam, Leipzig 2001, ISBN 3-379-00138-4.
Johannes Götte (Hrsg./Übers.): Aeneis. Lateinisch-deutsch. 10. Auflage. Artemis & Winkler, Düsseldorf, Zürich 2002, ISBN 3-7608-1648-7 (Sammlung Tusculum).
Johannes Götte (Übers.) und Manfred Lemmer (Hrsg.): Vergil. Aeneis. Mit 136 Holzschnitten der Straßburger Ausgabe 1502. Heimeran Verlag, München 1979, ISBN 3-7765-2185-6.
Niklas Holzberg (Hrsg./Übers.): Vergil: Aeneis. de Gruyter, Berlin/Boston 2015, ISBN 978-3-11-040879-9 (Sammlung Tusculum).
Gerhard Fink (Hrsg./Übers.): Aeneis. Artemis & Winkler, Düsseldorf und Zürich 2007, ISBN 978-3-538-03101-2 (Sammlung Tusculum).
Wilhelm Plankl unter Mitwirkung von Karl Vretska (Übers.): P. Vergilius Maro. Aeneis. Epos in zwölf Gesängen. Reclam, Stuttgart 1959 und Nachdrucke, ISBN 3-15-000221-4 (Reclams Universal-Bibliothek, 221–224).
Wilhelm Hertzberg (Übers.): Aeneis bzw. Die Aeneide (= Die Gedichte des P. Virgilius Maro, im Versmaß der Urschrift übersetzt, Bd. 2). Stuttgart, Metzler 1859 (Digitalisat bei Google Books)
Johann Heinrich Voß Äneïs. Übersetzt [in deutsche Metren]. In: Publius Vergilius Maro. Werke. Band 2–3. Braunschweig, Vieweg 1799 (3. Ausgabe 1822: Band 2 , Band 3 ).
Kommentare
Gerhard Binder: P. Vergilius Maro: Aeneis. Ein Kommentar – Band 1: Einleitung, Zentrale Themen, Literatur, Indices. Wissenschaftlicher Verlag Trier 2019, ISBN 978-3-86821-784-1.
Gerhard Binder: P. Vergilius Maro: Aeneis. Ein Kommentar – Band 2: Kommentar zu Aeneis 1-6. Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2019, ISBN 978-3-86821-785-8.
Gerhard Binder: P. Vergilius Maro: Aeneis. Ein Kommentar – Band 3: Kommentar zu Aeneis 7-12. Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2019, ISBN 978-3-86821-786-5.
Literatur
Karl Büchner: P. Vergilius Maro. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Band 8A (1955), Sp. 1021–1486. Nachdruck unter dem Titel P. Vergilius Maro. Der Dichter der Römer. Stuttgart 1961.
Gian Biagio Conte: Virgilio: l’epica del sentimento. Einaudi, Torino 2002.
englische Übersetzung: The Poetry of Pathos: Studies in Virgilian Epic. Edited by Stephen J. Harrison. Oxford University Press, Oxford 2007, ISBN 0-19-928701-5.
Theodor Haecker: Vergil. Vater des Abendlandes, Kösel, München 1931.
Philip Hardie: Virgil’s Aeneid: Cosmos and Imperium. Oxford University Press, Oxford 1986, ISBN 0-19-814036-3.
Richard Heinze: Virgils epische Technik. Leipzig und Berlin 1902, 3. Auflage 1915.
Niklas Holzberg: Vergil. Der Dichter und sein Werk, Beck, München 2006, ISBN 3-406-53588-7.
Markus Janka: Vergils Aeneis. München: Beck 2021 (Beck’sche Reihe; 2884), ISBN 978-3-406-72688-0.
Friedrich Klingner: Virgil. Bucolica, Georgica, Aeneis, Artemis, Zürich, Stuttgart 1967.
Wolfgang Kofler: Aeneas und Vergil. Untersuchungen zur poetologischen Dimension der Aeneis (= Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften. Neue Folge, Band 111). Winter, Heidelberg 2003, ISBN 3-8253-1330-1.
Viktor Pöschl: Die Dichtkunst Virgils. Bild und Symbol in der Aeneis. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin, New York 1977, ISBN 3-11-006885-0.
Martin Claus Stöckinger: Vergils Gaben. Materialität, Reziprozität und Poetik in den „Eklogen“ und der „Aeneis“. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2016, ISBN 978-3-8253-6462-5.
Werner Suerbaum: Vergils Aeneis. Epos zwischen Geschichte und Gegenwart, Reclam, Stuttgart 1999, ISBN 3-15-017618-2 (Universal-Bibliothek, 17618).
Rezeption
Pierre Courcelle: Lecteurs païens et lecteurs chrétiens de l’Énéide. 2 Bände. Boccard, Paris 1984.
Ulrich Schmitzer: Das Abendland braucht keinen Vater mehr. Vergils Aeneis auf dem Weg in die Vergessenheit. In: Aleida Assmann, Michael C. Frank (Hrsg.): Vergessene Texte. UVK, Konstanz 2004, ISBN 3-87940-787-8, S. 259–286 (online).
Weblinks
Lateinischer Volltext der Werke Vergils in The Latin Library
Lateinischer Volltext der Werke Vergils in der Bibliotheca Augustana
Vollständige deutsche Übersetzung der Aeneis (lateinischer Text parallelisierbar)
Deutsche Übersetzung der Aeneis von Johann Heinrich Voß (1799)
Neue deutsche Übersetzung des dritten Buches von Rainer Lohmann (2010)
Neue deutsche Übersetzung des zwölften Buches von Rainer Lohmann (2008)
Studienbibliographie (englisch)
Carl Vogel von Vogelstein: Die Hauptmomente aus Goethe’s Faust, Dante’s Divina Commedia und Virgil’s Aeneis, 1861
Buchillustrationen zu Vergils Aeneis 1502–1840 (Vergilius pictus digitalis)
Warburg Institute Iconographic Database – umfangreiche Bilddatenbank zu Darstellungen aus der Aeneis beim Warburg Institute.
Friedenshoffnung und Bürgerkrieg in Vergils Aeneis, von Peter Riemer, in Manfred Leber, Sikander Singh Hgg.: Erkundungen zwischen Krieg und Frieden. Saarbrücker literaturwissenschaftliche Ringvorlesungen, 6. Universaar, Saarbrücken 2017, S. 9–22.
Einzelnachweise
Audiobeispiele
Rezitation von Wilfried Stroh (Vergil, Aeneis Buch IV)
Römischer Mythos
Literarisches Werk
Literarisches Werk der Antike
Literatur (Latein)
Epos
Literatur (1. Jahrhundert v. Chr.)
Vergil
Werk (1. Jahrhundert v. Chr.)
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Q60220
| 114.59872 |
336333
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https://de.wikipedia.org/wiki/Audiovision
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Audiovision
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Als Audiovision bezeichnet man die Verbindung von Sinneseindrücken, die an die auditive und an die visuelle Wahrnehmung gerichtet sind. Der Medienhistoriker Helmut Schanze begrenzt die Audiovision auf die Zusammenführung der elektroakustischen und kinematographischen Technologien nach 1900.
Die Medien der Audiovision sind Hörfunk und Fernsehen; sie lösten mediengenealogisch die technischen Graphien ab und werden selbst abgelöst durch die Digitalmedien.
Die Medien der Audiovision sind gekennzeichnet durch Aufzeichnungs- und Wiedergabemaschinen, dazu zählen die Kamera, das Mikrofon und die Empfangsapparate (Fernseher und Rundfunkapparat), zur technischen Verbreitung wird ein Sendernetz genutzt.
Entwicklung
Voraussetzungen des Mediensystems der Audiovision waren eine Reihe von Schlüsseltechnologien:
Erfindung der Fotografie als fotochemische Aufzeichnungstechnik für statische Bilder (Louis Daguerre und andere, 1839);
Erfindung des Telefons als elektroakustisches Übertragungsmedium;
Erfindung der Fonografie als elektroakustische Aufzeichnungstechnik;
Erfindung der Laufbildfotografie/Kinematografie als Aufzeichnungs- und Wiedergabetechnologie für bewegte Bilder;
Erfindung der Funktelegrafie (Marconi und andere);
Erfindung der Braunschen Röhre (Kathodenstrahlröhre).
Siehe auch
Audiovisuelle Sequenz
Multimedia
Medienverbund
Audiovisuelle Medien
Audiovisuelle Medien
Medienwissenschaft
Wahrnehmung
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Q758901
| 89.48671 |
370110
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https://de.wikipedia.org/wiki/Exoskelett
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Exoskelett
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Ein Exoskelett ( und skeletós ‚ausgetrockneter Körper‘, ‚Mumie‘), auch Außenskelett, ist eine Stützstruktur für einen Organismus, die eine stabile äußere Hülle um diesen bildet. Es ist, neben dem Endoskelett und dem Hydroskelett, eine der drei grundlegenden Bildungsweisen von Skeletten im Tierreich.
Exoskelette sind zum Beispiel kennzeichnend für die Gliederfüßer, den größten Stamm des Tierreichs. Auch andere Tierstämme wie Weichtiere (Mollusca) und Moostierchen (Bryozoa) tragen Exoskelette.
Cuticula der Gliederfüßer
Im Gegensatz zu den Wirbeltieren besitzen alle Gliederfüßer (Arthropoda) wie Insekten, Kieferklauenträger und Krebstiere statt eines Endoskeletts (Innenskeletts) primär ein stabilisierendes Außenskelett. (Nur bei wenigen, meist winzigen, wasserlebenden Krebstieren wurde es sekundär zugunsten eines Hydroskeletts aufgegeben.)
Die Cuticula der Gliederfüßer, die funktional als Außenskelett wirkt, ist eine von der äußersten Zelllage (Epidermis) nach außen abgeschiedene Hülle. Es handelt sich um einen flexiblen Hochleistungs-Verbundwerkstoff aus mehreren Komponenten. Grundbestandteil sind Fasern aus Chitin, einem stickstoffhaltigen Kohlenhydrat mit ähnlichen Eigenschaften wie Zellulose (deshalb ungenau auch manchmal „Chitinpanzer“ genannt). Jeweils 19 Chitinfasern lagern sich anti-parallel zueinander zu einem kristallinen Bündel von etwa 3 Nanometer Dicke und 0,3 Mikrometer Länge, einer sogenannten Mikrofibrille, aneinander. Die Chitin-Mikrofibrillen werden von Strukturproteinen umhüllt, die eine besondere Bindungsstelle für Chitin besitzen. (Diese Proteinkomponente wurde früher, als man ihren Aufbau noch nicht kannte, Arthropodin genannt. Dieser Ausdruck ist veraltet, aber in älteren Büchern noch zu finden).
Je nach Anteil und Zusammensetzung der Proteinkomponente entsteht entweder eine harte, feste oder eine weiche, biegsame Cuticula. Die feste und harte Cuticula bringt ausgehärtete Platten (Sklerite), Gliedmaßen, Haare, Mundwerkzeuge und ähnliche Strukturen hervor. Die weiche und biegsame baut z. B. die flexible Hülle von vielen Insektenlarven auf oder hält die harten Sklerite durch eingeschaltete Gelenkmembrane beweglich. Flexible Cuticula enthält um die zwanzig, ausgehärtete kann über zweihundert verschiedene Proteine enthalten, die in zwölf untereinander jeweils ähnliche Proteinfamilien eingeteilt werden.
Der Prozess des Aushärtens der Cuticula, Sklerotisierung genannt, beruht auf zwei Prozessen, die hormonell gesteuert zueinander komplementär bei der Neubildung ablaufen. Einerseits wird Wasser ausgeschieden, wodurch sich die wasserabweisenden (hydrophoben) Bestandteile fester zusammenlagern. Andererseits wird ein Teil des Proteins fest zu einer Netzstruktur gebunden. Bei diesem Vorgang spielt Dopamin eine Schlüsselrolle. Die aus Dopamin synthetisierten Verbindungen N-Acetyldopamin (NADA) und N-beta-Alanyldopamin (NBAD) werden in die Cuticula abgegeben und hier enzymatisch zu hochreaktiven Chinonen oxydiert. Diese reagieren mit den Proteinen und bilden ein stabiles, nicht mehr abbaubares Netz von kovalenten Bindungen aus. Dabei bleibt von NADA sklerotisierte Cuticula farblos oder strohfarben, während von NBAD sklerotisierte dunkel gefärbt ist. Ein Teil des Dopamins kann auch zu dem dunklen Farbstoff Melanin umgewandelt werden, der vermutlich ebenfalls an der Vernetzung beteiligt ist und so das Außenskelett weiter verstärkt. Die je nach Lage und Funktion so unterschiedlich sklerotisierten Chitin-Protein-Komplexe bilden dann wiederum Fasern aus. Diese größeren Fasern schließen sich zu plattenartigen Verbänden zusammen. Die fertige Cuticula besteht aus sehr vielen solchen Schichten, in denen die Fasern stets mehr oder weniger parallel ausgerichtet sind. In den aufeinander gestapelten Platten ist dann die Richtung der Fasern stets etwas zueinander versetzt, so dass die Gesamtstruktur aus schraubenförmig zueinander versetzten Faserplatten zusammengesetzt ist (nach ihrem Entdecker Bodigand-Struktur genannt). Dadurch erhöht sich die Festigkeit wesentlich, ähnlich der Konstruktion von Sperrholzplatten aus Holzlamellen, nur dass im Sperrholz die Einzellamellen rechtwinklig zueinander und nicht schraubenförmig verdreht liegen.
Entgegen weit verbreiteten Vorstellungen besteht die Cuticula der Arthropoden also nicht überwiegend aus Chitin, sondern aus Chitin und Proteinen und anderen Komponenten in etwa gleichen Anteilen. Der Chitinanteil liegt typischerweise zwischen etwa 50 % (in flexibler Cuticula) und 15 bis 30 % (in ausgehärteter Cuticula von Skleriten) der Trockenmasse.
Bei vielen Krebstieren und Tausendfüßern wird die Härte der Cuticula durch Mineralstoffeinlagerungen weiter erhöht (sehr selten auch bei Insekten und Spinnentieren). Diese Panzerung besteht zum größten Teil aus Calciumcarbonat mit gewissen Anteilen von Phosphat und Magnesium. Der überwiegende Anteil dieser Substanz liegt amorph und nichtkristallin vor, ein geringerer Anteil, vor allem in der obersten, am stärksten beanspruchten Lage, kristallin als Calcit. Da Calciumcarbonat eigentlich spontan kristallisieren würde, ist es nur durch speziell gesteuerte Abscheidung möglich, es in amorphem Zustand zu halten. Dabei spielen der Magnesium- und der Phosphatanteil eine Rolle, aber auch spezielle organische Liganden, die die Kristallisation unterdrücken. Dadurch liegt auch der Phosphatanteil unkristallin vor (die kristalline Phase, Apatit genannt, kommt als Biomineral nur in anderen Organismengruppen vor. Möglicherweise bestanden die Außenskelette einiger ausgestorbener Gliederfüßer daraus). Der "Kalk"anteil des Panzers wird bei der Häutung zum Teil aufgelöst, im Körper zwischengespeichert und wird in den neuen Panzer wiedereingebaut. Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass einige Gliederfüßer mit einem solchen Panzer diesen an besonders stark beanspruchten Stellen, wie an Mundwerkzeugen, Scheren und Stacheln, durch Einlagerungen von Schwermetallen wie Zink und Mangan und durch Halogene wie Chlorid und Bromid weiter verstärken. Dabei wurde nachgewiesen, dass die Härte durch Zinkeinlagerung auf das Dreifache gesteigert werden kann. In welcher Form die Einlagerung erfolgt, ist noch nicht entdeckt worden.
Andere Bereiche des Außenskeletts sind nicht auf Härte, sondern auf Dehnbarkeit oder Biegsamkeit optimiert. Besondere Eigenschaften verleiht eine Familie von Gummi-artigen Proteinen, Resilin genannt, die durch ihre Elastizität z. B. zum Sprungvermögen von Flöhen entscheidend beitragen.
Wie immer bei biologischen Konstruktionen ist das Außenskelett durch feinste Abstimmung von Materialeigenschaften und Form der Komponenten weiter optimiert. Stark beanspruchte Sklerite tragen innen rippenartige Verstärkungen, die sich außen z. T. durch Linien (Suturen genannt) verraten. Auch die Ansatzstellen der Muskeln sind oft durch Einsenkungen (hier Apodeme genannt) besonders verstärkt. Außerdem trägt die Cuticula eine Vielzahl von Schuppen, Haaren und Auswüchsen, darunter Sinneshaare von komplexestem innerem Aufbau.
Die Festigkeit des Außenskeletts ist je nach Aufbau in unterschiedlichen Partien sehr verschieden. Stärker sklerotisierte Bereiche können die Festigkeit von Hartholz oder Aluminium erreichen, einzelne Kanten können diejenige von Stahl erreichen. Im Mittel sind die stärker sklerotisierten Außenpanzer auch recht kleiner Gliederfüßer härter als die menschliche Haut, erreichen aber nicht die Werte von Knochen.
Da in diesem besonderen Fall eine vollständige Körperumhüllung ausgehärtet wurde, die auch passiv nicht mehr mitwachsen kann, muss das Exoskelett während des Wachstums komplett abgeworfen und wieder erneuert werden (Häutung). Neuerdings gibt es Hinweise darauf, dass nicht nur die Gliederfüßer, sondern auch andere sich häutende Wirbellose, deren Cuticula jedoch meist relativ unverhärtet geblieben ist, eine evolutionäre Abstammungsgemeinschaft bilden (Häutungstiere).
Die Cuticula der Gliederfüßer bildet in der dargestellten Form beinahe überhaupt keinen Schutz gegen Wasserverluste und Austrocknung, sie ist für Wasserdampf durchlässig. Vor allem Insekten besitzen dafür als äußerste Umhüllung eine extrem dünne Schicht aus wachsartigen Substanzen (z. B. langkettigen Kohlenwasserstoffen), Epicuticula genannt. Diese wird durch Poren der Cuticula nach deren Bildung ausgeschieden. Tausendfüßer, Krebstiere und die meisten Kieferklauenträger besitzen keine solche Epicuticula. Landlebende Formen meiden deshalb in der Regel direkte Sonneneinstrahlung. Vor allem nachtaktive und bodenlebende Formen dieser Gruppen können aber in extrem trockenen, ariden Gebieten wie z. B. Wüsten vorkommen, wenn ihnen tagsüber Schlupfwinkel zur Verfügung stehen.
Gehäuse der Weichtiere
Bei Weichtieren können Muschelschalen, Schneckenhäuser oder gekammerte Gehäuse wie bei Perlbooten oder Ammoniten vorkommen (siehe auch → Aufbau, Wachstum und Funktion der Schale der Schalenweichtiere). Andere besitzen phylogenetisch daraus hervorgegangene Innenskelette wie Nacktschnecken oder manche Kopffüßer einen Schulp oder entsprechende Rudimente.
Weblinks
Einzelnachweise
Anatomie (Wirbellose)
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Q191944
| 246.177134 |
21861
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https://de.wikipedia.org/wiki/Skagerrak
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Skagerrak
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Das (oder der) Skagerrak ist ein Teil der Nordsee zwischen der Nordküste Jütlands (Dänemark), der Südküste Norwegens und der nördlichen Westküste Schwedens.
Lage
Die Internationale Hydrographische Organisation definiert die Grenzen des Skagerraks wie folgt:
Im Westen: eine Linie, die Hanstholm in Dänemark (57° 7′ N, 8° 36′ O) mit Lindesnes in Norwegen (58 N, 7° O) verbindet.
Im Südosten: die Nordgrenze des Kattegats – eine Linie von Skagen (Nordkap von Dänemark) zur schwedischen Schäreninsel Hamneskär, einer der Pater-Noster-Schären mit dem Leuchtturm Pater Noster, (57° 54′ N, 11° 27′ O) und weiter nordostwärts durch die Schären bis zur Insel Tjörn.
Art. 4 lit. b der setzt hingegen die Südgrenze des gleichnamigen (Fischerei-)Fanggebiets durch eine Linie vom Leuchtturm von Skagen zum Leuchtturm von Tistlarna und von dort zum nächsten Punkt an der schwedischen Küste fest.
Das Skagerrak verbindet daher über das Kattegat (Ostseite Jütlands), den Großen und Kleinen Belt sowie über den Öresund die Nordsee mit der Ostsee. Benannt ist es nach Skagen am nördlichsten Ende Jütlands; das niederländische Wort rak bedeutet etwa „gerade Wasserstraße“.
Das Skagerrak ist 240 km lang und zwischen 80 km und 140 km breit. Es wird zur norwegischen Küste hin immer tiefer und erreicht in der Norwegischen Rinne (bei Arendal) eine Tiefe von über 700 m. Das Skagerrak hat einen Salzgehalt von 30 PSU.
Verkehr, Infrastruktur
Das Skagerrak ist aufgrund seiner Verbindungsfunktion zwischen Nord- und Ostsee ein stark befahrenes Seegebiet. Der Übergang zwischen diesen beiden Meeren kann jedoch von Schiffen, die eine maximale Länge von 235 Metern nicht überschreiten, durch die Nutzung des Nord-Ostsee-Kanals erheblich verkürzt werden. Wichtige Seehäfen am Skagerrak sind Hirtshals in Dänemark, Kristiansand, Larvik, Sandefjord, Tønsberg, Oslo und Moss in Norwegen sowie Strömstad und Uddevalla in Schweden.
Aufgrund des Transportes von Rohöl aus den russischen Umschlaghäfen Wyssozk, Primorsk und Sankt Petersburg nach Westeuropa befahren auch zahlreiche große Tanker das Skagerrak. Auch einige der weltgrößten Containerschiffe durchfahren das Skagerrak zu den Zielhäfen Göteborg und Aarhus.
Das Skagerrak ist in der Seefahrt für seine je nach Wetterlage auftretenden schwierigen Seebedingungen aus Wind und Seegang bekannt.
Die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung HGÜ Cross-Skagerrak zwischen Dänemark und Norwegen durchquert das Skagerrak.
Wichtige Fährverbindungen über das Skagerrak:
Hirtshals (DK) – Kristiansand (N) (Color Line, Fjord Line),
Hirtshals (DK) – Larvik (N) (Color Line),
Sandefjord (N) – Strömstad (S) (Color Line, Fjord Line)
Oslo (N) – Frederikshavn (DK) (Stena Line eingestellt am 14. März 2020)
Bedeutende internationale Fährrouten führen über das Skagerrak:
Oslo (N) – Kiel (D) (Color Line)
Oslo (N) – Frederikshavn (DK) – Kopenhagen (DK) (DFDS)
Hirtshals (DK) – Stavanger (N) – Bergen (N) (Fjord Line)
Hirtshals (DK) - Tórshavn (DK/Färöer) - Seyðisfjörður (IS) (Smyril Line)
Kriegshandlungen und Nachkriegszeit
Ende Mai 1916 fand am westlichen Ausgang dieses Meeresgebietes die größte und verlustreichste Seeschlacht des Ersten Weltkrieges, die Skagerrakschlacht (englisch Battle of Jutland), statt. Nach dieser Schlacht wurden in der Weimarer Republik und der NS-Zeit zahlreiche Straßen, Brücken und Plätze benannt.
Wegen der großen Meerestiefe in diesem Seegebiet versenkten die Alliierten dort nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 50 mit chemischen Waffen beladene Schiffe, darunter die Düsseldorf und die Herbert Norkus. Im Jahr 2002 hat ein Forschungsinstitut der norwegischen Marine einige Wracks untersucht.
Weblinks
Einzelnachweise
Meerenge (Atlantischer Ozean)
Meerenge in Dänemark
Gewässer in Norwegen
Gewässer in Schweden
Grenze zwischen Dänemark und Schweden
Meerenge in Europa
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Q1695
| 111.53912 |
5210
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https://de.wikipedia.org/wiki/Technik
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Technik
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Das Wort Technik stammt von und leitet sich ab von téchne, zu Deutsch etwa Kunst, Handwerk, Kunstfertigkeit. „Technik“ kann bedeuten:
die Artes mechanicae oder die „praktische Künste“; sie wurden während des Altertums, des Mittelalters und der Renaissance unter dem Begriff der „Technik“ zusammengefasst;
die Gesamtheit der menschengemachten Gegenstände (Bauwerke, Anlagen, Maschinen, Geräte, Apparate usw.);
ein besonderes Können in beliebigen Bereichen menschlicher Tätigkeit (Fertigkeit, Geschicklichkeit/Gewandtheit usw., z. B. körperlich: Technik des Weitsprungs; geistig: Technik des Kopfrechnens; sozial: Technik der Unternehmensführung);
eine Form des Handelns und Wissens in beliebigen Bereichen menschlicher Tätigkeit (Planmäßigkeit, Zweckrationalität, Wiederholbarkeit usw.);
das Prinzip der menschlichen Weltbemächtigung.
Es gibt Versuche, diese verschiedenen Bedeutungen auf einen gemeinsamen Grundbegriff zurückzuführen. Doch scheinen die Technikbegriffe zu unterschiedlich, als dass man sie ohne Weiteres vereinheitlichen könnte. Im Folgenden werden weitläufige Wortverwendungen vor allem nach (2), (3) und (4) beiseitegelassen. „Technik“ wird als wohlbestimmter Ausdruck der Technikforschung und -lehre betrachtet, der die technische Bedeutung (1) als notwendiges, wenn auch nicht hinreichendes Bestimmungsmerkmal enthält.
Definition
Im Sinne der VDI-Richtlinie 3780 umfasst Technik:
„die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen (Artefakte oder Sachsysteme)“
„die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen“
„die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden“
Diese Begriffsbestimmung enthält keine Spekulationen über das „Wesen der Technik“, sondern beschreibt lediglich, welche Erscheinungen unter dem Namen „Technik“ zusammenzufassen sind. „Technik“ bezeichnet also zunächst die von Menschen gemachten Gegenstände, aber auch die Entstehung und Verwendung der technischen Sachen und das dafür erforderliche Können und Wissen. Technik ist in diesem Verständnis kein isolierter, selbständiger Bereich, sondern als geplante Vorgehensweise und sachmittelgerechte Ausstattung zur Aufgabenerledigung auf das Engste mit menschlicher Arbeit, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur verflochten.
Fließende Übergänge gibt es erstens zu Gegenständen der bildenden Kunst (Architektur, Kunsthandwerk, Industriedesign) und zweitens zu natürlichen Erscheinungen und Lebewesen, soweit diese durch menschlichen Eingriff mehr oder weniger stark verändert werden (Kulturlandschaften, Gärten, Zuchtpflanzen und Zuchttiere, heute zunehmend auch gentechnische Hervorbringungen, die teils schon den Charakter von Artefakten annehmen). Die gelegentlich als neuartige, „abstrakte“ oder „transklassische“ Technik aufgefasste Programmierung elektronischer Datenverarbeitungsgeräte lässt sich der Teilmenge (3) der modernen Technikdefinition zuordnen, da sie eine besondere Fertigkeit für die Verwendung der Computer darstellt. Oft wird heute gleichbedeutend mit „Technik“ der Ausdruck „Technologie“ verwendet (z. B. Raumfahrttechnologie). Aus fachgeschichtlichen und sprachlogischen Gründen meinen manche Technikforscher, dieser Ausdruck sollte der Wissenschaft von der Technik vorbehalten bleiben (Allgemeine Technologie).
Technische Sachsysteme
In den Technikwissenschaften – dieser Ausdruck löst allmählich den Namen „Ingenieurwissenschaften“ ab – ist neuerdings mit der Modellvorstellung des technischen (Sach-)Systems ein allgemeiner Begriff für beliebige technische Hervorbringungen entstanden, der an die Stelle der uneinheitlich gebrauchten und schlecht abgrenzbaren Ausdrücke „Maschine“, „Gerät“, „Apparat“ u. ä. tritt. Ein technisches System „ist durch die Funktion gekennzeichnet, Stoff (Masse), Energie und/oder Information zu wandeln, zu transportieren und/oder zu speichern. Es ist stofflich-konkret und besteht aus Werkstoffen mit definierten Eigenschaften, die aus Systemen der (physikalischen, chemischen, biologischen) Verfahrenstechnik hervorgehen. Es ist ein räumliches Gebilde mit geometrisch definierter Gestalt und setzt sich aus Bauteilen“ mit geometrisch definierter Gestalt „zusammen. Die Gestaltgebung erfolgt in Systemen der Fertigungstechnik“. Gegenständlich verwirklicht wird alle Sachtechnik also in den technischen Systemen der Stoffwandlung. Immer häufiger gründen neue Technologien auf kreativen Kombinationen von bereits bekannten („combinatorial evolution“), wobei die je verfolgten Zwecke in unterschiedlichen Sets von Komponenten ausgedrückt werden können.
Die Funktionen der technischen Systeme und die Teilfunktionen ihrer Subsysteme werden durch naturale Wirkungszusammenhänge realisiert, die (bekannten oder noch nicht bekannten) Naturgesetzen unterliegen. W. Brian Arthur definiert als Quintessenz von Technik die Fähigkeit des „capturing phenomena“, d. h. die Kapselung von zuverlässig beherrschten kausalen Wirkungsmechanismen. Noch pointierter drückt es Luhmann aus: Technik sei „funktionierende Simplifikation im Medium der Kausalität“
Dieser Umstand hat zu der Vorstellung verleitet, Technik wäre gleichbedeutend mit angewandter Naturwissenschaft. Damit aber wird die Bedeutung naturwissenschaftlichen Wissens für die Technik, vor allem hinsichtlich früherer Entwicklungsstadien, stark überschätzt. Auch bei zunehmender Verwissenschaftlichung der modernen Technik unterscheiden sich die Wissensformen der Technikwissenschaften und der technischen Praxis von den Naturwissenschaften derart, dass nicht ohne Weiteres von einer einfachen Anwendung die Rede sein kann. Umgekehrt ist naturwissenschaftliche Forschung häufig auch angewandte Technik, insoweit sie ihre Gegenstände nur mit erheblichem apparativem Aufwand darstellen und untersuchen kann. Naturwissenschaft und Technik sind verschiedenartige, relativ selbständige Bereiche, die einander nur teilweise überschneiden.
Technische Systeme gehen bei aller Künstlichkeit moderner Werkstoffe letztlich auf Naturstoffe zurück, sie setzen bei ihrer Verwendung Stoff und Energie um, und am Ende ihrer Lebensdauer werden sie selbst zu Abfall. So bringen sie grundsätzlich Eingriffe in das natürliche Ökosystem mit sich, die allerdings in der Vergangenheit häufig zu wenig beachtet wurden. Erst mit dem gewaltigen Anstieg der Umweltbelastungen verbreitet sich in den Ingenieurwissenschaften und in der technischen Praxis die Einsicht, dass auch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Ökologie bei technischen Systemen zu berücksichtigen sind, damit der Verbrauch an natürlichen Ressourcen und die schädlichen Emissionen und Deponate zugunsten des Umweltschutzes begrenzt werden.
Einteilung
Herkömmlicherweise wird die Technik nach ingenieurwissenschaftlichen Fachgebieten oder nach Industriebranchen eingeteilt (Bergbau- und Hüttentechnik, Bautechnik, Maschinenbau, Fahrzeugtechnik, Feinwerktechnik, Chemietechnik, Elektrotechnik usw.). Die jeweilige Eigenart der eingesetzten und hervorgebrachten Technik lässt sich damit aber nur sehr unzureichend kennzeichnen; z. B. werden im Maschinenbau energietechnische, produktionstechnische sowie förder- und verkehrstechnische Systeme hergestellt.
Die Beschreibungsmerkmale des technischen Systems erlauben nun eine stimmige Klassifikation nach der Art der Funktion (Wandlung, Transport, Speicherung etc.) und nach der Kategorie der Objekte (Stoff bzw. Material, Energie, Information etc.). Verbindet man diese beiden Einteilungen, ergeben sich neun Technikfelder:
Stoffwandlungstechnik (beispielsweise Verfahrenstechnik, Fertigungstechnik, zusammenfassend auch Produktionstechnik)
Stofftransporttechnik (beispielsweise Fördertechnik, Verkehrstechnik)
Stoffspeichertechnik (beispielsweise Lagertechnik, z. T. Bautechnik)
Energiewandlungstechnik
Energieübertragungstechnik
Energiespeichertechnik
Informationsverarbeitungstechnik (einschließlich Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik);
Informationsübertragungstechnik (beispielsweise Nachrichtentechnik)
Informationsspeichertechnik (einschließlich Drucktechnik, Tontechnik, Fototechnik, Filmtechnik).
Das Schema dieser Einteilung ist weithin anerkannt. Die Terminologie in den Technikwissenschaften ist aber nach wie vor sehr uneinheitlich, und so variieren die Bezeichnungen. Manchmal verwendet man die herkömmlichen Ausdrücke, die teilweise zur Erläuterung in Klammern angegeben wurden. Oft werden die Teilbereiche (4) bis (6) ungegliedert als „Energietechnik“, die Teilbereiche (7) bis (9) zusammenfassend als „Informationstechnik“ bezeichnet. Die neun Technikfelder sind ihrerseits noch weiter zu untergliedern. So kann man die Energiewandlungstechnik nach der Art der Energie-Inputs und -Outputs einteilen. Oder man klassifiziert die Informationsspeichertechnik nach dem physikalischen Prinzip des Speichermediums (Buch, Schallplatte, Film, Magnetband, Magnettonplatte, Speicherchip u. a.).
Technikverwendung
Dass Technik nicht in angewandter Naturwissenschaft aufgeht, wird vollends klar, wenn man ihre Verwendungszusammenhänge in den Blick nimmt. Technische Systeme verwirklichen ihre Funktionen grundsätzlich nur im Rahmen gesellschaftlich geprägter Arbeits- und Handlungssysteme, technische Systeme sind immer Teile soziotechnischer Systeme, und sie verkörpern menschliche Zwecksetzungen, Handlungsmuster und Arbeitsprozesse. Entweder ersetzen sie menschliche Handlungs- und Arbeitsfunktionen (Substitution), z. B. der Buchdruck, der die manuelle Vervielfältigung von Schriften erübrigt, oder sie fügen den menschlichen Handlungssystemen neue, nur technisch darstellbare Teilfunktionen hinzu, die Menschen mit ihrer organischen Ausstattung gar nicht leisten könnten (Komplementation), z. B. das Flugzeug, das dem flügellosen Menschen das Fliegen ermöglicht.
Neben die gesellschaftliche Arbeitsteilung (sozioökonomische Produktionsteilung, Berufsdifferenzierung, betriebliche Arbeitszerlegung) tritt im Zuge der Technisierung die soziotechnische Arbeitsteilung, die Aufteilung von Handlungs- und Arbeitsfunktionen zwischen Menschen und technischen Systemen. Im Verlauf der Technikgeschichte wurden immer mehr Handlungs- und Arbeitsfunktionen mit technischen Systemen realisiert. Ein deutliches Muster zeigt sich besonders bei der Substitution: Erst ersetzen Werkzeuge die reine Handarbeit, dann ersetzen Antriebssysteme die Muskelkraft, später ersetzen Steuerungssysteme die menschliche Koordination von Sinneswahrnehmung und Arbeitsbewegung, und inzwischen ersetzen Computer auch einfache geistige Leistungen. In manchen Produktions- und Verwaltungsabläufen hat die soziotechnische Arbeitsteilung das Stadium der Automatisierung erreicht, wobei Menschen weder ständig noch in einem erzwungenen Rhythmus für die Arbeitsabläufe tätig werden müssen. Ob freilich die „menschenleere Fabrik“ möglich und sinnvoll sein wird, ist keineswegs unumstritten, und auch in der Informationsverarbeitungstechnik ist die Frage offen, bis zu welchem Grade die „künstliche Intelligenz“ der Computer die Menschen wirklich ersetzen kann.
Wie jede Arbeitsteilung ist auch die soziotechnische Arbeitsteilung auf ergänzende Arbeitsverbindung angewiesen. Menschliche und technische Komponenten im soziotechnischen System werden aufeinander abgestimmt und beeinflussen einander wechselseitig. Die Verwendung von technischen Systemen ist an bestimmte Bedingungen geknüpft (z. B. Bedienbarkeit und Bedienungskompetenz, Beherrschbarkeit und Zuverlässigkeit, Ver- und Entsorgungssysteme usw.) und hat bestimmte Folgen (z. B. Veränderung der Bedürfnisse und der psycho-physischen Funktionen des Menschen, Prägung von Handlungsmustern und Sozialbeziehungen usw.).
Ursprünglich haben Arbeitswissenschaft und Industriesoziologie solche Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Technik lediglich für die Industriearbeit untersucht. In den letzten Jahrzehnten ist aber die Technisierung verstärkt auch in die alltägliche Lebensführung und in die privaten Haushalte eingedrungen (Pkw, Haustechnik, Telefon, Rundfunk und Fernsehen, Foto-, Video- und Computertechnik), sodass die psychosozialen Folgen der Technikverwendung beträchtliche Dimensionen annehmen, die bislang nur unzulänglich erforscht wurden.
Bekannt sind einige allgemeine Entwicklungstendenzen der Gesellschaft, die mit dem Technikeinsatz zusammenhängen. Dazu gehören die anfängliche Zentralisierung und Bevölkerungskonzentration in den Stadt- und Industrierevieren, aber auch die inzwischen durch Verkehrs- und Kommunikationstechnik möglich gewordene neuerliche Dezentralisierung. In der Beschäftigungsstruktur hatte sich der Schwerpunkt zunächst von der Landwirtschaft auf den industriellen Sektor verlagert und verschiebt sich heute zunehmend auf den Dienstleistungssektor. Traditionelle Berufe haben an Bedeutung verloren, und zahlreiche neue Berufe sind entstanden. Darauf reagiert zunächst die Berufsausbildung, allmählich aber auch das allgemeine Bildungssystem. Der nicht zuletzt aufgrund der Technisierung gewachsene Anteil an freier Zeit wird häufig der Technikverwendung, vor allem technischen Hobbyaktivitäten, dem Auto und dem Fernsehkonsum gewidmet.
Technikentstehung
Bei der Entstehung neuer technischer Systeme unterscheidet man verschiedene Phasen:
die Erfindung, die unter Umständen von Erkenntnissen der angewandten Forschung angeregt wird;
die Innovation als technisch-wirtschaftlich erfolgreiche Einführung einer Erfindung; und
die Diffusion als die massenhafte Verbreitung der Innovation.
Von der naturwissenschaftlichen Erkenntnis unterscheidet sich die Erfindung vor allem dadurch, dass sie zugleich mit der technischen Lösungsidee eine Nutzungsmöglichkeit, also eine technisierbare Handlungs- oder Arbeitsfunktion angibt, der die Lösung dienen soll. Da die Erfindung immer einen möglichen Zweck vorwegnimmt, ist Technik grundsätzlich nicht zweckneutral. Auf welche Weise in der Erfindung die Vorstellung von neuartiger Wirklichkeit hervorgebracht wird, kann man bislang nur unzulänglich beschreiben. Erfahrung und Wissen gehören in aller Regel dazu, doch die eigentliche Kreativität, die Fähigkeit, etwas Neues zu konzipieren, das zuvor völlig unbekannt war, bleibt auch dann schwer nachvollziehbar, wenn man sie teils mit intuitiv-unbewussten Assoziationsvorgängen und teils mit systematisch-rationaler Kombinationsarbeit erklärt. Ist eine Erfindung tatsächlich neuartig, brauchbar und dem bekannten Stand der Technik deutlich überlegen, kann darauf ein Patent erteilt werden, das dem Erfinder die Verwertungsrechte sichert.
Ob allerdings eine Erfindung zur Innovation wird, darüber entscheiden, wenn nicht militärische oder andere staatliche Interessen im Spiel sind, vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte. Die anfängliche Lösungsidee muss durch Konstruktionsarbeit in allen Einzelheiten festgelegt werden, in einem Prototyp erprobt und gegebenenfalls verbessert werden. Schließlich sind die Fertigungsanlagen bereitzustellen oder überhaupt erst zu schaffen, und der Markt muss für das neue Produkt erschlossen werden. Diese technischen und unternehmerischen Aktivitäten erfordern beträchtliche finanzielle Vorleistungen, die nur dann aufgebracht werden, wenn die Innovation eine entsprechende Nachfrage auf dem Markt und damit hinreichenden Gewinn verspricht. So wird technische Entwicklung, abgesehen von politischen Impulsen und rechtlichen Regelungen, vor allem wirtschaftlich gesteuert.
Die einzelnen Innovationen verknüpfen sich in ihrer Gesamtheit zu einem Prozess, den man bis vor Kurzem als technischen Fortschritt bezeichnete. Da inzwischen zweifelhaft geworden ist, ob alle technischen Neuerungen immer auch einen wirklichen Fortschritt für die Menschen bedeuten, spricht man heute eher von technischer Entwicklung, technischem Wandel oder von Technikgenese. Dieser Prozess wird von interdisziplinärer Technikforschung zunehmend untersucht, ist aber bisher nur unzureichend erklärt worden. Bis zum letzten Drittel des 20. Jahrhunderts überwog eine Vorstellung, die heute als „technologischer Determinismus“ kritisiert wird, die Annahme nämlich, der technische Wandel folge einer selbständigen Eigengesetzlichkeit. Inzwischen wird die technische Entwicklung als gesellschaftlicher Prozess verstanden, in dem naturale und technische Gegebenheiten, wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Erfindungen, menschliche Bedürfnisse, konkurrierende wirtschaftliche Interessen, politische Interventionen und soziokulturelle Orientierungsmuster auf eine bislang kontrovers diskutierte Weise zusammenwirken.
Im Zusammenhang mit dem „technologischen Determinismus“ steht auch die Zweiteilung in „primitive“ und „fortschrittliche“ Technologie. Dies suggeriert eine Übertragung auf die angebliche „Kulturhöhe“ einer Gesellschaft. Dabei wird jedoch übersehen, dass jegliche Technik primär den Zweck erfüllt, das Überleben zu sichern. Insofern kann auch der Einsatz einer sogenannten „primitiven“ Technologie bei Kulturen, die sehr naturangepasst leben, diesen Zweck ausreichend erfüllen. Der Unterschied liegt in erster Linie beim Grad des benötigten Energieeinsatzes.
Technische Daten
Technische Daten sind Daten, welche die wesentlichen technischen Merkmale von Gegenständen beschreiben. Als Gegenstände kommen insbesondere alle technisch orientierten Anlagen, Arbeitsgeräte, Arbeitsmittel, Betriebsmittel, Bauteile, Computer, Haushaltsgeräte, Maschinen, Produktionsmittel, Transportmittel, Verkehrsmittel, Waren oder Werkstoffe in Betracht. Technische Daten sind technische Angaben zu einem Gerät wie beispielsweise Abmessungen, Gewicht, Leistung oder Verbrauch (Energieverbrauch wie Stromverbrauch oder Wasserverbrauch) oder auch Inhaltsstoffe in Arzneimitteln, Genussmitteln, Getränken, Kosmetika sowie Lebens- und Nahrungsmitteln. Technische Daten ergeben sich unter anderem aus Bauanleitungen, Baubeschreibungen, Gebrauchsanleitungen, Manuals, Packungsbeilagen, Schaltplänen oder Tabellen.
Attribut
Das Attribut „technisch“ bezeichnet eine Qualität von Substanzen (Gase, Lösungsmittel), die sich zur industriellen Anwendung eignen. Für medizinische oder lebensmitteltechnische Anwendungen sind die Substanzen nicht geeignet, weil sie die Qualitätsnormen nicht einhalten.
Siehe auch Stoffreinheit#Reinheitsklassen
Bewertung und Deutung
Ausgelöst durch die Erfahrung zunehmender Umweltschäden, steigender Risiken und wachsender Belastungen der psychosozialen Lebensqualität aufgrund forcierter Innovationsdynamik ist im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine normative Wende im Technikverständnis eingetreten. Neue Technik wird nicht pauschal als Fluch verdammt, aber auch nicht mehr vorbehaltlos als reiner Segen gefeiert. An technische Neuerungen wird der Anspruch gestellt, dass sie über Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit hinaus übergreifenden Werten und der Lebensqualität Rechnung tragen. Anstelle besonders risikoträchtiger Innovationen werden zunehmend alternative Lösungswege gefordert, die technisch fast immer möglich wären. Mit Programmen einer Ethik der Technik und einer gesellschaftlichen Technikbewertung versucht man auf die technische Entwicklung derart einzuwirken, dass technische Neuerungen von vornherein in Bezug auf Umwelt- und Gesellschaftsqualität optimal gestaltet werden, siehe beispielsweise.
Die Einsicht in die Gestaltungsoffenheit der technischen Entwicklung, die eher durch sozioökonomische als durch technische Faktoren begrenzt wird, relativiert auch manche Deutungen der Technikphilosophie. Wenn man Technik als Fortsetzung des göttlichen Schöpfungsplanes (Friedrich Dessauer), als übermächtiges Seinsgeschick (Martin Heidegger) oder als Fortsetzung der natürlichen Evolution (Hans Sachsse) begreift, verkennt man, dass die konkrete Phantasie der Menschen die in der Natur angelegten Potentiale gemäß den herrschenden Zweckvorstellungen sehr verschiedenartig ausschöpfen kann (Ernst Bloch). Ganz gleich, ob man die Technik als biologisch notwendige Überlebensstrategie des menschlichen „Mängelwesens“ (Arnold Gehlen) oder als den objektiv überflüssigen Luxus des menschlichen Kulturwesens (José Ortega y Gasset) versteht, wird man doch jeweils im Einzelfall prüfen müssen, welche konkreten Arten von Technik unverzichtbar sind und welche man entbehren könnte.
In ihrer Grundtendenz, menschliche Lebenserhaltung und Lebensentfaltung zu erleichtern, folgt die Technik dem Prinzip der Zweckrationalität (Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld), die sich freilich manchmal als ökonomische Rationalität verselbständigt und die Komplexität der Folgen vernachlässigt. Dass Technik auch als Ausfluss eines elementaren menschlichen Gestaltungswillens gedeutet werden kann, als Vergegenständlichung des Subjekts in den Produkten der eigenen Arbeit (Karl Marx), als Vehikel innerweltlich-heilsgeschichtlicher Selbsterlösung (Donald Brinkmann) oder als Medium des „Willens zur Macht“ (Friedrich Nietzsche, Oswald Spengler), verweist auf irrationale Tiefenstrukturen, die von technologischer Aufklärung berücksichtigt und bewältigt werden müssen.
Siehe auch
Technologie
Technischer Defekt
Technikzeitschrift
Technisierung
Literatur
Sachwissen
Otto Lueger (Hrsg.): Lexikon der gesamten Technik, 2. Aufl. 1904–1920, DVD-ROM-Ausgabe, Neusatz und Faksimile, Digitale Bibliothek Band 116, Directmedia Publishing Berlin 2005, ISBN 3-89853-516-9 (in weiten Teilen nur noch technikgeschichtlich von Interesse)
VDI-Richtlinie 3780: Technikbewertung – Begriffe und Grundlagen. 2000.
Duden Basiswissen Technik. Mannheim 2001.
Brockhaus Naturwissenschaft und Technik. 3 Bde. Mannheim/Heidelberg 2003.
Hütte – das Ingenieurwissen. Berlin usw. 2008.
Wie funktioniert das? Technik. Mannheim 2010.
Orientierungswissen
Martin Heidegger: Die Frage nach der Technik (1953), in: Ders., Vorträge und Aufsätze, Stuttgart 1997, S. 9–40.
Armin Hermann, Wilhelm Dettmering, Charlotte Schönbeck (Hrsg.): Technik und Kultur. 10 Bände und Registerband, VDI, Düsseldorf 1990ff.
Karl-Eugen Kurrer: Technik, in: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Band 4, hrsg. v. Hans Jörg Sandkühler. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1990, S. 534–550.
Günter Ropohl: Allgemeine Technologie – eine Systemtheorie der Technik. 3. Auflage. Karlsruhe 2009, ISBN 978-3-86644-374-7, uni-karlsruhe.de (PDF) abgerufen am 11. Januar 2011.
Gerhard Banse, Armin Grunwald (Hrsg.): Technik und Kultur. Karlsruhe 2010, ISBN 978-3-86644-467-6, uni-karlsruhe.de (PDF) abgerufen am 11. Januar 2011.
Martina Heßler: Kulturgeschichte der Technik. (Reihe: Historische Einführungen 13). Campus, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-593-39740-5.
Alfred Nordmann: Technikphilosophie. zur Einführung. Junius, Hamburg 2015, ISBN 978-3-88506-724-5.
Peter Fischer: Technikphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart. Reclam, Leipzig 1996 ISBN 3-379-01566-0.
Weblinks
Technik. In: Online-Lexikon Naturphilosophische Grundbegriffe
Einzelnachweise
Techniktheorie
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Q2695280
| 580.096437 |
2935
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https://de.wikipedia.org/wiki/Lawrencium
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Lawrencium
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Lawrencium () ist ein ausschließlich künstlich erzeugtes chemisches Element mit dem Elementsymbol Lr und der Ordnungszahl 103. Im Periodensystem steht es in der Gruppe der Actinoide (7. Periode, f-Block) und zählt auch zu den Transuranen. Lawrencium ist ein radioaktives Metall, welches aber aufgrund der geringen zur Verfügung stehenden Mengen bisher nicht als Metall dargestellt wurde. Es wurde 1961 entdeckt, als man Californium mit Bor-Kernen beschoss. Dieses Element wurde nach Ernest Lawrence benannt. Er ist der Erfinder des Zyklotrons, eines Teilchenbeschleunigers, der eine wichtige Voraussetzung zur Entdeckung vieler Transuran-Elemente war. Der Name wurde 1994 endgültig von der IUPAC bestätigt.
Geschichte
Lawrencium wurde 1961 erstmals von den Wissenschaftlern Albert Ghiorso, Torbjørn Sikkeland, Almon E. Larsh und Robert M. Latimer des Lawrence Berkeley National Laboratory (LBNL) hergestellt, indem sie ein Gemisch von Californiumisotopen (249Cf, 250Cf, 251Cf, 252Cf) mit Kernen von Boratomen beschossen. Am 14. Februar 1961 gaben sie die erfolgreiche Synthese des -Strahler-Isotops mit einer Halbwertszeit von 8 Sekunden bekannt. Bei der Synthese von Lawrencium mittels dieser Methode finden Reaktionen wie
statt.
1965 beschossen Forscher des Vereinigten Instituts für Kernforschung in Dubna, Sowjetunion um Georgi Flerow erfolgreich Americium mit Sauerstoff und erhielten das Isotop . Hierbei laufen Reaktionen der Art
ab. Bei der Überprüfung der Arbeit von Ghiorso et al. des LBNL kamen die sowjetischen Forscher zu dem Schluss, diese sei ungenau. Daraufhin erklärten Ghiorso et al., dass es sich bei ihrem Produkt um das Isotop Lawrencium-258 handeln müsse. Die Internationale Union für reine und angewandte Chemie (IUPAC) sprach dem Team des LBNL die Entdeckung zu. Anfangs wählte man als Symbol „Lw“. 1963 wurde es von der IUPAC in „Lr“ geändert.
Eigenschaften
Im Periodensystem steht das Lawrencium mit der Ordnungszahl 103 in der Reihe der Actinoide und schließt diese ab. Sein Vorgänger ist das Nobelium, das nachfolgende Element ist das Rutherfordium, das aber schon zu den Transactinoiden gehört und ein d-Element ist. Sein Analogon in der Reihe der Lanthanoide ist das Lutetium, das gleichfalls diese abschließt.
Lawrencium ist ein radioaktives und sehr kurzlebiges Metall. Es sind zwölf Isotope bekannt, deren Halbwertszeiten zwischen wenigen Sekunden bis 11 Stunden liegen. Über weitere Eigenschaften des Elements liegen wenige Erkenntnisse vor, da die geringe Halbwertszeit empirische Studien fast unmöglich macht.
Die Position von Lawrencium im Periodensystem ist umstritten, da das Element jüngeren Messungen zufolge eine extrem geringe Ionisierungsenergie besitzt.
Sicherheitshinweise
Einstufungen nach der CLP-Verordnung liegen nicht vor, weil diese nur die chemische Gefährlichkeit umfassen, die eine völlig untergeordnete Rolle gegenüber den Gefahren durch Radioaktivität spielt. Auch Letzteres gilt nur, wenn es sich um eine dafür relevante Stoffmenge handelt.
Literatur
Robert J. Silva: Fermium, Mendelevium, Nobelium, and Lawrencium, in: Lester R. Morss, Norman M. Edelstein, Jean Fuger (Hrsg.): The Chemistry of the Actinide and Transactinide Elements, Springer, Dordrecht 2006; ISBN 1-4020-3555-1, S. 1621–1651 (doi:10.1007/1-4020-3598-5_13).
Weblinks
Stephen M. Trzaska: Lawrencium, Chemical & Engineering News, 2003.
Einzelnachweise
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Q1905
| 271.268378 |
26283
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https://de.wikipedia.org/wiki/Berbersprachen
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Berbersprachen
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Die Berbersprachen, auch Berberisch oder Berbisch (), sind ein Zweig der afroasiatischen Sprachen, die in einigen Teilen Nordafrikas von Berbern gesprochen werden. Der Sprachraum erstreckt sich in West-Ost-Richtung vom Atlantik bis nach Ägypten, in Nord-Süd-Richtung vom Mittelmeer bis nach Niger. Das Berberische hat ungefähr 40 Millionen Sprecher. Bis ins Mittelalter hinein waren die Berbersprachen ein Dialektkontinuum, das erst durch das Eindringen des Arabischen zersplittert wurde. Wichtige Berbersprachen sind das Kabylische, das die am weitesten ausgebaute Berbersprache ist, das Taschelhit, das Tamascheq, das Tarifit und das Zentralatlas-Tamazight.
Geschichte und sprachgeschichtliche Stellung
Die Berbersprachen sind einer von fünf oder sechs Primärzweigen der in Nord- und Ostafrika und Südwestasien verbreiteten afroasiatischen Sprachen (auch hamito-semitische und semito-hamitische Sprachen genannt), zu denen außer dem Berberischen auch das Semitische, Kuschitische, Tschadische, Ägyptische sowie eventuell das Omotische gehören. Mit welchen dieser Sprachen das Berberische am engsten verwandt ist, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden. Die folgenden Beispiele illustrieren die Beziehungen der afroasiatischen Sprachen untereinander sowohl im lexikalischen wie im morphologischen Bereich, wobei besonders bestimmte Verbflexionen („Präformativkonjugation“) sehr ähnlich sind (siehe hier die letzten drei Beispiele unten), so sehr, dass es kaum eine andere Erklärung für die Übereinstimmungen zwischen dem Semitischen, Berberischen und Kuschitischen als eine gemeinsam Ursprache gibt. Die Verwandtschaft dieser drei zum Ägyptischen und Tschadischen ist weniger offensichtlich und wurde auch schon angezweifelt, die zum Omotischen ist stark umstritten.
* Zum besseren Verständnis der Verwandtschaft unterteilt hier der Bindestrich formbildende Vor- und Nachsilben vom Stamm, entsprechend könnte man das deutsche Wort „Gedenken“ in „Ge-denk-en“ unterteilen; um die Verwandtschaft mit englisch „think“ zu verdeutlichen. ** Vergangenheitsform.
Die ältesten möglichen Zeugnisse von Berbersprachen sind einige Namen und Wörter in ägyptischen Quellen, wie der in der ägyptischen 22. Dynastie benutzte Titel ms „Fürst“ (vgl. Tuareg măss „Herr“). Nach der allgemeinen Forschungsmeinung war die bislang kaum bekannte libysche Sprache, die auf über tausend meist kurzen Inschriften aus Nordafrika belegt ist, eine frühe Berbersprache. Auch Namen in punischen, römischen und griechischen Quellen lassen sich als berberisch identifizieren. Bereits einige Jahrhunderte vor Christi Geburt kamen die Berber durch die phönizische Kolonisation des westlichen Mittelmeerraums mit der phönizischen Sprache in Kontakt, wovon Lehnwörter in den modernen Berbersprachen zeugen, wie das in vielen Sprachen zu findende agadir „Befestigung“ < punisch gdr. Nach der römischen Eroberung Nordafrikas nahm das Berberische größere Mengen lateinischen Wortguts auf, wie Taschelhit fullus „Küken“ < lateinisch pullus.
Noch bis zur arabischen Eroberung Nordafrikas im Zuge der Islamischen Expansion bildeten die Berbersprachen wohl ein Dialektkontinuum vom Atlantik bis nach Ägypten, seit der Ausbreitung des Islams wird jedoch das Berberisch fortlaufend vom Arabischen verdrängt. Besonders der Norden des berberischen Sprachgebiets ist daher heute stark zersplittert. Durch ihre Koexistenz üben Arabisch und Berberisch einen starken Einfluss aufeinander aus, der sich auf beiden Seiten insbesondere im Vokabular niederschlug. Hiervon zeugen Lehnwörter wie lokales Arabisch arāɡāʒ „Mann“ < berberisch argaz ebenso wie kabylisch ssuq „Markt“ < arabisch as-sūq. In jüngerer Zeit übten auch europäische Sprachen, allen voran das Französische, einen beträchtlichen Einfluss aus.
Erste längere Texte auf Taschelhit stammen aus dem 12. Jahrhundert und wurden in arabischer Schrift abgefasst, beispielsweise das Wörterbuch Kitāb al-asmāʾ von 1145. Die anderen Sprachen sind erst seit dem 19. Jahrhundert dokumentiert, als Europäer im Zusammenhang mit der französischen Kolonialisierung Nordafrikas ihre Erforschung begannen.
Sprachen und Verbreitung
Die Berbersprachen sind in weiten Teilen Nordafrikas, vom Nil im Osten bis zum Atlantik im Westen und vom Mittelmeer im Norden bis zum Niger im Süden, verbreitet. Nach der französischen Kolonisation der größten Teile Nordafrikas ab dem 19. Jahrhundert wanderten viele Berber nach Europa aus, weshalb sich insbesondere in Frankreich eine beträchtliche Zahl an Sprechern des Berberischen befindet.
Obwohl es keine traditionelle Selbstbezeichnung für die Gesamtheit der Berbersprachen gibt, werden sie in der Berberologie traditionell als eine Sprache angesehen, die in mehrere Dutzend oder auch mehrere hundert Einzeldialekte zerfällt. In Anlehnung an die Selbstbezeichnungen Tamazight, Tamascheq und Tamahaq, die dialektale Varianten eines einzigen Wortes sind, wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von vielen Berbern Tamazight als autochthone Bezeichnung für „berberisch“ angenommen. Jedoch werden die Berbersprachen in der Wissenschaft zunehmend als eigenständige Sprachen betrachtet. Die Subklassifikation des Berberischen ist problematisch, da vielerorts Dialektkontinua vorliegen. Allgemein werden ein nördliches Dialektkontinuum und das Tuareg unterschieden, zu denen eine Reihe verstreuter Einzelsprachen kommt. In der Unterteilung des nördlichen Berberisch sind die Gruppen Zenati und Atlasberberisch weitgehend anerkannt, Einzelsprachen wie das Tamazight oder das Taschelhit werden entweder diesen Gruppen untergeordnet (wie von Kossmann 1999) oder als gleichberechtigte Zweige klassifiziert. Die folgende Unterteilung orientiert sich an der von Ethnologue. Auch die Sprecherzahlen wurden zum größten Teil von Ethnologue übernommen.
Östliche Gruppe
Die Sprachen und Dialekte der östlichen Gruppe werden nur in einzelnen isolierten libyschen und ägyptischen Oasen gesprochen, die vollständig von arabischem Sprachgebiet umgeben werden. Zum Teil sind sie bereits ausgestorben oder werden nur noch von älteren Sprechern verwendet.
Audschila (Libyen: Cyrenaika, 3.000)
Sokna (Libyen: Tripolitanien, 5.500)
Siwi (Ägypten: Oase Siwa, 20.000)
Elfoqaha (Libyen: Oase Elfoqaha im Fezzan, ausgestorben)
Nördliche Gruppe
Die nördliche Gruppe bildet ein oder mehrere Dialektkontinua in Marokko, Algerien und Tunesien.
Atlas-Berberisch: Diese Gruppe umfasst mehrere Dialektgruppen im westlichen, marokkanischen Teil des Atlasgebirges.
Judäo-Berberisch (Israel, ehemals Marokko, 2.000 Sprecher)
Taschelhit (Marokko und Algerien, ca. 7 Millionen)
Zentralatlas-Tamazight (Marokko, Algerien und Melilla, ca. 4,7 Millionen)
Kabylisch (Algerien, 5 Millionen)
Zenati ist ein Sammelbegriff für eine größere Anzahl an Sprachen, deren Verbreitungsgebiet vom Westen Libyens bis ins nördliche Marokko reicht.
östliches Zenati
Ghadamsi (Libyen, 10.000)
Nafusi (Libyen und Tunesien, ca. 200.000)
Sened (Tunesien, ausgestorben)
Ghomara (Marokko)
Mzab-Wargla (Sprache der Mzabiten)
Taznatit (Algerien, 40.000)
Tumzabt (Algerien, 150.000)
Tagargrent (Algerien, 20.000)
Temacine Tamazight (Algerien, 6.000)
Rif
Tarifit (Marokko, Algerien, 4,4 Millionen)
Senhaja de Srair (Marokko, 50.000)
Shawiya (Chaouia) (Algerien, 2,1 Millionen)
Shenwa (Chenoua) (Marokko, Algerien und Tunesien, 76.300)
Tidikelt (Algerien, 9.000)
Tuareg
Das Tuareg wird von der gleichnamigen Gruppe von Stämmen gesprochen, die im Süden Algeriens und Libyens sowie im Norden von Mali, Burkina Faso und im Niger beheimatet sind. Alle Stämme bezeichnen ihre Sprache mit einem Derivat der protoberberischen Wurzel *mzɣ, die dialektal zwischen Tămahăqq, Tămašăqq (Tamascheq) und Tămažăqq (Tamascheq) schwankt. Zur eindeutigeren Identifizierung dienen die entsprechenden Stammesnamen: Tăwăllămătt etwa bezeichnet die Sprache der Iwllămmădăn. Heath gliedert das Tuareg folgendermaßen:
nördliches Tuareg
Tamahaq/Tahaggart (Algerien, Libyen, Niger, 77.000)
südliches Tuareg
Tamascheq (Mali, Burkina Faso, 280.000)
Tamascheq/Tayart (Niger, 250.000)
Tamascheq/Tawallammat (Niger, 640.000)
Zenaga
Das Zenaga ist die Sprache eines kleinen berberischen Stammes im Südwesten Mauretaniens. Aufgrund der räumlichen Distanz zu den anderen Berbersprachen weist das Zenaga sehr große Unterschiede zum Rest des Berberischen auf.
Zenaga (Mauretanien, 200–300)
Sprachen unsicherer Zuordnung
Guanche: die ausgestorbene Sprache der Ureinwohner der Kanaren (Spanien), wobei nicht gesichert ist, dass es sich um eine Berbersprache handelt, weil das Sprachmaterial zu lückenhaft ist.
Libysch (Numidisch, Altlibysch): eine antike, in Nordafrika gesprochene und bislang kaum entschlüsselte Sprache, deren Zugehörigkeit zum Berberischen ebenfalls nicht völlig klar ist.
Status
In den meisten Fällen wird das lokale Berberisch noch als Umgangs- und Verkehrssprache gesprochen, wobei jedoch oft Zweisprachigkeit mit überregionalen Verkehrssprachen besteht, vor allem dem Arabischen und dem Französischen. Es besteht zwar keine standardisierte Form des Berberischen; da viele lokale Varianten untereinander jedoch leicht verständlich sind, kam es vielerorts, nicht zuletzt in der Diaspora, zur Einebnung dialektaler Unterschiede. Nur in Marokko ist eine Berbersprache (Marokkanisches Tamazight) Amtssprache; in Niger, Mali und seit 2002 auch in Algerien sind lokale Berbersprachen als offizielle Sprachen anerkannt. In Algerien, Niger, Mali und besonders Marokko werden Berbersprachen an einigen Schulen gelehrt. Als literarische Sprache finden sie nur eingeschränkt Verwendung.
Verschriftlichung
Die berberische Sprachkultur ist vorrangig eine mündliche Kultur. Jedoch ist bei den Tuareg eine Tifinagh genannte alphabetische Konsonantenschrift in Gebrauch, in der kurze Inschriften auf Felsen und auf Gebrauchsgegenständen abgefasst werden; sie geht auf die antike libysche Schrift zurück. Vor allem im Norden des berberischen Sprachgebiets hat die Fixierung in einer leicht modifizierten Form der arabischen Schrift eine mindestens auf das 12. Jahrhundert zurückgehende Tradition. Im 20. Jahrhundert wurde von Institutionen wie der Berberakademie die Anwendung von Tifinagh auch für nördliche Dialekte vorgeschlagen, die heute in Marokko amtlich anerkannt ist. Daneben wird nicht zuletzt in digitalen Medien wie auch in der Wissenschaft die Umschreibung mit lateinischen Buchstaben bevorzugt. Der vorliegende Artikel verwendet eine soweit möglich phonemisch basierte lateinische Transkription.
Phonologie
Das Lautsystem der verschiedenen Berbersprachen weist zwar grundsätzliche Ähnlichkeiten auf, aufgrund schwer nachvollziehbarer Lautwandel und einer geradezu verwirrenden Vielfalt an Allophonen ist die Rekonstruktion des proto-berberischen Lautbestandes schwierig. Als Charakteristikum der Berbersprachen wie auch anderer afroasiatischer Sprachen kann die Existenz pharyngalisierter Konsonanten gelten. Auch der phonemische Charakter der Gemination, die mit Fortis-Artikulation einhergeht, ist typisch afroasiatisch. Jedoch ist bei derartigen Parallelen teilweise auch Vorsicht geboten, da der Einfluss des Arabischen auf das Berberische nicht unterschätzt werden darf. So wurden die Phoneme //, und , drei typisch afroasiatische Konsonanten, aus dem Arabischen übernommen und können nicht für das Proto-Berberische rekonstruiert werden. Die folgenden konsonantischen Phoneme werden von Maarten Kossmann für das Proto-Berberische angesetzt (in Kossmanns Transkription):
Die meisten Konsonantenphoneme konnten auch gelängt auftreten, wobei teilweise Artikulationsort und Artikulationsart des gelängten Allophons abwichen, so war etwa qq die gelängte Version von γ. Die meisten nördlichen Berbersprachen besitzen die vier Vokale a, i, u und ə, wobei Letzteres aber teilweise keinen phonemischen Status besitzt, da es in bestimmten Sprachen aus der Silbenstruktur vorhersagbar ist. Vokallänge und Akzent sind dort im Allgemeinen nicht phonemisch. Im Tuareg und im Ghadames finden sich dagegen die langen Vokale a, i, u, e, o sowie die kurzen Vokale ə und ă (auch ä/æ transkribiert). Für das Protoberberische werden die kurzen Vokale /a/, /i/, /u/ und die langen Vokale /aa/, /ii/, /uu/, /ee/ rekonstruiert, während /oo/ wohl nicht auf die Protosprache zurückgeht. Als Silbenstrukturen sind im Tuareg fast nur V, VC, CV, CVC (C steht für einen beliebigen Konsonanten, V für einen beliebigen Vokal) erlaubt, in vielen nördlichen Dialekten sind dagegen stärkere Konsonantenhäufungen möglich. Der Akzent ist bislang nur geringfügig erforscht, die einzige umfassende Analyse stellt Heath 2005 zum Tuareg dar.
Morphologie
Die Morphologie des Berberischen ist fusional und stark flektierend, was sich besonders in der häufigen Anwendung des Ablauts widerspiegelt. Die Grundlage bildet dabei die Wurzel, die aus einer Abfolge von meist drei, seltener einem, zwei oder vier Konsonanten besteht. Sie enthält ausschließlich lexikalische Information, grammatische Informationen werden zu einem wesentlichen Teil von ihrer Vokalisation geliefert.
Nominalmorphologie
Das berberische Substantiv unterscheidet die beiden Genera Maskulinum und Femininum sowie die Numeri Singular und Plural. Ähnlich dem Kasussystem anderer Sprachen verfügt das berberische Substantiv über zwei sogenannte Status, den Status absolutus und den Status annexus. Numerus, Genus und Status werden bei den meisten Substantiven durch Präfixe markiert, die im Kabylischen die folgenden Formen haben:
Der Status absolutus steht sowohl als Zitierform und als extrahiertes Thema als auch in Funktion des direkten Objekts, entspricht im Wesentlichen also dem Absolutiv anderer Sprachen. Der Status annexus tritt dagegen als Subjekt eines Verbalsatzes und als Objekt von Präpositionen auf, zu näheren Angaben siehe den Abschnitt zur Syntax. Attributive Verhältnisse zwischen Nominalphrasen werden mit der Präposition n ausgedrückt (Kabylisch) afus n wə-rgaz „die Hand des Mannes“. N wird oft auch mit Personalpronomina benutzt: akal-n-sən „ihr Land“.
Das Femininum kann auch zusätzlich durch ein Suffix -t markiert werden: Taschelhit a-ɣyul „Esel“ – ta-ɣyul-t „weiblicher Esel“. Auch Pluralformen verfügen über zusätzliche Möglichkeiten der Kennzeichnung. Neben dem Suffix -ăn/-ən (kabylisch a-rgaz „Mann“ – i-rgaz-ən „Männer“) spielt auch der Ablaut eine Rolle. Dabei wird der letzte Vokal eines Wortes zu a, der erste teilweise zu u (kabylisch a-ɣɣul „Esel“ (Singular) – i-ɣɣal „Esel“ (Plural)).
Pronominalmorphologie
Die Personalpronomina des Berberischen lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen teilen: freie und klitische Formen, wobei sich letztere nach ihrer syntaktischen Funktion noch weiter untergliedern lassen. Die folgenden Formen sind dem Tahaggart, einem Dialekt des Tuareg, entnommen, wobei besonders der Plural der absoluten Pronomina in anderen Sprachen stark abweichen kann:
Absolute Pronomina wirken betonend und stehen insbesondere am Satzanfang. Die Objektspronomina kommen als Klitika in Verbalkomplexen vor (siehe unten), die „präpositionalen“ Pronomina werden an Präpositionen als deren Objekt suffigiert: ɣur-i „bei mir“. Sie können mit gewissen Einschränkungen auch als suffigierte Possessivpronomina auftreten, so beispielsweise Tuareg ma-s „seine Mutter“, Kabylisch aḫḫam-is „sein Haus“. Meist werden sie dazu jedoch – ebenso wie Substantive – mit der Präposition n angeschlossen, vergleiche Kabylisch akal-n-sən „ihr Land“.
Verbalmorphologie
Stammbildung
Von der aus meist zwei oder drei Konsonanten bestehenden Verbalwurzel lassen sich verschiedene Stämme ableiten, zum einen zum Zwecke der Konjugation, zum anderen zur Derivation. Die meisten Sprachen verfügen über vier Stämme, durch die verschiedene Aspekte ausgedrückt werden:
Aorist
Intensiver Aorist (hat frequentative und durative Bedeutung)
Perfekt
Negatives Perfekt (negierte Form des Perfekts)
In verschiedenen Dialekten des Tuareg existieren weitere Stämme, deren Anzahl von Dialekt zu Dialekt schwankt. Folgende zwei Stämme sind in allen Formen des Tuareg vorhanden:
Resultatives Perfekt (drückt die Auswirkungen einer vergangenen Handlung aus)
Negativer intensiver Aorist (negierte Form des intensiven Aorists)
Die Stämme werden zum größten Teil ausschließlich durch Ablaut gebildet, wie die folgenden Beispiele aus dem Chaouia zeigen:
Bei bestimmten Verben tritt innerhalb eines Aspekts ein Vokalwechsel auf: ufi-ɣ „ich fand“ neben y-ufa „er fand“. Außerdem verfügen die Berbersprachen über ein aus dem Proto-Afroasiatischen ererbtes, hauptsächlich mit Affixen arbeitendes System zur Verbalderivation (Beispiele aus dem Tuareg):
Konjugation
Die Konjugation des Verbs erfolgt vorrangig mit Personalpräfixen, die teilweise durch Suffixe ergänzt werden. Die Personalaffixe sind in allen Verbalstämmen gleich, die Aspekte werden ausschließlich durch den Verbalstamm unterschieden. Die Konjugation des Aoriststammes von əkkəs „herausnehmen“ im Tuareg lautet:
Im Kabylischen und im Tuareg wird das Perfekt von Verben, die eine Eigenschaft ausdrücken, mit Suffixen konjugiert:
Durch prä- oder postverbale Klitika können weitere temporale oder modale Unterscheidungen ausgedrückt werden (Beispiele aus dem Taschelhit):
Präsens mit ar: ur-ar-yaf nicht-Präsens-er findet „er findet nicht“
Perfekt mit əlli: ríɣ-əlli „ich wollte“
Der Imperativ entspricht im Singular dem Verbalstamm des Aorist und dient daher als Zitierform des Verbs: əkkəs „nimm heraus“ (Tuareg). Daneben lässt sich auch ein Imperativ des Intensivstammes bilden. Im Plural erhält der Imperativ ein Affix, das sich nach dem Genus der Angesprochenen richtet: əkkəs-ăt „nehmt heraus“ (maskulin), əkkəs-măt „nehmt heraus“ (feminin). Von mehreren Aspektstämmen können aktive Partizipien gebildet werden, die teilweise nach Numerus und Genus flektiert werden. Dabei wird im Wesentlichen die Konjugationsform der entsprechenden 3. Person mit Suffixen versehen; im Tuareg treten zusätzliche Ablautmerkmale auf. Die Partizipien werden in Relativsätzen benutzt, deren Subjekt mit dem externen Bezugswort identisch ist: kabylisch ikšəm wərgaz „der Mann ist eingetreten“ (normaler Verbalsatz) > argaz ikšəm-ən „der Mann, der eingetreten ist“ (Relativsatz).
Deverbale Nomina
Deverbale Substantive können durch Überlagerung der konsonantischen Wurzel mit einer Folge von Vokalen gebildet werden, wie die folgenden Beispiele aus dem Tuareg zeigen:
əddăh „zerstoßen“ – t-idhăw-t „das Zerstoßen“
əggəš „hereingehen“ – ugəš „das Hereingehen“
sarad „waschen“ – asirəd „das Waschen“
ibhaw „grau sein“ – abhaw „grau“
durhən „begehren“ – derhan „Wunsch“
An der Bildung von deverbalen Substantiven können auch Präfixe beteiligt sein. Sehr häufig kommt in dieser Funktion das Präfix am-, em- vor:
em-ăsăww „Trinker; Quelle“ – əsəw „trinken“
am-idi „Freund“ – idaw „begleiten“
em-ăls „Kleidung“ – əls „(Kleidung) tragen“
Zahlwörter
Die heutigen nördlichen Berbersprachen benutzen vorwiegend aus dem Arabischen entlehnte Zahlwörter, wohingegen die ursprünglichen berberischen Formen fortschreitend verdrängt werden. Sie lauten im Taschelhit:
Sie kongruieren im Genus mit ihrem Bezugswort, feminine Formen werden dabei mit einem Suffix -t abgeleitet: ya-t „eine“, sn-at „zwei“, smmus-t „fünf“. Es finden sich in verschiedenen Berbersprachen einige Abweichungen von diesem System, die wichtigste ist dabei das auf der Zahl „fünf“ beruhende System etwa des Nafusi: ufəs „Hand; fünf“, ufəs d sən „eine Hand und zwei“ = „sieben“, okkos n ifəssən „vier Hände“ = „zwanzig“.
Syntax
Verbalsatz
Satzstellung
Sätze, deren Prädikat eine finite Verbform ist, haben im Allgemeinen die Satzstellung Verb – Subjekt – Objekt (es handelt sich also um typische VSO-Sprachen). Das Subjekt muss hierbei nicht zusätzlich zur finiten Verbform ausgedrückt werden:
Alle Satzteile außer dem Prädikat können als „Thema“ (oder „Topik“) an den Satzanfang gestellt werden; sie werden im Satz dann durch resumptive Pronomina vertreten. In thematisierter Stellung stehen Substantive im Status absolutus und Personalpronomina als absolute Pronomina:
Verbalklitika
Vor oder hinter das konjugierte Verb kann eine Kette mehrerer Klitika treten. Dabei können folgende Morpheme angewendet werden:
Negationspartikel wăr, wər, ur (je nach Sprache)
verschiedene aspektuelle oder modale Partikeln wie ad, a (je nach Sprache)
Objektpronomina in der Reihenfolge indirektes Objektpronomen – direktes Objektpronomen
„Entfernungsmorpheme“
Die Entfernungsmorpheme d und n stellen eine Besonderheit des Berberischen dar. Während
d Nähe oder Bewegung zum Sprecher (Ventiv) ausdrückt, steht n für Entfernung oder Bewegung vom Sprecher weg.
Beispiele für Verbalkomplexe aus dem Tuareg:
Nominalsatz
Auch Nominal- und Präpositionalphrasen können in den Berbersprachen das Prädikat eines Satzes bilden, beispielsweise (Tamazight) ism-ns Muha „sein Name ist Muha“, (Kabylisch) ɣur-i lbhaim „bei mir ist Vieh“ = „Ich habe Vieh“. In einigen Dialekten ist aber die Anwendung einer Kopula d erforderlich: Kabylisch ntta d aqbaili. „Er ist Kabyle“. In Nominalsätzen steht auch das Subjekt im Status absolutus.
Lexikon
Vor allem im Bereich des Grundwortschatzes ähneln sich die Berbersprachen stark. Insbesondere das wirtschaftliche Vokabular ist aber bei sesshaften Stämmen wesentlich anders als bei Nomaden: Während das Tahaggart nur zwei oder drei Bezeichnungen für Palmenarten kennt, finden sich in anderen Sprachen bis zu 200 derartige Wörter, dafür hat das Tahaggart ein reiches Vokabular zur Beschreibung von Kamelen. Vor allem die nördlichen Berbersprachen haben einen großen Teil des ererbten Wortschatzes durch arabische Entlehnungen ersetzt. Zum einen wurden mit dem Islam verbundene Wörter und Wendungen übernommen, etwa Taschelhit bismillah „im Namen Allahs“ < klassisches arabisch bi-smi-llāhi, Tuareg ta-mejjīda „Moschee“ (arabisch masǧid), zum anderen nahm das Berberische auch kulturelle Begriffe wie kabylisch ssuq „Markt“ aus arabisch as-sūq, tamdint „Stadt“ < arabisch madīna auf. Selbst Wendungen wie die arabische Grußformel as-salāmu ʿalaikum „Friede sei mit euch!“ wurden übernommen (Tuareg salāmu ɣlīkum). Oftmals besitzen Berbersprachen neben arabischen Lehnwörtern auch ursprüngliche berberische Bezeichnungen wie im Kabylischen, wo für „Westen“ die Wörter ataram und lɣərb (arabisch al-ġarb) nebeneinander bestehen. In jüngerer Zeit haben daneben auch europäische Sprachen einen Einfluss auf die Berbersprachen ausgeübt, wodurch Wörter wie „Internet“ in das Berberische eindrangen (kabylisch intərnət).
Literatur
Überblick
André Basset: La langue berbère. Handbook of African Languages, part I. Oxford University Press, Oxford 1952
Lamara Bougchiche: Langues et littératures berbères des origines à nos jours. Bibliographie internationale. Ibis Press, Paris 1997, ISBN 2-910728-02-1.
Moha Ennaji (Hrsg.): Berber Sociolinguistics. (Joshua A. Fishman: International Journal of the Sociology of Language, Band 123) Mouton de Gruyter, Berlin/New York 1997.
Maarten Kossmann: Berber Classification. In: Maarten Kossmann: The Arabic Influence on Northern Berber. (Studies in Semitic Languages and Linguistics 67). Brill, Leiden 2013, S. 16–25. ISBN 978-90-04-25309-4
Ekkehard Wolff: Die Berbersprachen. In: Bernd Heine, Thilo C. Schadeberg und Ekkehard Wolff: Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981, ISBN 3-87118-496-9
Literatur zu wichtigen Teilbereichen
Salem Chaker: Linguistique berbère: Études de syntaxe et de diachronie. Peeters, Paris 1995, ISBN 2-87723-152-6.
Maarten G. Kossmann: Essai sur la phonologie du proto-berbère. Grammatische Analysen afrikanischer Sprachen 12. Rüdiger Köppe Verlag, Köln 1999, ISBN 3-89645-035-2.
Karl G. Prasse: The Reconstruction of Proto-Berber Short Vowels. In: James Bynon, Theodora Bynon: Hamito-Semitica. Mouton, Den Haag/Paris 1975, S. 215–231
Karl-G. Prasse: Manuel de grammaire touarègue (tăhăggart). 3 Bände, Kopenhagen 1972–1974. ISBN 87-500-1489-7, ISBN 87-500-1310-6, ISBN 87-505-0205-0 (historische Grammatik des Berberischen unter besonderer Berücksichtigung des Tuareg)
Vermondo Brugnatelli: Semitic-Berber Relations. In: Stefan Weninger et al. (eds.): The Semitic Languages: An International Handbook. De Gruyter – Mouton, Berlin 2011, S. 18–27.
Lexika
Kamal Naït-Zerrad: Dictionnaire des racines berbères (formes attestées) Vol. I, 1998 ISBN 90-429-0579-4; II, 1999 ISBN 90-429-0722-3; III, 2002, ISBN 90-429-1076-3.
Literatur zu wichtigen Einzelsprachen
Jeffrey Heath: Grammar of Tamashek (Tuareg of Mali). (Mouton Grammar Library, 35) Mouton de Gruyter, Den Haag 2005. ISBN 3-11-018484-2
Weblinks
„Wie hört sich Berberisch an?“ (Tamazight-Gedichte als Text & MP3)
Ernst Kausen: Die Klassifikation Berbersprachen innerhalb der afroasiatischen Sprachen (DOC; 127 kB)
Bibliographie
Bibliographie
Les Berbères en Afrique du Nord Französisch
Einzelnachweise
Sprachfamilie
Berberkultur
Maghreb
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Q25448
| 287.116139 |
54234
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https://de.wikipedia.org/wiki/Neu-Delhi
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Neu-Delhi
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Neu-Delhi (; ; ; ) ist die Hauptstadt Indiens, Sitz der indischen Regierung, des Parlaments und der obersten Gerichte. Neu-Delhi ist ein relativ kleiner Teil der Megastadt Delhi, der mit 31,87 Millionen Einwohnern drittgrößten Metropolregion der Welt (Stand 2021), und verfügt innerhalb des Nationalen Hauptstadtterritoriums Delhi über eine eigene Kommunalverwaltung, die 2011 ein Gebiet mit rund 250.000 Einwohnern umfasste.
Der Grundstein Neu-Delhis wurde während der Kolonialzeit am 15. Dezember 1911 südlich des damaligen Stadtzentrums Shahjahanabad gelegt, um Kalkutta als Hauptstadt Britisch-Indiens abzulösen.
Delhi und Neu-Delhi
Das Verhältnis zwischen den Namen Delhi und Neu-Delhi ist komplex. Neu-Delhi ist ein Teil der Metropole Delhi, die als National Capital Territory of Delhi („Nationales Hauptstadtterritorium Delhi“) von der indischen Zentralregierung mitverwaltet wird. Im engeren Sinn bezeichnet Neu-Delhi nur das während der britischen Kolonialzeit planmäßig angelegte Regierungsviertel, welches lediglich einen sehr kleinen Teil des Hauptstadtterritoriums umfasst und im Wesentlichen mit den Grenzen der kommunalen Verwaltungseinheit Neu-Delhi übereinstimmt. Mit dem davon zu unterscheidenden Distrikt Neu-Delhi besteht aber noch eine weitere administrative Einheit gleichen Namens mit anderer Grenzziehung.
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Neu-Delhi oft erheblich weiter gefasst. Als Neu-Delhi gegründet wurde, bestand Delhi in erster Linie aus der ummauerten Altstadt von Shahjahanabad (Old Delhi, Alt-Delhi). Durch das rasante Bevölkerungswachstum wurden nach der indischen Unabhängigkeit nach und nach auch die umliegenden, einstmals ländlichen Gebiete urbanisiert. Diese „neuen“ Teile Delhis werden entsprechend auch häufig zu Neu-Delhi gezählt. Heute wird die Bezeichnung Neu-Delhi somit oft komplementär zu Alt-Delhi für alle Gebiete Delhis außerhalb von Shahjahanabad benutzt. Vielfach sind die Namen Delhi und Neu-Delhi aber auch gänzlich austauschbar.
Verwaltung
Administrativ ist das Hauptstadtterritorium Delhi in die drei kommunalen Verwaltungseinheiten Delhi, Delhi Cantonment und New Delhi unterteilt. Der Kommunalverwaltung Neu-Delhis, dem New Delhi Municipal Council, untersteht dabei ein Gebiet von 42,7 Quadratkilometern, was nur einen kleinen Teil der Gesamtfläche des 1483 Quadratkilometer großen Hauptstadtterritoriums Delhi ausmacht. Das Gemeindegebiet umfasst im Wesentlichen den von Edwin Lutyens und Herbert Baker entworfenen Stadtteil der Metropole. Nach der indischen Volkszählung von 2011 lebten dort 249.998 Menschen, was rund 1,5 % der gleichzeitig erhobenen 16,8 Millionen Einwohner im Hauptstadtterritorium Delhi entspricht.
Aufgrund der Hauptstadtfunktion unterliegt die Kommunalverwaltung Neu-Delhis gesonderten Bestimmungen. Der Stadtrat (council) umfasst zwölf Mitglieder, die nicht direkt gewählt, sondern ernannt werden. Der Vorsitzende (chairperson) wird von der Unionsregierung in Konsultation mit dem Chief Minister von Delhi bestimmt. Zwei Mitglieder entstammen der Delhi Legislative Assembly, dem Einkammernparlament des Hauptstadtterritoriums. Die übrigen neun Mitglieder werden von der Unionsregierung eingesetzt, vier davon erneut in Konsultation mit dem Chief Minister von Delhi.
Parallel zur Unterteilung in kommunale Verwaltungseinheiten ist das Hauptstadtterritorium Delhi auch in elf Distrikte gegliedert. Es gibt einen Distrikt New Delhi, dessen Grenzen aber nicht mit denen der gleichnamigen kommunalen Verwaltungseinheit übereinstimmen. Der Distrikt Neu-Delhi ist größer als das Gebiet der Kommunalverwaltung, erstreckt sich weiter nach Südwesten und umfasst auch das Delhi Cantonment sowie Teile der kommunalen Verwaltungseinheit South Delhi.
Geschichte
Im Jahr 1911 kündigte Georg V., König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland und Kaiser von Indien, auf dem Delhi Durbar die Verlegung der Hauptstadt von Kalkutta (dem heutigen Kolkata) nach Delhi an. Er beauftragte die talentierten und ehrgeizigen britischen Architekten Edwin Lutyens und Herbert Baker mit der Planung des neuen Regierungsviertels. Bis dieses fertig war, wurde 1912 der Sitz der Regierung vorübergehend ins Delhi Cantonment verlegt. Im selben Jahr begann der Aufbau der neuen Hauptstadt am Südrand von Shahjahanabad (Alt-Delhi).
Im Jahr 1929 war die Planhauptstadt fertiggestellt und konnte am 13. Februar 1931 feierlich übergeben werden. Neu-Delhi mit seinen großen Parks und Alleen sowie seiner Kolonialarchitektur hebt sich vom Stadtbild her deutlich von den anderen großen indischen Metropolen ab, die in ihrer Entwicklung weniger Planung erfahren haben. Im Jahr 1932 wurde die Elektrizitäts- und Wasserversorgung von der Stadtverwaltung übernommen, während der Verkehr – insbesondere die Busse – privat organisiert blieben. Neu-Delhi ist auch an das im Jahr 2002 in Betrieb genommene und zwischenzeitlich weiter ausgebaute U-Bahn-Netz (Delhi Metro Rail) angeschlossen.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Museen
In Neu-Delhi befinden sich eine große Anzahl hervorragender Museen für Geschichte, Kunst und Kunsthandwerk.
Nationalmuseum
Das „National Museum“ ist Neu-Delhis größtes Museum und vermittelt den besten Überblick zur Kultur und Geschichte Indiens. Die zahlreichen Ausstellungsstücke decken einen Zeitraum von 5000 Jahren ab und sind auf mehrere Galerien verteilt, die um einen zentralen Innenhof liegen. Für den Besuch sollte man auf jeden Fall einige Stunden einplanen.
Im Erdgeschoss befinden sich architektonische Exponate und eine exzellente Sammlung juwelenbesetzter Kleider, dunkler Holzkisten mit Intarsienarbeiten aus Perlmutt, Speere, Dolche, Schwerter, Wandteppiche aus Elfenbeinschmuck und Seide. Ebenso sind Gemälde aus verschiedenen indischen Schulen sowie Figuren und Masken aus Nagaland zu sehen.
Das zweite Stockwerk zeigt ausgewählte Masken und religiöse Statuen aus Peru, Costa Rica und Marokko. Im obersten Stockwerk werden verschiedene schwere, kunstvoll geschnitzte Holztüren, Fensterläden und Türstürze aus Gujarat ausgestellt, die Beispiele einer hervorragenden Tischlerkunst sind. Eine benachbarte Abteilung zeigt 300 Musikinstrumente aus Indiens reicher musikalischer Tradition.
Gandhi Smriti
Das Gandhi Smriti – zuvor als Birla-Haus oder Birla Bhavan bekannt – war früher das Haus indischer Geschäftsmagnaten. Seit 1995 ist dort das Eternal Gandhi Multimedia Museum. Mahatma Gandhi war der politische und geistige Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung. In diesem Haus (Tees January Road) verbrachte Mahatma Gandhi die letzten 144 Tage seines Lebens, bevor er am 30. Januar 1948 einem Mordanschlag zum Opfer fiel.
Bauwerke
India Gate
Das India Gate, offiziell „All India War Memorial“, ist 1921 von Edwin Lutyens entworfen worden. Der 42 m hohe Bogen am östlichen Ende der Promenade Rajpath ähnelt dem Arc de Triomphe in Paris. Es erinnert an die 90.000 indischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg für Großbritannien ihr Leben ließen.
Eingemeißelt sind die Namen von 3.000 indischen und britischen Soldaten, die an der Nordwestgrenze und 1919 im Krieg in Afghanistan starben. Auch die Toten im Krieg zwischen Indien und Pakistan im Jahre 1971 werden durch das Denkmal unter dem India Gate geehrt.
Rashtrapati Bhavan
Rashtrapati Bhavan die offizielle Residenz des indischen Präsidenten, ist eines der größten und prächtigsten herrschaftlichen Bauwerke. Das H-förmige und lachsfarbene Gebäude, am westlichen Ende der Promenade Rajpath am sanft abfallenden Hang des Raisina Hill gelegen, wurde zwischen 1921 und 1929 von Edwin Lutyens und Herbert Baker für den Vizekönig entworfen. Er war ein Symbol imperialer Macht. Das Gebäude trägt trotz seiner klassischen Säulen, der indischen Filigranfarben sowie seiner Chhatris und Kuppeln im Mogul-Stil eine unverkennbare britische Handschrift.
Sansad Bhavan
Das Parlamentsgebäude, heute bekannt als Sansad Bhavan, befindet sich nordöstlich vom Rashtrapati Bhavan. Das niedrige Rundgebäude, von Lutyens geplant und unter Aufsicht von Baker errichtet, bedeckt eine Grundfläche von mehr als 20.000 Quadratmetern. Das Sansad Bhavan präsentiert sich von außen als ein Kreis aus 144 Stützsäulen und einem darüber liegenden Stockwerk mit einer zentralen Kuppel.
Im Inneren des Gebäudes befinden sich drei runde Plenarsäle. Hier tagte bis zur Unabhängigkeit Indiens die Chamber of Princes. Heute beherbergt es eine umfangreiche Bibliothek zur Geschichte der Politik ab den 1920er Jahren.
Connaught Place
Der Connaught Place ist Dreh- und Angelpunkt von Neu-Delhi. Er steht in einem großen Kontrast zum überfüllten Zentrum von Alt-Delhi. Der nahezu kreisförmige Platz, umgeben von hohen weißen Gebäude mit ihren von klassischen Säulen gestützten Veranden, wurde vom Chefarchitekten der indischen Regierung, Robert Tor Russell (1886–1953), geplant, und ist damit eines der wenigen Viertel der Stadt, die nicht von Lutyens und Baker erdacht wurden.
Der Platz ist für ein klassisches Einkaufszentrum sehr großzügig angelegt worden. Ähnlich dem parlamentarischen Hauptquartier südlich sind die Geschäfte und Büros in prächtigen Gebäuden mit Arkadengängen untergebracht. Der Connaught Place beherbergt ein immenses touristisches Angebot, eine große Anzahl von Hotels und Restaurants.
Agrasen Ki Baoli
Der Agrasen Ki Baoli genannte Stufenbrunnen stammt aus dem 14./15. Jahrhundert und ist ein architektonisches Zeugnis der früheren Besiedlung in der Umgebung des Connaught Place.
Jantar Mantar
Die Sternwarte Jantar Mantar ist zwischen dem Connaught Place und dem „Rashtrapati Bhavan“ zu finden. Das Freiluft-Observatorium ist das erste von fünf, das der Herrscher von Jaipur, Jai Singh II. (1686–1743) errichten ließ. Die Sternwarte wurde seit ihrer Errichtung 1725 fast nicht verändert.
Schräg zwischen Palmen und gepflegten Blumenbeeten stehen riesige, tiefrote und weiße Steingebilde. Die Menschen bestimmten früher anhand des Schattenwurfs dieser gigantischen Sonnenuhren mit bewundernswerter Genauigkeit die Zeit, Sonnen- und Mondkalender sowie astrologische Bewegungen.
Safdarjung-Mausoleum
Das Safdarjung-Mausoleum ist ein bedeutendes Monument aus der Spätzeit der Mogul-Architektur. Es entstand im 18. Jahrhundert.
Lodi-Gärten
Die Lodi-Gärten sind eine etwa 360.000 m² große Parkanlage mit mehreren Mausoleen und anderen Bauten aus dem 15. und 16. Jahrhundert.
Gebetsstätten
Der Laxminarayan Mandir ist der älteste große hinduistische Tempel Delhis. Der Gurudwara Bangla Sahib ist eines der wichtigsten Sikh-Zentren der Stadt. Die Sacred Heart Cathedral ist die Bischofskirche des römisch-katholischen Erzbistums Delhi.
Persönlichkeiten
Subrahmanyam Jaishankar (* 1955), Diplomat; seit 2019 Außenminister
Peter Plate (* 1967), deutscher Sänger und Komponist
Guneet Monga (* 1983), Filmproduzentin und Filmschaffende
Yuki Bhambri (* 1992), Tennisspieler
Tejaswin Shankar (* 1998), Leichtathlet
Wirtschaft
Neu-Delhi ist das Verwaltungszentrum für die Regierung von Indien. Connaught Place, eines der größten kommerziellen und finanziellen nördlichen Zentren Indiens, befindet sich im nördlichen Teil. Der Dienstleistungssektor prägt den wirtschaftlichen Standort, und aufgrund der vielen qualifizierten englischsprachigen Arbeitskräfte, die von vielen multinationalen Unternehmen angezogen worden sind, liegt hier ein großes Kaufkraftpotential. Zu den Dienstleistungsbranchen zählen Informationstechnologie, Telekommunikation, Hotels, Banken, Medien und Tourismus.
Große Unternehmen, die hier ihren Sitz haben, sind beispielsweise das staatliche Unternehmen Bharat Heavy Electricals, das rund 50.000 Mitarbeiter beschäftigt, der Mobilfunkanbieter Bharti Airtel oder die State Bank of India mit rund 300.000 Mitarbeitern.
Umweltprobleme
Neu-Delhi ist in den Sommermonaten regelmäßig von starker Hitze betroffen. In den letzten Jahren häufen sich jedoch Extremtemperaturen, die an 45 °C heranreichen. Im Sommer 2019 wurde mit 48 °C der Temperaturrekord für Neu-Delhi gebrochen.
Schwerwiegende Veränderungen des Klimas haben in den letzten Jahren in weiten Teilen Indiens zu einer drastischen Verknappung des Trinkwassers geführt. Dies ist in besonderem Maße in Neu-Delhi spürbar. So gehört die Stadt zu jenen 21 bedeutenden indischen Städten, deren Grundwasserreserven nach Berechnungen der Regierungsagentur NITI Aayog im Jahr 2020 vollständig aufgezehrt sein werden.
Neu-Delhi ist die Stadt mit dem weltweit höchsten Feinstaubgehalt in der Luft. Dieser liegt noch 45 % höher als im ebenfalls für extremen Smog bekannten Peking, das den zweiten Platz belegt. Im Jahr 2006 hatten, bei damals noch besserer Luftqualität, 40 % der Kinder der Stadt Atemwegsprobleme. Als Hauptursache wird der ausufernde Fahrzeugverkehr angesehen. Im März 2015 stellte ein Gericht fest, dass die Luftverschmutzung in Neu-Delhi „außer Kontrolle“ sei. Versuche, das Problem durch Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Umstellung von Bussen und Autorikschas auf Gasbetrieb zu lösen, führten bei gleichzeitiger Neuzulassung von 1400 neuen Kraftfahrzeugen täglich (viele davon mit Dieselantrieb) zu keiner Verbesserung der Situation. Die extreme Luftverschmutzung wird zum Wachstumshindernis, da ausländische Investoren nur schwer Mitarbeiter zum Umzug in die Stadt bewegen können. 2016 und 2019 wurden kurzzeitig Fahrverbote, welche abwechselnd für Fahrzeuge mit geradem oder ungeradem Kennzeichen galten, erlassen. Im Herbst und Winter stiegen die Belastungen wegen der landwirtschaftlichen Brandrodungen jeweils weiter an.
Literatur
David A. Johnson: New Delhi: The Last Imperial City. Palgrave Macmillan, New York City 2015, ISBN 978-1-349-69176-0.
Weblinks
Fotostrecke bei suedasien.info – Südasiatische Metropolen: Delhi
Webpräsenz der Stadt Neu-Delhi
Einzelnachweise
Neudelhi
Hauptstadt in Asien
Ort in Delhi
Stadtplanung (Indien)
Planstadt
Hochschul- oder Universitätsstadt in Indien
Municipality in Delhi
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Q987
| 1,485.055106 |
5438
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https://de.wikipedia.org/wiki/Visum
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Visum
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Ein Visum ist eine – normalerweise in einen Reisepass eingetragene – Bestätigung eines fremden Landes, dass Einreise, Durchreise oder Aufenthalt des Passinhabers erlaubt sind.
Bezeichnungen
In der DDR war die Bezeichnung Visum gebräuchlich, dagegen nutzte bis 1990 der westdeutsche Gesetzgeber das Wort Visum überhaupt nicht. Statt „Visum“ wurde bis dahin – ohne Unterschied in der Sache – das Wort Sichtvermerk verwendet. Vor allem durch das Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 und nach der Einführung des einheitlichen Schengen-Visums, das in allen Vertragsstaaten gültig ist, fand die Bezeichnung Visum nach und nach Einzug in die Gesetzgebung und verdrängte das Wort Sichtvermerk Ende 2011 schließlich vollständig.
Die Entwicklung in Österreich war eine ähnliche. Zuletzt fand sich in der Urfassung von § 15 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) noch die Definition der Sichtvermerkspflicht, die als Verpflichtung des Drittstaatsangehörigen, zur rechtmäßigen Einreise nach Österreich ein Visum zu besitzen, verstanden wurde. Mit Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 am 1. Juli 2011 ist das Wort Sichtvermerk auch aus der österreichischen Rechtsordnung verschwunden; die Wörter Sichtvermerksfreiheit und Sichtvermerkspflicht wurden dort durch Visumfreiheit und Visumpflicht ersetzt. Der Begriff Sichtvermerk findet jedoch noch in österreichischen Reisepässen Verwendung.
Das Wort Visum (Pluralform Visa, auch Visen) stammt aus dem Lateinischen (Partizip Perfekt Neutrum zu , wörtlich also ‚das Gesehene‘). In anderen Sprachen wird das Wort vom lateinischen charta visa abgeleitet und heißt daher auch im Singular Visa („das gesehene Papier“) und im Plural entsprechend Visas. Diese Formen finden gelegentlich auch in der deutschen Umgangssprache Verwendung.
Formen des Visums
In den meisten Fällen wird das Visum als Einreisevisum ausgestellt, manche Staaten verlangen auch ein Ausreisevisum oder ein Visum für Reisen innerhalb des Landes (Reisevisum, Durchreisevisum nur für den unmittelbaren Transit). Ein Visum zur Durchreise durch die internationalen Transitzonen eines oder mehrerer Flughäfen wird als Flughafentransitvisum bezeichnet.
Das Visum kann – abhängig von der Rechtsordnung des Ausstellerstaates – neben der Erlaubnis zum Grenzübertritt zugleich Aufenthaltserlaubnis sein. Ebenso bestimmt die Rechtsordnung des Ausstellerstaates, welche Behörde das Visum erteilt. Zuständige Stelle für die Erteilung von Einreisevisa ist zumeist ein Konsulat und die Konsularabteilung einer Botschaft des jeweiligen Landes. Die Erteilung an einer Grenzübergangsstelle oder am Flughafen ist in einigen Staaten nur ausnahmsweise zulässig, während sie in anderen Staaten den Regelfall darstellt.
Regelmäßig wird ein Visum in dem Reisepass oder Passersatz des Reisenden angebracht, oder – vor allem, wenn das Reisedokument des Antragstellers von dem visumausstellenden Staat nicht anerkannt wird – es wird ein gesondertes Blatt für die Anbringung des Visums verwendet.
Allgemeiner Zweck der Visumpflicht
Eine Visumpflicht existiert vor allem, um zu verhindern, dass Personen in den Ausstellerstaat einreisen, die die Voraussetzungen nicht erfüllen. Dazu wird die Zulässigkeit des Grenzübertritts in einem vorgeschalteten Verwaltungsverfahren geprüft. Die Vorabprüfung kann mehrere Ursachen und Ziele haben, z. B.:
Bei der Grenzkontrolle selbst besteht aus zeitlichen und zahlreichen praktischen Gründen nur eine eingeschränkte Möglichkeit, die Einreisevoraussetzungen zu prüfen. So kann z. B. bei der Prüfung eines Antrages auf ein Einreisevisum eine im Herkunfts- oder Wohnsitzstaat ortskundige Auslandsvertretung die Echtheit und den Aussagegehalt vorgelegter Urkunden aus diesem Staat besser beurteilen. Zudem besteht ausreichend Zeit zur Beteiligung anderer Stellen, etwa von Polizeibehörden oder Nachrichtendiensten.
Wird Beförderungsunternehmern die Pflicht auferlegt, Ausländer nur mit einem gültigen Einreisevisum zu befördern, wird die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Personen auf dem Luft- oder Seeweg zunächst in das Gebiet des Zielstaates gelangen, wo ihnen sodann die Einreise verweigert wird, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllen, im Anschluss hieran aber eine Rückbeförderung z. B. wegen der fehlenden Rückkehrberechtigung in einen Staat oder wegen der Verschleierung der Herkunft des Einreisenden scheitert.
Neben der Regulierung der Einreise im Allgemeinen werden Visa im Speziellen auch zur Steuerung der Einwanderung genutzt.
Übliche Ausstellungsvoraussetzungen
Allgemeines
Um ein Visum zu erhalten, sind zumeist der Zweck der Reise, die Finanzierung des Aufenthalts einschließlich eines Krankenversicherungsschutzes sowie die Bereitschaft und Möglichkeit zur Rückkehr in das Herkunftsland zu belegen. Als Nachweise hierfür können eine Einladung aus dem Zielland und Dokumente gefordert werden, die die finanzielle Lage des Antragstellers im Herkunftsland belegen, wie etwa Gehaltsnachweise. Eine Verpflichtungserklärung ermöglicht es nach dem Recht vieler Staaten, Rückgriff auf Mittel des Einladers zu nehmen, wenn staatlichen Stellen durch den Aufenthalt Kosten entstehen (etwa Sozialhilfekosten oder Kosten einer Abschiebung bei unerlaubtem Aufenthalt).
Rückkehrwilligkeit bzw. Rückkehrbereitschaft
In der Praxis besonders problematisch ist oftmals der Nachweis der geforderten Rückkehrbereitschaft bzw. Rückkehrwilligkeit. Im Zusammenhang mit Schengen-Visa hat die zuständige Auslandsvertretung zu prüfen, ob in der Person des Antragstellers begründete Zweifel an der von ihm bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf des beantragten Visums wieder zu verlassen. Begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft von Antragstellern liegen nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Antragsteller keine hinreichende wirtschaftliche oder familiäre Verwurzelung im Heimatland nachweisen kann, die eine Rückkehr wahrscheinlich macht. Eine wirtschaftliche Verwurzelung liegt demnach nicht bereits dann vor, wenn der Antragsteller im Heimatland einer Berufstätigkeit nachgeht; vielmehr muss die gesamte wirtschaftliche Lage, inkl. ggf. vorhandenen Wohn- oder Grundstückseigentums im Verhältnis zu den Lebensverhältnissen in Deutschland so günstig sein, dass ein Zurücklassen der heimatlichen wirtschaftlichen Existenz nicht wahrscheinlich ist. Eine relevante familiäre Verwurzelung kann sich durch (nicht mitreisende) Ehepartner und kleine Kinder oder bei älteren Menschen durch eine starke Einbindung in den Verband der Großfamilie (Mehrgenerationenhaushalt) ergeben, wobei die Beurteilung der familiären Situation letztlich einem erheblichen Beurteilungsspielraum unterliegt.
Weitere Aspekte
In sehr vielen Fällen sind Visa mit bestimmten Auflagen oder Einschränkungen verbunden, z. B. darf der Inhaber kurzfristiger Visa üblicherweise keiner Berufstätigkeit mit Ausnahme von typischen Geschäftsterminen auf einer Geschäftsreise nachgehen. Langfristige Visa für Studenten oder Arbeitnehmer werden von vielen Ländern ausgestellt.
Bürger aus Ländern der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) können aufgrund der guten Beziehungen in nahezu alle Staaten der Welt entweder visumfrei einreisen oder haben zumindest kaum Schwierigkeiten, ein Touristenvisum zu erhalten.
Visumbeantragung in der Praxis
Klassisches Verfahren
Die Vorlage der folgenden Unterlagen wird häufig von den konsularischen Abteilungen der Botschaften und Konsulaten im Zusammenhang mit der Visumbeantragung gefordert. Die Einzelheiten unterscheiden sich entsprechend dem Recht des betroffenen Ausstellerstaates:
Ein ausgefülltes und unterschriebenes Antragsformular, teils in mehreren Ausfertigungen,
ein oder gegebenenfalls mehrere aktuelle Passbilder,
ein Reisepass, der oft noch für eine gewisse Zeit über die geplante Reise hinaus gültig sein muss,
eine Einladung oder andere Dokumente, die den Aufenthaltszweck und die Finanzierung des Aufenthaltes belegen (siehe oben unter „Übliche Ausstellungsvoraussetzungen“),
eine Bestätigung über ein Arbeitsverhältnis und Einkommensnachweis im Heimatland, oder gegebenenfalls eine Studienbestätigung mit bestandenen Prüfungen,
eine Krankenversicherung, die für die Aufenthaltsdauer und den entsprechenden Zielstaat gültig und von diesem ggfs. anerkannt ist,
ein Nachweis der Zahlung der Konsulatsgebühren von 30 bis zu 300 Euro pro Person. Die Höhe kann von der Art des Visums, von der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts, der Zahl der Einreisen und von der gewünschten Bearbeitungsdauer abhängen.
Über die genauen, vom Ausstellerstaat aufgestellten Erteilungsvoraussetzungen und Erfordernisse an den Antrag kann verbindlich nur seine zuständige Auslandsvertretung (Konsularabteilung der Botschaft oder [General-]Konsulat) Auskunft erteilen. Viele Staaten achten auf die genaue Einhaltung dieser Voraussetzungen, die sich bei manchen Staaten häufig oder kurzfristig ändern können. Der Antragsteller muss bei seiner Zeitplanung neben der allgemeinen Bearbeitungsdauer auch berücksichtigen, dass die Erfüllung besonderer Antragsvoraussetzungen einen erhöhten Aufwand bedeuten kann: So fordern manche Staaten die persönliche Anwesenheit des Antragstellers, oder Lichtbilder müssen in einem bestimmten Format vorgelegt werden, das im Wohnsitzland des Antragstellers unüblich sein kann. Einige Ausstellerstaaten bieten eine beschleunigte Ausstellung gegen eine erhöhte Gebühr an. Typisch ist eine Bearbeitungsdauer von einem bis 14 Tagen. Manche Konsulate bieten an, das Visumverfahren auf postalischem Weg abzuwickeln; ob diese Möglichkeit eingeräumt wird, kann von der Staatsangehörigkeit des Antragstellers abhängen oder für verschiedene Auslandsvertretungen desselben Staates unterschiedlich geregelt sein. Die meisten Staaten schließen eine Haftung für die Verzögerung bei der Visumerteilung von vornherein aus oder können sie mit einem Hinweis auf Schwierigkeiten des Einzelfalls ablehnen.
Elektronisches Visum
Immer häufiger ist eine Beantragung als elektronisches Visum (kurz e-Visum) möglich. Der Antragsteller gibt seine Passdaten über eine Internetseite ein und lädt eventuell noch zusätzliche Dokumente, wie Passbilder, als Dateien hoch. Die Prüfung des Antrags erfolgt dann entweder manuell oder automatisiert über eine Software. Im letzteren Fall erhält er oft schon nach wenigen Minuten bis Stunden eine Rückmeldung, ob das Visum genehmigt wurde oder nicht. Im Erfolgsfall wird die Genehmigung in einem Computersystem des Reiselandes gespeichert, auf das die Grenzübergangsstellen Zugriff haben. So kann die Einreiseberechtigung bei Ankunft nach Einlesen des Reisepasses schnell überprüft werden.
Die elektronische Beantragung hat für den Antragsteller und für den ausstellenden Staat große Vorteile: Der Antragsteller erspart sich ein Verschicken des Passes auf dem Postweg und/oder eine Fahrt zum zuständigen Konsulat. Er behält seinen Pass und kann während der Bearbeitungszeit eine andere Reise unternehmen oder gleichzeitig weitere Visa beantragen. Außerdem wird er meist sehr viel schneller über Genehmigung oder Ablehnung informiert. Der ausstellende Staat kann auf die personalintensive Bearbeitung von Visumanträgen in den Konsulaten verzichten und an einer zentralen Stelle bündeln. Das führt zu einer erheblichen Kosteneinsparung, was sich häufig auch in einer niedrigeren Bearbeitungsgebühr niederschlägt.
Diese Vorteile haben dazu geführt, dass immer mehr Staaten auf das elektronische Antragsverfahren umstellen. Beispielsweise hat Saudi-Arabien 2019 das zuvor sehr aufwändige klassische Visumverfahren durch die elektronische Variante ergänzt, um den Tourismus im Land zu fördern.
Allerdings ist es bei einer elektronischen Antragsstellung schwieriger, beigefügte Dokumente auf Veränderungen oder Fälschungen zu prüfen. Deshalb steht die Möglichkeit eines elektronischen Visums oft nur Antragsstellern aus wenigen Staaten zur Verfügung, bei denen die Gefahr eines Missbrauchs, wie einer illegalen Arbeitsaufnahme, als gering eingeschätzt wird. Oft ist auch die zulässige Reisedauer eingeschränkt. So erlaubt Russland mit einem e-Visum lediglich einen Aufenthalt von maximal 16 Tagen, für eine längere Reise muss weiterhin ein konventioneller Antrag gestellt werden.
Visum bei Ankunft
Dies ist die für den Reisenden bequemste Form. Das Visumantrag wird hier direkt bei der Ankunft im Reiseland gestellt und entschieden, meist gegen Zahlung einer kleinen Gebühr. Häufig ist dieses vereinfachte Verfahren auf wenige Grenzübergangsstellen, wie an internationalen Flughäfen, beschränkt. Manchmal muss die Einreise dennoch zuvor online angemeldet werden, so dass es sich eigentlich um ein e-Visum handelt.
Visum und Grenzübertritt
Der genaue rechtliche Inhalt der Entscheidung über ein Visum lässt sich am besten anhand des rechtlichen Zusammenhangs zwischen der Erteilung eines Visums und der Gestattung der Einreise bei der Grenzkontrolle erklären. Er ist in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgestaltet, was im Zusammenhang mit dem Rechtsschutz gegen ein nicht gewährtes Visum oder eine Einreiseuntersagung wichtig wird:
In einigen Staaten, wie etwa den USA und Japan, wird das Visum rechtlich nicht als Aufenthaltstitel behandelt, sondern als Urkunde eigener Art, die eine notwendige Voraussetzung dafür darstellt, an der Grenzübergangsstelle erst den eigentlichen Antrag auf Zulassung der Einreise und des Aufenthalts zu stellen. Das Visum selbst berechtigt also nicht zum Aufenthalt. Das Aufenthaltsrecht wird vielmehr erst bei der Einreise gewährt. Diese rechtliche Konstruktion ermöglicht es den Einwanderungsbeamten, die Einreisevoraussetzungen trotz vorhandenen Visums beim Grenzübertritt zu überprüfen und erst nach dieser Prüfung die Einreise zu gestatten.
In Europa, vor allem im Schengen-Raum, wird das Visum hingegen überwiegend als eine vorab erteilte Erlaubnis zur Einreise und zum Aufenthalt angesehen. Mit dem Visum sind die Einreise und auch der nachfolgende Aufenthalt zunächst erlaubt. Die tatsächliche Gestattung der Einreise mit einem Visum beinhaltet dann nicht mehr eine selbstständige Entscheidung der Grenzkontrollbeamten über den Aufenthalt. Auch im Schengen-Raum sind aber die Einreisevoraussetzungen beim Grenzübertritt erneut zu prüfen. Daher muss auch bei vorhandenem Visum eine Möglichkeit bestehen, die Einreise zu verhindern. Zu einem ähnlichen Ergebnis wie die US-Konstruktion führen daher Regelungen, wonach der Widerruf von Visa vor der Einreise unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist. Folgerichtig behandelt das deutsche Aufenthaltsrecht ein Visum als einen Aufenthaltstitel, der vor der Einreise erteilt wird.
Für den Rechtsschutz ergibt sich aus diesem Unterschied, dass nach dem ersten Modell auf Gestattung der Einreise geklagt werden kann (weil damit eine neue Entscheidung verbunden ist), nach dem zweiten Modell eine Klage hingegen auf Erteilung des Visums und gegen einen etwaigen Widerruf zu richten ist.
Im Allgemeinen führt ein Visum zur Erlaubnis des Aufenthalts in einem bestimmten Staat oder in einer Staatengruppe (z. B. Schengen-Raum) und für einen bestimmten Zeitraum (bei Besuchervisa typischerweise bis zu drei Monaten).
Visum und Grenzkontrollstempel
Die Abgrenzung zwischen einem Visum und einem Grenzkontrollstempel kann – ebenso wie der rechtliche Inhalt eines Visums – nur anhand der Rechtsordnung des jeweiligen betreffenden Staates bestimmt werden. Es sind vor allem folgende Gestaltungen verbreitet:
Nachweis der Tatsache des (kontrollierten) Grenzübertritts: Der Grenzkontrollstempel dokumentiert lediglich die Einreise (oder Ausreise). Er enthält Angaben wie etwa zum Tag, zum Ort und zum verwendeten Transportmittel. Diese Funktion hat der Grenzkontrollstempel etwa in den Schengen-Staaten. Er gibt Aufschluss darüber, wie häufig ein – nur für eine begrenzte Zahl von Einreisen – gültiges Visum verwendet wurde und ob die Höchstaufenthaltsdauer überschritten wurde. Ein Aufenthaltsrecht von Ausländern, die visumfrei einreisen dürfen, wird dann nicht durch den Stempel gewährt, sondern leitet sich unmittelbar aus Rechtsvorschriften ab, wie im Falle des Schengen-Raums aus Artikel 20 des Schengener Durchführungsübereinkommens.
Information über das Aufenthaltsrecht im Kontrollstempel: Es handelt sich um eine Variante des ersten Falles: Das Aufenthaltsrecht ergibt sich aus dem Gesetz, sein Umfang (etwa: Aufenthalt bis zu 90 Tagen erlaubt) wird im Kontrollstempel mitgeteilt, ohne dass durch die Stempelung eine eigene rechtliche Entscheidung getroffen wird.
Nachweis der Aufenthaltsentscheidung: Sieht das Recht des Einreisestaates vor, dass das Aufenthaltsrecht erst bei der Einreise durch eine Entscheidung des Grenzkontrollpersonals verliehen wird, kann durch den Einreisestempel diese Entscheidung dokumentiert werden. Kombinationen mit der ersten Variante sind denkbar (etwa: Dokumentation nur des Grenzübertritts durch den Stempel im Pass, Dokumentation der Länge und Art des erlaubten Aufenthalts auf einer separaten Einreisekarte). Einige Staaten (wie etwa Israel, Malaysia und Singapur) beurkunden bei visumfreien Einreisen die Aufenthaltsentscheidung mit Angabe der zulässigen Aufenthaltsdauer (z. B. 90 Tage) und des Aufenthaltszwecks (z. B. Besucher) im Kontrollstempel, während sie bei Einreisen mit Visum durch einen anderen Kontrollstempel nur die Tatsache der Einreise entsprechend der ersten Variante dokumentieren.
An der Grenze erteiltes Visum: Einige Staaten erteilen Visa regelmäßig an der Grenze und versehen diese Visa dann ggfs. zusätzlich mit Einreisekontrollstempeln. Dies ist etwa in der Türkei im Hinblick auf einige dort visumpflichtige Staaten üblich. Im Schengen-Raum können ebenfalls Visa an der Grenze erteilt werden, allerdings nur als Ausnahmevisum, wenn ein unvorhersehbarer und zwingender Einreisegrund geltend gemacht wird und ein besonderes Interesse (etwa politischer oder humanitärer Natur) glaubhaft gemacht wird.
Der Form nach einem Visum ähnlich sind Einreisekontrollvermerke, die als Etikett in den Pass geklebt werden, fälschungssicherer gestaltet sind als gewöhnliche Stempel und die Grenzkontrolle erleichtern, etwa über Barcodes, die bei der Ausreise wieder eingelesen werden können, damit ein Ausreise- dem dazugehörigen Einreisevorgang zugeordnet werden kann. Japan verwendet zum Beispiel ein derartiges Verfahren.
Des Weiteren gibt es in fast allen Ländern Zurückweisungsstempel, wenn eine Person nicht in das Land aufgenommen wird (siehe Stempel Entry denied – Einreise von Ägypten nach Israel).
Gegenseitigkeit
Ob Staatsangehörige anderer Staaten der Visumpflicht unterworfen werden oder nicht, bestimmt sich allein nach dem Recht des Einreisestaates. Es besteht kein allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts, wonach hinsichtlich der Visumpflicht Gegenseitigkeit zu gewähren wäre oder nicht. Ein anderes Ergebnis könnte sogar dazu führen, dass ein eventuell sicherheitspolitisch problematischer Staat seinen Bürgern universelle Visumfreiheit dadurch verschaffen könnte, dass er selbst alle Ausländer visumfrei stellt.
Sichtvermerksabkommen
In sogenannten „Sichtvermerksabkommen“ haben allerdings zahlreiche Staaten auf zweiseitiger Grundlage vereinbart, ihren Staatsangehörigen gegenseitig Visumfreiheit zu gewähren. Zumeist beziehen sich diese Abkommen dabei nur auf bestimmte Aufenthaltskategorien, wie etwa Touristen, oder Aufenthalte für einen bestimmten Höchstzeitraum. Teils sind diese Abkommen asymmetrisch ausgestaltet. In diesen Fällen gewähren sie für die Angehörigen des einen Staates günstigere Rechte als für die Angehörigen des anderen Vertragsstaats. Beispielsweise gewährt ein Sichtvermerksabkommen von 1953, das zwischen Deutschland und den USA geschlossen wurde, den Staatsangehörigen der USA eine visumfreie Einreise nach Deutschland für zahlreiche Zwecke, während es für Deutsche nur eine erleichterte Visumerteilung vorsieht. Umgekehrt gewährt das Sichtvermerksabkommen zwischen Deutschland und Mexiko deutschen Touristen einen visumfreien Aufenthalt für sechs Monate in Mexiko, während das Abkommen Mexikanern für Aufenthalte in Deutschland keine vergleichbaren Vergünstigungen einräumt.
Sichtvermerksabkommen, die vor dem 1. September 1993 von Schengen-Staaten geschlossen worden sind, bleiben mit ihren Vergünstigungen wirksam; das Recht der Europäischen Union sieht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, diese älteren Sichtvermerksabkommen weiter anzuwenden. Inzwischen können Schengen-Staaten Sichtvermerksabkommen nur noch eingeschränkt schließen, weil die entsprechende Regelungsmaterie weitgehend in die Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Union übergegangen ist. Sichtvermerksabkommen der EU-Mitgliedstaaten dürfen sich demnach nur noch auf Sachverhalte beziehen, in denen die Europäische Union den Mitgliedstaaten eine eigene Regelungszuständigkeit belassen hat.
Verhandlungsmechanismus der Europäischen Union
In den Schengen-Staaten besteht eine einheitliche Liste der visumpflichtigen und nicht visumpflichtigen Herkunftsstaaten. Es ist politisches Ziel der Europäischen Union, allen Unionsbürgern Visumfreiheit zumindest in denjenigen Staaten zu verschaffen, deren Staatsangehörige ohne Visum in den Schengen-Raum einreisen dürfen. Die Europäische Kommission verhandelt deshalb mit denjenigen Drittstaaten, deren Staatsangehörige von der Visumpflicht befreit sind, über die Aufhebung derjenigen Visumvorschriften, die ausschließlich Staatsbürger einzelner EU-Mitgliedsländer benachteiligen. Dieses Verfahren bindet den benachteiligten EU-Mitgliedstaat in die Verhandlungen ein und unterliegt bestimmten Berichtspflichten. Die Kommission kann dem Rat der Europäischen Union die vorübergehende oder dauerhafte Einführung einer Visumpflicht für Bürger des betreffenden Staates vorschlagen. Da das Gewicht einer Einführung der Visumpflicht für den gesamten Schengen-Raum oder auch nur der entsprechenden Drohung weitaus höher ist als die Einführung der Visumpflicht nur in einem einzelnen Schengen-Staat, ist dieser Mechanismus vor allem geeignet, kleinere und daher politisch weniger durchsetzungskräftige Mitgliedstaaten vor unannehmbaren Reisebeschränkungen zu schützen.
Die Europäische Kommission hat die Frage der Gegenseitigkeit von Visumbefreiungen gegenüber betroffenen Drittstaaten nach Einführung des Verhandlungsmechanismus auf höchster politischer Ebene behandelt und im Verhältnis zu Mexiko und Neuseeland bereits vollständige Gegenseitigkeit erreicht. Im Hinblick auf Kanada erwägt die Kommission die Empfehlung, „geeignete Maßnahmen in Betracht zu ziehen“, während sie mit Bezug auf die USA die Empfehlung äußert, die Wirkung einer dortigen Gesetzesänderung zunächst abzuwarten.
Visa nach dem Schengen-Recht
An den Binnengrenzen im Schengen-Raum finden grundsätzlich keine Personenkontrollen statt. Die Regelungen für die Ausgestaltung und Erteilung von Visa für den Schengen-Raum sind vor diesem Hintergrund vereinheitlicht worden und erteilte Visa gelten grundsätzlich für den gesamten Schengen-Raum. Ein europaweites System, mit dem automatisch Personen im Schengen-Raum erkannt werden, die ihre Aufenthaltsdauer überschreiten, wurde seit 2012 von der EU-Kommission vorgeschlagen, scheiterte jedoch bisher am Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten, die das Schengener Informationssystem (SIS) nach dem Schengener Abkommen bzw. Schengener Durchführungsübereinkommen in jeweils eigener Souveränität umsetzen.
Visakategorien
Der Visakodex der Europäischen Union führt folgende Visumkategorien auf:
Das Flughafen-Transitvisum (Typ A) nach Art. 3 des Visakodex erlaubt lediglich den Aufenthalt im Transitbereich des Flughafengeländes, ohne dass eine Einreise (im Sinne des Abs. 2 AufenthG – die grundsätzlich als das Passieren einer Grenzkontrollstelle definiert ist) erfolgt. Das Erfordernis eines Flughafentransitvisums stellt eine Ausnahme zu der Regel dar, dass keine Erlaubnis zum Aufenthalt benötigt, wer sich im Staatsgebiet aufhält, ohne die Grenzkontrollstellen zu passieren oder zu umgehen. Das Flughafentransitvisum ist nur als Betretenserlaubnis bezeichnet und kein Aufenthaltstitel im rechtlichen Sinne – dies findet seinen Grund darin, dass der Inhaber hiervon keine Aufenthaltsrechte abhängig machen kann und andere Staaten nicht eine durch das Internationale Zivilluftfahrtabkommen mögliche Zurückweisung mit der Begründung ablehnen können, der Transitstaat habe den Aufenthalt durch das Visum erlaubt.
Das Kurzaufenthaltsvisum (Typ C) nach Art. 4 bis 32 des Visakodex erlaubt den durch einen zeitgebundenen Anlass verursachten und daher zeitlich kurzfristigen Aufenthalt im eingetragenen Geltungsbereich innerhalb des Gültigkeitszeitraumes. Das Visum kann eine ein-, zwei- oder mehrmalige Einreise über die Außengrenzen erlauben und von wenigen Tagen bis zu mehreren (max. fünf) Jahren gültig sein. Die erlaubten Kurzaufenthalte dürfen eine Dauer von bis zu 90 Tagen innerhalb jedes beliebigen 180-Tage-Zeitraums nicht überschreiten. Bei der Berechnung wird für jeden Tag des Aufenthalts im Schengen-Gebiet auf den an diesem Tag endenden 180-Tage-Zeitraum zurückgeschaut; es werden alle im Schengen-Gebiet verbrachten Tage gezählt (unabhängig davon, ob mit einem oder mehreren Kurzaufenthaltsvisa), Tage der Einreise und der Ausreise werden als volle Tage gezählt. Aufenthaltszeiten im Schengen-Gebiet während der Gültigkeit eines Nationalen Aufenthaltstitel oder eines Nationalen Visums werden dabei nicht mitgezählt. Abweichend von den Regelungen einiger Nicht-Schengen-Staaten muss das Schengen-Gebiet auch dann bereits am letzten Geltungstag des Visums verlassen werden, wenn die Anzahl der erlaubten Aufenthaltstage noch nicht ausgeschöpft wurde.
Das Visum für den längerfristigen Aufenthalt (Typ D) (oft auch Nationales Visum) erlaubt den Aufenthalt in einem darin bezeichneten Staat (zumeist der Ausstellerstaat; es gibt aber auch Fälle, in denen sich Staaten gegenseitig bei der Ausstellung vertreten). Es wird vom jeweiligen Zielstaat nach dessen nationalen Aufenthaltsregeln ausgestellt. Ein solches Visum gestattet wie auch ein Nationaler Aufenthaltstitel Kurzaufenthalte in anderen Schengen-Staaten.
Nur zum Transit zwischen der Russischen Föderation und deren Exklave Kaliningrad (ehemals: Königsberg) durch die Schengen-Staaten Litauen und Polen berechtigen die Transitvisa FTD (für den Straßentransit bis zu 24 Stunden) und FRTD (für den Eisenbahntransit bis zu sechs Stunden). Diese Transitvisa werden im offiziellen Sprachgebrauch der EU als einem Visum gleichgestellte Dokumente bezeichnet. Sie werden in erleichterter Weise und zu geringen Gebühren erteilt. Sie gelten regelmäßig für einen längeren Zeitraum (FTD: zwölf Monate; FRTD: drei Monate) und werden nicht in einen Pass eingeklebt, sondern auf einem gesonderten Formular (Form for affixing the visa) ausgestellt.
Häufig wird der Zweck oder Anlass des Aufenthalts im Visum angegeben. Hierfür und für weitere Auflagen und Beschränkungen ist beim Schengen-Visum das Feld „Anmerkungen“ oder ein Zusatzaufkleber zu verwenden.
Verbleibende nationale Regelungszuständigkeiten
Im Recht der Europäischen Union ist das Visumrecht für kurzfristige Aufenthalte weitgehend umfassend geregelt hinsichtlich der Ausstellungsvoraussetzungen, der Form der Visumetiketten, des Antragsverfahrens, der konsularischen Tätigkeit und der Frage, welche Staatsangehörigen für Kurzaufenthalte überhaupt ein Visum benötigen. Siehe hierzu Hauptartikel Verordnung (EU) 2018/1806 (EU-Visum-Verordnung). Bis auf die im europäischen Recht vorgesehenen Ausnahmen können diese Punkte national nicht mehr geregelt, sondern allenfalls im Detail anhand des europäischen Rechts ausgestaltet werden. Für längerfristige Aufenthalte (mehr als 90 Tage innerhalb von sechs Monaten) verbleibt die Regelungszuständigkeit grundsätzlich – freilich im Rahmen der Harmonisierung des Aufenthaltsrechts der EU auch für längere Aufenthalte durch zahlreiche Richtlinien – bei den Mitgliedstaaten. Allerdings verwenden die Schengen-Staaten für die Visa, die für solche längeren Aufenthalte erteilt werden (Kategorie D), ebenfalls die von der Europäischen Union vorgegebenen Etiketten.
Einige Regelungszuständigkeiten verbleiben auch hinsichtlich kürzerer Aufenthalte bei den Mitgliedstaaten. So bleiben die Mitgliedstaaten für die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren zuständig. Zudem dürfen die Mitgliedstaaten für bestimmte Personengruppen von den ansonsten Schengen-weit einheitlichen Regelungen zur Visumpflicht und zur Visumbefreiung abweichen. So können zum Beispiel anerkannte Flüchtlinge oder Staatenlose von der Visumpflicht befreit werden, wenn auch Staatsangehörige des Ausstellerstaates für Kurzaufenthalte von der Visumpflicht befreit sind. Weitere Möglichkeiten der Abweichung durch die Mitgliedstaaten sieht die Verordnung für Inhaber von Diplomatenpässen, Dienstpässen oder sonstigen amtlichen Pässen oder ziviles Flug- oder Schiffspersonal vor. Von den nach der Verordnung zulässigen Ausnahmen hat Deutschland durch Bestimmungen der AufenthV Gebrauch gemacht.
Griechenland kann wegen einer gemeinsamen Erklärung, die bei seinem Beitritt zu den damaligen Europäischen Gemeinschaften abgegeben wurde, den bisherigen, von der griechischen Verfassung abgedeckten Status des Berges Athos beibehalten. Täglich werden an höchstens zehn männliche nicht-orthodoxe Pilger Visa zum Betreten des Gebietes ausgestellt, die in griechischer Hochsprache verfasst sind. Sie berechtigen zur Einreise auf dem Seeweg und zu einem viertägigen Aufenthalt.
Visa und Aufenthaltstitel
In den meisten Fällen muss bei einem längeren oder unbefristeten Aufenthalt im Gastland vor Ablauf des nationalen Visums ein nationaler Aufenthaltstitel beantragt werden (etwa in Fällen des Familiennachzugs). Mit diesem Aufenthaltstitel sind auch visumfreie kurzfristige Aufenthalte in anderen Schengen-Staaten zulässig, sofern ein gültiger und vom Zielreisestaat anerkannter Pass vorliegt, ausreichende Reisemittel vorhanden sind und der Zielstaat nicht konkrete Sicherheitsbedenken vorbringen kann.
Es gibt aber auch Fallgruppen, in denen der gesamte Aufenthalt allein mit dem Visum erfolgt (etwa bei Saisonarbeitern mit einem nationalen Visum, das für mehrere Monate gültig ist). Häufig werden die Aufenthaltstitel erst nach sehr langer Bearbeitungsdauer erteilt.
Visa und Aufenthaltskarten nach der Richtlinie 2004/38/EG
Von drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgen kann für die Einreise in einen Mitgliedstaat dann ein Visum verlangt werden, wenn dieser eine visumpflichtige Staatsangehörigkeit nach Anhang I der EU-Visumverordnung hat. Die erforderlichen Visa sind gebührenfrei auszustellen. Das Recht auf die visumfreie Einreise wurde allerdings durch die Richtlinie 2004/38/EG auch auf an sich visumpflichtige Familienangehörige (Drittstaatsangehörige) von EWR-Bürgern erweitert, die ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen. Bei Vorliegen einer Aufenthaltskarte nach Artikel 10 der Richtlinie und unter der Bedingung, dass die Reise entweder gemeinsam mit dem EWR-Bürger erfolgt oder diesem nachgefolgt wird, können Familienangehörige ohne zusätzliches Visum in jeden anderen EWR-Mitgliedstaat einreisen. Für den anschließenden Aufenthalt benötigen die freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen ohnehin keinen Aufenthaltstitel oder Visum. Die Aufenthaltskarte begründet kein Aufenthaltsrecht, sondern dient nur zu dessen Nachweis, sie ist deshalb vom Charakter her nicht mit einem Aufenthaltstitel oder Visum, sondern eher mit einem Ausweis zu vergleichen.
Allerdings setzen einige Mitgliedstaaten diese Bestimmung der Richtlinie nicht oder nicht richtig um (Stand: Januar 2011), sodass es nach wie vor zu Schwierigkeiten bei Reisen zwischen Schengener und Nicht-Schengener EU-Staaten kommen kann (Verweigerung der Benutzung des Verkehrsmittels durch die Transportgesellschaft, Verweigerung der Einreise durch Grenzschutzbehörden).
Aufenthaltskarten für Familienangehörige von EWR-Bürgern, die durch einen Schengenstaat ausgestellt wurden, sind schengenrechtlich einem nationalen Aufenthaltstitel gleichzusetzen und berechtigen deshalb zur Inanspruchnahme des visumfreien Kurzaufenthaltsrechtes nach Art. 21 SDÜ. Aufenthaltskarten, die von Nicht-Schengener Staaten ausgestellt wurden, berechtigen nur dann zur visumfreien Einreise, wenn der Familienangehörige sein Recht auf Freizügigkeit tatsächlich ausübt (Begleiten oder Nachziehen).
Zu beachten ist jedoch das MRAX-Urteil des EuGH, wonach das Recht auf Einreise in einen Mitgliedstaat unmittelbar auf dem abgeleiteten Recht auf Freizügigkeit gründet. Sollte der eigentlich visumpflichtige Familienangehörige, der den Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, sein Freizügigkeitsrecht nachweisen können, darf ihm die Einreise nicht aus rein formalen Gründen wie zum Beispiel einem fehlenden Pass und/oder Visum verweigert werden. Gegebenenfalls ist das erforderliche Visum an der Grenze zu erteilen.
Aufbau des Visumetiketts
Das Schengen-Visum ist mehrfarbig, wobei die dominierenden Farben Grün und Violett sind. Es enthält umfangreiche Sicherheitsmerkmale, wie beispielsweise spezielle Drucktechniken (Irisdruck und Stichtiefdruck), ein produktbezogenes geschütztes Kinegramm und ist in folgender Weise aufgebaut:
Es folgen zwei Codierzeilen, die jeweils obligatorisch 36 Zeichen in der Schriftart „OCR-B“ enthalten und in folgender Weise aufgebaut sind:
Großbritannien
In Großbritannien finden die Schengen-Regeln keine Anwendung, weshalb eine eigene, nationale Liste der stets visumpflichtigen und der für Kurzaufenthalte visumbefreiten Staatsangehörigen besteht. Im britischen Recht wird unterschieden zwischen der Einreiseerlaubnis (leave to enter), der Aufenthaltserlaubnis (leave to remain) und dem Visum (entry clearance). Entsprechend der kontinentaleuropäischen Rechtskonstruktion gilt dabei das Visum auch als Einreise- und Aufenthaltserlaubnis. Das Visum ist für die stets visumpflichtigen Staatsangehörigen immer, für andere Staatsangehörige (außer für Unionsbürger, Bürger des Europäischen Wirtschaftsraums und Schweizer) dann Einreisevoraussetzung, wenn sie sich länger als sechs Monate in Großbritannien aufhalten möchten. Zahlreiche Staatsangehörige benötigen in Großbritannien ein Flughafentransitvisum für Zwischenlandungen und das Umsteigen, auch wenn sie den Transitbereich des Flughafens nicht verlassen. Für Visa, die den Schengen-Kategorien A bis C entsprechen, wird die Schengen-Visumvignette verwendet; dennoch gilt das Visum nur für Großbritannien. Daueraufenthaltsvisa werden hingegen auf einem eigenständigen britischen Visummuster erteilt. Bestimmte Personengruppen, die nach den britischen Gesetzen von der Visumpflicht befreit sind (z. B. Regierungsmitglieder, Staatsoberhäupter oder Seeleute aus bestimmten Staaten), erhalten zur Bestätigung der visumfreien Einreiseerlaubnis einen Sichtvermerk („D:EXEMPT“), der dem Grenzpersonal die Berechtigung zur visumfreien Einreise bescheinigt.
Diplomatenvisa und Protokollausweise
Das Diplomatenvisum, das auch in Kartenform als sogenannter Protokollausweis ausgegeben wird, bestätigt bei der Grenzkontrolle, dass sein Inhaber den Status eines akkreditierten Diplomaten besitzt und als solcher in dem Staat, in dem er akkreditiert ist, von den ausländerrechtlichen Regelungen ausgenommen ist. In Deutschland werden diese Dokumente, die auch als FREMIS-Papiere (von „Fremde Mission“) bezeichnet werden, vom Auswärtigen Amt ausgestellt.
Inhaber eines Diplomatenpasses oder Dienstpasses aus bestimmten Staaten (z. B. Türkei für Einreisen nach Deutschland) benötigen zudem für Reisen im Gegensatz zu anderen Bürgern desselben Staates oftmals kein Visum, weil sie nicht im Verdacht stehen, aus wirtschaftlichen Gründen einwandern zu wollen. Umgekehrt verlangt zum Beispiel Frankreich von Diplomaten aus Israel ein Visum, während Inhaber eines gewöhnlichen israelischen Reisepasses in den Schengen-Raum visumfrei einreisen können.
Visa außerhalb der Europäischen Union
Australien
In Australien bedürfen alle Ausländer einer Erlaubnis in Form eines Visums, um dort einzureisen und sich dort aufzuhalten. Das australische Recht unterscheidet hierbei zwischen permanent visa, die zeitlich unbegrenzt erteilt werden, und temporary visa, die für einen bestimmten Zeitraum, bis zum Eintreten eines speziellen Ereignisses oder für die Dauer eines bestimmten Status des Inhabers gelten. Das zur Behebung von Fachkräftemangel erteilte Fachkräftevisum kann je nach Art entweder ein dauerhaftes oder ein zeitlich befristetes sein. Die Inhaber von befristeten Visa können allerdings bei Erfüllen gewisser Voraussetzungen ebenfalls ein dauerhaftes Visum bekommen.
Eine Besonderheit gilt aufgrund des Trans-Tasmanischen Reiseabkommens für die Staatsangehörigen Neuseelands. Diese müssen nicht bereits vor Reiseantritt ein Visum beantragen; vielmehr wird ihnen bei Vorliegen aller Voraussetzungen mit der Einreise automatisch ein sogenanntes Special Category Visa erteilt. Dieses Visum stellt eine Besonderheit im australischen Recht dar, da es zwar als temporary visa gilt, dem Inhaber aber erlaubt, sich dauerhaft in Australien aufzuhalten und dort auch ohne Einschränkungen zu arbeiten. Eine weitere Besonderheit gilt über die sogenannte Special purpose visa beispielsweise für die Angehörigen der königlichen Familie und sonstiger offizieller Gäste der australischen Regierung.
Weiterhin können einige Staatsangehörige für touristische und geschäftliche Kurzaufenthalte eine sogenannte Electronic Travel Authority beantragen. Dabei handelt es sich um eine personenbezogene Freigabeeintragung in der Datenbank der australischen Einwanderungsbehörde, die bei der Flugbuchung durch eine Fluggesellschaft oder ein Reisebüro, aber auch vom Antragsteller selbst über das Internet beantragt werden kann. Die Bearbeitungsdauer beträgt 30 Sekunden. Das ETA-Visum unterteilt sich in das eVisitor-Verfahren, das für die Staatsangehörigen der EU, des EWR und der Schweiz gilt und das kostenlos ist, und in das ETA-Verfahren für sonstige privilegierte Länder. Letzteres Verfahren kostet im Gegensatz zum eVisitor 20 Dollar.
Eine Zwischenlandung auf einem australischen Flughafen ist ohne Visum möglich, vorausgesetzt der Flughafen wird nicht verlassen und der Aufenthalt beträgt maximal 8 Stunden. Des Weiteren ist ein bereits gebuchter Anschlussflug eine Voraussetzung. Sollte die Wartezeit auf den Anschlussflug jedoch über 8 Stunden betragen, wird das Transit Visum (Subclass 771) benötigt. Dieses Visum kann kostenlos beantragt werden und gewährt einen Aufenthalt von bis zu 72 Stunden auf australischem Boden.
Angehörige anderer Staaten können seit August 2014 ebenfalls online ein Besuchsvisum (Visitor e600 Visa) beantragen, das im Falle der Erteilung ebenfalls entsprechend in der Datenbank der Einwanderungsbehörde hinterlegt wird. Lediglich die Staatsangehörigen Indonesiens und Somalias müssen bei Besuchsaufenthalten noch über die zuständige australische Vertretung ein Visum beantragen, das in ihrem Reisepass vermerkt wird.
Japan
In Japan gilt ein Visum nicht als unmittelbarer Aufenthaltstitel, sondern als Voraussetzung für die Einreiseerlaubnis (landing permission), die der Einwanderungsbeamte nach der Einreisekontrolle in Form eines Aufklebers im Pass erteilt und die für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts erforderlich ist. Im Dezember 2014 waren Angehörige von 67 Staaten in Japan für Aufenthalte ohne Erwerbstätigkeit, die eine bestimmte vom Herkunftsstaat abhängige Dauer nicht übersteigen, von der Visumpflicht befreit. Sie erhalten bei Erfüllung der Einreisevoraussetzungen also ohne Visum die landing permission.
In Japan bestehen sieben Visumkategorien; dabei wird zwischen 28 verschiedenen Anlässen des Aufenthalts unterschieden. Zur Beschleunigung des Antragsverfahrens kann eine Vorabzustimmung (certificate of eligibility) einer japanischen Ausländerbehörde, die die Erfüllung von Aufenthaltsvoraussetzungen bestätigt, bei der Beantragung des Visums vorgelegt werden, wodurch sich die Befassung der Ausländerbehörde durch die bearbeitende Auslandsvertretung erübrigt.
Japan unterhält für jüngere Menschen, auch aus Deutschland, auf der Grundlage gegenseitiger Abkommen ein Programm für Ferienarbeitsaufenthalte, wofür ein Working-Holiday-Visum ausgestellt wird.
Russland
Das Recht der Russischen Föderation unterscheidet zwischen Visa für Touristen, für Geschäfts- und Dienstreisen, Studienaufenthalte, Kultur- und Schüleraustausch, Dauervisa für Geschäftsreisen, Transitvisa und Besuchervisa für Privatreisen zu Familienangehörigen.
Die Europäische Union und Russland haben über die Formalitäten der Erteilung von Visa für einen Zeitraum bis zu 90 Tagen ein Abkommen geschlossen. In diesem Abkommen wird geregelt, welche Dokumente von Mitgliedern offizieller Delegationen, Geschäftsleuten und Verbandsvertretern, Lkw-, Bus- und Zugpersonal, Journalisten, Wissenschaftlern und Künstlern, Schülern und Studenten, Sportlern und weiteren Personen bei der Antragstellung vorzulegen sind. Zudem ist nach dem Abkommen die Erteilung von Mehrfachvisa vorgesehen. Touristen, auch Individualtouristen, benötigen für ein Visum die in einer bestimmten Form erteilte Bestätigung eines russischen Reiseveranstalters. Personen, die privat, von einer Organisation oder von einem Unternehmen in Russland eingeladen werden, müssen bei der Beantragung des Visums eine von russischen Behörden ausgestellte oder bestätigte Einladung auf einem speziellen Formular im Original vorlegen.
Nach der Einreise und nach jedem Ortswechsel muss innerhalb von sieben Werktagen (Stand: 1. April 2011) durch den tatsächlichen Gastgeber mit der bei der Grenzkontrolle ausgestellten Migrationskarte eine Anmeldung oder Registrierung beim Ausländeramt oder bei einem Postamt vorgenommen werden, wodurch die Reisenden korrekt erfasst und mögliche illegale Einwanderungen verhindert werden sollen. Die Bestätigung dieser Registrierung muss ständig mitgeführt werden. Bei einem Hotelaufenthalt kann die Anmeldung im Hotel erfolgen.
Schweiz
Das seit dem 1. Januar 2008 geltende neue Schweizer Recht ist derart ausgestaltet, dass sein Wortlaut ohne weiteres Gesetzgebungsverfahren seit der Inkraftsetzung der Schengen-Regeln in der Schweiz, also seit dem 12. Dezember 2008, an das Schengen-Recht angepasst wurde. Hinsichtlich des Visumverfahrens gelten seit jenem Zeitpunkt keine Besonderheiten mehr, sodass für die Schweiz hinsichtlich der Kurzaufenthalte dieselben Regeln gelten wie im übrigen Schengen-Raum.
Beabsichtigt ein Ausländer einen Aufenthalt in der Schweiz, der über den Zeitraum eines Kurzaufenthalts hinausgeht – also im gesamten Schengen-Raum eine Dauer von mehr als 90 Tagen innerhalb eines Bezugszeitraums von sechs Monaten hat –, oder beabsichtigt er die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz, muss eine Bewilligung des Aufenthaltes vor der Einreise eingeholt werden. Wird die Bewilligung erst nach der Einreise während eines bewilligungsfreien Aufenthalts beantragt, ist die Entscheidung über die Bewilligung ggfs. im Ausland abzuwarten, es sei denn, der Antrag ist offensichtlich begründet und die zuständige kantonale Behörde lässt daher eine Ausnahme zu.
Ausländer aus EU-Staaten, die in der Schweiz arbeiten, erhalten nach dem Niederlassungsabkommen EU-Schweiz einen Grenzgängerausweis. Ausländer mit einem Aufenthaltstitel eines Schengen-Staates können sich nach Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens bis zu drei Monate lang ohne Visum in der Schweiz aufhalten, dürfen aber ohne Schweizer Bewilligung keine Erwerbstätigkeit ausüben.
Nach einem Abkommen aus dem Jahr 2009 zur Erleichterung der Visaerteilung zwischen Russland und der Schweiz hat der Bundesrat im Jahr 2022 analog zur Europäischen Union das Visumerleichterungsabkommen mit Russland vollständig suspendiert.
USA
In den USA wird rechtlich zwischen der Ausstellung eines Visums und der Einreiseerlaubnis (admission) unterschieden. Ein Visum berechtigt nicht zu Einreise und Aufenthalt, sondern ist lediglich Voraussetzung für die Einreiseerlaubnis, die von einem Einwanderungsbeamten erteilt werden kann. Jeder Ausländer, der in das Gebiet der USA einreist, gilt als Antragsteller für eine Einreiseerlaubnis, es sei denn, er hat dort bereits einen Daueraufenthaltsstatus, der nicht erloschen ist. Somit dokumentiert nicht das Visum, sondern erst der Einreisekontrollstempel vor Ort die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts.
Visa werden in einer Vielzahl verschiedener Kategorien vergeben, die etwa nach Verwandtschaftsgrad mit US-Bürgern, nach Lebenssituation oder Einreisegrund unterscheiden. Dabei wird zwischen Einwanderungsvisa (immigrant visa) und Nichteinwanderungsvisa (nonimmigrant visa) unterschieden. Zu den Besonderheiten der US-Visaregelungen gehören eigene Visakategorien für Mitarbeiter der Vereinten Nationen (Kategorien C-2, G-1 bis G-5), für Informanten der US-Regierung (Kategorien S-5 und S-6) sowie für Opfer von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen (z. B. Kategorien T, U und TPS). Für die Erteilung von Visa oder die Erlaubnis der Einreise ist es in zahlreichen Fällen erforderlich, dass andere Behörden beteiligt werden, die etwa für die Verwaltung des Arbeitsmarkts oder für Kulturangelegenheiten zuständig sind.
Für die Erteilung auch eines kurzfristigen ‚B-Visums‘ für Tourismus oder Business-Zwecke ist die Teilnahme an einem persönlichen Interview notwendig. Termine dafür werden nach Antrag für die Konsulate in Berlin, München oder Frankfurt am Main vergeben.
Ein längerer Aufenthalt als durch das Visum gestattet wird als overstay eingestuft. Ein overstay kann Sanktionen wie die Ablehnung späterer Visaanträge oder eine Einreisesperre zur Folge haben.
Visa Waiver Program
Bürger von derzeit 40 Staaten können das Visa-Waiver-Programm nutzen, bei dem kein Visum beantragt werden muss. Dazu kann für die typische Einreise über den Luft- oder Seeweg seit dem 12. Januar 2009 eine Anreisegenehmigung eingeholt werden, bevor die Reise angetreten wird. Dabei ist aber zu beachten, dass Passagiere von Frachtschiffreisen nur in seltenen Fällen vom Visa-Waiver-Programm Gebrauch machen können. Fast immer ist ein ‚B-Visum‘ erforderlich. Der Reise-Antrag muss mindestens 72 Stunden vor Antritt der Reise bei der Electronic System for Travel Authorization (ESTA; ) genannten Behörde in einem Online-Dialog gestellt und von den US-Behörden (Ministerium für Innere Sicherheit) genehmigt werden. Sofern kein Widerruf erfolgt, sind Reisegenehmigungen zwei Jahre ab Datum der Erteilung der Genehmigung gültig, oder bis zum Ablauf der Gültigkeit des Passes, je nachdem, welches Ereignis zuerst eintritt. Seit dem 26. Mai 2022 wird eine ESTA-Gebühr von 21 US-Dollar erhoben, die mit Kreditkarte oder PayPal zahlbar ist. Für die Einreise über den Landweg ist keine Anreisegenehmigung erforderlich.
Eine positive Anreisegenehmigung stellt keine Garantie für eine Berechtigung zur Einreise in die USA dar. Man ist damit berechtigt, eine Reise anzutreten, die Entscheidung zur Einreise obliegt jedoch nach wie vor den Grenzbeamten bei der Ankunft. Unabhängig davon, ob mit einem Visum oder über das Visa-Waiver-Programm eingereist wird, müssen seit dem 4. Oktober 2005 für alle Reisenden – ausgenommen US-Bürger und Passagiere mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung für die USA – die APIS-Daten (Advance Passenger Information System) seitens der Fluggesellschaft an die US-Behörden übermittelt werden. Erforderlich sind zusätzlich zu den Daten im Reisepass: Land des Hauptwohnsitzes sowie Anschrift der ersten Übernachtung bzw. Mietwagenstation in den USA (für Transitreisende wird lediglich der Vermerk „TRANSIT“ eingetragen). Die Fluggesellschaften haben momentan noch verschiedene Möglichkeiten, die APIS-Meldung zu übermitteln. Erwünscht wird die Fluggastmeldung bereits 72 Stunden vor Abflug, erforderlich ist sie bis spätestens 30 Minuten vor Schließung der Türen.
Im Januar 2016 wurden die Regelungen des Visa-Waiver-Programmes verschärft. Danach können Personen, die zusätzlich zur Staatsangehörigkeit eines VWP-Landes auch die iranische, irakische, syrische oder sudanesische Staatsangehörigkeit besitzen, sowie Personen, die nach dem 1. März 2011 in eines dieser Länder oder in den Jemen, in Somalia oder Libyen eingereist sind, nicht mehr unter Nutzung des Visa-Waiver-Programm in die USA einreisen. Vielmehr müssen diese Personen fortan ein Visum bei der zuständigen US-Vertretung beantragen. Bereits erteilte Anreisegenehmigung wurden zurückgenommen. Ausgenommen hiervon sind Journalisten sowie Personen, die im Auftrag von internationalen oder humanitären Hilfsorganisationen gereist sind.
Der Arrival-Departure Record, CBP Form I-94/I-94W ist seit dem 31. März 2011 nur noch bei der Einreise auf dem Landweg in Papierform erforderlich und wird sonst üblicherweise digital geführt.
Wer das Programm zur visumfreien Einreise nutzt, verzichtet zugleich auf Rechtsmittel im Falle einer Zurückweisung.
Im Jahr 2013 wurde 700 Deutschen am Grenzübergang die Einreise untersagt (also 0,03 % der insgesamt 2,7 Mio. Einreisen). Auch Reisende, die mit einem Visum die Gestattung der Einreise beantragen, können zurückgewiesen werden, wenn sie die Einreisevoraussetzungen entsprechend ihrer Visumkategorie nicht darlegen können. Das US-Recht enthält eine Vermutung, wonach jede einreisende Person in die USA einwandern möchte. Es ist aus rechtlicher Sicht Angelegenheit des Einreisenden, die Grenzkontrollbeamten vom Gegenteil zu überzeugen oder aber das Vorliegen der Einwanderungsvoraussetzungen nachzuweisen. In der Praxis reicht hierfür zumeist die Vorlage eines Nichteinwanderungsvisums oder des ausgefüllten Formulars für das Visa Waiver Program und gegebenenfalls die schlüssige Erläuterung des Reisezwecks, der Bindungen an den Herkunftsstaat (z. B. Arbeitsplatz, Wohneigentum) und der vorhandenen Finanzmittel (Bargeld, Kreditkarte, Reiseschecks) aus. In diesem Zusammenhang werden Einreisende häufig auch nach ihrem Arbeitsplatz befragt.
Seit Ende 2016 fragt der US-Grenzschutz Einreisende zudem nach ihren Social-Network-Accounts. Auch Testläufe für eine automatisierte Kontrolle der Social-Media-Accounts wurden unternommen.
Die Permanent resident card, auch landläufig als Green Card bezeichnet, fällt nicht in die Kategorie der Nichteinwanderungsvisa, sondern stellt eine grundsätzlich unbefristete Aufenthaltserlaubnis dar, die als Ausweis in den USA ständig mitzuführen ist und bei der Einreise zugleich die Funktion des Visums erfüllt. Bei einer Abwesenheit von mehr als zwölf Monaten ist eine zusätzliche Wiedereinreiseerlaubnis (re-entry permit) erforderlich.
Volksrepublik China
Bei einem „China-Visum“ handelt es sich um einen Nachweis der Erlaubnis zur Einreise in die Volksrepublik China oder zum Transit durch die VR China. Man unterscheidet hierbei zwischen acht verschiedenen Kategorien. Möchte man ein Touristenvisum für China beantragen, so hat man mehrere Möglichkeiten. Man benötigt zunächst einmal folgende Dokumente:
Reisepass im Original (dieser muss mindestens noch sechs Monate nach Reiseende gültig sein)
Visum-Antragsformular
Passfoto (dieses wird auf dem Antragsformular befestigt)
Reisebestätigung/Rechnung mit Flugplan und Hotelliste (ggf. vom Reiseveranstalter)
Auftragserteilung für den Visumdienst (falls man einen Service für die Beantragung des China-Visums in Anspruch nimmt)
Das Touristenvisum für die VR China ist 30 Tage gültig. Man kann es ca. 50 Tage vor der China-Reise beantragen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Visum für die VR China zu beantragen. Zum einen kann man das Visum selbst beantragen, zum anderen kann man einen Visumservice damit beauftragen. Seit Ende Oktober 2012 wird das China-Visum durch CVASC abgewickelt. Das CVASC ist der chinesischen Botschaft vorgeschaltet, da diese Visumanträge nicht mehr persönlich entgegennimmt. Die vollständig ausgefüllten Visumanträge können dann an die jeweiligen Außenstellen des CVASC in Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg und München eingereicht werden. Die Anträge kann man auch auf der Website des CVAS herunterladen. Das CVASC erhebt jedoch zusätzliche Gebühren für postalisch zugesandte Visumanträge. Inzwischen gibt es auch die Möglichkeit, das Visum nach China zusammen mit dem Flugticket zu erwerben. Flug und Visum nach China zusammen sind oft preiswerter als der Einzelerwerb.
Wenn man während einer Reise aus der VR China aus- und wieder einreisen möchte, z. B. für einen Zwischenstopp in einem Nachbarland, benötigt man ein China-Visum mit zweimaliger Einreise. Gleiches gilt für einen Zwischenstopp in Hongkong. Hongkong führt trotz Übergabe an China im Jahr 1997 immer noch den Status „International“ und kommt somit bei der Einreise nach Hongkong einer Ausreise aus der VR China gleich.
Indien
Die Einreise nach Indien erfordert für Inhaber eines deutschen Passes ein Visum. Indien bietet
Geschäftsvisa
Arbeitsvisa
Studentenvisa
Transitvisa und
Einreisevisa für besondere Anlässe an.
Das Visum wird über das Internet beantragt, die in diesem Prozess erzeugte PDF-Datei muss ausgedruckt und unterschrieben werden und mit
zwei Passbildern im Format 5 cm × 5 cm,
sowie – im Falle eines Businessvisums – einem
„Invitation Letter“ und einem
Handelsregisterauszug der in Indien besuchten Firma sowie einer
Kostenübernahmebestätigung der aus Deutschland entsendenden Firma („Cost Absorption“) zusammen mit dem
Pass
an den Visumsdienstleister übergeben werden, der die Erteilung des Visums durch die Botschaft oder das Konsulat in die Wege leitet.
Der Fragebogen für den Visumantrag variiert mit der Zeit, Konstanten sind neben den Passdetails Angaben zu den Eltern und die Frage, ob man pakistanische Großeltern hatte.
Außerdem wird bei Mehrfachbeantragung eines Visums nach dem letzten erteilten Visum gefragt, sodass es ratsam ist, zum Beispiel für den Fall eines ablaufenden Passes die bisher erteilten indischen Visa zu dokumentieren.
Bei der Einreise nach Indien ist penibel darauf zu achten, dass der Pass entsprechend gestempelt wird; eine Ausreise ohne korrespondierenden Einreisestempel gestaltet sich extrem kompliziert.
Des Weiteren sind elektronische Visa erhältlich, die bei Einreise in den Pass gestempelt werden. E-Visa können bis zu vier Tage vor der Einreise für touristische, geschäftliche oder medizinische Zwecke beantragt werden.
Bei der Einreise nach Indien ist neben einem gültigen Visum auch eine Einreiseerklärung notwendig, die im Flugzeug bzw. am Flughafen ausgegeben wird und auf der Angaben zu persönlichen Daten und der Unterkunft in Indien zu machen sind.
Kollisionsfälle
Visa und Kontrollstempel einiger Staaten in einem Reisepass können dazu führen, dass andere Staaten den Passinhaber nicht einreisen lassen oder vor der Einreise intensiv befragen. So müssen in Israel Reisende mit Sichtvermerken aus denjenigen arabischen Ländern, mit denen Israel keine diplomatischen Beziehungen unterhält, mit intensiveren Befragungen vor einer Einreiseentscheidung rechnen. Umgekehrt lassen einige arabische Staaten, etwa der Libanon und Syrien, Inhaber von Pässen, die Vermerke israelischer Behörden enthalten oder aus denen ein Aufenthalt in Israel hervorgeht, kategorisch nicht einreisen, während in anderen arabischen Ländern zumindest mit einer intensiven Prüfung des Einreisewunsches zu rechnen ist. Vor dem EU-Beitritt Zyperns verwehrten die Behörden der Republik Zypern nach Besuchen des türkisch besetzten Nordzyperns, z. B. nach Tagesbesuchen, die Wiedereinreise, wenn der Reisepass Stempel nordzyprischer Behörden enthielt. Deshalb vergaben die Behörden des Nordteils an der Grenzkontrollstelle ein abzustempelndes Tagesvisum in Form eines Einlegeblatts, sodass im Reisepass nicht gestempelt werden musste.
Ein fehlender aktueller Einreisestempel Serbiens kann bei Einreise aus dem Kosovo zu Problemen bei der Einreise bzw. Weiterreise nach Serbien führen. Da Serbien den Kosovo nach wie vor als Teil seines Staatsgebietes betrachtet, wird die Einreise aus Drittländern in den Kosovo von den serbischen Behörden als illegale Einreise nach Serbien angesehen. Da dies den kosovarischen Behörden bekannt ist, verzichten diese auf Wunsch auf eine Stempelung. Das Problem kann umgangen werden, indem bei der Einreise der Personalausweis an Stelle des Passes benutzt wird.
Ein Visum oder Einreisestempel der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, hat die Verweigerung der Einreise nach Aserbaidschan und ggf. strafrechtliche Konsequenzen in Aserbaidschan zur Folge.
In ähnlichen Fällen bietet sich unter Umständen auch der Besitz zweier Pässe an, was in Deutschland oder Österreich zulässig ist; an der Grenze wird jeweils derjenige Pass vorgelegt, in dem keine für die Einreise nachteiligen Einträge enthalten sind.
Geschichte der Sichtvermerke
17. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Die mittelalterlichen Geleitbriefe gelten als Vorläufer der heutigen Reisepässe. Sie stellten privilegierte Reisende (Diplomaten, Kaufleute, Pilger) unter den Schutz des Staates, während mittellose Reisende in manchen Regionen Deutschlands (z. B. in der Pfalz) von den Landesfürsten aufgegriffen und in leerstehenden Dörfern angesiedelt wurden. Die Regierungen der absolutistischen Staaten Europas waren daran interessiert, unnütze Reisen ihrer Bürger zu verhindern. Deshalb musste für jede Reise ein Reisepass beantragt werden, der Zeitraum und Reiseroute genau festlegte. Bevölkerungszunahme, Verarmung und wachsende Mobilität als Folge der Bauernbefreiung führten zu einer erheblichen Verschärfung der Pass- und Sichtvermerksbestimmungen. Mit der Einführung des allgemeinen Erfordernisses von Reisepässen im Zeitraum zwischen dem späten 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es üblich, die Dokumente durch Eintragungen an der Staatsgrenze oder zuvor kennzeichnen („visieren“) zu lassen. Seit 1813 benötigten alle Ausländer in Preußen eine Aufenthaltsbewilligung in Form eines Visums, falls sie sich länger als 24 Stunden in einer Gemeinde aufhalten wollten. Gastwirte durften Ausländer nur beherbergen, wenn ein solches Visum erteilt war, und galten als Hilfsorgane („Unteroffizianten“) der „Fremdenpolizei“.
1850 bis 1914
Durch die Dresdner Konvention vom 21. Oktober 1850 und die damit verbundene Einführung der Passkarte wurde die Visumpflicht im innerdeutschen Reiseverkehr endgültig abgeschafft. Neun Jahre später, im Jahre 1859, trat Österreich-Ungarn dieser Konvention bei und ermöglichte den visumfreien Reiseverkehr innerhalb der K.u.k.-Monarchie. Ab 1865 ermöglichten Bayern, Sachsen und Württemberg auch Ausländern die Einreise ohne Pass und Visum. Der Norddeutsche Bund und Österreich-Ungarn folgten bis 1867. Durch das Gesetz über das Passwesen vom 12. Oktober 1867 wurden Pass- und Sichtvermerkszwang im gesamten Gebiet des Norddeutschen Bundes vollständig aufgehoben, sie durften jedoch bei Vorliegen außergewöhnlicher Ereignisse durch eine Verordnung vorübergehend wieder eingeführt werden. Dadurch wurde das Visumrecht rechtssystematisch im Passrecht verankert und nicht etwa im Ausländer-(„Fremden“-)Recht, das weiterhin Gegenstand örtlicher oder landesherrlicher Rechtssetzung war. Diese Zuordnung blieb in Deutschland bis 1965 bestehen.
1914 bis 1938
Vor dem Ersten Weltkrieg benötigten die Bürger für Reisen innerhalb Europas keinen Reisepass und kein Visum. In Deutschland galt das Gesetz über das Passwesen des Norddeutschen Bundes bis in die Weimarer Zeit hinein weiter. Während des Ersten Weltkrieges wurde in allen kriegführenden Ländern ein allgemeiner Pass- und Visumzwang eingeführt, um potentielle Spione an der Einreise zu hindern und die Erfüllung der Wehrpflicht zu sichern. Im Deutschen Reich ordnete Kaiser Wilhelm II. gleichzeitig mit der Verkündung des Kriegszustandes auch die Einführung einer Passpflicht an. Mit Wirkung vom 1. August 1916 wurde in Deutschland für Ein- und Ausreisen von In- und Ausländern ein Sichtvermerkszwang eingeführt. Zugleich wurde der Reichskanzler zum Erlass weiterer Ausführungsvorschriften ermächtigt; die entsprechende Anordnung enthielt für Deutschland erstmals detaillierte Regelungen zu den Voraussetzungen der Visumerteilung und zur Zuständigkeit und Form der Visa. Jede Person benötigte einen eigenen Pass oder Kinderausweis, das Visum war vor jedem Grenzübertritt erneut einzuholen.
Dieser Pass- und Visumzwang wurde in Deutschland nach Kriegsende beibehalten und wurde sogar in der Weimarer Republik zunächst noch weiter verschärft. Nach der Verordnung vom 24. Mai 1919 betreffend Strafbestimmungen gegen die Zuwiderhandlung gegen die Paßvorschriften (RGBl. 1919, 470f.) wurde mit Geldstrafe, Haft oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bedroht, wer unbefugt die Grenzen überschritt oder von im Visum bezeichneten Reisezielen oder Reisewegen eigenmächtig abwich. Die Geldstrafe dafür wurde 1923 infolge der Inflation stark angehoben (RGBl. 1923, 249). Auch andere europäische Staaten erhielten die zunächst als kriegsbedingtes Ausnahmerecht eingeführten Beschränkungen aufrecht.
Im Juni 1924 wurden neue, sehr detaillierte Vorschriften über das Pass- und Sichtvermerkswesen erlassen (RGBl. 1924, S. 613). Deutsche Reichsangehörige unter 15 Jahren konnten demnach ohne Visum nach Deutschland (wieder)einreisen; Deutsche oder Ausländer mit Wohnsitz im Inland konnten das Ausreisevisum durch einen Unbedenklichkeitsvermerk des Finanzamtes ersetzen. Visa konnten auch allgemein mit Blick auf die „Persönlichkeit des Reisenden“ versagt werden, die Ablehnung der Erteilung erfolgte „in der Regel ohne Angabe von Gründen“. Erstmals wurde die Erteilung von Ausnahmevisa an der Grenze ermöglicht. Ausländische Landarbeiter durften bei Vorliegen einer Aufnahmezusage der „Deutschen Arbeiterzentrale“ pass- und visumfrei einreisen.
Ab 1925 begann der Gesetzgeber damit die restriktiven Visabestimmungen schrittweise zu liberalisieren. Zum 1. Januar 1925 wurde die Visumpflicht beim Übertreten der Reichsgrenze für deutsche Staatsangehörige abgeschafft. Die Änderung betraf die Ausreise Deutscher aus Deutschland. Die (Wieder-)Einreise Deutscher nach Deutschland war bereits seit Juni 1924 visumsfrei möglich. Die Visumsvorschriften anderen Staaten für Deutsche blieben unberührt. Für Ausländer mit deutscher Aufenthaltsgenehmigung oder mit Wiedereinreisevisum wurde lediglich das Ausreisevisum aus Deutschland abgeschafft. Im übrigen blieben Ausländer über 15 Jahren bei der Einreise nach Deutschland, Ausländer ohne Wohnsitz oder Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland auch bei der Wiederausreise visumspflichtig. Im Jahr 1932 wurden alle Ausreisevisa für sämtliche Personengruppen, die Deutschland verlassen wollten, vollständig abgeschafft.
Erst 1925 konnten deutsche Staatsbürger wieder ohne Visum nach Österreich reisen. Im Jahre 1926 wurde der Visumzwang für Reisen deutscher Staatsbürger in die Nachbarstaaten Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Schweden und Schweiz abgeschafft. Auch Finnland, Japan und Portugal vereinbarten mit dem Deutschen Reich die Abschaffung der Visumpflicht im gegenseitigen Reiseverkehr. Seit 1927 konnten auch Österreicher visumfrei in diese Staaten einreisen. 1928 schafften auch Großbritannien, Italien, Lettland, Norwegen, Spanien und die Tschechoslowakei den Visumzwang für deutsche Touristen ab. Kurze Zeit später erlaubten auch Estland, Jugoslawien und Ungarn die Einreise ohne Visum. Für Reisen nach Belgien, Frankreich, Litauen und Polen wurde der Sichtvermerkszwang hingegen beibehalten.
1939 bis 1945
Im Jahr 1937 wurde im nationalsozialistischen Deutschland ein Gesetz erlassen, das den Reichsinnenminister ermächtigte, das gesamte frühere Pass-, Visum- und Ausländerrecht aufzuheben und durch Verordnung neu zu regeln.
Nach der Besetzung Österreichs durch deutsche Truppen im März 1938 verließen mehrere Tausend österreichische Juden und Gegner des NS-Regimes das Land und suchten Zuflucht in anderen europäischen Staaten. Um deren Einwanderung zu erschweren, führte Großbritannien im Mai 1938 wieder den Visumzwang für reichsdeutsche Staatsbürger ein. Dass es sich bei einem Passinhaber um einen Juden im Sinne des Reichsbürgergesetzes handelte, wurde ausländischen Visumstellen dadurch erkennbar, dass deutsche Reisepässe von Juden im Oktober 1938 für ungültig erklärt und erst wieder gültig wurden, nachdem sie mit einem roten „J“ gekennzeichnet worden waren; zur Anbringung dieses Sichtvermerks wurde eine strafbewehrte Vorlagepflicht eingeführt.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde in allen betroffenen Ländern ein allgemeiner Visumzwang für Ausländer eingeführt. Im Deutschen Reich wurden zudem auch Deutsche, die sich nicht bereits zu Kriegsbeginn im Ausland aufhielten, für die Ein- und Ausreise visumpflichtig.
1945 bis 1990 (westliche Welt)
Dieser Visumzwang wurde erst am 15. August 1950 im Reiseverkehr zwischen Österreich und der Schweiz abgeschafft. In Deutschland übernahm die Alliierte Hohe Kommission die Passhoheit und die Zuständigkeit für das Visumrecht. Bis zum 31. August 1952 erledigte das Combined Travel Board die Verwaltung des Reiseverkehrs. Im März 1952 wurde in Deutschland im Vorgriff auf die Rückübertragung der Reiseverkehrskontrollen auf die Bundesbehörden ein Gesetz über das Passwesen verabschiedet, das zwar keine Visumpflicht mehr vorsah, jedoch das Bundesministerium des Innern zur Einführung der Visumpflicht für Ein- oder Ausreisen von Ausländern durch Rechtsverordnung ermächtigte. Diese Visumpflicht wurde bis auf wenige Sonderfälle für die Einreise aller Ausländer über 15 Jahren eingeführt, jedoch mit Wirkung zum 1. Juli 1953 für westeuropäische Touristen und mit Wirkung zum 1. März 1955 auch für Touristen aus allen Staaten aufgehoben, mit denen die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen unterhielt und die für die Rückkehr kein Rückkehrvisum ihres Herkunftsstaates benötigten. Im Gegenzug erlaubten westeuropäische Nachbarländer ihren Bürgern durch bilaterale Sichtvermerksabkommen die visumfreie Einreise in die Bundesrepublik Deutschland.
Im Jahr 1965 wurde in der Bundesrepublik Deutschland das Visumrecht vom Passrecht in das Ausländerrecht überführt.
Das Visum galt nun rechtlich als Aufenthaltserlaubnis, die „in der Form eines Sichtvermerks“ eingeholt wird. Diesen mussten vor der Einreise alle Staatenlosen und Angehörige von Staaten einholen, die nicht in einer Liste mit 84 Staaten enthalten waren.
In Österreich war seinerzeit überwiegend kein Einreisevisum erforderlich. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde die Visumpflicht für Einreisende aus der ČSSR am 25. August 1968 eingeführt. Mit dem Anwachsen der Flüchtlingszahlen untersagte der damaligen Außenminister Kurt Waldheim die Erteilung von Visa an tschechische Flüchtlinge. Da der damalige österreichische Botschafter in Prag, Rudolf Kirchschläger, die Weisung nicht ausführte, flohen 50.000 Tschechen nach Österreich.
Im Vereinigten Königreich führte die zunehmende Zahl von Zuwanderern aus ehemaligen Kolonien in den 1960er Jahren zu Beschränkungen des Rechts zur Einwanderung auch für Briten; da damals nicht, wie heute, zwischen Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs und Angehörigen anderer der Krone unterstehender Besitzungen und Staaten unterschieden wurde, genossen sie zuvor grundsätzlich einen Anspruch auf Zuwanderung ins britische Stammland. Nachdem der Commonwealth Immigrations Act 1962 Einwanderungsbeschränkungen, aber keinen Visumzwang für britische Bürger einführte, die nicht von den britischen Inseln stammten, wurde mit dem Immigration Appeals Act 1969 auch die Grundlage für einen Visumzwang (entry clearance requirement) geschaffen.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde nach der Geiselnahme von München im Jahr 1972 der Visumzwang für Staatsbürger von Libyen, Marokko und Tunesien eingeführt. Dem folgten weitere Verschärfungen: Ab 1980 wird durch die Ausweitung der Visumpflicht auf die verstärkte illegale Zuwanderung aus weiter entfernten Staaten reagiert. Wegen der hohen Anzahl türkischer Zuwanderer („Gastarbeiter“) in Deutschland war die Einführung der Visumpflicht für Staatsangehörige der Türkei zum 1. Oktober 1980 von besonderer Bedeutung. Erstmals wurde im Jahr 1981 vor dem Hintergrund des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan eine Flughafentransitvisumpflicht eingeführt.
Seit 1982 unterlagen Ausländer über 15 Jahren (außer von EWG-Staaten), die sich mehr als drei Monate in Deutschland aufhalten wollen, der Visumpflicht. Im Jahr 1986 wurde die Flughafentransit-Visumpflicht auf neun Staaten ausgedehnt, im Jahr 1989 auch auf die Türkei.
Die Vereinigten Staaten von Amerika lockerten ab 1986 den – außer für Kanadier bestehenden – Visumzwang für die Einreise schrittweise. Nach einem Visa Waiver Pilot Program wurde das Visa Waiver Program 1990 permanent im US-Recht verankert.
Nach einigen Terroranschlägen führte Frankreich im Jahr 1986 eine Visumpflicht für alle Ausländer mit Ausnahme von Bürgern der damaligen EG und der Schweiz ein.
1945 bis 1990 (Ostblock)
In den 1960er Jahren wurde der Visumzwang für Reisen zwischen einigen Staaten des Ostblocks aufgehoben. Seit dem 1. Januar 1964 konnte die Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn ohne Reisepass und Visum passiert werden, ein Jahr später vereinbarten auch Polen und die Sowjetunion die Abschaffung des Visumzwangs im Reiseverkehr zwischen beiden Staaten.
In der DDR war das Visum Baustein des strikten Grenzregimes. Nach dem Passgesetz der DDR von 1954 war für jeden Grenzübertritt, also jede Ein- oder Ausreise, durch eigene Bürger oder Ausländer ein Visum erforderlich; ab dem Jahr 1956 wurden hierzu Ausnahmen zugelassen, die durch Verwaltungsvereinbarungen oder Durchführungsbestimmungen getroffen werden konnten, z. B. für Reisen in andere Ostblockstaaten. Im Gesetz waren weder Regelungen zu den Erteilungsvoraussetzungen noch zu Inhalt und Grenzen der von den Innen- und Außenministerien zu erlassenden Durchführungsbestimmungen enthalten. Zur Regelung des Verkehrs zwischen den beiden Teilen Berlins nach dem Mauerbau wurden ab dem Jahr 1963 verschiedene Passierscheinabkommen geschlossen; der Passierschein war trotz seiner abweichenden Bezeichnung im Ergebnis ein Visum auf einem gesonderten Blatt, das Einwohner von West-Berlin zur Einreise in den Ostteil der Stadt benötigten. Durch das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1967 wurde anstelle der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit eine Staatsangehörigkeit der DDR eingeführt, die grundsätzlich nur an Personen, die zum Zeitpunkt der Gründung der DDR in ihr lebten, oder deren Abkömmlinge verliehen war. Deutsche aus der damaligen Bundesrepublik Deutschland wurden hierdurch aus Sicht der DDR zu Ausländern. Im Jahr 1968 wurde für den Transitreiseverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin eine Visumpflicht eingeführt. Im Zuge der Ostpolitik konnten zugunsten der Einwohner der alten Bundesrepublik und von Berlin (West) sowie der Angehörigen anderer westlicher Staaten Erleichterungen durchgesetzt werden: Im Viermächteabkommen über Berlin schufen die vier Siegermächte 1971 die Grundlage für das zwischen den deutschen Staaten im Jahr 1972 abgeschlossene Transitabkommen, das für den Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin vorsah, den Reisenden die Transitvisa an der Grenzübergangsstelle und dort am Fahrzeug selbst und bei durchgehenden Zügen oder Autobussen im Transportmittel zu erteilen.
Für Besuche von Einwohnern von West-Berlin wurde 1971 die Möglichkeit zu Reisen nach Ost-Berlin und in die DDR auf Grund von auf Antrag erhältlichen Berechtigungsscheinen, touristischen Reisebuchungen oder amtlich bestätigten Telegrammen mit einer Gesamtdauer von 30 Tagen im Jahr zugelassen; auf die Ausstellung von Visa an der Grenze auf Grund der Vorlage dieser Berechtigungsscheine und die Erhebung einer Ausstellungsgebühr wurde aber nicht verzichtet. Für Ost-Berlin erhielten Bundesbürger (nicht West-Berliner!) gegen eine Gebühr auch ohne Anmeldung ein Tagesvisum in Form eines Einlegeblattes, das bei der Ausreise wieder einbehalten wurde.
Für Bundesbürger wurde im Jahr 1972 für die Einreise in die DDR angeordnet, dass ein Einreisevisum an der Grenze ebenfalls nur gegen einen Berechtigungsschein erhältlich war, der von einladenden Verwandten oder Betrieben oder dem staatlichen Tourismusunternehmen in der DDR beantragt und sodann an den künftigen Reisenden per Post gesandt werden musste. So wurden Kontrollstempel und Visa mit einem beträchtlichen bürokratischen Aufwand kombiniert: Bürger aus nichtsozialistischen Staaten – auch Bundesbürger, die die DDR als Ausländer betrachtete – konnten an der Grenze ein Visum nur bei Vorlage dieses Berechtigungsscheines erhalten. Es wurde – ebenso wie eine Kontrollkarte – mit einem Einreisekontrollstempel versehen. Am Zielort musste zudem bei der vorgeschriebenen Anmeldung bei der Volkspolizei eine Aufenthaltserlaubnis beantragt werden; bei der ebenfalls obligatorischen Abmeldung wurde ein Ausreisevisum erteilt, das dann bei der Ausreise mit einem Kontrollstempel versehen wurde. Ferner war der Eintrag in das Hausbuch notwendig.
Mit einigen Ländern (Bulgarien, ČSSR, Polen) hatte die DDR Anfang der 1970er Jahre Verträge über pass- und visumfreien Reiseverkehr abgeschlossen. Diese Abkommen führten aber nicht stets zur Genehmigungsfreiheit solcher Reisen, da die DDR für Reisen ihrer Bürger in einige Vertragsstaaten verlangte, dass eine sogenannte „Reiseanlage für den visafreien Reiseverkehr“ bei den DDR-Behörden beantragt wurde. Diese Anlage berechtigte zusammen mit dem DDR-Personalausweis zum Grenzübertritt in diese Länder. In diesem Papier waren Beschränkungen zur Dauer des Aufenthalts im Zielland sowie die auf der Reise passierten Länder aufgeführt. Zum Ostblock zählende Drittstaaten unterstützten bei ihrer Grenzkontrolle die DDR bei der Durchsetzung solcher Beschränkungen. Ohne vorherige Genehmigung waren lediglich Reisen in die Tschechoslowakei sowie bis 1980 nach Polen möglich.
Mit dem im Jahr 1979 erlassenen neuen Passgesetz wurde für Bürger der DDR zwar das Erfordernis eines Einreisevisums abgeschafft, für Ausreisen vor allem in westliche Länder verlangte die DDR aber nach wie vor auch von den eigenen Bürgern ein Ausreisevisum, in dem zumeist auch eine in der Regel kurz bemessene Höchstaufenthaltsdauer festgelegt war. Ein Verweilen im Ausland über den genehmigten Zeitraum hinaus war nach dem Recht der DDR strafbar.
Ein Ausreisevisum konnte nach (mehrfach geänderten) gesetzlichen Regelungen für bestimmte Reisezwecke erteilt werden, z. B. an Künstler für einen Auftritt, Wissenschaftler für eine Kongressteilnahme, Handelsvertreter und Ingenieure für einzelne Geschäfte oder an Rentner. Anderen Personen konnten Ausreisevisa für Verwandtenbesuche zu besonderen Anlässen wie etwa runden Geburtstagen oder Beerdigungen, später auch zu kirchlichen Hochzeiten und ab 1982 sogar zu Kindstaufen erteilt werden. Es bestand jedoch kein Rechtsanspruch. Meist wurde die gleichzeitige Ausreise aller Mitglieder einer Familie nicht gestattet, um eine Flucht aus der DDR zu verhindern. Die Erteilung von Ausreisevisa wurde zwar im Jahr 1988 in einer Verordnung sehr ausführlich und scheinbar vergleichsweise großzügig neu geregelt, indem sogar ein Anspruch auf die schriftliche Begründung einer Ablehnung und die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung geschaffen wurde. In der Praxis wurden aber verschiedenste Gründe für eine Verweigerung gefunden und angeführt, sodass für sehr große Teile der Bevölkerung der Erhalt eines Ausreisevisums unwahrscheinlich blieb, was auch innerhalb der DDR zu Protesten führte. Ab dem 12. September 1989 wurden infolge der Öffnung der ungarischen Grenze nach Österreich für DDR-Bürger Anträge auf Ausreise nach Ungarn vom Ministerium für Staatssicherheit gegengeprüft. Am 4. Oktober 1989 wurde die Visumpflicht auch für Reisen in die ČSSR eingeführt, aber zum 1. November wieder aufgehoben. Trotz des erheblichen Drucks der Bevölkerung sah der am 6. November 1989 veröffentlichte, sofort massiv kritisierte Entwurf eines DDR-Reisegesetzes nach wie vor das Erfordernis von Ausreisevisa für Reisen in westliche Länder vor.
Noch am Nachmittag des 9. November 1989 wurde in der DDR-Regierung eine Reiseregelung entworfen, die auch für „Spontanreisen“ das Erfordernis eines Ausreisevisums vorsah, das – nach Regierungsverständnis „unbürokratisch“ – nach Vorlage von zwei Anträgen und einer Zählkarte erteilt werden, jeweils ein halbes Jahr lang gelten und zu Aufenthalten außerhalb der DDR von bis zu insgesamt 30 Tagen berechtigen sollte. Die kaum verständliche Erläuterung der Regelung in einer Pressekonferenz durch Politbüromitglied Günter Schabowski führte noch am Abend desselben Tages zunächst zur Verwirrung und zu Versuchen der Klarstellung in den Medien, nach wie vor sei zur Ausreise ein Visum erforderlich. Entgegen den Erwartungen der DDR-Regierung kam es nicht zu einem Ansturm auf die Visumstellen, sondern auf die innerdeutsche Grenze selbst und damit zu ihrer Öffnung. Einige Tage später wurden schrittweise Grenzkontrollen wieder aufgenommen; die Ausreisevisa wurden DDR-Bürgern aber ohne Formalitäten in den Personalausweis eingestempelt. Zum 24. Dezember 1989 hob die DDR das Visumerfordernis für Einreisen von Bundesbürgern und Einwohnern von Berlin (West) auf. Seit dem 1. Februar 1990 benötigten nach einem neuen Reisegesetz Inhaber eines DDR-Reisepasses kein Ausreisevisum mehr; hingegen berechtigten Personalausweise nach wie vor nur mit Ausreisevisum zur Ausreise. Mit der Aufhebung der innerdeutschen Grenzkontrollen zum 1. Juli 1990 wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eine Regelung über die gegenseitige Anerkennung von Aufenthaltstiteln und Visa getroffen, die derjenigen des erst später in Kraft gesetzten Schengener Durchführungsübereinkommens entsprach; dabei wurde ausdrücklich ein Schengen-Beitritt der DDR ins Auge gefasst.
1990 bis heute
Nach dem Fall der Mauer und dem Sturz der kommunistischen Systeme wurde der Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten sowie nach Mittel- und teilweise auch nach Osteuropa unter Abschaffung des Visumzwangs freigegeben.
Mit der Neuregelung des Ausländerrechts in Deutschland im Jahr 1990 wurde im Visumrecht das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt: Zuvor bestand für Einreisen von Ausländern nur eine Visumpflicht, soweit dies in einer Rechtsverordnung vorgesehen war. Nach der Neuregelung war jeder Ausländer visumpflichtig, soweit nicht die Visumfreiheit durch Rechtsverordnung angeordnet wurde. Die Durchführungsbestimmungen wurden dabei so ausgestaltet, dass die Visumpflicht der einzelnen Staatsangehörigen weitgehend unverändert blieb. Eine wirkliche Neuregelung im novellierten Ausländerrecht war die grundsätzliche Ausdehnung der Visumpflicht auf Personen unter 16 Jahren. Hiervon blieben Kinder und Jugendliche aus der Türkei, aus Tunesien, Jugoslawien und Marokko für Besuchsreisen bis zu drei Monaten unter der Voraussetzung ausgenommen, dass ein Elternteil eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland besaß. Nach einigen weiteren Verschärfungen wurde zum 15. Januar 1997 kurzfristig die bislang bestehende Visum- und Aufenthaltsgenehmigungsfreiheit für diese Kinder und Jugendlichen gestrichen.
Durch das Schengener Durchführungsübereinkommen und die hierzu erlassenen Durchführungsbestimmungen wurde das Recht der Visa innerhalb des Schengen-Raumes einheitlich geregelt. Zwischen den damaligen Vertragsstaaten fielen die Grenzkontrollen am 26. März 1995 weg. Durch den Vertrag von Amsterdam wurde das Schengen-Recht – das bis dahin als zwischen den Schengen-Staaten geltendes Vertragsvölkerrecht zu behandeln war – in das Gemeinschaftsrecht überführt. Mit der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 (EU-Visum-Verordnung) wurde mit Wirkung zum 10. April 2001 für den Schengen-Raum einheitlich geregelt, welche Staatsangehörigen für Kurzaufenthalte visumfrei einreisen können (sogenannte Positivstaater) und welche Staatsangehörigen für das Überschreiten der Schengen-Außengrenzen stets ein Visum benötigen (sogenannte Negativstaater). Die Verordnung enthält auch Öffnungsklauseln für Einzelregelungen der Mitgliedstaaten und Sonderregeln für bestimmte Gruppen, wie etwa Flüchtlinge oder Diplomaten.
Am 21. Dezember 2007 wurde das gesamte Schengen-Recht in den Staaten, die am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten sind – mit Ausnahme Zyperns – in Kraft gesetzt. An den Luftgrenzen wurden die Personengrenzkontrollen erst am 30. März 2008 eingestellt.
Seither erstreckt sich die einheitliche Regelung des Visumrechts und grundsätzlich der Geltungsbereich der einheitlichen Visa auf alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Bulgarien, Großbritannien, Irland, Rumänien und Zypern. Die Regelung gilt zudem auch für die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen und Island sowie seit dem 12. Dezember 2008 für die Schweiz und seit dem 19. Dezember 2011 auch für Liechtenstein.
Umgehen von Visumbestimmungen, Tricks
Visa-Run
Visa-Run ist die Bezeichnung für das vorübergehende Verlassen eines Landes mit dem einzigen Ziel, umgehend wieder einzureisen, damit die zeitliche Geltungsdauer für ein Touristenvisum von neuem beginnt.
Im Schengen-Raum führt diese Handhabe nicht zum Erfolg, weil Schengen-Visa – auch für ein Jahr oder mehrere Jahre ausgestellte Langzeitvisa für Besucher – stets nur für Aufenthalte von höchstens 90 Tagen innerhalb jedes beliebigen 180-Tage-Zeitraums gelten. Reist also etwa ein visumpflichtiger Ausländer nach einem Aufenthalt von 30 Tagen aus und reist er einen Tag später wieder ein, zählt der erste Tag des neuen Aufenthaltszeitraums als der 31. Tag des Aufenthalts, nicht aber als der erste. Das gilt auch dann, wenn die Einreise mit einem anderen Visum erfolgt. Wer für einen längeren Zeitraum im Schengen-Raum bleiben möchte, benötigt stets einen Aufenthaltstitel des betreffenden Schengen-Staates oder ein sogenanntes Nationales Visum (Typ D, siehe oben zu den Visumkategorien), das diesen Aufenthalt zulässt.
In einigen Ländern werden eigens Reisepakete, z. B. Tagesreisen per Bus, angeboten, um einen „Visa Run“ durchführen zu können. In Thailand ist es beispielsweise üblich, nach Kambodscha, Malaysia, Myanmar oder nach Laos zu fahren. Diese Praxis wird in Thailand seit dem Jahr 2006 erschwert, indem – analog zur Schengen-Regelung – nach einer ersten Einreise als Tourist grundsätzlich nur noch ein Aufenthalt von 90 Tagen innerhalb eines Bezugszeitraums von 180 Tagen möglich ist, falls eine Einreise mit einem sogenannten Visa on Arrival erfolgt.
Täuschungen und Fälschungen
Täuschungen und Fälschungen haben miteinander gemein, dass die mit der Kontrolle der Einreise befassten Behörden durch Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu veranlasst werden, die Einreise zuzulassen, obwohl diese Entscheidung nach den jeweils geltenden rechtlichen Regelungen falsch wäre.
Täuschungen sind, wie im Zusammenhang mit der deutschen sogenannten „Visa-Affäre“ deutlich wurde, durch planmäßige Falschangaben zum Reisezweck und zur Reisefinanzierung möglich, etwa durch gefälschte Belege, die im Visumverfahren vorgelegt werden, oder durch echte Papiere, die aber durch Bestechung erlangt worden sind. Das Risiko eines Erfolges dieser Täuschungen kann daher durch die inhaltliche Kontrolle vorgelegter Dokumente durch Visumstellen und durch die Grenzbehörden bei der Einreise verringert werden.
Das Entdeckungsrisiko einer Einreise mit gefälschten Visa hängt von der Qualität, Überprüfbarkeit und tatsächlichen Überprüfung von Sicherheitsmerkmalen der Visa ab. Es steigt, je häufiger das Kontrollpersonal an den Grenzen echte Dokumente desselben Musters bearbeitet, und damit mit der Wahrscheinlichkeit, dass ihm bereits sehr geringfügige Abweichungen von der Norm sofort auffallen. Noch weiter wächst das Entdeckungsrisiko, wenn im Online-Zugriff auf Datenbestände überprüft werden kann, ob das Visum ausgestellt worden ist. Wenn Kontrollpersonal an den Grenzen hingegen keine umfassenden Echtheitskontrollen durchführt, sich etwa nur auf Sichtkontrollen beschränkt, oder zur eingehenden Kontrolle technisch nicht in der Lage ist, sinkt das Entdeckungsrisiko entsprechend.
Visa-Affäre
Der Volmer-Erlass vom März 2000 löste 2005 die sogenannte „Visa-Affäre“ um den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer aus.
Visa-Warndatei
Zum 1. Juni 2013 hat Deutschland mit dem Visa-Warndateigesetz (VWDG) eine zentrale Visa-Warndatei errichtet. Hier werden alle Menschen erfasst, die schon einmal wegen visumrelevanter Straftaten aufgefallen sind. Um mögliche Terroristen frühzeitig zu identifizieren, sollen bei einem konkreten Verdacht die Namen der Antragsteller und der Einlader mit der Antiterrordatei abgeglichen werden. Zugleich trat mit AufenthG die gesetzliche Grundlage für den Abgleich der Visumantragsdaten zu Sicherheitszwecken in Kraft.
Siehe auch
Humanitäres Visum
Reisebüroverfahren
Arton Capital Passport Index
Henley Passport Index
Literatur
In der allgemeinen ausländerrechtlichen Literatur sind auch Ausführungen zum in Deutschland bzw. in den Schengen-Staaten geltenden Visumrecht enthalten. Hierzu wird auf die Literaturhinweise zum Ausländerrecht und zum Aufenthaltsgesetz verwiesen.
Speziell zum Themenbereich der Visa sind im deutschsprachigen Raum vergleichsweise nur wenige gedruckte Veröffentlichungen erschienen:
Achim Hildebrandt, Klaus-Peter Nanz: Visumpraxis – Voraussetzungen, Zuständigkeiten und Verfahren der Visumerteilung in den Staaten des Schengener Abkommens. Starnberg 1999, ISBN 3-7962-0459-7.
Helgo Eberwein, Eva Pfleger: Fremdenrecht für Studium und Praxis. LexisNexis, Wien 2011, ISBN 978-3-7007-5010-9.
Oliver Maor: Die Visumbestimmungen der Aufenthaltsverordnung. ZAR 2005, S. 185. .
Deutscher Bundestag: Einführung in das Recht der Visumerteilung. In: Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes. (PDF; 3,2 MB)
Bernd Parusel, Jan Schneider: Visumpolitik als Migrationskanal. Die Auswirkungen der Visumvergabe auf die Steuerung der Zuwanderung. Working Paper 40 der Forschungsgruppe des Bundesamtes (PDF; 1 MB). Nürnberg 2011, .
Weblinks
Einzelnachweise
Schengener Durchführungsübereinkommen:
Ausweis
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Q170404
| 126.14333 |
100449
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https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6merstra%C3%9Fe
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Römerstraße
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Römerstraßen sind das Straßennetz, das zur Zeit der Römischen Republik und des Römischen Reiches erbaut und unterhalten wurde. Das Streckennetz umfasste insgesamt 80.000 bis 100.000 Kilometer. Der erste Abschnitt des Netzes wurde 312 v. Chr. als Teil der Via Appia fertiggestellt.
Allgemeines
Römerstraßen waren in Mitteleuropa ein Novum. Wegen ihres straßentechnischen Aufbaus waren sie im Gegensatz zu den Naturwegen germanischen und keltischen Ursprungs (siehe Altstraße) nicht nur weitgehend unabhängig von der Feuchte des Bodens passierbar, sondern bahnten sich möglichst geradlinig, bei nur vergleichsweise geringen Steigungen, ihren Weg durch Ebenen und mit Kunstbauten wie Stützmauern und Brücken durchs Gebirge. Die Befestigung erfolgte durch einen vorgegebenen Schichtaufbau der Straßen, der sich durch die regionale Verfügbarkeit bestimmter Baustoffe unterschied.
Vier Typen können unterschieden werden:
Die via publica („Staatsstraße“): hier trat als Planer und Bauherr die Verwaltung Roms auf und ließ diese auf Kosten der Staatskasse errichten. Gebaut wurden solche Straßen von Soldaten, Zwangsarbeitern und Strafgefangenen, deren Skelettfunde Zeugnis für die Mühen um den Bau solcher Straßen geben.
Die via militaris („Heerstraße“) war durch strategische und logistische Gesichtspunkte gekennzeichnet. Auch bei ihr war der Staat Rom Planer, Bauherr und Träger.
Die via vicinalis („Provinzstraße“) wurde, wie bereits der Name besagt, durch die Provinzen gebaut und unterhalten.
Die via privata („Privatstraße“) spielte gerade in der provinzialrömischen Geschichte eine große Rolle, stellt sie doch die Verbindung zwischen den Gutshöfen und den Zivilsiedlungen dar.
Für eine Römerstraße waren zunächst gegebenenfalls Rodung und immer Aushub bis über einen Meter in die Tiefe nötig, um den Grund zu sichern. Danach wurden mit groben Steinen (statumen), dann mit Kies (rudus und nucleus) und darauf mit Sand immer feiner werdende Schichten aufgebracht, bis die Fahrbahndecke mit Pflastersteinen auf eine vorgegebene Breite ausgeführt wurde. Randsteine formten Rinnen in die Konstruktion.
Das Kopfsteinpflaster war für den Marsch, das Reiten und auch den Verkehr mit Ochsenkarren bestens geeignet. Im Laufe der Zeit stellten sich natürlich gewisse Abnutzungen der Decke ein, die noch heute existieren.
Es existieren noch zahlreiche Beispiele ausgesprochen gut erhaltener Römerstraßen. Meist sind diese Fragmente aber nicht mehr in den öffentlichen Straßenverkehr eingebunden, was sich wohl am ehesten aus der für heutigen Verkehr und Begegnungsverkehr zu geringen Breite begründet. Etliche heutige Straßen sind auf den Fundamenten von Römerstraßen errichtet, wobei die ursprünglichen Fundamente und die Fahrbahndecke natürlich verbreitert wurden und in der Regel durch eine Asphaltdecke über einer Trennschicht die Römerstraße heute weitgehend unsichtbar ist. So folgt die A15 nördlich von Lincoln noch immer genau der 34 Kilometer lang schnurgerade verlaufenden römischen Straße, nur mit einer einzigen Ausbuchtung bei Scampton versehen; dort wurde um 1955 die Landebahn der Luftwaffenbasis verlängert, was nach rund 1900 Jahren die erste Änderung des Verlaufs nötig machte.
Eingeführt wurde die Technik der Steinpflasterung für Fernstraßen vor allem unter Gaius Iulius Caesar, als er Proconsul in Gallien war. Pflasterung für innerstädtische Straßen wurde für die Städte am Mittelmeer schon lange vor der Zeitenwende praktiziert. Die militärische Bedeutung der Steinpflasterung ist nicht zu unterschätzen. Mit Römerstraßen war es erstmals möglich, schnell und in großer Zahl Truppen von einem Ort zum anderen zu verschieben, um die Herrschaft zu behalten und neue Territorien zu erobern. Begleitend wurden von den Römern auch Kastelle errichtet. Für diese Aufgabe wurden unter anderem die beherrschten Menschen zu Frondiensten herangezogen; ebenso wurden Arbeitssklaven eingesetzt. In rauerem Klima war (und ist) ein frostsicherer Unterbau eine Voraussetzung für wetterfeste Straßen.
Entlang den Römerstraßen waren häufig Miliarien (römische Meilensteine) aufgestellt, die zur Orientierung dienten.
Römer an Limes und Bernsteinstraße
Um eine möglichst kurze römische Fernstraße von Mainz nach Augsburg militärisch zu sichern, wurde der Obergermanisch-Raetische Limes erbaut.
Die als Bernsteinstraße bekannten Handelswege des begehrten Bernsteins bis zum Mittelmeer führten von der deutschen und russischen Ostseeküste durch Polen und Österreich (Marchfeld in Niederösterreich) zur Adria nach Aquileia, ein westlicher Zweig von Hamburg nach Marseille. Die winterfeste Verbindung zwischen Carnuntum an der Donau (ca. 40 km östlich von Wien) und Aquileia in Italien wird römische Bernsteinstraße genannt, ihr erster Abschnitt zwischen Aquileia und Ljubljana (Colonia Emona) war die Via Gemina.
Siehe auch
Liste der Römerstraßen
Liste römischer Brücken
Römerstraßen in der Bresse
Literatur
Allgemein
Raymond Chevallier: Les voies romaines. Colin, Paris 1972.
Werner Heinz: Reisewege der Antike. Unterwegs im Römischen Reich. Theiss, Stuttgart 2003, ISBN 3-8062-1670-3; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-16853-4.
Margot Klee: Lebensadern des Imperiums. Straßen im Römischen Weltreich. Theiss, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8062-2307-1 (Rezension).
Thomas Pekáry: Untersuchungen zu den römischen Reichsstraßen (= Antiquitas. Reihe 1: Abhandlungen zur alten Geschichte. Band 17). Habelt, Bonn 1968.
zu speziellen Regionen
– Die drei zugehörigen Karten: Karte 1, Karte 2 und Karte 3.
Hans Bauer: Die römischen Fernstraßen zwischen Iller und Salzach nach dem Itinerarium Antonini und der Tabula Peutingeriana. Neue Forschungsergebnisse zu den Routenführungen. Herbert Utz Verlag, München 2007, ISBN 978-3-8316-0740-2.
Arnold Esch: Römische Straßen in ihrer Landschaft: das Nachleben antiker Straßen um Rom. Mit Hinweisen zur Begehung im Gelände. Philipp von Zabern, Mainz 1997, ISBN 3-8053-2023-X.
Michael Rathmann: Untersuchungen zu den Reichsstraßen in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum (= Beihefte der Bonner Jahrbücher. Heft 55). Philipp von Zabern, Mainz 2003, ISBN 3-8053-3043-X.
Josef Stern: Römerräder in Rätien und Noricum. Unterwegs auf römischen Pfaden (= Römisches Osterreich. Jahresschrift der Österreichischen Gesellschaft für Archäologie. Band 25). Österreichischen Gesellschaft für Archäologie, Wien 2003.
Weblinks
Römerstraßen in Deutschland (mit diversen Karten)
Antikefan – Römische Straßen, Brücken und Tunnel
Römischer Fahrtransit über die Julier-Mittelland-Jurapässe auf genormten Geleisen mit der Spurweite 106–107 cm
Römerstraße Neckar-Alb-Aare
Thomas Codrington: Roman Roads in Britain (veröffentlicht durch die Society for Promoting Christian Knowledge, London, 1903)
(auf Englisch, Griechisch, Französisch Italienisch, Portugiesisch und Spanisch)
Pilgerwege in Spanien, z. T. auf Römerstraßen (mit Karte; öffnet in einem separaten Fenster)
(englisch, französisch und spanisch)
rätische Bilder von sichtbaren Resten von Römerstraßen zwischen Kempten, Augsburg, Salzburg und Tirol
Viae (Artikel von William Ramsay, engl.)
Römerstraße Via Claudia – Römischer Straßenbau im Allgemeinen sowie eine fotografische Dokumentation der Via Claudia zwischen Augsburg und Epfach
Via Numidica (Römerstraße in Nordafrika)
Viae Roma, Konsularstraßen Roms
Hans Bauer: Militärische Logik und Verlauf der Römerstraßen im bayerischen Raum
Einzelnachweise
Straßenbaugeschichte
Wikipedia:Artikel mit Video
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Q194029
| 104.756338 |
210694
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https://de.wikipedia.org/wiki/Import
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Import
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Import (auch: Einfuhr; [wird wegen des nachfolgenden „p“ zu im] „in… hinein “ und „tragen, bringen“: „hineintragen, einführen“) ist im Außenhandel der grenzüberschreitende Kauf von Gütern oder Dienstleistungen aus dem Ausland und deren Lieferung ins Inland. Gegensatz ist der Export.
Allgemeines
Grundformen des Außenhandels sind Transithandel, Import und Export, wobei beim Import die Güterströme vom Ausland ins Inland und die Zahlungsströme vom Inland ins Ausland fließen. Die importierenden Wirtschaftssubjekte (Unternehmen, Privathaushalte, der Staat und seine Untergliederungen wie öffentliche Verwaltung und Staatsunternehmen) heißen Importeur und stehen in Handelsbeziehung zum ausländischen Exporteur. Beim Import ist Voraussetzung, dass der Exporteur dem Importeur aufgrund der Lieferungsbedingungen die Güter/Dienstleistungen (im folgenden: Güter) durch Lieferung zum Eigentum überträgt (Eigentumsvorbehalt schadet nicht) und der Importeur aufgrund der Zahlungsbedingungen dem Exporteur den Kaufpreis entrichtet (Lieferantenkredit/Kundenkredit schadet nicht). Die Beschaffung der Güter muss aus dem Ausland erfolgen, wobei es sich auch im gleichen Währungsraum (etwa Deutschland/Frankreich) um Importe handelt. Importe liegen nur bei der vollständigen Eigentumsübertragung vor, so dass die Miete, Leihe, Pacht oder das Leasing allenfalls einen Import von Dienstleistungen darstellen.
Zu den Importgütern gehören vor allem Rohstoffe, Handelswaren (beispielsweise Commodities) oder Investitionsgüter (Maschinen). Bei Dienstleistungen gilt als Import der Tourismus ins Ausland, wenn etwa ein Deutscher eine Urlaubsreise ins Ausland unternimmt. Der Import von Buchgeld und Kapital heißt Kapitalimport.
Wirtschaftliche Aspekte
Im Hinblick auf die Verarbeitungsstufe gibt es Importe von Rohstoffen oder Halbfabrikaten in der Produktionswirtschaft zwecks Weiterverarbeitung im Inland oder Importe von Fertigerzeugnissen im Handel (Groß- oder Einzelhandel). Importe finden im Rahmen der Außenhandelsfinanzierung statt, weil der Importeur bei Vorschusszahlungen (Vorauszahlung), Zahlung Zug um Zug gegen Lieferung oder bei vorhandenen Zahlungszielen die Güter nach Lieferung zu bezahlen und dabei Kreditinstitute einzuschalten hat. Die Außenhandelsfinanzierung unterstützt hierbei durch Importakkreditiv, Dokumenteninkasso oder Auslandsüberweisung. Der Importwert wird nach internationalen Gepflogenheiten an der Landesgrenze ermittelt, wobei der CIF-Preis zugrunde gelegt wird. Bei der Berechnung des Imports in Deutschland geht das Statistische Bundesamt von Statistiken des Generalhandels aus. Die Deutsche Bundesbank ergänzt den Außenhandelssaldo um den Saldo der Primäreinkommen, die Ergänzungen zum Warenhandel und den Saldo der laufenden Übertragungen zur Leistungsbilanz.
Ein Import wird bei gegebener Inlandsnachfrage notwendig, wenn das importierende Land die Güter nicht oder in zu geringen Mengen selbst produziert oder die Produktqualität/Dienstleistungsqualität oder die Preise ungünstiger sind als beim Import (komparativer Kostenvorteil). Im importierenden Staat ergänzt der Import das fehlende Güterangebot. Einfuhren können deshalb im importierenden Staat eine Unterversorgung, Qualitätsmängel oder Preisnachteile ausgleichen. Importlastige Staaten können versuchen, mit Hilfe einer Importsubstitutionspolitik den Außenbeitrag zu Gunsten der Exportquote zu verschieben.
Die Einfuhr wirkt sich auf die Handelsbilanz aus, wo sie auf der Passivseite verbucht wird. Importiert ein Staat mehr als er exportiert, liegt entsprechend eine „passive Handelsbilanz“ vor. Die Zahlung des Importeurs wird in der Devisenbilanz als Zahlungsausgang berücksichtigt. Sie löst entweder bei Zahlung in Fremdwährung eine Devisennachfrage auf dem Devisenmarkt oder bei Zahlung in Inlandswährung eine Geldnachfrage auf dem Geldmarkt aus. Eine Zahlung in Fremdwährung führt zu einem Abfluss von Devisen, so dass bei hoher Importquote sich ein bestehender Handelsbilanzüberschuss in ein Handelsbilanzdefizit verwandeln kann, das mittelfristig zur Abwertung der Inlandswährung führen kann. Devisenmangel wiederum wirkt sich hemmend auf künftige Importe aus. Das anzustrebende Außenhandelsgleichgewicht ist erst erreicht, wenn Importe und Exporte in einem Staat gleich sind:
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Entsprechend ergibt sich ein Importüberschuss als
.
Ein Importüberschuss führt zu einer passiven Handelsbilanz mit Devisenabflüssen, die die Währungsreserven schmälern und das Volkseinkommen vermindern.
Der Import bewirkt zudem eine Erhöhung des Güterangebots auf dem importierenden Gütermarkt. Da gleichzeitig durch die Bezahlung des Imports die inländische Geldmenge abnimmt, kommt es durch Importe zu einem Ungleichgewicht auf Geld- und Gütermärkten, was wie ausländische Preissteigerungen eine Inflation auslöst („importierte Inflation“).
Rechtsfragen
Das Außenwirtschaftsrecht kennt als Rechtsbegriffe die Einfuhr und Ausfuhr. „Einführer“ (Importeur) ist gemäß Abs. 10 AWG jede natürliche oder juristische Person oder Personengesellschaft, die Waren aus Drittländern ins Inland liefert oder liefern lässt und über die Lieferung der Waren bestimmt. Entsprechend ist Einfuhr die Lieferung von Waren aus Drittländern in das Inland (§ 2 Abs. 11 AWG). Der Einfuhr gleichgestellt ist die Übertragung von Software oder Technologie einschließlich ihrer Bereitstellung auf elektronischem Weg. Auch Elektrizität gilt als Ware, Wertpapiere und Zahlungsmittel sind dagegen keine Waren (§ 2 Abs. 22 AWG).
Zur Ausgestaltung der Importverträge hinsichtlich Kostenübernahme für Transport, Verpackung, Versicherung und den Gefahrenübergang am Kaufgegenstand werden meist die von der Internationalen Handelskammer (ICC) in Paris seit 1936 veröffentlichten Incoterms (Aktuelle Fassung von 2010) als standardisierte Vertragsklauseln angewandt. Der Importeur hat bei der Einfuhr in das Wirtschaftsgebiet der Europäischen Union für die Entrichtung der fälligen Zölle und Einfuhrumsatzsteuer Sorge zu tragen.
Regulierung
Der Staat hat ein Interesse daran, Importe und Exporte zu kontrollieren (Schutz der heimischen Märkte etwa vor Dumping, Waffenhandel). Die Marktregulierung besteht bei Importen aus Einfuhrkontingenten, Einfuhrbewilligungen oder Importzöllen. Ein Handelsembargo kann den Import ganz oder teilweise beschränken. Sie alle wirken restriktiv auf den Import und begrenzen ihn quantitativ und/oder qualitativ. Die von George Stigler 1971 verfasste Theorie der Regulierung lässt erwarten, dass Handelshemmnisse als eine Form von Regulierungen – gleichgültig, ob sie tarifärer oder nicht-tarifärer Natur sind – vom Importland eingeführt und aufrechterhalten werden. Während tarifäre Handelshemmnisse durch die Bestimmungen des GATT bzw. der Welthandelsorganisation (WTO) in der Vergangenheit zunehmend abgebaut wurden, ist die Bedeutung nicht-tarifärer Handelshemmnisse gewachsen.
Schweiz
Als Nicht-EU-Land erhebt die Schweiz Zölle auch auf Waren der angrenzenden EU-Länder. Für verschiedene Waren, beispielsweise Kriegswaffen oder Medikamente ist häufig eine Einfuhrbewilligung erforderlich. Für den Import von vielen landwirtschaftlichen Produkten benötigen man eine Generaleinfuhrbewilligung (GEB). Sie wird unter anderem vom Bundesamt für Landwirtschaft auf Gesuch hin natürlichen und juristischen Personen sowie Personengemeinschaften erteilt, die im schweizerischen Zollgebiet Wohnsitz oder Sitz haben. Die GEB gibt kein automatisches Anrecht auf die Einfuhr eines Produkts zum tiefen Kontingentszollansatz (KZA) bzw. Nullzoll; dazu benötigt man eine Zuteilung eines Kontingentanteils oder eine Ausnützungsvereinbarung. Bei vielen landwirtschaftlichen Produkten werden Zollkontingente verteilt z. B. durch Versteigerungen. Besitzt ein Importeur einen Kontingentsanteil, so kann er die entsprechenden Waren zum tieferen KZA/Nullzoll einführen. Besitzt ein Importeur keinen Anteil am Kontingent, muss er den wesentlich höheren Ausserkontingentszollansatz (AKZA) bezahlen. Importe zum AKZA sind jederzeit und in unbeschränkter Menge möglich.
Internationaler Vergleich
In der Abbildung sind für die Länder der Triade, also die drei größten Volkswirtschaften der Welt, die Exporte im Verhältnis zum jeweiligen BIP dargestellt, außerdem der Nettoexport im Verhältnis zum BIP. Die Importquoten sind auch im Bild versteckt als Differenz zwischen Exportquote und Nettoexportquote. Steigende Export- und Importquoten sind ein Hinweis auf zunehmende internationale Verflechtung des Welthandels im Zuge der Globalisierung.
Siehe auch
Liste der Länder nach Importen
Welthandel/Tabellen und Grafiken
Außenhandel
Außenhandelspolitik
Außenhandelsstatistik
Reimport
Terms of Trade
Importagentur
Weblinks
Incoterms
Wichtige Zusammenhänge im Überblick 2013, Statistisches Bundesamt, Januar 2014
Grafik: Anteile am Weltwarenimport, aus: Zahlen und Fakten: Globalisierung, Bundeszentrale für politische Bildung/bpb
Interaktive dreidimensionale Grafik: Import, aus Zahlen und Fakten 3D, Bundeszentrale für politische Bildung/bpb
Einzelnachweise
Internationaler Handel
Außenwirtschaft
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
Zoll
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Q62955
| 227.503704 |
24687
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https://de.wikipedia.org/wiki/Samaritaner
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Samaritaner
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Die Samaritaner oder Samariter sind eine Religionsgemeinschaft, die wie das Judentum aus dem Volk Israel hervorgegangen ist.
Heute gibt es etwa 840 Samaritaner (Stand 2022). Sie leben im Dorf Kiryat Luza auf dem Berg Garizim bei Nablus im Westjordanland und in der israelischen Stadt Cholon bei Tel Aviv.
Ableitung des Namens
Unterschieden werden Bewohner von Samaria (hebräisch שׁוֹמְרוֹנִים šomronīm) und die israelitischen Samaritaner (hebräisch שַׁמֶרִים šamærīm). Der Begriff Schomronim bezeichnet die Bewohner von Samaria. Er leitet sich vom Namen der Stadt Samaria (hebräisch שׁוֹמְרוֹן šomron) ab. Die Schamerim hingegen sind eine israelitische Glaubensgemeinschaft. Nicht alle Bewohner Samarias, also nicht alle Schomronim, sind auch Schamerim.
Der hebräische Begriff shamerim bedeutet „Bewahrer“, „Beobachter“ oder „Observanten“. Die Schamerim (israelitische Samaritaner) verstanden und verstehen sich als Observanten und Einhalter der Satzungen Mose (Tora oder Pentateuch). Sie sehen sich als die Vertreter des alten Israels und vertreten dessen Gottesbild.
Der Ausdruck des Barmherzigen Samariters geht auf ein Gleichnis Jesu im Neuen Testament bei Lukas zurück. In dieser Erzählung erhält ein Schwerverletzter, den ein jüdischer Priester und ein Levit achtlos liegen ließen, Hilfe von einem Samaritaner. Der Samaritaner versorgte die Wunden des Verletzten, brachte ihn in eine Herberge und bezahlte für seine weitere Pflege. Damals galten die Samaritaner den Juden als fehlgeleitete Abtrünnige und wurden gering geschätzt.
Geschichte
Anfänge
Laut biblischer Darstellung schlossen sich die zehn Stämme im Norden Israels nach der Teilung des Großreichs Israel – durch Auflösung der „Personalunion“, die demnach unter David und Salomo bis ca. 926 v. Chr. bestanden hatte – zum Nordreich Israel mit einem Wahlkönigtum zusammen. Ihre Hauptstadt war während der Omridendynastie im 9. Jahrhundert v. Chr. zunächst Sichem, später Samaria.
Ein Teil dieser Bevölkerung blieb bei der großen assyrischen Deportation im Jahr 722 v. Chr. in ihrer Heimat, denn es wurden wohl nur die Angehörigen der begüterten Oberschicht der israelitischen Bevölkerung deportiert. Die verbliebenen Bewohner vermischten sich im Laufe der Zeit mit dem von der assyrischen Großmacht dort angesiedelten Völkergemisch aus dem Osten (Babel, Awa, Hamta, Sefarwajim und Kuta) . Diese Mischbevölkerung wird als Samaritaner bezeichnet. Nach der Stadt bzw. dem Fluss Kuta werden die Samaritaner bei Flavius Josephus und in der rabbinischen Literatur als „Kutäer“ bezeichnet. Sie bewahren eine im Vergleich zum rabbinischen Judentum altertümliche Version der Religion mit eigenem Heiligtum, eigener Liturgie und ihrem samaritanischen Pentateuch. Nur diesen betrachten sie als heilige Schrift, die mündliche jüdische Lehre lehnen sie ab. Die Selbstbezeichnung lautet „Schamerim“ (Bewahrer). Die Samaritaner verstehen sich als Nachfahren der (nord-)israelitischen Stämme Ephraim und Manasse.
Heiligtum und Tempel auf dem Garizim
Die Oberschicht des Südreiches (bestehend aus Juda und Benjamin) war 586 v. Chr. von den Babyloniern nach Mesopotamien verschleppt worden. Nachdem die Perser die Herrschaft über Babylonien errungen hatten, durften die Juden in verschiedenen Wellen nach Judäa zurückkehren. Unter Serubbabel, einem Davididen, bauten sie den Jerusalemer Tempel wieder auf (um 520 v. Chr.). Die Samaritaner wollten dabei mithelfen. Ihr Wunsch wurde abgelehnt . Man betrachtete sie nicht als rein-israelitisch. Sie seien in Kontakt mit den fünf angesiedelten Völkern und deren Göttern gekommen.
Religionsreform durch Esra und Nehemia
Etwa um 440 v. Chr. führten nach dem Bericht der Bibel Esra und Nehemia eine Religionsreform in Juda und Jerusalem durch. Anhänger älterer Traditionen, die der Reform nicht folgen wollten, setzten sich nach Samaria ab. Insbesondere traten Esra und Nehemia gegen Mischehen zwischen Israeliten und Nicht-Israeliten auf (Esra und ): Priester und Leviten sollten keine fremden Frauen heiraten und bestehende Verbindungen dieser Art lösen. So war z. B. Manasseh, der Sohn einer hohenpriesterlichen Familie aus Jerusalem, mit der Tochter des persischen Statthalters von Samaria verheiratet; deswegen wurde er aus Jerusalem ausgewiesen. Er und gleichgesinnte Priester schlossen sich den Samaritanern an. Von da an organisierte er den Priesterdienst am Heiligtum auf dem Berg Garizim.
Garizim – Ort der Anbetung
Da die Samaritaner keinen Anteil mehr am Tempel in Jerusalem hatten, vertraten sie von nun an die Ansicht, dass der Berg Garizim der richtige Ort für die Verehrung Gottes sei und nicht Jerusalem. Denn vom Berg Garizim sei das Volk Israel gesegnet worden ( und ). Sie beanspruchten deshalb für sich, sie verträten die Gottesverehrung des alten Israel. Um 450/430 v. Chr. errichteten die Samaritaner ein eigenes Heiligtum auf dem Berg Garizim. Größere Umbaumaßnahmen erfolgten im 2. Jahrhundert v. Chr. Dieser Tempel der Samaritaner wurde etwa 128 v. Chr. durch den Hasmonäer Johannes Hyrkanos I. zerstört. Da jedoch noch Münzen späterer Zeit gefunden wurden, dürfte die endgültige Eroberung etwa 112/111 v. Chr. stattgefunden haben.
Erwartung des Gesalbten
Wie die Juden erwarteten die Samaritaner den Gesalbten Gottes (siehe Messias). Dieser würde jedoch nicht aus dem Stamm Juda, sondern aus dem Stamm Josefs kommen. Im weiteren Gegensatz zu den Juden erwarteten die Samaritaner keinen König, sondern einen Propheten, wie Mose einer gewesen war. Sie bezeichneten ihn als taheb (aramäisch „Wiederhersteller“). Der Taheb würde sie alles lehren und den religiösen Zustand des alten Israel wiederherstellen. Dabei beriefen sie sich auf .
Gewalt gegen Pilgerzug
Der jüdische Historiker Flavius Josephus berichtet, im Jahr 36 n. Chr. sei ein priesterlicher Anführer aufgetreten, der vorgab, der erwartete Taheb zu sein. Mit großem Gefolge sei er zum Berg Garizim gezogen, und viele der Männer hätten Waffen getragen. Auf dem Berg wollte der Anführer dem Volk die heiligen Gefäße zeigen, die Mose dort einst niedergelegt haben soll. Dies habe als Zeichen dienen sollen, dass er der erhoffte Taheb sei. Pontius Pilatus ließ den Zug zum Berg Garizim gewaltsam unterbinden.
Aufstände in der Spätantike
In der Spätantike kam es mehrmals zu vergeblichen Aufständen der Samaritaner gegen die oströmische Regierung, besonders in den Jahren 484 und 529. Während dieser Aufstände wurden die Anführer Justasas und Julian ben Sabar sogar zu Königen gekrönt, bald darauf aber gefangen genommen und getötet.
In der Zeit des Kalifen ʿUmar ibn al-Chattāb († 644) stellten die Samaritaner eine wichtige Gruppe dar. Gelegentlich wird vermutet, dass es sich bei den Juden von Medina zur Zeit des islamischen Religionsstifters Mohammed († 632) um Samaritaner gehandelt haben könnte.
Gegenwart
Die Samaritaner leben heute in fünf Familienverbänden in Cholon nahe Tel Aviv und in Nablus im Westjordanland. Die Trennung in zwei etwa gleich große Gruppen, eine stark von der israelischen Gesellschaft beeinflusste und eine, die ihre von der arabischen Umgebung geprägten Bräuche aufrechterhält, führt zuweilen zu Loyalitäts- und Identitätsproblemen. Die Gruppe in Cholon spricht vorwiegend Hebräisch, die Gruppe in Nablus Arabisch.
Demografie
Waren die Samaritaner im Mittelalter noch ein recht zahlreiches Volk, so sank ihre Zahl im Zuge der Islamisierung extrem. Die Samaritaner praktizieren, auch zu ihrem eigenen Schutz, eine strenge Endogamie. Im Jahre 1918 zählten die Briten im damaligen Mandatsgebiet Palästina 146 Samaritaner in fünf miteinander verwandten Familien, davon eine Priesterfamilie.
Seit 1923 ist vom samaritanischen Religionsgesetz her auch die Heirat zwischen Samaritanern und Juden erlaubt, wenn diese zur Religion der Samaritaner übertreten. Seitdem konvertierten einige Jüdinnen und heirateten samaritanische Männer. 1996 überstieg die Zahl der Samaritaner wieder 660. Im Gegensatz zu den Juden – sie sehen die Abstammung von einer jüdischen Mutter als Basis für die Religionszugehörigkeit zum Judentum – ist die Abstammung von männlichen samaritanischen Vorfahren eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur samaritanischen Religion.
Die samaritanische Gemeinde nennt für das Jahr 1786 ungefähr 100 Mitglieder; 1919 habe es 141 Samaritaner gegeben, und 2018 seien es 810 gewesen. Von den 796 Samaritanern am 1. Januar 2017, darunter 414 Männer und 382 Frauen, lebten 381 Personen am Berg Garizim und 415 im Staat Israel. 2016 wurden 12 Kinder geboren, drei nicht samaritanische Frauen heirateten in die samaritanische Gemeinde ein. Im Jahr 2019 gab es 800 Samaritaner, etwa 840 im Jahr 2022.
Religion der Samaritaner
Die Samaritaner erkennen von den Schriften der Bibel nur die Autorität der fünf Bücher Mose (Pentateuch bzw. Tora) an. Der samaritanische Pentateuch ist in einer eigenen samaritanischen Schrift geschrieben, die auf der althebräischen Schrift basiert, welche sich aus dem phönizischen Alphabet entwickelt hat. Die heutige hebräische Schrift hingegen ist ursprünglich eine aramäische Schrift, die von den Juden erst während des babylonischen Exils übernommen wurde. Darüber hinaus haben die Samaritaner eine eigene Überlieferungs- und Aussprachetradition ihrer heiligen Schriften und der althebräischen Sprache erhalten können, die für Bibelwissenschaftler und Sprachwissenschaftler gleichermaßen interessant ist.
Für die Samaritaner sind die prophetischen Bücher der Juden nicht von Bedeutung. Vielmehr sind sie der Auffassung, dass sich die Juden, die Abkömmlinge des Südreiches Juda, von der alten israelitischen Gottesvorstellung entfernt hätten, insbesondere während des babylonischen Exils. Die Samaritaner werfen den Juden vor, sie hätten dem Gott Israels menschliche Eigenschaften zugeordnet (so in den prophetischen Büchern des Alten Testaments). Damit hätten sie sich ein Bild von Gott gemacht und gegen das Gebot der Bildlosigkeit verstoßen.
Eine auffällige Eigenheit des samaritanischen Pentateuch ist, dass das zehnte Gebot die Achtung des Bergs Garizim als Zentrum der Anbetung verfügt. Die Zehnzahl ist dennoch gegeben, da das erste jüdische Gebot „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“ lediglich als Einleitung verstanden wird. Das zweite jüdische Gebot ist also das erste Gebot der Samaritaner.
Die Samaritaner haben alte Bräuche bewahrt, die sie teilweise auf die Zeit vor dem babylonischen Exil zurückführen. So kennen sie bis heute das Hohepriestertum sowie das Tieropfer und feiern ihr Neujahrsfest im Frühling, nicht wie heute im Judentum üblich im Herbst.
Hohepriester
Die Samaritaner haben einen eigenen Hohenpriester, der auf dem Berg Garizim residiert.
Siehe auch
Galiläa
Jakobsbrunnen
Literatur
Monographien
Alan D. Crown: The Samaritans. Mohr, Tübingen 1989, ISBN 3-16-145237-2.
Alan D. Crown, Reinhard Pummer: A Bibliography of the Samaritans. (= ATLA Bibliography Series, 51). Lanham 32005, ISBN 0-8108-5659-X.
Alan D. Crown, Reinhard Pummer, Abraham Tal (Hrsg.): A Companion to Samaritan Studies. Mohr, Tübingen 1993, ISBN 3-16-145666-1.
Ferdinand Dexinger, Reinhard Pummer (Hrsg.): Die Samaritaner. (= Wege der Forschung, 604). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, ISBN 3-534-08557-4.
Holger Gzella: Aramäisch. Weltsprache des Altertums. Eine Kulturgeschichte von den neuassyrischen Königen bis zur Entstehung des Islams. C.H. Beck, München 2023, ISBN 978-3-406-79348-6, 319–323.
Magnar Kartveit: The Origin of the Samaritans. (= Vetus Testamentum Supplements, 128). Brill, Leiden, Boston 2009, ISBN 978-90-04-17819-9.
Reinhard Pummer: The Samaritans. E.J. Brill, Leiden 1987, ISBN 90-04-07891-6.
Reinhard Pummer: The Samaritans: A Profile. Eerdmans, Grand Rapids, Michigan 2016, ISBN 978-0-8028-6768-1.
Robert T. Anderson, Terry Giles: The Keepers: An Introduction to the History and Culture of the Samaritans. Hendrickson, Peabody 2002, ISBN 978-0801045479.
Populärwissenschaftlich
Matthias Schulz: Gottes vergessene Kinder. In: Der Spiegel. Nr. 15, 2012, S. 120–123 (PDF; 835 KB).
Günter C. Vieten: Die Samaritaner. Moses wahre Erben. Fotografie von Amos Schliack. GEO Magazin, April 1986, S. 88–102.
Weblinks
Einzelnachweise
Abrahamitische Religion
Personenbezeichnung (Biblisches Thema)
Wikipedia:Artikel mit Video
Ethnisch-religiöse Gruppe
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Q182651
| 128.891401 |
1158767
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https://de.wikipedia.org/wiki/Urvorfahr
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Urvorfahr
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Der Urvorfahr (, LUA, oder , LUCA) ist die – hypothetische – letzte gemeinsame Stammform aller heutigen (rezenten) zellulären Organismenarten. Er wird von den sogenannten monophyletischen Abstammungstheorien postuliert, die davon ausgehen, dass sämtliche Lebewesen der Erde, Pflanzen, Tiere, Pilze und einzellige Formen, sich auf eine einzige „primitive“ Urform zurückführen lassen, während alle übrigen auf der frühen Erde wahrscheinlich existierenden zeitgenössischen, ähnlich primitiven Formen keine Nachkommen in der rezenten Lebewelt und auch nicht in der jüngeren Erd- und Evolutionsgeschichte hinterlassen haben. Es wird in diesen Hypothesen davon ausgegangen, dass diese Urform vor mindestens 3,5 Milliarden Jahren, also im späten Hadaikum oder frühen Archaikum, gelebt hat. Für den Entstehungsort des Lebens und Lebensraum des LUCA wurden etliche Szenarien vorgeschlagen, in der letzten Zeit wurden aber insbesondere alkalische „Weiße Raucher“ als Hydrothermalquellen nicht zu hoher Temperatur (wie es sie beispielsweise in der „Lost City“ gibt) favorisiert.
Hintergrund
Für den Urvorfahren wird entsprechend dem Sparsamkeitsprinzip (Ockhams Rasiermesser) üblicherweise angenommen, dass dieser diejenigen Merkmale der heute lebenden Organismen hatte, die diesen gemeinsam sind: eine Zellstruktur, DNA, den (weitestgehend übereinstimmenden) genetischen Code wie auch mRNA, tRNA und eine ribosomal vermittelte Translation. Sogar DNA-Reparaturmechanismen weisen über alle zellulären Organismen und einige Viren Ähnlichkeiten (Homologien) auf: die Familie der RecA-Rekombinasen mit RecA in Bakterien, Rad51 und DMC1 in Eukaryoten, RadA in Archaeen und UvsX im Bakteriophagen T4, einem Bakterienvirus.
Ein weiteres Indiz für diese Annahme ist die Erkenntnis, dass Archaeen (wie Halobacterium salinarum) die gleichen Mechanismen zur Erhaltung der Zellgröße benutzen wie Bakterien und Eukaryonten, d. h. dass die Zellteilungsstrategie in allen drei Domänen des Lebens gleich sein könnte.
Da die Organisation der DNA bei Bakterien fundamental von der bei Archaeen und komplexen Zellen (Eukaryoten) abweicht, wird neuerdings die These vertreten, dass der zelluläre LUCA noch der RNA-Welt angehört hat. Die Speicherung der Erbinformation in der DNA wird dann als eine Fähigkeit angesehen, die zunächst von Retroviren ‚erfunden‘ wurde und die dann zelluläre Organismen mehrmals durch Übertragung von solchen Viren erworben haben. Daraus resultieren die Bakterien einerseits, die Archaeen und Eukaryoten andererseits. Der grundsätzliche Aufbau der Ribosomen als Eiweißfabriken und der genetische Code stimmen dagegen bei allen zellulären Organismen so gut überein, dass bereits der LUCA darüber verfügt haben muss.
Darüber hinaus ist es möglich, dass der Urvorfahr thermophil war. Das wird allerdings angezweifelt, weil diese Hypothese auf vergleichenden Sequenzanalysen der rRNA (ribosomalen RNA) basierte, die bei thermophilen Organismen fragwürdige Ergebnisse liefern. Es scheint, dass seine Zellwandbestandteile Murein (Peptidoglycan) enthielten, die charakteristische Zellwandkomponente moderner Bakterien.
Anmerkungen zu möglichen Fehlschlüssen:
Es handelt sich beim Last Universal Ancestor nicht um ein bestimmtes Individuum, sondern um ein Taxon im Rang einer Art und somit um eine Population.
Diese Urpopulation repräsentiert nicht zwangsläufig auch die ersten existierenden (zellulären) Organismen.
Folglich handelte es sich auch nicht zwingend um die „primitivst“-möglichen Lebensformen.
Die Entstehung und Entwicklung des genetischen Codes und der Ribosomen hätte dann vor dem LUCA bereits in der RNA-Welt stattgefunden. Vorher standen als Biokatalysatoren nur Ribozyme zur Verfügung, danach auch echte (Protein-)Enzyme (Zwei Phasen der RNA-Welt). Moderne Ribosomen bestehen aus beidem, ribosomaler RNA (rRNA) und (Hilfs-)Proteinen.
Wenn man unter dem Begriff Progenot einen Organismus versteht, der noch im Begriff ist, die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp zu entwickeln, dann wäre dieser Organismus in der ersten Phase anzusiedeln, also vor dem LUCA, der vermutlich in der zweiten Phase anzusiedeln ist. Ähnlich wird manchmal der Begriff Protozelle oder Protobiont verstanden: In einem sich replizierenden Vesikel wird RNA repliziert (siehe auch Mikrosphäre).
Eine statistische Untersuchung aus dem Jahr 2010 hat ergeben, dass das Leben sehr wahrscheinlich von einem einzigen gemeinsamen Vorfahren abstammt. Ein einziger gemeinsamer Vorfahr ist danach 102860-mal wahrscheinlicher als mehrere. All seine Zeitgenossen sind seither ausgestorben; lediglich das genetische Erbe einer einzigen Spezies hätte bis zum heutigen Tag überlebt.
Im Gegensatz dazu propagierte Carl Woese, dass unser genetisches Prä-LUCA-Erbe von einer Vielzahl an Lebensformen entstammte, statt nur von einer Spezies (Biofilmtheorie, Horizontaler [lateraler] Gentransfer). Die Fähigkeit primitiver Lebewesen zum horizontalen Gentransfer könnte nämlich bedeuten, dass anstelle eines einzigen universellen Ahns eine Gemeinschaft (Genpool) primitiver Einzeller tritt. Da diese sich untereinander im stetigen Genaustausch befanden ('Common ancestral community'), könnten sie aus heutiger Sicht quasi als eine Einheit (Species) erscheinen. Dieser Genaustausch könnte u. a. auch durch Viren vermittelt worden sein.
Der Aufbau von Dendrogrammen (Baumdiagrammen) auf der Grundlage genetischer Distanz zwischen allen existenten Zelltypen zeigt eine relativ frühe Aufspaltung zwischen Archaeen, die hoch resistent gegenüber extremen Lebensbedingungen (extremophil) sind, und den übrigen Lebensformen. Dies hat zu einigen Vermutungen darüber geführt, dass sich der Urvorfahr in solch extremen Ökosystemen entwickelt haben könnte, etwa im Tiefseerücken.
Zwei oder drei Domänen
Neue Untersuchungstechniken haben in den Jahren seit etwa 2015 das Bild stark verändert. Die bisherigen Stammbäume beruhten auf dem Vergleich homologer DNA-Sequenzen vor allem aus der kleineren Untereinheit der ribosomalen RNA. Die für die Amplifikation verwendeten Methoden, vor allem die verwendeten Primer, erwiesen sich nun für eine Reihe ungewöhnlicher Prokaryoten als ungeeignet. Diese Organismen waren der Aufmerksamkeit der Biologen bis dahin entgangen, weil sie sich mit den in Jahrzehnten entwickelten Standard-Techniken der Mikrobiologie nicht kultivieren ließen, und großenteils bis heute nicht lassen. Viele von ihnen besitzen ein sehr kleines Genom, ihnen fehlen für Lebensvorgänge wesentliche Synthese- und Stoffwechselwege, weshalb man annimmt, sie können womöglich nur als Symbionten oder Parasiten, gemeinsam mit anderen Organismen, überleben. Da die formale Beschreibung von Prokaryotentaxa an Kultivierung gebunden ist, verharren die neu gefundenen Linien auf dem Status eines Candidatus. Tatsächlich wurden aber zahlreiche Taxa, die aufgrund ihrer Divergenz im Rang von Stämmen (Phyla) eingeordnet werden müssen, gefunden, bei denen nicht ein kultivierbares Mitglied enthalten ist. Ihre Existenz verrät sich durch Analysemethoden, bei denen ohne Umweg über Kultivierung direkt Genome in der Umwelt analysiert und dann einzelnen Linien/Arten zugeordnet werden (genannt Metagenomik) oder bei denen das Genom einer einzelnen, isolierten Zelle amplifiziert und sequenziert wird.
Eine solche Gruppe, die zu den Archaeen gehörenden „Lokiarchaeota“ erwies sich unerwarteterweise nach genetischen Analysen als nahe verwandt mit den Eukaryoten. Danach wurden weitere Schwestergruppen der „Lokiarchaeota“ gefunden („Thorarchaeota“, „Odinarchaeota“, „Heimdallarchaeota“ etc.); alle zusammen werden zur „Asgard“-Supergruppe zusammengefasst.
Ein mit Hilfe der neuen Techniken 2016 aufgestellter neuer Stammbaum des Lebens, der auf mehr als 3000 vollständig analysierten Genomen beruht, fand nicht nur eine neue Großgruppe der Bakterien, die (mit einer Ausnahme) ausschließlich bisher unkultivierbare Bakterienstämme enthält. Ein Ergebnis war außerdem, dass der Ursprung der Eukaryoten innerhalb der Archaeen liegt, und nicht, wie bisher angenommen,
unabhängig von diesen ist.
Danach würden nur zwei (statt bisher drei) Domänen des Lebens existieren, denn die Eukaryoten wären zu einer Linie innerhalb der Archaeen reduziert. Allerdings war dies in Form der Eozyten-Hypothese schon früher vorgeschlagen worden, galt aber bisher als im Widerspruch zu den Befunden. Jetzt käme als ein solcher Ausgangspunkt der Eukaryoten die Asgard-Supergruppe der Archaeen in Frage.
Eine weitere Unterstützung dieser Zweiteilung der Lebewesen kommt aus der Erkenntnis, dass die DNA-Replikationssysteme der Bakterien auf der einen und der Archaeen sowie Eukaryoten auf der anderen Seite sich derart stark voneinander unterscheiden, dass – im Gegensatz zu den Ribosomen und dem Genetischen Code – für diese kein gemeinsamer Ursprung (Homologie) angenommen werden kann. Möglicherweise hatte der zelluläre LUCA daher noch (wie viele Viren) ein RNA-Genom, war also ein (hypothetischer) Ribozyt.
Ähnliches gilt für an DNA-Reparaturmechanismen betrachtete Proteine. Während es für die Proteine aus der Familie der RecA-Rekombinasen wie oben erwähnt Homologien über alle zellulären Organismen (und einige Viren) gibt, finden sich für weitere Reparaturproteine Homologien unter Eukaryoten und Archaeen (Rad54, Mre11, und Rad50).
In Zusammenhang mit diesen Entdeckungen wurden auch andere bisherige Ansichten zum systematischen Wert grundlegender Unterschiede in Frage gestellt, etwa zum Aufbau der Lipide der Zellmembran oder zum Ursprung der grampositiven Bakterien. Da jedoch die ATP-Synthase allen Lebewesen in ihrer komplexen Grundstruktur gemein ist (mit Ausnahme von wenigen rein gärenden Mikroben sowie primitiven Vielzellern wie einigen Myxozoen und Korsetttierchen,) sollte der LUCA bereits über eine Basisversion davon verfügt haben. Da die ATP-Synthase ein membrangebundenes Protein ist, sollte der LUCA bereits über Membranen (in irgendeiner Form) verfügt haben, so dass in ihm ein zumindest primitiv-zellulärer Organismus zu vermuten ist, etwa mit semipermeabler Membranhülle (statt wie bei heutigen Zellen mit impermeabler Membranhülle und aktiven Transportmechanismen). Die Analyse der Proteinfamilien der verschiedenen Untereinheiten membranständiger F- und A-/V-Typ-ATPasen erlaubt Rückschlüsse auf die detaillierte Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte dieser 'motorischen' Enzyme. Dies stützt weiter die Annahme, dass LUCA bereits ein zellulärer Organismus mit einer zumindest primitiven Form von Membranen war, und dass die Eukaryoten sich aus einem Zweig der Archaeen entwickelt haben.
Eine weitere Unterstützung der Annahme eines gemeinsamen Ursprungs aller zellulären Organismen könnte sich aus der vergleichenden stöchiometrischen Analyse fundamentaler Stoffwechselwege () von Modellorganismen ergeben. Am MIT hatten Jean-Benoît Lalanne, Gene-Wei Li und Kollegen in einer Veröffentlichung im März 2018 über eine entsprechende Untersuchung an verschiedenen Bakterien und an der Bäckerhefe eine bemerkenswerte Übereinstimmung gefunden. Die evolutionären Kräfte, die hinter dieser hochkonservierten Stöchiometrie stehen, blieben aber zunächst im Dunkeln.
Die bisher erzielten Ergebnisse sind aufgrund ihrer Neuartigkeit noch vorläufig, sie stehen teilweise im Widerspruch zu den anhand der traditionellen Methoden erzielten Erkenntnissen und müssen daher noch umfassend geprüft werden. Sie deuten aber auf die Möglichkeit hin, dass eventuell einige Prokaryoten mit sehr kleinem Genom möglicherweise nicht auf die Reduktion komplexer organisierter Vorfahren zurückgehen, sondern dass es sich um reliktäre Linien handeln könnte, die in der modernen Welt nur als Symbionten überleben konnten.
Urviren
Im Gegensatz zu den zellulären Organismen (Biota inklusive Mensch) gibt es offenbar verschiedene Urviren (virale LCAs). Obwohl auch äußerst verschiedene Viren homologe Hüll-Proteine besitzen, gibt es zwanzig oder mehr grundsätzlich verschiedene solche Proteine, die nicht miteinander verwandt sind, was gegen einen gemeinsamen Vorfahren aller Viren spricht. Viren scheinen in einer Periode starken horizontalen Gentransfers durch Reduktion aus urtümlichen Zellen entstanden, die ein segmentiertes RNA-Genom besaßen (Ribozyten, RNA-Welt), nicht von einem „modernen“ Gegenstück. Im Einklang mit der RNA-Welt- und Ribozyten-Hypothese müssen die ursprünglichen Viren RNA-Viren gewesen sein, bevor diese die DNA zur Speicherung der Erbinformation entdeckt hätten.
Urkaryoten, Archezoen und LECA/FECA
Der letzte gemeinsame Vorfahr aller heutigen Eukaryoten wird in Analogie zum (LUCA) als (LECA) bezeichnet. Der erste gemeinsame eukaryotische Vorfahr wird dagegen als (FECA) bezeichnet. Unter den Nachkommen des FECA vor dem LECA abzweigende Nebenlinien haben nicht überlebt (siehe Kronen- und Pangruppe).
Statt der früheren Urkaryoten-Hypothese, nach der sich die Eukaryoten weitgehend unabhängig von Bakterien und Archaeen aus „primitiven“ amöboiden prädatorischen Einzellern (Urkaryoten) entwickelten, gilt heute eine Abstammung von Archaeen als weitgehend gesichert.
Dieses Szenarie war ursprünglich als Eozyten-Hypothese vorgeschlagen worden. Mit der Zeit wurden neue Vertreter der Archaeen mit einem immer kleineren Abstand zu den Eukaryoten, auf die ursprünglichen Crenarchaeota folgten die Lokiarchaeota und heute die Heimdallarchaeota (mit den Hodarchaeales).
Nicht ausgeschlossen werden kann eine Mitwirkung von DNA-Viren (etwa der Phyla Nucleocytoviricota, NCLDVs, oder Preplasmiviricota, PLVs), diese Szenarien werden mit dem Oberbegriff virale Eukaryogenese bezeichnet.
Alle bisher untersuchten Eukaryoten besitzen, neben einem vom Cytoplasma durch eine Kernmembran abgegrenzten Zellkern, Mitochondrien oder Organellen (Hydrogenosom, Mitosom etc.), die offenbar von Mitochondrien abstammen oder mit diesen einen gemeinsamen Vorfahren haben. Zumindest ließen sich überall in der Zellkern-DNA Gene mitochondrialen Ursprungs nachweisen als Resultat eines lateralen Gentransfers von einem früheren Mitochondrium zum Kern. Daher könnte LECA bereits einen Zellkern und mitochondrienartige Organellen (mit eigener mtDNA) besessen haben.
Ein Schlüssel zur Erforschung der Eukaryogenese konnte im Entwurf eines Stammbaums Chromatins und der eukaryotischen, archaealen und viralen Histone liegen.
Archaeen und Bakterien – LACA und LBCA
In Analogie wird der letzte gemeinsame Vorfahr der Archaeen als LACA bezeichnet; der der Bakterien (siehe Urbakterium) als LCBA, manchmal auch LBCA.
LUCELLA und weitere Begriffe
Der letzte gemeinsame Vorfahre aller zellulären Organismen (Bakterien einerseits, Archaeen inkl. Eukaryoten andrerseits) wird gelegentlich als LUCELLA bezeichnet – nach der RNA-Welt-Hypothese könnte dies ein Ribozyt (Zelle mit RNA-Genom) gewesen sein.
Weitere Begriffe dieser Art setzen oft bestimmte Annahmen voraus, so z. B. LAECA () eine parallele Entwicklung von Archaeen und Eukaryoten. Nach der Eozyten-Hypothese entwickelten sich die Eukaryoten aber aus einem Zweig der Archaeen heraus (dabei endosymbiotische Aufnahme eines α-Proteobakteriums als Mitochondrium), der LAECA ist dann identisch mit dem LACA.
Alternatives Konzept: Präzellen
Nach der Präzellen-Theorie (pre-cell theory)
gab es keine „erste Zelle“ bzw. auch keine nahezu komplette Zelle (LUCA) als Urvorfahr, aus der die drei Domänen des Lebens hervorgingen.
Jede der drei Domänen entstand vielmehr aus eigenen Vorgängerzellen (proto-cells), die durch sukzessive Zellularisierung aus einer multiphänotypischen Population von evolvierenden Präzellen (pre-cells) hervorgingen.
Die nebenstehende schematische Darstellung zeigt Kandlers Konzept einer graduellen Evolution und Diversifizierung des ersten Lebens durch vorteilhafte Verbesserungen (die Zahlen weisen dabei auf die einzelnen aufeinanderfolgenden Entwicklungsschritte bzw. auf die Entstehung von Verbesserungen hin und werden unter „weitere Einzelheiten“ genauer erklärt).
Literatur
Nicolas Glansdorff, Ying Xu, Bernard Labedan: The Last Universal Common Ancestor : emergence, constitution and genetic legacy of an elusive forerunner. Biology Direct 2008, 3:29.
Weblinks
Urahn allen Lebens war hitzescheu, scinexx vom 2. Januar 2009. Springer-Verlag, Heidelberg. Quelle: University of Montreal, NPO
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst: Wie das Leben auf die Erde kam. (PDF; 67 kB), Radio Akademie: Evolution – Fluss des Lebens (3), 16. Mai 2009 – Autor: Uwe Springfeld, Redaktion: Detlef Clas, Regie: Günter Maurer.
William F. Martin (Bild): Ursprung des Lebens : «Luca» liebte es heiss – Ein kurioser Einzeller ist der gemeinsame Vorfahr allen Lebens auf der Erde. Nun haben Forscher rekonstruiert, wie er selbst gelebt hat, dpa/NZZ 25. Juli 2016.
Joseph F. Sutherland: On The Origin Of The Bacteria And The Archaea, auf B.C vom 16. August 2014
Mart Krupovic, Valerian V. Dolja, Eugene V. Koonin: The LUCA and its complex virome, in: Nature Rev Microbiol, Nr. 18, 14. Juli 2020, S. 661–670, doi:10.1038/s41579-020-0408-x
Frank Schubert: Urahn aller Lebewesen ernährte sich von Wasserstoff, spektrum.de vom 13. Dezember 2021
New study sheds light on origins of life on Earth, EurekAlert! vom 14. Januar 2022
Edmund R. R. Moody, Tara A. Mahendrarajah, Nina Dombrowski, James W. Clark, Celine Petitjean, Pierre Offre, Gergely J. Szöllősi, Anja Spang, Tom A. Williams: An estimate of the deepest branches of the tree of life from ancient vertically evolving genes. In: eLife, Band 11, 22. Februar 2022, S. e66695; doi:10.7554/eLife.66695. Data Repository, doi:10.6084/m9.figshare.13395470.
Einzelnachweise
Evolution
Lebewesen
Genetik
|
Q849168
| 159.874066 |
58736
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Medell%C3%ADn
|
Medellín
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Medellín [] ist die Hauptstadt des Departamento Antioquia in Kolumbien. Mit mehr als 2,6 Millionen Einwohnern ist Medellín die zweitgrößte Stadt und gleichzeitig mit fast 4,2 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Metropolregion Kolumbiens nach der Hauptstadt Bogotá mit seiner Metropolregion Bogotá.(Stand: 2022). Die Stadt ist aufgrund ihres ganzjährig sonnigen und warmen Klimas als „Stadt des ewigen Frühlings“ bekannt.
Medellín gilt heute als eine Vorzeigestadt Lateinamerikas. Gründe hierfür sind die erfolgreiche Integration der zuvor schwer zugänglichen städtischen Randbezirke, deren Anschluss an die Stadt mit preiswertem kommunalen Nahverkehr und Seilbahnen sichergestellt wurde, die Stärkung von Kunst, Kultur und Sport im öffentlichen Raum sowie breite Investitionen in Bildung und Hochschulen. 2012 wurde Medellín vom Wall Street Journal zur innovativsten Stadt der Welt ernannt. Noch in den 90er Jahren war die Stadt von einer hohen Kriminalitätsrate geplagt gewesen, nahm seither jedoch eine rasante Entwicklung und ist heute für seine erfolgreiche Stadtentwicklung weltweit anerkannt.
Geografie
Die Metropolregion von Medellín, die offiziell Área Metropolitana del Valle de Aburrá genannt wird, umfasst zehn umliegende Gemeinden (municipios), über die sich heute de facto das Stadtgebiet von Medellín erstreckt.
Medellín liegt im Aburrá-Tal, einem Tal in der Zentralkordillere der Anden im nordwestlichen Kolumbien, auf einer Höhe von . Medellín wird daher auch Capital de la Montaña, Hauptstadt der Berge, genannt.
Die Metropolregion von Medellín besteht aus den folgenden Städten (von Süden nach Norden):
Caldas
La Estrella
Sabaneta
Itagüí
Envigado
Medellín
Bello
Copacabana
Girardota
Barbosa
Die Stadt ist berühmt für ihre Gartenanlagen, ihre Blumen und die Vielfalt der Orchideen, die dort heimisch sind. Deswegen hat sie auch den Beinamen Capital de las Flores („Hauptstadt der Blumen“).
Administrative Aufteilung der Stadt
Medellín ist in 16 Stadtbezirke (comunas), 256 Stadtteile (barrios) und vier ländliche Gebiete (corregimientos) unterteilt. Siehe Liste der Stadtbezirke von Medellín.
Bevölkerung
Die Gemeinde Medellín hat 2.612.958 Einwohner, von denen 2.570.327 im städtischen Teil (cabecera municipal) der Gemeinde leben. In der Metropolregion Valle de Aburrá leben insgesamt 4.173.692 Menschen (Stand: 2022).
Klima
Einheimische nennen Medellín auch Bella Villa oder Capital de la Eterna Primavera, Hauptstadt des ewigen Frühlings, da die Temperaturen selten über 30 Grad klettern oder unter 16 Grad fallen. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 22 Grad.
Geschichte
Spanische Eroberung des Tals
Im August 1541 befand sich Marschall Jorge Robledo an dem heute als Heliconia bekannten Ort, als er in die Ferne sah und etwas erblickte, was er für ein Tal hielt. Er entsandte Jerónimo Luis Tejelo, um das Gebiet zu erkunden, und in der Nacht des 23. August erreichte Tejelo die Ebene des heutigen Aburrá-Tals. Die Spanier gaben dem Tal den Namen „Tal des Heiligen Bartholomäus“. Dieser wurde jedoch aufgrund der textilen Verzierungen der Einheimischen bald in den einheimischen Namen Aburrá geändert, was „Maler“ bedeutet.
1574 bat Gaspar de Rodas den cabildo Antioquias um zehn Quadratkilometer Land, um Viehzucht im Tal zu etablieren und eine Farm zu bauen. Der Cabildo gewährte ihm acht Quadratkilometer Land.
1616 gründete Francisco de Herrera y Campuzano eine Siedlung mit 80 Indigenen und nannte sie Poblado de San Lorenzo, heute „El Poblado“. 1646 ordnete ein Kolonialgesetz die Trennung der Indigenen von Mestizen und Mulatten an, so dass die Kolonialverwaltung mit dem Bau einer neuen Stadt in Aná, dem heutigen Berrío-Park, begann, wo die Kirche Nuestra Señora de la Candelaria de Aná gebaut wurde.
Wachstum der Stadt
Die Bedeutung von Medellín und ihr Wohlstand hatten ihren Ursprung in der Produktion von Kaffee seit 1880 und der ständig wachsenden Nachfrage.
Die Industrialisierung des Gebietes begann am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Stadt entwickelte sich aber erst in den 1930er Jahren zu einem wichtigen Industriezentrum. In den 1980er Jahren litt das öffentliche Leben der Stadt unter der Drogenmafia des Medellín-Kartells, das eine führende Rolle im weltweiten Handel mit Kokain einnahm.
Mit dem Namen der Stadt verbindet sich auch die II. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats vom 24. August bis 6. September 1968, auf der die katholische Kirche des Subkontinents eine historische Wende vollzog und sich zur Option für die Armen bekannte. Siehe Befreiungstheologie.
Zuletzt wurde von der Stadtverwaltung eine Aufwertung der ärmsten Stadtteile durch architektonisch anspruchsvolle Bauprogramme unternommen, die der Stadt die vom Urban Land Institute vergebene Auszeichnung „Innovativste Stadt des Jahres“ und den „Lee Kuan Yew World City Prize“ eingebracht hat.
Bevölkerung
Die Einwohner der Stadt nennen sich medellinenses und die des Departamento Antioquia nennen sich selbst paisa.
Bauwerke
Torre Coltejer
Torre del Café
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Die das Stadtzentrum überragende Kathedrale des Erzbistums Medellín ist eine neuromanische Lehmziegel-Basilika; Baubeginn war 1890, Fertigstellung und Weihe 1931. Ihre große dreimanualige romantische Orgel des deutschen Orgelbauers Oscar Walcker aus Ludwigsburg wurde mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung im Jahr 2009/10 von der deutschen Orgelbauwerkstatt Oberlinger restauriert.
Im Botanischen Garten befindet sich u. a. das Orquideorama, eine Sammlung von Orchideen.
Im Museo de Antioquia sowie auf dem Plaza de Botero sind Werke, insbesondere Plastiken des Künstlers Fernando Botero zu sehen.
Der Bildhauer Rodrigo Arenas Betancur zeigt in der Stadt mehrere Skulpturen.
Das 2011 eröffnete Museo Casa de la Memoria erinnert an die Drogen- und Bürgerkriege in Kolumbien seit 1948.
Am 27. Dezember 2011 wurde im Stadtviertel Comuna 13 San Javier die längste Rolltreppe der Welt eingeweiht. Sie überwindet einen Höhenunterschied von umgerechnet 28 Stockwerken. Sie hat ca. 5 Millionen Euro gekostet.
Das Planetario Municipal Jesus Emilio Ramirez Gonzalez ist das erste computergesteuerte Planetarium in einer südamerikanischen Stadt.
Die Hip-Hop-Gruppe Sociedad FB7 wurde in Medellín gegründet.
Das Museo de Arte Moderno de Medellín verfügt über eine umfangreiche Sammlung hauptsächlich kolumbianischer, moderner und zeitgenössischer Kunst.
Der Skulpturenpark Parque de las Esculturas del Cerro Nutibara besteht seit 1983.
Regelmäßige Veranstaltungen / Feste
Medellín ist über die Grenzen Kolumbiens bekannt für seine Feste; zu diesen zählen:
Feria de Flores (Blumenfestival) jährlich im August
Festival Internacional de Poesía de Medellín (Internationales Poesiefestival Medellín) jährlich im Sommer seit 1991
Fiesta de Luz (Lichterfestival): Beim Lichterfestival wird jedes Jahr zur Weihnachtszeit der Fluss Medellín mit Millionen von Lichtern ausgeleuchtet
Sport
In Medellín findet seit 1995 jedes Jahr im September ein Halbmarathon statt.
Mit Independiente Medellín und Atlético Nacional hat Medellín zwei Fußballteams, die in der Primera A spielen.
2010 fanden die Südamerikaspiele in Medellín statt.
Wirtschaft und Infrastruktur
In der Stadt befinden sich Betriebe der Textilindustrie, der Konfektion, der Nahrungsmittel- und Tabakindustrie, der Herstellung von Landwirtschaftsmaschinen, der metallurgischen und chemischen Industrie, der Zementherstellung, der Möbelindustrie und weitere Industriezweige. Damit steht Medellín inzwischen an zweiter Stelle der nationalen Industrieproduktion und an erster Stelle in Südamerika in Bezug auf die Textilherstellung. Inzwischen hat sich neben der Industrie aber auch ein sehr breiter tertiärer Sektor entwickelt. Ein weiteres wirtschaftliches Standbein ist die Blumenproduktion. Hauptsächlich werden Orchideen für den Export in die USA, nach Europa oder Asien gezüchtet. Zu Ehren dieses bedeutenden Wirtschaftszweigs veranstaltet Medellín seit 1957 die Feria de Flores.
Verkehr
Medellín verfügt als einzige Stadt Kolumbiens über eine Hochbahn (eröffnet 1995), die sie mit ihrer Umgebung verbindet. Die Metro de Medellín hat zwei Linien mit insgesamt 42 km Schienennetz. Die Stadt betreibt auch sechs Seilbahnlinien zu den Armenvierteln Santo Domingo und San Javier sowie die Ayacucho-Tram, eine spurgeführte Oberleitungstramlinie nach dem System Translohr. Pro Jahr transportieren die Seilbahnen rund 100 Millionen Passagiere. Der Betrieb und sein Ausbau finanziert sich über das UN-Konzept zum Klimaschutz durch Emissionshandel. Da das Seilbahnsystem jährlich etwa 20.000 Tonnen CO2 einspart, ist die Stadt in der Lage, entsprechende Emissionszertifikate zu verkaufen. Die Auswirkungen des Seilbahnsystems werden hinsichtlich Abgasemissionen, Kriminalität und Strukturveränderungen in den einbezogenen Armenviertel positiv bewertet.
Die Stadt hat 2012 den Sustainable Transport Award gewonnen.
Der Stadtflughafen Enrique Olaya Herrera bedient nationale Verbindungen. Der deutlich größere Flughafen Rionegro liegt etwa 25 km südöstlich der Stadt und bietet zahlreiche internationale Verbindungen, u. a. nach Madrid, Frankfurt und New York. Seit August 2019 ist der Flughafen Rionegro über den Túnel de Oriente verkehrsgünstiger in etwa 17 Minuten ans Stadtzentrum angebunden.
Bildung
Die Universidad de Antioquia (UdeA, gegründet 1803), die Universidad Nacional de Colombia (UNAL), die Universität Medellín (UdeM, eröffnet 1950), die Päpstliche Universität Bolivariana (UPB, eröffnet 1936), die Universidad EAFIT (eröffnet 1960) und die Universidad Autónoma Latinoamericana (eröffnet 1966) sind in der Stadt beheimatet.
Seit 1983 besteht das Tecnológico de Antioquia.
Unter dem Oberbürgermeister Sergio Fajardo Valderrama wurde eine großangelegte Bildungskampagne gestartet, zum Beispiel wurde für sechs Millionen US-Dollar die Bibliothek und umgebende Anlage Parque Biblioteca España im Stadtteil Santo Domingo errichtet.
Zu einer besonderen Bedeutung brachte es auch die Deutsche Schule Medellín in Itagüí, die Anfang 2011 einen sowohl in akustischer als auch in architektonischer Sicht hervorragenden Konzertsaal für 600 Besucher erhielt, auf dessen großer Bühne mit einer 2012 fertiggestellten Pfeifenorgel alle Konzerte in Originalinstrumentierung und Besetzung aufgeführt werden können.
Kriminalität
Die Statistik berichtet von mehr als 45.000 Tötungsdelikten im Zeitraum 1990–1999. Erst nachdem paramilitärische Milizen vertrieben und Ende 2003 entwaffnet wurden, sank die Zahl drastisch von 6.658 Fällen (1991) auf 778 Fälle (2004) und lag somit unter dem Durchschnitt anderer lateinamerikanischer Großstädte. Dem Stadtviertel Sierra wurde 2005 der Dokumentationsfilm La Sierra gewidmet. Er handelt von den jugendlichen Kämpfern der Bande Bloque Metro, die im internen bewaffneten Konflikt ihr Stadtviertel zu verteidigen versuchen. Medellín erreichte seinen niedrigsten Stand an Morden im August 2007.
Die Anzahl der Morde stieg danach aber wieder erheblich an und lag 2009 bei 2.189 Fällen. In den Jahren 2016 (533 Mordopfer), 2017 (579), 2018 (625) und 2019 (591) pendelte sich die Anzahl der Tötungsdelikte auf etwa 600 für ganz Medellín ein, wobei das Zentrum der Stadt und die Comuna 13 San Javier weit an der Spitze stehen.
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt:
Kultur, Politik und Religion:
Héctor Abad Faciolince (* 1958), Schriftsteller
Débora Arango (1907–2005), Malerin und Keramikerin
J Balvin (* 1985), Reggeaton-Sänger
Fernando Botero (1932–2023), Maler und Künstler
Sergio Cabrera (* 1950), Filmregisseur und Drehbuchautor
Darío Castrillón Hoyos (1929–2018), Erzbischof von Bucaramanga und Kurienkardinal der römisch-katholischen Kirche
Carlos Ehrensperger (1911–2001), Schweizer Komponist
Loco Escrito (* 1990), Schweizer Musiker
Karol G (* 1991), Reggaeton-, RnB- und Pop-Sängerin
Danna García (* 1978), Schauspielerin, Musikerin und Sängerin
Juanes (* 1972), Sänger, Songschreiber und Gitarrist
Carlos Alberto Correa Martínez (* 1968), römisch-katholischer Bischof; Apostolischer Vikar von Guapi
Zulay Henao (* 1979), Schauspielerin
Maluma (* 1994), Reggaeton-Sänger
Laura Mora (* 1981), Filmemacherin
Fabio Ochoa Vásquez (* 1957), Drogenhändler
Andrés Orozco-Estrada (* 1977), Dirigent
Héctor Javier Pizarro Acevedo (* 1951), römisch-katholischer Bischof; Apostolischer Vikar von Trinidad
Jorge Franco Ramos (* 1962), Schriftsteller
Ximena Restrepo (* 1969), Sprinterin und Olympionikin
Daniel Tamayo (* 1989), Fusion- und Jazzmusiker
Sara Tunes (* 1989), Latin-Pop- und Dance-Pop-Sängerin und Songwriterin
Luis Fernando Rodríguez Velásquez (* 1959), römisch-katholischer Erzbischof von Cali
Álvaro Uribe Vélez (* 1952), Politiker; von 2002 bis 2010 Präsident Kolumbiens
Fernando Vallejo (* 1942), Schriftsteller
José Mauricio Vélez García (* 1964), römisch-katholischer Geistlicher, Weihbischof in Medellín
Sport:
Elvis Álvarez (1965–1995), Boxer
Juan Pablo Ángel (* 1975), Fußballspieler
Santiago Arias (* 1992), Fußballspieler
Víctor Aristizábal (* 1971), Fußballspieler
Santiago Botero (* 1972), Radrennfahrer
María Luisa Calle (* 1968), Radsportlerin
Roger Cañas (* 1990), Fußballspieler
Juan Manuel Cuesta (* 2002), Fußballspieler
John Durango (* 1977), Radrennfahrer
Andrés Escobar (1967–1994), Fußballspieler
Hernán Darío Gómez (* 1956), Fußballspieler und -trainer
Alejandro González (* 1989), Tennisspieler
David González (* 1982), Fußballspieler
Roberto Guerrero (* 1958), Automobilrennfahrer
Edwin Hedberg (* 1994), schwedisch-kolumbianischer Eishockeyspieler
Sebastián Hernández (* 1986), Fußballspieler
Yonny Hernández (* 1988), Motorradrennfahrer
René Higuita (* 1966), Fußballspieler
Sergio Higuita (* 1997), Radrennfahrer
Ricardo Londoño-Bridge (1949–2009), Automobilrennfahrer
Hernán Medina (* 1937), Radrennfahrer
Álvaro Mejía (1940–2021), Leichtathlet
Mauricio Molina (* 1980), Fußballspieler
Marlos Moreno (* 1996), Fußballspieler
Mauricio de Narváez (* 1941), Automobilrennfahrer und Rennstallbesitzer
Carlos Oquendo (* 1987), Radrennfahrer
David Ospina (* 1988), Fußballtorhüter
Diana Ospina (* 1989), Fußballspielerin
Dorlan Pabón (* 1988), Fußballspieler
Mariana Pajón (* 1991), Radsportlerin
Diana Pineda (* 1984), Wasserspringerin
Juan Quintero (* 1993), Fußballspieler
Michael Quintero (* 1980), Tennisspieler
Daniela Montoya Quiroz (* 1990), Fußballspielerin
Carlos Ramírez (* 1994), Radrennfahrer
Honorio Rúa (* 1934), Radrennfahrer
Luis Fernando Suárez (* 1959), Fußballspieler und -trainer
Gabriel Ochoa Uribe (1929–2020), Fußballspieler und -trainer
Juan Pablo Valencia (* 1988), Straßenradrennfahrer
Manuela Vanegas (* 2000), Fußballspielerin
Camilo Villegas (* 1982), Profigolfer
Städtepartnerschaften
Fort Lauderdale, Florida, Vereinigte Staaten
Bogotá, Kolumbien
Bilbao, Spanien
Weblinks
Alcaldía de Medellín – offizielle Webseite (erfordert JavaScript; spanisch)
Cámara de Comercio de Medellín (Industrie- und Handelskammer) (spanisch)
Die innovativste Stadt der Welt (Erstellt: 12. Juni 2014, deutsch)
Luigi Monzo: Würde durch Architektur. abgerufen am 18. Juli 2014
Einzelnachweise
Ort in Kolumbien
Millionenstadt
Gemeindegründung 1616
Hochschul- oder Universitätsstadt
Gemeinde im Departamento de Antioquia
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Q48278
| 115.679343 |
103748
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https://de.wikipedia.org/wiki/Stahlindustrie
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Stahlindustrie
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Die Stahlindustrie ist ein Wirtschaftszweig, der zur Schwerindustrie gehört und sich mit der Erzeugung von Stahl sowie teilweise dem Vertrieb des erzeugten Stahls befasst. Viele Stahl erzeugende Unternehmen sind heute international verflochten. Dies ist eine relativ neue Entwicklung, die erst mit der Stahlkrise der 1980er-Jahre eingesetzt hat. Zuvor war die Stahlindustrie eine weitgehend nationale Angelegenheit, obwohl bereits 1952 mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl die Grundlage für die Internationalisierung der Stahlindustrie gelegt wurde. Standorte der deutschen Stahlindustrie sind heute vor allem das Ruhrgebiet, das Siegerland und das Saarland sowie Werke in Bremen, Eisenhüttenstadt und Salzgitter.
Als Wirtschaftszweig entwickelte sich die Stahlindustrie etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich im Rahmen der industriellen Revolution aufgrund des technischen Fortschrittes und der Anwendung neuer Technologien die Produktion von Stahl von kleinen Schmieden und Hammerwerken in Eisenhütten verlagerte. Dadurch wurde die Industrialisierung entscheidend vorangetrieben. Noch heute ist die Stahlindustrie ein volkswirtschaftlich bedeutender Faktor.
Die Stahlindustrie stellt Vorprodukte (z. B. Warmbreitband, Schmiedeteile, Bleche, Schienen, Langprodukte, Draht, Röhren) her, die zu Endprodukten weiterverarbeitet werden.
2012 setzte die Stahlindustrie weltweit 800 Mrd. Dollar um und beschäftigte 8 Mio. Menschen. Durch die modernen Produktionsverfahren (siehe Integriertes Hüttenwerk) ist die Abgrenzung innerhalb der einzelnen Stahlunternehmen zwischen Eisenverhüttung und der eigentlichen Stahlerzeugung kaum noch möglich.
Die deutsche Stahlindustrie
In Deutschland arbeiten ca. 85.000 Menschen in Stahlunternehmen. Zu den größten Unternehmen und wichtigsten Standorten gehören:
Thyssen-Krupp (161.000 Mitarbeiter) mit dem ThyssenKrupp-Stahlwerk Schwelgern
Salzgitter AG (25.300 Mitarbeiter), beteiligt an Hüttenwerke Krupp Mannesmann
Saarstahl (6400 Mitarbeiter)
Deutsche Edelstahlwerke (4400 Mitarbeiter)
ArcelorMittal Bremen (3000 Mitarbeiter)
ArcelorMittal Eisenhüttenstadt (2500 Mitarbeiter)
Georgsmarienhütte GmbH (1.300 Mitarbeiter)
Buderus Edelstahl GmbH Wetzlar (1200 Mitarbeiter)
Die britische Stahlindustrie
Die Metallindustrie war eine der treibenden Kräfte der Industrialisierung in Großbritannien. Bis weit ins 20. Jahrhundert erzeugten viele kleine Hütten den Stahl; allein im Tal des River Ebbw in Wales gab es 1945 noch fünfzig Stahlwerke. Im Ersten Weltkrieg hatte die Branche eine große Bedeutung für die Kriegsproduktion.
Die Sympathien der britischen Stahlindustriellen galten in der Zwischenkriegszeit unzweifelhaft der ‚nationalen’ von den Konservativen geführten Regierung. Sie drängten die Regierung zu einer gegen ausländische Konkurrenz gerichteten Schutzzollpolitik und unterstützten die Ottawa-Politik, die Schaffung eines geschlossenen Wirtschaftsraumes innerhalb des Britischen Empires. Der diesen Interessen dienende Beitritt der britischen Stahlindustrie zur Internationalen Rohstahlexportgemeinschaft (IREG) im Jahre 1935 verdeutlicht nach Clemens A. Wurm den bemerkenswerten Einfluss den die britische Eisen- und Stahlindustrie auf die Regierung, den sie seit 1931/32 erringen und ausbauen hat können. Die Regierung hat nach starkem Schwanken die Industrie aktiv bei den Verhandlungen mit der IREG unterstützt. Jedoch seien die zeitgenössischen Vorwürfe die Baldwin-Chamberlain-Regierungen mit der „Herrschaft der Stahlindustriellen Birminghams“ gleichzusetzen unzulässig. Der Beitritt zur IREG ermöglichte den britischen Stahlerzeugern durch die Ausschaltung der ausländischen Konkurrenz eine erhebliche Machtstellung über die Stahlkonsumenten.
Im Zweiten Weltkrieg steuerte der Staat die Stahlproduktion, ebenso danach. 1967 fasste die Regierung neunzig Prozent der Produktion (14 Unternehmen mit 268.500 Menschen) unter dem Dach von British Steel (BS) zusammen.
BS schloss veraltete, kleine Stahlwerke und konzentrierte die Produktion auf fünf Standorte. Diese Sanierung stieß auf heftigen Widerstand: Die Arbeiter wehrten sich 1980 in einem 13-wöchigen Streik – letztlich erfolglos; die seit 1979 amtierende Premierministerin Margaret Thatcher setzte auf Privatisierungen.
Ende der 1980er-Jahre war der Konzern wieder profitabel, die Belegschaft auf weniger als die Hälfte geschrumpft. 1988 privatisierte die Regierung Thatcher British Steel.
1999 fusionierten British Steel und das niederländische Unternehmen Hoogovens zu Corus. Die Realität war ernüchternd: Drei Jahre und drei Vorstandschefs später stand der Konzern am Abgrund. Eine Fusion mit der brasilianischen CSN scheiterte.
Unter Führung von Philippe Varin und mittels weiterem Stellenabbau kam Corus auf die Beine. Der Aktienkurs verzehnfachte sich.
2005 begannen Varin und Chairman Jim Leng mit der Suche nach einem Partner aus einem Schwellenland. Sie suchten Zugang zu Eisenerz, Rohstahl und neuen Märkten. Dabei zeigte sich, dass Corus nur Junior-Partner sein würde. Viele Werke – vor allem die britischen – waren nicht hinreichend international wettbewerbsfähig.
Im Februar 2007 wurde bekannt, dass die Tata-Gruppe (Sitz in Mumbai, Indien) Corus übernehmen würde. Zu dieser Zeit beschäftigte Corus 24.000 Menschen an vier Standorten in Großbritannien.
Die luxemburgische Stahlindustrie
Im Süden Luxemburgs und im benachbarten Lothringen gibt es große Minette-Vorkommen. Man schätzt sie auf zusammen sechs Milliarden Tonnen; inzwischen (nach etwa 150-jährigem Erzabbau) dürfte die Hälfte davon gefördert worden sein.
Der hohe Phosphorgehalt der Minette verhinderte lange Zeit den industriellen Abbau; er setzte dann relativ spät nach Einführung des Thomas-Verfahrens ein.
Nach dem Ersten Weltkrieg schlossen Belgien und Luxemburg die Belgisch-Luxemburgische Wirtschaftsunion (UEBL) (laut dem Historiker Charles Barthel war Luxemburg dazu genötigt).
Der Höhepunkt in der Erzförderung wurde mit 62 Millionen Tonnen in Frankreich und sechs Millionen Tonnen in Luxemburg im Jahre 1960 erreicht. Der relativ niedrige Eisengehalt führte jedoch dazu, dass lothringisches Minette-Erz sukzessive durch höher konzentrierte Importerze (mit einem Eisengehalt um 60 %) ersetzt wurde. Als Folge wurden dann mehr und mehr Bergwerke stillgelegt. Die letzte Zeche in Luxemburg (Differdingen) schloss 1981, die letzte französische bei Audun-le-Tiche im Département Moselle 1997.
1911 entstand durch eine Fusion das Unternehmen ARBED (Akronym für , deutsch „Vereinigte Stahlhütten Burbach-Eich-Düdelingen“). Das älteste der fusionierenden Unternehmen war 1882 gegründet worden.
Um die zur Stahlproduktion erforderliche Koksversorgung zu gewährleisten, schloss die ARBED 1913 einen Interessenvertrag mit dem Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV). Die enge Zusammenarbeit zwischen ARBED und EBV endete erst mit der Übernahme der EBV-Zeche Westfalen in Ahlen durch die Ruhrkohle AG im Jahre 1993.
2001 fusionierte ARBED mit Aceralia und Usinor zur Arcelor, inzwischen aufgegangen in ArcelorMittal.
Siehe auch
Liste der größten Stahlhersteller
Liste europäischer Hochofenwerke
Stahlerzeugung
Stahl
Stahlkrise
Stahl/Tabellen und Grafiken
Stahlschlüssel
Weblinks
Kurzinfo des Wirtschaftsministeriums
Internationales Eisen- und Stahlinstitut
Wirtschaftsvereinigung Stahl
Eurofer – Wirtschaftsvereinigung der europäischen Eisen- und Stahlindustrie
Quellen
Industriezweig
!Stahlindustrie
Liste (Industrie)
Stahl
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Q2285982
| 97.853632 |
17836
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https://de.wikipedia.org/wiki/Karate
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Karate
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Karate [] (japanisch , dt. „leere Hand“) ist eine Kampfkunst, deren Geschichte sich sicher bis ins Okinawa des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt, wo einheimische okinawanische Traditionen (okinawa Ti, ) mit chinesischen Einflüssen (jap. Shorin Kempō / Kenpō; chin. Shàolín Quánfǎ) zum historischen Tōde (okin. Tōdi, ) verschmolzen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand dieses seinen Weg nach Japan und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von dort als Karate über die ganze Welt verbreitet.
Inhaltlich wird Karate vor allem durch Schlag-, Stoß-, Tritt- und Blocktechniken sowie Fußfegetechniken als Kern des Trainings charakterisiert. Einige wenige Hebel und Würfe werden (nach ausreichender Beherrschung der Grundtechniken) ebenfalls gelehrt, im fortgeschrittenen Training werden auch Würgegriffe und Nervenpunkttechniken geübt. Manchmal wird die Anwendung von Techniken unter Zuhilfenahme von Kobudōwaffen geübt, wobei das Waffentraining kein integraler Bestandteil des Karate ist.
Recht hoher Wert wird meistens auf die körperliche Kondition gelegt, die heutzutage insbesondere Beweglichkeit, Schnellkraft und anaerobe Belastbarkeit zum Ziel hat. Die Abhärtung der Gliedmaßen u. a. mit dem Ziel des Bruchtests (jap. Tameshiwari, ), also des Zerschlagens von Brettern oder Ziegeln, ist heute weniger populär, wird aber von einzelnen Stilen (Beispielsweise: Okinawan Goju Ryu) immer noch betrieben.
Das moderne Karate-Training ist häufig eher sportlich orientiert. Das heißt, dass dem Wettkampf eine große Bedeutung zukommt. Diese Orientierung wird häufig kritisiert, da man glaubt, dass dadurch die Vermittlung effektiver Selbstverteidigungstechniken, die durchaus zum Karate gehören, eingeschränkt und das Karate verwässert wird.
Geschichte
Name
Karate-„dō“ () wurde früher meist nur als Karate bezeichnet und ist unter dieser Bezeichnung noch heute am häufigsten geführt. Der Zusatz „dō“ wird verwendet, um den philosophischen Hintergrund der Kunst und ihre Bedeutung als Lebensweg zu unterstreichen.
Bis in die 1930er-Jahre hinein war die Schreibweise „“ gebräuchlich, was wörtlich „chinesische Hand“ oder „fremdländische Hand“ bedeutet. Das Schriftzeichen „“ mit der sino-japanischen Lesung tō und der japanischen Lesung kara bezog sich auf das China der Tang-Dynastie (618 bis 907 n. Chr.). Damit waren die chinesischen Ursprünge bereits im Namen der Kampfkunst manifestiert. Vermutlich aus politischen Gründen – Japanischer Nationalismus – ging man zu Beginn des 20. Jahrhunderts, initialisiert von Funakoshi Gichin, in Japan dazu über, die homophone Schreibung kara „“, mit der Bedeutung für „leer, Leere“ zu verwenden. Aus dem historischen „chinesische Hand“ oder „fremdländische Hand“ (karate, ) wurde das heutige „Karate“ () mit der Bedeutung für „leere Hand“. Das neue Zeichen wurde wie das alte kara gelesen und war auch von der Bedeutung her insofern passend, als im Karate meist mit leeren Händen, also ohne Waffen, gekämpft wird (vgl. Tang Soo Do).
Im Deutschen ist bei der Aussprache des Wortes „Karate“ eine Betonung der zweiten Silbe verbreitet. Oft wird sogar wie in mehreren romanischen Sprachen, zum Beispiel im Französischen oder Portugiesischen, auf „te“ betont; im Spanischen hingegen auf der ersten Silbe „Ká“.
Nach der japanischen Aussprache des Wortes dagegen ist eine gleichwertige Akzentuierung jeder Silbe üblich.
Ursprünge
Die Legende erzählt, dass der buddhistische Mönch Daruma Taishi (, dt. Meister Bodhidharma, in chinesischen Chroniken als „blauäugiger Mönch“ bekannt) aus Persien oder Kanchipuram (Südindien) im 6. Jahrhundert das Kloster Shaolin (jap. Shōrinji, ) erreicht und dort nicht nur den Chán (Zen-Buddhismus) begründet, sondern die Mönche auch in körperlichen Übungen unterwiesen habe, damit sie das lange Meditieren aushalten konnten. So sei das Shaolin Kung Fu (korrekt Shaolin-Quánfǎ, jap. Shōrin Kempō / Kenpō) entstanden, aus dem sich dann viele andere chinesische Kampfkunststile (Wushu) entwickelt hätten.
Da Karate um seine chinesischen Wurzeln weiß, betrachtet es sich ebenfalls gerne als Nachfahre jener Tradition (Chan, Bodhidharma, Shaolin), deren Historizität im Dunkeln liegt und unter Historikern umstritten ist. Trotzdem ziert das Bildnis von Daruma (Bodhidharma) so manches Dōjō.
Okinawa
Karate in seiner heutigen Form entwickelte sich auf der pazifischen Kette der Ryūkyū-Inseln, insbesondere auf der Hauptinsel Okinawa. Diese liegt ca. 500 Kilometer südlich der japanischen Hauptinsel Kyūshū zwischen Südchinesischem Meer und Pazifischem Ozean. Heute ist die Insel Okinawa ein Teil der gleichnamigen Präfektur Japans. Bereits im 14. Jahrhundert unterhielt Okinawa, damals Zentrum des unabhängigen Inselkönigreichs Ryūkyū, rege Handelskontakte zu Japan, China, Korea und Südostasien.
Die urbanen Zentren der Insel, Naha, Shuri und Tomari, waren damals wichtige Umschlagplätze für Waren und boten damit ein Forum für den kulturellen Austausch mit dem chinesischen Festland. Dadurch gelangten erste Eindrücke chinesischer Kampftechniken des Kempō / Kenpō (, veraltet nach W.G. Ch'üan-Fa, wörtlich „Methode der Faust“, korrekt „Kampftechnik, Technik der Kampfkunst, Technik des Faustkampfs“) nach Okinawa, wo sie sich mit dem einheimischen Kampfsystem des Te / De (okin. Tī, ) vermischten und sich so zum Tōde (okin. Tōdī, ) oder Okinawa-Te (okin. Uchinādī – „Hand aus Okinawa“, ) weiterentwickelten. Te bedeutet wörtlich „Hand“, im übertragenen Sinne auch „Technik“ bzw. „Handtechnik“. Der ursprüngliche Begriff für Tōde oder Karate () kann daher frei als „Handtechnik aus dem Land der Tang“ (China) übersetzt werden (meint aber natürlich die verschiedenen Techniken als Ganzes).
Die unterschiedliche wirtschaftliche Bedeutung der Inseln führte dazu, dass sie ständig von Unruhen und Aufständen heimgesucht wurden. Im Jahre 1422 gelang es schließlich König Sho Hashi, die Inseln zu einen. Zur Erhaltung des Friedens in der aufständischen Bevölkerung verbot er daraufhin das Tragen jeglicher Waffen. Seit 1477 regierte sein Nachfolger Shō Shin und bekräftigte die Politik des Waffenverbotes seines Vorgängers. Um die einzelnen Regionen zu kontrollieren, verpflichtete er sämtliche Fürsten zum dauerhaften Aufenthalt an seinem Hof in Shuri – eine Kontrollmöglichkeit, die später von den Tokugawa-Shōgunen kopiert wurde. Durch das Waffenverbot erfreute sich die waffenlose Kampfkunst des Okinawa-Te erstmals wachsender Beliebtheit, und viele ihrer Meister reisten nach China, um sich dort durch das Training des chinesischen Quánfǎ fortzubilden.
1609 besetzten die Shimazu aus Satsuma die Inselkette und verschärften das Waffenverbot dahingehend, dass sogar der Besitz jeglicher Waffen, selbst Zeremonienwaffen, unter schwere Strafe gestellt wurde. Dieses Waffenverbot wurde als Katanagari („Jagd nach Schwertern“, ) bezeichnet. Schwerter, Dolche, Messer und jegliche Klingenwerkzeuge wurden systematisch eingesammelt. Dies ging sogar so weit, dass einem Dorf nur ein Küchenmesser zugestanden wurde, das mit einem Seil an den Dorfbrunnen (oder an einer anderen zentralen Stelle) befestigt und streng bewacht wurde.
Das verschärfte Waffenverbot sollte Unruhen und bewaffnete Widerstände gegen die neuen Machthaber unterbinden. Jedoch hatten japanische Samurai das Recht der sogenannten „Schwertprobe“, dem zufolge sie die Schärfe ihrer Schwertklinge an Leichen, Verwundeten oder auch willkürlich an einem Bauern erproben konnten, was auch vorkam. Die Annexion führte somit zu einer gesteigerten Notwendigkeit zur Selbstverteidigung, zumal damals auf dem feudalen Okinawa Polizeiwesen und Rechtsschutz fehlten, die den Einzelnen vor solchen Eingriffen schützen konnten. Der Mangel an staatlichen Rechtsschutzinstitutionen und die gesteigerte Wehrnotwendigkeit vor Willkürakten der neuen Machthaber begründeten also einen Intensivierungs- und Subtilisierungsprozess des Kampfsystems Te zur Kampfkunst Karate.
Ungefähr zwanzig Jahre dauerte es, bis sich die großen Meister des Okinawa-Te zu einem geheimen oppositionellen Bund zusammenschlossen und festlegten, dass Okinawa-Te nur noch im Geheimen an ausgesuchte Personen weitergegeben werden sollte.
Währenddessen entwickelte sich in der bäuerlich geprägten Bevölkerung das Kobudō, das Werkzeuge und Alltagsgegenstände mit seinen speziellen Techniken zu Waffen verwandelte. Dabei gingen spirituelle, mentale und gesundheitliche Aspekte, wie sie im Quánfǎ gelehrt wurden, verloren. Auf Effizienz ausgelegt, wurden Techniken, die unnötiges Risiko bargen, wie beispielsweise Fußtritte im Kopfbereich, nicht trainiert. So lässt sich in diesem Zusammenhang von einer Auslese der Techniken sprechen. Kobudō und seine aus Alltagsgegenständen und Werkzeugen hergestellten Waffen konnten schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht verboten werden, da sie für die Versorgung der Bevölkerung sowie der Besatzer schlicht notwendig waren.
Allerdings war es sehr schwer, mit diesen Waffen einem ausgebildeten und gut bewaffneten Krieger im Kampf gegenüberzutreten. Deshalb entwickelte sich in Okinawa-Te und Kobudō, die damals noch eng miteinander verknüpft gelehrt wurden, die Maxime, möglichst nicht getroffen zu werden und gleichzeitig die wenigen Gelegenheiten, die sich boten, zu nutzen, den Gegner mit einem einzigen Schlag zu töten. Dieses für das Karate spezifische Prinzip heißt Ikken hissatsu. Die Auslese von möglichst effizienten Kampftechniken und das Ikken-Hissatsu-Prinzip brachten dem Karate den ungerechtfertigten Ruf ein, ein aggressives Kampfsystem, ja sogar die „Härteste aller Kampfsportarten“ zu sein (siehe dazu weiter unten Film und Medien).
Die tödliche Wirkung dieser Kampfkunst führte dazu, dass die japanischen Besatzer erneut das Verbot ausdehnten, und das Lehren von Okinawa-Te ebenfalls unter drakonische Strafe stellten. Allerdings wurde es weiterhin im Geheimen unterrichtet. Damit wurde die Kenntnis des Te für lange Zeit auf kleine elitäre Schulen oder einzelne Familien beschränkt, da die Möglichkeit zum Studium der Kampfkünste auf dem chinesischen Festland nur wenigen begüterten Bürgern zur Verfügung stand.
Weil die Kunst des Schreibens in der Bevölkerung damals kaum verbreitet war, und man aus Geheimhaltungsgründen dazu gezwungen war, wurden keinerlei schriftliche Aufzeichnungen angefertigt, wie das in chinesischen Kung-Fu-Stilen manchmal der Fall war (siehe Bubishi). Man verließ sich auf die mündliche Überlieferung und die direkte Weitergabe. Zu diesem Zweck bündelten die Meister die zu lehrenden Kampftechniken in didaktischen zusammenhängenden Einheiten zu festgelegten Abläufen oder Formen. Diese genau vorgegebenen Abläufe werden als Kata bezeichnet. Um dem Geheimhaltungszweck der Okinawa-Te Rechnung zu tragen, mussten diese Abläufe vor Nicht-Eingeweihten der Kampfschule (also vor potenziellen Ausspähern) chiffriert werden. Dabei bediente man sich als Chiffrierungscode der traditionellen Stammestänze (odori), die den systematischen Aufbau der Kata beeinflussten. So besitzt jede Kata noch bis heute ein strenges Schrittdiagramm (Embusen). Die Effizienz der Chiffrierung der Techniken in Form einer Kata zeigt sich bei der Kata-Demonstration vor Laien: Für den Laien und in den ungeübten Augen des Karate-Anfängers muten die Bewegungen befremdlich oder nichtssagend an. Die eigentliche Bedeutung der Kampfhandlungen erschließt sich einem erst durch intensives Kata-Studium und der „Dechiffrierung“ des Kata. Dies erfolgt im Bunkai-Training. Eine Kata ist also ein traditionelles, systematisches Kampfhandlungsprogramm und das hauptsächliche Medium der Tradition des Karate.
Der erste noch namentlich bekannte Meister des Tōde war vermutlich Chatan Yara, der etliche Jahre in China lebte und dort die Kampfkunst seines Meisters erlernte. Der Legende nach unterrichtete er wohl „Tōde“ Sakugawa, einen Schüler von Peichin Takahara. Auf Sakugawa geht eine Variante der Kata Kushanku, benannt nach einem chinesischen Diplomaten, zurück. Der bekannteste Schüler Sakugawas war „Bushi“ Matsumura Sōkon, der später sogar den Herrscher von Okinawa unterrichtete.
20. Jahrhundert
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde Karate stets im Geheimen geübt und ausschließlich von Meister zu Schüler weitergegeben. Während der Meiji-Restauration wurde Okinawa im Jahre 1875 offiziell zu einer japanischen Präfektur erklärt. In dieser Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, in der sich die okinawanische Bevölkerung den japanischen Lebensgewohnheiten anpasste und Japan sich nach jahrhundertelanger Isolierung wieder der Welt öffnete, begann Karate wieder stärker in die Öffentlichkeit zu drängen.
Der Kommissar für Erziehung in der Präfektur Okinawa, Ogawa Shintaro, wurde 1890 während der Musterung junger Männer für den Wehrdienst auf die besonders gute körperliche Verfassung einer Gruppe junger Männer aufmerksam. Diese gaben an, auf der Jinjo Koto Shogakko (Jinjo-Koto-Grundschule) im Karate unterrichtet zu werden. Daraufhin beauftragte die Lokalregierung den Meister Yasutsune Itosu damit, einen Lehrplan zu erstellen, der unter anderem einfache und grundlegende Kata (Pinan oder Heian) enthielt, aus denen er Taktik und Methodik des Kämpfens weitgehend entfernte und den gesundheitlichen Aspekt wie Haltung, Beweglichkeit, Gelenkigkeit, Atmung, Spannung und Entspannung in den Vordergrund stellte. Karate wurde dann 1902 offiziell Schulsport auf Okinawa. Dieses einschneidende Ereignis in der Entwicklung des Karate markiert den Punkt, an dem das Erlernen und Üben der Kampftechnik nicht mehr länger nur der Selbstverteidigung diente, sondern auch als eine Art Leibesertüchtigung angesehen wurde.
Nach Beginn des Jahres 1900 begann von Okinawa aus eine Auswanderungswelle nach Hawaii. Dadurch kam Karate erstmals in die USA, die Hawaii 1898 annektiert hatten.
Funakoshi Gichin, ein Schüler der Meister Yasutsune Itosu und Ankō Asato, tat sich bei der Reform des Karate besonders hervor: Auf der Grundlage des Shōrin-Ryū (auch Shuri-Te nach der Ursprungsstadt) und des Shōrei-Ryū (Naha-Te) begann er, Karate zu systematisieren. Er verstand es neben der reinen körperlichen Ertüchtigung auch als Mittel zur Charakterbildung.
Neben den genannten drei Meistern war Kanryo Higashionna ein weiterer einflussreicher Reformer. Sein Stil integrierte weiche, ausweichende Defensivtechniken und harte, direkte Kontertechniken. Seine Schüler Chōjun Miyagi und Kenwa Mabuni entwickelten auf dieser Basis die eigenen Stilrichtungen Gōjū-Ryū bzw. Shitō-Ryū, die später große Verbreitung finden sollten.
In den Jahren von 1906 bis 1915 bereiste Funakoshi mit einer Auswahl seiner besten Schüler ganz Okinawa und hielt öffentliche Karate-Vorführungen ab. In den darauffolgenden Jahren wurde der damalige Kronprinz und spätere Kaiser Hirohito Zeuge einer solchen Aufführung und lud Funakoshi, der bereits Präsident des Ryukyu-Ryu Budokan – einer okinawanischen Kampfkunstvereinigung – war, ein, bei einer nationalen Budō-Veranstaltung 1922 in Tōkyō sein Karate in einem Vortrag zu präsentieren. Dieser Vortrag erfuhr großes Interesse, und Funakoshi wurde eingeladen, seine Kunst im Kōdōkan praktisch vorzuführen. Die begeisterten Zuschauer, allen voran der Begründer des Judo, Kanō Jigorō, überredeten Funakoshi, am Kōdōkan zu bleiben und zu lehren. Zwei Jahre später, 1924, gründete Funakoshi sein erstes Dōjō.
Über die Schulen kam Karate auch bald zur sportlichen Ertüchtigung an die Universitäten, wo damals zum Zwecke der militärischen Ausbildung bereits Judo und Kendō gelehrt wurden. Diese Entwicklung, die die okinawanischen Meister zur Verbreitung des Karate billigend in Kauf nehmen mussten, führte zur Anerkennung von Karate als „nationale Kampfkunst“; Karate war damit endgültig japanisiert.
Nach dem Vorbild des bereits im Judo etablierten Systems wurde im Laufe der dreißiger Jahre dann der Karate-Gi sowie die hierarchische Einteilung in Schüler- und Meistergrade, erkennbar an Gürtelfarben, im Karate eingeführt; mit der auch politisch motivierten Absicht eine stärkere Gruppenidentität und hierarchische Struktur zu etablieren.
Aufgrund seiner Bemühungen wurde daraufhin Karate an der Shoka-Universität, der Takushoku-Universität, der Waseda-Universität und an der Japanischen Medizinischen Hochschule eingeführt. Das erste offizielle Buch über Karate wurde von Gichin Funakoshi unter dem Namen Ryu Kyu Kempo Karate im Jahre 1922 veröffentlicht. Es folgte 1925 die überarbeitete Version Rentan Goshin Karate Jutsu. Sein Hauptwerk erschien unter dem Titel Karate Do Kyohan 1935 (diese Version wurde 1958 noch einmal um die karatespezifischen Entwicklungen der letzten 25 Jahre erweitert). Seine Biographie erschien unter dem Namen Karate-dō Ichi-ro (Karate-dō – mein Weg), in dem er sein Leben mit Karate schildert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Karate durch Funakoshis Beziehungen zum Ausbildungsministerium als Leibeserziehung und nicht als kriegerische Kunst eingestuft, was es ermöglichte, Karate auch nach dem Zweiten Weltkrieg zur Zeit der Besatzung in Japan zu lehren.
Über Hawaii sowie die amerikanische Besatzung Japans und insbesondere Okinawas fand Karate im Laufe der 1950er und 1960er Jahre als Sportart zunächst in den USA und dann auch in Europa eine immer stärkere Verbreitung.
Aus der nach Funakoshi beziehungsweise dessen schriftstellerischen Pseudonym Shōtō benannten Schule Shōtōkan („Haus des Shōtō“) ging die erste international agierende Karate-Organisation, die JKA hervor, die noch heute einer der einflussreichsten Karateverbände der Welt ist. Funakoshi und die übrigen alten Meister lehnten die Institutionalisierung und Versportlichung sowie die damit einhergehende Aufspaltung in verschiedene Stilrichtungen gänzlich ab.
Karate in Deutschland
1954 gründete Henry Plée in Paris das erste europäische Budō-Dōjō. Der deutsche Judoka Jürgen Seydel kam auf einem Judo-Lehrgang in Frankreich erstmals bei Meister Murakami mit Karate in Kontakt, den er begeistert einlud, auch in Deutschland zu lehren. Aus den Teilnehmern dieser Lehrgänge entwickelte sich zunächst innerhalb der Judo-Verbände eine Unterorganisation, die Karate lehrte und aus der schließlich im Jahre 1961 der erste deutsche Dachverband der Karateka, der Deutsche Karate Bund, hervorging.
Den ersten Karateverein in Deutschland gründete schließlich Jürgen Seydel im Jahr 1957 unter dem Namen „Budokan Bad Homburg“ in Bad Homburg vor der Höhe, in dem Elvis Presley während seiner Armeezeit in Deutschland trainierte.
Die größte Ausbreitung des Karate in Deutschland gab es in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren unter Hideo Ochi (bis dieser 1993 den DJKB, den deutschen Ableger der JKA gründete) als Bundestrainer des DKB und der Nachfolgeorganisation DKV als Zusammenschluss verschiedener Stilrichtungen. Ochi hat somit das Karate in Deutschland Ende des 20. Jahrhunderts maßgeblich verbreitet und aufgebaut.
In der DDR spielte Karate offiziell nur innerhalb der Sicherheitsorgane eine Rolle: Als junger Sportstudent beschäftigte sich Karl-Heinz Ruffert Mitte der 1970er Jahre in seiner Diplomarbeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit Karate – dadurch wurde das Ministerium für Staatssicherheit auf ihn aufmerksam. Als Offizier des MfS schließlich führte Ruffert Karate in die Ausbildung des Inlandsgeheimdienstes ein. Unter der Führung des Rektors der DHfK, Gerhard Lehmann, wurde Karate in der DDR ab 1989 offiziell als Kampfsport anerkannt und in den Deutschen Judo-Verband aufgenommen.
Shōtōkan ist heute der mit Abstand am weitesten verbreitete Karatestil in Deutschland, gefolgt von Gōjū-Ryū. Seit der Jahrtausendwende gibt es auch zunehmend einzelne Dōjō in Deutschland, bei denen verschiedene Okinawa-Stile trainiert werden, beispielsweise Matsubayashi-Ryū.
Die vier großen Stilrichtungen
Das japanische Karate teilt sich heute in vier große Stilrichtungen, nämlich Gōjū-Ryū, Shōtōkan, Shitō-Ryū und Wadō-Ryū auf, die ihrerseits auf zwei ebenfalls recht verbreitete okinawanische Stile, Shōrei-Ryū und Shōrin-Ryū, zurückgehen. Viele kleinere neuere Stilrichtungen begründen sich aus einer oder mehreren dieser sechs Schulen.
Aber auch ursprüngliche Stile wie z. B. Uechi-ryū werden heute noch betrieben.
Etikette
Es gibt im Karatetraining eine hierarchische Unterscheidung: Neben dem Sensei, dem Lehrer, gibt es die Senpai und Kōhai.
Jedes Karatetraining beginnt und endet traditionell mit einer kurzen Meditation (Mokuso). Dies soll auch den friedfertigen Zweck der Übungen zum Ausdruck bringen. Die kurze Meditation lässt auf die Tradition des Karate als Weglehre schließen, auch wenn das heutige Training nach modernen sportlichen Gesichtspunkten (so z. B. als Fitness- oder Wettkampftraining), und nicht als Übung des Weges (im Sinne des klassischen Karatedō) ausgerichtet ist.
Auch beginnt und endet jedes Karatetraining, jede Übung und jede Kata mit einem Gruß. Dadurch wird das erste Prinzip der 20 Regeln von Gichin Funakoshi zum Ausdruck gebracht: „karate wa rei ni hajimari rei ni owaru koto“ – „Karate beginnt und endet mit Respekt!“
Die herausragende Respekterweisung gegenüber dem Meister äußert sich mitunter in kurios anmutenden Regeln. So wird es etwa als unhöflich angesehen, hinter dem Rücken des Meisters zu gehen. Dies wurzelt keineswegs in der Vorstellung, hinterrücks angegriffen zu werden, sondern im Gedanken, dass ein „Vorbei-Schleichen“ auf eine mangelhafte Lehrer-Schüler-Beziehung (wegen mangelnder Würdigung) schließen lässt.
In vielen Dōjōs ist es üblich, vor Betreten und Verlassen der Halle die darin Versammelten mit einer kurzen Verbeugung zu begrüßen, eventuell wird auch der Shōmen des Dōjō mit einer weiteren kurzen Verbeugung beim Betreten und Verlassen gegrüßt.
Danach wird gemeinsam ein Grußritus (Rei) zelebriert, in der sich Schüler und Meister voreinander und vor den alten Meistern und Vorfahren (im Geiste, repräsentiert an der Stirnseite, dem Shōmen des Dōjō) verneigen.
Während der Begrüßungszeremonie gelten ungeschriebene Regeln:
Die rituelle Begrüßungszeremonie
Die im Folgenden beschriebene Zeremonie ist als Beispiel zu verstehen, denn sie variiert zwischen Stilrichtungen oder auch Dōjōs. Sie macht aber das Prinzip deutlich.
Sobald der Meister oder ein von ihm autorisierter Senpai den Beginn des Trainings zu erkennen gibt, stellen sich Meister und Schüler frontal zueinander auf und nehmen den Stand Musubi-Dachi ein (Bereitschaftsstellung mit geschlossenen Fersen, die Füße werden fünfundvierzig Grad nach außen gerichtet). Die Schüler bilden eine nach Gürtelfarben aufsteigend geordnete Reihe, von den Weißgürteln zur Linken bis zu den Schwarzgürteln zur Rechten. Die Reihe richtet sich nach rechts nach den höchstgraduierten Senpai aus. Dabei achten die Schüler darauf, dass ihre Zehen nicht die gedankliche Linie überschreiten, die der Senpai vorgegeben hat; denn dies käme einer Herausforderung des Senpai gleich.
Als Nächstes geht der Senpai einen Schritt vor, dreht sich neunzig Grad nach links, sodass er die ganze Reihe gut im Blickfeld hat. Dies ist der Platz des Senpai, der von hier aus guten Blickkontakt zu Sensei und Kohai hat.
Erst wenn sich der Meister zur Begrüßung hinkniet, machen es Senpai und Kohai nach. Auch hier gilt eine genau vorgeschriebene Vorgehensweise: Man hockt sich hin, sodass die Schenkel ein V bilden. Gleichzeitig gleiten die Hände am Oberschenkel entlang bis zu den Knien. Der Rücken ist gerade, der Blick auf den Sensei gerichtet.
Nun berührt zuerst das linke Knie den Boden, dann folgt das rechte. Die Hände gleiten nun von den Knien zurück zu den Oberschenkeln. Die nun aufgestellten Füße werden hinabgestellt, sodass der Fußspann den Boden berührt und man bequem auf seinen Unterschenkeln Platz nehmen kann. Bei richtiger Ausführung kann man so Stunden verharren. Der Rücken ist gerade, der Blick und die Aufmerksamkeit haften noch immer am Sensei. Die Knie sind zwei Faustbreiten voneinander entfernt.
Der Senpai führt nun weiter die Begrüßungsetikette durch. Nach einem Augenblick, in dem er sich der korrekten Haltung der Kohai vergewissert, gibt er das Kommando: „Mokusō!“. Daraufhin schließen alle die Augen. Die Meditation beginnt. Höhergraduierte, meditativ erfahrene Senpai nehmen während dieser Meditation manchmal eine Meditationsmudra mit ihren Händen ein.
Während der Meditation atmet man tief und fest ein. Man stellt sich den Ki-Fluss im eigenen Körper vor und stellt sich gedanklich auf das Training ein. Hier löst sich der Karateka gedanklich von der Alltagsroutine und bereitet sich auf das Karatetraining vor.
Hält der Senpai die Zeit der Meditation für angemessen, setzt er die Begrüßung fort. Es gibt keine verbindliche Zeitangabe für die Dauer der Begrüßungsmeditation. Der Senpai spürt, wann er und die Kohai bereit sind, das Training zu beginnen. Der Senpai beendet die Meditation mit dem Kommando „Mokusō yame!“, woraufhin alle die Augen öffnen. Gleich darauf folgt das jeweilige Begrüßungskommando. In der Regel, wenn nur der Sensei anwesend ist, heißt es: „Sensei ni rei!“ Wohnen spezielle Ehrengäste oder Großmeister dem Training bei, wird ihnen zuerst, entsprechend der Rangordnung, Respekt gezollt.
Auf das Kommando „Sensei ni rei!“ erfolgt die Begrüßung. Sie sieht folgendermaßen aus: Die linke Hand wird zuerst auf den Boden abgesetzt, sodass die Handinnenfläche den Boden berührt. Nun folgt die rechte Hand; sie wird entweder daneben abgesetzt oder leicht über der linken Hand, sodass nur die Fingerspitzen von Daumen und Zeigefinger/Mittelfinger der rechten die Fingerspitzen von Daumen und Zeigefinger/Mittelfinger der linken Hand bedecken. Jetzt wird der Oberkörper gebeugt, dass die Stirn die Finger leicht berührt. Während dieser Verbeugung im Knien sprechen Schüler und Meister den gegenseitigen Gruß „Ossu!“ () aus. Es gibt noch die Variante, dass man beim Verbeugen, kurz bevor der Kopf die Hände erreicht, auf halben Wege innehält, den Kopf zum Meister hebt und einander für einen Augenblick ansieht. Nach dem kurzen Blickkontakt wird der Kopf zu den Händen gesenkt und gegrüßt. Diese Variante kommt direkt aus der Tradition des Bushidō.
Nach der mündlichen Begrüßung („Ossu!“) richtet der Karateka den Oberkörper wieder auf, nimmt also die Haltung während der Meditation wieder ein.
Nun steht der Meister als erstes auf, dann der Senpai. Der Senpai gibt nun entweder ein Zeichen oder das Kommando, dass sich auch die Kōhai erheben mögen. Das Aufstehen erfolgt in umgekehrter Reihenfolge zum Abknien. Das heißt, das rechte Bein löst sich zuerst vom Boden und wird aufgestellt und im Stehen zum linken Fuß herangezogen, so dass man wieder im Musubi-Dachi steht. Die Handflächen liegen auf der Oberschenkelaußenseite.
Nun, wo sich alle im Musubi-Dachi gegenüberstehen, verbeugt man sich im Stehen und grüßt einander mit „Ossu“. Der Oberkörper wird dabei in einem Winkel von ungefähr dreißig Grad gebeugt.
Nach dieser Verbeugung ist die traditionelle Begrüßung abgeschlossen. Der Meister setzt nun mit dem Training fort.
Die vorigen Punkte beschreiben den Ablauf einer Begrüßung, wie sie im Shōtōkan Ryū üblich (erkennbar durch den dort stark verbreiteten Ausdruck Ossu!) ist. Neben der anderen Art und Weise, wie man Seiza einnimmt und wie die Hände geführt werden, erfolgt bei Begrüßungen im Wadō-Ryū beispielsweise zuerst je nach den vor Ort herrschenden Bedingungen eine Begrüßung zur Stirnseite des Dōjō entweder mit „shōmen ni!“ oder bei Vorhandensein eines Altars mit „shinzen ni rei!“, bei der alle, auch der Sensei, gerade nach vorn ausgerichtet sind. Darauf wendet sich der Sensei seinen Schülern zu, und es folgt die Begrüßung des Sensei. Hierfür richten sich alle Schüler für gewöhnlich zu diesem aus und verbeugen sich stumm. Schließlich richten sich die Schüler beim Kommando „otagai ni rei!“ wieder frontal aus und begrüßen sich untereinander mit den Worten „Onegai shimasu!“.
In manch traditionellen Schulen und Vereinen ist es auch üblich, an der Stelle nach der Begrüßung im Knien und vor dem Aufstehen die Dōjōkun oder die 20 Paragraphen des Karate von den gelehrigsten Schülern (stellvertretend für alle) rezitieren zu lassen.
Die traditionelle Verabschiedung im Training erfolgt nach dem gleichen Muster wie die Begrüßung.
Wie in allen anderen Dō-Künsten üblich werden im Umgang der strenge Kodex des Reishiki und die Dōjōkun beachtet.
Kleidung
Jeder Karateka trägt einen Karate-Gi, bestehend aus einer einfachen an der Hüfte geschnürten weißen Hose, Zubon, früher bestehend aus Leinen, heute aus Baumwolle und einer Jacke, Uwagi genannt, aus dem gleichen Material. Gehalten wird die Jacke (meist neben einer leichten Schnürung) durch einen gefärbten Gürtel, dem Obi. Es wird grundsätzlich barfuß trainiert.
Dass Karateka überhaupt uniforme Trainingskleidung trugen, war nicht selbstverständlich. Das Okinawa-Te wurde von jeher in robuster Alltagskleidung trainiert. Ebenso existierte in der Zeit, da Karate noch eine insulane Kampfkunst war, kein Graduierungssystem. Der Meister wusste über den jeweiligen Fortschritt seines Schülers ohnehin Bescheid. Die Einführung einheitlicher Trainingskleidung und eines Graduierungssystems erfolgte erst nach Funakoshi Gichins Begegnung mit dem Kōdōkan-Gründer Kanō Jigorō, der eben jenes im Judo veranlasste.
Die Einführung einheitlicher Kleidung und eines Graduierungssystems ist nur im sozio-historischen Kontext zu verstehen.
Nach der Meiji-Restauration, der Auflösung des Samurai-Standes und der Einführung von Faustfeuerwaffen war die Bedeutung der traditionellen Kriegskünste zurückgegangen. Mit dem aufkeimenden Nationalismus in Japan gewannen die klassischen Kampfkünste wieder an Bedeutung, die am Verlauf der japanischen Geschichte einen entscheidenden Anteil hatten. Man sah die Kampfkünste als Bestandteil der kulturellen und nationalen Identität an. Die Kampfkünste – so auch das Karate – erhielten den Stempel der nationalistischen Politik jener Zeit.
Die Kampfkünste durchliefen eine Militarisierung westlicher Prägung. Aus diesem Blickwinkel sind die einheitliche Kleidung als Uniform, und das Graduierungssystem nach Gürtelfarben als Hierarchie nach militärischen Dienstgraden zu verstehen. Die Aufstellung in einer Reihe gleicht der militärischen Formation. Auch gewisse Stände ähneln militärischen Ständen: So sieht der Stand Musubi-Dachi aus wie die Grundstellung beim Kommando „Stillgestanden!“ bzw. „Achtung!“, und der Shizen-Tai wie der erleichterte Stand bei „Rührt Euch!“.
Graduierung
Die Graduierung durch farbige Gürtel wurde wahrscheinlich aus dem Judo übernommen. Kanō Jigorō, Gründer des Kōdōkan Judo, hat dieses System im 19. Jahrhundert erstmals verwendet. Vorher gab es kein Graduierungssystem nach Gürtelfarben in den Kampfkünsten aus Okinawa und Japan.
In Graduierungen wird zwischen den Schülergraden, den sogenannten Kyū, und den Meisterschülern bzw. Meistergraden, den sogenannten Dan, unterschieden. Jeder dieser Stufen wird eine Gürtelfarbe zugeordnet. In dem in Deutschland gebräuchlichsten Graduierungssystem existieren 9 Kyū- und 10 Dan-Grade. Der 9. Kyū ist hierbei die unterste Stufe, der 10. Dan die höchste.
Fußnote
Die Gürtelfarben sind eine Erfindung des modernen Budō. Viele Verbände verfolgen damit neben der beabsichtigten Motivation der Mitglieder auch finanzielle Interessen, denn für jede abzulegende Prüfung wird eine Gebühr erhoben.
Bis zum Jahre 1981 existierte im Deutschen Karate Verband eine Abstufung über fünf Schülergrade (5. bis 1. Kyū), wobei für jeden Kyū-Grad eine Farbe in der vorgenannten Reihenfolge stand. Diese Abstufung wurde zugunsten einer feineren Differenzierung durch vorstehende Graduierungen ersetzt.
Prüfungen
Zum Erlangen des nächsthöheren Schüler- bzw. Meistergrades werden Prüfungen nach einem festen Programm und einer Wartezeit, je nach Kyū- und Dan-Graden verschieden, abgelegt. Die Programme der Prüfungen unterscheiden sich von Verband zu Verband, gelegentlich gibt es sogar Unterschiede in einzelnen Dōjō.
Das Ablegen der Prüfungen dient als Ansporn und Bestätigung des Erreichten, ähnlich wie in unserem Schulsystem.
In den Prüfungen wird auf Technikausführung, Haltung, Aufmerksamkeit, Kampfgeist, Konzentration und Willen geachtet. Der Gesamteindruck entscheidet.
Bei höheren Meistergraden (meist ab dem 5. Dan) erhöht sich der theoretische Prüfungsanteil erheblich. In einigen wenigen Organisationen werden diese Dangrade gar nur aufgrund besonderer Leistungen und Verdienste verliehen. Im Shōtōkai ist der 5. Dan (Godan) die höchste Auszeichnung.
Philosophie
Karate hat als Budōdisziplin, zu denen zum Beispiel auch Kendō und Judo gehören, einen spirituellen Kern aus weltanschaulichen Elementen des Zen und des Taoismus. Diese Weltanschauungen dienen dazu, die Systeme des Budō zu erklären und bilden nicht die Basis dieser Kampfkünste.
Einen guten Einblick in die Grundsätze der Karate-Philosophie bieten die 20 Paragraphen des Karate von Gichin Funakoshi.
Die 20 Regeln
In Japan werden die von Gichin Funakoshi aufgestellten 20 Regeln des für Karateka angemessenen Verhaltens als Shōtō Nijū Kun (, wörtlich die 20 Regeln von Shōtō, wobei Shōtō der Künstlername Funakoshis war) oder als Karate Nijū Kajō (, wörtlich die 20 Paragraphen des Karate) bezeichnet. Im deutschen Karate vermischt sich der Begriff häufig mit dem der Dōjōkun, die eigentlich nur fünf zentrale Regeln umfassen und lange vor Funakoshi und mit Bezug auf alle Kampfkünste vermutlich von buddhistischen Mönchen in Indien aufgestellt wurden.
Meditation
Zum besseren Verständnis des spirituellen Wesens des Karate kann u. a. auch das Studium des Zen geeignet sein.
Die Wiederholung der Bewegungen, in Kihon (jap. „Grundschule“) und Kata (jap. „Form“) wird von manchen Meistern als Meditation betrachtet. Das Ki, also die Energie des Körpers, das Bewusstsein, das sich beispielsweise in Koordinations- und Reaktionsvermögen äußert, sollen durch körperlich anstrengende, konzentrierte und dynamische Bewegungen gestärkt werden. Da während einer Kata Konzentration gefordert ist, und gleichzeitig die Lebensenergie (Ki) unbeeinflusst vom Bewusstsein im Körper fließt, gilt Kata als „aktive Meditation“. Kata als Meditationsform ist sozusagen das Gegenteil von Zazen: Letzterer ist Versenkung im Verharren, erstere Versenkung in der Bewegung. Bloßes Üben von Techniken in einer Kata allein heißt noch lange nicht, dass die Kata als Meditationsform praktiziert wird. Erst die richtige Geisteshaltung, mit welcher der Karateka die Kata füllt, macht aus einem traditionellen Kampfhandlungsprogramm einen Weg zur spirituellen Selbstfindung und meditativen Übung.
Dō
Das Prinzip des Dō () findet sich in allen japanischen Kampfkünsten wieder und ist unmöglich umfassend zu beschreiben. Dō ist die japanische Lesart des chinesischen Tao (Dao), das mit dem gleichen Zeichen geschrieben wird. Es bedeutet wörtlich „Weg“ und steht dabei nicht nur für „Weg“ oder „Straße“ im engeren Sinn, sondern auch für „Mittel“ oder „Methode“ im Verständnis eines „Lebensweges“, einer „Lebenseinstellung“.
Dahinter stehen einerseits das taoistisch-schicksalhafte Prinzip, dass das Tao, der Weg, vorgezeichnet ist und die Dinge in ihrer Richtigkeit vorbestimmt; sowie die Einstellung des Nichtanhaftens und der Nichtabhängigkeit von allen Dingen, Gegebenheiten und Bedürfnissen, die im Zen-Buddhismus gelehrt wird.
Der Kodex des Bushidō geht noch weiter: Der bushi (jap. „Krieger“), der Bushidō verinnerlicht hat, befreit sich damit nicht nur von allen materiellen Bedürfnissen, sondern von dem Begehren um jeden Preis zu leben. Das Ende des eigenen Lebens wird damit nicht unbedingt erstrebenswert, aber auf jeden Fall eine zu akzeptierende Tatsache, und der Tod birgt keinen Schrecken mehr.
Diese Haltung war im alten Japan eine hochangesehene geistige Einstellung, die sich in vielen martialischen Verhaltensweisen wie dem Seppuku manifestierte.
Dies darf jedoch auf keinen Fall als Geringschätzung gegenüber dem eigenen Leben oder dem eines anderen aufgefasst werden. Im Gegenteil: Die Aufopferung des eigenen wertvollen Lebens wog vielmehr jede Schmach auf, die ein Krieger zu Lebzeiten auf sich geladen hatte. Das Seppuku, also der rituelle Selbstmord, befreit den Krieger von Schuld und Schande und stellte seine Ehre wieder her.
Das Dō-Prinzip impliziert nun viele verschiedene Konzepte und Verhaltensweisen, die nicht abschließend aufgezählt werden könnten. Deshalb hier nur einige wenige Aspekte: siehe auch Dōjōkun, Die 20 Regeln des Karate
„den Weg gehen“: lebenslanges Lernen und Arbeiten an sich selbst; ständige Verbesserung
Friedfertigkeit, Friedenswille, aber auch
Geradlinigkeit; absolute Entschlossenheit im Kampf
(„Tue alles, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden. Kommt es aber trotzdem zum Kampf, so soll Dein erster Schlag töten.“)
Respekt und damit Höflichkeit gegenüber jedem Individuum und Ding, auch dem Feind
„Weg“-Gemeinschaft mit Meister und Mitschülern, Brüderlichkeit, verantwortungsvolles Handeln
Selbstbeherrschung, universelle Aufmerksamkeit (Achtsamkeit), Konzentration (Zanshin, )
Offenheit, Bemühen um Verständnis, Akzeptanz
Nicht-Streben
Training
Das Training des Geistes, des Charakters und der inneren Einstellung sind Hauptziele im Karate. Dies wird auch durch den Leitspruch der Japan Karate Association (JKA) dargelegt:
„Oberstes Ziel in der Kunst des Karate ist weder Sieg noch Niederlage, sondern liegt in der Vervollkommnung des Charakters des Ausübenden.“
Eine weitere Grundregel im Karate lautet
「」 (Karate ni sente nashi), zu deutsch: „Im Karate gibt es kein Zuvorkommen.“ (Diese wichtige Grundregel, die auch auf Gichin Funakoshis Grabstein in Kamakura zu lesen ist, wird häufig mit „Es gibt keinen ersten Angriff im Karate“ wiedergegeben.)
Damit ist nicht das Training oder der Wettkampf gemeint, da ernsthafte Angriffs-Simulationen zu allen Budō-Künsten gehören. Der Satz verdeutlicht vielmehr den Kodex des Karatedō im täglichen Leben. Gemeint ist, dass sich der Karateka zu einer friedlichen Person entwickeln und nicht auf Streit aus sein soll. Ein Karateka führt also, bildlich gesprochen, niemals den ersten Schlag, was ebenso jegliche Provokation anderer ausschließt.
Das Karatetraining baut auf drei großen Säulen auf, dem Kihon, dem Kumite und der Kata.
Kihon
Kihon () heißt „Grundlage“, „Basis“, „Fundament“ (des Könnens) und wird häufig auch als Grundschule des Karate bezeichnet.
Es umfasst die grundlegenden Techniken, die das Fundament des Karate bilden. Die einzelnen Techniken werden immer wiederholt, entweder langsam oder schnell, kraftvoll oder leicht/locker. Der Bewegungsablauf der einzelnen Technik wird in alle Bestandteile zerlegt und es wird versucht die Ideallinie der Bewegung zu finden, wobei es immer etwas zu optimieren gibt. Der Bewegungsablauf muss optimal verinnerlicht werden – reflexartig abrufbar, da für Denken, Planen und Handeln in einem realen Kampf zu wenig Zeit ist.
Einatmung, Ausatmung, maximale Anspannung des ganzen Körpers im Zielpunkt sind grundlegende Ziele dieses Trainings. Nach asiatischer Vorstellung liegt das Zentrum des Körpers und damit das Kraftzentrum dort, wo idealerweise auch der Körperschwerpunkt liegen sollte. Diesem oft bedeutungsverengend mit Hara (, „Bauch“) bezeichneten ideellen Punkt (ca. 2 cm unter dem Bauchnabel) kommt beim Atemtraining besondere Aufmerksamkeit zu (Bauchatmung). Eine gute Balance ist darüber hinaus erstrebenswert und wird oft umschrieben mit dem Finden des „inneren Schwerpunktes“.
Kumite
Kumite ( oder ) bedeutet wörtlich „verbundene Hände“ und meint das Üben bzw. den Kampf mit einem, selten mehreren Gegnern (siehe Bunkai).
Das Kumite stellt innerhalb des Trainings eine Form dar, die es dem Trainierenden nach ausreichender Übung ermöglicht, sich in ernsten Situationen angemessen verteidigen zu können. Voraussetzung ist das richtige Verstehen und Einüben elementarer Grundtechniken aus dem Kihon und der Kata. Wenn die Ausführung der Technik in ihrer Grundform begriffen wurde, wendet man sie im Kumite an. Die Anwendung im Kumite ist sehr wichtig, da die Ausführung von Techniken im Freikampf nicht der vorgeschriebenen Form entsprechen müssen, da man oftmals bei überraschenden Angriffen sofort von der Kampfhaltung zur Endstellung der Abwehr gelangen muss.
Es gibt verschiedene Formen des Kumite, die mit steigendem Anspruch von einer einzigen, abgesprochenen, mehrfach ausgeführten Technik bis hin zum freien Kampf in ihrer Gestaltung immer offener werden.
Bei Verteidigungstechniken werden hauptsächlich die Arme zu Blocktechniken verwendet. Würfe, Hebel, harte, weiche Blockbewegungen oder auch nur Ausweichen, meist in Kombination mit Schritt- oder Gleitbewegungen. Eine Blockbewegung kann auch als Angriffstechnik ausgeführt werden, was ein sehr gutes Auge voraussetzt; der Angriff des Gegners wird im Ansatz mit einer Abwehrbewegung oder einem Gegenangriff (, deai, „Begegnung, Aufeinandertreffen“) gestoppt.
Beim Angriff wird versucht, die ungedeckten Bereiche bzw. durch die Deckung hindurch den Gegner zu treffen. Es soll möglichst mit absoluter Schnelligkeit ohne vorzeitiges Anspannen der Muskeln konzentriert angegriffen werden, denn erhöhter Krafteinsatz führt während der Bewegung zu Schnelligkeitsverlusten. Der Kraftpunkt liegt am Zielpunkt der Bewegung. Das Prinzip der Angriffstechnik gleicht dem des Pfeiles eines Bogenschützen bei Schlag- und Stoßtechniken und dem einer Peitsche bei geschnappten Techniken.
Yakusoku-Kumite
Das Yakusoku-Kumite (, „abgesprochenes Kumite“) ist die erste Stufe der am Partner/Gegner angewandten Technik. Dabei folgen beide Partner einem vorher festgelegten Ablauf von Angriff- und Verteidigungstechniken, die in der Regel im Wechsel ausgeführt werden. Ziel dieser Übung ist es, die Bewegungen des Partners/Gegners einschätzen zu lernen, sowie die eigenen Grundschul-Techniken in erste Anwendung zu bringen, ein Gefühl für Distanz und Intensität zu erhalten. Diese Form der Übung ist wiederum nach Schwierigkeitsgrad unterteilt.
Jiyū-Kumite
Beim Jiyū-Kumite (, „freies Kumite“) werden Verteidigung und Angriff frei gewählt, teilweise ohne Ansage oder Bekanntgabe.
Jiyū bedeutet „Freiheit“ oder „Wahlfreiheit“. Allgemein gilt: Man muss, egal ob man die Initiative im Angriff oder in der Abwehr ergreift, aus jeder beliebigen Position heraus reagieren können, ungehindert aller einschränkenden Gedanken, da man in überraschenden Situationen nicht sofort in eine Kampfstellung gehen kann. Es ist also egal, ob man einen Angriff blockt, sperrt, in diesen hineingeht oder selbst zum Angriff übergeht. Wichtig ist nur, all seine Aktionen in der Weise auszuführen, dass man dabei nicht von ablenkenden Gedanken erfasst wird. Der Kopf muss kühl bleiben. Ebenso wie in allen anderen Kampfkünsten hemmen die „Bewegungen im Kopf“ letztlich die Bewegungen des Körpers. Der Geist muss sozusagen ungehindert fließen können, um jede Bewegung des Gegners aufnehmen zu können.
Diese Form des Kampfes stellt die Höchstform des klassischen Kumite dar. Timing, Distanzgefühl, ein selbstbewusstes Auftreten, eine sichere Kampfhaltung, schnelle und geschmeidige Techniken, gehärtete Gliedmaßen, intuitives Erfassen, ein geschultes Auge, Sicherheit in Abwehr, Angriff und Konter … das alles sollte hinführend zum Jiyū-Kumite bereits vorher in den anderen Kumite-Formen sowie im Kihon und in der Kata eingeübt werden. Letzteres wird sich jedoch erst im Jiyū-Kumite sowie im Randori vollends ausbilden: Spontaneität.
Randori
Randori (, „freies Üben“, wörtlich „Unruhen/Ungeordnetes abfangen“) ist eine freie Form des Partnertrainings, bei der es darum geht, ein Gespür für den Fluss eines Kampfes, der Bewegungen und der eingesetzten Energie zu bekommen. Dabei ist es nicht zielführend, wie im Kampf Treffer um jeden Preis zu vermeiden, sondern es ist ausdrücklich erwünscht, dass die Trainierenden Treffer bei gut ausgeführten Angriffen auch zulassen. Es sind keine Vorgaben bezüglich der einzusetzenden Techniken gemacht. Die Übenden sollen vielmehr das spontane Handeln aus den sich ergebenden Situationen erlernen. Das Randori sollte locker und gelassen sein, einen freien Fluss der Techniken ermöglichen und keinen Wettkampfcharakter annehmen.
(Frei-)Kampf
Der Freikampf imitiert entweder reale Selbstverteidigungssituationen oder dient dem Wettkampf (Shiai) bzw. dessen Vorbereitung.
Kennzeichnend im traditionellen Karate ist der beabsichtigte Verzicht auf Trefferwirkung am Gegner.
Absolut notwendig ist die Fähigkeit, Angriffstechniken vor dem Ziel, dem Körper des Gegners, mit einer „starken“ Technik zu arretieren, da ohne Hand- und Kopfschutz geübt wird. Während eines Wettkampfes wäre Trefferwirkung ein Regelverstoß, der je nach Schwere zu einer Verwarnung oder zur Disqualifikation führt. „Schwache“ Techniken führen zu keiner Wertung.
Vollkontakt-Karate-Kampfsysteme gestatten und beabsichtigen in der Wettkampfordnung die Trefferwirkung. Viele dieser Stilrichtungen verwenden dazu auch Schutzausrüstungen wie Kopf- und Gebissschutz sowie einen speziellen Handschuh, der die Fingerknöchel und den Handrücken polstert. Wird der Freikampf als Wettkampf durchgeführt, so gibt es feste Regularien die beispielsweise Würfe über Hüfthöhe, Tritte zum Kopf, sowie Techniken gegen den Genitalbereich oder mit offener Hand zum Hals geführte Schläge aus Sicherheitsgründen verbieten. Ohne Handschuhe sind Angriffe mit den Händen oder Fäusten zum Kopf verboten, wie im Kyokushin-Kai, oder es wird komplette Schutzausrüstung mit Helm, Weste, Tiefschutz, Unterarm- und Schienbeinschoner und evtl. ein Spannschutz verwendet, wie auch im Taekwondo.
Kata
Kata (, ) bedeutet „Form“, „Formstück“, „Schablone“. Eine Kata ist ein stilisierter und choreographierter Kampf gegen einen oder mehrere imaginäre Gegner, der einem festgelegten Muster im Raum, Embusen genannt, folgt. Verschiedene Stilrichtungen üben im Allgemeinen verschiedene Kata, jedoch gibt es auch viele Überschneidungen, Varianten und unterschiedliche Namensgebungen.
Kata entwickelten sich, wie bereits im Abschnitt Geschichte erwähnt, zur komprimierten Weitergabe der Techniken einer Schule oder eines einzelnen Meisters ohne die Notwendigkeit schriftlicher Aufzeichnung.
Die vier Elemente der Kata
Bunkai
Bunkai (, dt. „Analyse, Zerlegung“) bezeichnet die Analyse der einzelnen fest vorgeschriebenen Bewegungen einer Kata, wie sie in der entsprechenden Schule gelehrt werden. Die dabei betrachtete Form der Kata bezeichnet man als das Genkyo- () oder Basis-Modell. Dieses bezeichnet die Urform bzw. den Ursprung der Kata.
Während die Kata frei und meist öffentlich vermittelt wird, ist das Bunkai die persönliche Interpretation des (lehrenden) Meisters, seines Systems/Schule. Üblicherweise ist das (traditionelle) Bunkai damit an den persönlichen Kontakt zwischen Meister und Schüler gebunden.
Ōyō
Ōyō (, dt. „Anwendung“) Individuelle Interpretationen durch die Schüler werden ōyō („frei“) genannt. Dabei wird der Leistungsstand wie auch körperliche oder andere individuelle Merkmale berücksichtigt. Manche Bunkai-Techniken berücksichtigen so z. B. nicht den Größenunterschied zwischen Tori und Uke.
Leider ist mit der Verallgemeinerung des Karate oft dieser Bezug verloren gegangen, weswegen vielfach freie Ōyō-Varianten in Umlauf sind, deren Urheber nicht mehr nachvollziehbar, bzw. deren Authentizität dann zweifelhaft sind. Daraus resultiert oft auch eine Unklarheit in der formalen Ausführung der Kata, da die Form wiederum ohne die ursprünglichen Bedeutungen leicht zu einem rein akrobatischen Leistungsvergleich (Wettkampf) zu verkommen droht.
Henka
Henka (, dt. „Veränderung“, „Variation“). Die Ausführung der Kata und ihr Ausdruck werden trotz der gleichen Bewegungsabläufe der Ausführenden niemals gleich aussehen. Die Akzentuierungen innerhalb der Bewegungsabläufe, die eingesetzte Kraft in den Einzeltechniken, die individuelle koordinative Befähigung, die Gesamtkonstitution und viele weitere Aspekte bewirken, dass eine Kata von zwei Karatekas vorgetragen niemals gleich sein kann. Henka beschreibt, wie der Ausführende die Kata präsentiert und auch wie er sie sieht.
Kakushi
Kakushi (, dt. „verborgen“, „versteckt“). Jede Kata enthält Omote (, „äußerlich“, „Oberfläche“), die offensichtlich enthaltenen Techniken, und Okuden (), den unterschwelligen oder unsichtbaren Teil. Kakushi beschäftigt sich mit letzteren Techniken, die zwar potentiell im Ablauf der Kata vorhanden sind, aber sich dem Betrachter und auch dem Praktizierenden nicht von selbst erschließen. Daher ist es meist notwendig, von einem Meister in diese unterschwelligen Kniffe und Techniken eingewiesen zu werden. In traditionell ausgerichteten Dōjō werden diese Techniken nur den Uchi-Deshi (, Privat-, Haus- oder Meisterschüler, wörtlich „Hausschüler, interner Schüler“) vermittelt. Kakushi wird traditionell ab dem 4. Dan vermittelt, da dieser auch als Dan des technischen Experten bezeichnet wird.
Andere Trainingsformen
Tanren-Makiwaratraining
Ein Makiwara ist ein im Boden oder an der Wand fest verankertes Brett aus elastischem Holz, z. B. Esche oder Hickory, mit Stoff, Leder o. ä. umwickelt, auf das man schlägt und tritt. Die Elastizität des Holzes verhindert dabei einen zu harten Rückstoß in die Gelenke. Die Verletzungsgefahr (Hautabschürfungen und Gelenkverletzungen) ist am Anfang trotzdem recht hoch.
Dieses Training fördert den Knochenaufbau der Unterarme. Die Armknochen bestehen aus fast hohlen Knochen, die durch diese Trainingsform gestärkt werden. Durch die Belastung des zurückfedernden Makiwara, bei einem Schlag oder Tritt, werden diese Stellen vom Körper „verdickt“, es lagert sich also mehr Kalzium in dem Knochen an. Dieser wird dadurch härter.
Kimetraining
Um das Kime zu trainieren, ist allgemein keine andere Übungsmethode außer dem normalen Karatetraining vonnöten (Kihon, Kata, Kumite, Makiwara), da jede Karatetechnik mit dieser Atmung ausgeführt wird. Es ist jedoch auch üblich, im Training Schwerpunkte zu setzen, doch auch dann werden Karatetechniken benutzt, um das Kime zu stärken. Kimetraining ist also Bestandteil eines umfangreichen Techniktrainings. Will man die Techniken durch das Kime stärken, so muss man zu Beginn einer Technik den Gliedmaßen jegliche Spannung nehmen. Erst beim Auftreffen einer Technik im Ziel wird die Muskulatur angespannt, gleichzeitig der Atem herausgestoßen, um die Technik zu arretieren. Um diesen Vorgang zu perfektionieren, werden meist nur einzelne Techniken geübt, hauptsächlich der gerade Fauststoß aus dem natürlichen, schulterbreiten Stand (shizentai). Isometrische Übungen stellen auch gute Übungsformen dar. Hierbei wird eine einzelne Technik ausgeführt und in der Endstellung gehalten. Dann wird Gegendruck auf diese Technik ausgeübt. Die Spannung wird ca. 4 Sekunden gehalten, die Atmung während dieser 4 Sekunden ist eine lange Kime-Atmung. Diese Übung wird mehrmals wiederholt.
Andere Übungsformen wären zum Beispiel:
Faustliegestütze mit schnellkräftigem Abstoßen
Hockstrecksprünge – Mae-Geri-Training
Training mit dem Deuser-Band (Atmung nur durch Kime)
Spezielle Atem-Kata wie Sanchin oder Hangetsu
Wettkampf – Turniere
Im Zuge der modernen Entwicklung mancher Karate-Schulen von Kampfkunst hin zu Kampfsport werden in einigen Stilrichtungen Karate-Turniere (sowohl Kumite- als auch Kata-Turniere) praktiziert.
Da beim Freikampf wegen der hohen Effektivität vieler Techniken bei „echtem“ Kampf hohe Verletzungs- und sogar Todesgefahr droht, herrschen einerseits sehr strenge Regeln, die u. a. den Schutz der Teilnehmer gewährleisten sollen, und andererseits wird nur ein eingeschränktes Repertoire an Techniken im Wettkampf verwendet.
Turnierkämpfe werden mit Zahnschutz und, je nach Geschlecht, mit Brust- oder Tiefschutz ausgeführt. Weitere Schutzmaßnahmen hängen stark von der Verbandsphilosophie ab. So werden etwa beim größten Verband DKV (Deutscher Karate Verband) außerdem Faust- und Fußschützer sowie Schienbeinschoner verwendet, während beim DJKB (Deutscher JKA Karate Bund) keine weiteren Protektoren erlaubt waren (ab 2013 sind auch Faustschützer vorgeschrieben).
Befürworter von Karate-Wettkämpfen betonen den sportlichen Charakter von Karate und führen die sportlich-praktische Anwendbarkeit an. Kritiker der Karate-Wettkämpfe vertreten die Meinung, dass Wettkämpfe dem wahren Charakter und Geist des Karate-Do widersprechen, und dass durch die stark reduzierte Anzahl verwendeter Techniken das Karate verflacht und degeneriert.
Es handelt sich hierbei im Grunde genommen um verschiedene Sichtweisen: einerseits die traditionelle, die Karate als Kampfkunst sieht, deren letztendliches Ziel die Vervollkommnung der Persönlichkeit ist, und andererseits die moderne sportliche, in der Karate als Kampfsport zu sehen ist, und in der die praktische Anwendung mit sportlichem Charakter erwünscht ist. Eine mögliche Sicht ist, dass der Sportgedanke das Karate bereichert hat. Die Kampfkunst Karate könne mit dem Sport leben, doch der Sport nicht ohne die Kampfkunst Karate.
Olympische Spiele
Karate war bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio erstmals olympische Disziplin. Am 3. August 2016 stimmten die IOC Delegierten im Rahmen der 129. IOC-Session in Rio de Janeiro dem Vorschlag der IOC Exekutive zu und nahmen neben Karate auch Sportklettern, Skateboarding, Baseball und Surfing in die Liste der vom IOC anerkannten internationalen Verbände auf (siehe Karate bei den Olympischen Spielen). Viele Verbände, u. a. der DKV oder das Kampfkunst Kollegium, haben begonnen, alte Wettkampfformen und das Punktesystem zu verändern, um so den Karatewettkampf populärer und für die Olympischen Spiele geeigneter zu machen.
World Games
Qualifizierte Karatekas können an den alle vier Jahre stattfindenden World Games teilnehmen. Die World Games sind den Olympischen Spielen gleichgestellt. Deutschland hatte bereits mehrfach Goldmedaillengewinner in der Sparte Karate.
Film und Medien
Siehe Hauptartikel: Martial-Arts-Film
Siehe auch
Karate-Ausdrücke
Karatestellungen
Liste bekannter Karateka
Kyūsho Jitsu und Dim Mak für die Arbeit mit Vitalpunkten
Shaolin Karate
Shōtōkan
Literatur
alphabetisch aufsteigend
Heiko Bittmann: Karatedō – Der Weg der Leeren Hand – Meister der vier großen Stilrichtungen und ihre Lehre. Biographien – Lehrschriften – Rezeption. Dissertation. Verlag Heiko Bittmann, Ludwigsburg und Kanazawa 1999, ISBN 3-00-004098-6.
Gichin Funakoshi: Karate-Dô Nyûmon. schlatt-books, 2000, ISBN 978-3-937745-05-3.
Roland Habersetzer: Karate der Meister. Mit Körper und Geist. Palisander Verlag, 1. Auflage 2010, ISBN 978-3-938305-16-4.
Roland Habersetzer: Die Grundtechniken des Karate. Vom Weißgurt bis zum 1. Dan. Palisander Verlag, 1. Auflage 2011, ISBN 978-3-938305-18-8. (Kihon waza für Shôtôkan und Wadô-ryû).
Efthimios Karamitsos, Bogdan Pejcic: Karate Grundlagen. Falken Verlag, Niedernhausen im Taunus 2000, ISBN 3-8068-1863-0.
Stefan Katowiec: Karatedō in Deutschland. Kampfkunst, Buddhismusrezeption und religiöse Gegenwartskultur. Tectum-Verlag, Marburg 2010, ISBN 978-3-8288-2472-0.
Werner Lind: Karate Grundlagen. BSK, Bensheim 2005, ISBN 3-00-019886-5.
Werner Lind: Karate Kihon. BSK, Bensheim 2006, ISBN 3-00-017522-9.
Kenei Mabuni: Leere Hand – Vom Wesen des Budō-Karate. Palisander Verlag, 1. Auflage 2007, ISBN 978-3-938305-05-8.
Hidetaka Nishiyama: Karate – Die Kunst der leeren Hand. schlatt-books, Lauda 2007, ISBN 978-3-937745-06-0.
Anmerkungen
Weblinks
Geschichte des Karate in Deutschland
Bekannte Meister (archiviert)
Websites der Deutschen Dachverbände DKV und DJKB
Website des österreichischen Karatebundes
Toshiya. Magazin für Karate, Kampfkunst & Kultur – verbandsunabhängige Zeitschrift
Einzelnachweise
Kampfsportart
Kultur (Präfektur Okinawa)
Kampfkunststil
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Q11419
| 363.212964 |
100812
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https://de.wikipedia.org/wiki/Biathlon
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Biathlon
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Biathlon (/ für Zweifach-Kampf) ist eine vornehmlich im Winter ausgetragene Sportart, die sich als Kombinationssportart aus den Disziplinen Skilanglauf und Schießen zusammensetzt. Beim Langlauf handelt es sich um eine Ausdauer- und beim Schießen um eine Präzisionssportart. Geschossen wird abwechselnd liegend und stehend, dies allerdings nicht beim Massenstart. Dort wird zweimal liegend hintereinander und dann zweimal stehend geschossen.
Zunächst war der Biathlonsport eher eine Randsportart, wurde aber konsequent und erfolgreich zu einer Disziplin weiterentwickelt, die publikumswirksam über das Fernsehen vermarktet werden kann. Seit Anfang der 1990er-Jahre steigt das Zuschauerinteresse stetig an, so dass Biathlon heute in einigen Ländern, insbesondere Deutschland, zu den beliebtesten Wintersportarten zählt.
Biathlon ist eine der bei Olympischen Winterspielen ausgetragenen Sportarten, in nichtolympischen Jahren werden Biathlon-Weltmeisterschaften veranstaltet. Weitere internationale Rennen werden im Rahmen des Biathlon-Weltcups ausgetragen.
Geschichte
Frühe Geschichte des Biathlons
In Norwegen entdeckte Höhlenmalereien beweisen, dass der Mensch schon vor über 5000 Jahren die Jagd auf Skiern als geeignetes Mittel zur Verfolgung von Wildtieren im Schnee einzusetzen wusste. Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen dazu finden sich bereits in der chinesischen, griechischen und römischen Geschichte; so beschreibt z. B. der römische Dichter Vergil etwa 40 v. Chr. die Jagd auf Skiern. Die Abbildung eines mit Pfeil und Bogen jagenden Mannes auf Skiern fand sich auch auf einem aus dem Jahr 1050 stammenden Runenstein aus Balingista in Norwegen.
Entwicklung zum Militärsport
Die Ursprünge des Biathlonsports liegen vor allem im militärischen Bereich. Bereits zu Beginn der Wikingerzeit verteidigten sich die Ureinwohner Nordnorwegens erfolgreich auf Skiern gegen Wikingereinfälle. Im Mittelalter waren die schnellen und flexiblen Skiregimenter fester Bestandteil der Armeen in Skandinavien und Russland.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Skifahren zum wichtigsten Militärsport in Nordeuropa. Ein guter Skisoldat beherrschte sowohl das Schießen als auch den Langlauf. An der schwedisch-norwegischen Grenze maßen sich bereits im Jahre 1767 Grenzsoldaten beider Länder im Wettkampf, bei dem im vollen Skilauf mit dem Gewehr geschossen werden musste. 1776 sind erstmals Skiwettbewerbe mit Schießeinlagen (Gewehre/Pistolen) in norwegischen Dörfern durchgeführt worden. Bis zur Veranstaltung erster organisierter Wettkämpfe im späten 19. Jahrhundert diente die Kombination aus Langlauf und Schießen jedoch ausschließlich der Jagd und militärischen Zwecken.
Der erste Biathlonverein wurde 1861 in Norwegen mit dem Gewehr- und Skiklub von Trysil gegründet. Im deutschen Sprachraum entwickelten sich sowohl der Militärskilauf als auch die allgemeine Variante ebenfalls erst Ende des 19. Jahrhunderts. Im Deutschen Reich fanden 1895 erstmals militärische Skilaufmeisterschaften statt. 1912 wurde in Norwegen ein Einzellauf ausgetragen, bei dem zweimal 10 Schüsse abgegeben werden mussten und der damit dem heutigen Einzelwettkampf schon sehr nahekam. Die Veranstaltung dieser Wettkämpfe oblag dem Militär, weshalb die Teilnehmer sich ausschließlich aus Armeeangehörigen rekrutierten. Die fabrikmäßige Fertigung von Skiern in österreichischen Werkstätten ab 1906 erleichterte und förderte den Sport wesentlich.
Aus diesen Wettkämpfen entwickelte sich bis 1915 der Militärpatrouillenlauf, der als Vorgänger des heutigen Biathlons angesehen wird. Während im Biathlon von jeher Einzel- und Staffelrennen gelaufen wurden, definierte sich die Militärpatrouille bis 1930 als reiner Mannschaftswettkampf. Eine Militärpatrouille hatte jeweils aus einem Offizier, einem Unteroffizier und zwei Soldaten zu bestehen. Die Streckenlänge betrug zwischen 25 und 30 Kilometer, wobei nach der Hälfte der Distanz eine Schussprüfung im Liegendschießen zu absolvieren war. Für jeden Treffer bekam die Mannschaft, die geschlossen das Ziel erreichen musste, eine Zeitgutschrift von dreißig Sekunden.
Ab 1910 gab es die Disziplin „Militärischer Patrouillenlauf“ im Wintersport. Bei den Olympischen Winterspielen 1924, 1928, 1936 und 1948 wurde diese Disziplin ausgetragen. 1930 fanden die ersten Weltmeisterschaften im Militärpatrouillenlauf statt, mit Einzel- und Staffelrennen; unter dieser Bezeichnung wurde es bis 1948 geführt, ab 1949 setzte sich der Name Biathlon (griechisch: Zweikampf) durch. Der neue Name wurde vom Vorsitzenden des 1948 in Sandhurst (Großbritannien) gegründeten Internationalen Verbandes für Modernen Fünfkampf und Biathlon (UIPMB), dem schwedischen General Sven Thofelt, vorgeschlagen. Diesem Verband war Biathlon bis zur Saison 1993/94 angeschlossen. Danach wurde eine eigenständige Dachorganisation, die Internationale Biathlon Union (IBU) gegründet. Deshalb zählt Biathlon nun als eigene Sportart; in Deutschland werden die Aktiven vom Deutschen Skiverband (DSV) koordiniert.
Seine Hochblüte hatte der Militärpatrouillenlauf in den 1920er- und 1930er-Jahren. Bei der Internationalen Winterwoche des Sports von 1924, die das IOC nachträglich zu den ersten Olympischen Winterspielen erklärte, war der Militärpatrouillenlauf Teil des offiziellen Programms und stand danach bei den Olympischen Winterspielen von 1928, 1936 und 1948 als Demonstrationswettbewerb auf dem Programm.
Zwischen 1930 und 1941 fanden Weltmeisterschaften im Militärpatrouillenlauf statt, bei denen sowohl Titel im Einzel- als auch im Mannschaftskampf vergeben wurden. Anfangs wurden nur aktive Soldaten für Wettkämpfe zugelassen, die unter dem Befehl eines Offiziers standen. Im Rahmen von Heeresmeisterschaften und Militärweltmeisterschaften wird der Patrouillenlauf bis heute durchgeführt. Eine der bekanntesten Wettkampfveranstaltungen ist die Schweizer Patrouille des Glaciers, an der auch zivile Skibergsteigermannschaften teilnehmen.
Geschichte des modernen Biathlons
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten die Entmilitarisierung der Sportart und die Öffnung für zivile Athleten. Bei den Olympischen Winterspielen 1948 wurde neben dem Militärpatrouillenlauf auch der Winter-Pentathlon (Reiten, Degenfechten, Schießen, Skilanglauf, Abfahrt) als winterliche Entsprechung des Modernen Fünfkampfs als Demonstrationswettbewerb zugelassen. Der am 3. August 1948 gegründete Verband Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM) zeigte Interesse an der Aufnahme eines Wintersportbewerbs und entschied sich für die Kombination aus Laufen und Schießen. Auf Vorschlag des Vorsitzenden der UIPM, dem schwedischen General Sven Thofelt, wurde der Name Biathlon eingeführt.
Das IOC erkannte Biathlon 1954 als eigenständige Sportart an. 1955 führte der Internationalen Verband des Modernen Fünfkampfes (UIPM) das Konzept des modernen Winterbiathlons ein. Die Wettkampfregeln wurden am 17. November 1956 in Australien genehmigt und die UIPM wurde offiziell zum Verband beider Sportarten. 1957 erfolgte schließlich die formelle Aufnahme in den UIPM und 1968 die Umbenennung des Verbandes in UIPMB. Diesem Verband blieb Biathlon bis zur Gründung der Internationalen Biathlon Union (IBU) als unabhängigem Verband innerhalb der UIPMB bis 1993 angeschlossen. Die formale Trennung beider Verbände erfolgte 1998. Die wichtigsten Biathlon-Wettkämpfe werden seit Beginn des 21. Jahrhunderts von der IBU veranstaltet. Damit ist Biathlon der einzige Skisport, der nicht von der Fédération Internationale de Ski (FIS) reglementiert wird.
Seit den Winter-Paralympics 1988 in Innsbruck wird Biathlon auch bei Paralympischen Spielen ausgetragen. Seit 1992 starten auch Athleten mit Sehbehinderungen.
Geschichte des Frauenbiathlons
Die Geschichte des Frauen-Biathlons begann wesentlich später als bei den Männern. Die UIPMB verabschiedete erst 1980 auf ihrem Kongress in Sarajevo die Regeln für Frauenwettkämpfe. Daran anschließend fand 1981 der erste internationale Frauenwettkampf im damals tschechoslowakischen Jáchymov (Joachimsthal) statt. 1984 wurden die ersten Frauen-Biathlonweltmeisterschaften organisiert, welche bis 1988 von jenen der Männer getrennt waren. Seit 1989 finden die Weltmeisterschaften der Frauen gemeinsam mit denen der Männer statt.
1988 entschied das IOC, Frauen-Biathlon ins olympische Programm aufzunehmen. Erstmals olympische Disziplin war Frauen-Biathlon dann vier Jahre später bei den Winterspielen 1992 in Albertville. Trotz des späten Beginns entwickelte sich der Biathlonsport bei den Frauen sehr rasant und ist heute dem der Männer gleichwertig.
Athleten
Die meisten Biathleten haben bereits im Kindes- oder Jugendalter mit dem Langlaufsport begonnen und sind dann zum Biathlon gewechselt. Häufig geschieht dieser Wechsel in der Jugendzeit, so dass die Wintersportler ab diesem Zeitpunkt sowohl das Laufen als auch das Schießen trainieren.
Vor allem in den Anfangsjahren der Sportart bestand ein Großteil der teilnehmenden Athleten aus ehemaligen Profi-Langläufern. Aber es wechseln immer wieder einige Langläufer zum Biathlon. Viele dieser Athleten entwickeln sich mit der Zeit zu dominierenden Biathleten, so waren beispielsweise die sehr erfolgreichen Biathletinnen Kati Wilhelm und Anna Carin Olofsson ehemalige Langläuferinnen. Für Aufsehen sorgte auch der Wechsel der Finnin Kaisa Varis, die nach ihrer Dopingsperre im Sommer 2006 zum Biathlon kam, aber 2008 als Biathletin erneut positiv getestet wurde. In manchen Ländern wie Großbritannien oder Grönland sind beide Disziplinen eng aneinander angelehnt, so werden etwa britische Meisterschaften in beiden Disziplinen zusammen ausgetragen.
Auch in anderen Ländern, z. B. in Schweden, wechseln gelegentlich einige Langläufer zum Biathlon. In den Ländern, in denen der Skilanglauf einen hohen Stellenwert besitzt, wird der Wechsel zum Biathlon trotz der aktuell positiven Entwicklung heute noch teilweise als sportlicher Abstieg betrachtet.
Die Wechselquote vom Biathlon zum Speziallanglauf ist hingegen wesentlich geringer. Die Russin Anfissa Reszowa wechselte nach etlichen Erfolgen im Langlauf Ende der 1980er-Jahre zum Biathlon, wo sie ebenfalls zahlreiche Erfolge feiern konnte. Zum Ende ihrer Karriere gewann sie dann erneut im Langlauf die Goldmedaille mit der russischen Staffel. Ihr Landsmann Tschepikow wechselte nach sehr erfolgreichen Jahren im Biathlon Mitte der 1990er-Jahre zum Langlauf. Nach seinem vorläufigen Karriereende startete er einige Jahre später erneut erfolgreich im Biathlon. Die deutsche Biathletin Miriam Gössner war sowohl mit mehreren Siegen und Podestplätzen im Biathlon-Weltcup erfolgreich, als auch mit der Langlaufstaffel bei der Nordischen Skiweltmeisterschaft 2009 und bei den Olympischen Spielen 2010, wo sie die Silbermedaille gewann.
Vor allem die norwegischen Herren wie Frode Andresen, Lars Berger und Ole Einar Bjørndalen starteten immer wieder in einzelnen Langlaufrennen. Berger wurde zweimal Staffel- und einmal Einzelweltmeister im Langlauf, auch Bjørndalen gewann ein Rennen des Langlauf-Weltcups.
Verbreitung und Popularität
Der Biathlonsport wird inzwischen in allen klassischen Wintersportländern Europas und Nordamerikas ausgeübt.
Vor allem in Russland und Skandinavien, insbesondere in Norwegen, gehört Biathlon seit langem zu den beliebtesten Wintersportarten. Ab den 1990er-Jahren wuchs auch in Deutschland das Publikumsinteresse immer mehr, seit der Jahrtausendwende gehört Biathlon zu den populärsten Wintersportarten. Sämtliche Weltcupläufe werden mittlerweile im Fernsehen übertragen und finden vor Ort vor einem immer größer werdenden Publikum statt. Für die Fernsehsender Das Erste und ZDF liefern die Biathlonrennen, die teilweise von über sechs Millionen Zuschauern verfolgt werden, mittlerweile regelmäßig die höchsten Einschaltquoten aller übertragenen Wintersportarten. Obwohl deutsche Athleten schon seit den 1970er-Jahren Erfolge im Biathlon feiern konnten, kam bei der Wahl zum Sportler des Jahres mit der Biathletin Uschi Disl erst im Jahre 2005 zum ersten Mal ein Athlet aus dem Biathlonsport. Im Jahre 2006 folgten mit Kati Wilhelm und Michael Greis; 2007, 2011 und 2012 mit Magdalena Neuner sowie 2017 mit Laura Dahlmeier weitere Biathleten.
Trotz der großen Erfolge französischer Biathleten im Weltcup und bei Weltmeisterschaften führt die Sportart in Frankreich immer noch ein Schattendasein, sowohl was das Publikumsinteresse als auch die finanzielle Förderung anbelangt. Die französische Biathletin Sandrine Bailly bemängelte mehrfach, dass Biathlon in Frankreich wenn überhaupt nur mit dem ehemaligen Biathleten Raphaël Poirée in Verbindung gebracht würde und ihre Erfolge ohne Anerkennung blieben. Raphaël Poirée erklärte 2005 in einem Interview, sich überwiegend selbst um finanzielle Mittel und Sponsoren kümmern zu müssen. Auch die großen Erfolge von Martin Fourcade in den 2010er-Jahren änderten nur wenig an der begrenzten Popularität des Biathlonsports in Frankreich.
Eine große Tradition hat Biathlon auch in Italien, vorwiegend im deutschsprachigen Südtirol, aus dem viele bekannte Athleten der letzten Jahrzehnte stammen.
In Österreich und der Schweiz spielte der Biathlonsport traditionell eine untergeordnete Rolle. Durch die sportlichen Erfolge der letzten Jahre und auch durch die hohen Besucherzahlen der Weltcups und Weltmeisterschaften in Hochfilzen gewinnt der Biathlonsport in Österreich jedoch immer mehr an Bedeutung. Mit der Roland Arena gibt es seit 2013 in der Schweiz ein Trainings- und Wettkampfzentrum für Langläufer und Biathleten. Hier soll 2023 erstmals ein Weltcup stattfinden; zwei Jahre später sollen auch die Weltmeisterschaften in der Arena ausgetragen werden.
Auch in den Vereinigten Staaten und Kanada gehört Biathlon zu den weniger beachteten Wintersportarten. Obwohl all diese Länder immer wieder Athleten hervorbringen, die auch in der Weltspitze mithalten können, hält sich das Publikumsinteresse in engen Grenzen. In den USA ist der Sport in einigen Regionen dennoch weit verbreitet und wird vor allem von Angehörigen der Nationalgarde betrieben. Spitzenathleten werden somit häufig über die Sportförderung als Sportsoldaten gefördert. In Kanada hingegen gehört der Biathlonsport zu den am schlechtesten geförderten olympischen Sportarten, weshalb die kanadischen Athleten bei der Finanzierung ihres Sportes häufig gezwungen sind, innovative Wege (etwa durch Crowdfunding) zu gehen.
Seit der Jahrtausendwende wird der Biathlonsport in Asien immer mehr gefördert; vor allem die Volksrepublik China arbeitete mit ihrem deutschen Trainer Klaus Siebert erfolgreich daran, ihre Athleten an die internationale Weltspitze heranzuführen, schöpfte dabei nur aus einem sehr kleinen Athletenpool von zumeist ehemaligen Skilangläufern. Seit den 2010er-Jahren gehen die Erfolge chinesischer Sportler aufgrund fehlender finanzieller Förderung stetig zurück. Andere Nationen wie Japan können auch nur punktuell und sporadisch Erfolge vorweisen. Ab 2009 arbeitete Siebert bis kurz vor seinem Tod als verantwortlicher Trainer für die Biathleten von Belarus, was sich besonders in den frühen 2010er-Jahren in bemerkenswerten internationalen Erfolgen auswirkte, insbesondere durch den Gewinn des Gesamtweltcups und dreier Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 2014 durch Darja Domratschawa.
Seit den 2010er Jahren zählt auch die Tschechische Republik zu den erfolgreichen Ländern im Biathlon. Die Biathlon-Weltmeisterschaften 2013, fünf Medaillen bei den Olympischen Spielen 2014 und insbesondere die Biathletin Gabriela Soukalová verhalfen dem Biathlonsport dort zu großer Popularität. 2015 verzeichnete der Weltcup in Nové Město na Moravě die meisten Zuschauer aller ausgetragenen Weltcups.
Neben den klassischen Wintersportländern gibt es zahlreiche Nationen, in denen es nur wenige Athleten gibt. In diesen Ländern spielt der Biathlonsport eine unbedeutende Rolle, die Athleten betreiben den Sport hauptsächlich aus Eigenmotivation. So sind bei manchen Weltcuprennen Athleten aus über 30 Ländern am Start, zu denen beispielsweise Argentinien, Australien, Belgien, Griechenland, Grönland oder Großbritannien gehören. Diese Athleten belegen in aller Regel selten einen Platz in den Punkterängen.
Ausrüstung
Ski und Stöcke
Bis in die späten 1980er-Jahren wurde im klassischen Stil gelaufen, seitdem in der Skating-Technik. Verwendet werden spezielle Skatingski, die etwa 1250 g schwer und ca. 5 cm breit sind. Die Länge der Ski ist abhängig von der Körpergröße des Sportlers und nicht limitiert. Die Bindungen fixieren die Langlaufschuhe etwa in der Mitte des Ski, wobei der hintere Teil des Schuhes bei jedem Schritt vom Ski abgehoben werden kann, um einen besseren Vorschub zu erhalten. Die Skier haben keine Stahlkanten wie Alpinski, weshalb Abfahrten deutlich schwieriger sind. Prinzipiell gelten die gleichen Bauvorschriften wie bei Langlaufskiern.
Die Langlaufstöcke, mit denen sich die Sportler abstoßen, sind schulterhoch.
Gewehr
Bis 1977 wurde bei Biathlonveranstaltungen mit Großkalibergewehren geschossen. Die Schießentfernungen betrugen dabei 100 m (stehend) beziehungsweise 150, 200 und 250 m (liegend). Seit 1978 werden Kleinkalibergewehre verwendet, deren Gewicht mindestens 3,5 kg betragen muss und die nur manuell zu repetieren sein dürfen. Das Abzugsgewicht muss mindestens 500 g betragen. Das Gewehr, anfangs zwischen 5 und 6 kg schwer, inzwischen nur noch rund 3,8 kg bis 4,5 kg, ist samt Munition vom Sportler stetig mitzuführen.
Die norwegische Mannschaft benutzte im Winter 2002/03 erstmals Gewehre, deren Lauf mit einem vibrationshemmenden Überzug versehen ist. Damit kann leichtes Verwackeln ausgeglichen und die Treffsicherheit erheblich verbessert werden. Am Arm kann ein schmaler Riemen getragen werden, der zur Stabilisierung beim Liegendschießen (festhaken am Gewehrkolben und straff ziehen) benutzt wird.
Die Visiereinrichtung besteht aus einem manuell verstellbaren Diopter, um Windeinflüsse ausgleichen zu können. Der Diopter darf keine vergrößernde Wirkung besitzen. Das Ringkorn am vorderen Ende des Laufes ist auswechselbar, um auf die Lichtverhältnisse reagieren zu können. Bei schlechter Sicht kommt z. B. ein sogenanntes Nebelkorn zum Einsatz. Dieses hat eine größere Öffnung, damit mehr Licht einfallen kann und die Sicht verbessert wird.
Größe und Beschaffenheit des Schaftes sind den Sportlern freigestellt. Diese werden individuell für jeden Athleten angefertigt und ideal an dessen Körper angepasst. Sonderwünsche wie Fächer für Werkzeug oder Ersatzmunition können eingearbeitet werden. Holz ist der am meisten verbreitete Werkstoff für einen Schaft, es kommen jedoch auch moderne Werkstoffe wie Carbon zum Einsatz. Die Formen für Rechts- bzw. Linksschützen unterscheiden sich nur darin, dass die Waffen spiegelverkehrt ausgeführt sind. Es gibt dabei jedoch auch Sonderformen, die seitens der IBU zugelassen sind. Nach einer Augenoperation konnte die belarussische Athletin Nadseja Skardsina ihr rechtes Auge nicht mehr wie gewohnt zum Anvisieren der Zielscheiben nutzen. Um jedoch nicht alle Abläufe, die sie sich über Jahre hinweg erarbeitet hat, neu erlernen zu müssen, schießt Skardsina weiterhin als Rechtsschützin, visiert allerdings mit dem linken Auge an. Dafür wurde ein speziell geformter Schaft aus Carbon angefertigt.
Die farbliche und optische Gestaltung der Waffe ist den Sportlern freigestellt. Einschränkungen seitens des Reglements gibt es jedoch für Anzahl und Größe der Werbeflächen auf der Waffe.
Munition
Die Munition hat das Kaliber .22 lr, was einem Durchmesser von 5,6 mm entspricht. Das Geschoss darf eine Mündungsgeschwindigkeit von 360 m/s nicht überschreiten und muss zwischen 2,55 und 2,75 Gramm wiegen.
Die Munition ist speziell auf den Einsatz bei niedrigen Temperaturen abgestimmt. Zudem testen die Athleten lang vor Saisonbeginn ihre Waffe in Verbindung mit unterschiedlicher Munition ihres Herstellers, um die Charge mit der geringsten Streuung festzustellen. Diese Versuche werden zum Teil auch in Kältekammern durchgeführt, um auch das Schießen bei Minusgraden zu simulieren.
Schießstand und Zielscheiben
Schießstand
Für internationale Wettkämpfe wie dem Weltcup oder dem IBU-Cup schreibt die IBU einen Schießstand mit 30 Schießbahnen vor, die jeweils zwischen 2,75 und 3 m breit sein müssen. Durchnummeriert sind die Schießbahnen von rechts nach links, Stand 1 befindet sich also am rechten Rand des Schießstandes. Bei Einzel- und Sprintrennen sind die Bahnen 1 bis 15 für das Liegend- und die Bahnen 16 bis 30 für das Stehendschießen vorgesehen. Bei diesen beiden Rennen bleibt den Athleten die Wahl der Schießbahn selbst überlassen. In den Verfolgungs-, Massenstart- und Staffelrennen erfolgt die Zuteilung der Schießbahnen durch die Reihenfolge des Ankommens am Schießstand. Der führende Athlet schießt somit auf Bahn 1, alle anderen Athleten füllen den Schießstand entsprechend ihrer aktuellen Position im Rennen nach links auf. Eine Sonderregelung gibt es für die Massenstart- und Staffelrennen, wo die einzunehmende Schießbahn beim ersten Schießen der Startnummer des Athleten entspricht. Notwendig ist dies, da die Zeitabstände bei diesem Punkt des Rennens noch sehr gering sind und so nicht immer eine eindeutige Reihenfolge gegeben ist.
Zielscheiben und Schießen
Geschossen wird auf je fünf Scheiben pro Schussbahn, die in einer Entfernung von 50 m angebracht sind. Der zu treffende Bereich einer Scheibe beträgt im Durchmesser 4,5 cm (liegend) bzw. 11,5 cm (stehend), Treffer werden durch Verdecken der schwarzen Scheibe angezeigt. Hier sind im Weltcup zwei verschiedene Systeme zugelassen. Ein elektrisches System registriert das Auftreffen des Projektils auf die Zielscheibe und beim Überschreiten eines vorher definierten Grenzwertes wird die Zielscheibe durch eine weiße Blende verdeckt. Es können auch sog. „Randtreffer“, bei denen nur ein Teil des Projektils das Ziel trifft, den Mechanismus auslösen, sofern die Aufprallenergie ausreicht. Das „Kurvinen-System“ aus Finnland arbeitet rein mechanisch. Dabei ist das Ziel frei drehbar gelagert und fest mit einer Blende verbunden. Trifft das Projektil auf das Ziel bzw. reicht bei einem Randtreffer die verbleibende Energie aus, dann klappt das Ziel nach hinten und die Blende nach oben. Das Verfehlen einer Scheibe wird entweder mit einer Strafrunde von 150 Metern (Staffeln, Massenstart, Verfolgung und Sprint) bzw. 75 Metern (Single-Mixed-Staffel) oder einer Strafzeit von einer Minute (Einzelwettkampf) bestraft. Je nach Laufstärke des Athleten kann pro Strafrunde von einer Laufzeit von 20 bis 30 Sekunden ausgegangen werden.
In welcher Reihenfolge der Athlet auf die zu treffenden Scheiben schießt, bleibt ihm selbst überlassen. Die meisten Athleten schießen dabei Scheibe für Scheibe von links nach rechts bzw. von rechts nach links durch. Bei einem Fehlschuss wird meistens die Reihenfolge beibehalten und zur nächsten Scheibe übergegangen, seltener wird auf die bereits einmal verfehlte Scheibe nochmals gezielt. Einige Athleten weichen bei ihren Schießeinlagen von diesem Muster ab und schießen eine eigene Reihenfolge. Eine Möglichkeit ist hierbei, nach drei Schüssen nicht auf die vorletzte, sondern die letzte Scheibe zu schießen und danach erst auf die vorletzte. Manche Athleten wählen vollkommen untypische Schießbilder und beginnen etwa in der Mitte der Scheiben. Dadurch wird der lineare Schießrhythmus unterbrochen, nach Überzeugung mancher Athleten wird dadurch die Konzentration auf die einzelnen Schüsse erhöht. Nicht immer führt dies jedoch zu einer besseren Trefferleistung.
Regelwerk
Für jede nicht gelaufene Strafrunde, die gelaufen hätte werden müssen, wird der Athlet mit einer Zeitstrafe von zwei Minuten bestraft, die dann nachträglich auf seine Gesamtzeit addiert wird. Bei jeder Schießeinlage müssen auf jeden Fall alle fünf Patronen abgefeuert werden. Sollte ein Athlet den Schießstand vor dem Abfeuern der fünf Patronen wieder verlassen, wird er pro nicht abgefeuerter Patrone mit einer Zeitstrafe von zwei Minuten bestraft. Gleiches gilt für die Staffel, wo der Athlet den Schießstand erst verlassen darf, wenn er entweder alle fünf Scheiben getroffen oder alle drei Nachlader aufgebraucht hat. Es ist also nicht möglich, das Schießen komplett auszulassen und dafür fünf Strafrunden zu laufen, da dies eine Zeitstrafe von zehn Minuten bedeuten würde.
Gelegentlich kann es vorkommen, dass ein Athlet nicht auf die zu seiner Schießbahn gehörenden Scheiben, sondern auf die Scheiben einer benachbarten Bahn schießt (sog. "Crossfire"). In diesem Fall werden diese Schüsse nicht als Treffer anerkannt. Schießt auf dieser Bahn ein anderer Athlet, so müssen bei einem Treffer des inkorrekt Schießenden die Scheiben neu aufgezogen werden, damit der korrekt Schießende seine Schießeinlage ungehindert fortsetzen kann. Die bereits zuvor getroffenen Scheiben des korrekt Schießenden werden diesem jedoch als Treffer gezählt. Sollte der inkorrekt schießende Athlet seinen Fehler während des Schießens bemerken, kann er mit den noch ausstehenden Patronen auf die richtigen Scheiben zielen; jeder dieser Treffer wird ihm dann korrekt angerechnet. Bemerkt er seinen Fehler während des Schießens nicht und feuert alle fünf Patronen auf die falschen Scheiben ab, wird ihm diese Schießeinlage mit fünf Fehlern gewertet. Im Einzel wird dem Athleten dafür pro Fehler eine Strafminute angerechnet, in allen übrigen Rennen muss er fünf Strafrunden laufen. Sollte der Athlet die Strafrunden aus Unkenntnis über das falsche Schießen nicht laufen, wird er mit einer Gesamtstrafe von zehn Strafminuten belegt, was ihn dann im Gesamtergebnis aussichtslos auf einen der hinteren Ränge zurückwirft. Dieser Fauxpas kann jedoch nicht nur unerfahrenen Athleten unterlaufen, auch Magdalena Forsberg, Magdalena Neuner, Uschi Disl oder Dmitri Jaroschenko ist dieses Missgeschick während eines Weltcuprennens schon passiert.
In sehr seltenen Fällen kann es zu Falschanzeigen kommen, sodass nicht getroffene Scheiben als Treffer oder eigentlich getroffene Scheiben als Fehler angezeigt werden. Sollte ein Athlet aufgrund einer Falschanzeige zu viele Strafrunden gelaufen sein, wird ihm nachträglich meist eine Zeitgutschrift im Umfang der zu viel gelaufenen Strafrunden zugesprochen. Umgekehrt kann dem Athleten für dadurch zu wenig gelaufene Strafrunden eine Zeitstrafe addiert werden, die in diesem Fall dann jedoch nur den Umfang einer normalerweise für die entsprechende Anzahl an Strafrunden benötigten Zeit hat.
Entwicklung
In den Anfangsjahren wurde auf Papierscheiben und Luftballons geschossen, danach wurden zerbrechliche Glasscheiben verwendet. Ab den Biathlon-Weltmeisterschaften 1981 setzten sich dann die schwarzen Metallscheiben durch, die bei einem Treffer durch den Aufprall automatisch abklappten. Bei den in Skandinavien ausgetragenen Rennen wird auch heute noch dieses System verwendet. Mitte der 1990er-Jahre wurde ein modernes System mit elektromechanischen Scheiben und computerisierter Auswertung der Treffer eingeführt. Dabei wird beim Aufprall des Geschosses auf die schwarze Scheibe mittels eines Sensors ein Impuls ausgelöst, durch den sich eine weiße Scheibe vor die schwarze schiebt und die somit den Treffer anzeigt. Im Biathlon-Weltcup wird meist ein vollelektronischer Schießstand eingesetzt. Der Sensor ermittelt dabei den Aufpralldruck des Geschosses. Erreicht das Geschoss beim Aufprall einen im Regelwerk definierten Wert, so wird der Schuss als Treffer gewertet.
Während für offizielle Wettkämpfe nur noch Metallscheiben zugelassen sind, werden beim so genannten Anschießen, der Vorbereitung auf einen Wettkampf, stets Kartonscheiben verwendet.
Streckenverlauf
Die Wettkampfstrecken bestehen aus einem Streckennetz. Je nachdem, welche Disziplin veranstaltet wird, wird die entsprechende Laufrunde festgelegt. Die kürzesten Runden gibt es im Single-Mixed, die längsten im Einzelwettkampf. Es werden stets mehrere Runden absolviert, an deren Ende jeweils das Stadion liegt.
Die Laufstrecke muss abwechslungsreich gestaltet sein, also abwechselnd aus ansteigenden, ebenen und abfallenden Teilen bestehen. Dabei soll darauf geachtet werden, dass die Strecken zwar anspruchsvoll und selektiv sind, sehr steile und übermäßig lange Anstiege bzw. zu gefährliche Abfahrten jedoch nicht eingebaut werden. Engstellen und schnelle Richtungsänderungen sind möglichst zu vermeiden. Die Differenz zwischen dem höchsten und niedrigsten Punkt der Strecke darf maximal 80 m betragen, wobei der höchste Punkt nur in Ausnahmefällen 1800 m NN überschreiten darf.
Wettkämpfe
Olympische Winterspiele
Bei den ersten Olympischen Winterspielen 1924 in Chamonix wurde der Militärpatrouillenlauf als Vorgänger des heutigen Biathlon am 29. Januar 1924 erstmals vor einer größeren nichtmilitärisch organisierten Öffentlichkeit ausgetragen. Die Zuschauerzahl betrug nach offiziellen Angaben des Französischen Olympischen Komitees 1307 Personen und übertraf damit die Zuschauerzahl aller anderen nordischen Wettbewerbe. Während der Militärpatrouillenlauf heute als Demonstrationsbewerb angesehen wird, gab es zum Zeitpunkt der Austragung der Spiele keine Unterscheidung in originäre und Vorführungswettbewerbe. Auch heute noch wird der Wettbewerb vom IOC in der offiziellen Medaillenstatistik von 1924 geführt.
Bei den Olympischen Winterspielen von 1928, 1936 und 1948 wurde der Wettbewerb als reiner Demonstrationsbewerb in das olympische Programm aufgenommen.
Erst nach der Entwicklung hin zum rein sportlichen Biathlon wurde der Sport auch vom IOC anerkannt. 1960 wurde der Biathlonsport mit dem 20-Kilometer-Lauf der Männer am 21. Februar erstmals ins offizielle Programm der Winterspiele aufgenommen. 1968 mit der 4-mal-7,5-Kilometer-Staffel und 1980 mit dem Sprintwettkampf wurden die nächsten Biathlonwettbewerbe olympisch. Bei den Olympischen Winterspielen 1992 in Albertville feierten dann auch die Biathlon-Frauen ihre olympische Premiere. Die Frauenwettbewerbe werden wie die Männerwettbewerbe gegliedert, jedoch über kürzere Distanzen ausgetragen.
Mit der Aufnahme des Verfolgungslaufes (2002 in Salt Lake City) und des Massenstarts (2006 in Turin) werden bei Olympischen Winterspielen mittlerweile je fünf Wettbewerbe für Männer und Frauen ausgetragen. Damit gehört Biathlon nach Eisschnelllauf und Langlauf (jeweils sechs Wettbewerbe) gemeinsam mit dem alpinen Skisport (jeweils fünf Wettbewerbe) zu den Sportarten mit den meisten ausgetragenen Wettbewerben. Die einzelnen Biathlondisziplinen unterscheiden sich jedoch nicht so stark voneinander wie etwa Kurz- und Langstrecken beim Eisschnelllauf oder Slalom und Abfahrt im Alpinsport. Während sich hier die meisten Athleten auf einzelne Teilbereiche konzentrieren, gibt es beim Biathlon einige Athleten, die an allen Wettbewerben teilnehmen. Seit 2014 zählt auch die Mixed-Staffel zu den Disziplinen.
Weltmeisterschaften
Die ersten Biathlon-Weltmeisterschaften der Männer fanden 1958 im österreichischen Saalfelden statt, die Zahl der Aktiven war mit nur 25 Athleten aus sieben Ländern noch sehr gering. Im Weltmeisterschaftsprogramm war nur der Einzelwettkampf, Staffel und Sprint wurden erst später ins Programm genommen.
Seit 1984 werden die Weltmeisterschaften auch für Frauen veranstaltet, die bis 1988 getrennt von den Weltmeisterschaften der Männer stattfanden. Seit 1989 werden gemeinsame Weltmeisterschaften für Männer und Frauen veranstaltet, das Weltmeisterschaftsprogramm wurde nach und nach um neue Disziplinen (Verfolgung, Massenstart, Mixed-Staffel) erweitert.
Neben den Biathlon-Weltmeisterschaften organisiert die IBU noch Biathlon-Sommerweltmeisterschaften sowie Weltmeisterschaften für Junioren und Jugend. Athleten unter 21 Jahren, die bis zum 31. Dezember der Saison das 19. Lebensjahr vollendet haben, gelten als Junioren, davor als Jugend.
Weltcup
Der Biathlon-Weltcup ist eine vom Biathlon-Weltverband IBU für Männer und Frauen ausgerichtete Wettkampfserie, die jährlich in der Zeit von Ende November bzw. Anfang Dezember bis Mitte März veranstaltet wird. Während bei vielen anderen Wintersportarten die Weltcuprennen für Männer und Frauen an getrennten Orten stattfinden, werden diese im Biathlon an denselben Orten ausgetragen.
Im Laufe der Jahre wurde das Wettkampfprogramm mehrfach erweitert, heute umfasst eine Weltcupsaison in der Regel neun Stationen mit je drei Wettbewerben pro Ort. Die an einem Weltcuport ausgetragenen Rennen finden üblicherweise von Donnerstag bis Sonntag statt. Die Weltcuprennen werden größtenteils in Mittel- und Nordeuropa sowie Russland veranstaltet. Deutsche Austragungsorte sind das oberbayerische Ruhpolding und das thüringische Oberhof. Darüber hinaus finden in manchen Jahren vor allem gegen Ende der Saison Weltcuprennen in Nordamerika oder Asien statt.
Der Weltcup wird bei den Männern seit der Saison 1977/78 und bei den Frauen seit der Saison 1982/83 veranstaltet. Neben dem Gesamtweltcup-Sieger werden auch die Sieger in den unterschiedlichen Disziplinen gekürt. Im Gegensatz zu den von der Fédération Internationale de Ski (FIS) veranstalteten Sportarten zählten die im Rahmen der Biathlon-Weltmeisterschaften ausgetragenen Rennen (und bis 2010 auch jene bei Olympischen Winterspielen) bis 2021 auch in die Weltcup-Gesamtwertung.
Interkontinentale und Kontinentale Wettbewerbe
Jährlich werden weiterhin kontinentale Wettkampfserien und Meisterschaften vorrangig in Europa (IBU-Cup, Europameisterschaften), Nordamerika (NorAm-Cup, Nordamerikameisterschaften), Südamerika (Südamerikameisterschaften) und Asien (Winter-Asienspiele) veranstaltet. Vor allem in Asien haben diese Titelkämpfe einen hohen Stellenwert, die Athleten werden dafür aus den laufenden Weltcups abgezogen. In Europa treten größere Nationen wie Deutschland, Norwegen oder Russland meist nur mit der „zweiten Garnitur“ an, was diese Titelkämpfe etwas abwertet. Somit haben aber auch Nationen Chancen auf vordere Platzierungen, die bei Weltmeisterschaften eher hintere Platzierungen erreichen.
Daneben gibt es auch transnationale und größere Regionen umfassende Wettkämpfe wie den Alpencup, Central European Cup, Baltic Biathlon Cup oder den Open Winter Balkan Cup.
Disziplinen
Der Biathlonsport wird in verschiedenen Disziplinen ausgetragen, die zwar dem gleichen Grundprinzip folgen, sich aber durch unterschiedliche Regeln voneinander unterscheiden. Im Biathlon-Weltcup werden derzeit mit Einzel, Sprint, Verfolgung, Massenstart, Staffel und Mixed- und Single-Mixed-Staffel sieben Disziplinen ausgetragen. Mit Ausnahme der Single-Mixed-Staffel gehören diese Disziplinen auch zum Wettkampfprogramm der Olympischen Winterspiele.
Einzeldisziplinen
Übersicht
Vor den Änderungen des Jahres 1999 hieß der 10 km-Lauf auch Handicap-Rennen: Für jede im Schießen nicht getroffene Scheibe musste die Sportlerin/der Sportler sofort eine zusätzliche Laufrunde von etwa 150–180 m absolvieren, wodurch die reine Laufzeit entsprechend verlängert wurde.
Einzelwettkampf
Standard
Der Einzellauf ist die älteste Biathlondisziplin. Obwohl es heute neben diesem Wettkampf mit Sprint, Verfolgung und Massenstart noch drei weitere Einzeldisziplinen gibt, hat sich der Name „Einzel“ für dieses Rennen bis heute erhalten. Sein Ursprung liegt darin, dass dieses Rennen bis zur Einführung des Sprints der einzige Einzelwettkampf im Biathlon war.
Die Athleten starten einzeln im Abstand von 30 Sekunden. Insgesamt sind fünf Runden zu laufen, nach jeder der ersten vier Runden folgt eine Schießeinlage. Im Einzelwettkampf sind jeweils zwei Liegend- und Stehendschießen zu absolvieren, die bei diesem Wettkampf in abwechselnder Reihenfolge (liegend-stehend-liegend-stehend) bewältigt werden müssen. Jeder Schießfehler wird im Gegensatz zu allen anderen Wettkämpfen nicht mit einer Strafrunde, sondern mit einer Strafzeit von einer Minute geahndet. Dadurch hat in diesem Wettkampf das Schießen eine höhere Priorität als in den anderen Wettbewerben, wo mit einer Strafrunde von rund 26 Sekunden ein Fehler nur etwa halb so schwer wiegt. So kommt es bei diesem Wettkampf hin und wieder zu überraschenden Ergebnissen, da läuferisch schwächere Athleten, die aber gute Schützen sind, hier eine größere Chance auf ein gutes Ergebnis haben. Umgekehrt ist es für läuferisch gute Athleten hier aber schwieriger, die durch einen Schießfehler hinzugekommene Strafzeit im Laufen wieder auszugleichen.
Da die Disziplin Einzelwettkampf die mit Abstand älteste des Biathlonprogramms ist, erfuhr sie in der Frühzeit eine Reihe von Regelentwicklungen. Ursprünglich gab es pro Fehlschuss je zwei Strafminuten. Ab 1960 wurde dann unterschieden zwischen Fehlschüssen (zwei Strafminuten) und Treffern auf den Außenring der Scheibe (eine Strafminute). Die heute gültige Regelung (eine Strafminute pro Fehler) wurde 1980 eingeführt. Außerdem gab es bis Mitte der 1960er-Jahre verschiedene Schießstände mit unterschiedlichen Entfernungen (100 bis 250 m) für die einzelnen Schießprüfungen.
Verkürzter Einzelwettkampf
Bei „außergewöhnlichen Wetter- oder Schneebedingungen“ besteht die Möglichkeit, einen verkürzten Einzelwettkampf durchzuführen. Die Laufstrecken sind dabei auf 15 km bei den Männern und 12,5 km bei den Frauen reduziert, anstatt einer Strafminute wird bei einem Schießfehler nur eine Strafzeit von 45 Sekunden verrechnet. Die kalten Temperaturen Anfang Februar 2019 im kanadischen Canmore waren im Weltcup 2018/19 ausschlaggebend dafür, dass die geplanten Einzelwettkämpfe zum ersten Mal im Biathlonweltcup durch verkürzte Einzelwettkämpfe ersetzt wurden.
Sprint
Anfang der 1970er-Jahre wurde mit dem Sprintwettkampf ein weiterer Biathlonwettbewerb geschaffen. Der Sprint besteht im Gegensatz zum Einzelwettkampf nur aus drei statt fünf Runden und zwei statt vier Schießeinlagen. Da der Sprintwettkampf die einzige Disziplin mit nur zwei Schießeinlagen ist, haben Athleten mit einer schwächeren Schießleistung hier die besten Aussichten auf eine gute Platzierung.
Wie beim Einzelwettkampf starten die Biathleten einzeln in einem 30-Sekunden-Intervall. Nach der ersten Runde wird einmal liegend, nach der zweiten Runde einmal stehend geschossen. Jeder Fehler wird mit einer 150 m langen Strafrunde geahndet.
Das Sprintergebnis ist bei heute ausgetragenen Veranstaltungen oft doppelt wichtig, da durch das erzielte Ergebnis die Startabstände des Verfolgungsrennens bestimmt werden. Mit einem schlechten Ergebnis im Sprintrennen sinken somit auch die Chancen auf ein erfolgreiches Verfolgungsrennen.
Supersprint
Der Supersprint ist die jüngste Wettkampfform des Biathlon und wurde erstmals im IBU-Cup der Saison 2017/18 im russischen Chanty-Mansijsk ausgetragen. Der Wettkampf gliedert sich in ein Qualifikationsrennen und ein Finale.
Im Qualifikationsrennen starten die Athleten in einem Intervall von 15 Sekunden. Es müssen – unabhängig von Geschlecht und Altersklassen – drei Runden zu je 1 km absolviert werden. Wie auch im Sprint wird nach der ersten Runde liegend und nach der zweiten Runde stehend geschossen. Pro Schießeinlage steht den Athleten eine Nachladepatrone zur Verfügung. Für alle Scheiben, die nach maximal sechs abgegebenen Schüssen nicht getroffen wurden, ist eine Strafrunde von 75 m zu laufen. Die besten 30 Athleten qualifizieren sich für das Finale, das am gleichen Tag ausgetragen wird.
Im Finale wird simultan gestartet, die Startposition entspricht dem Ergebnis des Qualifikationsrennen. Es werden – auch hier unabhängig von Geschlecht und Altersklassen – fünf Runden zu je 1 km gelaufen. Es muss viermal geschossen werden, die ersten beiden Male im liegenden, die letzten beiden Male im stehenden Anschlag. Wie auch im Qualifikationsrennen steht pro Schießeinlage eine Nachladepatrone zur Verfügung, die Strafrunde ist ebenfalls 75 m lang. Gewertet wird in der Reihenfolge des Zieleinlaufs.
Verfolgung
Um den Biathlonsport für die Zuschauer attraktiver zu machen, wurde Mitte der 1990er-Jahre das Verfolgungsrennen geschaffen. Während Einzel- und Sprintrennen im Kampf gegen die Uhr ausgetragen werden, messen sich die Athleten in der Verfolgung direkt miteinander. Somit ist der erste Sportler im Ziel zugleich der Sieger des Rennens. Außerdem ergeben sich zusätzliche Spannungsmomente dadurch, dass sich die Athleten auf der Strecke und am Schießstand direkte Duelle liefern.
Im Verfolgungsrennen werden insgesamt fünf Runden gelaufen. Es müssen je zwei Schießprüfungen im Liegend- und Stehendschießen absolviert werden, wobei für jeden Fehlschuss sofort eine Strafrunde gelaufen werden muss. Im Gegensatz zum Einzelwettkampf finden die Schießeinlagen hier nicht in abwechselnder Reihenfolge statt, sondern zunächst die beiden Liegend- und dann die beiden Stehendschießen.
Startberechtigt für die Verfolgung sind die besten 60 Athleten des vorausgegangenen Sprintwettbewerbes, der normalerweise als Qualifikation für das Verfolgungsrennen dient. Die Startreihenfolge und Startintervalle der Verfolgung richten sich nach den im Sprintrennen erzielten Zeiten. In seltenen Fällen kann auch das Einzelrennen als Qualifikation für die Verfolgung dienen. Ist dies der Fall, werden die Rückstände der Athleten auf den Sieger halbiert, da die Strafminute im Einzel etwa doppelt so schwer wiegt wie die Strafrunde im Sprint.
Der Erstplatzierte des Sprints wird als Erster des Verfolgungsrennens in den Wettkampf geschickt und die Zeitnahme für alle Athleten beginnt zu diesem Zeitpunkt. Die anderen Athleten folgen entsprechend ihrem Zeitabstand zum Sieger im Sprintrennen. Startet ein Läufer also beispielsweise mit einer Minute Rückstand auf den Führenden, so muss er im Rennen eine Minute schneller sein als dieser, um am Ende die gleiche Zeit zu erreichen. Hat ein Athlet aus dem Sprintrennen von Beginn an einen großen Rückstand auf den Führenden, sind vordere Platzierungen nur noch schwierig zu erreichen.
Massenstart
Mit dem Massenstart wurde Ende der 1990er-Jahre nach Einzel, Sprint und Verfolgung die vierte Individualdisziplin eingeführt. Der Hauptunterschied zu allen anderen Einzeldisziplinen besteht darin, dass die 30 teilnehmenden Athleten alle gleichzeitig starten ("als Masse" bzw. "in der Masse"). Diese 30 Athleten sind bei Weltcuprennen seit der Saison 2010/11 zum Zeitpunkt des Wettkampfs die Top-25 des aktuellen Gesamt-Weltcupstandes, die übrigen fünf Plätze werden an Wettkämpfer in Reihenfolge der Punkte, die sie in der laufenden Weltcupveranstaltung erzielt haben, aufgefüllt. Sind die letzten qualifizierten Wettkämpfer punktgleich, qualifiziert sich derjenige, der in der Weltcup-Gesamtwertung am besten platziert ist. Fehlen Wettkämpfer von den 25 Bestplatzierten, werden die Plätze in der Reihenfolge der Platzierungen in der aktuellen Weltcup-Gesamtwertung aufgefüllt. Bis zu dieser Saison starteten die 30 Bestplatzierten des Gesamtweltcups. Bei den Olympischen Winterspielen und Biathlon-Weltmeisterschaften haben die Athleten, die bis zum Zeitpunkt des Massenstarts schon Medaillen gewonnen haben, sofortiges Startrecht. 15 weitere Startplätze werden nach dem Weltcupstand vergeben. Die restlichen Plätze erhalten die erfolgreichsten Athleten der jeweiligen Wettkämpfe, die noch keine Medaille gewonnen haben.
Ansonsten entsprechen die Regeln des Massenstartwettkampfes denen der Verfolgung. Insgesamt werden fünf Runden gelaufen, die im Vergleich zur Verfolgung bei den Senioren jedoch etwas länger sind. Nach jeder der ersten vier Runden folgt eine Schießeinlage. Wie bei der Verfolgung finden auch im Massenstart zunächst zwei Liegend- und danach zwei Stehendschießen statt. Nach jedem Fehlschuss muss der Athlet eine Strafrunde absolvieren. Da die Athleten zunächst bis 2015 in drei Reihen zu je zehn Läufern und über die ersten 100 Meter im klassischen Langlaufstil starten, wurde für die Durchführung eines Massenstartwettkampfes eine breite Starttrasse benötigt. Aus diesem Grund konnte dieser Wettbewerb nicht an allen Veranstaltungsorten ausgetragen werden. Zur Saison 2014/2015 wurde die Startphase des Wettbewerbs geändert. Von nun an starteten die Athleten in zehn Dreierreihen, das Laufen in freier Technik war vom Start weg erlaubt.
Massenstart 60
Zur Saison 2018/19 wurde der Massenstart 60 in die Veranstaltungs- und Wettkampfregeln der IBU aufgenommen. In diesem Wettkampf können anstatt 30 nun 60 Athleten gemeinsam auf die Strecke gehen. Anstatt fünf werden sechs Laufrunden absolviert. Nach der ersten Runde absolvieren die ersten 30 Athleten das erste Schießen im liegenden Anschlag während die restlichen 30 eine weitere Runde laufen. Nach der dritten Runde folgt für alle Athleten die zweite Schießeinlage, die Abfolge am Schießstand entspricht der eines Verfolgungswettkampfes. Bislang wurde der Massenstart 60 noch nicht in den Wettkampfkalender des Weltcups aufgenommen, der erste Massenstart 60 wurde im Rahmen des IBU-Cups 2018/2019 am 17. März 2019 in Martell ausgetragen.
Mannschaftsdisziplinen
Übersicht
Staffel
Obwohl es sich bei Biathlon um eine Einzelsportart handelt, werden ähnlich wie in der Leichtathletik Staffelwettkämpfe durchgeführt. Bei internationalen Wettkämpfen besteht eine Staffel meist aus vier Athleten einer Nation und eines Geschlechts, die nacheinander eine Strecke von drei Runden zu absolvieren haben. Vor allem im Jugendbereich, zum Teil aber auch bei Wettbewerben auf kontinentaler Ebene kommen auch Staffeln mit nur drei Läufern zum Einsatz. Die Startläufer starten gemeinsam in einem Massenstart. Hat ein Läufer seine Strecke absolviert, übergibt er in einer 40 m langen Wechselzone an den nächsten Läufer seines Teams. Dabei muss ein beliebiger Körperkontakt der beiden Läufer stattfinden. Berührungen durch Skistöcke oder andere Gegenstände zählen nicht.
Der Staffelwettbewerb besteht pro Athlet aus je einem Liegend- und einem Stehendschießen, insgesamt also aus vier Liegend- und vier Stehendschießen (bzw. drei bei Juniorinnen und Jugend). Im Gegensatz zu den anderen Wettbewerben stehen den Athleten hier maximal drei Nachladepatronen zur Verfügung, um beim ersten Mal nicht getroffene Scheiben doch noch treffen zu können. Pro Nachlader werden etwa zehn zusätzliche Sekunden benötigt. Maximal hat jeder Athlet also acht Patronen, um die fünf Scheiben zu treffen. Für jede dann nicht getroffene Scheibe muss eine Strafrunde gelaufen werden. Diese spezielle Regelung für das Staffelrennen wurde bereits im Jahre 1967 eingeführt. Da ein Fehler im Staffelrennen dadurch weniger schwer wiegt als in den anderen Disziplinen, wird von manchen Athleten deutlich schneller und risikoreicher geschossen. So sind die gelegentlich etwas schwächeren Schießergebnisse in den Staffelrennen zu erklären.
Gemischte Staffeln
Seit den frühen 1990er-Jahren werden immer wieder verschiedene Mannschaftswettbewerbe erprobt, die den Biathlonsport attraktiver machen sollen.
Mixed-Staffel
Im Weltcup und bei Weltmeisterschaften wird seit dem Jahr 2005 die Mixed-Staffel (auch: Gemischte Staffel) über 2 × 6 km und 2 × 7,5 km ausgetragen, wobei je zwei Positionen von Frauen und Männern besetzt werden. Die Regeln für eine Staffel bezüglich Nachladepatronen und Strafrunden bleiben unverändert. Ab dem Winter 2018/19 kann von der Startreihenfolge Frauen/Männer abgewichen werden. So ist es auch möglich, dass die Männer die ersten beiden und die Frauen die letzten beiden Positionen besetzen. Ab der Saison 2019/20 bestimmt die Startreihenfolge auch die Streckenlänge. Beginnen die Frauen, beträgt die Laufstrecke für die Männer auch 6 km. Beginnen die Männer, beträgt die Laufstrecke für alle Wettkämpfer 7,5 km.
Einer der Gründe neben der herkömmlichen Staffel einen derartigen Wettbewerb einzuführen, stellte die Tatsache dar, dass viele Nationen zwar sowohl im Herren- als auch im Damenbereich über gute Einzelathleten verfügen, jedoch keine konkurrenzfähige Staffel mit vier starken Athleten eines Geschlechts stellen können. Für diesen Wettbewerb wurde im Rahmen des Weltcupfinales 2005 in Chanty-Mansijsk erstmals eine eigene Mixed-Weltmeisterschaft ausgetragen, seit 2007 gehört die Disziplin zum Wettkampfprogramm offizieller Biathlon-Weltmeisterschaften und Olympiaden.
Single-Mixed-Staffel
Die Single-Mixed-Staffel (auch: Einfache gemischte Staffel) wurde erstmals am 6. Februar 2015 im tschechischen Nové Město im Rahmen eines Weltcups ausgetragen. Anders als bei der Mixed-Staffel bilden hier nur eine Frau und ein Mann pro Nation eine Mannschaft. Eine Laufrunde beträgt 1,5 km, die Strafrunde jedoch nur 75 m. Nach zwei Laufrunden übergibt die Frau direkt nach dem zweiten Schießen an das männliche Teammitglied. Dieser muss erneut 2 × 1,5 km zurücklegen und übergibt auch direkt nach dem zweiten Schießen wieder an die Frau. Diese muss insgesamt 6 km absolvieren, der Mann läuft nach seinem vierten und letzten Schießen noch eine zusätzliche Runde von 1,5 km, bevor er die Ziellinie erreicht. Daraus ergibt sich pro Athlet in Summe die gleiche Gesamtstrecke wie in den übrigen Staffeln. Während der Wartezeit dürfen die Skier der Athleten neu präpariert werden, ein Tausch ist jedoch nicht erlaubt.
Wie auch in der Gemischten Staffel ist seit dem Winter 2018/19 möglich, dass die Männer die Staffel starten und die Frauen diese beenden. Im Fall der einfachen gemischten Staffel bedeutet dies jedoch, dass die Männer nur eine Laufstrecke von 6 km, die Frauen jedoch die längere Laufstrecke von 7,5 km absolvieren müssen.
Sonstige
Ein weiteres Beispiel der Gemischten Staffel ist die seit 2002 in der Veltins-Arena (Gelsenkirchen) ausgetragene World Team Challenge. Dabei laufen gemischte Staffeln, bestehend aus je einem Mann und einer Frau in mehrfachem Wechsel über eine Distanz von 15 km. Im Gegensatz zum Weltcup sind Staffeln mit Athleten unterschiedlicher Nationen bei der World Team Challenge erlaubt.
Im Rahmen der Deutschen Biathlon-Meisterschaften, die aufgrund der vorsaisonalen Lage im September/Oktober immer auf Rollskiern stattfinden, werden auch Mixed-Staffeln durchgeführt, welche aus zwei männlichen Akteuren und einer weiblichen Teilnehmerin bestehen. Diese haben dann jeweils den Umfang eines Sprintrennens durchzuführen.
Mannschaftswettkampf
In den 1990er-Jahren wurde versucht, mit dem Mannschaftswettkampf neben dem Staffelrennen einen weiteren Mannschaftswettbewerb zu etablieren. Im Gegensatz zur Staffel liefen die Athleten jedoch nicht nacheinander, sondern gemeinsam.
Eine Mannschaft wurde von vier Athleten einer Nation gebildet, die geschlossen eine aus fünf Runden bestehende Distanz von 20 Kilometern (Männer) beziehungsweise 15 Kilometern (Frauen) laufen musste. Es waren vier Schießprüfungen zu absolvieren (liegend-stehend-liegend-stehend), wobei bei jeder Schießeinlage nur ein Athlet auf die fünf Scheiben schießen durfte. Die restliche Mannschaft wartete auf das Schussende, für jeden Fehlschuss wurde gemeinsam eine Strafrunde von hier 300 Metern gelaufen. Die Zeitnahme im Ziel wurde jeweils vom letzten Mannschaftsmitglied ausgelöst, der Abstand zwischen dem ersten und dem letzten Läufer durfte nicht mehr als 50 Meter oder 15 Sekunden betragen.
Die Regeln dieses Wettbewerbs wurden mehrfach geändert, trotzdem konnte sich der Mannschaftswettkampf nicht durchsetzen. Nach der Einführung des Massenstartrennens Ende der 1990er-Jahre wurde der Mannschaftswettkampf nicht mehr veranstaltet.
Doping
Im Vergleich zu anderen Ausdauersportarten wird beim Biathlonsport seltener über Dopingfälle berichtet. Trotzdem gab es im Profibereich im Laufe der Jahre einige Dopingvergehen und -vorwürfe, die zu unterschiedlichen Konsequenzen und Maßnahmen führten.
Nachgewiesene Dopingmittel
In der Saison 2002/03 wurde die Russin Albina Achatowa positiv auf Nikethamid getestet. Die verbotene stimulierende Substanz wurde in der B-Probe des Staffel-Weltcuprennens vom 24. Januar nachgewiesen. Eine russische Mannschaftsärztin hatte Achatowa unmittelbar nach dem Zieleinlauf und noch vor der Dopingkontrolle das Medikament Cordiamini gespritzt, in dem die Substanz enthalten ist. Achatowa war nach dem Zieleinlauf zusammengebrochen, das Medikament diente nach Aussage der Ärztin dazu, Achatowas Kreislauf zu stabilisieren. Obwohl Nikethamid auf der Dopingliste der IBU steht, wurde das Vergehen der russischen Mannschaftsärztin angelastet und Achatowa nicht mit einer Sperre bestraft. Die Ärztin wurde von der IBU für drei Monate gesperrt, außerdem entzog die IBU dem russischen Verband die Zuschüsse von 50.000 Euro für ein Jahr.
Während der Olympischen Winterspiele 2006 in Turin wurde der Russin Olga Pyljowa in einer positiven A- und B-Probe, die ihr nach dem Einzelrennen am 13. Februar 2006 entnommen wurde, das Stimulationsmittel Carphedon nachgewiesen. Nach eigener Aussage habe Pyljowa, nachdem sie vor dem Verfolgungsrennen am 13. Januar 2006 in Ruhpolding umgeknickt war, von ihrer Privatärztin Phenotropile-Tabletten verabreicht bekommen. Am Nachmittag des 16. Februar 2006 wurde Pyljowa vom IOC disqualifiziert und von den Olympischen Winterspielen ausgeschlossen. Außerdem wurde ihr die am 13. Februar 2006 im Einzelrennen erreichte Silbermedaille aberkannt. Die IBU sperrte Pyljowa am 17. Februar 2006 für zwei Jahre bis zum 12. Februar 2008.
Zu einem ständig wiederkehrenden Thema entwickelte sich Doping in der Saison 2007/08. Bereits zu Beginn wurde der Wechsel der ehemaligen finnischen Skilangläuferin Kaisa Varis zum Biathlon kritisch gesehen. Nach dem Nachweis des EPO-Dopings im Jahre 2003 und einer zweijährigen Sperre wechselte die Finnin im Sommer 2006 zum Biathlon, da sie vom finnischen NOK im Langlauf nicht für die Olympischen Winterspiele 2006 nominiert worden war. In der Weltcupsaison 2007/08 startete Varis erstmals regelmäßig im Weltcup und gewann am 11. Januar 2008 überraschend das Sprintrennen in Ruhpolding. Am 24. Januar wurde bekannt, dass die nach dem Massenstartrennen von Oberhof am 6. Januar entnommene Urinprobe positiv auf EPO getestet worden war. Nachdem auch die B-Probe ein positives Ergebnis lieferte, wurde Varis als Wiederholungstäterin am 11. Februar 2008 von der IBU lebenslang gesperrt und alle ab dem Massenstart von Oberhof erreichten Ergebnisse annulliert. Zwischenzeitlich wurde die Sperre jedoch wieder aufgehoben.
Auch 2009 waren drei Biathleten positiv getestet worden. Dmitri Jaroschenko, Jekaterina Jurjewa und erneut Albina Achatowa wurden beim Weltcupauftakt in Östersund positiv getestet, was allerdings erst im Verlauf der Saison durch neue Testmethoden nachgewiesen werden konnte.
Bei den Olympischen Winterspielen 2014 wurde bei der deutschen Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle in der A- und B-Probe das verbotene Mittel Methylhexanamin nachgewiesen. Sachenbacher-Stehle gab an, das Mittel unbewusst über ein Nahrungsergänzungsmittel, welches sie von einem privaten Ernährungsberater erhielt, aufgenommen zu haben.
Dopingverdacht
Für weiteres Aufsehen sorgte die während der Olympischen Spiele am 18. Februar 2006 im Mannschaftsquartier der österreichischen Biathleten durchgeführte Razzia. Bei den Biathleten Wolfgang Perner und Wolfgang Rottmann wurden dabei Spritzen, Medikamente und Apparate für Transfusionen und Bluttests gefunden. Nach der Durchsuchung reisten beide Athleten aus Italien ab, woraufhin sie aus der österreichischen Olympia-Mannschaft ausgeschlossen wurden. Am 24. Februar teilte das IOC mit, dass die entnommenen Proben aller zehn getesteten österreichischen Sportler negativ seien. Obwohl beide Biathleten ihre Unschuld beteuerten, erklärten sie im März 2006 ihren Rücktritt vom Leistungssport. Rund ein Jahr nach den Olympischen Spielen entschied das IOC am 25. April 2007, Rottmann und Perner die in Turin erzielten Ergebnisse abzuerkennen und beide Athleten lebenslang von der Teilnahme an weiteren Olympischen Spielen auszuschließen. In seinem Abschlussbericht im Juli 2007 bestätigte der Österreichische Skiverband, dass Rottmann und Perner Blutdoping betrieben hätten und schloss beide Athleten ebenfalls lebenslang aus. Im Januar 2008 verhängte die IBU zudem eine Sperre für Rottmann bis zum 15. Juli 2009.
Verdächtigung deutscher Biathleten
Betroffen von Dopingvorwürfen und -verdächtigungen war in der Saison 2007/08 auch die deutsche Mannschaft. Am 9. Januar 2008 berichtete der österreichische Kurier erstmals über die Wiener Blutbank Humanplasma, bei der Athleten unterschiedlicher Sportarten Blutdoping betrieben haben sollen. Nach Berichten der ARD seien darunter deutsche Biathleten, die teilweise zur Weltspitze gehören. Da weder Namen verdächtigter Athleten noch konkrete Beweise veröffentlicht wurden, leitete der Deutsche Skiverband rechtliche Schritte gegen die für die Berichterstattung der ARD verantwortlichen Journalisten ein. Hajo Seppelt, Dopingexperte der ARD, relativierte daraufhin, es handele sich „eher um zurückliegende Fälle“, weiterhin stehe „der DSV momentan nicht im Verdacht, aktiv Blutdoping unterstützt oder seine Athleten nach Wien geschickt zu haben“. Zu Beginn der Übertragung aus Antholz am 17. Januar entschuldigte sich ARD-Moderator Michael Antwerpes für „journalistische Fehler“ bei der ARD-Berichterstattung. Vor dem Beginn der Weltmeisterschaften in Östersund versicherten die Biathleten des DSV in einer eidesstattlichen Erklärung, nie Kontakt zu der verdächtigten Wiener Blutbank gehabt zu haben.
Für erneutes Aufsehen sorgte eine anonyme Anzeige beim österreichischen Bundeskriminalamt und der Wiener Staatsanwaltschaft, die per E-Mail auch mehreren österreichischen Journalisten zugestellt worden sein soll. Die Anzeige richte sich gegen bei der Wiener Blutbank Humanplasma tätige Ärzte. Erstmals berichtete die Tiroler Tageszeitung am 14. Februar 2008 über die Anzeige, in der sowohl aktive als auch ehemalige deutsche und österreichische Biathleten als Kunden der Wiener Blutbank genannt werden. Der ehemalige österreichische Skiläufer Stephan Eberharter sowie zwei Redakteure der österreichischen Zeitung Kurier, die in der Anzeige als Zeugen genannt worden waren, dementierten jegliche Verwicklungen. Der DSV erstattete Anzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung. Pressesprecher Stephan Schwarzbach kündigte an, dass alle deutschen Athleten eine eidesstattliche Erklärung abgeben werden, niemals Doping betrieben zu haben oder zu betreiben.
Legale Leistungssteigerung
Im Training der Schießkomponente im Spitzensport wird Neurofeedback eingesetzt, um bei Sportarten mit hohen Gleichgewichtskomponenten und ruhiger Hand (z. B. Sportschießen, Bogenschießen, Biathlon) sicher zu treffen. Die Ruhe beim Schießen trotz der hohen Pulsfrequenz aufgrund der unmittelbar vorhergehenden Ausdauerleistung stellt dabei eine besondere Herausforderung beim Biathlon dar.
Verwandte Sportarten
Neben dem Biathlonsport als Kombination aus Skilanglauf und Schießen gibt es einige weitere verwandte Sportarten.
Der Sommerbiathlon ist eine Kombination aus Laufen bzw. Rollskilaufen und Schießen. In Deutschland werden Wettkämpfe ohne den Einsatz von Skirollern unter anderem vom Deutschen Schützenbund organisiert. Die Priorität dieser Wettkämpfe liegt meist beim Laufen und weniger beim Schießen. Es werden auch Weltcups und Europacups veranstaltet, die jedoch in der Öffentlichkeit kaum Beachtung finden. Die Weltmeisterschaften wurden bis 2009 von der IBU organisiert, seit 2011 gibt es nur noch Europameisterschaften in dieser Teildisziplin.
Rollskibiathlon ist eine Variante des Sommerbiathlons, die vor allem von Winterbiathleten im Sommertraining betrieben wird. Der Modus der Wettkämpfe ist vergleichbar mit den Rennen im Winter, nur dass hierbei Rollski zum Einsatz kommen. Jährlich werden Sommerbiathlon-Weltmeisterschaften veranstaltet, die Deutschen Meisterschaften im Biathlon werden jedes Jahr im September vom DSV veranstaltet.
Die Regeln beim Bogenbiathlon sind ähnlich jenen des eigentlichen Winterbiathlons. Geschossen wird jedoch mit Pfeil und Bogen. Die Wettkämpfe wurden ursprünglich ebenfalls von der IBU organisiert. Seit dem 1. April 2005 ist der Internationale Bogensportverband (FITA) für diese Sportart verantwortlich.
Das Bogenlaufen ist eine Kombination aus Laufen und Bogenschießen.
Beim Motorradbiathlon handelt es sich um eine Kombination aus Motocross und Schießen. Dieser Sport wird vor allem im Osten Deutschlands betrieben.
Bikebiathlon ist die Kombination aus Mountainbiken und dem für Biathlon typischen Schießen. Hierbei werden auf Geländestrecken die Wettkampfdisziplinen des Biathlon, also Sprint, Verfolgung und Mixed-Staffel, nachempfunden.
Der moderne Biathlon ist die Kombination einer modernen Ausdauersportart (Cross-Skating, Mountainbiken oder Crosslaufen) mit Lichtpunktgewehrschießen.
Trotz der Namensähnlichkeit ist Biathlon nicht mit Biathle (Kombinationssportart Laufen-Schwimmen-Laufen) verwandt.
Siehe auch
Liste von Biathlonstrecken
Literatur
Wilfried Hark: Biathlon – verständlich gemacht. Copress Verlag, München 2001, ISBN 3-7679-0547-7.
Patrick Reichelt: Biathlon – Eine Erfolgsgeschichte. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2005, ISBN 3-89533-496-0.
Weblinks
biathlonworld.com – Offizielle Seite der IBU
biathlon-news.de – Deutsche Biathlonseite
biathlon.com.ua – Ukrainische Biathlonseite
Einzelnachweise
Schießsportdisziplin
Mehrkampfsportart
Skisportart
Militärsport
Olympische Sportart
Wintersportart
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Q166788
| 242.104364 |
11925435
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https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdindien
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Südindien
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Südindien ist eine Region, die aus dem südlichen Teil Indiens besteht und die Bundesstaaten Andhra Pradesh, Karnataka, Kerala, Tamil Nadu und Telangana sowie die Unionsterritorien Lakshadweep und Puducherry umfasst, die 19,3 % der Fläche Indiens und knapp 20 % der indischen Bevölkerung ausmachen.
Aufgrund der sozialen, sprachlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten wurden bereits Forderungen nach einer verstärkten Autonomie und Unabhängigkeit Südindiens und der hier lebenden Draviden laut. Diese reichen bis zur Forderung nach einem eigenen Staat mit dem Namen Dravida Nadu.
Geografie
Das in hohem Maße von Granitgestein dominierte Südindien erstreckt sich über den südlichen Teil des Dekkan-Hochlands und wird im Osten vom Golf von Bengalen, im Westen vom Arabischen Meer und im Süden vom Indischen Ozean begrenzt. Manche sehen auch den nördlichen Teil des Dekkan (Bundesstaat Maharashtra) aufgrund seiner geologischen Ähnlichkeiten als zu Südindien gehörig. Die Grenze zwischen Nord- und Südindien würde dann von den in Ost-West-Richtung verlaufenden Flüssen Purna und Tapti bzw. von den Gebirgsketten des Satpuragebirges und des Vindhyagebirges gebildet. Die Region ist geografisch sehr vielfältig und wird von zwei Gebirgsketten – den West- und Ostghats – begrenzt, die in Teilen an die Hochebene grenzen. Die Region verfügt über ein feuchttropisches Klima und eine vielfältige Flora und Fauna mit bedeutenden Urwaldflächen.
Fauna
In Südindien leben die seltenen Nilgiri-Tahre und Nilgiri-Languren sowie die vom Aussterben bedrohten Bartaffen.
Bundesstaaten und Unionsterritorien
Südindien gliedert sich in 5 Bundesstaaten:
Andhra Pradesh
Karnataka
Kerala
Tamil Nadu
Telangana
und zwei Unionsterritorien:
Lakshadweep
Puducherry
Bedeutende Städte
Wichtige Bevölkerungs- und Wirtschaftszentren sind:
Bengaluru
Chennai
Hyderabad
Coimbatore
Kochi
Visakhapatnam
Thiruvananthapuram
Madurai
Vijayawada
Kozhikode
Mysuru
Tiruchirappalli
Geschichte
Die Kohlenstoffdatierung zeigt, dass Aschehügel, die mit jungsteinzeitlichen Kulturen in Südindien in Verbindung gebracht werden, auf die Zeit um 8000 v. Chr. zurückgehen. Der Süden Indiens war die meiste Zeit seiner Geschichte in verschiedene hinduistische Kleinkönigreiche und Fürstentümer aufgespalten, unter denen das Pallava- und das Chola-Reich hervorstechen, deren Blütezeiten vom 6. bis zum 9. beziehungsweise vom 9. bis zum 13. Jahrhundert dauerten. Auf die Chola folgte von etwa 1350 bis 1550 das Vijayanagar-Reich, welches eine Hegemonie über den Süden Indiens errichten konnte. Nach wiederholten Invasionen durch das Sultanat von Delhi und dem Fall des Vijayanagar-Reiches im Jahr 1646 wurde der Norden der Region von den Dekkan-Sultanaten, dem Maratha-Reich und diversen Kleinstaaten dominiert.
Die Portugiesen fanden Ende des 15. Jahrhunderts einen Seeweg nach Indien und errichteten in der Folgezeit Stützpunkte an der Küste, um den Handel zu kontrollieren und die Versorgung ihrer Schiffe und Mannschaften sicherzustellen; ins Binnenland drangen sie nicht vor. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts lieferten sich Franzosen und Briten einen langwierigen Kampf um die militärische Kontrolle über Südindien. Nach der Niederlage von Tipu Sultan im Vierten Mysore-Krieg (1799) und dem Ende der Vellore-Meuterei (1806) festigten die Briten ihre Macht über einen Großteil des heutigen Südindiens, mit Ausnahme des französischen Pondichéry (Puducherry). Das britische Weltreich übernahm im Jahr 1857 die Kontrolle über die Region von der Britischen Ostindien-Kompanie. Während der britischen Kolonialherrschaft wird die Region neu unterteilt, wobei die Fürstenstaaten Mysore und Hyderabad eine gewisse regionale Bedeutung aufwiesen.
Nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 wurde die Region in vier Bundesstaaten aufgeteilt: Madras, Mysore, Hyderabad und Travancore-Cochin. Mit dem States Reorganisation Act von 1956 wurden die Bundesstaaten nach sprachlichen Gesichtspunkten neu geordnet, was zur Schaffung der neuen Bundesstaaten Andhra Pradesh, Karnataka, Kerala und Tamil Nadu führte. Im Jahr 2014 entstand Telangana aus Teilen von Andhra Pradesh.
Bevölkerung
Laut der indischen Volkszählung von 2011 beläuft sich die geschätzte Bevölkerung Südindiens auf 252 Millionen, was etwa einem Fünftel der Gesamtbevölkerung Indiens entspricht. Die Fertilitätsrate der Region liegt unter dem Durchschnitt des Landes. Infolgedessen ist der Anteil der Bevölkerung Südindiens an der Gesamtbevölkerung Indiens von 1981 bis 2011 zurückgegangen und der demografische Übergang ist weiter fortgeschritten als im Rest des Landes. Laut der Volkszählung 2011 liegt die durchschnittliche Alphabetisierungsrate in Südindien bei etwa 80 % und damit deutlich über dem indischen Landesdurchschnitt von 74 %, wobei Kerala mit 93,9 % die höchste Alphabetisierungsrate aufweist.
Die größte Sprachgruppe in Südindien ist die dravidische Sprachfamilie, die etwa 73 Sprachen umfasst, darunter die wichtigsten Sprachen Telugu, Tamil, Kannada und Malayalam. Die größte Religionsgruppe sind Hindus, welche rund 80 % der Bevölkerung ausmachen. Daneben gibt es größere Gemeinschaften von Muslimen (rund 11 %) und Christen (rund 4 %).
Südindien verfügt im landesweiten Vergleich über ein höheres sozioökonomisches Entwicklungsniveau. Nach Schwankungen in den Jahrzehnten unmittelbar nach der Unabhängigkeit Indiens verzeichneten die Volkswirtschaften der südindischen Bundesstaaten in den letzten drei Jahrzehnten ein überdurchschnittliches Wachstum im Vergleich zum nationalen Durchschnitt. Armutsraten sind in Südindien niedriger als im Rest des Landes, genauso wie Kindersterblichkeit und Analphabetismus. Es wird auch eine bessere Beteiligung von Frauen im öffentlichen Leben verzeichnet. Bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung stechen insbesondere die Technologiezentren Bengaluru, Chennai, Hyderabad sowie der Bundesstaat Kerala hervor.
Kulturelle Unterschiede
Der Süden Indiens weist hinsichtlich Geschichte, Kultur, Sprache, Küche, Architektur und Politik bedeutende Unterschiede zum Rest des Landes auf. Die Draviden bilden im Süden Indiens die Mehrheit der Einwohner. Die Mehrheit der Menschen in Südindien spricht mindestens eine der vier großen dravidischen Sprachen: Telugu, Tamil, Kannada und Malayalam. In einigen Bundesstaaten und Unionsterritorien wird auch eine Minderheitensprache anerkannt, wie Urdu in Telangana und Französisch in Puducherry. Neben diesen Sprachen wird Englisch sowohl von der Zentralregierung als auch von den Regierungen der Bundesstaaten für offizielle Mitteilungen verwendet und ist auf allen öffentlichen Schildern zu lesen.
Neben Abstammungs- und Sprachunterschieden gibt es auch eine Reihe weiterer kultureller Differenzen zwischen Nord- und Südindien, etwa bei:
Göttern (siehe z. B. Skanda/Murugan, Mariyamman, Somaskanda, Virabhadra); dagegen kommen andere Glaubensvorstellungen in Südindien nicht vor (etwa der Yogini-Kult)
Architektur-Stilen in der Tempelbaukunst
Bronzekunst der Chola-Zeit
Sangam-Literatur (die Sangam-Literatur ist vermutlich zwischen dem 1. und 6. Jahrhundert n. Chr. in Südindien (Tamil Nadu) entstanden)
Weblinks
Einzelnachweise
Geographie (Indien)
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Q542146
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2422312
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Vatikanstadt
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}Der Staat Vatikanstadt (amtliche Langform in Deutschland und der Schweiz) oder Staat der Vatikanstadt (amtliche Langform in Österreich), kurz auch Vatikan, Vatikanstadt oder Vatikanstaat genannt, ist sowohl nach Fläche als auch nach Bevölkerungszahl der kleinste allgemein anerkannte Staat der Erde und der einzige mit Latein als Amtssprache. Der Stadtstaat liegt innerhalb der italienischen Hauptstadt Rom und ist damit als Enklave vollständig von Italien umgeben. Aufgrund seiner geringen Fläche von 0,44 Quadratkilometern und seinen insgesamt etwa 1000 Einwohnern wird die Vatikanstadt als Zwergstaat bezeichnet.
Der Staat ist eine absolute Wahlmonarchie, deren Monarch der Papst ist. Dieser wird von den Kardinälen gewählt und scheidet nur durch Tod oder Rücktritt aus diesem Amt aus. Der Heilige Stuhl als nichtstaatliches, eigenständiges, vom Staat Vatikanstadt zu unterscheidendes Völkerrechtssubjekt vertritt den Vatikan auf internationaler Ebene, wenn auch beide Begriffe zum Teil synonym verwendet werden.
Geographie
Die Vatikanstadt liegt in Rom westlich des Tiber auf dem Vatikanischen Hügel, der damit die höchste Erhebung des Landes darstellt. Sie ist an einigen Stellen von einer Stadtmauer umgeben, deren Verlauf deckt sich jedoch nicht vollständig mit der Grenze des Staatsgebiets.
Sie wird von den römischen Stadtteilen Municipio I und Aurelia umgeben und grenzt an die historischen Rioni Borgo und Prati.
Auf dem Staatsgebiet befinden sich neben dem Petersdom, Petersplatz und dem Apostolischen Palast auch die Vatikanischen Museen und die Sixtinische Kapelle.
Den größten Teil des Staatsgebietes machen die Vatikanischen Gärten aus.
Es gibt eine Vielzahl exterritorialer Besitzungen des Heiligen Stuhls, denen ein Status ähnlich von Botschaftsgeländen zukommt und die nicht Teil des Staatsgebietes der Vatikanstadt sind. Dazu gehören unter anderem direkt an das Staatsgebiet angrenzende Gebiete wie der Palazzo San Pio X, der Campo Santo Teutonico und der größte Teil der Vatikanischen Audienzhalle. Die Staatsgrenze verläuft mitten durch die Audienzhalle, wobei der Papstthron noch auf vatikanischem Staatsgebiet steht, die anwesenden Besucher der Audienz sehen jedoch aus dem italienischen Ausland zu. Auch die römischen Patriarchalbasiliken, der nordwestliche Teil des Gianicolo, verschiedene Paläste in der römischen Altstadt, die päpstliche Sommerresidenz Castel Gandolfo und ein Sendezentrum von Radio Vatikan in Santa Maria di Galeria sind exterritoriale Besitzungen des Heiligen Stuhls.
Klima
Das Klima der Vatikanstadt ist das gleiche wie das von Rom: ein gemäßigtes Mittelmeerklima (Csa) mit milden, regnerischen Wintern von Oktober bis Mitte Mai und heißen, trockenen Sommern von Mai bis September. Einige kleinere lokale Besonderheiten, vor allem Nebel und Tau, werden durch die ungewöhnlich große Masse des Petersdoms, die Höhe, die Brunnen und die Größe des großen gepflasterten Platzes verursacht.
Bevölkerung
Von den 842 Menschen, die im Jahr 2014 im Vatikan lebten, hatten 572 die vatikanische Staatsbürgerschaft, die jedoch immer nur auf Zeit und an eine Funktion gebunden verliehen wird. Sie ersetzt daher nie eine andere Staatsbürgerschaft. Wird eine Person durch Entzug der vatikanischen Staatsbürgerschaft staatenlos, so ist diese automatisch italienischer Staatsbürger. Die Staatsbürgerschaft der Vatikanstadt besitzen alle im Vatikan oder in Rom wohnhaften Kardinäle, alle Diplomaten des Heiligen Stuhls sowie auf Antrag alle anderen im Vatikan wohnhaften und in Dienst stehenden Personen. Mit 100 Prozent hat die Vatikanstadt den höchsten Katholikenanteil und die höchste Alphabetisierungsrate der Welt.
Auch Frauen und Kinder von Vatikanbürgern können die vatikanische Staatsbürgerschaft erhalten. Frauen verlieren diese jedoch bei Trennung, männliche Nachkommen im Alter von 25 Jahren, weibliche eher, falls sie heiraten und ihr Ehepartner nicht ebenfalls die vatikanische Staatsbürgerschaft hat.
Neben dem Papst leben in der Vatikanstadt unter anderem dessen enge Mitarbeiter im päpstlichen Haushalt, Leiter der Römischen Kurie, die Schweizergardisten und das Gendarmeriekorps. Von den 3000 Angestellten wohnen nur wenige im Vatikan selbst. Die meisten Angestellten sind die Regierungsmitglieder, Zeremonienmeister, Verkäufer, Restauratoren, Köche, Büroarbeiter, Drucker, Angestellte der Bank des Heiligen Stuhls (Istituto per le Opere di Religione, IOR, „Vatikanbank“) oder Reinigungspersonal.
Die Angestellten sind grob in fünf Gruppen zu unterteilen:
Hauspersonal: Köche, Reinigungskräfte, Kammerdiener etc.
Geistlichkeit: Priester, die einen Großteil der Verwaltungs- und kunsthistorischen Aufgaben übernehmen
Sicherheit: Päpstliche Schweizergarde, Gendarmeriekorps und Aufsichtspersonal für Kirchen und Museen
Rundfunk und Presse: Herausgeber des L’Osservatore Romano sowie des Radio Vatikan und des Centro Televisivo Vaticano
Lehrpersonal für die päpstlichen Universitäten und Lehrstühle
Geschichte
Der Amtssitz der Päpste war bis ins 14. Jahrhundert nicht der Vatikan, sondern der etwa fünf Kilometer östlich davon gelegene Lateranpalast. „Vatikan“ bezeichnete zunächst einen am rechten Tiberufer gelegenen Hügel (). Dort befand sich in der Antike der Zirkus des Kaisers Nero, in dem Martyrien und Hinrichtungen zahlreicher Christen und Juden stattgefunden haben sollen. Nördlich des Zirkus befand sich ein kleiner Friedhof, auf dem angeblich der Apostel Petrus begraben wurde. Später wurde dort ein Denkmal gebaut, und im 4. Jahrhundert ließ Kaiser Konstantin an dieser Stelle eine große Grabeskirche errichten – die erste Peterskirche. Der Vatikan wurde zum zentralen Wallfahrtsort der Petrusverehrung. In den folgenden Jahrhunderten entstanden weitere Gebäude auf dem Hügel, vor allem so genannte die Wallfahrern verschiedener Nationalitäten Unterkünfte, Kapellen und Friedhöfe boten, aber auch Wehranlagen hatten. Unter Leo IV. wurde 847 bis 852 zum Schutz vor den Sarazenen die noch heute zum Teil bestehende Leoninische Mauer um den gesamten Wallfahrtsort errichtet. Es entstand die sogenannte Leostadt.
Der Bischof von Rom konnte im Verlauf der Spätantike seinen Anspruch auf Vorrang innerhalb der Christenheit weitgehend durchsetzen und kann spätestens seit Gregor dem Großen (um 600) als Papst bezeichnet werden. Nach dem Zerfall des Römischen Reiches beanspruchten die Päpste unter Berufung auf die (im 15. Jahrhundert als Fälschung enttarnte) „Konstantinische Schenkung“ die weltliche Herrschaft über das Territorium um Rom, das zur Keimzelle des künftigen Kirchenstaats wurde. Im Jahre 751 wurde ihnen dieser Staat durch die Pippinische Schenkung endgültig garantiert, nachdem die Päpste einige Jahre zuvor aufgehört hatten, die Oberhoheit des oströmisch-byzantinischen Kaisers anzuerkennen.
Die Päpste residierten zunächst nicht im Vatikan, sondern im Lateranpalast; die Kathedrale des Papstes als Bischof von Rom ist bis heute die Lateranbasilika außerhalb der Vatikanstadt.
Der Vatikanische Hügel wurde erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts mit der Rückkehr der Päpste aus Avignon (1377) und dem Ende des Schismas (1417) zum päpstlichen Regierungssitz, Standort der römischen Kurie und damit zum Zentrum des Kirchenstaats sowie der römisch-katholischen Kirche insgesamt. Nach dem Schisma sollte die neu gewonnene Einheit der Kirche durch große Bauprojekte verdeutlicht werden. Der vor den Toren Roms befindliche Vatikan bot dafür neben der Nähe zu den vermuteten Gebeinen Petrus’ ausreichend unbebauten Raum. Vor allem Nikolaus V. entwarf Mitte des 15. Jahrhunderts gewaltige Baupläne, die unter ihm und seinen Nachfolgern nur zum Teil umgesetzt wurden. Teils planvoll, teils aus pragmatischen Gründen entstanden in den folgenden Jahrhunderten Kirchen, Kapellen, Verwaltungsgebäude, Wehranlagen, Unterkünfte und andere Bauwerke auf dem Vatikanischen Hügel. Im Jahre 1506 begannen die Bauarbeiten am Petersdom. 1589 gab Sixtus V. den Bau des Apostolischen Palastes in Auftrag, der noch heute die Wohnung des Papstes und wichtige Verwaltungsorgane enthält. Im Jahre 1626 wurde der Petersdom eingeweiht, der Endausbau dauerte bis 1650. Kurz darauf erhielt der Petersplatz seine heutige Form.
Parallel zum Ausbau des Vatikans weitete sich das Territorium des Kirchenstaats aus. Bis ins 19. Jahrhundert erstreckte es sich über das heutige Mittelitalien zwischen Rom im Südwesten bis Bologna im Nordosten – mit den Regionen Latium, den Marken, Umbrien und der Romagna. Allerdings wurde 1798 im Zuge der Französischen Revolution das Gebiet zur Römischen Republik erklärt, 1808 wurden die Territorien dem Königreich Italien einverleibt. Der Wiener Kongress stellte den Kirchenstaat jedoch wieder her.
Im Zuge der italienischen Einigung wurde der Kirchenstaat in den ersten Jahren des Pontifikats von Papst Pius IX. im europaweiten bürgerlichen Revolutionsjahr 1848/49 (vergleiche Deutsche Revolution 1848/49 und Februarrevolution 1848) erneut durch radikaldemokratische Aufstände erschüttert. Diese führten zur Flucht des Papstes und zu einer weiteren Republik im Kirchenstaat, die lediglich knapp fünf Monate (Februar bis Juli 1849) Bestand hatte, bis sie durch französische und spanische Interventionstruppen niedergeschlagen wurde (vergleiche Römische Republik (1849)). Der Staatspräsident Frankreichs und spätere (ab 1852) französische Kaiser Napoléon III. beließ einige Truppen als Schutzmacht des Papstes, der nach der Niederschlagung der Revolution wieder polizeistaatliche Verhältnisse im Kirchenstaat etablierte, bis 1870 in Rom. Nach dem Sardinischen Krieg zwischen dem Königreich Sardinien-Piemont und Frankreich einerseits und Österreich andererseits fiel ein Teil des Kirchenstaats bereits 1861 an das neu ausgerufene Königreich Italien. Als Frankreich seine Schutztruppen aufgrund des Deutsch-Französischen Krieges aus Rom abzog, wurde der Restkirchenstaat (Latium mit Rom) durch Truppen unter König Viktor Emanuel II. im Jahre 1870 besetzt. Der Status der Vatikanstadt war zunächst ungeklärt (so genannte Römische Frage), jedoch blieb in ihr de facto die Herrschaft der katholischen Kirche bestehen, so dass sich ab 1870 die kirchlichen Verwaltungsorgane aus dem restlichen Kirchenstaat in der Vatikanstadt konzentrierten. In dieser Zeit entwickelte sich die bauliche und institutionelle Abschottung vom Rest Roms. Überlegungen, die Verhandlungsbasis des Papsttums gegenüber Italien zur Lösung der Römischen Frage durch eine souveräne territoriale Basis zu stärken (ohne dass zunächst daran gedacht war, dass der Papst Rom verließ), richteten sich unter anderem auf Friaul, Elba, Trient oder Liechtenstein, blieben jedoch ohne Ergebnis. Schließlich wurde der Kirchenstaat durch die Lateranverträge von 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem inzwischen diktatorisch von Benito Mussolini regierten Königreich Italien wieder als souveräner Staat festgeschrieben. Danach umfasst er nur noch das von einer Mauer begrenzte Gelände um den Petersdom.
Am 4. November 1943 wurde der Vatikan von vier Fliegerbomben getroffen, die beträchtliche Sachschäden am Bahnhof und am Governatorat anrichteten, jedoch ohne dass jemand verletzt oder getötet wurde.
Recht
Verfassungsrecht
Das Grundgesetz des Vatikan vereint die Gewalten der Legislative, Exekutive und Judikative in der Person des Papstes als Souverän des Vatikanstaates (Artikel 1) und regelt im Weiteren deren Durchführung. Das Recht der Vatikanstadt wird von den Gerichten des Vatikanstaates angewandt.
Rechtsquellen
Im Gesetz über Rechtsquellen (Legge sulle fonti del diritto) vom 1. Oktober 2008 (in Kraft seit 1. Januar 2009) wird als erste Rechtsquelle und Bezugspunkt für die Auslegung das kanonische Recht festgelegt. Weitere Hauptquellen sind die vom Vatikanstaat erlassenen Gesetze, Dekrete, Reglemente und internationalen Abkommen (Art. 1). Braucht man Regelungen für Bereiche, welche in den bisherigen Rechtsquellen keine Beachtung finden, so greift man subsidiär auf italienische Gesetze und Rechtserlasse zurück. Einige wenige, für einen Staat grundlegende subsidiäre Übernahmen (etwa Zivil- und Strafrechtsbuch) sind seit der Staatsgründung explizit festgelegt und teilweise auf den Übernahmezeitpunkt eingefroren. Änderungen gibt es durch explizite Novellen. Andere Übernahmen geschahen bis 2008 quasi automatisch, seit 2009 müssen nun die vatikanischen Behörden die anwendbaren Rechtsquellen zuerst ausdrücklich billigen. Dies soll einen zusätzlichen Schutz bieten, dass mit den katholischen Doktrin gar nicht vereinbare Rechtsvorschriften liberaler Regierungen zur Anwendung kommen können. Für diese allgemeinen Übernahmen und für die im weiteren erwähnten spezifischen Übernahmen gilt immer eine allgemeine Ausschlussklausel, wenn die Rechtserlasse im Widerspruch zu den Geboten des göttlichen Rechts, zu den allgemeinen Grundsätzen des kanonischen Rechts und zu bilateralen Verträgen stehen (Art. 3). Bei starken Divergenzen wurde schon bisher von dieser Klausel Gebrauch gemacht.
In den weiteren Abschnitten sind vor allem Übernahmen grundlegender staatlicher Rechtsquellen geregelt, wie es schon seit 1929 gehandhabt wird. Mit einigen extra aufgezählten Ausnahmen (beispielsweise Staatsbürgerschafts- und Personenstandsrecht und für die Eheschließung gilt ausschließlich kanonisches Recht) hat das italienische Zivilgesetzbuch vom 16. März 1942 mit seinen Änderungen bis 31. Dezember 2008 subsidiäre Geltung (Art. 4). Für die Verfahren gilt das vatikanische Zivilprozessbuch von 1946 in der aktuellen Fassung. (Art. 5) Kann eine Zivilstreitigkeit damit nicht gelöst werden, so entscheidet der Richter unter Berücksichtigung des göttlichen und des Naturrechts und allgemeiner vatikanischer Grundsätze (Art. 6).
Das Strafrecht des Vatikans
Eine Neuordnung des Strafrechtssystems wurde seit 2008 in Aussicht gestellt und in der folgenden Dekade auch umgesetzt. Bis dahin galt wie seit 1929 das italienische Strafgesetzbuch mit einigen wenigen Anpassungen in eigenen Gesetzen (Art. 7) uneingeschränkt. War zu Beginn das italienische Strafgesetzbuch (Codice Penale, CP) aus dem Jahre 1889 – eingefroren in der Fassung vom 8. Juni 1929 – gültig, so wurde der Stichtag im Jahre 1969 auf den 31. Dezember 1924 vorverlegt. Damit wurde die Todesstrafe, welche in Italien 1926 wiedereingeführt wurde und ab 1948 nur noch wegen Verbrechen im Krieg verhängt werden durfte, auch im Vatikan abgeschafft.
Das Strafprozessrecht des Vatikans
Im Strafprozessrecht gilt ebenfalls das 1929 übernommene italienische Strafprozessbuch, mit den aktuellen vatikanischen Anpassungen (Art. 8). Wird ein Tatbestand nicht im vatikanischen Recht und nicht im italienischen Recht von 1924 mit den vatikanischen Anpassungen besprochen und verletzt die Tat die allgemeinen Grundsätze der Religion, Moral, öffentlichen Ordnung oder Sicherheit von Personen und Gegenständen, kann der Richter trotzdem eine Geld-, Freiheits- oder alternative Strafe verhängen (Art. 9; 1929–2008: Art. 23). Dies kam beispielsweise bei einem Prozess wegen Drogenbesitz zur Anwendung, eine Tat die in der vatikanischen Strafrechtsordnung nicht einmal annähernd vorkommt, da es in den 1920er Jahren kein strafrechtliches Thema war. Im Zuge dieses Falles wurde 2007 auch geklärt, dass der damalige Art. 23 trotz allgemeiner Regelungen über das Strafrecht nicht der Legalität widerspricht. In Art. 12 werden noch verwaltungsrechtliche italienische Bestimmungen für bestimmte Bereiche wie Maßsystem, Post, Eisenbahn etc. mit Stand vom 31. Dezember 2008 übernommen, und (anscheinend ohne Zeiteinschränkung) auch italienische Bestimmungen und Bestimmungen der Region Latium, der Provinz und der Stadt Rom für Baupolizei, Hygiene und öffentliche Gesundheit. Das Arbeitsrecht der Angestellten des Vatikans wurde 2009 von Papst Benedikt XVI. reformiert. Das Zentrale Arbeitsamt des Apostolischen Stuhls wurde 1989 von Johannes Paul II. gegründet, um die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der 4.600 Angestellten, Laien und Kleriker des kleinsten Staates der Welt zu überwachen.
In den Jahren 2021–2022 arbeitete die vatikanische Justiz einen mutmaßlichen Finanzskandal rund um Angelo Becchiu auf, der einen Schaden zum Nachteil des vatikanischen Haushalts in Höhe von 217 Millionen Euro verursacht haben soll.
Politik
Politisches System
Der Papst ist als Bischof von Rom ex officio Staatsoberhaupt des Staates der Vatikanstadt und besitzt die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt gemäß Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes des Vatikanstaates. Die Vatikanstadt ist damit die letzte absolute Monarchie Europas. Mit der Staatswerdung im Jahr 1929 wurde ein Grundgesetz promulgiert, das 2001 und 2023 reformiert wurde.
Seit 1984 ist der Kardinalstaatssekretär mit der ständigen Vertretung des Papstes in der weltlichen Leitung der Vatikanstadt beauftragt.
Während der Sedisvakanz, also der Zeitspanne zwischen dem Tod oder dem Amtsverzicht des Papstes und der Wahl seines Nachfolgers, ruht alle päpstliche Gewalt. Das Kardinalskollegium verfügt über alle weltlichen Befugnisse des Papstes. Vordringlichste Aufgabe des Kardinalskollegiums ist die Ausrichtung der Papstwahl, die im so genannten Konklave stattfindet. Wahlen finden nur für das Amt des Papstes statt, wenn dieser stirbt oder (selten) zurücktritt (Sedisvakanz). Das aktive Wahlrecht ist in diesem Fall auf die Kardinäle beschränkt, die am Tag vor Eintritt der Sedisvakanz jünger als 80 Jahre waren. Gewählt werden kann prinzipiell jeder getaufte Mann, der gültig zum Bischof geweiht werden kann (also unverheiratet oder verwitwet ist). In der Praxis wurden seit Jahrhunderten nur mehr Kardinäle zu Päpsten gewählt. Ein Frauenwahlrecht existiert nicht.
Andere Amtsgeschäfte als die Ausrichtung der Papstwahl kann das Kardinalskollegium während der Sedisvakanz in besonders dringenden Fällen ebenfalls führen. Solche Erlasse sind aber in ihrer Wirksamkeit auf die Dauer der Sedisvakanz begrenzt. Dem neu gewählten Papst steht es frei, diese Bestimmungen nach den Vorschriften des kanonischen Rechts zu bestätigen oder zu verwerfen.
Die legislative Gewalt übt, sofern sich der Papst eine Entscheidung nicht selbst oder besonderen Kurienmitgliedern vorbehalten hat, die aus sieben Kurienkardinälen bestehende Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt aus. Sie wird vom Papst für fünf Jahre ernannt und erarbeitet Gesetzesvorschläge, die dem Papst durch das Staatssekretariat zur Begutachtung unterbreitet werden. Dabei ist sie hauptsächlich für die Festlegung der Finanz- und Haushaltspolitik der Vatikanstadt zuständig.
Die exekutive Gewalt wird vom Governatorat der Vatikanstadt ausgeübt, deren Präsident Fernando Kardinal Vérgez Alzaga gleichzeitig der Vorsitzende der Päpstlichen Kommission ist. Er wird in seiner Tätigkeit von einem Generalsekretär als Leiter des Governatorats, zuständig für die zentrale Verwaltung, unterstützt. Wichtige Fragen legt der Kardinalpräsident der Kommission oder dem Staatssekretariat zur Überprüfung vor.
Die Judikative (Recht der Vatikanstadt) besteht aus einem Gericht erster Instanz, einem Appellations- und einem Kassationshof. Urteile werden im Namen des Papstes gefällt. Dieser hat nach dem Staatsgrundgesetz das Recht, in jedweder Straf- oder Zivilsache und in jeder Phase allumfassend einzugreifen und beispielsweise die Entscheidungsbefugnis in einem Prozess einer speziellen Instanz oder sich selbst zu übertragen. Rechtsmittel sind in solchen Fällen nicht mehr zulässig; seine richterliche und kirchliche Jurisdiktionsgewalt ist allumfassend. Die Todesstrafe wurde 1969 formell abgeschafft. Sie wurde seit Bestehen des Staates der Vatikanstadt nie vollstreckt.
Internationale Beziehungen
Der Papst als natürliche Person ist zwar Staatsoberhaupt, als Souverän aber wird in den Lateranverträgen der Heilige Stuhl (Völkerrechtssubjekt) bezeichnet. Somit ist der Vatikanstaat das einzige Völkerrechtssubjekt, dessen Souverän selbst ein (von seinem Staat verschiedenes) Völkerrechtssubjekt ist.
Der Staat der Vatikanstadt nimmt keine diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten auf, sondern überlässt dies dem Heiligen Stuhl, der als ein souveränes nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt ebenfalls durch den Papst repräsentiert wird und die Vatikanstadt im diplomatischen Verkehr vertritt. Das erfolgt zum einen, um im diplomatischen Dienst Doppelstrukturen zu vermeiden. Zum anderen ist dem Staat der Vatikanstadt grundsätzlich nicht die Aufgabe zugedacht, unter den Staaten der Welt als solcher zu agieren. Daher stattet der Papst im Allgemeinen auch keine Staatsbesuche ab, sondern Pastoralbesuche, wenngleich das Protokoll ihn aufgrund seiner Eigenschaft als Völkerrechtssubjekt wie ein Staatsoberhaupt behandelt.
Derzeit unterhält der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen mit 180 Staaten.
Der Staat der Vatikanstadt ist auch kein Mitglied z. B. der Vereinten Nationen, der UNESCO oder der Welthandelsorganisation, während der Heilige Stuhl bei diesen und anderen internationalen Organisationen permanenten Beobachterstatus genießt, mitunter auch – wie im Falle der OSZE und IAEA – ordentliches Mitglied ist. Zu den wenigen internationalen Organisationen, denen der Staat der Vatikanstadt direkt und nicht im Wege der Vermittlung durch den Heiligen Stuhl angehört, gehören zum Beispiel der Weltpostverein (seit 1929), CEPT (seit 1963) und Interpol, deren Aufgaben weniger politischer als vielmehr technischer Natur sind.
Der Staat der Vatikanstadt gehört auch dem Europarat nicht an und kann daher auch nicht Mitglied der im Wesentlichen auf Mitglieder des Europarates beschränkten Europäischen Menschenrechtskonvention sein. Beim Europarat ist jedoch der Heilige Stuhl Beobachter. Der Staat der Vatikanstadt gehört auch nicht dem Internationalen Strafgerichtshof an.
Zudem hat der Staat der Vatikanstadt den OECD „Common Reporting Standard“ nicht unterzeichnet. Damit ist der Vatikan neben Belarus der einzige Staat in Europa, der den Standard zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche nicht unterzeichnet hat. Der Vatikan wurde in der Vergangenheit dafür kritisiert, Geldwäsche für die Mafia zu betreiben.
Bestimmte Besitzungen des Heiligen Stuhls in und um Rom haben gemäß den Lateranverträgen exterritorialen Status, ohne aber Teil des vatikanischen Territoriums zu sein. Für die innere Sicherheit des Staates sind die Schweizergarde und das vatikanische Gendarmeriekorps zuständig. Die äußere Sicherheit wird durch den italienischen Staat gewährleistet.
Sicherheit
Mit der Schweizergarde verfügt der Vatikan über die kleinste (ca. 100 Mitglieder) und älteste (seit 1506) Armee der Welt. Für die interne Sicherheit gibt es zusätzlich eine eigene Polizei, den Corpo della Gendarmeria. Der Vatikan verfügt aber nicht über Luft- oder Seestreitkräfte. Die externe Landesverteidigung wird gemäß einem bilateralen Abkommen durch Italien gesichert. Laut den Lateranverträgen ist Italien für die Sicherheit auf dem vatikanischen Petersplatz zuständig. Durchgeführt wird die Überwachung vom Aufsichtsamt für Öffentliche Sicherheit „Vatikan“, das direkt der Abteilung für Öffentliche Sicherheit der italienischen Polizei unterstellt ist.
Für Besucher gibt es bei der Einreise, die meistens zu Fuß erfolgt, eine Sicherheitsüberprüfung, aber keine Ausweis- oder Zollkontrolle. Bei der Ausreise nach Italien werden keinerlei Kontrollen durchgeführt, mitgebrachte Waren bleiben also de facto zoll- und steuerfrei.
Der Vatikan kann auf seinem Gebiet straffällig gewordene Personen, gleichgültig, ob sie dort von der eigenen Gendarmerie oder von Hilfstruppen der italienischen Polizei verhaftet werden, zur Aburteilung an Italien überstellen, das zur Übernahme verpflichtet ist und vatikanisches Recht anzuwenden hat. Bei einer vorherigen Flucht auf italienisches Territorium wird ohne weiteres aufgrund der italienischen Gesetze gegen den Täter vorgegangen.
Der Vatikanstaat hat, wenn die Anzahl der Straftaten in Relation zur Anzahl der Einwohner gestellt wird, die höchste Kriminalitätsrate der Welt; tatsächlich ist dies aber darauf zurückzuführen, dass Täter und Opfer der Straftaten so gut wie ausschließlich aus dem Kreise der jährlich 18 Millionen Besucher stammen. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Kleinkriminalität wie etwa Handtaschendiebstähle. Das vatikanische Gefängnis bietet nur zwei Personen Platz. Es wurde im Laufe der Geschichte nur selten genutzt: Einer der Insassen war ein Priester, der wegen illegalen Geldtransfers verurteilt wurde; der zweite war ein Mann, der beim Münzdiebstahl im Petersdom ertappt wurde; der dritte war ein schwedischer Tourist, der einen Priester attackierte und zuletzt wurde ein Schweizer Besucher inhaftiert, der einen Gardisten gröblich beleidigt hatte. Der Papst-Attentäter Mehmet Ali Ağca verbüßte seine Strafe nicht im Vatikan, sondern in einem römischen Gefängnis. Medienberichten zufolge saß im Jahr 2012 der Kammerdiener des Papstes im Vatikan ein, der wegen der „Vatileaks“-Affäre in die Schlagzeilen geraten war. Ende 2015 war Lucio Ángel Vallejo Balda im Zusammenhang mit der „zweiten Vatileaks-Affäre“ dort in Haft.
Feuerwehr
In der Feuerwehr der Vatikanstadt waren im Jahr 2018 insgesamt 37 Berufsfeuerwehrleute organisiert, die in einer Feuerwache, in denen acht Feuerwehrfahrzeuge bereitstehen, tätig sind. Die vatikanische Feuerwehrorganisation Corpo dei vigili del fuoco dello Stato della Città del Vaticano repräsentiert die vatikanische Feuerwehr mit ihren Feuerwehrangehörigen im Weltfeuerwehrverband CTIF.
Wirtschaft
Wirtschaftssituation
Als souveräner Staat wickelt der Vatikan seine Finanzgeschäfte eigenständig ab.
Anfang der 1990er Jahre haben neben der Offenlegung der Staatsfinanzen auch spürbare Bemühungen eingesetzt, die über Jahrhunderte gewachsene Organisationsstruktur zu vereinfachen. Die Verwaltung der vatikanischen Vermögenswerte stützt sich nun auf vier Säulen:
die Präfektur für die ökonomischen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls ist zuständig für die Verwaltung aller Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten des Heiligen Stuhls
das Governatorat der Vatikanstadt ist für Einnahmen und Ausgaben auf dem Territorium der Vatikanstadt zuständig
die Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls (APSA) hat die Aufgaben des Schatzamtes, der Zentralbank der Vatikanstadt und des Heiligen Stuhls.
das Istituto per le Opere di Religione (IOR), besser bekannt als Vatikanbank, ist ein privatrechtliches Kreditinstitut im Besitz des Heiligen Stuhls
Staatsfinanzen
Zu den Haupteinnahmequellen des Vatikans gehören, abgesehen von den Einnahmen aus den grundsteuerfreien Immobilien, die Geschäfte innerhalb des Vatikans. Die Gewinne des Supermarktes ebenso wie die Überschüsse der Vatikantankstelle, der Apotheke und des Bekleidungsgeschäftes fließen in die Staatskasse. Die Kartenzahlungen in diesen Einrichtungen wurden zum 1. Januar 2013 unterbunden, jedoch schon wenige Wochen später wieder ermöglicht. Als Begründung wurde genannt, dass der Vatikan die internationalen Geldwäscheregeln nicht befolge. Daher dürfe der Betreiber der Terminals, die italienische Tochter der Deutschen Bank, nicht weiter im Vatikan operieren.
Weitere Einnahmen werden durch Souvenirstände, Eintrittsgelder und Spenden erzielt. Jährlich werden im Schnitt etwa 85 Millionen Euro an den Vatikan gespendet. Andere Einnahmequellen sind der Verkauf von vatikanischen Euromünzen und Sonderprägungen sowie Briefmarken. Die Vermietung von rund 2400 Immobilien außerhalb des Vatikans garantiert ebenfalls ein regelmäßiges Einkommen.
Zudem besitzt der Vatikan Gold, das in New York lagert, gut 850 Immobilien im geschätzten Wert von 1,5 Milliarden Euro sowie Kunstschätze von unschätzbarem immateriellen Wert, von denen der frühere Papst Johannes Paul II. sagte: „Sie sind unverkäuflich, sie gehören allen Menschen.“
Von der Staatsbilanz sind die Einnahmen aus Kirchensteuern sowie bestimmte Aufwendungen ausdrücklich ausgeschlossen. Diese fließen direkt den Diözesen und Ordensgemeinschaften in aller Welt zu, die jedoch die Arbeit des Papstes, der vatikanischen Kongregationen, Räte und Kirchengerichte mit Millionenbeträgen unterstützen. Nach Angaben verschiedener Bistümer in Deutschland verstehe sich die katholische Kirche ausdrücklich als Weltkirche, und da der Vatikan wichtige übergeordnete Aufgaben wahrnehme, tragen über den Verband der Diözesen Deutschlands demzufolge alle deutschen Bistümer pro Jahr einen Anteil für die Aufgaben der Weltkirche bei.
Obwohl die Vatikanstadt nicht Mitglied der Europäischen Union ist, ist der Euro (als Nachfolgewährung der seinerzeit der Italienischen Lira entsprechenden Vatikanischen Lira) durch bilaterale Verträge offizielles Zahlungsmittel. Für den Handel mit dem Vatikan gelten jedoch die gleichen Zollbestimmungen wie für den Handel mit Ländern außerhalb des Europäischen Binnenmarktes.
Das Budget umfasste 2008 Ausgaben von umgerechnet 356,8 Mio. US-Dollar bei Einnahmen von umgerechnet 355,5 Mio. US-Dollar.
Bischof Carlo Maria Viganò hat als Generalsekretär der wirtschaftlichen Verwaltung des Vatikans den Haushalt saniert und von einem Verlust von ca. 8 Mio. € im Jahr 2009 zu einem Überschuss von mehr als 34 Mio. € 2010 geführt.
Sonstiges
Im Vatikan gibt es keine Umsatzsteuer. Wirtschaftswerbung ist verboten, außer an Kraftfahrzeugen.
2008 erhielt der Vatikanstaat den Europäischen Solarpreis 2008 für die Installation einer Solarstromanlage von der Größe eines Fußballfeldes. Dadurch werden seit der Installation vom Vatikan pro Jahr rund 220 Tonnen weniger Kohlenstoffdioxid ausgestoßen.
Im Jahre 2010 wurde der 100. Brunnen im Vatikan eröffnet. Ein bekannter historischer Brunnen in der Vatikanstadt ist der Galeerenbrunnen.
Es gibt keinen Friseur, kein Krankenhaus (jedoch eine Krankenstation), keine Schule, jedoch einen Supermarkt, eine Apotheke (seit 1874) und mehrere Tankstellen. Der Abfall wird durch die römische Stadtverwaltung abtransportiert. In den vatikanischen Museen befinden sich ein Selbstbedienungsrestaurant, eine Pizzeria und ein Café, auf dem Dach der Peterskirche ein Souvenirgeschäft und ein kleines Café.
Es gibt im Vatikan keinen privaten Grundbesitz, Wohnungen werden den Vatikanbürgern für die Dauer ihres Amtes zugeteilt. Die Staatsbürger zahlen weder für elektrischen Strom noch für Telefon. Die Mieten sind sehr niedrig und betragen etwa vier Prozent des Einkommens.
Die Einkommen der unteren Gehaltsklasse betragen um die 1300 Euro, ein Kardinal erhält etwas mehr als das Doppelte. Vatikanische Gehälter unterliegen keiner Einkommensteuer. Der Papst selbst bezieht kein Gehalt. 1981 wurde mit der „Arbeitnehmervereinigung der Laien im Vatikan“ eine Art Gewerkschaft gegründet. Im Vatikan gilt eine 36-Stunden-Woche, Tarifverhandlungen gibt es nicht.
Die Geldautomaten im Vatikan (, Plural: ) besitzen auch eine lateinische Sprachauswahl.
Verkehr und Infrastruktur
Eisenbahn
Der Vatikan verfügt seit 1933 über einen eigenen Bahnhof und rund 200 Meter Schienenstrecke. Damit verfügt der Vatikan bezogen auf die Bevölkerung über die höchste Bahnhofsdichte weltweit. Der Bahnhof wird nur selten von der Kurie selbst für die Personenbeförderung genutzt, zuletzt 1979 (zum nächstgelegenen Bahnhof Roma San Pietro), 2002 (nach Assisi) von Johannes Paul II. und 2011 von Papst Benedikt XVI. ebenfalls nach Assisi. Jeden Samstag fährt ein Zug der FS im Auftrag der Vatikanischen Museen eine Besuchergruppe von diesem Bahnhof nach Castel Gandolfo. Darüber hinaus gibt es immer wieder Sonderfahrten für Reisegruppen, z. B. im Jahre 2008 für die Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte. Ansonsten wird diese Schienenstrecke zum Gütertransport benutzt. Die Zufahrt zur Vatikanstadt ist durch ein großes Tor von Rom getrennt. Der Gleisanschluss des Vatikans an die italienische Eisenbahninfrastruktur wird durch die Vatikanische Staatsbahn betrieben. Seit 2003 ist im Bahnhof ein kleines Kaufhaus untergebracht.
Der Bahnhof Roma San Pietro (Luftlinie 500 m südlich der Vatikanstadt) wird im regelmäßigen Schienenpersonennahverkehr bedient. Dort halten die S-Bahn-ähnlichen Züge der Linien FL 3 und 5, welche Rom mit Viterbo und Civitavecchia verbinden.
Luftverkehr
Im Vatikan befindet sich der Vatikanische Heliport als Hubschrauberlandeplatz. Die nächstgelegenen Verkehrsflughäfen sind Rom-Ciampino und Rom-Fiumicino.
Straßenverkehr
Die etwa 50 Straßen tragen Straßennamen und -schilder. Die beiden „Hauptstraßen“ sind die Via del Pellegrino und die Via di Belvedere, die beide beim St.-Anna-Tor, der Haupteinfahrt in die Vatikanstadt, beginnen.
Öffentlicher Personennahverkehr
Innerhalb der Vatikanstadt verkehren keine Nahverkehrsmittel. Im öffentlichen Nahverkehr ist die Vatikanstadt vom römischen U-Bahnhof Ottaviano der Metro-Linie A zu Fuß erreichbar. Die geplante Metro-Linie C sollte eigentlich nach 2021 eine U-Bahn-Station am Petersplatz bedienen; der Ausbau wird nach derzeitigem Stand inzwischen aber nicht mehr weiter betrieben werden.
Darüber hinaus ist die Vatikanstadt über die Haltestelle Risorgimento mit der Linie 19 der Straßenbahn Rom und diversen Buslinien erreichbar. Eine dieser Buslinien ist die Linie 49 (Stazione Roma Monte Mario FL 3 ↔ Via di Torrevecchia ↔ L.GO Boccea/Cornelia A ↔ Risorgimento/San Pietro 19 ↔ Piazza Cavour), die über die Viale Vaticano den Norden und Osten der Vatikanstadt erschließt. Die Straßenbahnlinie 19 hält auch an der Haltestelle Ottaviano, sodass sie sich dort mit der Metro-Linie A kreuzt. Alle diese Linien werden von der ATAC betrieben.
Schifffahrt
Obwohl die Vatikanstadt keinen direkten Zugang zum Meer besitzt, ist ihr gemäß der Erklärung von Barcelona aus dem Jahr 1921 die Hochseeschifffahrt mit eigenen Schiffen unter der päpstlichen Flagge gestattet – ein Recht, das derzeit nicht ausgeübt wird.
Postwesen
Als souveräner Staat besitzt der Vatikan mit der „Poste Vaticane“ eine eigene Postverwaltung, deren Briefmarken ausschließlich auf eigenem Territorium gültig sind. Das Porto richtet sich nach den entsprechenden Entgelten der italienischen Post. In der Vatikanstadt werden pro Einwohner und Jahr die meisten Poststücke versandt (7200); zum Vergleich: in den Vereinigten Staaten sind es 660 und in Italien 109 pro Jahr.
Kommunikation
Die Top-Level-Domain der Vatikanstadt ist .va. Sie zählt zu den länderspezifischen Top-Level-Domains mit den wenigsten aktiven Adressen überhaupt. Die Amtssprache ist Latein.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Kulturgutschutz
Das gesamte Gebiet der Vatikanstadt ist seit 1984 durch die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) als Weltkulturerbe anerkannt. Die Vatikanstadt ist somit der einzige Staat der Welt, dessen komplettes Territorium von der UNESCO geschützt ist. Darüber hinaus ist die Vatikanstadt bei der UNESCO als Denkmalzentrum (englisch centre containing monuments) im „Internationalen Register für Kulturgut unter Sonderschutz“ entsprechend Kapitel II der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten eingetragen.
Sport
Fußball
Der Vatikan besitzt eine Fußballauswahl und eine eigene Liga. Da das Land jedoch über keinen Fußballplatz verfügt, der den FIFA-Normen entspricht, ist die Vatikanstadt kein Mitglied der FIFA.
Andere Sportarten
Seit 2013 gibt es im Vatikanstaat ein eigenes Cricketteam, den St Peter’s Cricket Club.
Religion
Der Vatikan ist zwar Zentrum der katholischen Kirche, besitzt jedoch auf seinem Staatsgebiet keinen Bischofssitz. Der Petersdom war niemals bischöfliche Kathedrale, sondern Grabeskirche des Apostels Petrus. Die Kathedrale der Diözese Rom ist San Giovanni in Laterano (exterritoriales Gebiet). Selbst die Pfarrkirche der Pfarrei des Vatikanstaates ist nicht St. Peter, sondern Sant’Anna dei Palafrenieri.
Literatur
Giuliana Chamedes: A Twentieth-Century Crusade: The Vatican’s Battle to Remake Christian Europe. Harvard University, Cambridge 2019, ISBN 978-0-674-98342-7.
Weblinks
Webpräsenz des Staates der Vatikanstadt (italienisch)
Artikel Vatikan im Ökumenischen Heiligenlexikon
Länder- und Reiseinformationen des deutschen Auswärtigen Amtes
Reiseinformation des österreichischen Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres
Vertretungen und Reisehinweise zu Heiliger Stuhl (Vatikanstadt), des schweizerischen eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten
Holy See (Vatican City) im The World Factbook
Einzelnachweise
Binnenstaat
Enklave
Hauptstadt in Europa
Katholischer Wallfahrtsort
Kulturgut unter Sonderschutz
Monarchie (Staat)
Staat in Europa
Welterbestätte in Europa
Welterbestätte des Heiligen Stuhls
Weltkulturerbestätte
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Q237
| 3,410.635097 |
204945
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https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6rnchen
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Hörnchen
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Die Hörnchen (Sciuridae) sind eine Familie aus der Ordnung der Nagetiere (Rodentia). Unter anderem gehören das Eurasische Eichhörnchen, das Streifenhörnchen und das europäische Ziesel zu dieser Familie. Insgesamt werden die Hörnchen heute in 51 Gattungen mit etwa 270 bis 280 Arten eingeteilt, wobei die Klassifikation noch im Fluss ist. Hörnchen sind auf der ganzen Welt außer in Australien, Madagaskar und der Antarktis verbreitet.
Hörnchen sind, anders als die meisten Nagetiere, zum größten Teil tagaktiv und ernähren sich vor allem von Pflanzenteilen, Früchten und Samen sowie von Insekten. In ihrer Größe variieren die Arten sehr stark, einzelne Arten sind sehr klein mit Kopf-Rumpf-Längen von etwa sieben Zentimetern bei einem Körpergewicht von etwa 15 Gramm und andere Arten erreichen Kopf-Rumpf-Längen von bis zu 65 Zentimetern und einem Gewicht von bis zu 6,5 Kilogramm. Der Körper ist vor allem bei den baumlebenden Arten meistens schlank mit langem und buschigem Schwanz, bodenlebende Arten wie die Murmeltiere sind in der Regel gedrungener und besitzen einen kürzeren Schwanz.
Merkmale
Habitus und Größe
Die Hörnchen sind in ihrer Größe und in ihrem Erscheinungsbild sehr variabel. Die Körperform ist vor allem bei den baumlebenden Arten in der Regel schlank und langgezogen mit langem und buschigem Schwanz, bodenlebende Arten sind in der Regel gedrungener und besitzen einen kürzeren Schwanz. Grundsätzlich können dabei drei Grundtypen unterschieden werden: die baumlebenden Baum- und Schönhörnchen, die Erdhörnchen und die Gleithörnchen. Die bodenlebenden Arten der Erdhörnchen haben in der Regel einen kompakten Körper und kurze Gliedmaßen. Die Vorderfüße sind in der Regel breit und stumpf ausgebildet und sie besitzen kurze und stumpfe Finger, die zum Graben eingesetzt werden. Baumlebende Hörnchen haben längere und muskulöse Arme und Beine sowie längere Ohren und einen langen Schwanz. Gleithörnchen sind vor allem durch ihre behaarten Gleithäute an den Körperseiten gekennzeichnet, die zwischen den Armen, einem Knorpelsporn an den Händen und den Beinen aufgespannt sind. Bei diesen Arten sind die Arme und Beine sehr lang im Vergleich zu denen anderer Hörnchen.
Die kleinsten Hörnchenarten gehören zu den baumlebenden Afrikanischen und Asiatischen Zwerghörnchen (Myosciurus und Excilisciurus), die jeweils eine Kopf-Rumpf-Länge von etwa 7 cm und ein Gewicht von etwa 15 Gramm aufweisen. Unter den Gleithörnchen sind die Kleinstgleithörnchen (Petaurillus) mit ebenfalls etwa 7 Zentimetern Kopf-Rumpf-Länge die kleinsten Arten, das Gewicht dieser Tiere liegt bei etwa 13,5 Gramm. Diese Arten sind damit kleiner als viele Arten der Mäuse. Unter den Erdhörnchen sind die Arten der Streifenhörnchen (Tamias) mit einer minimalen Kopf-Rumpf-Länge einzelner Arten von etwa 10 Zentimetern die kleinsten Vertreter, wobei diese in der Regel ebenfalls baumlebend sind. Diese kleinen Arten leben häufig in strukturreichen Habitaten, wie tropischen Regenwäldern in Südostasien oder den Übergangsbereichen zwischen Wald- und Steppengebieten in Nordamerika, mit sehr unterschiedlichen und diversen Möglichkeiten, ökologische Nischen zu etablieren und spezifische Nahrungs- und Raumressourcen zu nutzen. Zugleich benötigen diese kleinen Arten jedoch in Relation zu ihrer Körpergröße die meiste Energie, was eine Konzentration kleinerer Arten in den Tropen erklärt, und sie sind häufig einem größeren Druck durch Fressfeinde ausgesetzt als größere Arten.
Im Kontrast zu diesen Arten stehen die Murmeltiere (Marmota) als größte Arten der Hörnchen, vor allem das Graue Murmeltier (Marmota baibacina) mit einer Kopf-Rumpf-Länge von bis zu 65 Zentimetern und einem Gewicht von bis zu 6,5 Kilogramm, zum Ende des Sommers und vor dem Winterschlaf teilweise sogar bis zu 8 Kilogramm. Unter den baumlebenden Arten stellen die primatenähnlichen Riesenhörnchen die größten Arten dar, sie erreichen eine Kopf-Rumpf-Länge von bis zu 45 Zentimetern bei einem Gewicht von bis zu 3 Kilogramm. Von den Flughörnchen sind die Riesengleithörnchen (Petaurista) die größten Arten mit einer Kopf-Rumpf-Länge von bis zu 60 Zentimetern bei einem Gewicht von bis 2 Kilogramm; trotz ihres Körpergewichts sind sie in der Lage, in ihrem Lebensraum lange Strecken zu gleiten. Im Gegensatz zu den kleinen Arten ist der relative Energiebedarf dieser Arten gering, auch wenn die Individuen selbst mehr Nahrung benötigen, und die Tiere lagern häufig Fettreserven an, um Kälteperioden in ihrem Lebensraum zu überbrücken (Winterschlaf).
Bei den meisten Hörnchenarten gibt es keinen ausgeprägten Sexualdimorphismus, die Männchen und Weibchen der Arten unterscheiden sich also nicht signifikant in ihrem Aussehen und ihrer Größe. Dies trifft vor allem auf die baumlebenden Arten zu, bei denen Männchen und Weibchen äußerlich nicht oder nur anhand der Genitalien unterschieden werden können. Bei einzelnen dieser Arten unterscheidet sich das Körpergewicht leicht, meistens sind die Männchen etwas schwerer. Bei den bodenlebenden Murmeltieren und Präriehunden (Cynomys) können geschlechtsspezifische Unterschiede dagegen sehr ausgeprägt sein und bei einigen Arten können die Männchen ein Körpergewicht von als 10 bis 50 % zusätzlich zu dem der Weibchen aufweisen und zugleich auch signifikant größer sein. Bei den Streifenhörnchen sind dagegen häufig die Weibchen signifikant größer als die Männchen. Dies ist besonders ausgeprägt beim Kleinen Streifenhörnchen, bei dem die Weibchen etwa 10 % mehr Körpermasse haben als die Männchen.
Äußere Merkmale
Der Körper aller Hörnchen ist mit einem dichten Fell bedeckt, das auch den Schwanz bedeckt. Die einzigen Bereiche des Körpers, die keine Behaarung aufweisen, sind die Fußsohlen und die Nase. Im Bereich des Hodensacks der Männchen ist die Behaarung in der Regel nur spärlich ausgebildet und häufig sind auch die Ohren und der Schwanzansatz weniger behaart als der restliche Körper. Das Fell besteht aus einem dichten Wollhaar und dem längeren Deckhaar, das in der Regel 20 bis 50 % länger als die Haare der Unterwolle ist. Wie bei anderen Säugetieren dient das Fell vor allem der Thermoregulation, es kann jedoch auch zusätzlich wasserabweisend sein und andere Eigenschaften als Schutz vor der Umwelt aufweisen. Hinzu kommen Fühlhaare (Vibrissen), die in der Regel deutlich länger als die Fellhaare sind und als Sinnesorgane dazu dienen, Vibrationen aufzunehmen und Berührungen mit dem Substrat oder mit anderen Individuen wahrzunehmen. Sie sind vor allem am Kopf im Bereich der Wangen und um die Lippen, um die Augen und am Kinn ausgebildet, einige Vibrissen befinden sich zudem am Rücken der Tiere. Zudem besitzen die Tiere Vibrissen an den Händen (Carpalvibrissen), die sich wahrscheinlich als Anpassung an das Baumleben entwickelt haben. Diese spielen vor allem bei den Gleithörnchen eine zentrale Rolle für die Orientierung im Luftraum und für die sichere Landung auf sich bewegenden Ästen.
Die Färbung der Tiere ist sehr variabel und reicht von einfarbigen schwarzgrauen, grauen, braunen und rotbraunen Tieren bis zu Arten mit ausgeprägter Körperzeichnung, Rückenstreifen und auch mehrfarbigen Tieren etwa bei den Schönhörnchen (Callosciurinae) oder beim Bunthörnchen (Sciurus variegatoides). Bei vielen Arten variiert die Färbung zudem sehr stark, teilweise zwischen Unterarten und teilweise auch innerhalb einzelner Populationen. Zudem kommen auch vollständig melanistische und auch unpigmentierte Tiere vor, echter Albinismus ist dagegen sehr selten. Melanistische Tiere sind vor allem als dominante Variante bei den nördlichen Populationen des Grauhörnchens (Sciurus carolinensis) in Kanada bekannt, wo die schwarze Färbung vor allem im Winter zusätzliche Vorteile der Thermoregulation bietet, ohne im Sommer Nachteile für die Tiere zu haben. Von der gleichen Art kommen in Teilen des Verbreitungsgebietes allerdings auch rein albinotische Populationen vor. Bei den meisten Arten erscheint das Fell meliert oder gräulich durchsetzt, da die einzelnen Haare in der Regel in verschiedenen hellen und dunklen Farbschattierungen geringelt sind. Beeinflusst wird die Verteilung durch das Gen agouti und sie führt dazu, dass sich die Körperfarbe mit der Bewegung der Tiere in der Regel verändert und die Tiere in ihrer Umwelt damit besser getarnt und weniger sichtbar sind. Zudem sind die meisten Hörnchen auf der Oberseite eher dunkel und unterseits eher hell gefärbt, hinzu kommen art- oder gattungsspezifisch verschiedene Zeichnungen wie helle oder dunkle Rücken- und Seitenstreifen, Augenbinden, Hinterohrflecken und ähnliche Merkmale. Neben den genannten Farben finden sich jedoch auch in fast allen Hörnchengruppen leuchtende Farben wie kräftige Gelb-, Orange- und Rottöne, vor allem bei größeren baumlebenden Arten der Tropen.
Viele Arten der Hörnchen, vor allem die baumlebenden Arten, haben einen ausgeprägten und stark buschig behaarten Schwanz, der bis zu 50 % der Gesamtlänge der Tiere ausmachen kann. Den längsten Schwanz im Vergleich zur Körperlänge weist dabei das Borneo-Hörnchen (Rheithrosciurus macrotis) auf, bei dem der Schwanz etwa 30 % länger ist als der restliche Körper. Bei fast allen Arten der größeren Baumhörnchen ist der Schwanz buschig und von langen Haaren bedeckt während er bei vielen kleineren Arten und den Gleithörnchen aufgrund der unterschiedlichen Haarlängen an der Ober- und Unterseite im Vergleich zu den Seiten häufig abgeflacht und zugleich weniger lang behaart ist. Viele Arten der Erdhörnchen besitzen dagegen einen deutlich kürzeren Schwanz, der von kurzen und borstigen Haaren besetzt ist. Bei vielen Arten wird der Schwanz über dem Rücken getragen und im Sitzen hinter dem Körper aufgestellt, bei einigen Arten wird er dagegen gestreckt und hängend getragen. Der Schwanz hat bei den Hörnchen verschiedene Funktionen. Er dient als Stabilisator und bei Sprüngen und Gleitflügen auch als Ruder zur Steuerung, zudem als Schattenspender und durch ein sehr feines Kapillarnetz auch zur Abgabe überschüssiger Hitze. Hinzu kommen Funktionen in der Kommunikation und bei einigen Arten auch die Tarnung in der Vegetation.
Die Hinterfüße weisen grundsätzlich fünf Zehen auf, die Vorderfüße besitzen vier Finger. An allen Zehen und Fingern befinden sich Krallen, nur der Daumen besitzt in der Regel einen flachen Nagel.
Skelettmerkmale
Der Schädel der Hörnchen entspricht generell dem anderer Nagetiere. Er ist in der Regel kurz mit einer verhältnismäßig kurzen Schnauze und einem gebogenen Profil. Die Kiefer sind im Vergleich zu anderen Nagetieren einfach aufgebaut, der Unterkiefer ist kräftig ausgebildet. Der Jochbogen ist vergrößert und lang ausgebildet mit einer breiten und geneigten vorderen Jochbogenplatte, die als Ansatzpunkt des seitlichen Strangs des Musculus masseter dient. Der oberflächliche Massetermuskel entspringt vorn an der Schnauzenunterseite unterhalb des sehr kleinen Foramen infraorbitale an einem kleinen Fortsatz oder einer Verdickung des Knochens, der äußere Massetermuskel erstreckt sich bis zur Schnauzengegend. Sie besitzen damit einen für sie typischen Schädelbau mit einem als Sciuromorphie bezeichneten Jochbogen-Masseter-Bau, der sich deutlich von dem myomorphen Bau der Mäuse und Ratten und dem hystricomorphen Bau der Meerschweinchenverwandten unterscheidet.
Der hintere Bereich des Jochbogens steht in Kontakt mit dem Stirnbein. Die postorbitalen Fortsätze sind deutlich ausgebildet, die großen Paukenhöhlen (Bullae) sind abgeflacht. Der knöcherne Gaumen ist breit und vergleichsweise kurz, er endet auf gleicher Höhe wie die Molaren.
Die Tiere besitzen im Oberkiefer und im Unterkiefer pro Hälfte je einen Schneidezahn (Incisivus), dem eine Zahnlücke (Diastema) folgt. Hierauf folgen im Oberkiefer je einer bis zwei Prämolaren und im Unterkiefer je ein Prämolar sowie drei Molaren. Insgesamt verfügen die Tiere damit über ein Gebiss aus 20 bis 22 Zähnen. Das Gebiss der Hörnchen ist ein typisches Nagetiergebiss mit großen Nagezähnen, die darauf folgende zahnfreie Lücke und die dahinterliegenden brachydonten Backenzähne (Prämolaren und Molaren). Die stetig nachwachsenden Nagezähne sind meißelartig ausgebildet und mit einem starken Zahnschmelz bedeckt, die Zahnwurzeln reichen weit in die Unter- und Oberkieferknochen hinein. Die Rückseite ist dagegen in der Regel weich mit einer deutlich dünneren Schmelzschicht. Sie können sich art- und ernährungstypisch unterscheiden und werden durch den ständigen Gebrauch kurz gehalten, sie schärfen sich gegenseitig durch das gegenseitige Aneinanderreiben. Missgebildete Zähne, etwa durch Verletzungen der Wurzel oder durch asymmetrisches Wachstum, können dazu führen, dass die Tiere nicht mehr in der Lage sind, Nahrung aufzunehmen oder dass die Zähne im Bogen in den Schädel zurückwachsen. Die Mahlzähne, also die Prämolaren und Molaren, haben eine feste Zahnhöhe und nur vergleichsweise flache Zahnwurzeln. Der bei einigen Arten vorhandene P3 (Prämolar 3) ist in der Regel nur sehr klein ausgebildet. Die Kronen besitzen eine arttypische Schmelzoberfläche aus Falten und Erhebungen, die der Zerkleinerung der Nahrung dienen.
Die Wirbelsäule entspricht in ihrem Aufbau der anderer Nagetiere. Die letzten Lendenwirbel vor dem Schwanzansatz sind allerdings häufig verkleinert, um die Beweglichkeit und Flexibilität des Schwanzes zu gewährleisten.
Alle männlichen Hörnchen besitzen einen artspezifischen Penisknochen (Bacculum), dessen Form bei vielen Arten zur eindeutigen Artbestimmung herangezogen wird. Zudem ist bei den weiblichen Tieren ein Klitorisknochen (Baubellum) ausgebildet, der vor allem zur Unterscheidung der nordamerikanischen Streifenhörnchen genutzt wird.
Verbreitung
Hörnchen sind natürlich auf allen Kontinenten mit Ausnahme von Australien und Antarktika verbreitet. Sie fehlen zudem auf Madagaskar, im südlichen Südamerika, auf Grönland sowie auf zahlreichen weiteren Inseln und in verschiedenen Wüstengebieten wie etwa der Sahara. In Australien wurden im 19. Jahrhundert mit dem Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) und dem Nördlichen Palmenhörnchen (Funambulus pennantii) zwei Hörnchenarten eingeführt, von denen sich allerdings nur das Nördliche Palmenhörnchen halten konnte.
Einige der Arten haben eine sehr weite Verbreitung, etwa das Eurasische Eichhörnchen sowie das Grauhörnchen, andere Arten leben als Endemiten in sehr eng begrenzten Gebieten, darunter etwa zahlreiche Arten der Gleithörnchen und Schönhörnchen auf Inseln in Südostasien oder verschiedene Streifenhörnchen in einzelnen Höhenzügen in Nordamerika.
Lebensweise
Mit Ausnahme der fast durchweg nachtaktiven Flughörnchen sind die meisten Arten, jedoch nicht alle, tagaktiv. Sie ernähren sich vor allem herbivor von Nüssen und anderen Samen, Früchten und anderen Pflanzenteilen sowie seltener auch von Insekten und anderen wirbellosen Tieren, kleinen Wirbeltieren sowie Vogeleiern und Jungvögeln. Die Tiere setzen ihre Nagezähne dabei ein, Schalen von Samen aufzunagen, Rinden abzuschaben, Löcher in Holz zu nagen und Objekte anzuheben. Die Zerkleinerung der Nahrung erfolgt durch die Mahlzähne im hinteren Teil des Gebisses vor allem durch Vor- und Rückwärtsbewegungen der Kiefer.
In den Bäumen lebende Hörnchen sind sehr agile Tiere, die weite Sprünge machen können und sich auch bei Stürzen selten verletzen. Sie bauen ihre Nester in Baumhöhlen oder Astgabeln. Dagegen leben die meisten Erdhörnchen in Gängen, die sie unterirdisch anlegen. Sie bleiben stets in der Nähe dieser Höhlen und fliehen beim Nahen eines Feindes ins Innere.
Evolution und Systematik
Stammesgeschichte
Die fossile Überlieferung der Hörnchen beginnt im späten Eozän. Die ältesten bekannten Fossilien stammen dabei aus dem nordamerikanischen Chadronium und sind etwa 37 Millionen Jahre alt. Die Hörnchen entstammen wahrscheinlich einer gemeinsamen Stammlinie mit den Aplodontiidae, deren einziger rezenter Vertreter das nordamerikanische Stummelschwanzhörnchen ist. Als wahrscheinlicher gemeinsamer Vorfahr wird ein Vertreter der Ischyromyidae diskutiert, der der Gattung Reithroparamys ähnlich war.
Unter den Baumhörnchen stammen die ältesten Fossilien von der in mehreren Teilen der Vereinigten Staaten nachgewiesenen Gattung Douglassciurus, die als älteste bekannte Art der Baumhörnchen gilt. Das Skelett entspricht dabei weitgehend denen moderner Baumhörnchen der Gattung Sciurus, das sciuromorphe Kopfskelett und die entsprechende Muskulatur sind allerdings noch nicht vorhanden und der Schädel besitzt stattdessen einen protrogomorphen Jochbogen-Masseter-Bau. Weitere nahe verwandte Gattungen innerhalb der frühen Baumhörnchen sind Protosciurus, Cedromus und Miosciurus.
Innerhalb der Flughörnchen stellt wahrscheinlich Hesperopetes die älteste Gattung unter den bekannten Fossilfunden dar. Aus dem frühen Oligozän ist zudem die Gattung Oligopetes dokumentiert und eine weitere nahe verwandte Gattung ist Lophiparamys.
Taxonomie und Systematikgeschichte
Die wissenschaftliche Systematik der Hörnchen geht zurück bis zur Erstbeschreibung des Eurasischen Eichhörnchens und einiger weiterer Hörnchenarten durch Carl von Linné in der 10. Auflage seines Systema naturae. In diesem beschrieb er sechs Gattungen der Nagetiere, darunter auch die Gattung Sciurus. Diese enthielt neben dem eurasischen Eichhörnchen (S. vulgaris) auch die amerikanischen Fuchshörnchen S. niger und S. cinereus, das Europäische Gleithörnchen (S. volans, heute Pteromys volans), das Atlashörnchen (S. getulus, heute Atlantoxerus getulus), das Streifen-Backenhörnchen (S. striatus, heute Tamias striatus) und die nicht zuzuordnende Art Sciurus flavus. Hinzu kamen das Alpenmurmeltier (M. marmota, heute Marmota marmota), das Waldmurmeltier (M. monax, heute Marmota monax) und das Neuweltliche Gleithörnchen (M. volans, heute Glaucomys volans), die den Mäusen in der Gattung Mus zugeordnet wurden.
Die Einordnung der Hörnchen als eigene Familie erfolgte 1817 durch Johann Fischer von Waldheim, der sie in der Adversaria zoologica in den Memoires de la Societe imperiale des naturalistes de Moscou veröffentlichte. Er benannte die Familie nach der von Carl von Linné eingeführten Gattung Sciurus als Sciuriorum und führte die Gattungen Sciurus und Tamias (Illiger, 1811) zusammen. Von dieser Erstbeschreibung wurden sowohl die Familienbezeichnung Sciuridae wie auch die Bezeichnung der Unterfamilie Sciurinae und der Tribus Sciurini abgeleitet. In den folgenden Jahrzehnten wurden viele weitere Arten beschrieben und auf zahlreiche Gattungen der Nagetiere aufgeteilt. 1923 stellte Reginald Innes Pocock eine erste Systematik der Hörnchen zusammen, die mit den Sciurinae, Tamiasciurinae, Funambulinae, Callosciurinae, Xerinae und Marmotinae sechs Unterfamilien enthielt. John Ellerman (1940) überarbeitete die bisherigen Ansätze und erstellte eine moderne Systematik mit sieben Sektionen innerhalb der Hörnchen, wobei er eine Benennung der Kladen vermied. Simpson (1945) übernahm die sechs Gruppen von Pocock, führte sie jedoch auf Tribus-Level weiter. Joseph Curtis Moore (1959) übernahm diese Triben und ergänzte sie um die Ratufini und Protoxerini, in die er einige Arten stellte, die in den Funambulini enthalten waren.
Gromov et al. (1965) erhoben die Erdhörnchen als Marmotinae auf eine Ebene als Unterfamilie, außerdem benannten sie die Xerinae und Sciurinae als Unterfamilien. Heaney (1985) ordnete die als Subtribus behandelten Hyosciurina (Hyosciurus, Prosciurillus, Rubisciurus und Exilisciurus) in die Schönhörnchen (Callosciurini) ein. Emry und Thorington (1984) trennten die Tamiasciurini in die Triben Sciurini und die Tamiini innerhalb der Marmotini. 1982 beschrieben sie zudem das älteste bekannte Hörnchenfossil Douglassciurus als baumlebende Form, aus der sich sowohl die Baumhörnchen wie auch die Flughörnchen entwickelt haben sollen. Sie behandelten entsprechend die Flughörnchen als Schwestergruppe aller anderen Hörnchentaxa. Die Monophylie der Flughörnchen wurde sowohl unterstützt wie auch bestritten, durch molekularbiologische Untersuchungen, etwa durch Mercer and Roth (2003) und Steppan et al. (2004), konnte unter anderem gezeigt werden, dass die Flughörnchen und die Baumhörnchen ein gemeinsames Taxon bilden. Auf dieser Basis wurde die phylogenetische Systematik erneut überarbeitet und führte zu der Systematik, die Thorington et al. 2005 in der 3. Auflage der Mammals of the World vorstellten.
In der Gattung der Ziesel (Spermophilus) wurden lange Zeit fast 40 Arten zusammengefasst, lediglich die Antilopenziesel (Ammospermophilus) wurden wegen zahlreicher Besonderheiten als eigene Gattung geführt. Die große Zahl der Arten hat mehrere Autoren dazu verleitet, eine Unterteilung der Gattung in Untergattungen zu versuchen. Nach einer umfassenden molekularbiologischen Untersuchung wurden die Ziesel jedoch auf insgesamt acht Gattungen aufgeteilt, die den ehemaligen Untergattungen entsprechen. Begründet wurde dies damit, dass die ursprüngliche Zusammenfassung aller Ziesel gegenüber den Murmeltieren (Marmota), den Antilopenzieseln (Ammospermophilus) und den Präriehunden (Cynomys) paraphyletisch war und damit kein gemeinsames Taxon bildete. Die nordamerikanischen Untergattungen der Ziesel wurden daraufhin zu mehreren Gattungen erhoben, in der Gattung Spermophilus im engeren Sinn verblieben nur die paläarktischen Arten der Untergattung Spermophilus aus Eurasien.
Thorington et al. 2012 übernahmen die Ergebnisse der molekulargenetischen Analysen und die darauf aufbauende Neuordnung in ihrem Standardwerk Squirrels of the World. Sie wurde auch im 2016 erschienenen Handbook of the Mammals of the World übernommen:
Unterfamilie Riesenhörnchen (Ratufinae)
Riesenhörnchen (Ratufa)
Unterfamilie Sciurillinae
Neuweltliches Kleinsthörnchen (Sciurillus)
Unterfamilie Baum- und Gleithörnchen (Sciurinae)
Tribus Baumhörnchen (Sciurini)
Neuweltliche Zwerghörnchen (Microsciurus)
Borneo-Hörnchen (Rheithrosciurus)
Eichhörnchen (Sciurus)
Mittelamerikanisches Berghörnchen (Syntheosciurus)
Rothörnchen (Tamiasciurus)
Tribus Gleithörnchen (Pteromyini)
Furchenzahn-Gleithörnchen (Aeretes)
Schwarze Gleithörnchen (Aeromys)
Haarfuß-Gleithörnchen (Belomys)
Biswamoyopterus
Kaschmir-Gleithörnchen (Eoglaucomys)
Eupetaurus
Neuweltliche Gleithörnchen (Glaucomys)
Pfeilschwanz-Gleithörnchen (Hylopetes)
Iomys
Kleinstgleithörnchen (Petaurillus)
Riesengleithörnchen (Petaurista)
Zwerggleithörnchen (Petinomys)
Echte Gleithörnchen (Pteromys)
Rauchgraues Gleithörnchen (Pteromyscus)
Komplexzahn-Gleithörnchen (Trogopterus)
Unterfamilie Schönhörnchen (Callosciurinae)
Echte Schönhörnchen (Callosciurus)
Sunda-Baumhörnchen (Sundasciurus)
Rotwangenhörnchen (Dremomys)
Asiatische Zwerghörnchen (Exilisciurus)
Gestreifte Palmenhörnchen (Funambulus)
Borneo-Zwerghörnchen (Glyphotes)
Ferkelhörnchen (Hyosciurus)
Schwarzstreifenhörnchen (Lariscus)
Berdmore-Palmenhörnchen (Menetes)
Braune Zwerghörnchen (Nannosciurus)
Sulawesi-Zwerghörnchen (Prosciurillus)
Langnasenhörnchen (Rhinosciurus)
Sulawesi-Riesenhörnchen (Rubrisciurus)
Baumstreifenhörnchen (Tamiops)
Unterfamilie Erdhörnchen (Xerinae)
Tribus Borstenhörnchen (Xerini)
Atlashörnchen (Atlantoxerus)
Afrikanische Borstenhörnchen (Xerus)
Zieselmäuse (Spermophilopsis)
Tribus Protoxerini
Afrikanische Palmenhörnchen (Epixerus)
Rotschenkelhörnchen (Funisciurus)
Sonnenhörnchen (Heliosciurus)
Afrikanische Zwerghörnchen (Myosciurus)
Afrikanische Buschhörnchen (Paraxerus)
Ölpalmenhörnchen (Protoxerus)
Tribus Echte Erdhörnchen (Marmotini)
Antilopenziesel (Ammospermophilus)
Callospermophilus
Präriehunde (Cynomys)
Ictidomys
Murmeltiere (Marmota)
Notocitellus
Otospermophilus
Poliocitellus
Chinesische Rothörnchen (Sciurotamias)
Ziesel (Spermophilus)
Streifenhörnchen (Tamias)
Urocitellus
Xerospermophilus
Etymologie
Die für die gesamte Nagerfamilie verwendete deutsche Bezeichnung Hörnchen wurde im 19. Jahrhundert sprachwissenschaftlich unrichtig von Eichhörnchen aus gebildet. Für Einzelheiten siehe Eichhörnchen#Wortherkunft.
Von der in der Antike verbreiteten Ansicht, dass sich Eichhörnchen mit ihrem gewaltigen Schwanz selber Schatten geben könnten, stammt ihr griechischer (in die wissenschaftliche Gattungsbezeichnung eingegangener) Name σκιοῦρος skiuros („Schattenschwanz“).
Einzelnachweise
Literatur
John L. Koprowski, E.A. Goldstein, K.R. Bennett, C. Pereira Mendes: Morphological Aspects. In: Don E. Wilson, T.E. Lacher, Jr., Russell A. Mittermeier (Herausgeber): Handbook of the Mammals of the World: Lagomorphs and Rodents 1. (HMW, Band 6) Lynx Edicions, Barcelona 2016, ISBN 978-84-941892-3-4, S. 648–837.
Ronald M. Nowak: Walker’s Mammals of the World. Johns Hopkins University Press, 1999, ISBN 0-8018-5789-9
Malcolm C. McKenna, Susan K. Bell: Classification of Mammals: Above the Species Level. Columbia University Press, 2000, ISBN 0-231-11013-8
Michael D. Carleton, Guy G. Musser: Order Rodentia. In: Don E. Wilson, DeeAnn M. Reeder (Hrsg.): Mammal Species of the World. 3. Ausgabe. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2005, S. 745–1600, ISBN 0-8018-8221-4
Weblinks
Emily McBride Brown, Alexandra Michelle Peri, Nicole Ann Santarosa: Sciuridae, squirrels im Animal Diversity Web, 2014; abgerufen am 4. August 2017.
Tierdoku Die verrückte Welt der Hörnchen auf dem YouTube-Kanal des WDR. 2. Dezember 2020. Regie: Yann Sochaczewski.
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Q9482
| 98.11089 |
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zischlaut
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Zischlaut
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Der Begriff Zischlaut oder Sibilant bezeichnet in der Phonetik einen Laut, der mit einem hörbaren Pfeifen oder Zischen einhergeht. Ein solcher Laut gehört in der Regel zu den Frikativen.
Artikulation
Den Zischlaut erzeugt man bei einer Mundstellung, bei der die aus dem Mund ausströmende Luft eine enge Stelle vor oder hinter den Zähnen passieren muss. Es handelt sich dabei also um einen sogenannten Reibelaut (Frikativ), der am Zahndamm (alveolar bzw. retroflex) oder am vorderen Gaumen (palatal) gebildet wird.
Die Bezeichnung Zischlaut ist allerdings keine feste Definition. Je nach Aussprache ist das Zischen bei den stimmhaften Lauten wesentlich geringer zu vernehmen, sodass diese manchmal nicht als Zischlaute bezeichnet werden. Bei Personen mit Zahnlücken hingegen ist das Pfeifen mitunter auch bei stimmhaften Zischlauten sehr deutlich zu hören.
Liste der Zischlaute
Nach dem Internationalen Phonetischen Alphabet gibt es folgende Zischlaute:
Stimmloser alveolarer Frikativ (wie in Haus)
Stimmhafter alveolarer Frikativ (wie in Suse)
Stimmloser alveolarer lateraler Frikativ
Stimmhafter alveolarer lateraler Frikativ
Stimmloser postalveolarer Frikativ (wie in Schule)
Stimmhafter postalveolarer Frikativ (wie in Garage)
Stimmloser retroflexer Frikativ
Stimmhafter retroflexer Frikativ
Stimmloser palataler Frikativ (wie in ich, daher auch Ich-Laut)
Stimmhafter palataler Frikativ
Affrikaten
Durch Kombination von einem Plosiv mit einem homorganen Frikativ entsteht eine sogenannte Affrikate. Die Zischlaute sind im engeren Sinne zwar eine Untergruppe der Frikative, da jedoch einige der Affrikaten inzwischen als eigenständiges Phonem aufgefasst werden, gehören sie auch in die Gruppe der Zischlaute.
Solche Affrikaten sind unter anderem:
(wie in Zaun, Katze)
[] (wie in Mädchen)
(wie in Matsch)
(wie in Dschungel)
Weblinks
Artikulationsart
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Q51600
| 126.749101 |
300479
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bockk%C3%A4fer
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Bockkäfer
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Die Bockkäfer (Cerambycidae) sind eine artenreiche Familie der Käfer (Coleoptera), sie sind eine der größten und vielfältigsten sowie ökologisch und wirtschaftlich wichtigsten Käfergruppen der Welt. Weltweit sind etwa 35.000 Arten aus etwa 4000 Gattungen bekannt, davon etwa 200 in Mitteleuropa. Auch der mit einer Körperlänge von bis zu 17 Zentimetern (ohne Fühler) größte bekannte Käfer, der Riesenbockkäfer (Titanus giganteus) aus Brasilien, gehört in diese Gruppe. In Mitteleuropa ist mit etwa sechs Zentimetern Körperlänge der Mulmbock (Ergates faber) die größte Art, während das Weidenböckchen (Gracilia minuta) mit einer Länge von maximal sieben Millimetern als kleinste europäische Art angesehen wird.
Bockkäfer sind durch die besonders langen, gegliederten Fühler sowie den langen und schmalen Körper gekennzeichnet. Die Fühler sind dabei oft länger als der Körper. Da sie zudem meist gebogen sind und nach hinten getragen werden, erinnern sie an die Hörner eines Steinbocks, was zu ihrem deutschen Namen (Trivialnamen) geführt hat.
Der wissenschaftliche Name dieser Käferfamilie geht auf den Schäfer Cerambos (auch Terambos) aus der griechischen Mythologie zurück, der nach einem Streit von den Nymphen in einen großen Käfer mit Hörnern verwandelt wird. In der umfangreichsten Fassung der Sage in den Metamorphosen des Antoninus Liberalis wird auch schon der Käfer erwähnt, dessen Kopf Hörner wie eine Lyra trägt, den die Thessalier Cerambyx nannten.
Merkmale
Die Bockkäfer sind häufig schillernd bunt, in verschiedenen Farben gezeichnet. Dabei existieren sowohl sehr stark leuchtende Farben wie etwa das Blutrot des Purpurbocks (Purpuricenus kaehleri) oder des Rothaarbocks (Pyrrhidium sanguineum), das Blau des Alpenbocks (Rosalia alpina) oder des Blauvioletten Scheibenbocks (Callidium violaceum) als auch Braun- und Grautöne sowie -zeichnungen wie bei den meisten Arten. Eine metallisch schimmernde Färbung hat etwa der Moschusbock (Aromia moschata) (metallisch grün), und die Wespenböcke (Gattung Plagionotus) tragen eine deutliche, schwarz-gelb gestreifte Warnfärbung, die eine Mimikry darstellt.
Die Körper der zur Familie gehörenden Käfer sind meistens gestreckt; dabei sind die Männchen häufig größer als die Weibchen, manchmal aber auch umgekehrt. Eindeutig erkennbar sind die Bockkäfer an den immer sehr langen Fühlern, deren Länge meistens mehr als zwei Drittel der Körperlänge beträgt, oft aber mehr als körperlang ist. Beim Männchen des Zimmermannsbocks (Acanthocinus aedilis), der nur etwa zwei Zentimeter lang ist, können die Fühler etwa mit zehn Zentimetern Länge das Fünffache der Körperlänge betragen. Die Antennen können sowohl seitlich vom Körper gespreizt als auch nach vorn getragen werden. Nur in Insektensammlungen werden die Fühler aus Platzgründen nach hinten gelegt.
Für die sehr langen und kräftigen Fühler ist eine solide Verankerung in der Kopfkapsel der Käfer und eine entsprechende Muskulatur für die Bewegung der Fühler notwendig. Beides nimmt viel Platz in Anspruch, so dass wenig Raum für die Augen der Käfer bleibt. Daher umwachsen die Augen vieler Bockkäferarten von hinten die Fühlerbasis.
Der Halsschild vieler Bockkäferarten ist bedornt. Diese für viele Bockkäferarten typischen Merkmale sind auf dem Detailfoto eines Moschusbocks zu erkennen. Der Fuß (Tarsus) der Bockkäfer besteht aus fünf Gliedern, wobei das vierte bei fast allen Arten wie bei den Blattkäfern (Chrysomelidae) extrem verkleinert und nur bei sehr genauer Betrachtung erkennbar ist. Diese Art des Tarsus bezeichnet man als „pseudotetramer“. Zugleich ist der Tarsus meistens stark verbreitert und behaart. Die Flügeldecken (Elytren) sind in der Regel gut ausgebildet, können vereinzelt jedoch auch verkürzt sein, etwa beim Dunkelschenklige Kurzdeckenbock (Molorchus minor) oder den etwa drei Zentimeter großen Necydalis-Arten.
Verbreitung
Bockkäfer sind weltweit auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis verbreitet. Nahezu 60 % der Arten ist dabei im orientalischen oder neotropischen Raum zu finden. Mehr als 88 % der Arten sind dabei auf nur ein biogeografisches Gebiet beschränkt. Die höchste Anzahl endemischer Arten findet sich in der Bockkäfer-Fauna des australasiatischen, äthiopischen, madagassischen und neotropischen Raums.
Lebensweise
Bockkäfer sind sowohl als Larven wie auch als Imagines reine Pflanzenfresser. Die Larven leben in der Regel in totem oder lebendem Pflanzenmaterial und ernähren sich von diesem. Die ausgewachsenen Bockkäfer ernähren sich je nach Art von Pollen, Blütenteilen oder Baumsäften, die Nahrung ist dabei fast immer rein pflanzlich. Andere Arten benagen frische Rinde (Langhornböcke (Monochamus), Hasel-Linienbock (Oberea linearis), Kleiner Pappelbock (Saperda populnea)), Blätter oder Stängel krautiger Pflanzen (Agapanthia, Phytoecia, Erdböcke (Dorcadion)) oder Blätter von Bäumen (Weberbock (Lamia textor), Weidenböckchen (Gracilia minuta)).
Diese Nahrung dient in der Regel einer Reifung der Keimdrüsen oder Gonaden (Reifungsfraß). Einige Artengruppen wie Weberböcke oder Grasböcke nehmen als erwachsene Tiere gar keine Nahrung auf. Räuberisch leben die amerikanischen Elytroleptus-Arten, die Rotdeckenkäfer (Lycidae) jagen und verzehren und durch deren bei den meisten größeren Räubern unbeliebten Geschmack wahrscheinlich ebenfalls ungenießbar werden.
Die meisten Bockkäfer sind gute Flieger. Viele Arten sind in der Lage, Geräusche durch nickende Bewegungen des vordersten Brustabschnitts (Prothorax) gegen den mittleren (Mesothorax) zu erzeugen. Dies geschieht vor allem bei Störung und dient wahrscheinlich der Verschreckung von potentiellen Feinden. Dabei streicht ein geriffeltes Feld am Halsschild über die Kante des Mesothorax. Der Große Eichenbock (Cerambyx cerdo) erzeugt während seiner gesamten nächtlichen Aktivität stridulierende Geräusche. Nothorhina muricata erzeugt Geräusche, indem er sich an Kiefern in geeignete Spalten der Rinde klemmt und mit rüttelnden Bewegungen des gesamten Körpers gegen die Rinde schlägt. Dabei kann es zu einem Wechselgesang von zwei oder mehr Käfern kommen.
Die Lebensdauer der Bockkäfer ist als erwachsenes Tier im Vergleich zu der Larvalzeit in der Regel sehr kurz; besonders, wenn man die aktive Zeit ohne Überwinterung in Betracht zieht. Die aktive Lebenszeit des erwachsenen Tieres beträgt meistens maximal 90 Tage, bei vielen Arten jedoch auch nur 30 Tage oder weniger.
Fortpflanzung
Eine ausgeprägte Balz existiert bei den Bockkäfern nicht, das Zusammentreffen der Partner geschieht meistens zufällig an geeigneten Plätzen. Trifft ein Männchen auf ein Weibchen, steigt es sofort auf und packt bei manchen Arten das Weibchen mit den Mandibeln an den Antennen, so etwa beim Gefleckten Schmalbock (Rutpela maculata). Vor und während der Kopulation beleckt das Männchen bei einigen Arten der Schmalböcke (Lepturinae) den Rücken des Weibchens, offensichtlich zur Beruhigung. Nach der Paarung wirft das Weibchen das Männchen meistens ab und hilft dabei mit den Beinen nach.
Die Eiablage erfolgt meistens in oder an der Nahrungspflanze der Larven. Dabei werden die Eier mit dem Eiablageapparat (Ovipositor) in Rindenritzen geschoben oder das Substrat wird vorher mit den Mandibeln bearbeitet. Die Arten der Gattung Agapanthia nagen vor der Eiablage ein Loch in die Stängel der Wirtspflanzen – Disteln und andere krautige Pflanzen – und legen das Ei dort hinein. Dabei sucht das Weibchen vor der Eiablage den Stängel nach bereits vorhandenen Löchern ab und verzichtet auf eine Ablage, wenn bereits ein anderes Weibchen ein Ei in dieser Pflanze untergebracht hat.
Larvalentwicklung
Die Larven aller Bockkäfer sind reine Pflanzenfresser, die sich vor allem von Holz ernähren. Einige Arten leben auch in krautigen Pflanzen oder in der Erde, wo sie sich von Wurzeln ernähren.
Larven im Holz
Die Larven der meisten Bockkäferarten ernähren sich von Holz (xylobionte Larven).
Sie sind meistens madenartig und flach, wenn sie unter Rinden leben, oder zylindrisch, wenn sie sich in das Innere von Hölzern bohren.
Letztere besitzen meistens kräftig ausgebildete Mandibeln und ein nur kurzes Bruststück. Außerdem haben sie Stemmwülste am Körper, zur Vorwärtsbewegung in den Holzgängen.
Der Zustand des Holzes spielt für die unterschiedlichen Arten eine wesentliche Rolle. So gibt es viele Arten, die sich ausschließlich von Totholz in dessen unterschiedlichen Phasen des Abbaus ernähren, andere brauchen lebendes Holz. Viele Larven fressen unter der Borke von Bäumen im Kambium oder im Splintholz, einige aber auch im Kernholz – beispielsweise die Larven des Großen Eichenbocks (Cerambyx cerdo).
Die kernholzfressenden Arten machen oft auch nicht vor Bauholz halt. So befallen Hausbocklarven (Hylotrupes bajulus) gut ausgetrocknetes Nadelholz und richten in Bauwerken erhebliche Schäden an. Da sie im Inneren von Dachsparren und Deckenhölzern fressen und eine dünne Außenwand stehen lassen, werden sie kaum bemerkt. Oft wird ein Befall erst erkannt, wenn Balken oder Bohlen brechen. Die Gefährlichkeit dieses Schädlings wird durch die in verschiedenen Landesbauordnungen vorhandene Meldepflicht deutlich. Aber auch in der Forstwirtschaft werden einige Bockkäferarten als Holzschädling betrachtet. So frisst die Larve des Gemeinen Fichtenbocks (Tetropium castaneum) zunächst unter der Rinde in der Kambialzone, frisst sich dann aber zur Verpuppung horizontal 2–4 cm tief ins Holz und nagt anschließend eine 3–4 cm lange Puppenkammer in vertikaler Richtung. Die dabei entstehenden Hakengänge entwerten das Holz der befallenen Fichten und Kiefern und machen einen größeren Verschnitt notwendig. Auch andere Arten fressen solche Hakengänge in das Holz der jeweils von ihnen bevorzugten Bäume; andere charakteristische Fraßbilder sind etwa die breiten Platzgänge der Scheibenböcke (Gattung Callidium) und der Langhornböcke sowie die tief ins Holz führenden Gänge der Kernholzfresser. In ihren Gängen sind die Bockkäferlarven eine beliebte Beute von Spechten. Ein besonderes Fraßbild erzeugen der Kleine Pappelbock an den Ästen der Zitterpappel sowie der Linienbock an Haselästen. Beide erzeugen Verdickungen der Äste, die als Holzgallen bezeichnet werden.
Die Dauer der Larvenzeit hängt vom Nährstoffgehalt und damit auch von dem Zustand des Holzes ab, in dem die Larven leben. Bei den meisten Arten dauert sie ein bis zwei Jahre. Arten in der leichter zu verarbeitenden Bastzone des Holzes entwickeln sich dagegen bereits innerhalb von drei bis fünf Monaten. Besonders lange dauert die Entwicklung bei Arten, die in trockenem Holz oder im Kernholz leben. Die Larven vom Mulmbock, Großen Eichenbock und Hausbock brauchen für ihre Entwicklung entsprechend drei bis vier Jahre; in Extremfällen wurden auch Entwicklungszeiten des Hausbocks von bis zu zehn Jahren beobachtet.
Viele holzfressende Larven von Bockkäfern beherbergen in ihrem Mitteldarm Symbionten in Form von Hefepilzen, die ihnen beim schwierigen Aufschluss des Holzes und der darin enthaltenen Cellulose helfen. Die dazu benötigten Enzyme, die Cellulasen, können nur von einigen Arten, wie dem Hausbock und dem Eichenbock selbst produziert werden; bei einer großen Anzahl von Arten ist die Verdauung des Holzes noch ungeklärt, zumal auch keine Gärkammern vorhanden sind. Die Symbionten versorgen den Käfer außerdem mit Vitaminen und Aminosäuren. Sie befinden sich in taschenartigen Ausstülpungen des vorderen Teiles des Darmes. Die Ausstülpungen werden kurz vor der Verpuppung zurückgebildet und die Mikroorganismen werden geschluckt. Beim Männchen verschwinden sie vollständig, beim Weibchen sammeln sie sich in Taschen am Legeapparat, für die Paul Buchner den Begriff Mycetome geprägt hatte. Bei der Eiablage gelangen die Symbionten so automatisch an die Außenseite der Eischalen. Die Larven fressen Teile der Schalen und nehmen so die Symbionten auf.
Larven, die nicht in Holz leben
Neben den Holzfressern gibt es auch Arten, die als Larven im Inneren von krautigen Pflanzen oder im Boden leben und dort Wurzeln anfressen. So fressen die Arten der Gattung Agapanthia in den Stängeln von Disteln, Brennnesseln und Braunwurz (zum Beispiel der Scheckhornbock (Agapanthia villosoviridescens), auch Nessel- oder Distelbock genannt) und anderen Kardengewächsen (zum Beispiel Agapanthia violacea), die im Süden lebende Agapanthia asphodeli auch in den Stängeln des Affodills. Der sehr schlanke Getreidebockkäfer (Calamobius filum) lebt sogar mit seiner schlanken Larve in den Stängeln von Gräsern. Von den Wurzeln der Gräser leben etwa die Erdböcke und auch die Vertreter der Gattung Vesperus oder Neodorcadion bilineatum.
Verpuppung
Die Verpuppung erfolgt in Puppenwiegen innerhalb der Nagespäne unter der Rinde oder in speziell ausgestatteten Gängen im Holz. Einige Arten bilden auch Kokons aus Erde, nachdem sie das Holz verlassen haben, etwa Arten der Gattungen Pachyta, Dinoptera, Pachytodes oder der Sägebock (Prionus coriarius). Bei der Puppe handelt es sich um eine als Pupa libera bezeichnete Form, die sich durch eine freie Beweglichkeit der Hinterleibssegmente auszeichnet.
Die Jungkäfer nagen sich zum Ausflug ein eigenes Ausschlupfloch. Eine Überwinterung erfolgt meistens als Larve im Holz, nur sehr selten als Käfer.
Systematik
Die Bockkäfer sind innerhalb der polyphagen Käfer (Polyphaga) sehr nah verwandt mit den Blattkäfern (Chrysomelidae), mit denen sie, gemeinsam mit Megalopodidae, den Orsodacnidae sowie den ehemals den Bockkäfern zugeordneten Familien Vesperidae, Disteniidae und Oxypeltidae das Taxon der Chrysomeloidea bilden. Die nächsten Verwandten dieser Überfamilie sind dann die Rüsselkäferverwandten (Curculionoidea). Mit den Vesperidae, Disteniidae und Oxypeltidae bilden die Bockkäfer eine monophyletische Gruppe, stammen also von einer gemeinsamen Stammlinie ab. Alle gemeinsame Merkmale teilen sie die langen Antennen und deren spezifischen Bau, auch wenn diese bei einigen Formen sekundär wieder verkürzt sind.
Weltweit sind etwa 35.000 Arten der Bockkäfer aus etwa 4000 Gattungen bekannt, davon etwa 200 in Mitteleuropa. Die Anzahl heute noch unbekannter Arten wird zudem als hoch eingeschätzt, über die letzten Jahre wurden jährlich mehr als 200 neue Arten beschrieben, vor allem aus Asien und Südamerika. Die interne Systematik der Bockkäfer ist, wie bei den meisten Insektengruppen, im Wandel und teilweise un klar. Phylogenetische Untersuchungen und Revisionen existieren bislang zwar für einige Untergruppen oder regional, jedoch nicht für die Gesamtheit der Bockkäfer.
Klassisch werden die Bockkäfer in verschiedene Unterfamilien mit unterschiedlichen Anzahlen von Gattungen und Arten aufgespalten. Die größten Unterfamilien sind dabei die Weberböcke und die Cerambycinae, die zusammen etwa 90 % aller Bockkäfer enthalten. Die folgende Darstellung folgt dabei der Aufstellung nach Lawrence 2016, die Unterfamilien mit in Europa heimischen Arten sind mit (E) gekennzeichnet.
Cerambycinae (E)
Lamiinae (E) (Weberböcke)
Lepturinae (E) (Schmalböcke)
Necydalinae (E)
Parandrinae
Prioninae (E) (Breitböcke)
Spondylidinae (E) (einschließlich Aseminae)
Dorcasominae
Eine ausführliche Darstellung der mitteleuropäischen Bockkäfer findet sich unter Systematik der Bockkäfer.
Bockkäfer als Neozoen
Da die meisten Bockkäfer als Holzbewohner bekannt sind, besteht bei ihnen auch die Gefahr, dass sie als Holzschädlinge auftreten. Besonders dramatisch kann sich die Situation entwickeln, wenn Bockkäfer in Regionen verschleppt werden, in denen sie ursprünglich nicht heimisch sind (Neozoen). Hier haben sie häufig keine spezialisierten Feinde und können sich entsprechend stark in Hölzern ausbreiten. Ein solches Neozoon ist etwa der Asiatische Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis), der über Transportkisten aus der Volksrepublik China auf den amerikanischen Kontinent eingeschleppt wurde. Wegen seines unspezifischen Fraßes wird der Käfer in neu besiedelten Gebieten zu einem echten Problem für das Ökosystem: Er wird in der Global Invasive Species Database zu den hundert schädlichsten invasiven Neobiota weltweit gezählt.
Die Tiere leben ziemlich unspezialisiert von verschiedenen Hölzern wie etwa Ahornen, Birken, Walnussbäumen, Eschen und vielen weiteren. Wegen Befalls mit diesen Käfern mussten seit 1996 in New York, Illinois und New Jersey Tausende von Bäumen gefällt werden; der Schaden beträgt bislang etwa 150 Millionen US-Dollar. Nach Angaben des Animal and Plant Health Inspection Service besteht die Gefahr, dass sich die Käfer über die gesamten USA verbreiten und so einen Schaden in der Holzwirtschaft, dem Tourismus und der Landwirtschaft von über 650 Milliarden US-Dollar verursachen könnten.
Der Käfer wird jedoch nicht nur in den USA gefürchtet, auch in Deutschland besteht erhöhte Alarmbereitschaft sowie eine Meldepflicht beim Auftreten dieser Tiere. Im Jahr 2001 wurde die Art erstmals auch in Europa (Braunau am Inn, Österreich) gefunden.
Bedrohung und Schutz
Viele Bockkäferarten gelten aufgrund von Lebensraumverlust und Lebensraumveränderungen als gefährdet. Sie sind abhängig von bestimmten Holzvorkommen oder von Altholzbeständen mit hohem Anteil an Totholz. Da diese Entwicklungsmöglichkeiten für die Larven häufig fehlen, sind viele Arten bedroht und stehen unter Naturschutz.
In der neuesten Fassung der Bundesartenschutzverordnung sind allerdings mit wenigen Ausnahmen alle einheimischen Arten unter Schutz gestellt worden. Einige besonders seltene sind in Deutschland folgende:
Körnerbock (Megopis scabricornis); Schutzstatus: „streng“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Mulmbock (Ergates faber); Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Zottenbock (Tragosoma depsarium); Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Wespenböcke (Necydalis ssp)
Großer Wespenbock (Necydalis major); Schutzstatus: „streng“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Panzers Wespenbock (Necydalis ulmi); Schutzstatus: „streng“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Eichenböcke (Cerambycini)
Großer Eichenbock (Cerambyx cerdo); Schutzstatus: „streng“ BNatSchG, FFH II und IV
Kleiner Eichenbock (Cerambyx scopolii); Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Cerambyx miles; Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Moschusbock (Aromia moschata); Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Alpenbock (Rosalia alpina); Schutzstatus: „streng“ BNatSchG, FFH II und IV
Purpurbock (Purpuricenus kaehleri); Schutzstatus: „streng“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Variabler Erdbock (Iberodorcadion fuliginator); Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Weberbock (Lamia textor); Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Phytoecia
Schwarzgrauer Walzenhalsbock (Phytoecia nigricornis); Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Bleicher Alteichen-Nachtbock (Trichoferus pallidus) Schutzstatus: „besonders“ BNatSchG, BArtSchV (1)
Kulturelle Rezeption
Literatur
Petr Švácha, John F. Lawrence: Cerambycidae Latreille, 1802. In:
Ulrich Bense: Longhorn Beetles. Illustrated Key to the Cerambycidae and Vesperidae of Europe. Margraf, Weikersheim 1995. ISBN 3-8236-1153-4.
Karl Wilhelm Harde (1966): 87. Fam. Cerambycidae. In: Die Käfer Mitteleuropas, Band 9. – Krefeld: Goecke & Evers.
Bernhard Klausnitzer, Friedrich Sander: Die Bockkäfer Mitteleuropas. Cerambycidae. Ziemsen, Wittenberg 1978, 1981, 1983, Spektrum, Akad. Verl., Heidelberg 1996. ISBN 3-89432-474-0.
Bernhard Klausnitzer, Ulrich Klausnitzer, Ekkehard Wachmann, Zdeněk Hromádko: Die Bockkäfer Mitteleuropas. Die Neue Brehm-Bücherei 499, 2 Bände, 4. Auflage. VerlagsKG Wolf, Magdeburg 2018, ISBN 978-389432-474-2
Manfred Niehuis: Die Bockkäfer in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Fauna und Flora in Rheinland-Pfalz, Beiheft Nr. 26. Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz e. V. (GNOR). GNOR, Mainz 2001, 604 S., ISBN 3-9807669-0-X.
Wolfgang Schwenke (Hrsg.) u. a.: Die Forstschädlinge Europas. Ein Handbuch in 5 Bänden
Band 2: Käfer. Parey, Hamburg und Berlin 1974, ISBN 3-490-11016-1.
Walter Weckwerth: Unsere bekanntesten Bockkäfer und ihre Bedeutung. Für die Forstwirtschaft unter Berücksichtigung des Naturschutzgedankens. 2., unveränderte Auflage (Nachdruck der 1. Auflage, Ziemsen, Wittenberg 1954). Die neue Brehm-Bücherei, Heft 122. Westarp-Wissenschaften, Hohenwarsleben 2004, 40 S., ISBN 3-89432-587-9.
Weblinks
Sehr große europäische Bockkäfergalerie
Worldwide Cerambycidae
Longhorn-Beetles of the West Palaearctic Region
Bildergalerie Bockkäfer
Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kanazawa
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Kanazawa
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Kanazawa (, -shi) ist eine Großstadt, Seehafen und Verwaltungssitz der Präfektur Ishikawa auf Honshū, der Hauptinsel von Japan. Kanazawa liegt etwa 150 km nördlich von Nagoya an der Küste zum japanischen Meer und ist mit über 450.000 Einwohnern die größte Stadt in der Region Hokuriku.
Geschichte
Historisch war Kanazawa das Zentrum der Ikkō-ikki (一向一揆; „Ikkō-Aufstände“) in der Provinz Kaga. Die sogenannte buddhistische Ikkō-shū (一向宗) hatte im 15. Jahrhundert den Fürsten gestürzt und fast ein Jahrhundert autonom regiert. 1580 unterwarf Oda Nobunaga die buddhistische Regierung des sogenannten „Bauernkönigreichs“. 1583 zog schließlich Maeda Toshiie als Daimyō des Lehens Kaga in der Provinz Noto in Kanazawa ein. Er erhielt von Toyotomi Hideyoshi für sein Lehen zusätzlich Teile der Provinzen Kaga und Etchū (heutige Präfekturen Ishikawa und Toyama). Es war das größte Lehen der damaligen Zeit.
Die Einnahmen der Daimyō wurden in Reis, gemessen in Koku, vom Machthaber im Lande festgesetzt, zunächst von Toyotomi Hideyoshi, dann nach 1600 von den Tokugawa. Da die Maeda zu den Gegnern der Tokugawa gehörten, wurden sie mit hohen Zuwendungen, mit 1 Million Koku, auf Japanisch Hyakumangoku, in das politische System eingebunden. Sie waren damit die reichsten Daimyō in Japan. Noch heute erinnert der Name einer großen Straße in Kanazawa an diese Tatsache.
Die Region blieb in den 300 Jahren der Maeda-Regierung von Krieg und schweren Naturkatastrophen verschont, so förderten die Fürsten sehr Kultur, Literatur, Sado, Theater, Gartenkunst und so weiter. Unter der Maeda-Regierung erlebte die Stadt eine kulturelle Blüte, was ihr bis heute den Namen Sho-Kyōto (Klein-Kyōto) eintrug.
Als nach dem Ende des Tokugawa-Shogunates die Lehen (Han) abgeschafft und die Präfekturen gegründet wurden, wurde Kanazawa die Hauptstadt der neuen Präfektur Ishikawa.
Im damaligen Schloss von Kanazawa wurde die siebte Hochschule Japans gegründet, die nach dem Zweiten Weltkrieg Universität Kanazawa genannt wurde.
Sehenswürdigkeiten
Sehenswert ist der Kenrokuen, ein Park, der zu den drei perfekten Gärten Japans gezählt wird, die neu errichtete Burg Kanazawa mit dem Ishikawa-mon, dem einzigen Überbleibsel der Originalburg, und das Samurai-Viertel, wo bis heute ehemalige Samurai-Villen erhalten sind.
Ninja-dera, Omicho-Markt, Teramachi und das Higashiyama Chaya (Teeviertel) sollten bei einem Besuch ebenfalls nicht ausgelassen werden.
Verkehr
Zug:
JR Hokuriku-Hauptlinie
Hokuriku-Shinkansen
Straße:
Hokuriku-Autobahn
Nationalstraße 8
Nationalstraßen 157, 159, 249, 304, 305, 359
Die Strecke des Hokuriku-Shinkansen ist seit März 2015 bis Kanazawa in Betrieb. An der Weiterführung wird gebaut. In Vorbereitung für den Schnellverkehr wurde unter anderem der Hauptbahnhof 2005 völlig neu errichtet.
Wirtschaft
Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind neben dem Maschinenbau und der Textilindustrie das Kunsthandwerk.
Berühmt sind vor allem das Blattgold aus Kanazawa, Töpferwaren (Kutani-yaki, Ohi-Yaki), Seidenmalerei (Kaga-Yuzen) und Lackwaren (Wajima-nuri) aus dem nahegelegenen Wajima auf der Noto-Halbinsel.
Bildung
Es gibt in Kanazawa zwei staatliche und vier Privatuniversitäten.
Städtepartnerschaften
Kanazawa listet folgende sieben Partnerstädte auf:
Buffalo, USA (seit 1962)
Porto Alegre, Brasilien (seit 1967)
Irkutsk, Russland (seit 1967)
Gent, Belgien (seit 1971)
Nancy, Frankreich (seit 1973)
Suzhou, Volksrepublik China (seit 1981)
Jeonju, Südkorea (seit 2002)
Deutsch-Japanische Partnerschaften
Seit 2003 besteht zwischen dem Century College Kanazawa und der Völker-Schule e.V. Osnabrück eine Schulpartnerschaft für die Ausbildung von Ergotherapeuten und Physiotherapeuten.
Die Universität Kanazawa ist verbunden mit der Universität Regensburg, der Universität Siegen und der Heinrich Heine Universität Düsseldorf. Es gibt ein Partneruniprogramm, KUSEP (Kanazawa University Short Term Exchange Programm).
Auch die Deutsch-Japanische Gesellschaft Regensburg und die Japanisch-Deutsche Gesellschaft Kanazawa unterhalten eine Partnerschaft.
Söhne und Töchter der Stadt
Ganku (1756 oder auch 1749–1839 oder 1838), Maler
Inokuchi Ariya (1856–1923), Begründer des Maschinenbaus und Erfinder der Kreiselpumpe
Uryū Sotokichi (1857–1937), Admiral
Ōse Jintarō (1866–1944), Pädagoge
Fujii Kenjirō (1866–1952), Botaniker
Fujioka Sakutarō (1870–1910), Literaturwissenschaftler
Daisetz Teitaro Suzuki (1870–1966), buddhistischer Autor
Kyōka Izumi (1873–1939), Schriftsteller
Kiryū Yūyū (1873–1941), Journalist
Nobuyuki Abe (1875–1953), General, Politiker und 36. Premierminister Japans
Shūkō Yoshida (1887–1946), Maler
Saisei Murō (1889–1962), Schriftsteller
Saiten Tamura (1889–1933), Maler
Hatakeyama Kinsei (1897–1995), Maler
Akaji Yūsai (1906–1984), Lackkünstler
Hasegawa Norishige (1907–1998), Geschäftsmann
Shūgorō Hasuda (1915–2010), Kunstschmied
Chōzaemon Ōhi (* 1927), Keramiker
Yoshio Koide (* 1942), Physiker
Terumichi Yamada (* 1953), Jazzmusiker
Yoshiya Minami (* 1971), Pornodarsteller
Dejima Takeharu (* 1974), Sumōringer
Mamiko Noto (* 1980), Synchronsprecherin
Yōhei Koyama (* 1998), Skirennläufer
Ryōya Taniguchi (* 1999), Fußballspieler
Angrenzende Städte und Gemeinden
Präfektur Ishikawa
Hakusan
Tsubata
Uchinada
Nonoichi
Präfektur Toyama
Oyabe
Nanto
Literatur
S. Noma (Hrsg.): Kanazawa. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993. ISBN 4-06-205938-X, S. 732.
James L. McClain: Bonshogatsu. Festivals and State Power in Kanazawa. In: Monumenta Nipponica, Jg. 47, Nr. 2, 1992, S. 163–202.
Weblinks
Offizielle Website (japanisch, englisch, koreanisch und chinesisch)
Völker-Schule e.V. Osnabrück
Einzelnachweise
Ort in der Präfektur Ishikawa
Ort mit Seehafen
Japanische Präfekturhauptstadt
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Q191130
| 90.961742 |
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https://de.wikipedia.org/wiki/Flerovium
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Flerovium
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Flerovium ist ein chemisches Element mit der Ordnungszahl 114 und dem Elementsymbol Fl. Im Periodensystem steht es in der 14. IUPAC-Gruppe und gehört damit zur Kohlenstoffgruppe. Es zählt zu den Transactinoiden. Nur wenige Atome wurden hergestellt, die jeweils nur einige Sekunden existierten.
Geschichte
Flerovium wurde vermutlich erstmals 1999 im Vereinigten Institut für Kernforschung bei Dubna (Russland) von Wissenschaftlern des Instituts und des Lawrence Livermore National Laboratory erzeugt. Die Entdeckung wurde im Juni 2011 von der IUPAC bestätigt, womit dieses Element offiziell Eingang in das Periodensystem der Elemente fand. Am 23. Mai 2012 wurde der am 1. Dezember 2011 vorgeschlagene Name von der IUPAC angenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hieß es Ununquadium (chemisches Symbol Uuq). Der neue Name wurde zu Ehren des russischen Physikers Georgi Fljorow (englische Transkription Flerov) vergeben.
Eigenschaften
Das stabilste der bisher bekannten Flerovium-Isotope, 289Fl, besitzt mit 1,9 Sekunden eine im Vergleich zu im Periodensystem benachbarten Elementen lange Halbwertszeit, mit dem nächst schwereren Isotop 290Fl bei einer womöglich noch größeren Halbwertszeit von circa 20 Sekunden. Das liegt daran, dass es sich bei der Ordnungszahl 114 um eine sogenannte magische Zahl handelt; aufgrund einer abgeschlossenen Unterschale im Kernschalenmodell sind Kerne mit 114 Protonen relativ stabil. Beim bisher noch nicht synthetisierten Isotop 298Fl würde es sich um einen doppelt magischen Kern handeln, d. h., auch die Neutronenzahl wäre eine magische Zahl. Man erwartet daher, dass die Halbwertszeit dieses Isotops noch deutlich höher liegt. 2022 als Teil des FAIR-Phase-0 Programmes konnten in einem sechswöchigen Dauerversuch im UNILAC-Linearbeschleuniger am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt Hinweise auf chemische Eigenschaften gewonnen werden. Das Element wird als flüchtiges Metall beschrieben, dessen Reaktivität etwas geringer im Vergleich zu Quecksilber ist.
Sicherheitshinweise
Es gibt keine Einstufung nach der CLP-Verordnung oder anderen Regelungen, weil von diesem Element nur wenige Atome gleichzeitig herstellbar sind und damit viel zu wenige für eine chemische oder physikalische Gefährlichkeit.
Literatur
Weblinks
Nuklidkarte beim National Nuclear Data Center
Einzelnachweise
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Q1302
| 255.612677 |
228271
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https://de.wikipedia.org/wiki/Herbarium
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Herbarium
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Ein Herbarium oder Herbar (von lateinisch herba „Kraut“) ist eine Sammlung konservierter (meist getrockneter und gepresster) Pflanzen bzw. Pflanzenteile (Exsiccate) für wissenschaftliche Zwecke oder auch für die Liebhaber-Beschäftigung mit der Botanik. Wissenschaftliche Herbarien haben mitunter auch Teilsammlungen nasskonservierten Materials (in Alkohol) oder Holzsammlungen (Xylarium).
Einzelne Pflanzen bzw. ihre Teile sind dabei als Einheit erkennbar auf einem Herbarbogen aufgeklebt (Herbarbeleg). Sie sollten von einem Aufsammlungsereignis stammen und die Fundumstände dokumentiert sein (Datum, Fundort, Standort, Sammler etc.).
Neben dem Herbarium gibt es auch historische Kräuterbücher (Herbarius), die Abbildungen von Pflanzen enthalten.
Zweck eines Herbariums
Ein Herbarium erlaubt dem Botaniker, Pflanzen unterschiedlicher Herkunft zu vergleichen und unsichere Bestimmungen zu überprüfen („Vergleichsherbar“) oder Vorkommen bestimmter Arten an ihren Wuchsorten nachzuweisen („Belegherbar“). Durch Auswertung älterer Herbarien lassen sich nicht selten Änderungen in der Häufigkeit oder Verschiebungen der Verbreitungsgebiete nachzeichnen. Das spätere (Neu-)Bestimmen einer Pflanze im Herbarium ist fast immer möglich; die räumlichen Strukturen bleiben nämlich beim Trocknen und Pressen erhalten. Farben können zwar ausbleichen oder sich verändern; jedoch bedient man sich gewisser „Faustregeln“ – so weiß man, dass gelbe Pflanzenteile nach dem Trocknen langsam schwarz werden.
Bestimmungsschlüssel und Florenwerke beruhen in den meisten Fällen ebenfalls auf dem Vergleich von Herbarbelegen, nur selten und ausnahmsweise können die oft seltenen und in weit auseinanderliegenden, schwer zugänglichen Regionen wachsenden Arten direkt im Gelände verglichen werden. Dadurch ist es in manchen Fällen paradoxerweise leichter, Herbarbelege seltener Arten bis zur Art zu bestimmen als lebende Exemplare direkt am Standort. Neben Gestalt und Farbe weichen auch Maße wie die Länge und Breite von Pflanzenorganen bei konservierten Pflanzen sehr oft von denjenigen frischer Exemplare ab. Dies ist beim Vergleich zu berücksichtigen.
Das Anlegen eines Herbariums war früher Voraussetzung für das Vorexamen als Apotheker. Auch heute noch wird im Biologiestudium und in verwandten Studiengängen an vielen Universitäten das Anlegen eines kleinen Herbariums als Übung gefordert. Teilweise wird auch bereits in der Schule im Biologieunterricht ein kleines Herbarium angelegt; die Anforderungen sind hierbei natürlich deutlich geringer.
Herbarien als Sammlungen
Ein wissenschaftliches Herbarium ist ein Spezialfall einer Forschungssammlung (oder wissenschaftlichen Sammlung), mit den üblichen Aufgaben, und Problemstellungen, einer solchen Einrichtung. Geleitet wird es in der Regel von einem Kurator, dem, je nach Größe der Sammlung, Sammlungsassistenten und technisches Personal zur Seite stehen. Kleinere Herbarien, mit weniger als etwa 50000 Herbarbelegen, stehen in dieser Hinsicht oft erheblichen Problemen gegenüber. Oft ist kein besonderer, hauptamtlicher Kurator designiert, es wird erwartet, dass ein anderer Mitarbeiter des Museums, der Universität oder einer anderen Institution, die das Herbarium unterhält, diese Aufgabe neben seinen anderen Aufgaben nebenher mit erledigt. Für die Kuratierung auch einer kleineren Sammlung wird, grob abgeschätzt, ein Zeitbedarf von im absoluten Minimum einer Viertel Vollzeitstelle veranschlagt. Neben den Aufgaben als Belegherbar und Vergleichsherbar sind eine ganze Reihe weiterer Aufgaben zu berücksichtigen. So sollen Studenten und Fakultäten mit Material für Übungs- und Ausbildungszwecke versorgt werden. Wissenschaftler anderer Fachbereiche, zum Beispiel Vegetationskundler und Biogeographen, aber auch Archäologen (Archäobotaniker) und viele andere sollen in ihrer Arbeit, als Dienstleistung, unterstützt werden. Anfragen anderer Institutionen nach Sammlungsmaterial müssen bearbeitet, ggf. dessen Versand organisiert werden. Im Idealfall soll darüber hinaus öffentlich für Belange der Botanik, und der Biodiversität allgemein, informiert und geworben werden, Amateur- und Hobbyforscher unterstützt und die Öffentlichkeit durch Bereitstellung von Daten informiert werden.
Ein besonderes Problem, mit zunehmender Bedeutung, ist die Datenhaltung. Wie in anderen Sammlungen, wurden die Daten früher in Katalogen und auf Karteikarten niedergelegt. Bei der Datenhaltung in EDV-Systemen sind, wie in allen vergleichbaren Fällen, standardisierte Registratur- und Austauschformate zu entwickeln und sicherzustellen. Dabei ist eine ständige Pflege des Datenbestands erforderlich, zum Beispiel, wenn sich der gültige wissenschaftliche Name einer Art ändert oder wenn ein zur Art bestimmter Beleg von einem anderen Botaniker einer anderen Art zugeordnet wird. Plattformen für den Datenaustausch wie GBIF (Global Biodiversity Information Facility), Darwin Core (Standard der Taxonomic Databases Working Group (TDWG)) oder BioCase (Biological Collection Access Service) und andere sind dabei nicht immer vollständig miteinander kompatibel.
Herbarbelege
Ein Herbarbeleg ist im Regelfall ein getrocknetes und flachgepresstes Exemplar eine Pflanze oder, bei größeren Pflanzen, eine Sammlung von Teilen davon, wie zum Beispiel beblätterten Trieben oder Zweigen, Blütenständen und Blüten usw., die auf einen Karton oder einen Bogen Papier aufgeklebt ist. Wesentliche Angaben werden auf einem aufgeklebten Etikett dokumentiert, ohne das ein Beleg wissenschaftlich von geringem Wert ist. Bei Pflanzenarten, die aufgrund ihrer Morphologie nur schwer in dieser Form aufzubewahren sind, etwa weil sie zu groß und sperrig sind oder die beim Trocknen ihre Form verlieren, werden ersatzweise andere Konservierungsmethoden verwendet. Auch für Herbarbelege von Moosen, Flechten und Pilzen existieren eigene, standardisierte Methoden, die vom Vorgehen bei Gefäßpflanzen abweichen.
Die für einen Herbarbogen gesammelte Pflanze soll vollständig und von guter Qualität sein. Bei großen Pflanzen sollen die für die Bestimmung relevanten Pflanzenteile (Blüten/Früchte, Blatt, Spross, Wurzel) vorhanden sein. Das Pflanzenmaterial soll ohne Schäden (mechanisch, Pilzbefall, Vergilben) gepresst und getrocknet sein und interessante Bestandteile sollen klar sichtbar sein. Um einen Herbarbeleg anzulegen, müssen zunächst Pflanzen gesammelt werden. Dazu sind möglichst typische, für die Population repräsentative Exemplare auszuwählen. Im Regelfall werden nur blühende oder fruchtende Exemplare ausgewählt. Normalerweise sollten immer mehrere Exemplare herbarisiert werden. Wenn zur Vervollständigung Teile verschiedener Individuen auf einen Bogen montiert werden, besteht allerdings das Risiko, dass sie verschiedene Pflanzensippen repräsentieren. Der Sammler muss über botanische Kenntnisse verfügen, damit er weiß, welche Merkmale für die entsprechende Gruppe wesentlich sind, und das Material entsprechend auswählt; so sind bestimmte Arten nur im blühenden bzw. im fruchtenden Zustand bestimmbar. Früher wurden zum Sammeln Botanisiertrommeln benutzt, heute erfüllen Kunststofftüten diesen Zweck. Bestimmte Pflanzen, zum Beispiel aus der Familie Papaveraceae, müssen bereits im Gelände gepresst werden, da die Belege sonst zerfallen (hier: die Blütenblätter verlieren).
Zur Weiterbehandlung der gesammelten Pflanzen existieren mehrere Methoden, die je nach äußeren Umständen (klimatische Bedingungen, Platzbedarf auf Reisen usw.) ihre Vor- und Nachteile haben. Wenn möglich, werden die Pflanzen meist direkt anschließend getrocknet und gepresst. Um die Pflanzen zu pressen, verwendet man entweder spezielle Gitterpflanzenpressen mit Zugfedern oder im einfachen Fall legt man die Pflanze zwischen Fließpapier (ersatzweise Zeitungspapier) und Holzplatten und beschwert diese. Das zum Trocknen verwendete Papier sollte dabei regelmäßig gewechselt werden, da die Pflanzen ansonsten Gefahr laufen zu schimmeln, dabei sollte aber der Fließpapierbogen mit dem Herbarbeleg selbst, bis zur vollständigen Trocknung, niemals gewechselt werden. Oft werden Abstandshalter eingefügt, um Luftzirkulation zu ermöglichen. Wichtig ist es, die Belege schon in diesem Stadium eindeutig zu kennzeichnen, um späteren Verwechslungen vorzubeugen. Während einfaches Trocknen zwischen saugfähigem Papier unter optimalen Bedingungen ausreichen kann, ist es meist erforderlich, die Belege über einer Wärmequelle künstlich zu trocknen.
Vor allem in tropischen Klimaten werden die Herbarbelege alternativ dazu zunächst unter Verwendung von Alkohol aufbewahrt, um erst später unter besseren Bedingungen getrocknet zu werden. Dieses Vorgehen wird als Schweißfurth-Methode bezeichnet. Dazu werden die zwischen Fließpapier gepressten Belege unter Luftabschluss in dicht schließenden Plastikbeuteln in Alkohol eingelegt.
Die fertig getrockneten Pflanzen werden anschließend zur dauerhaften Aufbewahrung auf einen Herbarbogen montiert. Um Beschädigungen beim Hantieren vorzubeugen, werden die Pflanzen mit gummierten Papierstreifen auf dem Herbarbogen festgeklebt. Das flächige Aufkleben, oder gar das in Laien-Herbaren manchmal angewendete Einschweißen der Bögen unter Plastikfolie, sind in wissenschaftlichen Sammlungen nicht akzeptabel. Minimale Angaben auf einem Herbariumsblatt sind Fundort (möglichst GPS-Koordinaten), Funddatum und Finder. Meist wird auch noch der wissenschaftliche Name der Pflanze angegeben. Es ist üblich, dass der Sammler für jeden Herbarbeleg eine eindeutige Sammelnummer vergibt. Von Bedeutung für zukünftige Betrachter sind außerdem Angaben zu Standort, Häufigkeit, Begleitpflanzen und weitere Beobachtungen. Zusätzlich sollten Merkmale notiert werden, die nur an der lebenden Pflanze feststellbar sind (Gesamt-Wuchshöhe bei Gehölzen, Farbe der frischen Blüten usw.).
Um einen dauerhaften Zugriff auf die gesammelten Pflanzen sicherzustellen, werden die Herbarpflanzen unter klimakontrollierten Bedingungen gelagert. Eine trockene Lagerung ist wichtig, um Fäulnis und Schimmelbildung zu verhindern. Staubläuse, Museumskäfer oder andere Sammlungsschädlinge, die von getrockneten Pflanzen leben, werden am besten durch gelegentliches Tiefkühlen bekämpft.
Die einzelnen Herbarbögen werden im Optimalfall liegend in flachen Fächern aufbewahrt. Die Ansichten über den Gebrauch von Kunststofffolien zur Abdeckung anstelle von Papier sind geteilt.
Der Name einer Pflanzenart geht oft auf ein bestimmtes getrocknetes Exemplar, den Holotypus dieser Art, in einem wissenschaftlichen Herbarium zurück.
Pflanzenarten können, nach nationalem Recht oder durch internationale Verträge und Vereinbarungen, dem Artenschutz unterliegen. In Deutschland betrifft dies zum Beispiel die nach Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) „besonders“ bzw. „streng“ geschützten Arten. Deshalb sind vor dem Herbarisieren genaue Informationen über die vorliegende Pflanzenart einzuholen. Gegebenenfalls ist bei der zuständigen Behörde eine Ausnahme zu beantragen.
Herbarbelege zur DNA-Extraktion
Neben ihrer traditionellen Bedeutung besitzen Herbarbelege heute, wie andere Belege in wissenschaftlichen Sammlungen, zunehmende Bedeutung zur Gewinnung von DNA-Belegen, deren Sequenz wichtige Grundlage für Taxonomie und Systematik besitzt (Phylogenomik); außerdem dienen bestimmte und benamte Belege als Referenz zur Arterkennung mittels DNA-Barcoding. Durch die Weiterentwicklung der entsprechenden Techniken (genannt „next-generation sequencing“) ist es heute möglich, auch ältere Belege mit teilweise durch altersbedingten Zerfall degradierter DNA noch zu nutzen; auch die nach der Schweißfurth-Methode mit Alkohol behandelten Exemplare, die früher kaum verwendbar waren, liefern nun auswertbares Material. Allerdings ist die Verwendung alter Herbarbelege methodisch ausgesprochen schwierig, weil die Proben durch Verunreinigung oft mit Fremd-DNA kontaminiert sind, was die Ergebnisse verfälschen kann. Hier sind die für aDNA entwickelten, aufwändigeren Methoden einzusetzen.
Virtuelles Herbarium
Hauptartikel: Virtuelles Herbarium
Mittlerweile haben einige Herbarien Teile ihrer Sammlung digitalisiert, um sie bspw. über das Internet einem breiten Publikum verfügbar machen zu können. Herbar Digital war ein Forschungsprojekt zur Rationalisierung der Virtualisierung (Digitalisierung) von botanischem Belegmaterial. In den 2010er Jahren kamen Massendigitalisierungsstraßen zum Einsatz.
Entstehung
Der Ausdruck „Herbarium“ bezeichnete in der frühen Neuzeit zunächst ein Kräuterbuch. Sammlungen getrockneter Pflanzen nannte man hingegen „Herbarium vivum“, „Herbarium siccum“ oder auch „Hortus hiemalis“ (lateinisch „Wintergarten“), weil es im Winter die Anschauung der lebenden Pflanzen im Garten ersetzen sollte. Die ersten Erwähnungen gepresster Pflanzen stammen aus dem 15. Jahrhundert. Die frühesten Herbarien wurden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Gründung von Botanischen Gärten in Mittelitalien angelegt. Das früheste erhaltene Herbarium, heute in Florenz, ist das des italienischen Botanikers und Priesters Michele Merini, das um 1545 angelegt wurde. Die Erfindung wird Merini, häufiger aber seinem Lehrer Luca Ghini (1490–1556) zugeschrieben, der mit dem Orto botanico in Pisa auch den weltweit ersten botanischen Garten begründete. Die frühen Herbarien waren meist, analog Kräuterbüchern zu einem Buch (Codex) zusammengebunden. Ein solches „liber ex plantis agglutinatis“ schenkte zum Beispiel Andrea Cesalpino dem Herzog Cosimo I. de’ Medici. Erhalten ist das, heute in Leiden aufbewahrte, Herbarium des Leonhard Rauwolf, in dem er auf 513 Bögen Pflanzen seiner Reise in den Orient sammelte. Das vermutlich älteste erhaltene deutscher Herbar ist das von Caspar Ratzenberger von 1592, es wird heute im Naturkundemuseum Ottoneum in Kassel ausgestellt. Waren diese frühen Herbarien zunächst noch mehr oder weniger so etwas wie zusammengetragene Kuriositätenkabinette, begann im Anschluss an die Arbeiten von John Ray, Joseph Pitton de Tournefort, Carl von Linné, Augustin Pyrame de Candolle und anderen Forschern ihrer Zeit die Aufstellung von systematischen Herbaren. Das Herbarium des Schweizer Botanikers Caspar Bauhin gehört zu den ersten, in denen alle bekannten Pflanzenarten, geordnet nach der von Linné begründeten Systematik, gesammelt werden sollten. Er nutzte sein Herbarium (heute in Basel aufbewahrt) nun auch als Mittel der Forschung, in dem er die gesammelten Pflanzen miteinander verglich und auf dieser Basis Differenzialdiagnosen aufstellte. Das Herbarium des irischen Botanikers Hans Sloane (1660–1753) wurde nach seinem Tode durch die britische Regierung angekauft, es bildet den Grundstock des Herbars des Natural History Museum. Carl von Linné stellte sein, für die Pflanzentaxonomie grundlegendes Werk vor allem auf Basis der Herbarien anderer zeitgenössischer Botaniker auf, über dasjenige des niederländischen Juristen George Clifford III. verfasste er sein Werk Hortus Cliffortianus. Das Herbarium von Linné selbst, das „nur“ 14000 Belege enthält, wurde nach seinem Tode von seiner Witwe nach England verkauft, es liegt heute bei der Linnean Society of London. Viele der dort gehaltenen Belege sind in digitaler Form abrufbar.
Große Herbarien
Wissenschaftliche Herbarien sind in der Regel botanischen Gärten, naturkundlichen und naturhistorischen Museen oder biologischen Universitäts-Instituten, meist der speziellen Botanik, angegliedert. Alle großen und bedeutenden, international tätigen Herbarien sind im Verzeichnis „Index Herbariorum“ aufgeführt. Dieser erschien erstmals 1935, damals noch in gedruckter Form. Zum Stand 1. Dezember 2016 weist der Index Herbariorum weltweit 2962 aktive wissenschaftliche Herbarien in 176 Ländern aus. Diese halten 381308064 Herbarbelege. Insgesamt sind an den Herbarien 11548 wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt. Die meisten Herbarien finden sich, mit 792, in Nordamerika und, mit 695, in Europa, davon 69 in Deutschland, 19 in Österreich, 16 in der Schweiz. In ganz Afrika existieren demgegenüber nur 47 Herbarien.
Die zehn größten Herbarien der Welt (nach Index Herbariorum) sind, in absteigender Reihenfolge:
Paris: Muséum national d’histoire naturelle – ca. 8 Mio. Belege, begründet 1635.
New York: New York Botanical Garden – ca. 7,8 Mio. Belege, begründet 1891.
Sankt Petersburg: Wladimir Leontjewitsch Komarow-Institut – ca. 7,2 Mio. Belege, begründet 1823.
London: Royal Botanic Gardens, Kew – ca. 7 Mio. Belege, begründet 1852
Naturalis, Nationales Herbarium der Niederlande (Verbund der Herbarien der Universitäten Leiden, Utrecht und Wageningen) – ca. 6,9 Mio. Belege (Leiden begründet 1829, Utrecht 1816)
St. Louis: Missouri Botanical Garden – ca. 6,6 Mio. Belege, begründet 1859.
Genf: Conservatoire et Jardin botaniques de la Ville de Genève – ca. 6 Mio. Belege, begründet 1824.
Wien: Naturhistorisches Museum – ca. 5,5 Mio. Belege, begründet 1807.
London: Natural History Museum – ca. 5,2 Mio. Belege, begründet 1753.
Boston: Herbarien der Harvard University – ca. 5 Mio. Belege, begründet um 1860.
Weitere große Herbarien in den deutschsprachigen Ländern sind zum Beispiel
Berlin: Herbarium Berolinense (Botanischer Garten Berlin) – ca. 3,8 Mio. Belege
Jena: Herbarium Haussknecht (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Spezielle Botanik) – ca. 3,5 Mio. Belege
München: Botanische Staatssammlung München – ca. 3,2 Mio. Belege.
Zürich: Vereinigte Herbarien der Universität Zürich und der ETH Zürich – ca. 1,5 Mio. und 2 Mio. Belege
Hamburg: Herbarium Hamburgense der Universität Hamburg im Biozentrum Klein-Flottbek – 1,8 Mio. Belege, 4.000 Typus-Exemplare.
Frankfurt am Main: Herbarium Senckenbergianum, ca. 1,2 Mio. Belege
Tübingen: Herbarium Tubingense, TUB der Eberhard Karls Universität Tübingen – 500.000 Belege, inklusive pharmakognostischer Sammlung, Klosterherbar Beuron (ERZ) und vieler Typus-Exemplare, Teil der Sammlungen des Museums der Universität Tübingen MUT
Literatur
Sven Linnartz: Die botanische Exkursion – Schritt für Schritt zum eigenen Herbarium. Quelle & Meyer-Verlag, Wiebelsheim 2007 (2. Aufl.), ISBN 978-3-494-01433-3.
Christof Nikolaus Schröder: Katalog der auf Herbarbelegen gebräuchlichen Abkürzungen – Catalogus Abbreviationum in Schedis Herbariorum usitatorum. In: Kochia 12 (2019): 37–67, ISSN 1863-155X. online
Weblinks
The Australasian Virtual Herbarium
The C. V. Starr Virtual Herbarium of New York's Botanical Garden
Herbarium Erlangense der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
JSTOR Global Plants Database
Einzelnachweise
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Q181916
| 338.32014 |
14991
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https://de.wikipedia.org/wiki/Westfalen
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Westfalen
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Westfalen ist eine Region in Nordwestdeutschland. Als Westfalen wird heute meist der Nordostteil des Landes Nordrhein-Westfalen, bestehend aus den Regierungsbezirken Münster, Arnsberg und Detmold, aber meist abzüglich des Kreises Lippe, verstanden. Dieses Gebiet entspricht im Wesentlichen der von 1815 bis 1946 bestehenden preußischen Provinz Westfalen. Je nach den gewählten Abgrenzungskriterien können Randgebiete davon ausgeschlossen sein oder auch außerhalb liegende Landstriche mit einbezogen werden. Die Region hat rund acht Millionen Einwohner.
Etymologie
Erstmals taucht der Name Westfalai im Jahre 775 in den Fränkischen Reichsannalen als Bezeichnung eines Teilstamms der Sachsen auf. Die Sachsen nannten den westlichen Teil ihres Siedlungsgebietes Westfalen, den mittleren Engern und den östlichen Ostfalen.
In alten Texten über das Sachsenland taucht ein Gau namens Fahala auf, aber kein Teilstamm namens Falen oder ähnlich. Das altnordische Wort fal(ah) bedeutet Feld, Land, flach und niedrig.
Im Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde der nach heutigen wissenschaftlichen Maßstäben unhaltbare Begriff „fälische Rasse“ gebraucht.
Abgrenzung
Je nach gewählten Definitionskriterien wird Westfalen unterschiedlich abgegrenzt. Gängige Definitionen orientieren sich an modernen Verwaltungsgebieten, historischen Siedlungs-, Verwaltungs- und Herrschaftsgebieten, Naturräumen oder Kultur- und Sprachräumen.
Abgrenzung nach modernen Verwaltungsgebieten
Eine der heute gängigsten Definitionen orientiert sich an den heutigen nordrhein-westfälischen Verwaltungsgrenzen und den Grenzen der bis 1946 bestehenden preußischen Provinz Westfalen, die neben der Provinz Rheinland eines der Vorgängerterritorien des Landes war. Im Wesentlichen entspricht das Gebiet Westfalens gemäß dieser Definition dem Gebiet der heutigen Regierungsbezirke Münster, Arnsberg und Detmold abzüglich des Kreises Lippe, dessen heutiges Gebiet im Deutschen Reich das Kernstaatsgebiet eines eigenständigen Bundesstaates Lippe bildete. Heute werden das Rheinland, Westfalen und Lippe häufig als die drei Landesteile Nordrhein-Westfalens aufgefasst. Im Landeswappen kommt die Dreiteilung durch die Abbildung des Rheins, des Westfalenpferdes und der Lippischen Rose zum Ausdruck. Die Abgrenzung Lippes von Westfalen zeigt sich zum Beispiel auch in der Benennung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und der Bezeichnung Ostwestfalen-Lippe als alternative Bezeichnung für das Gebiet des Regierungsbezirks Detmold.
Ungeachtet der historischen Sonderstellung Lippes wird unter Westfalen häufig auch vereinfachend die Nordosthälfte von Nordrhein-Westfalen mit den Regierungsbezirken Münster, Detmold und Arnsberg verstanden.
Abgrenzung nach topographischen Merkmalen
Eine Abgrenzung Westfalens nur anhand topographischer Merkmale ist schwierig. Das einzige Teilgebiet, welches sich in seinem Namen auf Westfalen bezieht, ist die Westfälische Bucht, die als südlicher Teilraum der Norddeutschen Tiefebene das Flachland zwischen den Mittelgebirgen Teutoburger Wald, Eggegebirge und Süderbergland umfasst. Nach Maßgabe der gebräuchlichsten Definition Westfalens bildet die Westfälische Bucht den Kernraum Westfalens, in dem die überwiegende Mehrheit der Einwohner ansässig ist. Allerdings sind die Grenzen der Westfälischen Bucht nach Nordwesten nicht trennscharf ausgebildet. Zum südwestlich davon gelegenen Niederrheinischen Tiefland markiert der Rand der Niederterrasse der Rheinebene die Grenze der Westfälischen Bucht; bis zum Rhein reicht Westfalen aber in keiner der gängigen Definitionen Westfalens.
Legt man im Folgenden die heute weit verbreitete Vorstellung von Westfalen als dem Gebiet der Regierungsbezirke Münster, Arnsberg und Detmold ohne das Lipperland zugrunde, umfasst Westfalen im Süden und Osten aber weitere, nicht zur Westfälischen Bucht zählende Gebiete. Im Osten kann die Weser als natürliche Grenze Westfalens angesehen werden; der Fluss bildet grob auch die kulturräumliche Grenze zum historischen Ostfalen. So abgegrenzt, zählen auch die westlich der Weser gelegenen Gebiete des Niedersächsischen Berglandes zu Westfalen. Im Süden des Regierungsbezirks Arnsberg zählen weitere Mittelgebirgsregionen zu Westfalen. Eine trennscharfe naturräumliche Südgrenze kann dort aber nicht ausgemacht werden, da sich südlich der Landesgrenze physisch ähnliche Landschaften anschließen. Von den Wasserscheiden hätte lediglich der Hauptkamm des Rothaargebirges Potential zu einer durch topographische Merkmale bedingten Kulturgrenze; jedoch werden Teile des Einzugsgebiets der südlich des Kammes verlaufenden Diemel und Eder gemäß der einleitenden Abgrenzung anhand der heutigen Landesgrenze und auch gemäß den meisten kulturräumlichen Vorstellungen zu Westfalen gezählt.
Abgrenzung nach historischen Siedlungs- oder Herrschaftsgebieten
Die alten Sachsen nannten den westlichen Teil ihres Stammeslandes Westfalen. Der südliche Teil dieses historisch-sächsischen Westfalens stimmt grob mit dem Gebiet der heutigen Regierungsbezirke Arnsberg und Münster überein.
Als Folge des Konflikts mit Kaiser Friedrich I. musste Heinrich der Löwe 1180 die Herzogswürde für den Westen des Herzogtums Sachsen an die Kölner Fürstbischöfe abtreten, die sich seitdem auch Herzöge von Westfalen nannten. Während Adam von Bremen im 11. Jahrhundert noch die Ems als den östlichen Grenzfluss Westfalens betrachtete, charakterisierte im ausgehenden Spätmittelalter die Schedel’sche Weltchronik Westvalen als Gebiet zwischen Niederrhein und Weser, im Norden an Friesland grenzend, im Süden an das hessische Mittelgebirge. In einem Vertrag zwischen dem Erzbistum Köln und dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg wurde 1260 die Ostgrenze Westfalens bis nördlich von Nienburg entlang der Weser festgeschrieben, so dass der südliche Teil des Weser-Ems-Gebiets dem Einflussbereich Kurkölns, also den Herzögen von Westfalen, zugerechnet wurde.
Als 1512 auf dem Reichstag von Köln das Heilige Römische Reich in zehn Reichskreise eingeteilt wurde, nahm der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis das heutige Nordrhein-Westfalen begrifflich vorweg, umfasste aber auch Gebiete des heutigen Niedersachsen westlich der Weser bis zur Nordsee. Westfälische Herrschaften wie der Territorialbesitz des Bistums Münster reichten weit nach Norden. Das Herzogtum Westfalen war allerdings innerhalb dieser neuen Reichsordnung nur ein Nebenland Kurkölns und damit nicht Teil des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises; auch war das Herzogtum Westfalen sehr viel kleiner als das heute nach den meisten Definitionen zu Westfalen gerechnete Gebiet.
Das von Napoleon I. für seinen Bruder Jérôme geschaffene Königreich Westphalen (1807–1813) umfasste nur Teile des Gebiets des heutigen Regierungsbezirks Detmold und erstreckte sich ansonsten hauptsächlich auf Gebiete, die heute in den Ländern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen liegen. Eine Abgrenzung der Region Westfalen entsprechend den Grenzen des Königreichs Westphalen war nie üblich.
Seit Preußen nach dem umfangreichen Gebietserwerb infolge des Wiener Kongresses 1815 die Provinz Westfalen einrichtete, orientierte sich die Abgrenzung der Region Westfalen zunehmend an den Grenzen der preußischen Provinz. Diese Definition Westfalens ist bis heute sehr gängig. Im Jahr 1817 wurden der Provinz Westfalen auch das traditionell nassauische Siegerland und das hessischstämmige Wittgensteiner Land (heute gemeinsam Kreis Siegen-Wittgenstein) zugeschlagen. Bis dahin oft zu Westfalen gerechnete Gebiete nördlich davon kamen an das Königreich Hannover (Osnabrück, Bentheim und Emsland) und das Großherzogtum Oldenburg (Oldenburger Münsterland). Dass gleichwohl die alte, den Südwesten des heutigen Niedersachsens einbeziehende Bedeutung des Begriffs „Westfalen“ nicht völlig aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist, zeigt der 1993 in Cloppenburg herausgegebene Buchband mit dem Titel Westfalen in Niedersachsen. Das Gebiet der heutigen Stadt Essen (grob das Gebiet des früheren Stiftes Essen) wurde vor 1815 häufig als westfälisches Gebiet aufgefasst; es wurde aber dann vom preußischen Staat der Provinz Jülich-Kleve-Berg zugeordnet und kam so 1822 nach Auflösung dieser Provinz zur Rheinprovinz, so dass das Gebiet heute nicht mehr nach jeder gängigen Definition als westfälisch gilt. Noch deutlich später, nämlich erst im Jahr 1929, wurde Osterfeld, die einstmals westlichste Stadt im als westfälisch geltenden Vest Recklinghausen, nach Oberhausen eingemeindet und kam dadurch zum Rheinland.
Das Fürstentum Lippe (heute Kreis Lippe) blieb selbständig, wurde später ein eigenständiges Land im Deutschen Reich und wird daher auch heute selbst nach dem Beitritt zum Land Nordrhein-Westfalen häufig nicht zu Westfalen gezählt.
Abgrenzung nach kulturräumlichen Merkmalen
Als Ausdruck gemeinsamer Vergangenheit ist das Sachsenross noch heute gleichermaßen das Wappentier Westfalens und Niedersachsens. Gemeinsamkeit zeigt sich auch in der ländlichen Bautradition. Das norddeutsche Fachhallenhaus, vom Niederrhein bis Hinterpommern weit verbreitet, ist sowohl als Westfalenhaus als auch als Niedersachsenhaus bekannt: Um eine zentrale Halle („Deele“) mit giebelseitigem Tor gruppierten sich rechts und links Ställe und andere Wirtschaftsräume, während sich die Wohnräume der Bauernfamilie am hinteren Ende befanden.
Abgrenzung nach linguistischen Merkmalen
Die westfälischen Dialekte zählen zu den niederdeutschen Dialekten. Sie werden bzw. wurden in fast allen Teilen der Regierungsbezirke Detmold, Münster und Arnsberg gesprochen. Ausnahmen sind die östlich der Weser gelegenen Gebiete im Nordosten des Regierungsbezirks Detmold, die zum Dialektgebiet des Nordniederdeutschen zählen. Im Südosten des Regierungsbezirks Detmold bei Höxter findet man bereits ostfälische Dialekte. Die Dialekte des Siegerlandes zählen nicht zum westfälischen, sondern zum moselfränkischen Dialektgebiet. Im Gebiet um Wittgenstein findet man vorwiegend hessische Dialekte.
Im Osnabrücker Land wird in einem Gebiet um Osnabrück, Bramsche und Melle auch außerhalb Nordrhein-Westfalens Westfälisch gesprochen, außerhalb der ehemaligen Provinz Westfalen auch im ehemaligen Land Lippe. Der äußerste Südosten des westfälischen Dialektraumes erstreckt sich über Nordrhein-Westfalen hinaus auf Teile des hessischen Waldecks mit dem Upland, dem Gebiet um Korbach und dem Gebiet an der Twiste mit Bad Arolsen.
Abgrenzung zu Ostwestfalen und Ostfalen
Ostwestfalen ist der östliche Teil Westfalens (ohne Lippe). Vor dem Beitritt des Landes Lippe zu Nordrhein-Westfalen 1947 umfasste Ostwestfalen im Wesentlichen den Regierungsbezirk Minden. Die Sachsen bezeichneten diesen mittleren Teil ihres Siedlungsgebietes als Engern. Besonders im Norden reichte Engern allerdings weit über das heutige Ostwestfalen bzw. das auch den Kreis Lippe umfassende Ostwestfalen-Lippe hinaus. Der östliche Teil des sächsischen Siedlungsgebietes wurde als Ostfalen bezeichnet. Obwohl der Begriff Ostfalen heute kaum mehr in Gebrauch ist, werden in der Linguistik die ostfälischen von den westfälischen Dialekten abgegrenzt. Das historisch-sächsische Ostfalen und der ostfälische Sprachraum liegen fast gänzlich außerhalb des heutigen Nordrhein-Westfalens.
Symbole
Wappen
Mit Erlass des preußischen Staatsministeriums vom 28. Februar 1881 wurde bestimmt, dass die Provinz Westfalen ein Wappen führen dürfe: das weiße steigende Westfalenross mit lockiger Mähne und hochgeschlagenem Schweif auf rotem Grund. Die aus graphischen Gründen zweckmäßige Haltung des erhobenen Pferdeschweifes gilt heute – im Gegensatz zum niedersächsischen Wappen – als wesentliches Charakteristikum des Westfalenpferdes. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe führt das Wappen der ehemaligen Provinz in abgewandelter, modernisierter Version. Das westfälische Wappen ist zudem ein Bestandteil des 1953 geschaffenen Landeswappens Nordrhein-Westfalens.
Weitere Symbole
Auch das 1868 in Iserlohn komponierte Westfalenlied gilt als eines der Symbole Westfalens. Eine westfälische Symbolfigur, die man vorwiegend im Münsterland kennt, ist der Kiepenkerl, ausgestattet mit weitem blauen Hemd (Kittel), rotem Halstuch, Holzschuhen und seiner Kiepe, einem Tragkorb, ebenfalls charakteristisch ist eine Tabakspfeife. Mit ihrer Kiepe auf dem Rücken zogen früher Krämer über Land und boten auf den Höfen wie in den Städten ihre Waren an. In Münster hat man dem Kiepenkerl ein Denkmal aufgestellt. Formale Ähnlichkeiten gibt es zum Leineweberdenkmal in Bielefeld und dem Linnenbauerdenkmal in Herford, welche aber einen Weber darstellen, der seine Produkte in einem Holster zum Verkauf in die Stadt trägt.
Geographie
In den Regierungsbezirken Münster, Arnsberg und Detmold leben auf 21.427 km² etwa 8,2 Millionen Menschen in den Regionen Münsterland, Tecklenburger Land, Ostwestfalen, Hellwegbörde, Sauerland (ohne das Hessische Upland), Wittgensteiner Land und Siegerland (soweit es zu Westfalen gehört) sowie im westfälischen (d. h. mittleren und östlichen) Teil des Ruhrgebiets. Die westfälischen Gebiete des Sauerlandes, des Siegerlandes und das Wittgensteiner Land werden unter Südwestfalen zusammengefasst.
Nach Sprache und Bautradition gehört der nordrhein-westfälische Landesteil Westfalen, abgesehen von seinem südlichsten Teil, überwiegend zu Norddeutschland. Jahrhundertelange Verbindungen zum Erzbistum Köln, der in den meisten Gegenden vorherrschende Katholizismus und das Land Nordrhein-Westfalen binden es an das Rheinland, also Westdeutschland. Daher wird Westfalen besonders oft als zu Nordwestdeutschland gehörig bezeichnet. Dieses umfasst auch Niedersachsen und Bremen.
Relief
Während die Westfälische Bucht den Norden des Regierungsbezirks Arnsberg und fast den gesamten Regierungsbezirk Münster einnimmt, sind der Süden des Regierungsbezirks Arnsberg und der überwiegende Teil des Regierungsbezirks Detmold durch Mittelgebirgslandschaften geprägt. Die höchsten Gipfel befinden sich im Höhenzug des Rothaargebirges, das zugleich eine natürliche Grenze zu Hessen formt. Der bekannteste Berg dort ist der hohe Kahle Asten mit Wetterstation, Aussichtsturm und Hotel. Mit der höchste Berg Westfalens und zugleich von ganz Nordrhein-Westfalen ist aber der unweit gelegene Langenberg. Die Westfälische Bucht wird im Nordosten und Osten von den Höhenzügen des Teutoburger Waldes (mit maximal Höhe auf dem Barnacken) und des Eggegebirges (mit maximal etwa Höhe auf dem Preußischen Velmerstot) begrenzt. Nördlich davon liegt das Wiehengebirge, und östlich erstreckt sich das Weserbergland.
Am südlichen Rand der Westfälischen Bucht liegen das Ardeygebirge und der Haarstrang. Der tiefste Punkt des Landes befindet sich mit rund Höhe am Übergang zur niederrheinischen Landschaft und der niederländischen Grenze bei Isselburg. Am Südrand der Westfälischen Bucht erstrecken sich die Hellwegbörden. Sie sind geprägt durch fruchtbare Lößböden.
In Ostwestfalen, überwiegend östlich des Höhenzuges Eggegebirge gelegen, gliedert sich die Landschaft auf in die fruchtbare Warburger Börde, welche in das angrenzende hessische Bergland übergeht. Die Warburger Börde besitzt Böden von hoher Qualität mit der höchsten Bodenwertzahl in Westdeutschland. Das Wahrzeichen der Warburger Börde ist der 354 m Hohe Basaltkegel Desenberg mit Burgruine.
Flüsse
Der wasserreichste Fluss in Westfalen ist die Weser, die das Land im Osten tangiert und in der Porta Westfalica den Gebirgszug von Wiehen- und Wesergebirge durchbricht. Zum Einzugsgebiet des Rheins gehören die Ruhr mit den Nebenflüssen Möhne, Lenne und Volme, die Emscher, die Sieg und die Lippe. Zum Flusssystem der Ruhr zählt auch die Plästerlegge, der höchste Wasserfall Westfalens. Mit einer Länge von nur etwa vier Kilometern gilt die in Paderborn entspringende Pader als kürzester Fluss dieser Wasserführung in Deutschland. Die am Teutoburger Wald entspringende Ems durchfließt den Osten und Norden der Westfälischen Bucht. Die Diemel durchquert, von ihrer Quelle im Sauerland kommend, den südöstlichen Rand Ostwestfalens bei Warburg, bevor sie in Bad Karlshafen in die Weser mündet.
Die westfälischen Städte
Die meisten der heutigen Städte in Westfalen entstanden im Mittelalter während der Hansezeit. Es bildete sich ein dichtes Netz von Orten mit städtischen Rechten. Später kam es im Zusammenhang mit der Industrialisierung zu einer sehr differenzierten Entwicklung. Einige Orte mit Stadtrechten etwa im Hochsauerland kamen über dörfliche Dimensionen nicht hinaus. Selbst Arnsberg als Sitz eines Regierungspräsidiums blieb eine kleine Stadt und wuchs erst mit der kommunalen Neugliederung 1975. Andererseits ist Soest, im Mittelalter eine der größten und bedeutendsten Städte Nordwestdeutschlands, heute nur eine Mittelstadt.
Im Ruhrgebiet führte die Montanindustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer raschen Zunahme der städtischen Bevölkerung und damit zum Entstehen einer großstädtischen Verdichtungszone. Dazu zählen die Städte Dortmund, Bochum, Herne, Gelsenkirchen, Bottrop, Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Gladbeck und Lünen. Infolge der Verlagerung des Kohlebergbaus nach Norden entstanden im 20. Jahrhundert entlang der Lippe weitere Industriestädte aus ehemals ländlichen Ortschaften. Südlich der Ruhr liegt eine Zone von industriell geprägten Städten wie Hagen im südöstlichen Teil des Ruhrgebietes sowie Iserlohn und Lüdenscheid im nordwestlichen Sauerland. Am Ostrand des Ruhrgebiets bildet Hamm einen Übergang in die ländliche Hellwegzone.
Außerhalb des westfälischen Ruhrgebiets sind Münster und Paderborn wichtige Zentren für ihr Umland. Im südlichsten Teil Westfalens, dem Siegerland, bildet die Stadt Siegen einen ähnlichen Siedlungsschwerpunkt. In Ostwestfalen war die Verwaltungsstadt Minden längere Zeit ein ausgeprägtes Zentrum, bevor es während der Industrialisierung durch Bielefeld abgelöst wurde, sowie im Hochstift die beiden Städte Paderborn und Warburg. Ebenfalls mit der Industrialisierung kamen Herford und Gütersloh hinzu. Einige Städte, wie etwa Dortmund oder die historische Provinzhauptstadt Münster, haben für ganz Westfalen zentrale Funktionen.
Geschichte
Vor- und Frühgeschichte
Westfalen ist eine alte Kulturlandschaft. Erste Spuren einer menschlichen Besiedlung sind von Neandertalern aus der Altsteinzeit bekannt. Aus der Mittelsteinzeit stammen die ältesten Skelettfunde von anatomisch modernen Menschen, deren Alter durch die C14-Methode (Radiokohlenstoffdatierung) auf mehr als 10.700 Jahre datiert wird. Die Jungsteinzeit ist mit besonders gut erhaltenen Skelettresten der Michelsberger Kultur belegt und mit Megalithanlagen der Trichterbecherkultur und der Wartberg-Kultur. Insgesamt finden sich die Reste oder Hinweise auf 15 Ganggräber und 17 Galeriegräber. Die während der Jungsteinzeit in Westfalen lebenden Menschen profitierten vom Bergbau auf Feuerstein und anderen Rohstoffen. Steinwerkzeuge und Rohstoffe wurden über weite Entfernungen transportiert.
In der Römerzeit war das Gebiet von germanischen und keltischen Stämmen besiedelt. Der Versuch, es unter die direkte Herrschafts Roms zu bringen, scheiterte 9 n. Chr. nach der Varusschlacht. Die gerade gegründeten römischen Siedlungen östlich des Rheins verfielen wieder, aber es gab weiterhin erhebliche Handelsbeziehungen zwischen den römischen Provinzen links des Rheins und den unabhängigen Germanen östlich. Bis weit ins heutige Niedersachsen wurden schwere römische Mahlsteine aus Eifelbasalt und edle römische Bronzegefäße gefunden. Einige der seit dem 3. oder 4. Jahrhundert auch zwischen Weser und Rhein siedelnden Sachsen verdingten sich sogar als Söldner in römischen Legionen.
Frühmittelalter
Als historischer Begriff traten die Westfalen zuerst in den Reichsannalen Karls des Großen als Teilstamm der Sachsen hervor. In einem Jahrzehnte dauernden Krieg wurden die Sachsen und mit ihnen die Westfalen in den fränkischen Staat eingegliedert. Ein zentrales Mittel dazu war nach der militärischen Unterwerfung die Christianisierung des Landes durch Gründungen von Bistümern, Klöstern und Pfarrkirchen. Politisch wurde das Gebiet in Grafschaften eingeteilt, die überwiegend vom einheimischen Adel besetzt wurden. So wurde dem Besitzer der Grafschaft Lerigau, dem Grafen Heinrich I., im Jahr 955 der Titel eines Grafen von Westfalen verliehen. Sein Sohn Hermann I. gilt gesichert als Ahnherr der Grafen von Werl.
In dieser frühen Zeit war Westfalen als Siedlungsgebiet der „Westfalai“ ein einigermaßen klar abgegrenzter historischer Raum. Dies hat sich in den folgenden Jahrhunderten deutlich geändert. Westfalen war zwar bis 1180 ein Teil des alten Herzogtums Sachsen; aber die Macht der Herzöge gegenüber Grafschaften und anderen weltlichen und geistlichen Territorien nahm ab, zumal die meisten dieser Territorien selber reichsunmittelbar waren oder wurden. Mit der Zerschlagung des alten sächsischen Herzogtums wurden die Kölner Erzbischöfe nominell zwar „Herzöge von Westfalen“; ihre weltliche Macht in Westfalen beschränkte sich jedoch weitgehend auf das „Herzogtum Westfalen“, ein Gebiet im südlichen Teil Westfalens. Diese territoriale Zersplitterung bestimmte während des gesamten Mittelalters und der frühen Neuzeit den westfälischen Raum. Der Begriff „Westfalen“ wurde in dieser Zeit überwiegend im Hinblick auf die kulturellen und sprachlichen Gemeinsamkeiten gebraucht.
Für die Geschichte Westfalens wichtige Territorien waren die Hochstifte Münster, Paderborn und Minden und als Nebenländer des Kurkölner Staates das Herzogtum Westfalen und das Vest Recklinghausen. Unter den weltlichen Herrschaften ragen die Grafschaften Mark, Tecklenburg und Ravensberg hervor. Dazu entstanden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit das später außerhalb der Provinz Westfalen gelegene Land Lippe, das Bistum Osnabrück, die Grafschaften Bentheim und Lingen und einige weitere Gebiete. Daneben gab es noch zahlreiche kleinere weltliche und geistliche Herrschaften, wie die Stifte Herford und Corvey, die Grafschaften Limburg, Steinfurt und Hoya sowie die Herrschaft Rheda.
Hoch- und Spätmittelalter
Vor diesem territorial zersplitterten Hintergrund vollzog sich die politische Geschichte dieses Raumes während des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Die zunächst starken Grafen von Werl-Arnsberg büßten gegen die vordringende Macht der Erzbischöfe von Köln einen erheblichen Teil ihres Einflusses ein, ehe dieses Gebiet durch Schenkung 1368 ganz an Köln fiel. Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Erzbistum Köln und der aufstrebenden Grafschaft Mark führte in der Schlacht von Worringen zu einer Schwächung Kölns. Seither hat es keine wirklich dominierende Kraft im westfälischen Raum mehr gegeben, und die Grenzen änderten sich, von Ausnahmen abgesehen, nur durch Erbteilung oder das Erlöschen eines adeligen Hauses.
Neben den adeligen und geistlichen Territorialherren wuchs seit dem Hochmittelalter die Bedeutung der Städte. Dortmund stieg zur freien Reichsstadt auf, und die Fürstbischöfe des Hochstifts Paderborn und des Hochstifts Münster mussten vor den selbstbewussten Bürgern ihrer Hauptstädte in Residenzen im Umland ausweichen. In der Soester Fehde erstritt sich Soest mit seiner Börde die Unabhängigkeit von Köln. Die bedeutenden Städte betrieben zunehmend eine eigenständige Politik, gingen Bündnisse untereinander ein und schlossen sich der Hanse an.
Reformation, Konfessionalisierung und Dreißigjähriger Krieg
Einen tiefen Einschnitt bedeutete für Westfalen die Reformation. Sie trat gewissermaßen als Fortsetzung der selbstbewussten Politik der spätmittelalterlichen Traditionen als Städtereformation auf, ehe es den Landesherren gelang, ihre religiöse Position entweder als Befürworter der Reformation oder der Gegenreformation durchzusetzen. Auf den ersten Blick ein Sonderfall der Reformation im gesamteuropäischen Rahmen war das endzeitliche Täuferreich in Münster. Schaut man genauer hin begann diese Entwicklung jedoch als ein klassisches – wenn auch radikalisiertes – Beispiel der Städtereformation und endete mit dem Sieg des Bischofs als Durchsetzung der fürstlichen Macht. Sieht man von der Reichsstadt Dortmund ab, zeigte der Verlauf der Reformation, dass nunmehr die Landesherren gegenüber den Städten in einer deutlich stärkeren Position waren und begannen – mit unterschiedlichem Erfolg – die Mitregierung der Stände zurückzudrängen.
Die Reformation führte auf längere Sicht zu einer tiefgreifenden bis heute nachwirkenden konfessionellen und kulturellen Spaltung zwischen dem protestantischen und dem katholischen Westfalen. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden auch Teile Westfalens von den direkten und indirekten Kriegsfolgen betroffen. Die Siege und Niederlagen der jeweiligen Seiten lösten einander ab. Aber unabhängig von der Konfession hatte die Bevölkerung unter Kontributionen, Plünderungen und Seuchen zu leiden. Der westfälische Doppelfriede von Münster und Osnabrück beendete den Krieg. Der Friedenskongress war ein europäisches Ereignis ersten Ranges. Der erste Erfolg war der Friede von Münster zwischen den Niederlanden und Spanien, der den 80-jährigen Freiheitskampf der Niederländer beendete.
Westfalen im 18. Jahrhundert
Grundsätzlich änderte sich aber am Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten kaum etwas. Durch Erbschaft war das Kurfürstentum Brandenburg inzwischen zur dominierenden Kraft im protestantischen Lager Westfalens aufgestiegen und besaß neben der Grafschaft Mark auch die Herrschaft über das ehemalige Bistum Minden und die Grafschaft Ravensberg. Während es Brandenburg-Preußen mehr oder weniger gelang, den absoluten Herrschaftsanspruch des Kurfürsten beziehungsweise Königs durchzusetzen, blieb dieser Versuch in den katholischen geistlichen Gebieten zumeist erfolglos, und die Stände konnten ihr Mitspracherecht weitgehend bewahren. Dies hatte im 18. Jahrhundert erhebliche Folgen für die Modernisierungsbemühungen. Während in den preußischen Gebieten etwa die Wirtschaftsförderung „von oben“ erfolgreich war, scheiterten viele entsprechende Ansätze im Zeichen der Aufklärung im katholischen Westfalen nicht selten an den jeweiligen ständischen Interessen. Auch im 18. Jahrhundert blieb Westfalen etwa im Siebenjährigen Krieg nicht von den allgemeinen politischen Entwicklungen verschont.
Allerdings kam es im 18. Jahrhundert wirtschaftlich in verschiedenen Teilen Westfalens zu einem beträchtlichen Wirtschaftsaufschwung. In Minden-Ravensberg nahm die Bedeutung der heimgewerblichen, protoindustriellen Textilindustrie erheblich zu. Im südlichen Westfalen und im Siegerland belebte sich die, durch den Dreißigjährigen Krieg in die Krise geratene, Eisenproduktion und -verarbeitung. Während diese Entwicklung die aus verschiedenen Gründen wachsende landlose und landarme Bevölkerung zumindest notdürftig ernähren konnte, nahm in den agrarischen Gebieten des Münster- und Paderbornerlandes die Suche nach auswärtigen Verdienstmöglichkeiten zu.
Im Bildungsbereich dagegen hatte die katholische Aufklärung im Hochstift Münster eine weitreichende Ausstrahlung. Dort kam es zu keiner starken Polarisierung zwischen Religion und Aufklärung. Dialog, Öffnung und politische, persönliche sowie religiöse Toleranz waren die herrschenden Ideen des Hochstifts. Etwa 1770 formierte sich der Münstersche Kreis im Hause der Fürstin Amalie von Gallitzin. In ihrem Salon trafen sich Männer wie der Schulreformer Bernhard Heinrich Overberg, die Brüder Droste zu Vischering, Johann Georg Hamann, Graf Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg und der Dichter und Jurist Anton Matthias Sprickmann, die Eltern der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff sowie der niederländische Philosoph Frans Hemsterhuis. Sie suchten nach der Synthese ihres Glaubens mit den neuen philosophisch-pädagogischen Strömungen der Zeit und versuchten dabei traditionellen Katholizismus, aufgeklärten Weltverbesserungsgeist und frühromantische Sensibilität zu verbinden. Treibende Kraft des Kreises war Franz Freiherr von Fürstenberg (1729–1810). Er gehörte dem Domkapitel von Münster und Paderborn an und übernahm 1763 das Amt des ersten Ministers, das er nach 17 Jahren wieder abtreten musste. Zum Koadjutor wurde 1780 nicht Fürstenberg, sondern Erzherzog Maximilian Franz von Österreich gewählt, der 1784 auch Erzbischof von Köln und zugleich Fürstbischof von Münster wurde. Fürstenberg erhielt seine Entlassung als Minister, behielt aber bis 1807 das Generalvikariat und die Leitung des Schulwesens. Nach dem Siebenjährigen Krieg engagierte er sich stark für den Wiederaufbau der Stadt, schuf neue Verwaltungsstrukturen und führte eine Reform des Gesundheitswesens sowie des Bibliotheks-, Druckerei- und Verlagswesens durch. Als Mitglied des Münsterschen Kreises galt sein erstes Interesse dem Bildungswesen. 1776 wurde im Hochstift die von ihm erarbeitete Schulordnung erlassen, außerdem erschienen eine Philosophie der Erziehung sowie ein Plan für einzelne Fächer. Diese Schulordnung machte ihn in ganz Deutschland bekannt. Zudem bemühte er sich um die Ausbildung der Lehrer. Auf sein Betreiben gingen 1776 die Gründung des Priesterseminars Münster und 1780 der Universität Münster zurück.
Ende des Alten Reiches und Königreich Westphalen
Einen tiefgreifenden Bruch mit der seit dem frühen Mittelalter entstandenen territorialen Struktur bedeutete die Aufhebung der geistlichen Staaten im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses. Sofern diese Gebiete nicht an Preußen fielen, wurden mit ihnen meist landfremde Fürsten abgefunden, die durch französische Annexionen im Rheinland ihren bisherigen Besitz verloren hatten. Hierzu zählen insbesondere das Fürstentum Salm, das die Gebiete der früheren münsterschen Ämter Bocholt und Ahaus, der früheren Grafschaft Anholt und der früheren Herrschaft Gemen umschloss, und das Herzogtum Arenberg-Meppen, das unter anderem das früher kurkölnische Vest Recklinghausen erhielt. Das 1807 entstandene napoleonische „Königreich Westphalen“ griff zwar auf den Namen zurück, umfasste aber nur wenige als westfälisch geltende Gebiete.
Provinz Westfalen
Erst mit der preußischen Provinz Westfalen entstand – als Folge des Wiener Kongresses – seit 1815/16 ein einheitliches politisches Gebilde. Wie der heutige Landesteil von Nordrhein-Westfalen war die Provinz deutlich kleiner als das „kulturelle Westfalen“ der frühen Neuzeit.
Als preußische Provinz Westfalen waren von 1816 bis 1946 erstmals ein großer Teil der westfälischen Territorien Teil einer politischen Einheit. Die Provinzhauptstadt und Sitz des Oberpräsidenten war Münster. Die neue Provinz umfasste im Wesentlichen die bereits vor 1800 zu Preußen gehörigen Gebietsteile Minden, die Grafschaften Mark und Ravensberg, Tecklenburg sowie die nach 1803 an Preußen gelangten Hochstifte Münster und Paderborn sowie einige kleinere Herrschaften, darunter die Grafschaft Limburg an der Lenne. 1815 wurden somit auch jene westfälischen Gebiete preußische Provinz Westfalen, die Frankreich 1810 annektiert, aber schon kurz nach der Völkerschlacht von Leipzig (1813) wieder aufgegeben hatte, etwa das Fürstentum Salm und der Südteil des Herzogtums Arenberg (Vest Recklinghausen). 1815 wurden ferner die nördlichen und östlichen Gebiete des Großherzogtums Berg Teile der preußischen Provinz Westfalen. Im Jahr 1816 kam noch das Herzogtum Westfalen hinzu, das 1803 der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt zugeordnet worden war. 1817 kamen das an Preußen gefallene Fürstentum Nassau-Siegen sowie die beiden Fürstentümer Sayn-Wittgenstein-Berleburg und Sayn-Wittgenstein-Hohenstein an den Regierungsbezirk Arnsberg und somit in die preußische Provinz Westfalen.
Die Provinz Westfalen bestand aus einem nahezu geschlossenen Gebiet und war verwaltungsmäßig in die Regierungsbezirke Arnsberg, Minden und Münster gegliedert. 1816 wurde der Landkreis Essen in die Rheinprovinz ausgegliedert. 1851 und auch während der Weimarer Republik wurden die Grenzen der Provinz geringfügig verändert.
Vor diesem Hintergrund entwickelte sich im 19. und 20. Jahrhundert – gefördert auch von den Landesbehörden – stärker als zuvor ein westfälisches Selbstverständnis. Dieses stand dabei aber stets in Konkurrenz mit dem Nationalstaat, den regionalen und lokalen Traditionen. Einige der nicht in die preußische Provinz eingegliederten Territorien, die lange zum westfälischen Kulturraum gehört hatten, blieben unabhängige Teile des Deutschen Bundes und bildeten wie die Länder Oldenburg und Lippe eigene Bundesstaaten des Deutschen Reiches nach 1871. In ihnen nahm die Identifikation mit Westfalen im 19. und 20. Jahrhundert ab, stattdessen entwickelte sich ein teilweise starkes eigenständiges Landesbewusstsein.
Damit waren neben protestantischen auch katholische Gebiete in der neuen Provinz vereint. Vor allem die Integration des katholischen Westfalens stellte die preußischen Behörden vor erhebliche Herausforderungen. Für die Fernwirkung der konfessionellen Spaltung spricht bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine sehr unterschiedliche politische Kultur in den protestantischen und katholischen Gebieten.
Geprägt wurde die Entwicklung der Provinz während der industriellen Revolution und der Hochindustrialisierung des 19. Jahrhunderts vom industriellen Aufstieg des westfälischen Ruhrgebiets und der damit einhergehenden Differenz zwischen Stadt und Land. Im 20. Jahrhundert lässt sich nur noch ansatzweise von einer eigenständigen westfälischen Geschichte sprechen, da die Entwicklung in diesem Gebiet vor allem die Vorgänge in Deutschland insgesamt widerspiegelt.
Inflation, Ruhrkampf oder große Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern oder Arbeitnehmern wie der Ruhreisenstreit sowie die Folgen der Weltwirtschaftskrise betrafen während der Weimarer Republik nicht zuletzt auch die Industriegebiete Westfalens. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Provinz politisch gleichgeschaltet und führte kein nennenswertes Eigenleben mehr. Wie in ganz Deutschland wurden Regimegegner und jüdische Einwohner verfolgt und Behinderte getötet. Während des Zweiten Weltkriegs wurden auch aus Westfalen Juden in die Vernichtungslager transportiert. Vor allem in der zweiten Kriegshälfte wurde die Provinz Ziel von alliierten Bombenangriffen und in den letzten Kriegsmonaten auch Schauplatz von Bodenkämpfen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Provinz Westfalen ein Teil der Britischen Besatzungszone. Die Niederlande beanspruchten als Reparationsleistung die Abtretung eines Streifens südöstlich der deutsch-niederländischen Grenze (siehe Hauptartikel Niederländische Annexionspläne nach dem Zweiten Weltkrieg). Entsprechende Forderungen wurden erst auf der Londoner Deutschland-Konferenz am 26. März 1949 weitestgehend ad acta gelegt. Der spätere erste Ministerpräsident des neu gegründeten Landes Niedersachsen, Hinrich Wilhelm Kopf, forderte in einer Denkschrift vom April 1946 den Einbezug der westfälischen Kreise Minden, Lübbecke, Tecklenburg, Bielefeld, Herford und Halle (Westf.) in das neue Land Niedersachsen.
Die britische Militärregierung erklärte am 23. August 1946 das Land Preußen für aufgelöst und gründete am selben Tag das neue Land Nordrhein-Westfalen. Die ehemalige Provinz Westfalen wurde vollständig in dieses neue Land übergeführt, das mit dem Beitritt des Landes Lippe 1947 seine heutige Gestalt bekam.
Politik und Verwaltung
Westfalen als Landesteil des Landes Nordrhein-Westfalen
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Provinz Westfalen mit ihren Regierungsbezirken Arnsberg, Minden und Münster zunächst Teil der Britischen Besatzungszone und durch die Verordnung Nr. 46 der Militärregierung vom 23. August 1946 Betreffend die Auflösung der Provinzen des Landes Preußen in der Britischen Zone und ihre Neubildung als selbständige Länder mit dem Nordteil der Preußischen Rheinprovinz zum Land Nordrhein-Westfalen vereinigt. Das Land Preußen wurde ein halbes Jahr später formell aufgelöst. (Siehe auch: Kontrollratsgesetz Nr. 46)
Mit dem Beitritt des Landes Lippe 1947 nach Nordrhein-Westfalen wurde der nur westfälische Territorien umfassende Regierungsbezirk Minden mit dem Gebiet des ehemaligen Freistaates zum neuen Regierungsbezirk Minden-Lippe mit Sitz in Detmold vereinigt und am 2. Juni 1947 umbenannt in Regierungsbezirk Detmold.
Westfalen ist damit einer der drei Teile des Landes Nordrhein-Westfalen. Landeshauptstadt und damit Sitz des Landtags und der Landesregierung ist das rheinische Düsseldorf; der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen und das Oberverwaltungsgericht des Landes sind in der ehemaligen westfälischen Provinzhauptstadt Münster ansässig.
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe
Die Kreise und kreisfreien Städte der Landesteile Westfalen und Lippe sind mit gleichen Rechten und Pflichten im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) zusammengeschlossen. Die Kreistage und Stadtparlamente wählen ihre Vertreter in die Landschaftsversammlung, das so genannte Westfalenparlament, die wiederum den Direktor des Landschaftsverbandes als Hauptverwaltungsbeamten sowie den Ersten Landesrat und die weiteren Landesräte als Fachdezernenten wählt, Grundsatzangelegenheiten entscheidet und den Haushalt verabschiedet.
Der Landschaftsverband nimmt auf der Ebene der staatlichen Mittelinstanz im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung regionale Aufgaben wahr. Sie reichen von der Sorge für behinderte Menschen, dem Betrieb von Kliniken und Schulen bis zur Förderung der Kultur und zum Betrieb von Museen in beiden Landesteilen. Dem Landschaftsverband unterstehen unter anderem das Westfälische Archivamt, das Westfälische Museumsamt sowie das Westfälische Amt für Denkmalpflege. Der Betrieb von Verkehrsunternehmungen wurde der Westfälischen Verkehrsgesellschaft mbH übertragen.
Vorläufer des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe war der 1886 geschaffene Provinzialverband der preußischen Provinz Westfalen, dessen Verfassung weitgehend der des heutigen Landschaftsverbands entsprach.
Regierungsbezirke und Kreise
Der Landesteil Westfalen gliedert sich heute in die Regierungsbezirke
Arnsberg
Detmold
Münster
Zusammen haben diese Regierungsbezirke und damit im Wesentlichen die Region Westfalen 8.260.917 Einwohner (31. Dezember 2019).
Der Regierungsbezirk Detmold beinhaltet neben dem Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Minden, Teil der preußischen Provinz Westfalen auch das Gebiet des ehemaligen Landes Lippe (im Wesentlichen der heutige Kreis Lippe). Lippe wird heute als eigenständiger Landesteil nicht zu Westfalen gezählt. Der komplette Regierungsbezirk wird daher meist als Ostwestfalen-Lippe bezeichnet.
Die historische Entwicklung der Verwaltungsstruktur wird in den Artikeln zu den einzelnen Regierungsbezirken ausführlich beschrieben. Die Regierungsbezirke, Kreise und kreisfreien Städte sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.
Zur Gebietsentwicklung der Gemeinden seit 1858 siehe auch:
Liste der Gemeinden Westfalens A–E
Liste der Gemeinden Westfalens F–K
Liste der Gemeinden Westfalens L–R
Liste der Gemeinden Westfalens S–Z
Zukünftige Entwicklung
Schon in den 1920er Jahren wurde angedacht, dem Ruhrgebiet einen eigenen Regierungsbezirk zu geben, und ähnlich wieder in den 1980er Jahren (siehe Regionalverband Ruhr). Die Aufteilung der heutigen Regierungsbezirke stammt im Wesentlichen aus dem 19. Jahrhundert, und auch die Landschaftsverbände (die es in dieser Form nur in Nordrhein-Westfalen gibt) waren umstritten. Nach den Vorstellungen der schwarz-gelben Landesregierung unter Jürgen Rüttgers sollte es in Zukunft nur noch drei Regierungsbezirke (oder Regionalverbände) namens Rheinland, Westfalen und Ruhrgebiet geben.
Die Umsetzung dieser Idee stieß allerdings vor allem in Westfalen, aber auch am Niederrhein auf Protest, da hier die Angst umgeht, dass das starke Rheinland und das gewichtige Ruhrgebiet westfälische Interessen in der Landespolitik verdrängen könnten. Es ging die Angst vor „Restfalen“ um. Auch in Lippe regte sich Widerstand, da die Planungen auch staatsrechtliche Fragen berühren, da sowohl der betroffene Regierungsbezirk Detmold als auch der Landesverband Lippe im Rahmen des Beitrittes des ehemaligen Freistaates Lippe nach Nordrhein-Westfalen 1947 in den Lippischen Punktationen mit klaren Zusagen an Lippe geregelt wurden. Diese Diskussion war mit dem Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung unter Hannelore Kraft vorerst beendet.
Kultur
Die Kultur in Westfalen ist so vielfältig wie die Region selbst. Der Pflege des Brauchtums haben sich vor allem zahlreiche Heimatvereine verschrieben, die im Westfälischen Heimatbund zusammengeschlossen sind. Gesetzlich mit der Pflege westfälischer Kultur beauftragt ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Er engagiert sich mit dem Ziel, das kulturelle Erbe Westfalen-Lippes zu bewahren, zu erforschen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Arbeit der LWL-Kultur wird von den politischen Gremien des LWL, insbesondere dem Kulturausschuss, begleitet. Der Förderung junger westfälischer Kultur widmet sich die Gesellschaft zur Förderung westfälischer Kultur (GWK). Sie fördert herausragende junge Künstler in den Bereichen Kunst, Klassische/Neue Musik und Literatur.
Architektur und bildende Kunst
Aus karolingischer Zeit sind in Westfalen einige Beispiele der Baukunst von überregionalem Rang erhalten. Dazu gehört etwa das Westwerk des Klosters Corvey (873–885). Aus ottonischer Zeit bemerkenswert ist die Bartholemäuskapelle in Paderborn. Wichtige Beispiele für den gotischen Stil sind die Dome in Minden und Paderborn. Hochgotisch (nach 1377) ist die Soester Wiesenkirche. Besondere Beispiele von Profanbauten, die auf diese Zeit zurückgehen, sind die, im Kern romanische, Alte Münze in Minden, mit schmuckvollen gotischen Fenstern, die als das älteste Steinhaus Westfalens gilt, und das spätgotische Rathaus in Münster, dessen Giebel nach dem Zweiten Weltkrieg rekonstruiert wurde. Beispiele der im östlichen Westfalen anzutreffenden Weserrenaissance sind die Schlösser in Paderborn-Neuhaus und Brake. Bürgerlichen Bauwillen dieser Zeit repräsentieren die Rathäuser in Bocholt, Lemgo und Paderborn, aber auch Bürgerhäuser, wie sie zum Beispiel in Lemgo zahlreich erhalten sind. Bildhauer wie Heinrich und Gerhard Gröninger standen in Westfalen am Übergang zum Barock. Europäischen Rang beanspruchen einige Barockbauwerke in Westfalen. Dazu zählt insbesondere die Clemenskirche, der Erbdrostenhof (1753–1757) und das Schloss (1767–1773) des Architekten Johann Conrad Schlaun in Münster. Das Schloss Nordkirchen (1703–1734), die Dominikanerkirche in Münster und die Jesuitenkirche in Büren sind weitere Höhepunkte der Barockarchitektur in Westfalen.
Der frühe Klassizismus ist etwa in Schloss Hüffe, Schloss Harkotten-Korf, Haus Stapel oder dem Druffelschen Hof in Münster repräsentiert. Der an Karl Friedrich Schinkel orientierte Klassizismus der nachfolgenden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hat zum Beispiel in Arnsberg stadtbildprägende Kraft entfaltet. Nach der Mitte des Jahrhunderts dominierten Architekturen im Stil des Historismus. Kirchenbauten entstanden vor allem im Stil von Neoromanik und Neogotik. Diese Zeit war auch eine Hochzeit der Denkmale. Dazu zählen etwa das Hermannsdenkmal und das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica. Um 1900 erreichte der Jugendstil Westfalen, der ebenfalls einzelne Werke von überregionaler Bedeutung schuf. Karl Ernst Osthaus holte Henry van de Velde nach Hagen und begann mit der Sammlung moderner Kunst. Aus Westfalen stammten Künstler des frühen 20. Jahrhunderts wie August Macke oder Wilhelm Morgner.
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten einige Künstler rasch wieder Anschluss an die europäische Entwicklung zu finden („Westfälische Sezession 1945“ in Hagen). In den 1950er Jahren fand auch die Architektur wieder Anschluss an die internationale Entwicklung. Der Theaterneubau 1956 in Münster wurde von der Fachwelt als „befreiender Donnerschlag“ gefeiert. Drei Jahre darauf setzte das Haus des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen neue Maßstäbe in der Nachkriegsarchitektur. Anerkennung fand in den 1960er Jahren die Kunsthalle in Bielefeld (1968). Einen eindrucksvollen Gegensatz zu den heroischen Denkmälern des 19. Jahrhunderts stellt das 1960 von dem Hagener Künstler Karel Niestrath und dem Dortmunder Architekten Will Schwarz geschaffene Mahnmal Bittermark in Dortmund zum Gedächtnis an die Ermordeten des Naziregimes dar.
Museen
Westfalen hat eine vielgestaltige Museums- und Ausstellungslandschaft. Neben zahlreichen Lokal- und Regionalmuseen gibt es einige Einrichtungen mit einem gesamtwestfälischen Anspruch. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ist im kulturellen Bereich in erster Linie im Bereich des Museumswesens tätig. Von ihm getragen wird unter anderem das dezentrale LWL-Industriemuseum, das an acht verschiedenen Standorten Einblicke in die Industriekultur Westfalens bietet. Das LWL-Freilichtmuseum Hagen ist eine Sammlung historischer Produktionsstätten vorwiegend aus vorindustrieller Zeit. Mit einem vergleichbaren Konzept konzentriert sich das LWL-Freilichtmuseum Detmold auf die ländliche Kulturlandschaft. Einen anschaulichen geschichtlichen Überblick über das Bauernwesen im Münsterland bietet das Mühlenhof-Freilichtmuseum Münster. Das Westfälische Pferdemuseum im Allwetterzoo Münster zeigt die Natur- und Kulturgeschichte des Pferdes im „Pferdeland Westfalen“, einer Region, die wie kaum eine andere in Deutschland geprägt ist durch Pferdezucht und -haltung.
Das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster ist von seinem Selbstverständnis her das zentrale Kunstmuseum Westfalens, mit einem diesen Regionalbezug ausdrückenden Sammlungsschwerpunkt. Bedeutende Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst in Westfalen besitzen das Dortmunder Museum Ostwall und, als Neugründung von 2005, das MARTa Herford.
Das LWL-Museum für Archäologie in Herne ist das archäologische Landesmuseum Westfalens. Hier finden sich die wichtigsten Funde und Fundorte aus der 250.000-jährigen Menschheitsgeschichte der Region, während das LWL-Römermuseum in Haltern sich mit der römischen Okkupationszeit beschäftigt. Das Paderborner Museum in der Kaiserpfalz zeigt zahlreiche Funde aus karolingischer und ottonischer Zeit sowie die Ergebnisse der Paderborner Stadtarchäologie.
Neben den vom Landschaftsverband betriebenen Landesmuseen gibt es weitere Einrichtungen mit gesamtwestfälischem Anspruch und teilweise auch gesamtdeutschem Auftrag; dazu gehört unter anderem das Jüdische Museum in Dorsten. Im Deutschen Bergbau-Museum in Bochum wird auch die bedeutende Bergbauvergangenheit und -gegenwart Westfalens dokumentiert. In Dortmund sind die DASA – Arbeitswelt Ausstellung und das Deutsche Fußballmuseum beheimatet.
Das Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn ist das größte Computermuseum der Welt mit zusätzlich wechselnden Ausstellungen in den Bereichen Technik und IT.
Theater
In Westfalen ist mit dem Schauspielhaus Bochum eine der bedeutendsten deutschen Sprechbühnen beheimatet. Traditionell existiert eine enge Verbindung zur Schauspielschule Bochum, einem Zweig der Folkwang Universität der Künste, vormals Westfälische Schauspielschule Bochum. Das heutige Schauspielhaus wurde im Herbst 1953 als einer der ersten Theaterneubauten der Bundesrepublik Deutschland eingeweiht. Auch die anderen regionalen Zentren unterhalten eigene Spielstätten. Das 1904 gegründete Theater Dortmund spielt heute in einem modernen Haus aus den 1960er Jahren und bietet die Sparten Musiktheater/Oper, Ballett, Schauspiel, Konzert sowie Kinder- und Jugendtheater. Die Städtischen Bühnen Münster konnten für ihr Vierspartentheater 1956 einen Neubau beziehen und eine seit 1774 währende Theatertradition fortsetzen. Das Theater Bielefeld kann bis heute seine 1904 errichtete Bühne bespielen. In Paderborn unterhalten die Westfälischen Kammerspiele ein Ensemble. Die Sparte des Musiktheaters vertreten das Theater Hagen und das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier.
Das Westfälische Landestheater (WLT) hat seinen Sitz in Castrop-Rauxel und gibt zahlreiche Gastspiele auf anderen Bühnen der Region. Das Landestheater verfügt über ein Kinder- und Jugendtheater als eigene Sparte. Ähnliche Aufgaben erfüllt das Lippische Landestheater in Detmold, das neben seinem Stammhaus auf Bühnen in ganz Westfalen und Niedersachsen mit allen drei Sparten gastiert.
Einen besonderen Aspekt der Kultur Westfalens repräsentieren die vielen niederdeutschen Kleintheater, auch niederdeutsche Bühnen genannt. Insbesondere im Münsterland sind sie weit verbreitet und werden von der einheimischen Bevölkerung gern besucht. Die zumeist aus Laienschauspielern bestehenden Bühnen führen ihre Theaterstücke ausschließlich im einheimischen westfälischen („plattdüütschen“) Dialekt vor.
Daneben gibt es eine größere Zahl von Freilichtbühnen wie die Freilichtbühne Herdringen oder die Waldbühne Heessen in Hamm, die zu den meistbesuchten Freilichtbühnen Deutschlands gehört.
Die Festspiele Balver Höhle konnten 2007 auf eine 85-jährige Tradition zurückblicken.
Planetarien und Planetenwanderwege
In Westfalen befinden sich zwei Großplanetarien. In Bochum erhebt sich seit den 1960er Jahren der silberne Kuppelbau des Zeiss-Planetariums Bochum. Ein weiteres Sternentheater ist dem LWL-Museum für Naturkunde in Münster angegliedert, das vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe unterhalten wird.
Je ein Kleinplanetarium unterhalten die Sternwarte Herne und die Westfälische Volkssternwarte in Recklinghausen. Außerdem gibt es einige Planetenwanderwege, so zum Beispiel in Bad Lippspringe (6 km, gefördert durch die Planetariumsgesellschaft Ostwestfalen-Lippe) und in Minden.
Kulinarisches
Bevölkerung
Bevölkerungsentwicklung
Für die Entwicklung während der Industrialisierung siehe Provinz Westfalen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten auf dem Gebiet Westfalens zunächst weniger Menschen als 1939, aber bereits bis 1950 wurden diese Verluste weitgehend ausgeglichen. Besonders gelitten hatten die Großstädte unter den Kriegseinwirkungen. In Dortmund oder Bochum waren die Einbußen auch 1950 noch nicht wieder ausgeglichen. Zum Wachstum der Bevölkerung hat zunächst nicht zuletzt die Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemaligen ostdeutschen Gebieten und der späteren DDR beigetragen. Neben der direkten Zuwanderung spielte bis 1961 die Abwanderung ehemaliger Flüchtlinge und Vertriebener aus den damals agrarischen Bundesländern Schleswig-Holstein oder Bayern eine Rolle. Nach dem Mauerbau der DDR nahm auch in Westfalen – vor allem in den Industriegebieten – die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte und ihrer Familien zu. In Hagen und Herne lag der Ausländeranteil 1987 bei 9 %, in Bielefeld, Dortmund und Hamm bei 8 %. Vor allem im Zusammenhang mit der Krise der Montanindustrie verloren die Großstädte für die Binnenwanderung an Attraktivität, vielmehr nahmen in Westfalen vor allem die Zahlen in mittleren und kleineren Gemeinden zu.
Konfessionen und Religionen
Trotz Wanderungsbewegungen ist die Religionsverteilung noch immer durch den Prozess der Konfessionalisierung während der Reformation und Gegenreformation geprägt. In den Gebieten, in denen vor 1803 geistliche Herrschaften bestanden (vor allem das kurkölnische Westfalen, die Hochstifte Paderborn und Münster), ist ein überwiegender Teil der Einwohner katholisch. In den protestantisch gewordenen weltlichen Fürstentümern (zum Beispiel Grafschaft Mark, Fürstentum Minden, Grafschaft Ravensberg, Grafschaft Tecklenburg und Grafschaft Wittgenstein) und der Landschaft Siegerland überwiegt die protestantische Konfession.
Während die Katholiken Westfalens heute meist zum Erzbistum Paderborn, zum Bistum Münster oder zum Ruhrbistum Essen gehören, besteht für die Protestanten des Landesteils eine westfälische Landeskirche mit Sitz in Bielefeld.
Vor allem seit dem 19. Jahrhundert gab es in zahlreichen Städten und sogar in einer Reihe von Landgemeinden eine jüdische Minderheit, die 1925 etwa 22.000 Personen (Provinz Westfalen und Land Lippe) umfasste. Durch die nationalsozialistische Judenvernichtung schrumpfte diese Zahl auf etwa 700, stieg aber bis 2006 auf etwa 7100 an.
Durch Zuwanderung vor allem türkischer Migranten stieg seit den 1960er Jahren die Zahl der Muslime in zahlreichen westfälischen Städten deutlich an. Hinzu kommen Anhänger von Freikirchen und anderen Glaubensgemeinschaften.
In den letzten Jahrzehnten nahm die Zahl der Konfessionslosen deutlich zu.
Sprache
Vom Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wurden in Westfalen mittelniederdeutsche Dialekte gesprochen, die sich heute jedoch nur schwer rekonstruieren lassen.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden westfälische Dialekte des Niederdeutschen gesprochen. Das Niederdeutsche, auch Plattdeutsch, ist eine eigene Sprache, die sich vom Hochdeutschen vor allem lautlich und grammatisch stark unterscheidet. Die westfälischen Dialekte werden zur niedersächsischen Sprachgemeinschaft gezählt, im Gegensatz zu den Mundarten am Niederrhein, die als niederfränkisch bezeichnet werden.
Als Verkehrssprache der Hanse war das Niederdeutsche allgemeine Umgangssprache in Westfalen, bis es als Schriftsprache vom Hochdeutschen verdrängt wurde. Während in den ländlichen Teilen Westfalens das so genannte Plattdeutsche (use Plattdüütsch) im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch alleinige Sprache vor allem der ländlichen westfälischen Bevölkerung war (die verachteten städtischen Bildungsbürger sprachen zumeist Hochdeutsch), kam es im westfälischen Ruhrgebiet zu einer etwas anderen Entwicklung. In den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung dominierte dort das Plattdeutsche weiter, weil die Arbeitskräfte überwiegend aus Westfalen stammten. Später führte die Arbeitsmigration aus dem Osten – beispielsweise aus Masuren, Schlesien und Polen – zur Entstehung einer spezifischen Ruhrgebietsmundart, in der sich verschiedene Sprachtraditionen vereinten. Die Unterschiede zum restlichen Westfalen sind jedoch klein, und die westfälisch-niederfränkische Sprachgrenze im Rahmen des Dialektkontinuums ist auch innerhalb des Ruhrgebiets noch spürbar. Daneben wurde Niederdeutsch von vielen Bergleuten als Umgangssprache beibehalten. In der regionalen Literatur Westfalens erlebte die niederdeutsche Sprache in der Zeit von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine neue Blüte.
Im Gegensatz zu den Großstädten und dem Sonderfall Ruhrgebiet hat sich das Niederdeutsche in manchen ländlichen Gebieten Westfalens, insbesondere im Münsterland und im Sauerland, noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als dominierende Umgangssprache gehalten. Erst durch die zunehmende Mobilität und den Einfluss der Medien wird es in den letzten Jahrzehnten rasch zurückgedrängt. Ältere Bevölkerungsgruppen (über 65 Jahre) sprechen zwar oftmals noch miteinander Plattdüütsch, als allgemeine Umgangssprache wird das Niederdeutsche jedoch nur noch wenig gebraucht. Die westfälischen Generationen, die mit Plattdeutsch als alleiniger Muttersprache aufgewachsen sind und Hochdeutsch erst in der Schule lernen mussten, sind inzwischen zumeist verstorben.
Heute wird in der Alltagskommunikation der Westfalen in der Regel Hochdeutsch mit plattdeutscher Einfärbung gesprochen. Im Unterschied zu anderen Regionen im deutschen Sprachraum weist die in Westfalen gesprochene hochdeutsche Umgangssprache bei den jüngeren Generationen nur noch eine geringe regionale Färbung auf, welche vor allem bei der westfälischen Landbevölkerung noch zu hören ist. Häufig wird das und was ersetzt durch das niedersächsische dat und wat (wat häb ick di sächt).
Nicht zur niederdeutschen Sprachgemeinschaft gehört der südlichste Kreis Westfalens, der Kreis Siegen-Wittgenstein, der südlich der Benrather Linie, der Grenze zwischen dem niederdeutschen und dem mitteldeutschen Sprachgebiet, liegt. Hier wurden schon immer mitteldeutsche Dialekte gesprochen: im Siegerland das moselfränkische Siegerländer Platt und im Wittgensteiner Land ein oberhessischer Dialekt. Beide Mundarten haben aber auch niederdeutsche Sprachelemente übernommen.
Infrastruktur
Historische Verkehrswege
Westfalen ist schon seit vorrömisch-germanischer Zeit durch Fernstraßen und Wasserwege erschlossen. Ein vom schiffbaren Rhein nach Osten verlaufender Hellweg ist seit über 5000 Jahren nachzuweisen. Er war im Mittelalter Heeresstraße und Durchgangsstraße für den Fernhandel. Nach ihm ist die Hellwegregion benannt. An seiner Strecke liegen Dortmund, Unna, Werl, Soest, Erwitte, Geseke, Salzkotten und Paderborn in Entfernungen von etwa 15 km, was im Mittelalter einer Tagesreise einer Gruppe von Fernhändlern entsprach. Von Paderborn gab es Verbindungen nach Osten. Bei Erwitte kreuzte ein von Mainz nach Lübeck führender Handelsweg den Hellweg, der die westfälischen Städte Siegen und Minden an der schiffbaren Weser verband. Er führte über Meschede und Herford. Südlich des Hellwegs bildete die sogenannte Heidenstraße eine rund 500 km langer Heer- und Handelsstraße, die auf einem direkten Weg von Leipzig durch Südwestfalen nach Köln führte. Befestigte Straßen (Chausseen) wurden nach der Römerzeit erst wieder seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in den preußischen Teilen Westfalens gebaut.
Von Bedeutung für Westfalen war die Schifffahrt außerhalb Westfalens auf dem Rhein und am östlichen Rand Westfalens auf der Weser. Vor der Stauregelung der Flüsse war die Schifffahrt immer wieder behindert und hatte auf den kleineren Flüssen Westfalens nur begrenzte Bedeutung. Seit 1780 war die Ruhr etwa bis Langschede schiffbar. Erheblichen Umfang hatte seitdem auch die Ruhrschifffahrt, die vorwiegend Kohle beförderte. Die Lippe spielte als Wasserstraße lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben Schleusen dies geändert. Daneben war die Ems etwa bis Greven befahrbar.
1847 wurde die west-östlich vom Rhein zur Weser verlaufende Köln-Mindener Eisenbahnstrecke vollendet, die dem mit der Industrialisierung einhergehenden erhöhten Transportbedarf gerecht wurde. Sie eröffnete einen Zugang über die Weser zur Nordsee und umging die Rheinzölle der Niederländer. Die Trasse führt nördlich des Ruhrgebiets durch Wanne, Herne, Dortmund, Hamm, Rheda, Bielefeld, Herford nach Minden. Zwei Jahre später wurde das Industriegebiet des Bergischen Landes durch die Bergisch-Märkische Eisenbahnstrecke angeschlossen. Die Trasse verläuft von Elberfeld über Schwelm, Hagen, Wetter und Witten nach Dortmund.
Verkehrsgemeinschaften und Verkehrsverbünde
Für den öffentlichen Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) sind die Kreise und kreisfreien Städte Aufgabenträger; die Planung und Organisation des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) obliegt dem Land Nordrhein-Westfalen, das regionale Zweckverbände damit beauftragt hat. Ziele sind einheitliche Tarife und Fahrscheine und ein abgestimmter Fahrplan. Die Verkehrsunternehmen arbeiten in Verkehrsgemeinschaften bzw. Verkehrsverbünden zusammen. Auf westfälischem Gebiet gibt es seit dem 1. August 2017 den WestfalenTarif mit einzelnen regionalen Untertarifen (inklusive Lippe, ohne Teile des westfälischen Ruhrgebiets). Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) umfasst neben einem niederrheinischen Teil auch Teile des westfälischen Ruhrgebiets.
Straßennetz
Von Westen nach Osten, vom Rhein zur Elbe und weiter nach Berlin, führt die Bundesautobahn 2 (A 2). Sie verbindet die Metropolregionen Rhein-Ruhr, Hannover-Braunschweig-Göttingen und Berlin/Brandenburg miteinander. Die A 2 verläuft am Nordrand des Ruhrgebiets, durch das südliche Münsterland, Ostwestfalen und das Weserbergland und gehört zu den am stärksten frequentierten Autobahnen Deutschlands. Bottrop, Gladbeck, Gelsenkirchen, Herten, Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Dortmund, Lünen, Bergkamen, Kamen, Hamm, Beckum, Oelde, Rheda-Wiedenbrück, Gütersloh, Bielefeld, Herford, Vlotho und Bad Oeynhausen liegen an ihrer Strecke. Bei Porta Westfalica verlässt sie Westfalen in Richtung Hannover.
Die wichtigste Nord-Süd-Straßenverbindung ist die Bundesautobahn 1 (A 1) von Oldenburg in Holstein über Lübeck, Bremen, Hamburg nach Saarbrücken, von Lübeck bis zum Ruhrgebiet auch als Hansalinie bekannt. Sie verbindet die Ballungsräume Bremen-Oldenburg und Hamburg mit Westfalen. Die Hansalinie überquert den Teutoburger Wald, verläuft durch die Westfälische Bucht, das Ardeygebirge, das Ruhrtal und streift den nördlichen Rand des Sauerlandes. Städte an der A 1 sind das niedersächsische Osnabrück sowie Lengerich, Ladbergen, Greven, Münster, Ascheberg, Hamm, Werne, Bergkamen, Kamen, Unna, Dortmund, Schwerte und Hagen.
Besonders dicht ist das Straßennetz im Ruhrgebiet, das auch an weitere Bundesautobahnen angebunden ist. In West-Ost-Richtung verlaufen die A 40, die A 42 und die A 44. Die A 40 führt von der niederländischen Grenze durch das Ruhrgebiet nach Dortmund, wo sie in die autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraße 1 und im weiteren Verlauf ab Holzwickede in die A 44 übergeht, die weiter durch den Kreis Soest und den Kreis Paderborn nach Kassel führt und eine Verbindung in die Metropolregion Mitteldeutschland herstellt. Die zwischen A 40 und A 2 parallel verlaufende A 42 entlastet als Emscherschnellweg beide Autobahnen in diesem verkehrsreichen Ballungsraum. In Nord-Süd-Richtung geführt sind die Emslandautobahn A 31 von der Nordseeküste bei Emden bis Bottrop, die A 43 von Münster über Recklinghausen, Herne und Bochum durch das Ruhrgebiet nach Wuppertal und die Sauerlandlinie A 45 von Dortmund nach Aschaffenburg in das Rhein-Main-Gebiet, der zweitgrößten deutschen Metropolregion.
Das nördliche Westfalen streift die west-östlich verlaufende A 30, die von der niederländischen Grenze bei Bad Bentheim über Osnabrück zur A 2 bei Bad Oeynhausen führt und ein Teil der europäischen Verbindung zwischen der Randstad um Amsterdam und der Metropolregion Berlin/Brandenburg ist. Bei Osnabrück zweigt von ihr die A 33 in Richtung Bielefeld ab, die südlich von Paderborn auf die A 44 trifft.
Die A 445 Hamm–Arnsberg verläuft als Nord-Süd-Verbindungsautobahn zwischen der A 2 bei Hamm über die A 44 zur A 46 bei Arnsberg. Die Trasse ist von der Anschlussstelle Werl bis zur A 46 bei Arnsberg fertiggestellt.
Schifffahrt
Wasserstraßen
Dem Schiffsverkehr vom Rhein in Richtung Osten stehen der Wesel-Datteln-Kanal und der Rhein-Herne-Kanal zur Verfügung. Beide Kanäle treffen sich im größten europäischen Knotenpunkt für die Binnenschifffahrt bei Datteln im Kreis Recklinghausen mit dem über Lünen nach Hamm führenden Datteln-Hamm-Kanal und dem in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Dortmund-Ems-Kanal. Über den Dortmund-Ems-Kanal ist das norddeutsche Wasserstraßennetz zu erreichen mit den Seehäfen an Nord- und Ostsee. Der west-östlich verlaufende Mittellandkanal, die mit 325,7 km längste künstliche Wasserstraße in Deutschland, zweigt im Nassen Dreieck bei Hörstel-Bergeshövede im Kreis Steinfurt vom Dortmund-Ems-Kanal ab. Er ist die zentrale Wasserstraße zwischen West- und Osteuropa. Das Wasserstraßenkreuz Minden, das zweitgrößte deutsche Wasserstraßenkreuz, überführt den Mittellandkanal in einer Trogbrücke über die Weser. Mittellandkanal und Weser sind durch Schleusen miteinander verbunden.
Alle Kanäle außer dem Mittellandkanal werden von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West mit Sitz in Münster verwaltet. Für den Mittellandkanal und die Weser ist die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Mitte in Hannover zuständig.
Häfen
Die für die Wirtschaft bedeutenden westfälischen Häfen sind Kanalhäfen. Die öffentlichen Kanalhäfen Westfalens haben sich zusammen mit den Häfen von Essen und Mülheim in der Arbeitsgemeinschaft öffentlicher Kanalhäfen in Nordrhein-Westfalen (AöK) zusammengeschlossen. Sie sind Umschlagplätze für Massengüter wie Baustoffe, Eisen- und Stahlwaren, Schrott und Wertstoffe, Kohle und Koks. Auch Flüssiggüter wie Mineralöle werden transportiert. Hinzu kommen immer häufiger hochwertige Stückgüter und Container. War der Transport von Eisenerzen in den 1990er Jahren noch ein bedeutender Faktor, so spielt er heute keine Rolle mehr. 1995 war in Dortmund der Güterumschlag von Eisenerzen etwa so hoch wie heute der Güterumschlag insgesamt. Inzwischen nimmt der Containerumschlag eine immer bedeutendere Rolle ein.
Schienenverkehr
Mit der Industrialisierung hat sich in Westfalen ein dichtes Schienennetz entwickelt mit wichtigen Eisenbahnknoten. Während die Bedeutung der Eisenbahn für den Güterverkehr abgenommen hat, ist dieses umweltfreundliche Verkehrsmittel nach wie vor wichtig für den Personenverkehr. Das Schienennetz wird unter anderem von DB Netz, Westfälische Landeseisenbahn und Teutoburger Wald Eisenbahn bereitgestellt.
Fernverkehr
Die Metropolregion Rhein-Ruhr wird über eine west-östlich verlaufende Eisenbahnfernstrecke mit den Ballungszentren um Hannover und Berlin verbunden. Die stark befahrene Strecke führt über Bochum, Dortmund, Hamm, Gütersloh, Bielefeld, Herford und Minden. In Nord-Süd-Richtung verläuft die Fernstrecke von den Metropolregionen Hamburg und Bremen/Oldenburg über Münster, Dortmund, Hagen zur Rheinschiene und weiter nach Süddeutschland. Sie trifft im Eisenbahnknotenpunkt Dortmund Hauptbahnhof auf die West-Ost-Strecke. Von Hamm verzweigt die Fernstrecke in Richtung Kassel, Eisenach, Erfurt, Weimar, Gera, die in Westfalen über Soest, Lippstadt, Paderborn, Altenbeken und Warburg führt. Sie trifft im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe auf eine wichtige Nord-Süd-Verbindung. Über Gelsenkirchen und Recklinghausen führt eine Querverbindung zwischen Münster und Essen.
Die Deutsche Bahn betreibt auf diesen Strecken den Schienenpersonenfernverkehr mittels Intercity-Express, EuroCity und InterCity – teilweise im Ein-Stunden-Takt.
Nahverkehr
Zahlreiche Linien des Schienenpersonennahverkehrs teilen sich das Schienennetz mit dem Fernverkehr, es wird außerdem um S-Bahn-Strecken ergänzt. In Bielefeld sowie den Städten des urbanen Ballungsraumes im Ruhrgebiet, wo das Netz besonders dicht ist, gibt es Stadtbahnen.
Es werden Regional-Express (RE) und Regionalbahn (RB) angeboten. Die S-Bahnen verkehren teilweise auf eigenen Strecken.
Der Schienenpersonenverkehr wird von verschiedenen Verkehrsunternehmen durchgeführt.
DB Regio NRW betreibt die Mehrzahl der Linien in Westfalen. Weitere Betreiber sind u. a. Eurobahn, National Express, NordWestBahn und Westfalenbahn.
Luftverkehr
Die internationalen Flughäfen Dortmund, Münster/Osnabrück und Paderborn/Lippstadt werden zunehmend von Billigfluggesellschaften angeflogen und beförderten 2005 zusammen etwa 4,5 Millionen Passagiere.
Der Flughafen Dortmund in Dortmund-Wickede liegt 16 km östlich des Stadtzentrums und ist mit einem Bus von Dortmund Hauptbahnhof und über die Autobahnen A 1, A 40 und A 44 zu erreichen. Der Bahnhof Holzwickede liegt in der Nähe.
Der Flughafen Münster/Osnabrück in Greven an der Autobahn A 1 ist 25 km von Münster und 40 km von Osnabrück entfernt. Buslinien führen nach Münster, Osnabrück, Ibbenbüren und Lengerich.
Der Flughafen Paderborn/Lippstadt 15 km südwestlich von Paderborn in Büren an der A 44 ist mit einem Bus von Paderborn Hauptbahnhof zu erreichen.
Der Flughafen Siegerland bei Siegen ist ein Regionalflughafen, der hauptsächlich für den Geschäftsreiseverkehr genutzt wird.
Wirtschaft
In Westfalen gibt es zahlreiche Unternehmen mit einer langen Traditionslinie; auch regionale Spezialisierungen reichen teilweise bis weit in die Vergangenheit zurück. Dies gilt etwa für die Zigarren- und Möbelindustrie in Ostwestfalen, die Kohleförderung im Ruhrgebiet sowie im Tecklenburger Land und die Eisen- und Metallverarbeitung im westlichen Sauerland und im Siegerland.
Gleichwohl wurde die Wirtschaftsstruktur insgesamt in den letzten Jahrzehnten von erheblichen Veränderungen geprägt. War das Ruhrgebiet noch in den 1950er und 1960er Jahren das industrielle Herz nicht nur Westfalens, sondern der ganzen Bundesrepublik, verlor die Montanindustrie in den folgenden Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung. Der Strukturwandel hat vor allem die Hellwegstädte stark verändert. Abgesehen von wenigen industriellen Neugründungen (wie Opel in Bochum) konzentrierte sich dieses Gebiet auf Dienstleistungen und im Zusammenhang mit den Universitätsgründungen auf High-Tech-Produkte (etwa im Bereich Software). Im nördlichen Teil des Reviers begann dieser Prozess deutlich später und ist vielerorts noch nicht abgeschlossen. Entsprechend hoch sind dort die Arbeitslosenzahlen.
Außerhalb des Reviers erfuhr Westfalen in den letzten Jahrzehnten einen teilweisen Aufschwung vor allem im gewerblichen Bereich. Die mittelständische eisen- und metallverarbeitende Industrie, der Maschinenbau, die Konsumgüterindustrie in Südwestfalen, in Ostwestfalen und anderen Teilen Westfalens konnte sich nicht nur am Markt behaupten, sondern ihre Weltmarktpositionen ausbauen. Wie erfolgreich die Aufholjagd ehemals überwiegend ländlicher Regionen war, zeigt die Tatsache, dass die wirtschaftliche Kraft pro Kopf im Bezirk der IHK Arnsberg noch 1955 um 150 % schwächer war als im Bezirk Bochum. Zwanzig Jahre später war der Gleichstand erreicht. Heute liegt der Anteil des produzierenden Gewerbes in Südwestfalen deutlich über dem des Ruhrgebiets. In einer Art „nachgeholter Industrialisierung“ haben sich die Wirtschaftsverhältnisse der ländlichen Gebiete denen der bisherigen Industriegebiete angeglichen. Dies gilt auch für das Münsterland (im Kreis Warendorf nahm das Bruttoinlandsprodukt allein zwischen 1957 und 1959 um 37 % zu.)
Der Wandel zeigt sich auch im Bereich der Brauindustrie. Westfalen insgesamt ist die Region mit der höchsten Bierproduktion in Deutschland. Das wichtigste Zentrum des Brauwesens war bis in die 1980er Jahre Dortmund. Die dortigen Brauereien gehören inzwischen überwiegend zur Radeberger Gruppe und diese zu Dr. August Oetker KG mit Sitz in Bielefeld. Heute sind die Brauereien des Sauerlandes und des Siegerlandes vom Bierausstoß bedeutender. Die Marken Warsteiner, Veltins und Krombacher werden hier produziert.
Trivia
Der Lüner Chronist Georg Spormecker (~1495–1562) schrieb in seiner Chronik von 1536: „Das Land ist fruchtbar; seine Männer sind besser als seine Weine.“
Literatur
Anselm Faust (Red.): Nordrhein-Westfalen. Landesgeschichte im Lexikon. Patmos, Düsseldorf 1993, ISBN 3-491-34230-9.
Werner Freitag: Westfalen. Geschichte eines Landes, seiner Städte und Regionen in Mittelalter und früher Neuzeit. Aschendorff Verlag, Münster 2023, ISBN 978-3-402-24952-9.
Walter Gödden, unter Mitarbeit von Fiona Dummann u. a.: Chronik der westfälischen Literatur 1945–1975. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8498-1156-3.
Albert K. Hömberg: Westfälische Landesgeschichte. Mehren & Hobbeling, Münster 1967.
Harm Klueting: Geschichte Westfalens. Das Land zwischen Rhein und Weser vom 8. bis zum 20. Jahrhundert. Bonifatius, Paderborn 1998, ISBN 3-89710-050-9.
Wilhelm Kohl, Manfred Balzer, Hans-Joachim Behr (Hrsg.): Westfälische Geschichte.
Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches. Schwann, Düsseldorf 1983, ISBN 3-590-34211-0.
Band 2: Das 19. und das 20. Jahrhundert – Politik und Kultur. Schwann, Düsseldorf 1983, ISBN 3-590-34212-9.
Band 3: Das 19. und das 20. Jahrhundert – Wirtschaft und Gesellschaft. Schwann, Düsseldorf 1984, ISBN 3-590-34214-5.
Register zum Gesamtwerk. Schwann, Düsseldorf 1984, ISBN 3-590-34214-5.
Bild- und Dokumentarband. Schwann, Düsseldorf 1982, ISBN 3-590-34213-7.
Jochen Luckhardt (Hrsg.): Westfalia Picta, Erfassung westfälischer Ortsansichten vor 1900.
Band 1: Hochsauerlandkreis, Kreis Olpe. Westfalen-Verlag, Bielefeld 1987, ISBN 3-88918-048-5.
Band 2: Ennepe-Ruhr-Kreis, Märkischer Kreis, Stadt Hagen. Westfalen-Verlag, Bielefeld 1987, ISBN 3-88918-050-7.
Band 3: Kreis Siegen-Wittgenstein. Westfalen-Verlag, Bielefeld 1988, ISBN 3-88918-053-1.
Band 4: Kreis Soest, Kreis Unna, Stadt Hamm. Westfalen-Verlag, Bielefeld 1989, ISBN 3-88918-055-8.
Band 5: Kreis Höxter, Kreis Paderborn. Westfalen-Verlag, Bielefeld 1995, ISBN 3-88918-060-4.
Band 6: Münsterland. Ardey-Verlag, Münster 2002, ISBN 3-87023-235-8.
Band 7: Minden-Ravensberg. Ardey-Verlag, Münster 2002, ISBN 3-87023-236-6.
Band 8: Münster. Ardey-Verlag, Münster 2003, ISBN 3-87023-237-4.
Band 9: Westfälisches Ruhrgebiet. Ardey-Verlag, Münster 2005, ISBN 3-87023-238-2.
Band 10: Lippe. Ardey-Verlag, Münster 2007, ISBN 978-3-87023-239-9.
Johannes Meier: Kirchenaufbau und Ordensleben, Seelsorge, Bildung und Frömmigkeit. Beiträge zur Geschichte des Christentums in Westfalen und benachbarten Landschaften (= Westfalica Sacra, Band 18). Hg. von Christoph Nebgen und Ursula Olchewski. Aschendorff, Münster 2018, ISBN 978-3-402-15497-7.
Hermann Rothert: Westfälische Geschichte, mit einem Nachwort von Albert K. Hömberg. Prisma Verlag, Gütersloh 1986, ISBN 3-87898-305-0,
Band 1: Das Mittelalter.
Band 2: Das Zeitalter der Glaubenskämpfe.
Band 3: Absolutismus und Aufklärung.
Gunnar Teske: Bürger, Bauern, Söldner und Gesandte. Der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Frieden in Westfalen. 2. Auflage. Ardey Verlag, Münster 1998, ISBN 3-87023-085-1.
Weblinks
Internet-Portal „Westfälische Geschichte“ – Themen- und Fachportal zur westfälisch-lippischen Geschichte
Kulturatlas Westfalen – Suche nach kulturellen Einrichtungen, Kulturdenkmälern und Veranstaltungen
Westfalen regional – Landeskundliche Online-Dokumentation über Westfalen
Westfalenhöfe – Historische Daten zu Bauernhöfen und Häusern in Westfalen
Einzelnachweise
Region in Europa
Region in Nordrhein-Westfalen
Historische Landschaft oder Region in Europa
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Q8614
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2480415
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zeiteinheit
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Zeiteinheit
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Eine Zeiteinheit ist eine Maßeinheit, mit der für die Zeit als physikalische Größe quantitative Angaben ermöglicht werden. Mit einer festgelegten Zeiteinheit lässt sich jede Zeit als Vielfaches ihrer Einheit angegeben.
Definitionen
Im internationalen Einheitensystem ist die grundlegende Einheit der Zeit die Sekunde (Einheitenzeichen s), definiert als das -Fache der Periodendauer einer Strahlung im Mikrowellenbereich, die beim Übergang zwischen zwei speziellen Energieniveaus des Caesium-Atoms 133Cs emittiert wird.
Neben der Sekunde gibt es die Minute (1 min = 60 s), die Stunde (1 h = 60 min), den Tag (1 d = 24 h = s), die Woche (7 d). Für noch größere Zeiteinheiten gibt es je nach Zusammenhang unterschiedliche Definitionen, siehe Monat, Jahr. Damit können sie keine akzeptierte Einheiten des internationalen Einheitensystems sein; gleichwohl sind sie allgemein in Gebrauch, auch in Gesetzestexten, z. B. bei der Angabe von Zeitläufen für Termine und Fristen.
Einheiten für längere Zeitspannen als das Jahr gibt es nicht. Vorsätze für Maßeinheiten können bei den Zeiteinheiten nur mit der Sekunde benutzt werden. Um Zahlen mit vielen Stellen zu vermeiden, werden Zehnerpotenz-Faktoren verwendet, gelegentlich auch in Wortzusammensetzungen wie Jahrzehnt, Jahrhundert, …
Geschichte
24 Stunden eines Tages
Die Einteilung des Tages in zwölf Teile kommt vermutlich von einer Version der Sonnenuhr der alten Ägypter. Da die Zeiteinteilung lange mit Hilfe des Sonnenlichts geschah, konnte die Nacht nicht so einfach aufgeteilt werden. Später entdeckten ägyptische Astronomen 36 Sterne, die den Himmel in gleiche Teile aufteilten. Die Nacht konnte mit 18 dieser Sterne aufgeteilt werden. Jeweils drei Sterne wurden für die Morgen- und Abenddämmerung verwendet, da es zu dieser Zeit schwer war, die Sterne zu erkennen. Die Zeit der totalen Finsternis wurde von den übrigen zwölf Sternen festgelegt. Zwischen 1550 und 1070 v. Chr. wurde dieses System vereinfacht, indem 24 Sterne genutzt wurden, wobei zwölf für die Nacht waren. Die Klepsydra wurde auch zur Zeiteinteilung genutzt.
Später hat Hipparchos zwischen 147 v. Chr. und 127 v. Chr. vorgeschlagen, den Tag in 24 gleich lange Stunden zu unterteilen. Eine solche Einteilung wurde jedoch erst im 14. Jahrhundert mit dem Aufkommen mechanischer Uhren üblich.
60 Minuten und 60 Sekunden
Die Babylonier machten astronomische Berechnungen im 60er-System, auch sexagesimales Rechensystem genannt. Diese hat Hipparchos später übernommen. Eratosthenes hat das 60er-System genutzt, um einen Kreis in 60 Teile zu teilen. Damit hat er ein frühes System für Breitengrade aufgebaut. Dieses System hat Hipparchos verbessert. Claudius Ptolemäus hat die 360 Grad in seinem Werk Almagest in zwei Stufen in jeweils wieder 60 Einheiten unterteilt. Die erste Einheit nannte er partes minutae primae – die Minuten – die zweite partes minutae secundae – unsere Sekunden.
Einzelnachweise
lo:ລາຍຊື່ໜ່ວຍນັບເວລາ
nl:Tijd#Eenheden van tijd
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Q1790144
| 147.653474 |
1890322
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https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%A4fer
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Käfer
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Die Käfer (Coleoptera) sind mit über 380.000 beschriebenen Arten in 179 Familien die weltweit größte Ordnung aus der Klasse der Insekten – noch immer werden jährlich hunderte neue Arten beschrieben. Sie sind auf allen Kontinenten außer in der Antarktis verbreitet; in Mitteleuropa kommen rund 8000 Arten vor, davon etwa 7000 auch in Deutschland. Die bislang ältesten Funde fossiler Käfer stammen aus dem Perm und sind etwa 265 Millionen Jahre alt.
Der Körperbau der Käfer unterscheidet sich von dem anderer Insekten, da die augenscheinliche dreiteilige Gliederung nicht dem Kopf, der Brust und dem Hinterleib entspricht, sondern der zweite Abschnitt nur aus dem Prothorax besteht, von dem auf der Körperoberseite nur der Halsschild sichtbar ist. Die übrigen beiden Abschnitte der Brust bilden mit dem Hinterleib eine Einheit und werden vom sklerotisierten ersten Flügelpaar, den Deckflügeln, überdeckt.
Mit etwa 170 Millimetern Länge ist der Riesenbockkäfer (Titanus giganteus) aus Brasilien die größte Käferart; die Goliathkäfer zählen mit etwa 100 Gramm Gewicht zu den schwersten Insekten überhaupt. In Europa schwankt die Größe der Käfer zwischen ungefähr 0,5 und 75 Millimetern, der größte mitteleuropäische Käfer ist der Hirschkäfer (Lucanus cervus).
Etymologie
Das Wort Käfer hat germanische Sprachwurzeln. Bereits im 9. Jahrhundert findet sich das Wort cheuur, im 10. Jahrhundert chefuar, ein Jahrhundert später finden sich die Ausdrücke cheuove, cheuer und keuir. Sie bezeichneten jedoch nicht Käfer, sondern Heuschrecken. Aus dem 13. Jahrhundert ist das Wort kever belegt, wortverwandt mit Kiefer. Beide Wörter sind von einer Wortwurzel mit der Bedeutung „kauen, nagen“ abgeleitet. Erst in den folgenden Jahrhunderten vollzog sich der Bedeutungswandel des Wortes kefer von „Heuschreckenlarve“ zu „Käfer“. Für die Käfer wurde von den Germanen auch das Wort webila benutzt. Im 11. Jahrhundert taucht das Wort wibil, im darauffolgenden Jahrhundert wibel auf, was im Englischen in der Form weevil als Bezeichnung für die Rüsselkäfer sowie in mundartlichen Benennungen wie Perdswievel für Rosskäfer weiterlebt. Schon früh findet man Unterscheidungen wie scaernwifel und tordwifel für Mistkäfer, und im 15. Jahrhundert werden bereits verschiedene Käferfamilien sprachlich unterschieden.
Die wissenschaftliche Bezeichnung Coleoptera kommt aus dem Altgriechischen. Mit wurde die lederne Hülle bezeichnet, in die das Schwert gesteckt wurde, und mit der Flügel. Die ledrig anmutenden Deckflügel der Käfer, welche die Hinterflügel teilweise umhüllen, führten zu der Namensgebung.
Merkmale der Käfer
Die Körperform der Imagines ist sehr vielfältig und variiert von sehr langen und schlanken bis zu gedrungenen, kurzen Arten. Es gibt dabei sehr flache bis stark kugelig geformte Körper. Die Körperform stellt eine Anpassung an die Lebensweise der jeweiligen Art dar. So sind Käfer, die unter loser Rinde leben, immer flach; im Wasser lebende Arten, insbesondere schnelle Schwimmer, haben eine Stromlinienform; kletternde Käfer, deren Fluchtverhalten darin besteht, sich bei Gefahr fallen zu lassen, sind kugelig. Die Strukturierung der Körperoberflächen ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von glatten und glänzenden bis hin zu stark strukturierten Oberflächen mit Runzeln, Gruben, Rillen und Höckern. Ein entscheidender Evolutionsfaktor für die Ausbildung der Körperform ist, insbesondere bei bizarr geformten Arten, die Funktion der Tarnung vor Fressfeinden.
Der Körperbau der Käfer folgt dem grundsätzlichen Bau der Insekten. Der Körper besteht aus drei Abschnitten: Kopf (Caput), Brust (Thorax) und Hinterleib (Abdomen). Die sichtbare Gliederung entspricht bei den Käfern aber nicht Kopf, Brust und Hinterleib. Der zweite sichtbare Abschnitt besteht nur aus dem ersten Segment der Brust, das zweite und dritte Segment bilden mit dem Hinterleib eine Einheit, die von den Deckflügeln (Elytren) überdeckt ist. Die Elytren sind das erste, stark sklerotisierte Flügelpaar, das das zweite Flügelpaar schützt. Bauchseits ragen die hinteren Teile der Brust über die ersten Hinterleibssegmente hinaus, so dass auch hier das zweite und dritte Brustsegment zusammen mit dem Hinterleib eine optische Einheit bildet. Käfer haben, bis auf wenige Ausnahmen, ein stark sklerotisiertes Außenskelett unter Beteiligung von Chitin. Als Extremitäten besitzen sie wie alle Insekten sechs Beine und zwei, bei den einzelnen Arten allerdings sehr unterschiedlich gestaltete, Fühler. Käfer gehören zu den Insekten mit kauenden Mundwerkzeugen. Wie alle Insekten haben sie ein Strickleiternervensystem, das jedoch dahingehend abgewandelt ist, dass sich im Hinterleib keine Ganglien mehr befinden. Das Blutgefäßsystem ist offen und besitzt ein Röhrenherz. Der einfache Verdauungstrakt mit den Malpighischen Gefäßen und das Tracheensystem für die Atmung entsprechen ebenfalls dem allgemeinen Bauplan der Insekten. Es gibt aber wegen der durch die lange Evolutionszeit bedingten Vielfalt der Käfer in fast allen Bereichen der Käferanatomie Abweichungen von diesem Grundbauplan.
Körpergröße
Die Körpergröße der Käfer ist durch die Tatsache nach oben begrenzt, dass die Luft durch das Tracheensystem zu den Organen transportiert werden muss. Die größten Käfer sind deswegen träge. Nach unten ist die Körpergröße lediglich dadurch beschränkt, dass der komplexe Körperbau noch verwirklicht werden kann. Die Arten der Zwergkäfer (Ptiliidae) und Punktkäfer (Clambidae) zählen zu den kleinsten Käfern und zu den kleinsten Insekten überhaupt; es gibt Arten, die weniger als 0,5 Millimeter lang werden. Feuerkäfer (Pyrochroidae) und Ölkäfer (Meloidae) sind Familien mit durchschnittlich sehr großen Arten. Die größten Arten weltweit zählen aber zu den Bockkäfern (Cerambycidae) und Rosenkäfern (Cetoniinae). Innerhalb dieser Familien kommt es aber zu großen Längenunterschieden; der kleinste Bockkäfer wird nur etwa drei Millimeter lang, mit etwa 170 Millimetern Länge ist dagegen der Riesenbockkäfer (Titanus giganteus) die größte bekannte Käferart überhaupt. Auch die Körpergröße bei Vertretern einer Art kann beträchtlich schwanken, so variiert die Körperlänge des Moschusbocks zwischen 13 und 34 Millimetern. Da die Imagines nicht mehr wachsen können, sind solche Größenunterschiede allein auf unterschiedlich günstige Lebensbedingungen während der Larvenstadien zurückzuführen. Auch zwischen den Geschlechtern derselben Art bestehen manchmal, aber eher selten erhebliche Größenunterschiede. Auffallend größere Männchen gibt es zum Beispiel bei den Hirschkäfern, bei denen die Männchen Revierkämpfe durchführen. Meistens ist allerdings das Weibchen das größere Geschlecht.
Färbung
Die Färbung der Käfer ist ebenso vielfältig wie ihre Körperform. Die meisten Käfer sind zwar dunkel oder in Brauntönen gefärbt; es gibt aber zahlreiche Arten mit gemusterten, kräftig leuchtenden oder metallisch glänzenden Körpern. Die Färbung wird durch Pigmentierung oder durch Strukturfarben verursacht.
Die in der Regel metallisch glänzende Farbe wird durch physikalische Phänomene wie beispielsweise Interferenz oder Streuung hervorgerufen. Dies tritt häufig bei dünnschichtigen Strukturen wie beispielsweise Haaren (Setae) oder Schuppen auf oder auch bei spezieller Schichtung der Lagen aus parallelen Chitinfasern. Dabei überdeckt die Färbung der Haare und Schuppen oft die Grundfarbe. Muster können zustande kommen, indem in unbehaarten oder unbeschuppten Bereichen die Grundfarbe hervortritt. Oft sehen deswegen auch ältere Tiere, bei denen die Behaarung verschwunden ist, anders aus als frisch aus der Puppe geschlüpfte Tiere. Gleichzeitig sind frisch geschlüpfte Käfer aber in der Regel in den ersten Stunden noch nicht voll ausgefärbt. Bei vielen Arten sind Männchen und Weibchen unterschiedlich gefärbt (Sexualdichromatismus).
Bei manchen Käferarten ist eine auffallende Konstanz der Zeichnung erkennbar, bei anderen dagegen eine starke Variabilität. Bei den Marienkäfern (Coccinellidae) gibt es beispielsweise Arten, die hunderte verschiedene Muster- und Farbvarianten hervorbringen. Diese Tiere wurden früher, wenn sie nicht sogar als eigene Arten behandelt wurden, mit eigenen Aberrationsnamen belegt und so in den Stand von systematischen Gruppierungen versetzt. Diese Annahmen sind aber mittlerweile wissenschaftlich überholt; die meisten derartigen Bezeichnungen sind heute nicht mehr in Verwendung. Als anderes Extrem sind beispielsweise bei der Gattung Trichodes aus der Familie der Buntkäfer oder bei der Gattung Clytus aus der Familie der Bockkäfer die Muster bei den verschiedenen Arten nahezu gleich. Die Färbung der Tiere ist oft auch ein wichtiges Merkmal für ihre Tarnung und Verteidigung (siehe Tarnung und Verteidigung weiter unten).
Kopf
Der Kopf ist das Zentrum des Nervensystems der Tiere. Er enthält die beiden wichtigsten Konzentrationen an Nervenzellen, das Oberschlundganglion und das Unterschlundganglion, die zusammen als Gehirn bezeichnet werden. Außerdem liegen auch viele Sinnesorgane im Kopf, wenn auch nicht alle. Die wichtigsten Teile sind Facettenaugen, Fühler und Mundwerkzeuge. Die Kopfkapsel, die schützend das Gehirn umschließt, besteht aus einem Acron (Kopflappen) und sechs miteinander verwachsenen Segmenten. Der Kopf kann je nach Art sehr unterschiedlich geformt sein. Es gibt runde bis eckige und kurze bis extrem langgestreckte Kopfformen. Bei manchen Arten kann der Kopf durch einen großen Kopfschild nach vorne verlängert sein. Der Kopf wird in mehrere Bereiche unterteilt:
Mundwerkzeuge
Die Käfer besitzen beißend-kauende Mundwerkzeuge. Diese stellen die ursprünglichste Form der Mundwerkzeuge dar, bei der noch die Verwandtschaft zu den Kopfbeinen der Krebstiere erkennbar ist. Trotzdem zeigen sie eine hohe Spezialisierung auf die jeweilige Ernährungsweise. Sie bestehen aus paarigen Mandibeln (Oberkiefer) und paarigen Maxillen (Unterkiefer) sowie einem unpaaren Labium (Unterlippe). Das Labium besteht aus einem unpaaren Basalstück, das die Funktion der Unterlippe hat. Dann folgt nach oben die unpaare Zunge (Glossa) mit den beiden Nebenzungen (Paraglossae). Nach oben hin werden die Mundwerkzeuge durch das Labrum (Oberlippe), eine unpaare Platte, abgeschlossen. Die Mandibeln sind die wichtigsten Werkzeuge zum Nahrungserwerb. Sie dienen den Pflanzenfressern dazu, Pflanzenteile abzuschneiden und zu zerkleinern; die Räuber können mit ihren spitzen und scharfen Mandibeln ihre Beute packen, festhalten und in fressbare Portionen zerteilen. Einige wenige Arten können ihre Mandibeln nicht zum Nahrungserwerb benutzen. Bei den Männchen der Hirschkäfer zum Beispiel sind sie so stark vergrößert, dass sie als Fresswerkzeuge unbrauchbar sind. Stattdessen sind sie zu Waffen umgebildet, mit denen die um Weibchen rivalisierenden Männchen Kämpfe austragen und mit denen imponiert wird. Sowohl auf den Maxillen als auch auf der Unterlippe sind Taster angeordnet, sogenannte Palpi, auf denen der Geschmackssinn sitzt.
Fühler
Die Fühler der Käfer entspringen am Kopf. Die Lage ihrer Einlenkungsstelle (zwischen oder vor den Augen, innerhalb oder hinter der Wurzel der Oberkiefer und ähnliches) spielt in den Bestimmungsschlüsseln häufig eine Rolle. Die Fühler sind, wie bei allen Insekten, als Geißelantennen ausgebildet, die nur ein Basal- oder auch Schaftglied mit Muskulatur besitzen, den Scapus. Das darauf folgende Wendeglied, der Pedicellus, ist gemeinsam mit der Geißel gegenüber dem Scapus beweglich. Insgesamt bestehen die Fühler je nach Familie aus fünf bis zwölf Gliedern, überwiegend haben sie aber zehn oder elf Glieder. Sie sind äußerst unterschiedlich geformt. In manchen Familien haben die Männchen anders geformte Fühler (in der Regel größere und längere) als die Weibchen. Als Grundtypen unterscheidet man fadenförmige (etwa bei den Laufkäfern), am Ende gekeulte (Rüsselkäfer) oder gefächerte (Maikäfer) und gekämmte (Hirschkäfer) Fühler. Unabhängig davon heißt ein Fühler „gekniet“, wenn er abgewinkelt ist. Es kommen aber zahlreiche Abstufungen zwischen diesen Grundformen vor. Die Einlenkungsstelle und der Bau der Fühler sind häufig für eine Familie oder eine andere systematische Einheit charakteristisch. Auf den Fühlern sitzen Organe, mit denen die Tiere riechen können, sie sind jedoch auch Tastorgane, mit denen sie sich orientieren. Bei manchen Familien werden sie zudem zum Festhalten des Geschlechtspartners bei der Paarungsstellung benutzt.
Augen
Die Augen sind als Facettenaugen ausgebildet. Sie setzen sich aus Einzelaugen (Ommatidien) zusammen. Neben dem Grundtyp des Appositionsauges, dem einfachsten Komplexauge, bei dem jedes Einzelauge für sich separat und optisch von seinen Nachbarn isoliert ist, gibt es, besonders bei dämmerungs- und nachtaktiven Käfern, auch sogenannte Superpositionsaugen. Bei diesen sind die Einzelaugen nicht optisch isoliert, sondern die Lichtstrahlen können auch in benachbarte Ommatidien gelangen und die Sehpigmente der dortigen Rhabdome anregen, die Informationen der Lichtreizung an den Sehnerv weiterzuleiten. Dies ermöglicht Sehen auch noch bei geringerer Lichtintensität und erhöht die wahrgenommene Helligkeit auf ein Vielfaches, allerdings auf Kosten der Sehschärfe. Bei höherer Lichtintensität können sich die Pigmentzellen verschieben, wodurch funktionell wieder ein Appositionsauge entsteht. Die Augen der Käfer sind nicht immer kreisrund. Meistens liegen sie nierenförmig um den Ansatz der Fühler herum. Im Extremfall, wie etwa bei vielen Bockkäfern, sind diese „Nierenhälften“ getrennt.
Ein Sonderfall liegt bei den Taumelkäfern (Gyrinidae) vor, die im Wasser leben. Bei diesen Käfern sind die Augenhälften auseinandergerückt, die oberen Hälften bilden ein Paar Augen, das über dem Wasserspiegel liegt, die unteren Augenhälften bilden ein Augenpaar unter dem Wasserspiegel. So können sie gleichzeitig über und unter Wasser sehen, wobei die jeweiligen Augenpaare an die unterschiedlichen Lichtintensitäten, Wellenlängen und Brechungsindizes von Luft und Wasser angepasst sind. Einige wenige Käferfamilien, wie etwa die Speckkäfer (Dermestidae), haben nur einfache Punktaugen, wie sie auch die Käferlarven haben, andere, in Höhlen lebende Arten haben die Augen völlig zurückgebildet. Zu ihnen gehören unter anderem mehrere Vertreter der Laufkäfer (Carabidae), die endemisch jeweils in nur einer Höhle vorkommen, oder beispielsweise der Segeberger Höhlenkäfer aus der Familie der Schwammkugelkäfer.
Brust (Thorax)
Der Thorax der Käfer besteht aus drei Teilen: Prothorax, Mesothorax und Metathorax. Von oben kann man nur den ersten Abschnitt, den Prothorax, erkennen. Dieser wird vom Halsschild (Scutum) bedeckt. Die anderen beiden Thoraxsegmente liegen unter den Deckflügeln (Elytren) verborgen, mit Ausnahme eines kleinen Teils des Mesothorax. Dieses Schildchen (Scutellum) ist, falls überhaupt, zwischen den Deckflügeln an deren Basis als kleines Dreieck erkennbar. Von unten sind die drei Thoraxsegmente sichtbar, aber nicht leicht als solche erkennbar. Sie bestehen nämlich aus mehreren sklerotisierten Chitinplatten, die gegeneinander verschoben sein können, so dass zur Vorderbrust gehörige Platten zwischen solchen der Mittelbrust zu liegen kommen. Insbesondere ragen die Platten der Hinterbrust mindestens über den Ansatz des Hinterleibes, so dass auch die Abgrenzung zum Hinterleib nicht leicht erkennbar ist und Mittel- und Hinterbrust als zum Hinterleib zugehörend wirken. An jedem der drei Brustsegmente entspringt ein Beinpaar, an den hinteren beiden Segmenten entspringen zusätzlich die beiden Flügelpaare.
Beine
Die Beine haben die gleiche Grundgliederung wie bei den anderen Insekten. Jedes Bein ist in mehrere Abschnitte – Hüfte (Coxa), Schenkelring (Trochanter), Schenkel (Femur) und Schiene (Tibia) – gegliedert und hat am Ende zwei- bis fünfgliedrige Füße (Tarsen), wobei das letzte Tarsenglied mit Krallen versehen ist. Die Anzahl der Tarsenglieder wird zur Grundeinteilung der Käferfamilien verwendet. 5–5–4 bedeutet beispielsweise, dass die Hinterbeine vier Tarsenglieder haben, die übrigen Beine fünf. Die Tarsenglieder und auch die anderen Beinsegmente können sehr unterschiedlich lang und geformt sein. Einzelne Segmente können so klein gebaut sein, dass sie im vorhergehenden Glied verborgen sind, so wie das vierte Tarsenglied der Bockkäfer (Cerambycidae). Oft sind die Schenkel auch verbreitert. Beim Grünen Scheinbockkäfer (Oedemera nobils) ist dies so stark der Fall, dass die Schenkel fast kugelig wirken. Die Beine sind je nach Käferart und Verwendung spezialisiert und können als Laufbeine, Sprungbeine, Schwimmbeine oder Grabbeine ausgebildet sein. Der australische Sandlaufkäfer Cicindela hudsoni erreicht mit einer Laufgeschwindigkeit von bis zu 2,5 Meter pro Sekunde eine Spitzenleistung in der Klasse der Insekten. Gelbrandkäfer (Dytiscus marginalis) können mit ihren kräftigen Schwimmbeinen bis zu 0,5 Meter pro Sekunde schwimmen.
Die Gelenke liegen wie bei allen Insekten offen, sodass sie Umwelteinflüssen ausgesetzt sind und nicht auf einem leicht verdunstenden Flüssigkeitsfilm (Synovia) gegeneinander gleiten können. Exemplarisch am Großen Schwarzkäfer (Zophobas morio) wurden Aufbau und Funktionsweise der unverkapselten Gelenke untersucht. Rasterelektronenmikroskopisch zeigen die Berührungsoberflächen, dass sie dicht von Poren überzogen sind, die nur einen μm (ein tausendstel Millimeter) tief sind. Diese wasserabweisende Oberflächenarchitektur mit Selbstreinigungsfähigkeit ist bekannt als Lotoseffekt. Außerdem produziert die Oberfläche wachsartige proteinhaltige Substanzen als Schmiermittel, welche die Reibungskräfte ähnlich wie durch eine PTFE- Beschichtung minimiert.
Flügel
Der definierende Unterschied der Käfer zu den übrigen Insekten ist der Flügelbau. Bei den Käfern unterscheidet sich das erste Flügelpaar deutlich vom zweiten. Die am mittleren Thoraxsegment entspringenden Vorderflügel (Elytren) sind stark sklerotisiert und dienen im Wesentlichen nur dazu, die kunstvoll zusammengefalteten Hinterflügel und den Hinterleib zu bedecken und zu schützen. Sie werden bis auf wenige Ausnahmen beim Flug schräg nach vorn geklappt, sodass das hintere, flugfähige Flügelpaar entfaltet werden kann. Im geschlossenen Zustand bilden die Deckflügel an ihren Innenrändern die Flügeldeckennaht. Nach hinten klaffen sie jedoch häufig auseinander. Sie sind bei den meisten Käfern fest, bei manchen, wie zum Beispiel bei den Rüsselkäfern, sind sie sogar sehr hart ausgebildet. Die Weichkäfer haben hingegen sehr weiche Deckflügel. Das zweite Flügelpaar (Alae) entspringt am hinteren Thoraxsegment und ist wie bei den meisten flugfähigen Insekten als Hautflügel ausgebildet. Die Hinterflügel sind an den stabilisierenden Flügeladern verstärkt und sonst häutig. Sie entfalten sich erst kurz vor dem Start und sind in der Regel wesentlich größer als die Elytren. Nach dem Flug werden sie meist unter Zuhilfenahme der Hinterbeine wieder gefaltet und unter die Deckflügel geschoben.
Der Bau der Flügel variiert stark. Die Deckflügel können unterschiedlich lang sein und entweder den Hinterleib ganz oder zum überwiegenden Teil bedecken oder sie lassen, wie beispielsweise bei den Kurzflüglern, den Hinterleib ganz unbedeckt. Die beiden Deckflügel können auch zusammengewachsen sein, wie etwa bei vielen Laufkäfern (Carabidae). Die Hinterflügel dieser Arten sind dann meist verkümmert oder fehlen ganz. Die Oberfläche der Deckflügel ist mitunter sehr unterschiedlich ausgeführt. Es gibt glatte, beschuppte, behaarte und strukturierte Deckflügel.
Hinterleib (Abdomen)
Der Hinterleib besteht aus mehreren, meist acht oder neun sichtbaren Segmenten. Die hintersten Hinterleibssegmente liegen im Körper verborgen. Die sichtbaren Segmente bestehen aus zwei halbschalenförmigen Teilen, dem Tergit am Rücken und dem Sternit am Bauch. Die beiden Teile sind seitlich, parallel zur Körperlängsachse durch die Pleurite verbunden. Die einzelnen Segmente sind durch Segmenthäute miteinander verbunden. Dadurch ist der Hinterleib, im Gegensatz zu den starren vorderen Körperabschnitten, beweglich. Die Beweglichkeit ist aber im Vergleich zu den meisten übrigen Insekten eher beschränkt. Bei manchen Arten, wie beispielsweise bei der Gattung Dytiscus aus der Familie der Schwimmkäfer (Dytiscidae), ist das Abdomen unbeweglich. Die Kurzflügler können den Hinterleib dagegen besonders gut bewegen. Bei der Drohstellung erheben sie das Hinterleibsende steil nach oben und wirken dadurch wesentlich größer. In den letzten Hinterleibssegmenten sind die Geschlechtsorgane enthalten.
Innerer Aufbau
Die beiden Hauptaufgaben des Blutes bei den Wirbeltieren, Transport der Atmungsgase und der beim Nahrungsstoffwechsel wichtigen Stoffe, werden bei Käfern, wie bei den Insekten allgemein, von zwei verschiedenen Systemen wahrgenommen. Die Körperflüssigkeit, die die Aufgaben des Nahrungsstofftransportes übernimmt, nennt man Hämolymphe. Sie fließt nicht in Adern, sondern in Zwischenräumen und Körperhöhlen und umspült dabei die Organe der Käfer. Die Hämolymphe enthält kein Hämoglobin und kann farblos oder gelb, manchmal aber auch rot oder grün gefärbt sein. Die einzigen Blutgefäße sind eine kurze Aorta und ein Röhrenherz, das im oberen Teil des Hinterleibs sitzt. Das Herz hat acht paarige seitliche Öffnungen (Ostien), entsprechend der Anzahl der Hinterleibsringe, durch die das Blut in das Herz eingesaugt wird. Das Herz geht in die Aorta über, und die Hämolymphe wird aus dem Herz über diese in den Kopf transportiert. Der Transport erfolgt mit einem System aus Segelklappen. Es wird aber kein Sauerstoff beziehungsweise Kohlenstoffdioxid transportiert, der Gasaustausch erfolgt über Tracheen, die mit ihrem stark verästelten Röhrensystem alle Organe mit Sauerstoff versorgen. Dieser wird durch seitliche Öffnungen (Stigmen) in den Körper gepumpt, was zum Beispiel deutlich beim Feldmaikäfer (Melolontha melolontha) zu erkennen ist, wenn dessen Hinterleib vor dem Abflug deutliche Pumpbewegungen vollführt. Der maximale Transportweg ist bei diesem Atmungssystem begrenzt, was auch der Grund ist, warum Käfer und Insekten allgemein in ihrem Größenwachstum beschränkt sind. Das Herz schlägt dabei langsam, beispielsweise beim Hirschkäfer (Lucanus cervus) etwa 16-mal in der Minute.
Das Nervensystem findet sich auf der Bauchseite der Käfer, weswegen es auch Bauchmark genannt wird. Es weicht von dem für Insekten typischen Bau mehr oder weniger stark ab und ist innerhalb der Ordnung von ungewöhnlicher Vielfalt. Die insgesamt acht Hinterleibsganglien sind manchmal in den Thoraxbereich verschoben. Je nach Art können (wie im Grundbauplan der Pterygota) alle acht Hinterleibsganglien separat bleiben (bei Lycidae) oder alle, unter Einschluss der drei Thoracalganglien, zu einer kompakten Masse verschmelzen (bei einigen Rüsselkäfern). Die Anzahl der separaten Ganglien variiert zum Beispiel von zwei bis zehn bei den Laufkäfern, von eins bis fünf bei den Rüsselkäfern und von zwei bis sieben bei den Blattkäfern. Das Gehirn besteht aus einem Unterschlund-, einem Oberschlundganglion und einem weiteren Ganglion. Es ist insgesamt deutlich kleiner als das Thoraxganglion und liegt unterhalb beziehungsweise oberhalb der Speiseröhre (Ösophagus). Gehirn und Thoraxganglion sind voneinander unabhängig, der Körper kann deswegen nach dem Verlust des Gehirns noch für einige Zeit weitgehend funktionsfähig bleiben.
Das Verdauungssystem besteht aus einem Darmtrakt, der bei den verschiedenen Familien verschieden unterteilt sein kann. Bei Fleischfressern ist er kurz, bei Pflanzenfressern kann er die zehnfache Körperlänge erreichen. Vom Rachen (Pharynx) gelangt die Nahrung über die Speiseröhre in den Magen. Der anschließende Mitteldarm besitzt im Vorderabschnitt eine langzottige, im Hinterabschnitt eine kurzzottige innere Oberfläche. Der Enddarm ist in Dünndarm (Ileus) und Dickdarm (Rektum) gegliedert. In ihm werden Nährstoffe in das Blut aufgenommen. Dort sowie in den zwei röhrenförmigen Nieren (Malpighische Gefäße) werden Stoffwechselprodukte aus den Organen aufgenommen und über den After ausgeschieden. Bei manchen Käfern, wie etwa den Bombardierkäfern (Brachininae), gibt es im Dickdarm Drüsen, deren Sekret zu Verteidigungszwecken (Wehrsekret) eingesetzt werden kann.
Die Geschlechtsorgane bestehen beim Männchen aus paarigen Hoden, verschiedenen Drüsen, die in den jeweiligen Familien sehr verschieden gebaut sein können, und den abführenden Kanälen. Anhangsdrüsen und Samenblase variieren ebenfalls. Ein gemeinsamer Ausführungsgang mündet in den Kopulationswerkzeugen. Die Weibchen haben Eierstöcke, Anhangsdrüsen und abführende Gefäße in verschiedenen Formen. An die Vagina kann eine Samentasche angebunden sein, in der der männliche Samen bis zur Eiablage aufbewahrt wird. Begattung und Besamung können dadurch mehrere Monate auseinanderliegen. Zur Eiablage werden gelegentlich Klebstoffe verwendet, für deren Produktion entsprechende Drüsen existieren. Die äußeren Geschlechtsorgane sind vor allem beim Männchen stark sklerotisiert. Ihre komplexe und artspezifische Form, die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip sehr stark spezialisiert ist, ermöglicht es, viele Käfer, die äußerlich nicht zu unterscheiden sind, durch Genitaluntersuchungen einer wohldefinierten Art zuzuordnen.
Lebensweise und Verhalten
Ernährung
Käfer besiedeln die meisten Lebensräume auf der Erde, und es gibt praktisch keine organische Nahrungsquelle, die nicht durch bestimmte Käferarten ausgeschöpft wird. Dabei ernähren sich Larven oft ganz anders als ausgewachsene Käfer. Auch das Nahrungsspektrum einzelner Arten variiert stark. Bei den pflanzenfressenden Käfern reicht es von polyphag lebenden Arten, die sich von einer Vielzahl verschiedener Nahrungsquellen ernähren, bis hin zu monophag lebenden Arten, die nur eine bestimmte Pflanzenart fressen. Es treten zahlreiche Spezialisierungen auf. So gibt es Holzfresser (Xylophage), Fäulnisfresser, die sich von verwesenden Pflanzenteilen ernähren (Saprophage), und bei diesen wiederum solche, die sich auf Totholz spezialisiert haben (Saproxylophage). Die meisten Pflanzenfresser ernähren sich aber von Blättern, Blüten, Samen, Wurzeln oder Stängeln der Pflanzen.
Die räuberischen Familien, wie beispielsweise die Laufkäfer (Carabidae), haben ein großes Nahrungsspektrum. Neben Insekten, anderen Gliederfüßern, Würmern, Schnecken und Raupen fressen diese Käfer auch Wirbeltiere wie Kaulquappen oder kleine Fische, wenn diese zur Verfügung stehen. Nur wenige Käfer zerkleinern vor dem Fressen ihre Beute. Die meisten injizieren Verdauungssäfte, um dann die verflüssigte Nahrung aufzunehmen (extraintestinale Verdauung). Manche Räuber fressen zusätzlich auch pflanzliche Nahrung wie Samen oder Pollen.
Neben diesen zwei Gruppen von Ernährungstypen gibt es zwei besonders für die Ökologie wichtige, nämlich die der Koprophagen und die der Nekrophagen. Erstere ernähren sich von Kot, wie etwa die Mistkäfer (Geotrupidae), letztere fressen Aas, wie etwa die Aaskäfer (Silphidae). Diese Arten führen Ausscheidungen beziehungsweise Kadaver durch deren Abbau wieder dem Nahrungskreislauf zu. Außerdem gibt es Pilzfresser (Mykophagen), wie zum Beispiel die Baumschwammkäfer (Mycetophagidae), aber auch solche, die sich von Leder, Federn, Sehnen, Haaren und trockener Haut ernähren, wie beispielsweise die Speckkäfer (Dermestidae). Auch anorganische Stoffe, wie Mineralstoffe, werden zum Teil direkt aufgenommen.
Wasser
Neben Nährstoffen sind Käfer, wie alle Lebewesen, auf Wasser angewiesen. Unter Wasser lebende Käfer können zum Teil sehr gut fliegen, um neue Lebensräume besiedeln zu können, falls ihr Lebensraum austrocknet. Sie tun dies aber auch, unabhängig von der Gefährdung ihres Gewässers, um neue Lebensräume zu erschließen. Neben den Käfern, die im Wasser leben, wie etwa Schwimmkäfer (Dytiscidae), gibt es Arten, die hohe Feuchtigkeit benötigen und deswegen meist um Gewässer anzutreffen sind (Hygrophile). Wiederum andere Arten sind auf Feuchtigkeit angewiesen, leben aber an trockenen und heißen Plätzen. Besonders in Wüstengebieten lebende Arten, wie einige Schwarzkäfer (Tenebrionidae), sind an extreme Trockenheit angepasst. Sie sind nachtaktiv und ernähren sich allesfressend (omnivor), da sie bei mangelndem Nahrungsangebot nicht wählerisch sein können. Auch können sie das Wasser zur Deckung ihres Feuchtigkeitsbedarfs sowohl aus ihrer Nahrung entnehmen als auch sammeln, indem sie Kondenswasser an den Füßen auffangen, die sie weit nach oben richten.
Einige Käferlarven können sogar ganz ohne direkte Wasseraufnahme leben. In sehr trockenem Holz lebende Arten, wie zum Beispiel der Gemeine Nagekäfer (Anobium punctatum), verdauen das gefressene Holz mit Hilfe von Bakterien. Die dadurch gewonnene Energie speichern sie in Form von Fett. Aus diesem können sie dann chemisch Wasser abspalten.
Atmung
Alle Käfer atmen über Tracheen und nehmen so Sauerstoff auf. Für im Wasser lebende Käfer ergibt sich deswegen ein zusätzliches Problem, das Käfer an Land nicht haben. Sie müssen an Sauerstoff zur Atmung gelangen, da sie ihn nicht direkt aus dem Wasser aufnehmen können. Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen, wie beispielsweise die Larven der Taumelkäfer (Gyrinidae), die den Sauerstoff direkt aus dem Wasser mit Hilfe von speziellen Organen, den Tracheenkiemen, aufnehmen. Tracheenkiemen kommen bei Imagines niemals vor.
Die Imagines der im Wasser lebenden Käferarten und die Larven der meisten Familien haben zur Sauerstoffaufnahme sehr verschiedene Möglichkeiten entwickelt. Die meisten Arten kommen dazu an die Wasseroberfläche und können eine Luftblase mit auf ihre Tauchgänge nehmen. Die einen speichern die Luft zwischen Deckflügeln und Hinterleib, wie etwa der Gelbrandkäfer (Dytiscus marginalis). Andere pumpen Luft durch eine von speziell geformten Fühlern gebildete Rinne auf die Körperunterseite, wie beispielsweise Wasserkäfer (Hydrophilidae), wobei die Luft dort zwischen Haaren festgehalten wird. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass sie ihre Luftreserve als Blase am Ende des Hinterleibes mit sich führen, wobei dies allerdings nur bei kleinen Käfern möglich ist, wie etwa bei denen der Gattung Hyphydrus aus der Familie der Schwimmkäfer (Dytiscidae). Voraussetzung für den Transport der Luftblase ist die Unbenetzbarkeit des Körpers, die entweder durch feine Behaarung oder durch eine Fettschicht gewährleistet wird. Die Hakenkäfer (Elmidae und Dryopidae) sind Plastronatmer, müssen also zur Atmung nicht an die Oberfläche kommen.
Die meisten Schwimmkäfer haben wegen ihrer Atemtechnik einen zum Teil stark modifizierten und daran angepassten Körperbau. Aus dem Sauerstofftransport ergibt sich das Problem, dass die mitgeführte Luft einen hohen Auftrieb erzeugt und die Käfer sehr viel Energie für das Schwimmen aufwenden müssen. Deswegen leben besonders die großen Käfer unter ihnen gerne in stark bewachsenen Gewässern und klammern sich häufig an Wasserpflanzen. Einige unter Wasser lebende Arten der Blattkäfer (Chrysomelidae), wie beispielsweise die der Gattung Macroples, brauchen nicht gegen den Auftrieb zu kämpfen. Sie gewinnen ihren Sauerstoff direkt aus Bläschen, die von Wasserpflanzen abgegeben werden. Auch ihre Larven brauchen zum Atmen nicht an die Oberfläche zu steigen. Die Eier werden in Stängel von Wasserpflanzen gelegt. Die daraus schlüpfenden Larven leben entweder direkt in der Pflanze und entnehmen den Sauerstoff aus deren Leitungsbahnen, oder sie leben im Wasser und haken sich mit dem Hinterleibsende von außen in diese Bahnen ein. Gleiches machen die Puppen der Gattung Donacia. Die Verpuppung der meisten im Wasser lebenden Käfer findet aber an Land statt.
Flugverhalten und Wanderungen
Entsprechend dem Grundbauplan der Insekten haben die Käfer zwei Paar Flügel, von denen aber nur das hintere Paar, die Alae, zum Fliegen geeignet ist. Das vordere ist sklerotisiert und bildet die schützenden Elytren. Die meisten Käfer können mehr oder weniger gut fliegen, wobei Arten wie etwa die Sandlaufkäfer (Cicindelinae) sehr wendig sind, hervorragend fliegen können und eine Maximalgeschwindigkeit von bis zu 8 m/s erreichen. Ähnlich verhält es sich mit einigen Schwimm- oder Wasserkäferarten, wie etwa dem Großen Kolbenwasserkäfer (Hydrophilus piceus). Diese können über weite Strecken fliegen, um neue Gewässer zu besiedeln, wirken aber auf kurzer Distanz sehr ungeschickt und nur wenig wendig. Ebenso zu den guten Fliegern zählen die Marienkäfer, die etwa 75 bis 91 Flügelschläge pro Sekunde erreichen. Nicht bei allen Käfern sind die Hinterflügel ausgebildet. Den meisten Großlaufkäfern der Gattung Carabus fehlen beispielsweise ausgebildete Hinterflügel, ihre Deckflügel sind an der Flügeldeckennaht verwachsen.
Beim Starten werden zuerst die Deckflügel, die während des Fluges keine Funktion haben, aufgeklappt und die häutigen Hinterflügel entfaltet, die bis dahin zusammengefaltet an den Hinterleib gelegt waren. Einzige Ausnahme bilden die Rosenkäfer (Cetoniinae), bei denen die Elytren beim Fliegen geschlossen bleiben und die Flügel über eine seitliche Aussparung an den Elytren aus- und eingefaltet werden können. Nach dem Flug werden die Hinterflügel, meist unter Zuhilfenahme der Hinterbeine, wieder gefaltet und unter die Deckflügel geschoben. Dieser Vorgang kann mehrere Sekunden dauern.
Neben dem Kurzstreckenflug, der meist zur Nahrungs- oder Partnersuche unternommen wird, gibt es auch zahlreiche Käfer, die sehr lange Distanzen überwinden können. Dabei nehmen sie nicht selten den Wind zu Hilfe oder sind von diesem so abhängig, dass sie nur geringe Kurskorrekturen vornehmen können. Käfer unternehmen solche Flüge entweder, um geeignete Überwinterungsplätze aufzusuchen, wie es beispielsweise einige Marienkäfer tun, oder sie fliegen, da in dem bisher bewohnten Gebiet die Nahrung knapp ist, oder um in neue Lebensräume zu expandieren. In den ersten beiden Fällen kommt es vor, dass sich die Tiere zu riesigen Schwärmen versammeln. Es wurden schon Marienkäferschwärme aus vielen Millionen Tieren beobachtet. Sie orientieren sich einerseits optisch und andererseits auch an klimatischen Faktoren, um ihr Ziel zu erreichen. Ein klassisches Beispiel für eine Art, die oft auf der Suche nach neuen Lebensräumen ist, ist der Gelbrandkäfer (Dytiscus marginalis). Diese Art verlässt ihre Feuchtbiotope nicht nur, wenn das Wasser knapp wird, sondern auch unter guten Bedingungen. Sie fliegen dabei nachts und orientieren sich optisch. Durch Glas reflektiertes Mondlicht, wie beispielsweise an Gewächshäusern, kann die Tiere täuschen und zu einer Landung im vermeintlichen Nass verleiten.
Besondere Eigenschaften
Manche Käferarten können durch das Aneinanderreiben von Körperteilen Geräusche erzeugen. Neben zahlreichen Bockkäfern (Cerambycidae) können die verschiedenen Hähnchen der Blattkäfer (Chrysomelidae), wie etwa das Lilienhähnchen (Lilioceris lilii), durch das Aneinanderreiben des Hinterrandes der Flügeldecken (Elytren) mit dem Hinterleib zirpende Geräusche erzeugen. Mistkäfer der Gattung Geotrupes erzeugen Geräusche, indem sie den Hinterleib gegen die Deckflügel reiben. Es gibt aber noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, Geräusche zu erzeugen, wie etwa Reibung zwischen Scheitel und Halsschild, zwischen Kehle und Prothorax, zwischen Prothorax und Mesothorax und zwischen den Beinen und dem Hinterleib beziehungsweise den Deckflügeln. Neben der Geräuscherzeugung durch Aneinanderreiben, die in erster Linie verwendet wird, um Fressfeinde abzuschrecken, können Gescheckte Nagekäfer (Xestobium rufovillosum) ihre Geschlechtspartner in Gangsystemen im Holz durch bestimmte Lockrufe orten. Dazu schlagen die Käfer mit Kopf und Halsschild sehr schnell auf das Holz. Einige Käferarten aus zwei Unterfamilien (Sandlaufkäfer und Riesenkäfer) haben trommelfellartige Tympanalorgane entwickelt, um die Ultraschall-Ortungslaute von Fledermäusen, die sie jagen, zu hören.
Manche Käfer besitzen die Fähigkeit der Lichterzeugung (Biolumineszenz), darunter die Leuchtkäfer (Lampyridae). Jede Art erzeugt spezifische Lichtsignale, wobei meist die Männchen leuchtend umherfliegen oder aber die flugunfähigen Weibchen leuchtend auf sich aufmerksam machen. Auf der Unterseite des Hinterleibes der Tiere sind dazu Leuchtorgane ausgebildet, die sich ursprünglich aus Fettkörpern entwickelten. Sie bestehen aus einer Schicht heller, Licht erzeugender Zellen und aus einer dunklen, weiter innen liegenden Schicht, die als Reflektor dient. Das Leuchten entsteht durch das Umsetzen von Luciferin mit ATP und Sauerstoff durch das Enzym Luciferase. Die dabei freiwerdende Energie wird mit einem Wirkungsgrad von bis zu 95 Prozent in Form von Licht und nur zu dem geringen verbleibenden Teil als Wärme abgegeben. Schon die Larven oder sogar die Eier mancher Arten können auf diese Art leuchten.
Fortpflanzung und Entwicklung
Die Käfer werden zu den holometabolen Insekten gezählt, da sie sich während ihrer Entwicklung vollständig verändern. In der Metamorphose verwandelt sich die Larve, die aus dem Ei geschlüpft ist, nach der Verpuppung zur Imago, dem ausgewachsenen Käfer, der im Erscheinungsbild und im anatomischen Aufbau ganz anders als die Larve ist. Die Larven durchleben in ihrem Wachstum verschiedene Larvenstadien, in denen sie sich häuten, da sie an Körpermasse zunehmen. Sie verändern sich aber nur in ihrer Größe, nicht in ihrer Gestalt. Sind sie ausgewachsen, verpuppen sie sich in einer freien Puppe (Pupa libera), bei der sämtliche Extremitäten, wie Fühler, Beine oder Flügel abstehen und auch als solche an der Puppe erkennbar sind. Nur sehr wenige Käferarten, wie beispielsweise die Marienkäfer, verpuppen sich in einer bedeckten Puppe (Pupa obtecta). Im Puppenstadium werden sämtliche Organe und der gesamte Körper der Larve zum Käfer umgebaut. Die Puppe ist meist praktisch unbeweglich, nur manche können sich etwas bewegen. Nach der Puppenruhe kann der fertige Käfer schlüpfen und der Kreislauf des Käferlebens von neuem beginnen.
Die Anzahl der Generationen pro Jahr ist sehr unterschiedlich. In Europa benötigen die meisten Käferarten ein Jahr, um den gesamten Lebenszyklus zu durchleben. Es gibt aber sowohl Arten, die in einem Jahr mehrere Generationen hervorbringen, als auch solche, bei denen eine Generation mehrere Jahre für ihre Entwicklung benötigt.
Partnerwahl, Balzverhalten und Kämpfe
Der Geruchssinn ist, wie bei vielen anderen Insekten, nicht nur sehr wichtig, sondern je nach Art zum Teil auch sehr gut ausgeprägt. Auffallend ist dies bei den Männchen einiger Arten durch besonders große und gekämmte Fühler zum Auffinden der von den Weibchen ausgesendeten Pheromone. Dennoch gibt es zahlreiche Arten, die das Auffinden eines Partners dem Zufall überlassen. Deswegen suchen solche Arten Plätze auf, an denen das Antreffen von Artgenossen wahrscheinlich ist, so etwa gelbe Blüten bei bestimmten Prachtkäfern (Buprestidae).
Im Allgemeinen können Käfer nicht gut sehen und auch aus nächster Nähe funktioniert das Erkennen des Partners nicht gut. Deswegen kommt es bei den Arten, die nicht nach Geruch suchen, oft zu Fehlpaarungen, da andere, ebenfalls etwa auf gelben Blüten sitzende Käfer mit der eigenen Art verwechselt werden. Männchen kämpfen meist nicht direkt um Weibchen, sondern um Balzplätze. Dies sind entweder geeignete Eiablageplätze, wie Kiefernstümpfe beim Zimmermannsbock (Acanthocinus aedilis), oder aber Plätze, an denen die Käfer sich häufig treffen, wie etwa auf gelben Blüten, wie oben beschrieben. Das wohl bekannteste Beispiel für Rivalenkämpfe liefern in Europa die Hirschkäfer (Lucanus cervus): Die Männchen werden durch Pheromone der Weibchen angelockt. Treffen zwei Männchen gleichzeitig auf ein Weibchen, versuchen sie den Gegner mit ihren stark vergrößerten Mandibeln, die ausschließlich dem Kampf dienen, umzuwerfen oder vom Ast zu stoßen. Nach dem Kampf kann sich der Sieger mit dem Weibchen paaren.
Paarung
Die Paarung (Kopula) der Käfer dauert unterschiedlich lange: von wenigen Sekunden, wie bei Hoplia coerulea, bis hin zu mehreren Stunden (bis zu 18), wie bei Marienkäfern (Coccinellidae). Dabei sind die Paare entweder nur sehr locker verbunden und trennen sich leicht bei einer Störung, oder sie krallen sich sehr fest aneinander und können ohne das Verletzen der Tiere nicht getrennt werden. Beim Geschlechtsakt drückt das Männchen mit dem Penis die Sternite am Hinterleib des Weibchens auseinander, unter denen sich die Geschlechtsöffnung befindet. Danach dringt das Männchen ein und es werden die Samen durch Spermatophoren übertragen. Nach der Paarung löst sich das Männchen entweder mit den Hinterbeinen oder durch seitliches Abrollen vom Weibchen. Zwar genügt eine Paarung, um das Weibchen dauerhaft zu befruchten, doch werden bei manchen Arten, wie etwa vielen Marienkäfern, bis zu 20 weitere Paarungen vollzogen (Promiskuität). Dadurch, dass diese Käfer dann viele verschiedene Geschlechtspartner haben, ist die Gefahr der Übertragung von Geschlechtskrankheiten, die zur Unfruchtbarkeit führen, groß. Bei den meisten Arten werden die Spermien vom Weibchen in einer Spermatheca (Receptaculum seminis) aufbewahrt. Die Eier müssen nicht gleich mit dem Sperma befruchtet werden. Dieses kann, wie auch bei einigen anderen Insekten, lange Zeit im Samenbehälter aufgehoben werden, bevor es eingesetzt wird. Sind die Eier einmal befruchtet, legt sie das Weibchen ab. Bei den Schwarzen Kugelmarienkäfern (Stethorus punctillum) beispielsweise fehlt die Spermatheca allerdings, weswegen über die gesamte fruchtbare Zeit neue Partner zur weiteren Befruchtung notwendig sind.
Nur eine Art der Käfer, Micromalthus debilis aus der Familie der Micromalthidae, kann sich auch ungeschlechtlich (pädogen) fortpflanzen.
Ei, Eiablage und Brutfürsorge
Die Eier der Käfer sind im Vergleich zur Größe der ausgewachsenen Tiere eher klein. Einzeln sind sie sehr schwer zu entdecken; da sie aber meistens in Gruppen beziehungsweise in Spiegeln nebeneinanderliegend abgelegt werden und zum Teil auffallend gefärbt sind, fallen solche Gelege schon eher auf. Die Gestalt der Eier ist sehr vielseitig, es gibt runde, ovale, walzen-, wurst-, spindel- und kegelförmige Eier. Sie sind meist weiß oder hell gefärbt, es gibt aber auch zahlreiche andere Farben; so sind die Eier der meisten Marienkäferarten (Coccinellidae) gelb bis orange gefärbt. Gelegt werden je nach Art einige wenige bis zu weit über tausend Eier, wobei diese einzeln oder in unterschiedlich großen Gelegen gelegt werden.
Die Brutfürsorge ist bei den verschiedenen Käferfamilien äußerst unterschiedlich. Meistens endet die Brutfürsorge damit, dass die Eier dort platziert werden, wo die daraus schlüpfenden Larven Futter vorfinden. Entweder werden sie auf den entsprechenden Futterpflanzen abgelegt oder in der Nähe zur Larvennahrung platziert, etwa Marienkäfereier an Blattlauskolonien. Im einfachsten Fall ernähren sich Käfer und Larven ohnehin gleich und die Weibchen müssen nicht nach geeigneten Futterquellen für ihre Larven suchen. In der nächst schwierigeren Ebene, in der sich die beiden Stadien unterschiedlich ernähren, müssen die Weibchen gezielt zum Beispiel Holz bestimmter Futterbäume aussuchen, obwohl sie sich selber vielleicht von Pollen ernähren. Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, dass die Weibchen ihre Eier verstecken, den Ablageplatz bearbeiten oder die Eier direkt mit Legebohrern in Pflanzen einstechen. Es kann etwa die Rinde angenagt werden, damit dann die Pflanze eine Galle bildet, von der sich die Larve ernährt, wie beim Kleinen Pappelbock (Saperda populnea). Andere Käfer, wie beispielsweise viele Blattroller (Attelabidae), schneiden Blätter zuerst an, um sie dann so zu falten, dass sich ihre Larven in diesen verwelkten Blattwickeln gut geschützt entwickeln können. Ähnlich gehen zahlreiche Arten der nahe verwandten Rüsselkäfer (Curculionidae) vor, die ihre Eier in Pflanzenteile und Früchte einstechen, in denen sich dann ihre Larven entwickeln. Es gibt auch Käfer, die andere Arten die Brutfürsorge erledigen lassen: Der Kuckucksrüssler (Lasiorhynchites sericeus) wartet, bis ein Eichenblattroller (Attelabus nitens) sein Blatt fertig gerollt hat und sticht dann sein Ei zusätzlich in die Blattrolle. Wasserkäfer (Hydrophilidae) bauen für ihre Eier kleine Schiffchen, die auf der Wasseroberfläche treiben, wobei diese sogar einen nach oben verlängerten „Schornstein“ haben, damit die Sauerstoffzufuhr auch dann gewährleistet ist, wenn die Kapsel unter Wasser gerät.
Die Eiablage wird komplexer, wenn dazu Bauten angelegt werden. Zahlreiche Käfer, besonders Mistkäfer (Geotrupidae), bauen entweder direkt unter ihrer Nahrung (Kothaufen) im Erdreich ein unterschiedlich komplexes Gangsystem, in das sie dann Nahrung einbringen, wobei in jede Kammer ein Ei neben das Futter gelegt wird. Andere, wie etwa der Heilige Pillendreher (Scarabaeus sacer), rollen eine Kotkugel meterweit, bevor sie sie an geeigneter Stelle vergraben. Es gibt auch Käfer, die pflanzliches Material oder Algen in ihre Brutkammern schaffen. Besonders spektakulär gehen die Totengräber (Nicrophorus spec.) vor. Sie graben ganze Kadaver von kleinen Vögeln oder Mäusen ein. Zusätzlich erbricht das Weibchen Darmsekret auf den Kadaver, damit sich dieser beginnt aufzulösen, und sie füttert ihre Larven sogar unmittelbar nach dem Schlupf. Bis zur Verpuppung wacht das Weibchen in der Brutkammer, verteidigt die Brut gegen Feinde und bessert Beschädigungen aus. Dieses Verhalten wird nicht mehr Brutfürsorge, sondern Brutpflege genannt, da die Käfer aktiv auch nach der Eiablage für ihre Larven sorgen.
Die einfachste Form der Brutpflege ist das Umhertragen der Eier. Die Weibchen der Art Helochares lividus, ein Vertreter der Wasserkäfer, tragen ihre Eier in einer Gespinsttasche unter dem Hinterleib, bis die Larven schlüpfen. Andere Käfer, wie die Linierten Holzbohrkäfer (Xyloterus lineatus), pflegen nicht ihre Brut, sondern indirekt deren Nahrung. Sie bohren ein Gangsystem in Holz, in das sie die Eier legen und züchten in diesen einen Ambrosiapilz, dessen Sporen sie in ihrem Magen umhertragen. Von diesen Pilzen ernähren sich die Larven. Die Eltern sorgen für die richtige Luftfeuchtigkeit und sortieren auch Bakterienherde und andere Schimmelpilze aus. Bemerkenswert ist der Aufwand an Pflege, den die Zuckerkäfer (Passalidae) betreiben. Diese Käfer leben staatenbildend und betreiben gemeinsame Brutpflege. Neben dem Füttern helfen sie ihren Larven auch beim Bau ihrer Puppenhüllen. Interessant leben auch die myrmekophilen Käferarten, deren Larven in Ameisenbauten aufwachsen. Unter ihnen gibt es solche, die nur durch einen von den Weibchen gebauten Kotpanzer überleben können, der sie vor den Ameisen schützt, andere, wie etwa der Große Büschelkäfer (Lomechusa strumosa), können aus Borstenbüscheln (Trichomen) ein spezielles Sekret (Exsudat) absondern, das die Ameisen fressen. Dieses Sekret ist aber keine Nahrung, sondern so etwas wie ein Genussmittel. Als Gegenleistung werden die Larven von den Ameisen gefüttert, wobei sie aber auch Ameisenbrut fressen.
Merkmale und Lebensweise der Larve
Die meisten Käferarten verbringen den Hauptteil ihres Lebens im Larvenstadium. Die Larven benötigen für ihre Entwicklung oft mehrere Jahre, die Imagines leben aber nur kurz und sterben schon bald nach der Paarung und Eiablage. Das Larvenstadium ist das einzige, in welchem der Käfer wächst, deswegen entscheiden die von den Larven vorgefundenen Bedingungen über die spätere Größe der adulten Käfer.
Die Larven unterscheiden sich in Bau und Lebensweise erheblich von den adulten Tieren. Genauso wie es auch die Imagines tun, leben die Larven in den unterschiedlichsten Lebensräumen und haben ein dementsprechend vielseitiges Aussehen und Verhalten, das jeweils als Anpassung an die Lebensart verstanden werden kann. Die meisten Larven haben einen langgestreckten und schlanken Körper und sind hell gefärbt. Sie haben wenig gegliederte Fühler und nur einfache Punktaugen (Ocelli). Sie haben entweder drei Beinpaare oder zu Stummeln verkümmerte oder überhaupt keine Beine. Ihr Körper ist nackt bis stark behaart. Das Nervensystem der Larven ist, anders als bei den Imagines, ein typisches Strickleiternervensystem.
Die Lebensweise der Larven ist oft ähnlich der der ausgewachsenen Tiere, so sind etwa bei den räuberisch lebenden Laufkäfern (Carabidae) die Larven ebenfalls räuberisch und haben dementsprechend gut ausgebildete Beine und Augen. Bei Pflanzenfressern wie etwa den Blattkäfern (Chrysomelidae) leben die Larven ebenfalls vegetarisch an Blättern und sind in der Gestalt Schmetterlingsraupen ähnlich. Es gibt aber auch Käfer, bei denen die Larven gefräßige Räuber, die Imagines hingegen harmlose Pflanzenfresser sind, zum Beispiel die Wasserkäfer (Hydrophilidae): Die Larven dieser Käfer leben unter Wasser und ernähren sich räuberisch, die erwachsenen Käfer sind nur teilweise Wassertiere. Larven, die sich von Holz ernähren und immer in ihren Fraßgängen leben, wie etwa die der Bockkäfer (Cerambycidae) oder der Prachtkäfer (Buprestidae), haben die Beine zurückgebildet, denn ihre Körperwülste sind für die Fortbewegung in den Gängen besser geeignet. Die Sklerotisierung des Körpers ist reduziert, da sie ja in ihren Fraßgängen geschützt sind, nur die Kiefer sind stark sklerotisiert, damit sie hartes Holz zerkleinern können. Einige Käfer, wie beispielsweise Ölkäfer (Meloidae) oder Werftkäfer (Lymexylidae), haben verschiedene Larventypen, die sich in Aussehen und Lebensweise voneinander unterscheiden (Hypermetamorphose).
Die Dauer der Larvalentwicklung ist stark von der Lebensweise abhängig. Stark von Feinden bedrohte Arten und solche, die auf Futter angewiesen sind, das nur kurzzeitig vorhanden ist, wie beispielsweise Aas, müssen sich rasch entwickeln. Larven, die beispielsweise geschützt in Holz leben und ausreichend Nahrung zur Verfügung haben, können sich mitunter sehr langsam entwickeln. Auch hängt die Dauer von der Qualität des Futters und von den Umweltbedingungen, wie etwa Temperaturen, ab. Der Hausbock (Hylotrupes bajulus) benötigt beispielsweise bei sehr altem und nährstoffarmem Holz bis zu 15 Jahre für seine Entwicklung.
Da die Außenhaut der Larven nicht wächst, müssen sie sich von Zeit zu Zeit häuten, um wachsen zu können. Die alte Haut platzt dann auf und die Larve kann mit ihrer neuen, dehnungsfähigen und größeren Haut, die sich bereits unter der alten gebildet hat, herauskriechen.
In nebenstehendem Bild sind die Larven der wichtigsten Käferfamilien abgebildet.
Obere Reihe: (4) Kurzflügler, (1) Sandlaufkäfer, (6) Glanzkäfer
2. Reihe: (5) Aaskäfer, (2) Laufkäfer, (7) Speckkäfer
3. Reihe: (8) Blatthornkäfer, der Engerling, (3) Schwimmkäfer, (9) Prachtkäfer
4. Reihe: (10) Schnellkäfer, (Drahtwurm), (11) Weichkäfer, (12) Buntkäfer
5. Reihe: (14) Schwarzkäfer (Mehlwurm), (13) Diebskäfer, (15) Rüsselkäfer, (16) Bohrkäfer
Letzte Reihe: (17) Bockkäfer, (18) Blattkäfer, (20) Schildkäfer, (21) Marienkäfer, (19) ebenfalls Blattkäfer
Puppe und Schlupf
Um die Metamorphose von der Larve zur Imago zu vollführen, verpuppen sich die Tiere. Die Verpuppung erfolgt entweder im Larvallebensraum, beispielsweise bei den Bockkäfern im Holz, oder die Larven suchen geeignete Plätze zur Verpuppung außerhalb ihrer gewohnten Umgebung auf. Nahezu alle im Wasser lebenden Käferlarven verlassen beispielsweise die Gewässer, um sich an Land zu verpuppen. Am geeigneten Ort wird eine Puppenhülle aus Sand-, Erd-, Holz- oder Pflanzenteilen hergestellt. Innerhalb dieser Hülle verwandelt sich die Puppe durch die komplette Auflösung (Histolyse) ihres Körperinneren und den darauffolgenden Neuaufbau des fertigen Käfers. Überwiegend handelt es sich bei den Käfern um freie Puppen (Pupa libera), das heißt, dass die Körperanhänge wie Fühler-, Bein- und Flügelscheiden zu erkennen und nicht mit dem Körper verklebt sind, wie bei der Pupa obtecta. Beim Schlupf platzt die Puppenhülle auf, und der ausgewachsene Käfer kommt zum Vorschein. Nach dem Schlüpfen sind die Käfer noch weich und haben eine helle Körperfarbe. Erst nach einiger Zeit härtet der Panzer aus, und die Tiere erhalten ihre endgültige Färbung.
Überwinterung
Die Käfer, die mit Jahreszeiten zu leben haben, überwintern in der Regel im Puppenstadium und schlüpfen erst im Frühling. Es gibt aber auch Arten, die als Imagines überwintern. Zahlreiche Marienkäfer gehören beispielsweise zu diesen und bilden dafür meist Aggregationen, die nicht selten Millionen von Individuen umfassen können. Wasserkäfer haben eine Art Frostschutzmittel in der Körperflüssigkeit, die dem Ethylenglycol ähnelt. Dadurch können manche Arten bis zu neun Monate im Eis eingefroren überleben. Vor ihrem Schlaf sammeln sie Fett, Lipoide und Glykogen in ihrem Körper an, um davon während des Ruhens zu zehren.
Natürliche Feinde
Man kann die Feinde der Käfer in drei Gruppen einteilen. Als Erreger von Krankheiten sind bei Käfern Viren, Bakterien, Einzeller und Pilze bekannt. Die Krankheitsbilder können sehr verschieden sein und sind nur wenig erforscht. Teilweise werden die Krankheitserreger bereits zur biologischen Bekämpfung gewisser Arten eingesetzt. Zweitens werden alle Entwicklungsstadien, also Ei, Larve, Puppe und Imago, von zahlreichen Parasiten oder Parasitoiden befallen. Diese gehören hauptsächlich zu den Hautflüglern und unter diesen wiederum vor allem zu den Schlupfwespen. Häufig sind ebenfalls Raupenfliegen und Milben.
Zur dritten Gruppe gehören die Fressfeinde, zu denen insbesondere die Vögel gehören. Fast alle europäischen Vogelarten fressen zumindest gelegentlich Käfer. Weiterhin sind insektenfressende Säugetiere wie Maulwürfe, Igel, Spitzmäuse und für nachts fliegende Käfer auch die Fledermäuse zu nennen. Aber auch viele Reptilien, Amphibien und Fische fressen adulte Käfer oder Larven. Unter den Gliedertieren sind vor allem die Spinnen als Fressfeinde zu nennen, daneben auch zahlreiche räuberische Insekten, nicht zuletzt viele Käferarten selbst.
Tarnung und Verteidigung
Da Käfer und insbesondere ihre Larven in der Nahrungskette sehr weit unten stehen, haben sie im Laufe ihrer Entwicklung Methoden erfinden müssen, sich vor Angriffen ihrer Fressfeinde zu schützen. Je effektiver diese Methoden sind und je mehr Nachkommen überleben und ihrerseits wieder Nachkommen zeugen, desto geringer ist der Bedarf an vielen Nachkommen. Arten, die von Fressfeinden gemieden werden oder nur schwer entdeckt werden, legen deswegen in der Regel auch weniger Eier als solche, die einzig und allein auf ihre große Anzahl bauen können.
Der einfachste Schutz beginnt bei den passiven Fähigkeiten. Dazu gehört die Färbung. Viele Blattkäfer (Chrysomelidae) zum Beispiel haben eine grüne Färbung und sind in ihrem Lebensraum, dem Blattwerk, nur schwer zu entdecken. Andere Käfer sind sehr auffällig gefärbt und warnen potentielle Feinde durch Warnfarben vor ihrer Giftigkeit, wie etwa Marienkäfer (Coccinellidae), die giftige Alkaloide enthalten, oder aber sie imitieren giftige oder gefährliche Tiere (Mimikry), wie es etwa die Wespenböcke (Plagionotus) aus der Familie der Bockkäfer (Cerambycidae) machen, obwohl sie eigentlich harmlos sind. Neben diesen einfachen passiven Methoden haben manche Käferarten auch solche entwickelt, die einen darüber hinausgehenden Schutz gewährleisten. Manche Arten, insbesondere deren Larven, schützen sich, indem sie ihren Körper mit Kot, Staub und Erde bedecken, wie beispielsweise die Larven der Schildkäfer (Cassidinae), was so weit geht, dass zum Beispiel die Larven des Großen Büschelkäfers (Lomechusa strumosa), die in Ameisenbauten leben, ihre gesamte Entwicklung in einem Kotpanzer verbringen, in den sie sich zurückziehen können und aus dem sonst nur der Kopf hinaussieht. Die aktive Verteidigung beginnt mit dem Totstellen (Thanatose), wobei oft gleichzeitig durch das Reflexbluten ein Tropfen Hämolymphe ausgeschieden wird, der toxisch ist oder unangenehm riecht. Dadurch können beispielsweise Marienkäfer denjenigen Feinden entgehen, die sich von vermeintlich verwesenden Käfern abschrecken lassen. Schnellkäfer (Elateridae) besitzen einen Schnellmechanismus, der es ihnen ermöglicht, wie eine gespannte Feder loszuschnellen, womit sie Angreifer erschrecken können. Dieser Mechanismus hilft ihnen aber auch dabei, wieder auf die Beine zu kommen, sollten sie auf dem Rücken gelandet sein. Eine weitere Methode der Abwehr ist es, neben Zwicken und Beißen mit den Mandibeln, Verdauungssäfte zu spritzen. Viele Laufkäfer (Carabidae) bedienen sich dieser Methode. Zusätzlich können sie auch übel riechende Substanzen aussondern.
Die aggressivste Methode der Selbstverteidigung haben die Bombardierkäfer (Brachininae) entwickelt. Sie können reizende und übel riechende Gase mit enormem Druck aus zwei Röhren in ihrem Hinterleib Angreifern gezielt ins Gesicht stoßen. Die Käfer stellen den Sprengstoff durch das Mischen zweier sehr reaktiver Chemikalien (Hydrochinon und Wasserstoffperoxid) her. Bei einem Angriff fügen sie dem Gemenge in einer Explosionskammer die Enzyme Katalase und Peroxidase hinzu, um die Reaktion zu beschleunigen. Diese Katalysatoren setzen das Hydrochinon zu Chinon und das Wasserstoffperoxid zu Wasser und Sauerstoff um. Dabei kommt es zu einer heftigen chemischen Reaktion, bei der sowohl Wärme wie auch ein hoher Druck entsteht und ein ätzendes, etwa 100 °C heißes Gasgemisch mit einem Knall aus dem Hinterteil der Insekten auf den Angreifer schießt.
Verbreitung und Lebensräume
Dass Käfer in einer ungeheuren Vielfalt auftreten, ist bereits ein Indiz dafür, dass sie sich an praktisch alle Lebensräume der Erde angepasst haben. Es gibt, abgesehen vom ewigen Eis der Antarktis, kein Gebiet, das sie nicht besiedelt haben, und mit Ausnahme der Ozeane keinen Lebensraum, der nicht von Käfern bewohnt wird. Zwar ist sämtliches Süßwasser von einer Vielzahl von Käferarten bewohnt, aber abgesehen von salzliebenden (halobionten) Käferarten, die Brackwasser, salzige Gegenden im Binnenland und die Meeresküsten besiedeln, gibt es im reinen Salzwasser keine Käfer. Nach ihrer Standortvorliebe werden Bodenkäfer charakterisiert.
Manche Käfer bewohnen auch die Nester und Bauten anderer Tiere. Neben den Arten, die in Nestern Überreste fressen, wie zum Beispiel einige Arten der Speckkäfer (Dermestidae), gibt es Käfer, die sich speziell an das Leben mit anderen Tieren angepasst haben. Dazu zählen insbesondere die myrmekophilen Arten wie die der Gattung Clytra aus der Familie Blattkäfer (Chrysomelidae), deren Larven in Ameisennestern leben. Einige wenige Arten leben ektoparasitisch, zum Beispiel Leptinus testaceus auf Mäusen und der „Biberfloh“ Platypsyllus castoris auf Bibern. Die Larven einiger Arten sind Parasitoide. Bei der Gattung Aleochara (Staphylinidae) entwickeln sie sich zum Beispiel in Puparien von Zweiflüglern der Gattung Cyclorrapha als Ektoparasitoide (innerhalb der Puparienhülle, aber außerhalb der Dipterenlarve).
Systematik
Externe Systematik
Innerhalb der Unterklasse Fluginsekten (Pterygota) sind die Käfer Bestandteil der Überordnung der Neuflügler (Neoptera). Von diesen spalten sich über die Eumetabola die holometabolen Insekten ab. Die holometabolen Insekten, auch Endopterygota genannt, teilen sich in der folgenden Ebene in die Gruppe der Netzflüglerartigen (Neuropterida) und Coleopteroida einerseits und in die Hautflügler (Hymenoptera) und Mecopteroida andererseits auf. Die Coleopteroida teilen sich weiter in Käfer (Coleoptera) und in Fächerflügler (Strepsiptera) auf, die mit den Käfern somit am nächsten verwandt sind. Ihre nächsten Verwandten sind die Kamelhalsfliegen (Raphidioptera), Großflügler (Megaloptera) und Netzflügler (Neuroptera) in der Gruppe der Netzflüglerartigen. Die Stellung der Strepsiptera im System ist sehr umstritten, für ein Schwesterngruppenverhältnis zu den Coleoptera gibt es sowohl Gegner als auch Befürworter unter den Taxonomen.
Daraus leitet sich folgendes Kladogramm ab:
Interne Systematik
Die Anzahl der Familien schwankt je nach Autor beträchtlich und die klassische Systematik der Käfer wird deshalb sehr uneinheitlich dargestellt.
Mit über 350.000 Arten in 179 Familien stellen sie die größte Ordnung aus der Klasse der Insekten dar und werden in vier Unterordnungen eingeteilt. Untersuchungen auf Basis von DNA-Sequenzierungen haben die Abgrenzung der Unterordnungen bestätigt. Im Folgenden sind nur die Unterordnungen aufgeführt, eine ausführlichere Darstellung bis zur Familienebene findet sich im Artikel Systematik der Käfer.
Unterordnung Archostemata
Unterordnung Myxophaga
Unterordnung Adephaga
Unterordnung Polyphaga
Zur Gruppe der Archostemata werden fünf Familien gerechnet, die etwa 50 vorwiegend in tropischen und subtropischen Regionen vorkommende Arten enthalten. Sie stehen in einem Schwestergruppenverhältnis zu den anderen drei Unterordnungen und stellen eine sehr alte Linie der Käfer mit primitiven Besonderheiten dar, die in ihrer Morphologie den ersten Käfern, die vor ca. 250 Millionen Jahren erstmals auftraten, sehr ähnelt. Sie haben nur fünf Hinterleibssternite und ihnen fehlen auch die cervicalen Sklerite zwischen Kopf und Prothorax und die äußeren Pleuren (seitliche Chitinplatten) des Prothorax. Die Hüften (Coxa) ihrer Hinterbeine sind beweglich und die Schenkelringe (Trochanter) sind normalerweise gut sichtbar. Ihre Flügel falten sie aber ebenso wie die Arten der Myxophaga und Adephaga. Sie unterscheiden sich von den Myxophaga auch dadurch, dass die Tarsen mit den Prätarsen nicht verwachsen sind.
Die Käfer der Unterordnung Myxophaga (94 Arten) leben unter Wasser und haben alle gemeinsam, dass ihre Tarsen und Prätarsen miteinander verwachsen sind. Die dreigliedrigen Fühler der Larven, deren fünfsegmentige Beine, an deren letzten Tarsengliedern sich nur eine Kralle befindet, und das Zusammenwachsen von Trochantin, Pleuren und den abdominalen Ventriten der Imagines würden auf ein Schwestergruppenverhältnis zwischen den Myxophaga und den Polyphaga deuten. Die Flügeladerung und die Faltung der Flügel sprechen andererseits aber für ein Schwestergruppenverhältnis zwischen Myxophaga und Adephaga.
Die Adephaga beinhalten als zweitgrößte Unterordnung mit 14 Familien bereits eine große Vielfalt von Arten (ca. 37.000). Diese Gruppe ist ebenfalls sehr alt und kann bis in die frühe Trias vor ungefähr 240 Millionen Jahren zurückdatiert werden. Dabei handelt es sich um zum Teil stark spezialisierte Arten. Von ihnen gibt es fossile Funde sowohl von an Land als auch von im Wasser lebenden Arten. Die Larven der Adephaga sind auf die Aufnahme von flüssiger Nahrung angepasst, sie haben ein verwachsenes Labrum und keine Schneideflächen (Molae) auf den Mandibeln. Bei den Imagines sind die Pleuren (seitlichen Chitinplatten) des Thorax mit der oberen Seite des Pronotums nicht verwachsen und bilden deswegen eine Naht. Die Tiere haben auch sechs Sterna am Hinterleib, von denen die ersten drei miteinander verwachsen sind und durch die Coxae der Hinterbeine geteilt werden. Viele Arten weisen Verteidigungsdrüsen am Hinterleib auf. Man nahm an, dass die Adephaga im Schwestergruppenverhältnis zu den Myxophaga und Polyphaga stehen, neueste Erkenntnisse lassen aber darauf schließen, dass die Adephaga näher mit den Polyphaga verwandt sind.
Zur Unterordnung der Polyphaga gehören über 90 Prozent der Käferarten (mehr als 300.000 Arten). Bei den Imagines ist die Trennung der Pleura des Prothorax und der oberen Seite des Pronotums nicht zu erkennen, die Pleura ist aber mit dem Trochantin verwachsen. Daraus ergibt sich, dass eine Naht zwischen Notum und Sternum am Prothorax erkennbar ist; die anderen Unterordnungen haben zwei sichtbare Nähte zwischen Sternum und Pleurum bzw. zwischen Notum und Pleurum. Die cervicalen Sklerite zwischen Kopf und Prothorax sind vorhanden, die Coxae der Hinterbeine sind beweglich und teilen nicht das erste Ventrit, und die Flügelfaltung unterscheidet sich von der der anderen drei Unterordnungen. Bei den drei anderen Unterordnungen bilden sich durch Queradern Zellen zwischen Radialader und Cubitalader, zwischen denen die Medianader verläuft und sich aufspaltet. Bei den Polyphaga gibt es keine Zellbildung und maximal eine Querader zwischen Radius und der Mediane.
Die Verwandtschaftsverhältnisse der vier Unterordnungen lassen sich in folgendem Kladogramm veranschaulichen:
Artenzahlen
Käfer sind die artenreichste Ordnung der Insekten, der (mit möglicher Ausnahme der Prokaryoten) artenreichsten Organismengruppe überhaupt. Die Zahl der beschriebenen Käferarten wird (je nach Quelle) recht übereinstimmend mit 350.000 bis 400.000 angegeben. Damit sind 20 % bis 25 % aller überhaupt bekannten biologischen Arten Käfer. Das vielleicht häufigste Zitat zur Artenvielfalt wird dem britischen Biologen J. B. S. Haldane zugeschrieben (wobei das Zitat heute wahrscheinlich berühmter ist als er):
„Es gibt eine Geschichte, möglicherweise apokryph, des ausgezeichneten britischen Biologen J. B. S. Haldane, der sich in Gesellschaft einer Gruppe Theologen wiederfand. Auf die Frage, was man wohl über die Natur des Schöpfers aus der Untersuchung seiner Schöpfung schließen könne, soll er geantwortet haben: Eine unangemessene Vorliebe für Käfer.“
Die artenreichsten Käferfamilien sind: Rüsselkäfer (Curculionidae): 51.000 Arten (Überfamilie Curculionidea 62.000 Arten), Kurzflügelkäfer (Staphylinidae): 48.000 Arten, Laufkäfer (Carabidae): 40.000 Arten, Blattkäfer (Chrysomelidae): 40.000 Arten, Bockkäfer (Cerambycidae): 20.000 Arten, Prachtkäfer (Buprestidae): 14.000 Arten. Artenreichste aquatische Gruppe sind die Schwimmkäfer (Dytiscidae) mit gut 4000 Arten. Aus Deutschland sind, nach der Roten Liste von 1997, 6.537 Käferarten bekannt.
Die tatsächliche Artenzahl der Käfer ist unbekannt und Gegenstand heftiger wissenschaftlicher Kontroversen. Sicher ist, dass die weitaus meisten Käferarten in den Tropen leben, wobei die Neotropis (Südamerika) offensichtlich besonders artenreich ist. Viele Wissenschaftler halten Artenzahlen von bis zu 5 Millionen für durchaus realistisch, andere schätzen die Gesamtzahl nicht höher als 850.000. In einer berühmten Arbeit des amerikanischen Biologen Terry L. Erwin hat dieser durch Hochrechnung der Artenzahl, die er auf einer tropischen Baumart in Panama genauer untersucht hat, auf 7,5 Millionen Käferarten (und 30 Millionen baumlebender tropischer Arthropoden überhaupt) geschlossen. Viele Fachkollegen halten diese Schätzung für überhöht, auch wenn Erwin sie nach Untersuchungen im amazonischen Regenwald verteidigt. Eine aktuelle Schätzung im Jahr 2015, die mehrere Methoden miteinander verbindet, kommt auf eine globale Artenzahl von ca. 1,5 Millionen Käferarten.
Jährlich werden ca. 2.300 Käferarten tatsächlich neu beschrieben, weit überwiegend aus tropischen Regenwäldern.
Für die besonders hohe Artenzahl der Käfer gibt es keine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Erklärung. Eine populäre Theorie erklärt sie als Ergebnis einer Koevolution mit den Blütenpflanzen, weil phytophage Gruppen in besonderer Weise zur Artenvielfalt beitragen. Der Zusammenhang wird aber vielfach bestritten. Sowohl den Fossilfunden nach als auch nach den Ergebnissen der DNA-Squenzierungen scheint die Aufspaltung (Radiation) der wesentlichen Käfergruppen vor derjenigen der Blütenpflanzen zu liegen.
Untersuchungen zur Artenzahl sind bereits bei den beschriebenen Arten mit vielen Schwierigkeiten behaftet. Eine unbekannte Anzahl beschriebener Arten (abgeschätzt vielleicht 20 %) sind in Wirklichkeit Synonyme, d. h. die Art wurde unter einem anderen Namen nochmals beschrieben. In einer abschätzenden Übersicht (nach taxonomischen Revisionen in Zoological Records) kommen Stork und Hine zu dem Ergebnis, dass 45 % der dort behandelten Arten nur von einer einzigen Stelle bekannt sind. Von 13 % ist überhaupt nur ein einziges Exemplar (in der Regel das Typusexemplar) bekannt.
Mensch und Käfer
Innerhalb der Entomologie (Insektenkunde) wird die Lehre von den Käfern als Koleopterologie bezeichnet. Der weit überwiegende Teil der Käfer bleibt von Menschen mit Ausnahme der Koleopterologen unbeachtet. Nur wenige, durch ihre Größe oder Färbung auffällige Arten, wie zum Beispiel Maikäfer oder Marienkäfer, sind einer größeren Allgemeinheit bekannt. Die unauffälligeren Arten treten nur dann in das Licht der Öffentlichkeit, wenn sie im Leben der Menschen eine besondere Rolle spielen. Am häufigsten ist dies der Fall, wenn sie als Schädlinge, Lästlinge oder aber auch als Nützlinge auftreten.
Im Gegensatz zu anderen Insektengruppen spielen die Käfer als Parasiten des Menschen keine Rolle.
Schädlinge
In der Landwirtschaft bieten die Lagerung bestimmter Nahrungsmittel oder in Monokulturen angebaute Nutzpflanzen gelegentlich gute Bedingungen für die Massenvermehrungen bestimmter Käferarten, so dass diese als Schädlinge betrachtet werden.
Insbesondere in Lagern finden einige Käferarten ausreichend Nahrung auf engstem Raum. Beispiele für Vorratsschädlinge vornehmlich in betrieblichen Vorratslagern sind Korn- und Reiskäfer, während die Larven des Mehlkäfers häufig auch in privaten Haushalten zu finden sind.
Als Agrarschädlinge sind unter anderem der Kartoffelkäfer, der Rapsglanzkäfer oder der Westliche Maiswurzelbohrer bekannt. Bei der Bekämpfung des Maiswurzelbohrers wurde in den letzten Jahren der Einsatz von transgenem Mais in den Medien kontrovers diskutiert.
Die aus Amerika stammenden Kartoffelkäfer und Maiswurzelbohrer sind gute Beispiele für Käferarten als Neozoen. Ihre biologische Invasion wurde durch die Einfuhr und den Anbau ihrer Futterpflanzen in Europa vorbereitet. Nachdem die Tiere folgten, fanden sie einen Lebensraum mit guten Nahrungsmöglichkeiten und ohne natürliche Feinde vor, was ihre Massenverbreitung erleichterte.
Ein Käfer, dessen Einwanderung noch verhindert werden soll, ist der Asiatische Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis). Der Käfer befällt zahlreiche Baumarten und bringt sie zum Absterben. Die ursprünglich aus Asien stammende Art hat sich in Teilen der Vereinigten Staaten bereits ausgebreitet und dort Schäden von etwa 150 Millionen US-Dollar angerichtet. Ähnliche Schäden werden auch in Europa befürchtet; deshalb wird der Käfer als Quarantäneschaderreger eingestuft. Sein Auftreten ist beim zuständigen Pflanzenschutzdienst meldepflichtig. Bei bisherigen Funden wurden in der Hoffnung, die Ausgangspopulationen ausrotten zu können, intensive Bekämpfungsmaßnahmen durchgeführt.
Der einheimische Hausbock (Hylotrupes bajulus) war früher ebenfalls in ganz Deutschland nach Bauordnungen meldepflichtig. Heute ist er dies nur noch in Sachsen und Thüringen. Die Larven des Käfers leben in verbautem Nadelholz, zum Beispiel in Dachstühlen. Wird der Befall zu spät erkannt, kann es zu Totalschäden kommen. Ebenfalls in totem Holz lebt der als Holzwurm bekannte Gemeine Nagekäfer (Anobium punctatum). Er kann als typischer Bewohner antiker Möbel betrachtet werden.
Zu den bedeutenden Schädlingen in lebendem Holz gehören die Borkenkäfer. In Deutschland am bekanntesten ist der Buchdrucker (Ips typographus), der insbesondere in forstlich angelegten Fichtenwäldern hohe Schäden anrichten kann. Aber auch in natürlichen Wäldern sind Borkenkäfer gefährlich. So hat der ebenfalls nur fünf Millimeter große Bergkiefernkäfer (Dendroctonus ponderosae) im Westen Kanadas in den letzten Jahren über 13 Millionen Hektar Wald zerstört (zum Vergleich: die Waldfläche der Bundesrepublik Deutschland beträgt etwa 11 Millionen Hektar). Neben dem hohen materiellen Schaden wird bei Waldzerstörungen dieses Ausmaßes sogar eine Auswirkung auf die Klimaerwärmung befürchtet.
Einige Käferarten, wie etwa der Große Eichenbock (Cerambyx cerdo), traten früher regional als Forstschädlinge auf, sind heute aber vom Aussterben bedroht.
Nützlinge
Abgesehen davon, dass viele Käfer eine wichtige Rolle im Naturhaushalt haben, profitiert auch der Mensch von manchen Arten. Zu den wichtigsten dieser Arten zählen räuberisch lebende Käfer, wie beispielsweise Laufkäfer, Kurzflügler und insbesondere Marienkäfer, weil sie für den Menschen in der Land- und Forstwirtschaft schädliche Insekten, Milben und Schnecken vertilgen. Bestimmte Marienkäferarten werden gegen einige der bedeutendsten landwirtschaftlichen Schädlinge in Massen gezüchtet. Aber auch in Gärten sind diese blatt- und schildlausfressenden Käfer nützlich. Manche Käferarten spielen zudem bei der Bestäubung von Pflanzen eine Rolle (Cantharophilie).
Im südlichen Afrika benutzen die San die Hämolymphe der Larven von Pfeilgiftkäfern, um ein Pfeilgift herzustellen. Die Giftpfeile werden sowohl zur Jagd als auch bei Stammeskriegen eingesetzt.
Nahrung
Käfer, meist im Stadium der Engerlinge, stellen bei einigen Völkern Afrikas, Asiens, Süd- und Mittelamerikas eine teilweise wichtige Nahrungsquelle dar. In der Antike wurden einige Engerlinge (zum Beispiel des Hirschkäfers) auch in Europa als Delikatesse verzehrt.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts kannte man in Deutschland und Frankreich eine Maikäfersuppe. Im Magazin für Staatsarzneikunde von 1844 empfahl der Medizinalrat Johann Schneider dieses geschmacklich an Krebssuppe erinnernde Gericht als „vortreffliches und kräftiges Nahrungsmittel“, für das 30 Käfer pro Person gefangen, gewaschen und im Mörser zerstoßen, dann in Butter gebraten und mit Brühe aufgekocht werden. Und er fügte hinzu, dass unter Studenten kandierte Maikäfer eine beliebte Nachspeise gewesen seien.
Geschichte und Kunst
Den wohl ältesten Beleg einer Käferdarstellung, eventuell als Glückssymbol, bietet ein rund 20.000 Jahre alter, 1,5 Zentimeter großer, aus Mammutelfenbein geschnitzter Marienkäfer, der durch eine Bohrung wahrscheinlich mit einer Schnur um den Hals getragen wurde. Er wurde in Laugerie-Basse im Département Dordogne (Frankreich) gefunden.
In der Antike beschäftigten sich manche Naturforscher auch mit Käfern, obgleich ihre Betrachtung in weiten Teilen noch oberflächlich war. Aristoteles klassifizierte Käfer danach, ob sie ihre Flügel unter einer Decke verbergen können. Heute kann man etwa 112 Käferarten aus der antiken Überlieferung einigermaßen genau identifizieren. Auch die Entwicklung der Käfer in mehreren Stadien war zumindest für mehrere Arten bekannt. Wichtigste Gewährsmänner für die Beschreibung der Käfer waren neben Aristoteles Hesychios von Alexandria und der Römer Plinius der Ältere in seiner Naturgeschichte. Sie berichten unter anderem von Unterarten der Lauf-Käfer, Schwimm-Käfer, Kurzflügler, Leucht-Käfer, Bohr-Käfer, Pflaster-Käfer, Bock-Käfer, Rüssel-Käfer und Blatthorn-Käfer. Bei der letzten Gattung ist vor allem der Pillendreher zu nennen.
Der Pillendreher galt im Alten Ägypten als heilig und wurde dort Skarabäus genannt. Für die Ägypter war er ein Sinnbild des Chepre, eines aus sich selbst entstandenen Urwesens. Er war damit auch eine Versinnbildlichung des Sonnengottes Re; sein Verhalten, große Dungkugeln zu rollen, war ein Symbol für den Lauf der Sonne. Er ist bis heute in großer Zahl als zumeist steinerne Abbildung überliefert. Der Skarabäus war auch kunsthandwerklich ein häufiges Motiv. Er wurde als Teil von Amuletten, anderem Schmuck oder als Siegel verbildlicht. Besonders wichtig wurde er ab der 18. Dynastie, in der ein Anstieg in Produktion und Bedeutung vor allem der Siegel- und Amulettformen zu beobachten ist. Häufig wurden Skarabäen Mumien beigegeben. Wie diese wurden auch die Käfer dem Ritual der Mundöffnung unterzogen.
Auch in Aristophanes’ Komödie Der Frieden hat ein überdimensionaler Mistkäfer als Reittier des Helden Trygaios eine wahrhaft tragende Rolle.
Bis zum Aufkommen naturkundlicher Enzyklopädien im 13. Jahrhundert verringerte sich die Anzahl bekannter Käferarten auf etwa sieben, darunter Speckkäfer, Holzbohrkäfer, Mistkäfer (Skarabäen), Hirschkäfer, Leuchtkäfer. Die Mistkäfer wurden zu den für Weidevieh gefährlichen Cantharides gezählt. Dem Leuchtkäfer schrieb man eine antiaphrodisierende Wirkung zu.
In der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts wählte Franz Kafka in der Erzählung Die Verwandlung für den Protagonisten Gregor Samsa die Gestalt eines Käfers (= Ungeziefer), um Samsas Scheitern in seiner Familie und in der Gesellschaft zu versinnbildlichen.
Manche Käfer haben auch heute noch besondere Bedeutung. Beispielsweise wird der Marienkäfer wegen seiner Nützlichkeit geschätzt und gilt als Glückssymbol. Deshalb ist er ein beliebtes Motiv auf Briefmarken, Glückwunschkarten und ähnlichem. Auch der Name Marienkäfer weist auf seine Bedeutung hin: Wegen ihrer Nützlichkeit in der biologischen Schädlingsbekämpfung glaubten die Bauern, dass die Käfer ein Geschenk der Maria (Mutter Jesu) seien und benannten sie nach dieser.
Medizin
Bekannt ist die medizinische Nutzung von Käfern oder deren Inhaltsstoffen, beispielsweise die Benutzung von Cantharidin für blasenziehende Pflaster, unter der Bezeichnung „Cantharis vesicatoria“ auch in Homöopathie und Tierhomöopathie. Eine Steigerung des sexuellen Verlangens durch Einnahme zermahlener Spanischer Fliegen (Lytta vesicatoria) ist nicht möglich.
Novid Beheshti und Andy Mcintosh von der Universität Leeds haben die gasdruckabhängigen Eingangs- und Ausgangsventile der Explosionskammer von Bombardierkäfern untersucht und den Vorgang dieser Flash-Verdampfung analysiert. Dabei konnten sowohl die Sprühdistanz als auch die Tröpfchengröße kontrolliert eingestellt werden, beides Faktoren, die bei der Verabreichung von Medikamenten durch Aerosolbildung eine wichtige Rolle spielen. Dadurch wird ein biologisch selektionierter Mechanismus für medizinische Applikationen interessant.
Vivaristik
Käfer werden auch als Terrarientiere gehalten und gezüchtet. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um exotische Vertreter der Rosen-, Riesen- und Hirschkäfer. In Ostasien (vor allem Japan, Korea und Taiwan) ist die Käferzucht deutlich weiter entwickelt als in Mitteleuropa.
Literatur
Bernard Durin: Käfer und andere Kerbtiere. 4., erweiterte Auflage. Schirmer/Mosel, München 2013, ISBN 978-3-8296-0631-8.
Heinz Freude (Begr.), Bernhard Klausnitzer (Hrsg.): Die Käfer Mitteleuropas. Elsevier, München, ISBN 3-334-61035-7.
Severa Harde: Der Kosmos Käferführer. Die mitteleuropäischen Käfer. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2000, ISBN 3-440-06959-1.
Bernhard Klausnitzer: Wunderwelt der Käfer. Herder, Freiburg 1981, ISBN 3-451-19630-1.
Sigmund Schenkling: Erklärung der wissenschaftlichen Käfernamen aus Reitterʼs Fauna Germanica, Stuttgart: K.G. Lutz, 1917, S. 5–35 (online einsehbar)
Edmund Reitter: Fauna Germanica – Die Käfer des deutschen Reiches. (= Digitale Bibliothek. Band 134). Neusatz und Faksimile der 5-bändigen Ausgabe. Stuttgart 1908–1916, Directmedia, Berlin 2006, ISBN 3-89853-534-7.
Jiři Zahradnik, Irmgard Jung, Dieter Jung u. a.: Käfer Mittel- und Nordwesteuropas. Parey, Berlin 1985, ISBN 3-490-27118-1.
Weblinks
Bestimmungstabellen
www.koleopterologie.de – Fotosammlung europäischer und vor allem mitteleuropäischer Käfer
www.kaefer-der-welt.de – Fotosammlung von Käfern der ganzen Welt
Verzeichnis der Käfer Deutschlands Datenstand als Tabelle, Verbreitung in Deutschlandkarte
Tree of Life Webproject (englisch)
Die Käferfauna Deutschlands
Einzelnachweise
Wikipedia:Artikel mit Video
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Q22671
| 3,906.565867 |
3530843
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https://de.wikipedia.org/wiki/.mx
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.mx
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.mx ist die länderspezifische Top-Level-Domain (ccTLD) von Mexiko. Sie wurde am 1. Februar 1989 eingeführt und dem Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey zugeteilt.
Geschichte
Von 1989 bis 1996 war die Nutzung einer .mx-Domain ausschließlich der Regierung Mexikos und Bildungseinrichtungen vorbehalten. Anschließend wurde ein System von Second-Level-Domains implementiert, im Rahmen dessen .edu.mx für Universitäten und ähnliche Organisationen und .gob.mx als Endung für Behörden vorgesehen wurde. Gleichzeitig wurde .mx durch die Einführung von .com.mx oder .net.mx für Unternehmen und Privatpersonen geöffnet.
Aufgrund der anhaltenden Kritik kündigte die Vergabestelle an, Domains wieder direkt unterhalb von .mx zu gestatten. Im Rahmen der Liberalisierung im Herbst 2009 wurde Inhabern einer Third-Level-Domain das Recht eingeräumt, gleichlautende Adresse auf zweiter Ebene bevorzugt zu registrieren (Grandfathering).
Eigenschaften
Insgesamt darf eine .mx-Domain zwischen drei und 63 Zeichen lang sein und nur alphanumerische Zeichen beinhalten, internationalisierte Domainnamen sind nicht möglich. Jede natürliche oder juristische Person darf eine .mx-Domain registrieren, ein Wohnsitz oder eine Niederlassung im Land sind nicht notwendig.
Weblinks
Offizielle Website der Vergabestelle NIC-Mexico
Informationen, Statistiken und Karten zu .mx
Einzelnachweise
Länderspezifische Top-Level-Domain
Medien (Mexiko)
sv:Toppdomän#M
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Q40979
| 85.751907 |
834626
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https://de.wikipedia.org/wiki/Korarchaeota
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Korarchaeota
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Die Korarchaeota (auch Xenarchaeota) sind ein erst 1996 beschriebener Stamm innerhalb der Archaea. Sie wurden durch Sequenzierung der 16S Untereinheiten ihrer rRNA von den bislang bekannten Crenarchaeota und den Euryarchaeota abgegrenzt. Die Frage, ob diese Archaea als eigener Stamm betrachtet werden sollten oder zu den Crenarchaeota gezählt werden müssen, ist noch unklar, da es sich bei ihnen auch um eine ausgesprochen ungewöhnliche und zugleich schnelle Mutation im Genom der 16S rRNA handeln könnte.
Korarchaeota leben in hochtemperaten, hydrothermalen Lebensräumen. Die Stoffwechselprozesse und vor allem der Metabolismus, mit dem Energie und Kohlenstoff gewonnen wird, ist bislang ungeklärt. Derzeit wird das Genom einer angereicherten Kolonie der Korarchaeota sequenziert.
Innerhalb der Korarchaeota wurden bislang noch keine gültigen Taxa auf Familien-, Gattungs- oder Artebene beschrieben. Die bekannten Mitglieder laufen bislang noch unter informellen Bezeichnungen wie „Candidatus Korarchaeum cryptofilum OPF8“ in einer informellen Gattung „Candidatus Korarchaeum“.
Weblinks
NCBI taxonomy page Korarchaeota
Tree of Life Korarchaeota
TACK
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Q504947
| 107.721391 |
11335
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https://de.wikipedia.org/wiki/Sparta
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Sparta
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Sparta, im Süden der Peloponnes gelegen, war in der Antike der Hauptort der Landschaft Lakonien und des Staates der Lakedaimonier. Sein Name wird im Deutschen meist im erweiterten Sinn für diesen Staat gebraucht, der über Jahrhunderte die stärkste Militärmacht des antiken Griechenlands war. Die spartanische Polis unterschied sich in vielerlei Hinsicht von anderen griechischen Stadtstaaten, speziell im Vergleich mit der Attischen Demokratie.
Spartas Macht beruhte auf einer einzigartigen Staats- und Gesellschaftsordnung, die stärker als in den meisten antiken Gemeinwesen militärisch geprägt war. Sie wurde seit Aristoteles oft als Mischform aus Demokratie, Oligarchie und Monarchie bezeichnet, obwohl die oligarchisch-aristokratischen Elemente dominierten. Politische Teilhabe war in Sparta nur einer kleinen Minderheit von Vollbürgern vorbehalten, den Spartiaten. Diese wurden wirtschaftlich von den unterdrückten Heloten versorgt, die den bei weitem größten Teil der Bevölkerung stellten. Eine dritte Gruppe waren die persönlich freien, aber politisch rechtlosen Periöken. Charakteristisch für Sparta war zudem das Doppelkönigtum. Laut Aristoteles handelte es sich dabei allerdings eher um ein erbliches Feldherrenamt, dessen Inhaber kaum monarchische Vollmachten besaßen.
Die Spartiaten bildeten als Elitekämpfer das Rückgrat des Spartanischen Heeres. Dessen militärische Stärke ermöglichte es Sparta lange Zeit, großen Einfluss auf die Geschicke ganz Griechenlands auszuüben. So spielte es eine herausragende Rolle in den Perserkriegen und ging 404 v. Chr. siegreich aus dem Peloponnesischen Krieg gegen Athen hervor. Allerdings gelang es Sparta nicht, die nun gewonnene Hegemonialstellung über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Spätestens nach der Niederlage gegen Theben in der Schlacht bei Leuktra 371 v. Chr. verlor es diese Position wieder. In den folgenden 200 Jahren versuchte Sparta vergeblich, seine Vormachtstellung zumindest auf der Peloponnes zurückzugewinnen. Im 2. Jahrhundert v. Chr. geriet es, wie alle griechischen Staaten, unter römische Herrschaft, wahrte aber nominell bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert seinen Status als freie Stadt.
Eine Besonderheit der spartanischen Geschichte ist, dass es keine schriftlichen Quellen aus der Hand von Lakedaimoniern selbst gibt. Dadurch wurde das Bild Spartas von oft feindlich gesinnten Zeitgenossen aus anderen Poleis oder von mitunter romantisierenden Geschichtsschreibern späterer Zeiten geprägt. Bis heute erschweren mythisierende und idealisierende Darstellungen eine realistische Rekonstruktion der Geschichte Spartas.
Name
Der antike Name lautet in attischem Altgriechisch (fem.) Spártē, im dorischen Dialekt Spártā. Zu klassischen Zeiten wurde damit jedoch nur die Stadt selbst bezeichnet. Der Staat, dessen Hauptort sie war, und die dazugehörigen Landstriche wurden meist (Lakedaimōn, deutsch auch Lakedämon) genannt. Zeitgenössische Quellen sprechen in der Regel von den „Lakedaimoniern“ (gr. ), wenn sie Sparta als Staat meinen.
Der Name der Stadt wird mythisch darauf zurückgeführt, dass der Staatsgründer Lakedaimon seine Hauptstadt nach seiner Frau Sparte benannte. Diese war in diesem Mythos die Tochter des Königs Eurotas von Lakonien. Damit wird die Eroberung des Gebietes mythisch zu einer dynastischen Vereinigung umgedeutet.
Geographie
Das Stadtgebiet lag auf den östlichen Ausläufern des Taygetos-Gebirges, dicht am rechten Ufer des Flusses Eurotas und war im Mittelalter nicht mehr besiedelt. Eine Neugründung erfolgte 1834, siehe dazu Sparta (Gemeinde).
Zu beiden Seiten des Flusses Eurotas erstreckt sich eine fruchtbare Ebene, die von zwei Gebirgszügen, Taygetos im Westen und Parnon im Osten, flankiert wird. In diesem Flussbecken entstand Sparta aus einigen Dörfern heraus. Die Lage Spartas bot einen natürlichen Schutz durch die Gebirge, welche das Flusstal umschlossen. Landwirtschaftlich nutzbar war allerdings nur eine kleine Fläche von rund 500 km².
Die Stadt bestand aus vier weitläufigen, gartenreichen Quartieren, welche zusammen einen Umfang von etwa neun Kilometern hatten. Im Gegensatz zu Athen gemeindete Sparta seine eroberten Gebiete nicht ein, weswegen die spartanische Bevölkerung im Vergleich zu Athen relativ klein blieb. Man schätzt, dass 600 v. Chr. in der Stadt selbst um die 40.000 bis 50.000 Personen lebten.
Stadtbild
Bis in hellenistische Zeit hatte die Stadt keine durchgehenden Mauern, da die gefürchtete Armee alle Feinde fernhalten konnte; erst der Tyrann Nabis legte einen Mauerring an, der zwar bald darauf von den Achaiern zerstört, aber auf Befehl der Römer wiederhergestellt und noch in frühbyzantinischer Zeit erneuert wurde. Von den einzelnen Quartieren (Komen) wird Pitana im Nordosten als das schönste genannt. Hier befand sich die Agora mit den Versammlungsgebäuden der Gerusia und der Ephoren, die von der persischen Beute erbaute persische Halle und in römischer Zeit das große, mit weißem Marmor verkleidete Theater, von welchem sich noch einige Überreste erhalten haben.
Sparta hatte keine hohe Akropolis. Diesen Namen führte der Hügel der Stadt, auf dessen Spitze der Tempel der Athene Chalkioikos, der Stadtgottheit Spartas, stand. Die Stadt hatte außer den angeführten noch zahlreiche andere Tempel und Monumente, welche Pausanias nennt, deren Lage sich heute noch zum Teil nachweisen lässt. Überreste römischer Bäder befinden sich nordwestlich und südöstlich vom Theater, Reste einer alten Brücke über den Eurotas an der heutigen Straße nach Argos und Tegea. Weitere Plätze befanden sich im Westen der Stadt: An der Straße nach Messene waren der Dromos mit zwei Gymnasien und der mit Platanen bepflanzte Platz Platanistas, auf dem die Jünglinge zu ringen pflegten.
Die Anlage der Bergfestung und Residenzstadt Mystras in ihrem Westen führte zur Verödung der antiken Stadt.
Geschichte
Archäologie
Am besten erhalten ist das Theater aus der frühen Kaiserzeit am Abhang der Akropolis. Auf der Akropolis selbst findet man Überreste eines Tors und der Stadtmauer sowie einer Stoa (vielleicht der von Pausanias erwähnten Persischen Stoa). Im Nordosten des Stadtzentrums sind am Ufer des Eurotas einige Überreste des berühmten Heiligtums der Artemis Orthia zu sehen, in dem das berühmte alljährliche Ritual der Geißelung der Epheben stattfand. Zahlreiche Funde aus diesem Heiligtum sind im Archäologischen Museum der Stadt ausgestellt. Etwas außerhalb der Stadt befinden sich gut erhaltene Reste des Menelaions, des Heroons von Menelaos und Helena.
Politik und Staatswesen
Die Verfassung Spartas wurde von Lykurg in der Großen Rhetra festgelegt, die bei Plutarch überliefert ist. Demnach umfassten die politischen Institutionen Spartas zunächst das Doppelkönigtum, die Gerusia (Ältestenrat) und die Apella (Volksversammlung). Erst später kamen noch die Ephoren hinzu.
Lykurg und die Große Rhetra
Lykurg
Lykurg war der legendäre Stifter der politischen und gesellschaftlichen Ordnung Spartas, der in der Antike als einer der großen Gesetzgeber angesehen wurde.
Die Person Lykurgs lässt sich historisch nicht greifbar rekonstruieren. Verschiedene Datierungsversuche ordnen sie in die Zeit zwischen dem 11. und 8. Jahrhundert v. Chr. ein. Laut unterschiedlichen Überlieferungen soll Lykurg königlicher Abstammung sowie Vormund eines Königs gewesen sein. Andere Quellen wiederum sehen in ihm eine göttliche Gestalt, wieder andere betrachten ihn als Namensgeber für eine Reihe von Einrichtungen, deren ursprüngliche Bedeutung verloren gegangen war. So fasste Plutarch die verschiedenen Legenden in einer Biographie zusammen, die heute als ausführlichste antike Quelle zum Leben und zur Gesetzgebung Lykurgs dienen.
Lykurgs Leben wurde in hellenistischer Zeit ausgeschmückt und nahm viele Elemente an, die auch andere Gesetzgeber (z. B. Solon) auszeichnen. So wurden ihm Auslandsreisen nach Kreta, Asien sowie Ägypten nachgesagt, die Ordnungsstiftung im Zwist zwischen Volk und Königtum sowie die Gesetzgebung in Sparta, bei deren Durchführung er ein Auge verlor. Des Weiteren verbot er geschriebene Gesetze. Hiernach verpflichtete er die Bürger durch Eid auf Einhaltung und Unveränderlichkeit der neuen Ordnung und ging ins Exil, wo er starb. Lykurg erhielt in Sparta kultische Ehren sowie ein Heiligtum.
Große Rhetra
Die Große Rhetra stellt das wohl älteste und umstrittenste Dokument zur griechischen Verfassungsgeschichte dar. Sie ist in die von Plutarch verfasste Biographie Lykurgs eingebunden und hier erstmals ausführlich zitiert. Der um 650 v. Chr. anzusetzende Text wird von Plutarch als delphischer Orakelspruch an Lykurg präsentiert, der im Kontext der Einrichtung der Gerusia (des Ältestenrats) steht. Anzumerken ist, dass die Große Rhetra nicht von Anfang an mit Lykurg in Verbindung gebracht, sondern anfänglich nur mit dem Orakel von Delphi verknüpft wurde.
Die Datierung der Rhetra in die Mitte des siebten Jahrhunderts ist schlüssig, da durch die messenischen Kriege eine große Erweiterung des spartanischen Herrschaftsgebietes erfolgte. Damit ergaben sich neue Aufgaben vor allem in Bezug auf die Kontrolle des neu gewonnenen Landes sowie dessen Bevölkerung. Darüber hinaus stellte die Einführung fester politischer Strukturen eine Art Machtnivellierung dar, die der Konzentration von Macht in den Händen Weniger entgegenwirken sollte.
Kleine Rhetren
Plutarch überlieferte noch drei weitere Rhetren. Diese als „Kleine Rhetren“ bekannten Gesetze verboten unter anderem den Luxus beim Hausbau oder den wiederholten Kampf gegen denselben Feind. Sie stehen in einem anderen Kontext als die große Rhetra und wurden wahrscheinlich nicht vor dem vierten Jahrhundert Lykurg zugeschrieben.
Inhaltliche Bestimmungen der Großen Rhetra
Die Große Rhetra regelte nun das politische Leben Spartas. Dies bedeutete auch den Bau zweier Heiligtümer, die den Wert der erstmals fixierten Ordnung betonten bzw. legitimierten sowie darüber hinaus eine gewisse Gemeinschaftsidentität stiften sollten.
Mit der Einrichtung von Phylen wird die Einteilung in drei Personenverbände mit gewissen verwandtschaftlichen und lokalen Beziehungen bezeichnet. Sie verdeutlicht die Vorherrschaft einiger weniger vornehmer Familien, die eine gewisse Machtposition innehatten. Den Phylen stand ein Presbytatos vor, der vermutlich einer der vornehmen Familien entstammte. Die Oben hingegen bezeichneten entweder die Unterabteilungen der Phylen oder waren Bezeichnungen für die Dorfbezirke Spartas.
Der Rat von Dreißig bezeichnet die Gerusia, also den Ältestenrat, welcher sich aus 28 Bürgern Spartas, die älter als 60 Jahre waren, und den beiden Königen zusammensetzte. Dem Rat kamen vor allem zwei Aufgabenbereiche zu. So entschied er darüber, welche Anträge in die Volksversammlung eingebracht wurden, und bestimmte somit den politischen Entscheidungsprozess erheblich mit. Ferner übernahm er prozessuale Aufgaben in der Rechtsprechung.
Weiterhin wurde festgelegt, dass in regelmäßigen Abständen eine Volksversammlung einberufen wurde, in der das Volk per Akklamation über die jeweiligen Anträge abstimmte. Mitglieder waren alle Bürger ab dem 30. Lebensjahr. Jedoch konnte das Volk in der Apella nicht politisch initiativ werden, da keine Ad-hoc-Anträge aus der Sitzung heraus gestellt werden durften, sondern nur über die vom Rat eingebrachten Vorschläge abgestimmt wurde.
Das Ephorat, welches in der politischen Verfassung Spartas eine große Bedeutung innehatte, wird von der Rhetra jedoch noch nicht erwähnt.
Ergänzungsklausel bei Plutarch
»Wenn das Volk sich für einen schiefen Spruch aussprechen sollte, sollen die Ältesten und die Heerführer (d. h. der Rat) abtreten (d. h. auf diese Weise die Versammlung auflösen). « (Plut. Lyk. 6,8; Übers. Bringmann 1975 [1986])
Die Zusatzklausel räumte dem Rat damit ein Vetorecht ein, da sie die Verhinderung eines (dann bindenden) Beschlusses durch die vorzeitige Auflösung der Versammlung ermöglichte.
Bedeutung für Sparta
Dass die Rhetra nicht allein von Lykurg verfasst wurde, sondern einem längeren Entstehungsprozess unterlag, gilt als gesichert. Dies mindert jedoch nicht ihre Bedeutung, denn mit ihr wurden erstmals die Institutionalisierung politischer Entscheidungsorgane sowie der Prozess der Entscheidungsfindung an sich festgeschrieben. Weiterhin stellte sie Kriterien für die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft auf, so zum Beispiel durch die Einrichtung von Phylen und Oben. Denn jeder Bürger, sofern er als solcher gelten wollte, musste hier Mitglied sein.
Durch die Rhetren sollte somit eine gemeinsame Identität der Spartiaten als Angehörige einer Kulturgemeinschaft geschaffen werden. So sind diese auch für den weiteren Verlauf der spartanischen Geschichte von großer Bedeutung, da man sich immer wieder auf sie berief.
Doppelkönigtum
Quellenlage
Wie in vielen antiken Themenbereichen ist auch bezüglich des Königtums in Sparta die Quellenlage dünn gestreut und ganz allgemein Wissen über die Könige vor 600 v. Chr. nur spärlich vorhanden. Herodot liefert einige Informationen, die vor allem die Aufgaben und Privilegien der Könige beschreiben. Jedoch entspricht seine Schilderung – neueren Forschungen nach zu urteilen – in mancher Hinsicht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Zur geschichtlichen Entwicklung des Königtums kann auf Thukydides verwiesen werden, welcher die zur Entstehungszeit seines Werkes Der Peloponnesische Krieg lebenden Könige und deren Regierungen mit einfließen lässt. Weitere Quellen finden sich bei Xenophon (Lakedaimonion politeia) und Plutarch (vitae parallelae).
Die Könige im Verfassungssystem
Verfassungssystem
Lykurg gibt in der Eunomia eine bestimmte Herrschaftsfolge vor, wonach (in dieser Reihenfolge) die Könige (basileis), Geronten und Bürger herrschen sollten. Diese Ordnungsvorstellung war auch in der Großen Rhetra zu finden, welche unter anderem das Königtum absicherte. Das spartanische Verfassungssystem sah im Wesentlichen das Ineinanderwirken verschiedener Organe vor. Neben den Königen und der Gerusia gab es fünf Ephoren, die die Beschlüsse der Könige zwar kontrollierten, jedoch deren Macht und Vorrangstellung akzeptierten. Das Verhältnis zwischen Königen und Ephorat war stets von Unstimmigkeiten geprägt. Ein monatlicher Schwur sollte die Könige darauf verpflichten, ihre Herrschaft nach den Gesetzen auszurichten, während die Ephoren im Gegenzug schworen, das Königtum zu bewahren. Die Könige waren gleichzeitig Mitglieder der Gerusia. Konnten sie bei Versammlungen nicht anwesend sein, wurden ihre Stimmen auf Verwandte innerhalb dieses Rates übertragen. Die Gerusia kontrollierte die Könige und stellte den höchsten Gerichtshof dar, vor welchem jene angeklagt werden konnten.
Den Königen unterstand vor allem das Heer, über welches sie als Feldherren die Befehlsgewalt innehatten.
Ihre griechische Bezeichnung lautete basileus. Dieses Wort hatte in archaischer Zeit noch nicht die Bedeutung „Monarch“, sondern kennzeichnete führende Männer bzw. Beamte in einer Polis. Es wird daher in der Forschung vielfach dafür plädiert, auch für das klassische Sparta besser nicht von einem Königtum zu sprechen, da diese in anderen Kontexten durchaus mögliche Übersetzung in diesem Fall letztlich in die Irre führe: Die beiden spartanischen basileis seien vielmehr nur primi inter pares und erbliche Oberbefehlshaber der Armee gewesen.
Doppelkönigtum
Wichtigstes Merkmal der Basileia Spartas war das so genannte Doppelkönigtum. Dessen Sinn lag unter anderem darin, die Macht der basileis zu beschränken. Die beiden Geschlechter der Agiaden und Eurypontiden stellten jeweils einen König, welche zusammen in Form einer Doppelherrschaft auf Lebenszeit regieren konnten, wobei die Agiaden das höhere Ansehen genossen. Die beiden Könige waren theoretisch gleichrangig und besaßen den gleichen Machtspielraum. In der Praxis jedoch wechselten die Machtverhältnisse oft und wurden nicht selten auf die jeweiligen Nachkommen übertragen. Stets hatte einer der Könige die alleinige Gewalt, der andere konnte immer nur versuchen, Ausgleich zu schaffen. Eine Heirat zwischen den beiden Königshäusern, welche einen eventuellen Ausgleich geschaffen hätte, war nicht erlaubt, da der Wunsch der Spartiaten nach zwei Königshäusern bestand.
Königslisten
Glaubwürdige Königslisten gab es erst etwa seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. Jene davor sind nicht selten von antiken Geschichtsschreibern nach Belieben zusammengestellt und an unbekannten Stellen in der Genealogie notdürftig zusammengehalten worden. So entsteht der Anschein, dass es etwa bis ins Jahr 600 stets direkt vom König abstammende Nachfolger, seine Söhne, gab, während nach dieser Zeit nicht mehr unbedingt ein eigener Sohn als legitimer Nachfolger auftrat.
Aufgaben und Privilegien der Könige
Die Könige besaßen zwei wesentliche Aufgaben: die Heeresführung und die Erkundung des göttlichen Willens.
Führung des Heeres
Seit 505 v. Chr. stand bei Kriegszügen nur noch ein zuvor vom Volk gewählter König dem Heer vor. Seit den Perserkriegen wurde er gelegentlich von zwei Ephoren begleitet, welche seine Entscheidungen kontrollierten, jedoch während des Kriegszuges nicht eingreifen durften. Danach war es den Ephoren erlaubt, den König anzuklagen, falls sie ein Fehlverhalten bemerkt zu haben glaubten. Der Reichtum der Könige kam daher, dass sie zusätzlich zum reichen Besitz ihrer Familie und zu dem jeweiligen König zur Verfügung stehenden Landbesitz im Periökengebiet, einen bevorzugten Anteil an der Beute ihrer Feldzüge nehmen durften.
Erkundung des göttlichen Willens
Als Nachfahren der Herakleiden verwalteten die Könige bestimmte Priesterämter (Zeus Lakedaimonios und Zeus Uranios) und hatten Pythier (Boten), durch die sie mit dem delphischen Orakel in Verbindung standen und die die Orakelsprüche aufbewahrten. Weitere Privilegien waren die Rechtsprechung (so konnten sie reiche Erbtöchter verheiraten und Adoptionen hatten in ihrer Anwesenheit zu geschehen) und die Zuständigkeit für die Durchführung öffentlicher Opfer. Sie waren als einzige im Kindesalter von der Agoge ausgenommen. Darüber hinaus erhielten sie besondere Abgaben von Opfergegenständen und einen Ehrenplatz beim Gemeinschaftsmahl. Wenn ein König sich näherte, mussten sich alle Anwesenden (bis auf die Ephoren) erheben. Starb der König, so wurde sein Leichnam, wenn er sich zuvor auf dem Kriegsfeld befunden hatte, in Honig konserviert nach Sparta überführt, ein Privileg, welches nur den Königen zustand. Die Spartiaten sowie die Heloten und einige Periöken waren verpflichtet, an der Beerdigung teilzunehmen, und während der folgenden allgemeinen Trauer, die zehn Tage andauerte, stand das offizielle Leben still. Die toten Könige schließlich wurden heroisiert.
Gerusia
Die Gerusia stellte den Ältestenrat in Sparta dar.
Apella
Der Begriff Apella (von , apellázein: eine Volksversammlung durchführen) bezeichnet die Versammlung aller wehrfähigen Spartiaten und stellt eine der vier Institutionen (Doppelkönigtum, Ephoren, Gerusia) der spartanischen Verfassung dar. Der Begriff taucht jedoch nur einmal in der Großen Rhetra, ferner in zwei frührömischen Inschriften auf. Dagegen verwendeten Thukydides und Xenophon den Begriff Ekklesia, der für die griechische Volksversammlung üblich war.
Ursprung
In der Großen Rhetra, dem spartanischen Verfassungswerk, wurde festgelegt, dass die Apella regelmäßig einberufen werden sollte.
Aufgaben
Die Apella war kein Initiativorgan, sondern konnte nur Vorschläge ablehnen oder annehmen. Den Bürgern fehlte ein Antragsrecht und einfache Bürger durften nur mit der Bewilligung der Ephoren das Wort ergreifen. Vorberatungen in der Volksversammlung boten daher nur ein Stimmungsbild, was einen fundamentalen Unterschied zur athenischen Volksversammlung darstellt, bei der jeder Bürger das Wort ergreifen und Anträge stellen konnte. Auch wurde durch lautes Zurufen (Akklamation) und nicht durch Stimmenauszählung wie in Athen abgestimmt, was die Beeinflussung von Beschlüssen ermöglichte. Nur in Zweifelsfällen wurde durch einen sogenannten Hammelsprung (Auseinandertreten in zwei Gruppen) entschieden. Dennoch war die Apella bei politischen Beschlüssen wichtig für die Meinungsbildung und an wichtigen Entscheidungen beteiligt: Sie entschied über Krieg und Frieden, bestimmte Befehlshaber, beschloss Gesetze, wählte Geronten und Ephoren (aus vorher festgesetzten Kandidaten) und konnte auch deren Absetzung erwirken. In strittigen Fällen entschied die Volksversammlung über die Thronfolge. Einberufen wurde die Volksversammlung zunächst durch die Könige und/oder Geronten. Erst im sechsten Jahrhundert oblag den Ephoren, die der Volksversammlung Anträge zur Akklamation vorlegten, die Leitung.
Bedeutung
Auch wenn die Bürgerschaft seit der Bildung des Peloponnesischen Bundes und den Perserkriegen in mehr Entscheidungen einbezogen wurde und dadurch mehr Gewicht erhielt, wurden ihr keine erweiterten Kompetenzen zugestanden. Die Apella entwickelte sich daher nicht zu einem Initiativorgan und übernahm keine breit angelegte bürgerliche Verantwortung für das Gemeinwesen wie etwa in Athen. Das politische Gewicht der spartanischen Volksversammlung wird daher unterschiedlich eingeschätzt. Ihre Bedeutung lag vor allem darin, dass sie bei Meinungsverschiedenheiten innerhalb der politischen Führung (Gerusia, Ephoren, Könige) entschied und ihr Handlungsspielraum nicht darauf beschränkt war, die Pläne der Polisleitung einfach zu akzeptieren.
Ephoren
Die fünf Ephoren (griechisch für Aufseher) waren gewählte Jahresbeamte und gehörten neben dem Doppelkönigtum, dem Ältestenrat (Gerusia) und der Volksversammlung (Apella) zu den Institutionen der spartanischen Verfassung. Sie werden jedoch nicht in der Großen Rhetra, dem spartanischen Verfassungswerk, genannt.
Ursprung
Entstehungszeit, historischer Kontext und Anfänge des Ephorats sind nur in Ansätzen greifbar. In der Antike wurde das Ephorat entweder Lykurg bzw. später auch König Theopompos zugeschrieben, wodurch es möglich war, die Institution des Ephorats als nichtlykurgisch abzutun und eine Entmachtung des Ephorats zu fordern, wie die Könige Pausanias Anfang des vierten Jahrhunderts und Kleomenes III. nach der Mitte des dritten Jahrhunderts.
In der Antike sah man die Ephoren als ein Gegengewicht zu den Königen, da die Ephoren beispielsweise als einzige bei der Begrüßung der Könige sitzenblieben. Zudem wurde frühestens seit Mitte des 6. Jahrhunderts monatlich ein Eid von den Ephoren wie auch von den Königen abgelegt: Die Ephoren erkannten die königliche Stellung an und die Könige verpflichteten sich zur Einhaltung der Gesetze. Gleichwohl ist das Ephorat nicht aus einem Ständekampf entstanden, auch übten die Ephoren keine Schutzfunktion gegenüber den Königen aus, sondern sind als eine sich allmählich entwickelnde Institution zu sehen, die dem Machtausgleich innerhalb der Oberschicht diente.
Besetzung
Die fünf Ephoren wurden von der Volksversammlung auf ein Jahr gewählt. Das Mindestalter betrug 30 Jahre. Nach Aristoteles waren sie oft arm und stammten aus dem ganzen Volk, weshalb man sie als Gegengewicht zur Aristokratie ansah. Allerdings mussten Ephoren das volle Bürgerrecht besitzen, weshalb keine verarmten und minderprivilegierten Spartiaten das Ephorat bekleiden konnten. Nicht zuletzt ermöglichte das Wahlverfahren – gewählt war, wer die lautesten Rufe erhielt – Einflussnahme. Die überlieferten Ephoren (Chilon, Brasidas, Leon, Endios, Antalkidas) stammten zudem aus führenden Kreisen. Grundsätzlich stand das Ephorat jedoch allen Spartiaten offen.
Aufgaben
Im Innern: allgemeine Sittenaufsicht (Erziehung, Lebensführung), Buß-, Verhaftungs- und Anklagerecht, Kontrolle über Fremde, Kontrolle und Kapitalstrafrecht über Periöken und Heloten, Zivilgerichtsbarkeit, Strafprozesse bei politischen Vergehen (gegen Bürger, Beamte und Könige) und Kapitalverbrechen (gemeinsam mit Geronten und Königen), Finanzverwaltung, Durchführung von Beschlüssen, Einberufung und Leitung der Volksversammlung (wozu auch die Vorlage von Anträgen zur Abstimmung sowie die Durchführung von Wahlen zählte).
Religiöser Bereich: Leitung der Gymnopaidien, Durchführung des Staatsopfers bei der Prozession der Jünglinge für Athena Chalkioikos, Durchführung einer Himmelsbeobachtung alle neun Jahre, was zur Absetzung der Könige führen konnte.
Außenpolitik: jährliche Kriegserklärung gegen die Heloten, Empfang oder Abweisung von Gesandten, Leitung der Versammlung des Peloponnesischen Bundes.
Militärischer Bereich: Beratung über Krieg und Frieden und Wahl der Befehlshaber in der Volksversammlung, Mobilmachung, Festlegung der Heeresgröße, militärische Beratung der Befehlshaber im Feld.
Handlungsspielraum und Bedeutung
Die Beurteilung der Bedeutung des Ephorats ist von Aristoteles beeinflusst, der zum einen die Funktion der Ephoren darin sah, das Volk ruhig zu halten, zum anderen verglich er sie mit Tyrannen. Dementsprechend wird das Ephorat in der modernen Forschung überwiegend hoch eingeschätzt.
Ihre Bedeutung lässt sich darin erkennen, dass das spartanische Amtsjahr nach dem Vorsitzenden der Ephoren benannt wurde, dass sie in Urkunden nach den Königen aufgeführt und ihr Geschäftslokal auf der Agora besaßen. Trotzdem ist keine eigenständige Politik erkennbar, auch konnten die Ephoren in der Volksversammlung überstimmt werden. Die eidliche Vereinbarung zwischen Ephoren und Königen wie auch die Einbindung in das politische System verhinderte Machtentfaltung. Auch waren die Ephoren ihren Nachfolgern rechenschaftspflichtig. Da die Amtszeit zudem auf ein Jahr beschränkt war, wurde eine längerfristige Politik verhindert.
Mikra Ekklesia
Eine Mikra Ekklesia (Kleine Versammlung) wird bei Xenophon im Zusammenhang mit der Kinadon-Verschwörung erwähnt. Dabei ist nicht klar, wie sich die Mikra Ekklesia zusammensetzte, ob sie eine feste Institution darstellte und welche Bedeutung ihr zukam. Es wurde angenommen, dass es sich entweder um die Gerusia, um die Tele (leitende Gremien Spartas: Ephoren, Geronten, Könige), um eine spontan einberufene und somit unvollständige Volksversammlung oder um einen Kreis angesehener Leute (also nicht die Gesamtheit der Spartiaten) handelte. Im Allgemeinen sieht man in der Mikra Ekklesia einen Hinweis auf die oligarchische Prägung der spartanischen Politik.
Syssitien
Mit Syssitien (in den Quellen finden sich auch die Begriffe Pheiditien und Syskenien) bezeichnet man die täglich stattfindenden Mahlgemeinschaften, an denen jeder spartanische Vollbürger obligatorisch teilnahm. Sie stellten neben der verbindlichen Erziehung eines der wesentlichen Elemente des bürgerlichen Lebens in Sparta dar.
Gesellschaft
Gesellschaftsschichten im spartanischen Staatswesen
Die lakedaimonische Gesellschaft war deutlich stratifiziert. Trotz der prinzipiellen Festigkeit der Schichtgrenzen war eine soziale Mobilität sowohl nach oben wie nach unten möglich. Vollbürger des lakedaimonischen Staates waren die Spartiaten. Sie allein hatten die politischen Rechte. Zweite Hauptschicht waren die Periöken, die eine Stufe tiefer rangierten, als sie zwar lakedaimonische Bürger waren, aber keine politischen Mitwirkungsrechte in staatlichen Angelegenheiten besaßen.
Zwischen diesen beiden Schichten lakedaimonischer Bürger stand die Gruppierung der Hypomeiones, Bürger, die prinzipiell Aussicht auf den Vollbürgerstatus hatten und in diesen Raum zwischen den beiden Schichten durch Abstieg aus den Reihen der Spartiaten oder Aufstieg aus den Reihen der Periöken kamen. Unterhalb der Periöken standen die Heloten als tiefste integrale soziale Gruppierung des lakedaimonischen Staats. Sie waren keine Bürger, sondern Staatsbesitz. Diese Gruppe hatte einen sklavenähnlichen Status, wich aber durch verschiedene Eigenheiten von den damals verbreiteten Sklavengruppierungen der Kauf-, Beute- und Schuldsklaven ab.
Zwischen den Periöken und den Heloten entstand im 5. Jahrhundert eine Zwischenschicht aufgrund von Diensten als Schwerbewaffnete freier gewordener Heloten. Sie waren zwar persönlich frei, mussten sich aber zum ständigen Waffendienst bereithalten, ihr Wohnort wurde ihnen zugewiesen und sie scheinen (zumindest in der Generation des Freigewordenen selbst) kein Land besessen zu haben. Sie wurden Neodamoden genannt.
Soziale Rolle der Frau in Sparta
Wie alle hellenischen Gemeinwesen war auch die spartanische Gesellschaft patriarchalisch organisiert. Die oben genannten Schichtzuordnungen betreffen explizit nur die Männer. Über die Frauen wird in dieser Deutlichkeit keine Aussage getroffen. Über sie müssen Randbemerkungen der Quellen als Hinweise dienen. Die Frauen Spartas erhielten ihren Status anscheinend nach demjenigen ihres Vaters. Ein Aufstieg durch die Heirat mit einem Mann höherer Schicht wird in den Quellen nicht erwähnt.
In Sparta wurden die ersten bekannten Gesetze über die Stellung der Frau in der Gesellschaft (genauer: der Schicht der Vollbürger) verfasst. Sie hatte vor allem die Stellung der Neue-Krieger-Gebärenden. Mädchen erhielten ähnlich wie Jungen eine vom Staat beaufsichtigte Erziehung und erhielten – in Hellas damals durchaus nicht üblich – die gleiche Ernährung wie Jungen. In höherem Alter (ab etwa 20 Jahren) war der erwünschte Status einer Frau die Ehe. Auch Männer heirateten vermutlich häufig vor Vollendung des 30. Lebensjahres. Ältere unverheiratete Frauen wurden vom Umfeld verspottet – ebenso wie die unverheirateten Männer.
Da die Männer Militärdienst leisteten, übernahmen Frauen den Großteil der Wirtschaft und des Haushalts sowie die Aufsicht über die Bediensteten und die Kindererziehung, bis diese zumindest bei den Jungen mit sieben Jahren vom Staat übernommen wurde. Dennoch wurden den Frauen keine Bürgerrechte zugestanden, also auch kein formaler politischer Einfluss. Jedoch hatten Frauen aus gehobeneren Schichten durchaus gewissen Einfluss und Entscheidungsgewalt in der Gesellschaft. Dies wurde unter anderem dadurch möglich, dass im Gegensatz zu Frauen in anderen Poleis die Spartiatinnen Land erben konnten bzw. als Witwen den Besitz des Mannes nicht nur treuhänderisch für ihre Söhne verwalteten, sondern real zu Eigentum hatten. Spartiatinnen waren also zumindest potenziell materiell voll abgesichert und hatten auch volles Verfügungsrecht über diese Ressourcen.
Auch wenn Sparta patriarchal hierarchisch war, wurden Frauen im Vergleich zur extremen Rechtlosigkeit in anderen Teilen des antiken Griechenlands, wie Athen oder Gortyn, zumindest durch ihre Rolle als regulierende Kraft im Haushalt eine gewisse Würde und Selbstbestimmung zugestanden.
Erziehung der Jugend in Sparta
Das als Agoge (griechisch ἀγωγή, agogé „Erziehung, Aufzucht, Zucht“) bezeichnete Erziehungssystem Spartas war durch seine Strenge bekannt. Jeder männliche spartanische Staatsbürger, mit Ausnahme der vom König abstammenden, musste sie in körperlich anspruchsvollem Training absolvieren. Antike Autoren wie Platon, Xenophon oder Isokrates sahen in dieser Erziehung den Grund für Spartas militärischen Erfolg.
Die Jungen lebten ab dem siebten oder achten Lebensjahr nicht mehr bei ihren Eltern, sondern zusammen in Gruppen Gleichaltriger, wo sie durch Kampfspiele trainiert und abgehärtet wurden. Sie lernten darüber hinaus auch Lesen und Schreiben sowie gesellschaftliche Umgangsformen. Ihre Ernährung wurde bewusst knapp gehalten, damit sie sich an den Hunger gewöhnten und lernten, sich Nahrung selbst zu beschaffen, unter anderem durch Stehlen.
Mit 20 Jahren traten die Jugendlichen in die Reihen des spartanischen Militärs ein. Bei ihrer Initiation spielte die Institution der Krypteia, einer rituellen Jagd auf die Heloten, eine Rolle. Sie bildeten bis zum 30. Lebensjahr reine Männergruppen und galten erst danach als Vollbürger Spartas. Auch die Mädchen durchliefen in Sparta – in völligem Gegensatz zu den anderen griechischen Stadtstaaten – eine vom Staat organisierte Ausbildung. Diese war allerdings etwas weniger stark auf körperliche Ertüchtigung ausgerichtet als die Ausbildung der Jungen.
Dorische Knabenliebe
Die Knabenliebe war eine erotisch gefärbte Mentorschaft. Wolfgang Schuller spricht davon, dass diese Erscheinungsform gleichgeschlechtlicher Erotik „für den spartanischen und kretischen Gesellschaftsaufbau konstitutiv“ gewesen sei.
Quellenlage und Literatur
Da aus Sparta selbst kaum Quellen zur Knabenliebe vorhanden sind und darüber hinaus nichts nach außen drang, ist uns nur wenig zur Knabenliebe in Sparta selbst überliefert. Nur durch Rückschlüsse aus Quellen, die man in anderen dorischen Städten (z. B. Korinth) gefunden hat, kann man etwas darüber sagen. Zum größten Teil muss man sich aber auf nicht-spartanische Quellen verlassen (Platon, Aristoteles, Xenophon, Aischylos). Hierbei ist allerdings Vorsicht geboten, da sie eben nicht aus Sparta stammten, sondern eine verklärte Sicht darauf hatten.
Da es wenige Quellen zur dorischen Knabenliebe gibt, gibt es auch sehr wenig spezielle Literatur dazu. Ansonsten muss man sich auf Bücher zur Knabenliebe in ganz Griechenland verlassen, die einen kleinen Abschnitt über die Dorer beinhalten.
Begriffe
Der Begriff Erastes (ἐραστής, erastḗs) lässt sich als „Liebender, Liebhaber“ übersetzen. Er musste mindestens dreißig Jahre alt sein und ein freier Bürger der Stadt. Ein Eromenos (ἐρώμενος, erṓmenos „Geliebter“) war zwischen zwölf und achtzehn Jahre alt, befand sich also mitten in der Pubertät. Als paiderastía (παιδεραστία „Knabenliebe“) bezeichneten schon die Griechen selbst diese Erscheinung.
Politische und gesellschaftliche Bedeutung
Xenophon stellt in seinem Staat der Lakedaimonier die Knabenliebe als eine vom Staat Sparta gewünschte, ja sogar geforderte Form der Erziehung dar, die sogar im Gesetz festgeschrieben gewesen sei. Dies habe einen quasi religiösen Rückhalt geboten. Durch die Festschreibung im Gesetz wurde sie in geregelte Formen gebracht und in der Gesellschaft verankert.
Rechtlich gesehen war der Erastes dem Vater des Eromenos gleichgestellt, jedoch mit dem Unterschied, dass er für das Fehlverhalten seines Eromenos bestraft wurde, nicht der Knabe selbst oder dessen Vater. Er vertrat ihn bei Geschäften und in der Volksversammlung.
Ethische Bedeutung
Durch die Beziehung zu einem Mann sollte der Knabe die Sitten und Grundsätze der Gesellschaft beigebracht und vorgelebt bekommen. Diese hohe Anforderung setzte voraus, dass der Erastes selbst ein ehrbarer Bürger war. Deswegen wurden hohe Ansprüche an ihn gestellt, er musste mutig, tapfer, klug, tüchtig und ein ehrbarer Bürger mit einwandfreiem Lebenswandel sein, sonst wurde er nicht ausgewählt. Der Knabe musste sich durch Mut und Tapferkeit auszeichnen. Es galt als große Schande, keinen Erastes bzw. Eromenos zu haben, da dies bedeutete, nicht ehrbar zu sein. Ein weiterer Aspekt der Knabenliebe war auch die Vorstellung, ein Erastes bzw. Eromenos wolle sich nicht vor seinem Partner schämen und erlaube sich deswegen keine Fehltritte.
Ritual
Hatte sich ein Mann in einen Knaben verliebt, kündigte er der Familie des Auserwählten dessen Raub drei bis vier Tage vorher an. War die Familie nicht mit dem Mann einverstanden, hielt sie ihn also für unehrenhaft, vereitelte sie den Raub am angekündigten Ort. Den Jungen selbst zu verstecken, hätte bedeutet, dass die Familie ihn nicht für würdig genug hielt, einen Erastes zu haben. Hatte die Familie jedoch nichts gegen den Mann einzuwenden, so verfolgte sie das Paar nur zum Schein bis zum Haus des Mannes, wo die beiden zwei Monate lang lebten, danach kehrte der Junge reich beschenkt zu seiner Familie zurück. Die Beziehung blieb über diesen Zeitpunkt hinaus bestehen, bis der Junge das 18. Lebensjahr erreichte, und ging dann in eine lebenslange Freundschaft über.
Militärwesen Spartas
Das spartanische Heer galt seit archaischer Zeit als die beste Bürgertruppe in Hellas. Ständige Ausbildung, Freiheit von Erwerbsarbeit und das bürgerliche Ethos der Spartiaten bildeten den Grundstock des Erfolgs. Ferner konnte durch Aushebung von Periöken und später die Bewaffnung von Heloten und die Anmietung von Söldnern das größte Polisaufgebot zusammengestellt werden, das bis 370 v. Chr. gemeinsam mit den Kontingenten der Städte des Peloponnesischen Bundes die größte Armee Griechenlands bildete.
Trotz der großen Bedeutung des Militärs im Leben Spartas sind die Zeugnisse über die spartanische Militärpraxis eher gering. Beschreibungen über die Organisation der spartanischen Armee finden sich bei Herodot und Xenophon. Die schriftliche Überlieferung aus Sparta selbst besteht vor allem aus Texten von archaischen Dichtern wie Tyrtaios. Über die Zeit davor ist fast nichts bekannt. Es ist anzunehmen, dass das spartanische Heer jedoch zumindest zweimal umorganisiert wurde, da dies durch die ständig rückläufige Zahl an wehrfähigen Bürgern erforderlich wurde.
Es kann angenommen werden, dass die Phalanx zu Beginn 8 Mann tief aufgestellt war. Das erscheint logisch, weil der später noch weiterverwendete Name pentekostys Fünfzigschaft bedeutet, die 6 Mann Breite aufweist. Später wurde die Phalanx dann tiefer gestaffelt (12 statt 8 Reihen), um mit den Armeen der anderen Staaten mitzuziehen.
Zur Zeit Herodots (Mitte 5. Jh. v. Chr.)
Herodot verwendete für Abteilungen verschiedener Größen die Bezeichnung lochos, was lediglich Einheit bedeutet.
5 lochoi bildeten nach Herodot die spartanische Armee. Es wird angenommen, dass es sich dabei um das territoriale Aufgebot der 5 Bezirke von Sparta handelt. Ein solcher lochos hätte damit eine Größe von über 1.000 Mann.
Zur Zeit Xenophons (Anfang 4. Jh. v. Chr.)
Xenophon gibt uns eine Beschreibung des spartanischen Heeres etwa 50 Jahre nach Herodot. Der Sollstand ist folgendermaßen zu erklären:
6 morai bildeten die spartanische Armee, die von einem König befehligt wurde.
1 mora aus 4 lochoi je 144 Mann: Der lochos war die kleinste taktische Einheit der Phalanx.
1 lochos aus 2 pentekostyes
1 lochos aus 4 enomotiai 1 mora zugeteilt waren etwa 60 Reiter
Die enomotia war somit 3 Mann breit und 12 Mann tief. Befehligt wurden die Hopliten vom je ersten Mann der Reihe, dessen Stellvertreter (ouragoi) an letzter Stelle war. Alle Offiziere, polemarch, pentekonter, lochagos, enomotarch hatten ihre Position ganz vorne rechts in ihren Einheiten, mit dem König am rechten äußeren Rand der ersten mora.
Religion
Religion bestimmte das gesamte politische, gesellschaftliche und private Leben der Stadt und war in allen Lebensbereichen der Gesellschaft präsent.
Götter und Heroen
Es gab zwölf Hauptgötter: Zeus, seine Frau Hera, sein Bruder Poseidon, seine Schwestern Demeter und Hestia, seine Kinder Athene, Hephaistos, Ares, Aphrodite und Hermes, Apollon und dessen Schwester Artemis, die ihren Wohnsitz auf dem Berg Olymp hatten. Daneben gab es zahlreiche spezifische Götter, wie die Stadtgötter, unterirdische Götter, Dämonen, die Heroen und die Familiengötter.
Der höchste Gott des Olymps war Zeus. Zusätzlich wurde er auch als Vater des Herakles verehrt. Von diesen beiden leiteten die Könige ihre Herkunft ab. In Sparta gab es zwei Zeus-Kulte, den des Zeus Lakedaimon und jenen des Zeus Uranios, denen die beiden Könige als Priester dienten.
Eine zweite Hauptgottheit der Spartiaten neben Zeus war Athene, die Tochter des Zeus. Sie wurde bei Spartiaten als „Wächterin der Stadt“, „Göttin des bronzenen Hauses“ und „Göttin der bronzenen Tore“ verehrt. Athenes Tempel wurde als Chalkioikos (griech. „die im Bronzehaus wohnende“) bezeichnet. Der Tempel sowie die Tore waren von innen und außen mit großen Bronzeplatten geschmückt.
Eine der ältesten Gottheiten des Olymps war Artemis Orthia. Auf der einen Seite schützte sie die Geburt und die Erziehung der Jugend. Auf der anderen Seite tötete sie Menschen und Tiere. Sie war demnach für die schöpferischen und zerstörerischen Elemente der Natur zuständig.
Der Bruder der Artemis Orthia war Apollon, Gott des Lichts, der Heilung und der Musik. Die Künstler und Dichter stellten Apollon als Personifikation jugendlicher Schönheit und Träger der Kraft dar.
Schutzherren Spartas waren die Dioskuren (d. h. Söhne des Zeus), Kastor und Polydeikes. Sie repräsentierten die Tugenden der Spartiaten, Kastor als Rossezähmer und Polydeikes als Kämpfer.
Die Heroen waren bekannte oder unbekannte Tote, die einst der Gemeinschaft gedient hatten und für sie ihr Leben gelassen haben. Im Gegensatz zu anderen Verstorbenen entwickelte sich ein Kult um den Heros, der sich durch seine Langlebigkeit unterschied. Der bekannteste Heros Spartas war Lykurg (auch Lykurgos), ein sagenhafter spartanischer Gesetzgeber und angebliche Schöpfer der spartanischen Ordnung. Das Königspaar Menelaos und Helena wurden nicht nur als Heroen verehrt, sondern erreichten sogar den Götterstatus, wie durch das Heiligtum Menelaion belegt wird. Archäologisch nachgewiesen wurde es um 700 v. Chr. für Menelaos, Helena und die Dioskuren eingerichtet.
Feste, Rituale, Opfer
Die wichtigsten spartanischen Feste waren mit Artemis Orthia und Apollon verbunden. Zu Ehren der Artemis wurden zahlreiche Feste und Rituale durchgeführt. Weil sie mit der Jugenderziehung in Verbindung gebracht wurde, führten die Spartiaten jährlich einen Wettbewerb durch, bei dem die Knaben Käse stehlen mussten. Ein weiteres berühmtes Ritual zu Ehren der Artemis, das in ihrem Tempel stattfand, war die Knabengeißelung. Die drei wichtigsten Feste Spartas zu Ehren des Apollon waren die Hyakinthien, die Gymnopaidien und die Karneen.
Die Bedeutung der Religion in Sparta lässt sich durch zahlreiche Opfer an die Götter nachvollziehen. Vor dem Kriegszug opferte der König dem Zeus. Wenn diese Opfer günstig ausfielen, marschierte das Heer mit dem Altarfeuer bis an die Landesgrenze. Dort opferte der König erneut dem Zeus und Athena. Erst wenn das Opfer positiv ausfiel, überschritt das Heer die Grenze. Das Altarfeuer sowie die Opfertiere wurden mitgenommen und die Opfer setzten sich während des Feldzuges fort wie durch Herodots Schilderung der Schlacht von Plataiai belegt wird. Den Überlieferungen nach wurden solche Grenzopfer fast nur bei den Spartiaten durchgeführt, was bedeutet, dass die Religion mit der Politik eng verbunden war. Der Ausgang der Opfer, d. h. die Antwort der Götter wurde ernst genommen.
In Sparta gab es verschiedene Kulte: Zeuskulte, Apollonkulte, Helenakult. Über den Helenakult gibt es mehrere Überlieferungen von Herodot und Pausanias. Helena, die Frau von König Menelaos, wurde in Sparta in einem Baum verehrt. Nach dem Tod des Königs wurde Helena aus Sparta vertrieben und fand Zuflucht bei der Königin von Rhodos. Der König von Rhodos war im Trojanischen Krieg gefallen und Helena wurde von der Königin als die Ursache des Krieges beschuldigt. Helena wurde von den Dienerinnen der Königin umgebracht und auf einem Baum aufgehängt. Der Dichter Theokritos komponierte ein Lied für einen Chor von zwölf spartanischen Mädchen, in dem die Mädchen Blumen an einen Baum mit der Inschrift „Ich bin Helena heilig“ hängen.
Quellenlage
Überlieferungen über spartanische Religion kommen aus verschiedenen schriftlichen Quellen und Inschriften. Durch die Ausgrabungen in Lakonien und in Sparta selbst konnten einige Heiligtümer archäologisch nachgewiesen werden: das Heiligtum des Menelaos in Therapne, das Heiligtum des Apollon Hyakinthos in Amyklai, das Heiligtum der Demeter Eleusinion südwestlich von Sparta, das Heiligtum des Zeus Messapeus bei Sellasia, das Heiligtum der Artemis Issoria, der Tempel der Artemis Orthia, das Heiligtum der Athena Poliachos, der Tempel des Achilles nördlich der Akropolis Spartas. Die einzelnen Aussagen über die Götter und Heroen sind in den Aufzeichnungen des Reiseschriftstellers Pausanias überliefert, der im 2. Jahrhundert n. Chr. Lakonien bereiste und die Tempel beschrieb.
Die spartanischen Feste
Hyakinthia
Die Hyakinthien wurden alljährlich Ende Mai/Anfang Juni durchgeführt. Das Hyakinthiafest hatte seinen Namen zu Ehren des schönen Knaben Hyakinthos erhalten, welcher von Apollon geliebt und unglücklich durch einen Diskus getötet wurde. Das Fest wurde in Amyklai, wenige Kilometer südlich von Sparta abgehalten, wo sich das Grab des Hyakinthos sowie eine etwa 13 m hohe Statue Apollons befanden.
Das Fest, das von den Spartiaten zu Ehren des Apollon gefeiert wurde, bestand aus zwei Phasen. Die erste Phase war geprägt von Klageriten, Verboten und Verzicht, diese Phase versinnbildlichte den Tod und die Trauer als überwältigende menschliche Gefühle. Man könnte diese erste Phase als „Fest der Toten“ bezeichnen. Die zweite Phase wurde von freudigen Ereignissen beherrscht, Gesang und Tanz, festliche Prozessionen etc. Diese Phase war dem Leben und der Freude gewidmet. Diese Phase könnte man auch „Fest der Lebenden“ nennen.
Gymnopaidia
Das Gymnopaidiafest war „das Fest der nackten Knaben“. Das Fest dauerte mindestens drei Tage und wurde Ende Juli eines jeden Jahres auf der Agora in Sparta abgehalten. Die Leitung des Festes lag wahrscheinlich in der Hand der Ephoren. Die gesamte männliche Bevölkerung nahm an diesem Fest teil. Auf dem Gymnopaidiafest wurden Chorwettbewerbe von drei Altersgruppen der Männer (Knaben, Jugend, ältere Männer) ausgetragen. Diese Chorwettbewerbe waren äußerst strapaziös, da sie im heißesten Monat des Jahres in der heißesten Gegend Griechenlands stattfanden und teilweise von scheinbar unendlicher Länge waren. Platon führte die Anstrengung bei diesem Fest mit als Grund für die Ausdauer der Spartiaten bei Kriegszügen an. Das Gymnopaidiafest lässt sich als eine Art Initiationsfest der jungen Männer verstehen.
Karneia
Die Karneen wurden zu Ehren des Apollon Karneios (Widder-Apollon) im Monat Karneios (August) eines jeden Jahres durchgeführt. Das neuntägige Karneiafest war eine Nachahmung des soldatischen Lebens, da die Zeit kurz vor der Ernte gleichzeitig die Zeit der Kriegszüge war. Es herrschte ein militärischer Ton und die Speisung erfolgte in neun zeltartigen Hütten, welche jeweils neun Mann fassten.
Die Spartiaten baten Apollon, der Polis eine gute Ernte zu bringen. Auch gedachten sie der Stadtgründung durch die Dorer, indem sie Nachbildungen der Flöße umhertrugen, auf denen die Herakliden einst die Meerenge des korinthischen Golfes zwischen Antirhion und Rhion überschritten haben sollen. Sie dankten Apollon Karneios als dem Gott, unter dessen Führung dieses Wagnis gelungen war. Ein anderer wichtiger Ritus dieses Festes war ein Verfolgungsrennen. Ein junger Mann, der im Vorfeld zu den Stadtgöttern gebetet hatte, rannte los und wurde von unverheirateten Männern, den so genannten „Staphylodromoi“ (Weinrebenläufer) gejagt. Wenn der Gejagte gefangen wurde, war dies ein gutes Omen für die Polis, wurde er nicht gefangen ein schlechtes Zeichen für die Zukunft. Weiterhin wurden dabei auch musische sowie sportliche Wettkämpfe ausgetragen. Der erste erwähnte Sieger eines solchen Musikwettbewerbes ist Terpander (676 v. Chr.). Die Karneia endeten mit dem Vollmond.
Die Bedeutung der Kulte für Sparta
Die kultischen Feste spiegelten die spartanische Gesellschaftsordnung wider. Bei den Gymnopaidia etwa wurde älteren Männern, die das 30. Lebensjahre erreicht hatten, unverheiratet oder ohne Kinder waren, die Teilnahme verweigert. Den jungen Männern wurde somit vor Augen geführt, was sie zu erreichen hatten, um als vollwertiger Bürger Spartas am öffentlichen Leben partizipieren zu können. Auch zeigt sich der Einfluss der Religion auf die Politik der Spartiaten. Die religiösen Feste waren die Angelegenheit der gesamten Stadt, sie erhielten ungeteilte Aufmerksamkeit der Einwohner Spartas. Alle öffentlichen Geschäfte wurden geschlossen, Gerichtssitzungen etc. fielen aus, da alle Einwohner an den Festen teilnehmen mussten. Kriegerische Handlungen wurden eingestellt und dringende Entscheidungen aufgeschoben, so z. B. bei der Schlacht bei Marathon, zu der die Spartiaten aufgrund der Karneia verspätet erschienen.
Apollon-Kulte in Sparta
In Sparta war der Apollon-Kult integraler Bestandteil der Gesellschaft. Die Verfassung (Große Rhetra) Spartas wurde nach dem Mythos vom delphischen Apollon persönlich abgesegnet, welcher Lykurg zusicherte, dass Sparta der ruhmvollste Staat sein werde, solange er die von Lykurg eingeführte Verfassung beibehalte. Auch wurden die längsten und wichtigsten spartanischen Feste, Karneia, Gymnopaidia und Hyakinthia, zu Ehren des Gottes Apollon gefeiert.
Apollon-Kulte in römischer Zeit
In der Kaiserzeit behielt Sparta einen Teil der früheren Einrichtungen in modifizierter Form bei. Die drei wichtigsten städtischen Feste blieben jedoch die Apollon geweihten Initiationsfeiern Hyakinthia, Gymnopaidia und die Karneia.
Quellenlage
Die Quellen, die von den religiösen Kulten in Sparta berichten, sind größtenteils von antiken Autoren verfasst, deren Werke oft nur noch fragmentarisch erhalten sind. Allgemein über die Feste Spartas berichten Pausanias in seinen Reisen in Griechenland und Plutarch. Erwähnung finden die Gymnopaidia in der Hellenica Xenophons. Die Hauptquelle für die Karneia liefert Athenaios. Auf die Hyakinthia gehen vor allem Polykrates, Pausanias, Herodot in den Historien und Athenaios ein. Weiterhin sind, gerade seit römischer Zeit, Inschriften bekannt, wie z. B. die Inschrift des Damonon, in der auf die Wettkämpfe hingewiesen wird. Wichtig für das Kultverständnis sind auch archäologische Funde, welche an den Kultstätten (z. B. Amyklai) gemacht wurden.
Heiligtum und Kult der Artemis Orthia
Die Ursprünge des Heiligtums
Die Identifizierung der Kultstätte ist nicht nur durch die Beschreibung des Pausanias möglich, sondern auch durch Inschriften, die Artemis Orthia erwähnten. Die früheste stammte aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., befand sich auf dem Kalksteinrelief eines Pferdes und berichtete, dass ein Panidas oder Epanidas das Pferd der jungfräulichen Orthia weihte. Die British School of Athens ermittelte bei ihren Ausgrabungen (1906–1910) insgesamt drei Bauphasen des Heiligtums, von denen die früheste in das ausgehende 9. Jahrhundert v. Chr. und die letzte in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts datiert werden kann. Der Ausbau der Anlage, die sich zwischen Limnai und dem niedrigen Gelände des Flusses Eurotas befand, wurde vor allem durch die spartanischen Kriege finanziert. Am Anfang bestand das Heiligtum nur aus einer kleinen natürlichen Geländemulde (30 m²), die als Erdaltar eingesetzt wurde. Im Laufe der Jahrhunderte versuchte man mehrmals, einen standfesten Tempel zu errichten, was aber auf Grund der ungesicherten Lage des Heiligtums ein schwieriges Unterfangen war. Überschwemmungen zerstörten die Tempelanlage mehrmals und konnten nur durch massive Sandaufschüttungen (600 v. Chr.) abgewehrt werden, die das Gelände erhöhten. Das ungefähre Aussehen des zuletzt erbauten Tempels veranschaulichte der Xenokles-Maler auf einem Relief aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Die Überreste dieser letzten Tempelanlage sind noch bis heute erhalten geblieben. Etwa 250 n. Chr. bauten die Römer dem Artemis-Tempel gegenüber ein Theater. Dort wurden rituelle Kulthandlungen wie die Geißelung der Epheben (oft bis zum tödlichen Ernst) nachgeahmt und lockten zahlreiche Touristen nach Sparta. Archäologen der School of Athens machten zahlreiche Votivfunde wie Eisenspieße und vor allem die für breite Schichten erschwinglichen Leder- und Bleifiguren (ca. 100.000 Stück). Diese Funde zeigen die Beliebtheit des Kultes bei der Bevölkerung von Sparta.
Der Kult und seine Rituale
Kultlegende: Orestes und Iphigenie raubten das Xoanon (Schnitzbild) der Orthia aus dem Land der Taurer und brachten es anschließend nach Sparta. Alopekos und Astrabakos, die Söhne des Irbos, fanden das Xoanon in einem Keuschlammstrauch und wurden beide sofort wahnsinnig. Andere Spartiaten wollten dem Xoanon der Orthia ein Opfer darbringen, zerstritten sich aber während des Rituals und fingen an, sich gegenseitig umzubringen. Die Überlebenden wurden von einer seltsamen Krankheit befallen und starben ebenfalls kurze Zeit danach. Die verängstigten Spartiaten befragten ein Orakel, welches ihnen riet, der Orthia Menschenopfer darzubringen. Man benutzte ein einfaches Losverfahren, um denjenigen oder diejenige für das Opfer auszuwählen. Dieses blutrünstige Ritual blieb bestehen, bis es von Lykurg durch die Geißelung der Epheben ersetzt wurde. Bei dieser Zeremonie stand eine Priesterin neben dem Altar und hielt das Xoanon der Orthia fest, um das spritzende Blut der Knaben aufzufangen. Sie passte streng auf, dass keiner der Knaben von den Peitschenschlägen verschont wurde, um die Blutgier der Orthia zu befriedigen.
Geißelung der Epheben: Weitere Details zu dieser Zeremonie, die eine zentrale Rolle bei der Initiation und der Erziehung (agoge) spielte, findet man in mehreren antiken Quellen überliefert. Xenophon und Platon berichteten von einem Streit, bei dem es um einen auf dem Altar liegenden Käse ging, den eine Gruppe wegzunehmen und eine andere zu schützen hatte. Spätere Texte beschrieben das Ritual nur noch als Geißelung (diamastígosis). Bei dieser wurden Knaben alljährlich im Beisein ihrer Eltern und Erzieher am Altar der Artemis Orthia ausgepeitscht. Beide Schilderungen des Rituals heben die Ehre hervor, die meisten Schläge zu bekommen und sie mit größter Standhaftigkeit zu ertragen. Die enge Verbindung mit dem Artemis-Orthia-Kult verlangt die Geißelung noch in anderem Kontext zu betrachten: Das Ritual diente nicht nur zur Abhärtung der werdenden Männer, sondern sollte auch eine Stärkung ihrer Zeugungskraft bewirken. Die Zeremonie war ein Kraft- und Fruchtbarkeitszauber zugleich und unterstrich die Rolle der Artemis Orthia als Göttin der Fruchtbarkeit und des Wachstums.
Agone: Zahlreiche Inschriften aus der hellenischen und römischen Zeit beschreiben umfangreiche Rituale (z. B. Tierkämpfe) zu Ehren der Göttin, die aus musischen und athletischen Agonen bestanden. Die Preise waren allesamt geweiht und hatten nur wenig mit dem eigentlichen Wettbewerb zu tun. Archäologen bestätigen mehrere Funde von sichelförmigen Messern (wahrscheinlich Winzermesser) und gehen davon aus, dass sie in Bezug auf den Charakter der Artemis Orthia als Göttin der Fruchtbarkeit und Vegetation standen
Reigentänze: Theseus und Peirithoos kamen beide nach Sparta, sahen das Mädchen (Helena, Tochter des Zeus) im Heiligtum der Artemis Orthia tanzen, raubten sie und entflohen. Dieser Schilderung kann man entnehmen, dass im Kult offenbar Reigentänze stattfanden. Die Teilnehmer bildeten Gruppen, die als Kuhherden bezeichnet wurden, und trugen Schilfkronen und Terrakottamasken. Die Tänze verbanden Gott und Mensch auf einer transzendentalen Ebene miteinander und waren für Mythen, Glaube und Sitte der Spartiaten repräsentativ.
Rezeption in Sprache und Literatur
Zahlreiche Mythen und Legenden haben sich über Sparta gebildet. Auch in der deutschen Sprache hat Sparta Spuren hinterlassen. Es haben sich zwei Adjektive mit seinem Namen gebildet:
spartanisch, das für „streng, hart, anspruchslos, genügsam, einfach“ steht, also Eigenschaften, die sich auf den Charakter und die Lebensweise der Spartiaten beziehen;
lakonisch, das als rhetorische Figur gelten kann und ungefähr „wortkarg“ bedeutet und auf die Neigung der Spartaner zu knappen, trockenen, aber treffenden Formulierungen abzielt. Einen Klassiker bildet die Antwort des spartanischen Königs Agis III. auf eine Drohung eines makedonischen Gesandten, der ihm entgegenschleuderte, sein König werde die ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen, wenn er sie erobert habe. Die Antwort lautete: „Wenn.“ Es kam schließlich auch nicht dazu.
Die Kurzgeschichte Wanderer, kommst du nach Spa… (1950) von Heinrich Böll bezieht sich auf das Thermopylen-Epigramm in der Übersetzung Friedrich Schillers: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest / Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“
Forschungsgeschichte
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sparta setzte in der Renaissance mit der Wiederentdeckung antiker Autoren ein, wurde später teils zum Gegenstand der Idealisierung und zum Mittel der Propaganda und wendet sich heutzutage mit neuen Fragestellungen und verfeinerten Methoden vor allem der Sozialgeschichte zu. Einen ausführlichen Überblick über die Forschungsgeschichte wurde von dem Marburger Professor Karl Christ in der Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband (Sparta, 1986) vorgelegt. Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Entwicklungen und ihre Hauptvertreter genannt werden.
Von den frühen Autoren, die sich zur Verfassung Spartas äußerten, sind Montesquieu und Rousseau zu nennen, die jedoch noch keine zusammenhängenden Werke zu Sparta veröffentlichten, sondern im Rahmen ihrer staatstheoretischen Abhandlungen Lykurg als einen der größten und bewunderungswürdigsten Gesetzgeber des Altertums beurteilten. Dagegen sah Schiller die Verfassung des Lykurg weit kritischer, wie auch Herder später in seinen Vorlesungen über die Philosophie den spartanischen Staat ablehnte. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts begann man Monographien zur Geschichte Spartas und zu den Dorern zu schreiben, unter denen die Werke von Johann Kaspar Friedrich Manso (1800–1805) und Karl Otfried Müller (1824) als erste zu nennen sind. Sparta wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend in allgemeinen Werken zur Geschichte und zum Staatsrecht Griechenlands behandelt.
1925 veröffentlichte Viktor Ehrenberg die Monographie Neugründer des Staates, deren Aussagen heute nur noch teilweise haltbar ist. Helmut Berve (1937) entwickelte ein Sparta-Bild, das der Propaganda des Nationalsozialismus diente, indem die Dorer als nordische Rasse und als Abkömmlinge des nordischen Herrenvolkes instrumentalisiert wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg häufen sich erst ab den 1980er Jahren wieder umfassende Studien zu Sparta, wie die von Manfred Clauss (1983), der von Karl Christ herausgegebene Sammelband (1986) sowie die Monographien von Stefan Link (1994), Lukas Thommen (1996 und 2003), Mischa Meier (1998) und Karl-Wilhelm Welwei (2004). Gleichzeitig gewann die angelsächsische Forschung an Bedeutung, aus der Douglas M. MacDowell (Spartan Law, 1986) und vor allem Paul Cartledge, Stephen Hodkinson und Anton Powell hervorzuheben sind.
Die Forschungsgeschichte Spartas ist insgesamt von der Spannung zwischen entschiedener Ablehnung und begeisterter Bewunderung geprägt. Mit der bereits in der Antike einsetzenden Idealisierung Spartas beschäftigten sich vor allem François Ollier (Le mirage spartiate, 1933), Eugène Napoleon Tigerstedt (The Legend of Sparta in Classical Antiquity, drei Bände, 1965–1978) und schließlich Elizabeth Rawson (The Spartan Tradition in European Thought, 1969).
Siehe auch
Liste der Könige von Sparta
Xenelasie, Antikes Griechenland
Kleomenischer Krieg
Schlacht bei den Thermopylen
Antike Quellen
Herodot: Historien. Deutsche Gesamtausgabe übersetzt von A. Horneffer, hrsg. von H. W. Haussig, mit einer Einleitung von Walter F. Otto. 4. Auflage, Kröner, Stuttgart 1971, ISBN 3-520-22404-6.
Pausanias: Reisen in Griechenland. Gesamtausgabe in drei Bänden auf Grund der Übersetzung von Ernst Meyer. Hrsg. v. Felix Eckstein. 3. Aufl. Artemis, Zürich-München 1986. ISBN 3-7608-3678-X
Plutarch: Große Griechen und Römer. Übersetzt von Konrat Ziegler und W. Wuhrmann. 6 Bde. Artemis, Zürich/Stuttgart 1954–1980. ISBN 3-7608-3607-0
Polybios: Geschichte. Gesamtausgabe in zwei Bänden eingeleitet und übertragen von Hans Drexler. Artemis, Zürich 1961, 1963, 1978. ISBN 3-7608-3614-3
Thukydides: Geschichte des peloponnesischen Krieges. Eingeleitet und übertragen von Georg Peter Landmann. Artemis, Zürich/München 1976, 1981, 1993 (Repr.). ISBN 3-7608-1637-1
Xenophon: Hellenika. griechisch-deutsch, übersetzt und hrsg. v. Gisela Strasburger. Artemis & Winkler, München/Düsseldorf 1970, 2005. ISBN 3-7608-1639-8
Xenophon: Die Verfassung der Spartaner. Übersetzt und herausgegeben von Stefan Rebenich. WBG, Darmstadt 1998. ISBN 3-534-13203-3
Literatur
Ernst Baltrusch: Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. 2. Auflage. Beck, München 2003, ISBN 3-406-41883-X.
Paul Cartledge: Sparta and Lakonia. A Regional History 1300 to 362 BC. 2. Auflage. Routledge, London/New York 2002, ISBN 0-415-26276-3.
Paul Cartledge: The Spartans. The World of the Warrior-Heroes of Ancient Greece. Woodstock 2003.
Paul Cartledge: The Spartans. An Epic History. Pan, London 2013.
Paul Cartledge, Antony Spawforth: Hellenistic and Roman Sparta. A Tale of Two Cities. 2. Auflage. London/New York 2002.
Karl Christ (Hrsg.): Sparta (= Wege der Forschung. Bd. 622). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-08809-3.
Stephen Hodkinson, Anton Powell (Hrsg.): Sparta. New Perspectives. London 1999.
Stefan Link: Das frühe Sparta (= Pharos. Band 13). St. Katharinen 2000, ISBN 3-89590-096-6.
Nino Luraghi: The Ancient Messenians. Cambridge University Press, Cambridge 2008, ISBN 978-0-521-85587-7.
Andreas Luther: Könige und Ephoren. Untersuchungen zur spartanischen Verfassungsgeschichte. Frankfurt am Main 2004.
Andreas Luther, Mischa Meier, Lukas Thommen (Hrsg.): Das frühe Sparta. Stuttgart 2006.
Douglas M. MacDowell: Spartan Law. Edinburgh 1986. ISBN 0-7073-0470-9.
Robert Paeker: Spartan Religion. In: Anton Powell (Hrsg.): Classical Sparta. Techniques behind her success. Oklahoma 1989, S. 142–172.
Paul Anthony Rahe: The Grand Strategy of Classical Sparta: The Persian Challenge. Yale University Press, New Haven 2016, ISBN 978-0-300-11642-7.
Charlotte Schubert: Athen und Sparta in klassischer Zeit. Ein Studienbuch. Metzler, Stuttgart/Weimar 2003.
Raimund Schulz: Athen und Sparta. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-15493-2.
Conrad M. Stibbe: Das andere Sparta. Mainz am Rhein 1996.
Lukas Thommen: Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis. Metzler, Stuttgart 2003, ISBN 3-476-01964-0.
Elisabeth Charlotte Welskopf (Hrsg.): Hellenische Poleis. Krise – Wandlung – Wirkung. 4 Bde., Akademie Verlag, Berlin 1974.
Karl-Wilhelm Welwei: Sparta. Aufstieg und Niedergang einer antiken Großmacht. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-94016-2
Michael Whitby (Hrsg.): Sparta. Routledge, New York 2002.
Weblinks
Lehrvideos über Sparta von Dr. Michael Zerjadtke: Teil 1 (Quellen, Geographie und Geschichte), Teil 2 (Bürgerrecht, Erziehung, Syssitien), Teil 3 (Staatsorgane Apella/Könige/Gerusia/Ephoren), Teil 4 (Militär und Peloponnesischer Bund)
Einzelnachweise
Archäologischer Fundplatz auf dem Peloponnes
Antike griechische Stadt
Kultort der Artemis
Kultort der Demeter
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Q5690
| 246.158277 |
5786
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zagreb
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Zagreb
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Zagreb (deutsch veraltet Agram; ) ist die Hauptstadt und die größte Stadt Kroatiens. Die Stadt Zagreb selbst hat auch die Funktionen einer Gespanschaft. Die nähere Umgebung der Stadt bildet getrennt von dieser die Gespanschaft Zagreb, deren Verwaltungssitz auch die Stadt Zagreb ist. In Zagreb residieren ein katholischer Erzbischof (Erzbistum Zagreb), die Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste sowie wichtige Verwaltungs- und Militärbehörden. Als Handels- und Finanzzentrum hat die Stadt nationale und regionale Bedeutung.
Name der Stadt
Der Name Zagreb kommt vermutlich von zagrabiti „(Wasser) schöpfen“. Anderen Quellen zufolge bedeutet Zagreb „hinter dem Berge“ (kroatisch za bregom) oder „hinter dem Damm“ (za grebom).
Bevölkerung
Nach der Volkszählung von 2011 lebten 790.017 Menschen in der Stadt. Im Umland, in dem sich Vororte und nahegelegene kleinere Städte wie Dugo Selo, Samobor, Velika Gorica oder Jastrebarsko befinden, lebten 317.606 Menschen.
93,14 % von ihnen waren Kroaten, 2,22 % Serben, 1,03 % Bosniaken und 2,31 % zählten zu einer anderen Minderheit, darunter Ungarn, Slowenen, Tschechen und Ukrainer.
Ca. 87 % der Zagreber waren 2011 bekennende Katholiken, 2 % orthodoxe Christen, 1 % Muslime, 4 % Atheisten und 4 % Agnostiker. 2 % nannten eine andere Religionsgemeinschaft.
Anmerkungen
Geschichte
Der Name Zagreb wurde zum ersten Mal im Jahre 1094 erwähnt, als der in Personalunion ungarisch-kroatische König Ladislaus I. die Zagreber Diözese gründete. Die Stadt entwickelte sich aus den beiden Siedlungskernen Kaptol (Bischofsstadt) im Osten und Gradec (Oberstadt) im Westen. Kaptol war die Stadt des Klerus, in der seit dem 11. Jahrhundert der Bischof und die Kanoniker des Zagreber Bistums residierten. In der Oberstadt auf dem westlich benachbarten Bergsporn siedelten sich Kaufleute und Handwerker an. Interessenskonflikte zwischen den beiden Siedlungen führten immer wieder zu Auseinandersetzungen.
Im 13. Jahrhundert war Südosteuropa von teils verheerenden Eroberungsfeldzügen der Mongolen betroffen. Béla IV., von 1235 bis 1270 König von Kroatien und Ungarn, organisierte von Gradec aus die Verteidigung. Aus Dankbarkeit für die Unterstützung verlieh er 1242 den Einwohnern von Gradec die Bulla Aurea, ein Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit. Durch dieses Dokument wurde Gradec zur freien königlichen Stadt; eine Zeit wirtschaftlicher Blüte begann. Es entstanden Paläste, Kirchen und Befestigungswerke nach mittel- und westeuropäischem Vorbild.
1557 wurde Zagreb erstmals als Kroatiens Hauptstadt erwähnt. Die Stadt lag im Hinterland der 1583 zur Abwehr der Türken eingerichteten Militärgrenze. 1669 wurde eine jesuitische Akademie (Neoacademia Zagrabiensis) gegründet; ein Vorläufer der 1874 gegründeten Universität Zagreb.
Später entwickelte sich im Süden der beiden Bergsiedlungen langsam die Unterstadt (Donji grad), zunächst um den im 17. Jahrhundert angelegten späteren Hauptplatz, den heutigen Ban-Jelačić-Platz.
18. und 19. Jahrhundert
Von 1756 bis 1776 war Varaždin die Hauptstadt Kroatiens. 1850 wurden die Städte Gradec und Kaptol zur Stadt Zagreb vereint und mit der Unterstadt verbunden. Die Unterstadt wuchs schnell. Ein schweres Erdbeben richtete 1880 beträchtlichen Schaden an, ermöglichte jedoch auch eine Modernisierung und dynamische Weiterentwicklung der Stadt.
Kaptol ist bis heute das Zentrum der katholischen Kirche und des geistlichen Lebens in Kroatien. Gradec, heute Oberstadt genannt, wurde zum politischen und administrativen Zentrum. In der Unterstadt mit ihren vielen prächtigen Gebäuden aus dem späten 19. Jahrhundert pulsiert das wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Leben.
Zagreb war zur Zeit des Königreichs Ungarn Sitz des Komitats Zágráb.
Zwischenkriegszeit
Am 29. Oktober 1918 beschloss das kroatische Parlament in Zagreb die Aufhebung sämtlicher staatsrechtlicher Beziehungen zwischen Kroatien und der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Am selben Tag wurde der Staat der Slowenen, Kroaten und Serben mit Zagreb als Hauptstadt gegründet. Zu Erinnerung daran wurde eine Gasse in der Nähe des St.-Markus-Platzes in Gornji Grad „Straße des 29. X. 1918“ genannt.
Am 1. Dezember vereinigte sich der neue Staat mit dem Königreich Serbien zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das später in Königreich Jugoslawien umbenannt wurde. Staatsoberhaupt wurde der serbische König Peter I. Vier Tage später demonstrierten die Einwohner von Zagreb auf der Ilica-Straße gegen die Staatsregierung. Die königliche serbische Gendarmerie erschoss 20 Menschen, die als „Dezember-Opfer“ bekannt wurden.
Während des Königreichs Jugoslawien war Zagreb das ökonomische und kulturelle Zentrum und die zweitgrößte Stadt des Landes. In etwa 20 Jahren stieg die Bevölkerung durch die Immigration aus armen Dörfern um den Faktor 2,5 an. Am 15. Mai 1926 wurde die erste Übertragung von Radio Zagreb gesendet. Sie startete mit den Worten „Halo, halo! Ovdje Radio Zagreb!“ (dt. „Hallo, hallo! Hier Radio Zagreb!“).
Zweiter Weltkrieg
Im Frühjahr 1941 eroberte die Wehrmacht innerhalb weniger Wochen das Königreich Jugoslawien und das Königreich Griechenland. Zagreb war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Hauptstadt des Unabhängigen Staates Kroatien, eines Vasallenstaates der Achsenmächte.
Vor dem Weltkrieg lebten in Zagreb ca. 12.000 Juden, danach waren es nur noch wenige tausend. Heute gibt es in ganz Kroatien 3000 Menschen jüdischen Glaubens; 2000 davon zählen zur jüdischen Gemeinde von Zagreb.
Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien
Am 8. Mai 1945 wurde Zagreb von der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee unter Tito besetzt. Kroatien wurde als Sozialistische Republik Kroatien in die Föderative Volksrepublik Jugoslawien, die spätere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, eingegliedert.
In den Jahren 1970 und 1971 war Zagreb der Mittelpunkt des Widerstandes gegen die kommunistische Regierung. Es fanden Demonstrationen gegen die Politik der Belgrader Zentralregierung statt. Der Kroatische Frühling wurde niedergeschlagen und endete mit Massenverhaftungen.
Am 10. September 1976 kollidierten bei Zagreb ein jugoslawisches und ein britisches Flugzeug. 176 Menschen (darunter zahlreiche Deutsche) starben.
1987 fand in Zagreb die Universiade statt. Die Stadt war Gastgeber des Eurovision Song Contest 1990 im Konzerthaus „Vatroslav Lisinski“, weil im Jahr davor die kroatische Band Riva aus Zadar mit dem Lied Rock Me gewann.
Kroatische Unabhängigkeit und Kroatienkrieg
Nach dem Fall der Mauer war der Ostblock zerfallen.
Im März 1991 begann die Jugoslawische Volksarmee den Kroatienkrieg. Am 25. Juni 1991 erklärte das kroatische Parlament die Unabhängigkeit Kroatiens von Jugoslawien und Zagreb zur Hauptstadt des Landes. Im September 1991 begannen massive Kampfhandlungen, unter anderem die Schlacht um Vukovar.
Am 7. Oktober 1991 feuerte ein Kampfflugzeug der JNA eine Luft-Boden-Rakete in das Zagreber Regierungsgebäude, in dem sich Präsident Tuđman und weitere Regierungsmitglieder befanden. Niemand wurde ernsthaft verletzt. Zagreb war damals überfüllt mit Flüchtlingen aus Ostslawonien, insbesondere aus der Stadt Vukovar.
Am 8. Oktober 1991 setzte Kroatiens Regierung die nach einer Volksabstimmung erklärte Unabhängigkeit offiziell in Kraft.
Am 2. und 3. Mai 1995 schlugen beim Raketenbeschuss auf Zagreb Streubomben in der Innenstadt ein. Sieben Menschen starben und 214 wurden verletzt.
900-Jahr-Feier
1994 feierte man Zagrebs 900-jähriges Jubiläum. Papst Johannes Paul II. kam nach Zagreb und feierte am 11. September eine Messe auf der Zagreber Reitbahn mit mehr als einer Million Gläubigen.
21. Jahrhundert
Am Morgen des 22. März 2020 ereignete sich ein Erdbeben mit der Stärke 5,4 Mw, dessen Epizentrum wenige Kilometer nördlich der Stadt lag. Zahlreiche Gebäude wurden schwer beschädigt, speziell in der Altstadt. Ein Teil der südlichen Turmspitze der Kathedrale brach ab.
Geografie
Zagreb liegt 122 Meter über dem Meeresspiegel im kontinentalen Bereich Mittelkroatiens am Fuß des nördlich gelegenen Medvednica-Gebirges. Es liegt an einem Schnittpunkt zwischen Mittel- und Südeuropa. Die Stadt erstreckt sich an beiden Seiten der Save, des größten Flusses Sloweniens und Kroatiens. Sie befindet sich im Südwesten der Pannonischen Tiefebene in einem Gebiet, das auch Hrvatsko Prigorje genannt wird. Die Entfernung zum Adriatischen Meer beträgt etwa 170 Kilometer.
Klima
Politik
Zagreb ist die Hauptstadt und der Regierungssitz der Republik Kroatien.
In Zagreb tagt auch das kroatische Parlament, der Sabor. Das Regierungsviertel befindet sich in der Gornji Grad (Obere Stadt), der Altstadt von Zagreb. Stärkste Fraktion im Stadtrat ist die Zeleno–lijeva koalicija ().
Wirtschaft
Im Jahr 2004 wurde ungefähr 30 % des kroatischen Bruttosozialprodukts in Zagreb erwirtschaftet. 2011 steuerte Zagreb ein Drittel zum Bruttosozialprodukt bei. Es ist der wichtigste Wirtschaftsstandort Kroatiens.
Wichtige Wirtschaftszweige in Zagreb sind die Pharmaindustrie, die Elektrotechnik, der Handel und der Tourismus.
Im südöstlichen Teil der Stadt liegt das größte Industriegebiet Žitnjak.
Die Kroatische Nationalbank und die einzige kroatische Börse haben ihren Sitz in Zagreb.
Viele Unternehmen wie z. B. der Öl- und Gaskonzern INA haben ihren Hauptsitz in Zagreb. Im Westen der Stadt sind der Pharmakonzern Pliva, der Elektrotechnikkonzern Končar Group und Ericsson-Tesla.
Besucher aus den EU-Nachbarländern haben Zagreb als Einkaufsstadt entdeckt: es gibt Einkaufszentren an der Peripherie im Osten und Westen der Stadt; in der Zagreber Innenstadt gibt es die Hauptgeschäftsstraße Ilica mit zahlreichen traditionsreichen Handwerkergeschäften wie zum Beispiel Schustern, Hutmachern, Ledertaschenläden, Küfnern, Boutiquen und Juwelieren.
Die Messe Zagreb (Zagrebački Velesajam) ist der bedeutendste Messestandort der Region.
In Zagreb hat auch die Deutsch-Kroatische Industrie- und Handelskammer ihren Sitz.
Verkehr und Transport
Zagreb ist sowohl im Bereich Straße als auch im Bereich der Eisenbahn eine Zwischenstation des Paneuropäischen Verkehrskorridors X.
Eisenbahn
Zagreb ist ein wichtiger Knotenpunkt im Netz der Kroatischen Eisenbahnen. Südlich des Stadtzentrums befindet sich am König-Tomislav-Platz der für den Personenverkehr bedeutsame Hauptbahnhof (Glavni kolodvor). Internationale Direktverbindungen im Tagesverkehr werden unter anderem nach Ljubljana (2:30 Stunden), Budapest (6 Stunden), Belgrad (6 Stunden), Wien (6 Stunden), München (6 Stunden) und Frankfurt am Main (Kurswagen, ca. 12 Stunden) sowie mit Nachtzug (EN) von und nach Stuttgart (via Bahnhof München Ost) und Zürich angeboten. Andere Reiseziele erfordern gegenwärtig das Umsteigen in Villach.
Im innerkroatischen Verkehr wird Split in sechs Stunden erreicht. Im Schienenpersonennahverkehr werden neben dem Hauptbahnhof auch der westlich des Stadtzentrums gelegene Westbahnhof (Zapadni kolodvor) sowie die südlich der Save liegende Station Zagreb Klara bedient. Ebenso verfügt Zagreb über ein schienengebundenes Nahverkehrssystem mit mehreren innerstädtischen Haltestellen. Südlich der Save befindet sich zudem ein großer Rangierbahnhof.
Straße
Zagreb ist durch ein gut ausgebautes Autobahn-Netz unter anderem mit den Hafenstädten Rijeka und Split und der Region Dalmatien (A1) sowie mit der ostkroatischen Region Slawonien (A3) verbunden, darüber hinaus auch mit Slowenien (A2) und Ungarn (A4).
Luftverkehr
Zagreb besitzt einen internationalen Verkehrsflughafen, gelegen etwa 20 km südöstlich des Stadtzentrums auf dem Gebiet der Ortschaft Pleso. Der IATA-Flughafencode ist ZAG.
ÖPNV und Fernbusse
Der ÖPNV der Stadt wird im Wesentlichen vom kommunalen Verkehrsunternehmen Zagrebački električni tramvaj (ZET) durchgeführt. ZET betreibt die Straßenbahn Zagreb sowie den örtlichen Stadtbusverkehr. Darüber hinaus existiert in Zagreb außerdem eine Standseilbahn. Es verkehrt außerdem noch eine Gondelbahn auf den Sljeme.
Der Hauptbahnhof befindet sich im Zentrum der Stadt am König-Tomislav-Platz.
Südöstlich des Stadtzentrums befindet sich der Busbahnhof (Autobusni kolodvor Zagreb) an der Avenija Marina Držića. Von hier werden nahezu alle Landesteile Kroatiens sowie zahlreiche Städte Europas regelmäßig angefahren.
Wissenschaft und Forschung
Höchste wissenschaftliche Einrichtung in Kroatien ist die Kroatische Akademie der Wissenschaften. Die Universität Zagreb wurde als Jesuitenhochschule am 23. September 1669 gegründet und ist eine der ältesten Universitäten in Ostmitteleuropa. Die Gebäude der Fakultäten befinden sich in mehreren Stadtteilen; die zur Universität Zagreb gehörende Universitätsbibliothek Zagreb liegt seit 1995 in einem Stadtteil außerhalb des Zentrums. Die Kunstakademie Zagreb und die Musikakademie Zagreb genießen internationalen Ruf.
Weitere Hochschulen sind die Gesundheitshochschule in Zagreb, die Sozialwissenschaftliche Fachhochschule in Zagreb und die Technische Fachhochschule in Zagreb.
Das im Jahr 1950 gegründete Institut Ruđer Bošković ist das größte interdisziplinäre Institut Kroatiens und beschäftigte im Jahr 2005 insgesamt 200 Wissenschaftler.
Medien
Eine Auswahl der in Zagreb erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften:
Večernji list, Tageszeitung
Jutarnji list, Tageszeitung
24 sata, Tageszeitung
Nacional, Wochenzeitung
Dnevnik, Wirtschaftszeitung
Im 19. und 20. Jahrhundert erschienen auch zwei deutschsprachige Tageszeitungen für Zagreb, das Agramer Tagblatt und die Agramer Zeitung.
Religion
Sehenswürdigkeiten
Kaptol (Bischofsstadt)
Der Bezirk auf einem Bergsporn um die Kathedrale bildete sich mit der Gründung des Zagreber Bistums im 11. Jahrhundert. Hier residierte nicht nur der Bischof, sondern nach Norden erstreckten sich zu beiden Seiten der Hauptstraße die geräumigen Hofe der Domherren. Außerhalb im Süden und Norden siedelten sich Bedienstete und Handwerker an und bildeten mit der Zeit zwei Vorstädte. Die Kernanlage wurde im 15. Jahrhundert mit einer noch erkennbaren Mauer versehen.
Die Kathedrale von Zagreb (Mariahimmelfahrt, ehemals Stefansdom; Katedrala svetog Stjepana): Das Wahrzeichen der Stadt ist die im 13. Jahrhundert neu errichtete und später veränderte Kathedrale. Um 1510 wurde sie mit einer wuchtigen Artilleriebefestigung mit Eckrondellen umgeben. Auf ihrem Vorplatz, der heute den Namen des Kaptols trägt, befindet sich der Madonnenbrunnen mit vier goldenen Engeln und einer Säule, auf der eine goldene Marienstatue thront.
Die Kirche des heiligen Franz (Crkva svetog Franje): Die Kirche des im 13. Jahrhundert gegründeten Franziskanerklosters besticht durch viele schöne Buntglasfenster. Sie wurde um 1900 aufwändig renoviert. Im Kloster nebenan findet man die Kapelle Sveti Franjo.
Die Marienkirche (Crkva svete Marije): Die Kirche entstand als Sakralbau eines Zisterzienserklosters. Sie ist mit barocken Altären ausgestattet. Ansonsten vermischen sich barocke und gotische Stilelemente. Sie befindet sich an der Westseite des Dolac-Markts.
Der Erzbischofspalast (Nadbiskupska palača): Der Bischofspalast zieht sich dreiseitig um die Kathedrale Sveti Stjepana.
Die ehemaligen Kurien der Domherren säumen die Hauptstraße.
Der Gemüse- oder Grünmarkt (Dolac): Auf dem zentralen und größten Markt der Stadt Zagreb werden seit 1926 Käse, Obst, Gemüse sowie Fleisch-, Wurst- und Backwaren angeboten. Vom Ban-Jelačić-Platz kommend erreicht man ihn über Treppenstufen entlang des „Blumenmarktes“.
Der Ban-Jelačić-Platz (Trg bana Jelačića): Dieser zentrale Platz zwischen Ober- und Unterstadt entstand erst im 17. Jahrhundert als neuer Marktplatz. Er wurde im 19. Jahrhundert nach Joseph Jelačić von Bužim (Josip Jelačić Bužimski) benannt. Er war ein Feldherr und Ban von Kroatien, außerdem k.&.k. Feldzeugmeister und Kommandeur des Maria Theresien-Ordens und gilt als kroatischer Nationalheld. Dieser zentrale Platz wurde von Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1991, also vor der Unabhängigkeit Kroatiens „Platz der Republik“ genannt. Wegen der zentralen Lage dient der Platz häufig als Ausgangspunkt für Besichtigungen und Ausflüge. Der Ban-Jelačić-Platz ist eine große Fußgängerzone, in der nur Straßenbahn, Bus und Taxi eine Fahrerlaubnis haben. Hier befindet sich auch das Geschäfts- und Bankenzentrum der Stadt. Von der westlich an den Platz anschließenden Fußgängerzone Ilica ist die Standseilbahn zu erreichen, die Ober- und Unterstadt verbindet.
Gornji Grad (Oberstadt)
Die westlich des Kathedralberges im 13. Jahrhundert auf älteren Siedlungsplätzen planmäßig angelegte Oberstadt zeichnet sich durch eine geschlossene historische Bebauung aus, die heute besonders durch die Architektur des Barock und des Historismus geprägt wird. Die im 13. Jahrhundert angelegte Stadtmauer mit ihren vier Toren ist in ihrem Verlauf noch gut ablesbar. Eindrucksvolle Adelspalais wechseln mit kleineren, eingeschossigen Anwesen der Bürger, Handwerker und Kaufleute ab.
Die St.-Markus-Kirche (Crkva svetog Marka) ist die alte Pfarrkirche von Gornji Grad und wurde vermutlich zuerst im 13. Jahrhundert angelegt. Der heutige Bau entstand im letzten Viertel des 14. des Jahrhunderts als dreischiffige Hallenkirche. 1866 und 1882 wurde die Kirche grundlegend erneuert. Das Dach mit den zwei Wappen stammt aus dem Jahr 1880. Es besticht durch ein einzigartiges Dachziegelbild in Form zweier Wappen. Links befindet sich das Wappen Kroatiens, Dalmatiens und Slawoniens, rechts das Stadtwappen. Im Innern des Gebäudes kann man Bildhauerkunst betrachten. Vieles davon entstammt vom bekannten kroatischen Bildhauer Ivan Meštrović.
Der Banal-Hof (Banski dvori): Einst diente es als Sitz des Vizekönigs (Bans) in Kroatien. Der im 17. Jahrhundert entstandene Ban-Palast dient heute als Regierungssitz.
Das Parlamentsgebäude (Sabor): Das kroatische Parlamentsgebäude wurde 1908 erbaut und liegt gegenüber dem Ban-Palast am Markusplatz (Markov trg), auf dem die Markuskirche steht. In diesem ehemaligen Palast residierten früher einmal die kroatischen Bane.
Der Lotrščak-Turm (kroatisch Kula Lotrščak): Der Turm stammt aus dem 13. Jahrhundert und steht in direkter Nähe zur Bergstation der Drahtseilbahn. Täglich um 12 Uhr wird hier ein Kanonenschuss abgefeuert. Unterhalb des Turmes befördert die Zahnradbahn Fahrgäste von der Oberstadt in die Unterstadt und umgekehrt.
Das Steinerne Tor (Kamenita vrata): Von der ehemaligen Stadtbefestigung aus dem 13. Jahrhundert ist nur noch das „Steinerne Tor“ übrig geblieben. Einst führten fünf Stadttore in Gornji Grad hinein. Ein Brand zerstörte 1731 einen Großteil der Nachbarhäuser, wobei nur ein Bild der Maria mit Jesuskind am Tor der Legende nach unbeschädigt blieb. Daraufhin wurde das Steinerne Tor zu einer kleinen Kapelle umgebaut, die bis heute als Gebetsstätte für Gläubige dient.
Das Zagreber Stadtmuseum – Muzej Grada Zagreba: Aus dem ehemaligen Nonnenkloster der heiligen Klara, einem ehemaligen Kornspeicher, und einem Turm aus dem 12. Jahrhundert, entstand das Stadtmuseum am nördlichen Rand des Stadtteiles Gradec. In diesem Museum werden u. a. Karten, Stadtansichten, Wappen, Uniformen und Gemälde ausgestellt.
Donji Grad (Unterstadt)
Die Unterstadt entstand vor allem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich die Besiedlung Zagrebs in die Ebene nach Süden ausdehnte. Das sehenswerte Areal zeichnet sich durch eine große Anzahl von qualitätvollen und gut erhaltenen Bauten des Historismus (etwa 1860 bis 1900) und des Jugendstils aus und besitzt auch einige bemerkenswerte Projekte der architektonischen Moderne.
Das Grüne Hufeisen (Zelena potkova): Es wurde von dem Architekten Milan Lenucci unter Verwendung älter Strukturen ab etwa 1870 geschaffen und verbindet Plätze und Grünlagen des städtischen Zentrums zu einer eindrucksvollen Gesamtfigur. Hier befinden sich wie in der Wiener Ringstraße repräsentative öffentliche Gebäude vor allem im Stil des Historismus.
Das Kroatische Nationaltheater in Zagreb (Hrvatsko narodno kazalište): Es ist der westliche Kopf des Grünen Zagreber Hufeisens. Das Bauwerk wurde von den Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer entworfen und 1895 vollendet.
Das Archäologische Museum (Arheološki muzej): Es zeigt hauptsächlich Gegenstände aus Kroatien. Es liegt am Ende des Grünen Hufeisens. Besonders wertvoll sind die ägyptischen und numismatischen Stücke. Im Museum befindet sich eine ägyptische Mumie und der weltweit längste erhaltene Text in etruskischer Sprache. Des Weiteren ist noch eine Sammlung griechischer Vasen erwähnenswert.
Der 1898 eröffnete Kunstpavillon (Umjetnički paviljon) ist eine internationale Kunst- und Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst.
Das Volkskundemuseum: Es wird das kroatische Kunsthandwerk ausgestellt. Es liegt am linken Schenkel des Grünen Hufeisens.
Das Mimara-Museum (Muzej Mimara): Das Mimara-Museum zeigt die Geschenke des Unternehmers und Restaurators Ante Topić Mimara und seiner Gattin. Hervorstechend sind die archäologische Abteilung, eine Skulpturensammlung und etliche Gemälde.
Der Botanische Garten (Botanički vrt): Er liegt in der Verbindung zwischen den beiden Schenkeln des Grünen Zagreber Hufeisens und ist von November bis April geschlossen. Der Park ist etwa 50.000 m² groß. Rund 10.000 Pflanzenarten gedeihen hier, darunter etwa 1.800 exotische Gewächse aus der ganzen Welt, hauptsächlich jedoch aus Asien. Auf schön angelegten Pfaden kann man zwischen Nadelhölzern, künstlichen Gewässern, Pavillons und Gewächshäusern der Universität flanieren und die vielgestaltete Schönheit der Bäume, Sträucher, Blumen sowie der in speziellen Teichen gezogenen Wasserpflanzen genießen. Im Jahr 2000 ist der Park generalsaniert worden, da einige der Gehölze mit Ungeziefer befallen waren.
Außerhalb des Stadtzentrums befindet sich der Mirogoj-Friedhof: Ab Kaptol fährt eine Buslinie zu dem etwa 4 Kilometer entfernten Friedhof am Fuße des Medvednica-Gebirges. Außer den Gräbern bedeutender Kroaten sind die beiden Arkaden baulich hervorstechende Erscheinungen.
Parks
Das Denkmal von König Tomislav: Im Jahr 925 wurde Tomislav in Tomislavgrad (Regierungszeit 910–928) zum ersten König von Kroatien gekrönt. Zu seinen Ehren steht ein Reiterstandbild am Tomislav Trg in einem kleinen Park, in der unmittelbaren Nähe des Zagreber Hauptbahnhofes.
Zrinski-Platz (Trg Nikole Šubića Zrinskog, umgangssprachlich Zrinjevac): Das Ende des Zagreber „Grünen Hufeisens“ ist der Park mit einem Pavillon in der Parkmitte und liegt an der Praška-Straße. Der Pavillon wird im Sommer für künstlerische Veranstaltungen genutzt. Am Nordende des Parks befindet sich eine Wetterstation. Am Südeingang findet man mehrere Büsten historisch bedeutender Persönlichkeiten.
Maksimir Park (Park Maksimir): Diese im Jahre 1794 geschaffene Parkanlage ist die größte Südeuropas und beherbergt auch den Zoologischen Garten von Zagreb, Eichenwälder, idyllische Seen und Wiesen. Der Park liegt im Osten der Stadt.
Dotrščina-Gedenkpark, Gedenkstätte
Andere Sehenswürdigkeiten
Museum für zeitgenössische Kunst (Muzej suvremene umjetnosti)
Das Importanne Centar ist ein großes Einkaufszentrum im Herzen der Stadt. Es erstreckt sich über eine Fläche von 10.000 m².
Mit 92 m ist der Cibona-Tower eines der höchsten Gebäude der Stadt.
Das Regent Esplanade ist eines der legendären Bauwerke in Zagreb und hat bei den Bewohnern der Stadt beinahe denselben Stellenwert wie der Dom oder das Nationaltheater. 1925 wurde Zagreb durch das Hotel zu einer wichtigen Station des Orient-Express. Berühmte Persönlichkeiten wie Charles Lindbergh, Josephine Baker oder Elizabeth Taylor waren hier schon zu Gast. Nach einer längeren Renovierung wurde es 2004 wieder eröffnet.
Fernsehturm Zagreb
Der Eurotower ist mit 97,8 m das höchste Hochhaus der Stadt.
In unmittelbarer Nähe der Stadt liegt das Bergland von Zagreb, die Medvednica. Die Medvednica ist ein bewaldetes Gebirge; die höchste Erhebung ist die Sljeme (1032 m). Zwischen Stadtrand und Gipfel verkehrt eine Seilbahn. Zu den Sehenswürdigkeiten gehört die Veternica Höhle, in der prähistorische Lebensspuren gefunden wurden, und die mittelalterliche Burg Medvedgrad.
Regelmäßige kulturelle Veranstaltungen
Dokumentarfilmfestival Zagrebdox
Internationaler Wettbewerb für junge Dirigenten Lovro von Matačić
Internationales Theaterfestival des neuen Theaters Eurokaz
Zagreb Film Festival
Jüdisches Filmfestival Zagreb
Zagreb Pride
Kammermusik Festival Zagrebački međunarodni festival
Organisationen
In Zagreb hat das Filmstudio Zagreb Film seinen Sitz. Es produzierte seit 1953 mehr als 600 Animationsfilme, gewann über 400 internationale Preise (darunter einen Oscar) und begründete durch seinen einzigartigen Stil die Zagreber Schule.
Stadtbezirke
Die Stadtbezirke (kroatisch Gradski četvrti) in alphabetischer Reihenfolge, mit in Klammern angegebener Bevölkerungszahl aus dem Jahr 2011, sind:
Sport
Basketball
Der Basketball-Rekordmeister KK Cibona kommt aus Zagreb. Neben Cibona Zagreb spielt auch KK Cedevita in der überregionalen ABA-Liga. KK Zagreb hingegen spielt in der 1. kroatischen Basketballliga. Es gibt auch einen Zagreber Damen-Basketball-Verein und einen Zagreber Veteranen-Basketball-Verein.
Eishockey
Der KHL Medveščak Zagreb ist der erfolgreichste Eishockeyverein Kroatiens. Von der Saison 2009/10 bis 2012/2013 nahm der Verein aufgrund der deutlichen Überlegenheit auf nationaler Ebene an der Österreichischen Eishockey-Liga teil. Seit der Saison 2013/2014 spielt der Verein in der russischen Kontinental Hockey League. Zudem gibt es in Zagreb mit dem KHL Grič den einzigen reinen Fraueneishockey-Verein in Kroatien.
Fußball
Der mit Abstand bekannteste Fußballverein Zagrebs ist Dinamo Zagreb, welcher seine Heimspiele im Maksimir-Stadion austrägt. Der Verein ist Kroatiens Rekordmeister, Rekordpokalsieger, hat einige Meistertitel und Pokale im ehemaligen Jugoslawien errungen und gewann 1967 einen europäischen Pokal, den Messepokal. Daneben gibt es in Zagreb noch die Vereine NK Zagreb, NK Lokomotiva, NK Lučko und NK Hrvatski dragovoljac, wie auch zahlreiche kleine lokale Clubs wie z. B. NK Hašk. Die 1. Liga heißt 1. HNL.
Handball
Der Verein RK Zagreb ist kroatischer Rekordmeister im Handball. Daneben spielen noch RK Agram Medvešćak und RK Dubrava in der 1. kroatischen Handballliga.
Der RK Zagreb gewann in den Jahren 1992 und 1993 die EHF Champions League der Männer und erreichte 1995, 1997, 1998 und 1999 das Finale. Zudem wurde er 18 mal kroatischer Handballmeister und 15-mal Pokalsieger. Er ist in Kroatien ohne gleichwertige Konkurrenz. So wurde er auch von 1991 bis heute in jedem Jahr, außer 2001 und 2002, wo nur der Meistertitel errungen wurde, Meister und Pokalsieger.
Ski Alpin
Im Januar 2005 fand auf dem Zagreber Hausberg Medvednica unter der Bezeichnung Snow Queen Trophy das erste alpine Slalom-Rennen der Damen statt. Das erste Slalom-Rennen der Herren im alpinen Skiweltcup fand im Februar 2008 statt.
Tennis
In Zagreb finden das Tennisturnier Zagreb Open und die internationale Ruderregatta Grand Prix Jarun statt.
Im August 2005 fand auf der Regattastrecke des Jarun-Sees die Weltmeisterschaft im Kanurennsport statt.
Volleyball
Der Verein HAOK Mladost Zagreb wurde 1949 gegründet. Sowohl die Herren- als auch die Damenmannschaft stellten vielfach den Landesmeister in Jugoslawien und in Kroatien. Die Mannschaften waren auch unter den drei Erstplatzierten der Indesit European Champions League.
Wasserball
HAVK Mladost Zagreb ist der erfolgreichste Wasserballklub aus der Hauptstadt Kroatiens. Mehrfacher kroatischer Meister und auch Europacupsieger der Landesmeister.
Verschiedenes
Partnerstädte
Zagreb unterhält Städtepartnerschaften mit folgenden Städten:
(Deutschland), seit 1967
(Russland), seit 1968
(Albanien)
(Norwegen), seit 1971
(Japan), seit 1972
(Polen), seit 1975
(Portugal), seit 1977
(USA), seit 1980 (China), seit 1980
(Italien), seit 1984
(Ungarn), seit 1994
(Österreich), seit 1994
(Bosnien und Herzegowina), seit 2001
(Slowenien), seit 2001
(Montenegro), seit 2006
(Vereinigtes Königreich), seit 2009
Persönlichkeiten
Weiteres
In Österreich wird manchmal noch die Bezeichnung Agram anstatt „Zagreb“ verwendet.
Die im Herzen des amerikanischen Bundesstaates Minnesota gelegene Gemeinde Agram (Morrison County) hat ihren Namen von der kroatischen Hauptstadt.
Zagreb 1 ist der Name einer Bohrinsel der Crosco-Bohrgesellschaft.
Zagreb war der Name eines Zerstörers der Beograd-Klasse, das 1941 versenkt wurde.
Der Hauptgürtel Asteroid (187700) Zagreb, der von kroatischen Astronomen entdeckt wurde, trägt den Namen der kroatischen Hauptstadt.
In der Zeit vom 28. Dezember 2006 bis 1. Januar 2007 fand in Zagreb das 29. Europäische Jugendtreffen der Communauté de Taizé statt.
1986 drehte Jackie Chan seinen Film Der rechte Arm der Götter (englisch: Armour of God) in der Altstadt von Zagreb.
Im September 2017 wurde der „Marschall-Tito“-Platz in „Platz der Republik Kroatien“ umbenannt.
In einer Studie des Beratungsunternehmens Mercer zur Lebensqualität in 231 Städten der Welt belegte Zagreb den 98. Platz. (Stand: 2018)
Literatur
Uwe Mauch: Zagreb: Die kroatische Hauptstadt und ihre Umgebung. Trescher, Berlin 2011, ISBN 978-3-89794-176-2.
Eve Blau, Ivan Rupnik: Project Zagreb, Actar (Harward University Press), ISBN 978-84-96540-57-6.
Kriegszerstörungen in der Zagreber Altstadt Grič. Die Folgen des Luftangriffes vom 7. Oktober 1991. 157. Ausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien gemeinsam mit dem Muzej Grada Zagreba. Otto-Wagner-Pavillons auf dem Karlsplatz, 12. bis 29. Dezember 1991. 50 Fotos. Ausstellungsplakat mit der Rückseite als Ausstellungskatalog.
Film
Im Bauch von Zagreb. Der Dolac-Markt. Dokumentarfilm, Italien, Deutschland, 2015, 43:07 Min., Buch und Regie: Stefano Tealdi und Dana Budisavljević, Produktion: Stefilm, Ma.ja.de, ZDF, Arte, RAI, RSI, HRT, Reihe: Im Bauch von …, Erstsendung: 15. Juli 2015 auf Arte, Inhaltsangabe bei der ARD.
Weblinks
Offizielle Web-Seite von Zagreb
fivestars.hr Ein Internetportal zur Stadt (englisch)
Kurzinformation auf der Homepage der Partnerstadt Mainz
360°-Ansichten von Zagreb (Virtuelle Tour durch Zagreb) (mit Erläuterungen auf Kroatisch)
Markante Gebäude
Einzelnachweise
Hauptstadt in Europa
Kroatische Gespanschaft
Hauptstadt in der EU
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Q1435
| 1,075.53357 |
306805
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hornkieselschw%C3%A4mme
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Hornkieselschwämme
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Die Hornkieselschwämme (Demospongiae, deutsch: Volksschwämme) ist die mit Abstand artenreichste Klasse im Stamm der Schwämme (Porifera). Die Encyclopedia of Life verzeichnet 7.491 Arten in 481 Gattungen (Stand: September 2023). Das Taxon der Demospongiae, zu dem auch drei Süßwasserschwämme zählen, beinhaltet 80 bis 90 Prozent aller rezenten Schwammspezies.
Verbreitung
Vertreter der Hornkieselschwämme sind in allen Meeren der Welt anzutreffen, die Anzahl an Spezies, sowie die Gesamtzahl der Schwämme ist in wärmeren Regionen nachweislich deutlich höher.
Merkmale
Hornkieselschwämme haben sich an unterschiedliche Lebensräume, bis hin zur Tiefsee angepasst und sind sehr vielfältig in ihren Farben und Formen. Alle Schwämme dieser Klasse besitzen distinkte Zellen und bilden daher mit den Kalkschwämmen Calcarea das Taxon der Cellularia.
Das Skelett enthält das Protein Spongin und Spicula (Skelettnadeln), die aus Siliziumdioxid bestehen. Diese Art der Skelettnadeln werden auch als Kieselspicula bezeichnet. Bekannt sind auch einige Arten, deren Skelette entweder nur aus Spongin oder nur aus Spicula bestehen. Durch das Spongin werden die Spicula zusammengehalten. Wenn keine Spicula vorhanden sind, wird das Skelett durch stark verflochtenes Spongin gebildet. Die Hornkieselschwämme sind die einzige Gruppe der Schwämme, welche Spongin bilden.
Lebensweise
Alle Hornkieselschwämme leben aquatisch und als blinde, sessile Tiere. Unterschiedliche Demospongiaearten treten in verschiedenen Meerestiefen auf, wo sie sich als omnivore Filtrierer ernähren. Die Fortpflanzung kann sowohl sexuelle als auch asexuell erfolgen.
Über die sogenannte Schwammschleife sind Hornkieselschwämme dazu in der Lage die im Wasser gelösten Stoffwechselprodukte von Korallen zu verwerten. Anschließend stoßen sie die Überreste des organischen Materials in einer gröberen Form wieder aus, so dass es Schlangensternen, Meeresschnecken und Krebstieren als Nahrung dient.
Erforschung
In den letzten Jahrzehnten wurden bei zahlreichen acquatischen Lebewesen Substanzen entdeckt, die sich möglicherweise biotechnologisch oder medizinisch nutzen lassen. Innerhalb der Schwämme wurden hier insbesondere die Hornkieselschwämme im Hinblick auf diese Potenziale erforscht. Zu den möglichen pharmazeutischen Anwendungsgebieten zählen Mikroorganismen, die entweder als Virostatikum, Antioxidans, Antimykotikum oder im Bereich der antimikrobiellen Wirkstoffe genutzt werden könnten. Aus den bioaktiven Bestandteile könnte man, nach Ansicht der Forscher, möglicherweise auch Arzneimittel gegen Plasmodien oder zur Behandlung von Krebs generieren.
Nutzung durch den Menschen
Einige Arten wie z. B. der „Pferdeschwamm“, Hippospongia equina oder Spongia officinalis, der auch als Gewöhnlicher Badeschwamm bezeichnet wird, aus der Unterklasse Ceractinomorpha und Ordnung Dictyoceratida werden als Badeschwämme oder Menstruationsschwämme vermarktet und genutzt. Heute wird jedoch der größte Teil dieser Schwämme (ebenso wie Verhütungsschwämme) synthetisch hergestellt.
Systematik
Die Klasse der Hornkieselschwämme wird aktuell (Stand September 2023) in drei Unterklassen und folgenden Ordnungen gegliedert, von denen eine erst 2012 neu geschaffen wurde. Dabei zeigt sich eine große Dynamik bei Zuordnung und Namensgebung, wenn man diese Taxonomie mit der Klassifikation von vor 20 Jahren vergleicht.:
Unterklasse Heteroscleromorpha (Cárdenas, Pérez & Boury-Esnault, 2012) mit 32 Ordnungen
Astrophorina (Sollas, 1887)
Haplosclerida Topsent, 1928
Xestospongia testudinaria (Großer Vasenschwamm) (Lamarck, 1815)
Homosclerophorida (Dendy, 1905)
Clionaida (Morrow & Cárdenas, 2015)
Spheciospongia vesparium (Lamarck, 1815)
Poecilosclerida Topsent, 1928
Spongillida (Manconi & Pronzato, 2002)
Lubomirskia baicalensis (Pallas, 1776)
Suberitida (Chombard & Boury-Esnault, 1999)
Einsiedlerschwamm (Suberites domuncula) (Olivi, 1792)
Tethyida (Morrow & Cárdenas, 2015)
Tethya aurantium (Pallas, 1766)
Unterklasse Keratosa Grant, 1861 mit 2 Ordnungen
Dendroceratida (Minchin, 1900)
Dictyoceratida (Minchin, 1900)
Unterklasse Verongiida Bergquist, 1978
Chondrosiidae (Schulze, 1877)
Chondrillida (Redmond, Morrow, Thacker, Diaz, Boury-Esnault, Cardenas, Hajdu, Lobo-Hajdu, Picton, Pomponi, Kayal & Collins, 2013)
Verongiida (Bergquist, 1978)
Literatur
Weblinks
Watch out they Bight! Three new Carnivorous sponges found in Great Australian Bight, auf: scimex.org vom 15. Januar 2021, Queensland Museum Media Release.
Jacinta Bowler: Scientists Just Discovered 3 New Kinds of Carnivorous Sponge in The Deep Ocean, auf: sciencealert vom 18. Januar 2021.
Einzelnachweise
Schwämme
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Q248530
| 223.994722 |
24589
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https://de.wikipedia.org/wiki/Calciumoxid
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Calciumoxid
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Calciumoxid, auch gebrannter Kalk, Branntkalk, ungelöschter Kalk, Kalkerde, Ätzkalk oder Freikalk ist eine chemische Verbindung aus Calcium und Sauerstoff mit der Formel CaO. Die weiße kristalline Substanz reagiert mit Wasser unter starker Wärmeentwicklung. Bei dieser Reaktion wird Calciumhydroxid (Löschkalk) nach der Reaktionsgleichung
CaO + H2O -> Ca(OH)2
gebildet. Gebrannter Kalk wird in Weichbrannt-, Mittelbrannt- und Hartbranntkalk unterschieden.
Herstellung
In größerer Menge wird Calciumoxid durch Kalkbrennen (Kalzinierung) im Kalkofen hergestellt. Ab einer Temperatur von etwa 800 °C wird Calciumcarbonat (in aller Regel Calcit in Form von Kalkstein) entsäuert, das heißt Kohlendioxid wird ausgetrieben und es entsteht Calciumoxid. Dabei werden 1,8 Teile Kalkstein benötigt, um 1 Teil Branntkalk zu gewinnen.
CaCO3 -> CaO + CO2
Man unterscheidet die Branntkalke u. a. nach ihrer Reaktionsgeschwindigkeit (Reaktivität) des Kalkes mit Wasser während des Löschvorgangs:
< 2 min Reaktionsdauer: Weichbranntkalk
2–6 min Reaktionsdauer: Mittelbranntkalk
> 6 min Reaktionsdauer: Hartbranntkalk
Es gibt keine präziseren Definitionen.
Weichgebrannter Kalk entsteht bei Temperaturen von 900 bis 1000 °C, hartgebrannter Kalk bei bis zu 1400 °C, wobei auch die petrographische Beschaffenheit des Kalksteins und die Zeitdauer der Temperatureinwirkung eine Rolle spielen.
Die Reaktivität nimmt also mit höherer Brenntemperatur ab. Die Unterschiede sind eine Folge von Kristallitgröße des CaO, Porenvolumen und spezifischer Oberfläche, die durch Brenntemperatur und -dauer beeinflusst werden (diese Parameter des Brennvorgangs nennt man zusammenfassend auch Brenngrad).
Calciumoxid erhält man auch durch thermisches Zersetzen von Calciumhydroxid; dieses zerfällt bei 550 °C unter Atmosphärendruck in Calciumoxid und Wasser. Das unter diesen Bedingungen entstandene Calciumoxid ist wenig kristallin, also gut reaktionsfähig.
Calciumoxid (und Calciumnitrid) entstehen auch bei der Verbrennung von Calcium an der Luft. Weil elementares Calcium selten ist, wird diese Reaktion nur im Rahmen von Laborversuchen durchgeführt.
Im Jahr 2007 wurden weltweit rund 280 Millionen Tonnen Branntkalk produziert, mit 170 Millionen Tonnen mehr als die Hälfte davon in China und nur 20 Millionen Tonnen in den USA als dem zweitgrößten Produzenten.
Natürliches Vorkommen
Unter den Bedingungen der Sanidinit-Fazies kann reiner Kalkstein, wenn er etwa unter geringem Druck (d. h. in der Nähe der Erdoberfläche) in basaltische Lava hoher Temperatur gerät, zu Calciumoxid zersetzt werden. Solche Vorkommen sind sehr selten, und aufgrund der hohen Reaktivität von Calciumoxid werden in natürlichen Gesteinen nur Pseudomorphosen beobachtet.
Eigenschaften
Gebrannter (ungelöschter) Kalk (früher auch als lebendiger Kalk bzw. lateinisch calx viva bezeichnet) ist stark ätzend, daher kann der Kontakt mit den Augen zur Erblindung führen.
Branntkalk ist chemisch nicht stabil und reagiert spontan mit dem CO2 aus der Luft, bis er vollständig in Calciumcarbonat übergegangen ist, sofern er nicht zuvor mit Wasser zu Calciumhydroxid abgelöscht wurde.
Bei der Reaktion mit Wasser vergrößert sich das Volumen um wenigstens das Zweieinhalbfache.
Der Verlauf des Löschvorgangs und die Eigenschaften des dabei gebildeten Löschkalks hängen von der Zusammensetzung und Beschaffenheit des Branntkalks ab.
Die Löschreaktion kann bereits nach einigen Sekunden abgeschlossen sein, kann aber auch mehr als eine Viertelstunde andauern, abhängig etwa von der inneren Oberfläche (Porosität), der Primärkristallitgröße, dem Versinterungsgrad und der Zusammensetzung des Branntkalks.
Der Verlauf der Kalzination beim Brennen von Kalkstein zu Branntkalk ist weitgehend beherrschbar und vorhersagbar. Dagegen ist es (Stand 2005) noch nicht möglich, eine befriedigende Prognose über die Reaktivität des entstehenden Branntkalks alleine durch Kenntnis der Zusammensetzung des Ausgangsmaterials zu treffen. Sie hängt von den genauen Bedingungen ab, unter denen der Brennvorgang stattfindet.
Branntkalk ist hydrophil und ein effizienteres Trocknungsmittel als Silikagel.
Verwendung
Gebrannter und anschließend (mit Wasser) gelöschter Kalk wird in der Bauindustrie als Beimischung zu Mörtel und Putzen verwendet sowie zur industriellen Fertigung von Kalksandsteinen. Er ist ein untergeordneter Bestandteil von Zementklinker. In der Chemie nutzt man die Substanz außerdem als Trocknungsmittel, zur Absorption von Kohlenstoffdioxid und als Neutralisationsmittel. Weitere Einsatzbereiche von Branntkalk sind z. B. Düngekalk, die Produktion von Calciumcarbid sowie seine Nutzung zur Herstellung von Kalkmörtel, Kalkputz und Kalkfarbe.
Einer der wesentlichen Einsatzbereiche ist die Entschwefelung von Roheisen, bei dem der Schwefel [S] als Begleiter [ FeS ] vorkommt und bei der Stahlerzeugung im Konverter herausgelöst werden muss.
Dabei wird Kalk (CaO) entweder in das Roheisen eingeblasen oder mit einem Rührer eingemischt. Der Kalk verbindet sich mit dem Schwefel zu Calciumsulfid [CaS], steigt zur Oberfläche auf, setzt sich dort als Schlacke ab und kann dann entfernt werden.
Der gelöschte Kalk wird unter anderem als Alternative zum Kalkstein in der Rauchgasentschwefelung eingesetzt.
Die Einsatzmenge ist hierbei ca. 1,8-fach geringer als die von Kalkstein. Der dabei aus Branntkalk gewonnene Gips (Calciumsulfat) hat einen Weißgrad von 80 % und kann kommerziell weiterverwendet werden. Durch seine hohe Reaktivität werden geringere Verbrauchsmengen benötigt. Nachteil ist sein deutlich höherer Preis gegenüber Kalkstein.
Durch Reaktion mit Chlor kann aus Calciumhydroxid Chlorkalk hergestellt werden.
Calciumoxid wird Lebensmitteln als Säureregulator zugesetzt. Es dient dabei in erster Linie als sogenannter technischer Hilfsstoff, der im fertigen Lebensmittel nicht mehr vorhanden ist.
Es ist in der EU als Lebensmittelzusatzstoff unter der Bezeichnung E 529 ohne Höchstmengenbeschränkung, aber mit der Maßgabe, nur die technisch wirklich benötigte Menge zu verwenden (quantum satis), für Lebensmittel allgemein zugelassen.
Früher wurde Calciumoxid zur Kaustifizierung von Soda und Pottasche eingesetzt, was für die Seifenherstellung von großer Bedeutung war.
Man verwendete Calciumoxid auch als Ätzkalkladung von Geschützen und Blendtöpfen, die mit Katapulten geworfen wurden.
Ätzkalk hat eine geruchsbindende Wirkung, wenn er in den Sammelbehälter von offenen Feldtoiletten (Plumpsklo) eingestreut wird.
Ungelöschter Kalk wurde zur Desinfektion von Marktplätzen und Begräbnisstätten verwendet.
Er wird gelegentlich anstelle des Löschkalks zur Desinfektion von Ställen (dem „Kalken“ der Ställe) eingesetzt.
Es sollte jedoch nicht mit Stroh oder ähnlichem leichtentzündlichen Material in Kontakt kommen, da die Temperatur von rund 180 °C, die sich bei der Reaktion mit Feuchtigkeit entwickelt, in seltenen Fällen zur Entzündung ausreichen kann.
Als Desinfektionsmittel fand Ätzkalk in Pulverform oder Kalkmilch (Mischung von Ätzkalk mit Wasser) breite Anwendung im Eisenbahnbetrieb, einmal zur Desinfektion der Toiletten in Personenwagen, hauptsächlich aber zur Desinfektion der Viehwagen durch Tünchen der Wände und des Bodens mit Kalk.
Nach einem Augenzeugenbericht wurde Ätzkalk in der Zeit des Nationalsozialismus zumindest im Bereich des Durchgangsghettos Izbica auf dem Boden von Zugwaggons verteilt, die Opfer des Holocaust zu den Vernichtungslagern transportierten. Beim Kontakt mit der feuchten menschlichen Haut verursachte es gefährliche Verätzungen der Gefangenen.
Sicherheitshinweise
Ungelöschter Kalk kann unter Wasserzufuhr (Kalklöschen) aufgrund von Hitzeentwicklung Brände verursachen.
Weblinks
www.nassloeschkurve.de Informationsportal zur Reaktivität von Calciumoxid mit detaillierten wissenschaftlichen Erläuterungen
Einzelnachweise
Calciumverbindung
Oxid
Bindemittel
Lebensmittelzusatzstoff (EU)
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Q185006
| 100.360719 |
9640763
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https://de.wikipedia.org/wiki/2020er
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2020er
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Die 2020er-Jahre (ungenau auch Zwanzigerjahre genannt) haben am 1. Januar 2020 begonnen und enden am 31. Dezember 2029.
Zu Beginn des Jahrzehnts führte die Verbreitung des zuerst lokal in der chinesischen Stadt Wuhan aufgetretenen Coronavirus SARS-CoV-2 zur COVID-19-Pandemie mit weltweit weitreichenden Folgen für Gesellschaft, Wirtschaft und Sport.
Um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, kam es fast in allen Ländern weltweit zu Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben. Es wurden staatlich neuartige Hygieneverordnungen durchgesetzt, wie die räumliche Distanzierung, die Vorschrift zum Tragen von Schutzmasken und ein Herunterfahren des öffentlichen Lebens, welche zeitweise Schließungen von Bildungseinrichtungen, nicht lebensnotwendigen Geschäften und das Aussetzen touristischer Reisen beinhaltet. Auch wurden 2020 zahlreiche Großveranstaltungen, unter anderem die Olympischen Spiele, die Fußball-Europameisterschaft und die Expo in Dubai um ein Jahr verschoben. Das Ausbildungs- und Arbeitsleben verlagert sich in den digitalen Bereich, wo ersatzweise zum Präsenzdienst Angebote wie „Home-Office“ und Videokonferenzen eingesetzt werden. Ab Ende 2020 lief eine globale Impfkampagne mit verschiedenen COVID-19-Impfstoffen an, von denen bis Mai 2022 mehr als 10 Milliarden Impfdosen verabreicht wurden. Bis dahin gab es über 500 Millionen bestätigte Infektionen, die mehr als 6 Millionen Menschen nicht überlebten.
Am 24. Februar 2022 begann der russische Überfall auf die Ukraine, auf den vor allem die „Westliche Welt“ mit weitreichenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland reagierte.
Aufgrund der steigenden Durchschnittstemperaturen und ungewöhnlicher Wetterereignisse mit dramatischen Folgen werden die Maßnahmen gegen den Klimawandel drastisch beschleunigt, unter anderem der Ausstieg aus der fossilien Energie und Verbot von Verbrennerfahrzeugen. Norwegen wird 2025 als erstes Land der Welt nur noch Elektroautos neu zulassen.
Schätzungen zufolge wird sich das Bevölkerungswachstum in Indien in den nächsten Jahrzehnten kaum abschwächen; damit wird Indien die Volksrepublik China in den 2020er Jahren als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen.
Mit dem Start des Chatbots ChatGPT im November 2022 wird Künstliche Intelligenz einer breiten Masse an Internetbenutzern zugänglich.
Vorsätze
Dekade der bäuerlichen Kleinstbetriebe (UNO), 2019–2028
Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung (UNO), 2021–2030
Dekade der indigenen Sprachen (UNO), 2022–2032
Ereignisse (teilweise voraussichtlich)
Politik
2020: 6. Januar: Tötung Suleimanis durch amerikanischen Militäreinsatz im Iran, daraufhin landesweite Proteste gegen die USA.
2020: 7. Januar: Angelobung der Bundesregierung Kurz II in Österreich, einer Koalitionsregierung bestehend aus der Österreichischen Volkspartei und den Grünen.
2020: 25. Januar: In Frankreich wird die erste COVID-19-Infektion in Europa bestätigt.
2020: 30. Januar: Die Weltgesundheitsorganisation stuft den COVID-19-Ausbruch zur „Gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite“ ein.
2020: 31. Januar: Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union
2020: 27. März: Nordmazedonien tritt als 30. Mitglied der NATO bei.
2020: 27. Mai: Beginn der Unruhen in Minneapolis, nachdem der unter Fentanyl stehende Afroamerikaner George Floyd zuvor, unbewaffnet von einem Polizisten getötet wurde.
2020: 12. Juli: Eskalation im Krieg um Bergkarabach, der erst am 10. November endet.
2020: 9. August: Nach dem umstrittenen Sieg Aljaksandr Lukaschenkas bei der Präsidentschaftswahl in Belarus kommt es zu den größten Massenprotesten in der Geschichte von Belarus.
2020: 3. November: Die Präsidentschaftswahl sowie die Senatswahlen und die Wahlen zum Repräsentantenhaus in den Vereinigten Staaten finden statt. Joe Biden wird zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt.
2021: 6. Januar: Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C.
2021: 20. Januar: Joe Biden wird zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt.
2021: Mai: Israel-Gaza-Konflikt
2021: 15. August: Die Taliban bringen weite Teile Afghanistans, darunter die Hauptstadt Kabul unter ihre Kontrolle.
2021: 8. Dezember: Olaf Scholz wird deutscher Bundeskanzler.
2022: Januar: Proteste in Kasachstan führen zum Rücktritt des Kabinetts Mamin.
2022: Februar: Eskalation des Ukrainekonflikts und Einmarsch Russlands
2022: 6. September: Liz Truss wird Premierministerin des Vereinigten Königreichs.
2022: 8. September: Tod von Königin Elisabeth II. Neuer König ist Charles III.
2022: 16. September: Der Todesfall Mahsa Amini führt zu landesweiten Protesten gegen das Regime der Islamischen Republik Iran und sorgt weltweit für Aufsehen.
2022: 24. Oktober: Rishi Sunak wird Premierminister des Vereinigten Königreichs.
2023: 1. Januar: Kroatien wird Mitglied der Eurozone und des Schengen-Raums.
2023: 4. April: Finnland tritt als 31. Mitglied der NATO bei.
Wirtschaft
2020: Infolge der COVID-19-Pandemie kommt es zur Wirtschaftskrise 2020–2021.
2020: Bulgarien und Kroatien treten am 10. Juli dem Wechselkursmechanismus II bei.
Katastrophen
2020: Die Buschfeuer in Australien halten im Januar an.
2020: Am 8. Januar sterben beim Abschuss eines Flugzeugs der Ukraine International Airlines in Teheran 176 Menschen.
2020: Beim Erdbeben in der Türkei am 24. Januar 2020 mit der Stärke 6,7 sterben 41 Menschen; über 1600 werden verletzt. Das Epizentrum befindet sich in der Provinz Elazığ.
2020: Am 22. März ereignet sich ein Erdbeben bei Zagreb. Es fordert ein Menschenleben und siebzehn Verletzte.
2020: Die fortschreitende weltweite Verbreitung der COVID-19-Pandemie versetzt die Gesundheitssysteme weltweit in Alarmbereitschaft.
2020: Bei Tornados und schweren Stürmen in den USA sterben am Ostersonntag 32 Menschen. In mehr als 1,3 Millionen Haushalten fiel der Strom aus.
2020: Das Horn von Afrika und Pakistan werden von einer der schlimmsten Heuschreckenplagen seit Jahrzehnten heimgesucht.
2020: In Beirut ereignet sich am 4. August im Hafen eine Explosionskatastrophe.
2021: Ab Mai kommt es zu einer Reihe starker Hitzewellen in Osteuropa und Sibirien, im Juni zu einer massiven Hitzewelle in Nordamerika, einhergehend mit zahlreichen Waldbränden (darunter in Kalifornien) und hunderten Todesopfern, weiters im Laufe des Sommers zu einer Hitzewelle und Waldbränden in Südeuropa und der Türkei. Im Juli führen starke Unwetter zu schweren Überschwemmungen durch das Hochwasser in West- und Mitteleuropa und das Hochwasser in Henan (China).
2023: 6. Februar: Durch zwei schwere Erdbeben insbesondere in den türkischen Provinzen Kahramanmaraş und Gaziantep sowie im Norden Syriens stürzen zehntausende Gebäude ein. Dadurch sterben mehr als 56.000 Menschen und mehr als 110.000 werden verletzt. Laut WHO handelt es sich um die schwerste Naturkatastrophe in Europa seit einem Jahrhundert.
Terroranschläge
2020: Am 19. Februar sterben bei einem rechtsextremen Terroranschlag in Hanau elf Menschen.
2020: Im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine wird am 16. Oktober der Lehrer Samuel Paty von einem islamistischen Attentäter enthauptet.
2020: Am 2. November ereignet sich in Wien ein islamistischer Terroranschlag.
2023: Am 7. Oktober ereignet sich der Terror-Angriff der Hamas auf Israel.
Soziales
2020: 31. Oktober: Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg (BER)
2023: 15. April: Deutschland steigt vollständig aus der Stromerzeugung mittels Kernenergie aus. Die letzten drei deutschen Kernkraftwerke (Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2), alles Konvoi-Druckwasserreaktoren mit jeweils rund 1400 Megawatt Leistung, werden endgültig abgeschaltet und zurückgebaut.
2025: Eröffnung von Stuttgart 21 und der damit verbundenen Neubaustrecke Wendlingen–Ulm
2026: Fertigstellung der Sagrada Família im 100. Todesjahr des Architekten Antoni Gaudí in Barcelona nach 144 Jahren Bauzeit
2028: Der Pachtvertrag über den Moldauhafen in Hamburg läuft aus.
Technik und Wissenschaft
Physik und Raumfahrt
2020: Am 19. Juli bricht die Raumsonde al-Amal der Vereinigten Arabischen Emirate zum Mars auf. Vier Tage darauf folgt ihr die chinesische Sonde Tianwen-1 und am 30. Juli startet die Sonde Mars 2020 der NASA.
2021: Am 25. Dezember wird das James-Webb-Weltraumteleskop mit einer Ariane-5-Rakete vom Raumfahrtzentrum Guayana ins Weltall befördert.
Forschung und Technik
2022: Der Chatbot ChatGPT ist seit 30. November der Öffentlichkeit zugänglich.
Religion
2020: Nach einem positiven Gerichtsbeschluss wird die Hagia Sophia seit dem 24. Juli wieder als Moschee genutzt.
2022: 31. Dezember: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. stirbt in Rom.
Kultur
2020: Kulturhauptstadt Europas: Galway (Irland) und Rijeka (Kroatien)
2021: Kulturhauptstadt Europas: Timișoara (Rumänien), Eleusis (Griechenland), Novi Sad (Serbien)
2022: Kulturhauptstadt Europas: Esch an der Alzette (Luxemburg), Kaunas (Litauen)
2022: documenta fifteen in Kassel
2022: Vom PEN-Zentrum Deutschland spaltet sich die Konkurrenzvereinigung PEN Berlin ab.
2022: Deutschland gibt einen Teil seiner Benin-Bronzen zurück.
2023 Kulturhauptstadt Europas: Timisoara (Rumänien), Veszprém (Ungarn), Eleusis (Griechenland)
Oscar-Gewinner
2020: Parasite
2021: Nomadland
2022: Coda
2023: Everything Everywhere All at Once
Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes
2020: Verleihung abgesagt
2021: Titane
2022: Triangle of Sadness
2023: Anatomie eines Falls
Sport
2021: Fußball-Europameisterschaft 2021 in verschiedenen europäischen Ländern (Europameister: Italien)
2021: Olympische Sommerspiele 2020 in Tokio
2022: 33. Fußball-Afrikameisterschaft in Kamerun (Afrikameister: Senegal)
2022: Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar (Weltmeister: Argentinien)
2022: Olympische Winterspiele 2022 in Peking
2024: Olympische Sommerspiele 2024 in Paris
2024: Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland
2026: Olympische Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo
2026: Fußball-Weltmeisterschaft 2026 in Kanada, Mexiko und den USA
2028: Fußball-Europameisterschaft 2028
2028: Olympische Sommerspiele 2028 in Los Angeles
Astronomische Ereignisse
14. Dezember 2020: Totale Sonnenfinsternis. Sichtbar im Pazifik, Chile, Argentinien und im Südatlantik.
12. August 2026: Totale Sonnenfinsternis über Nord- und Mitteleuropa sowie Sibirien.
2029: Die Raumsonde New Horizons der NASA verlässt voraussichtlich das Sonnensystem.
2029: Der Asteroid (99942) Apophis passiert die Erde in kurzer Distanz.
Jahrestage
25. März 2021: 200. Jahrestag des Beginns der griechischen Revolution mit dem Ziel eines freien und souveränen Griechenlands.
22. April 2024: 300. Geburtstag des deutschen und Königsberger Philosophen Immanuel Kant.
3. Juni 2024: 100. Todestag von Franz Kafka.
4. Juli 2026: 250 Jahre Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika vom Königreich Großbritannien.
20. Oktober 2027: 200. Jahrestag der Schlacht von Navarino.
28. Januar 2028: 700. Todestag von Meister Eckhart.
25. Oktober 2029: 100. Jahrestag des Beginns der Weltwirtschaftskrise.
Weblinks
Einzelnachweise
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Q534495
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https://de.wikipedia.org/wiki/Paramaribo
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Paramaribo
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Paramaribo [] ist die Hauptstadt und gleichzeitig einer von zehn Distrikten der Republik Suriname in Südamerika. Die Volkszählung von 2012 ergab 240.924 Einwohner, was fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Landes ausmacht.
Geografie
Die Stadt liegt am linken Ufer des Flusses Suriname, ca. 23 km stromaufwärts vom Atlantik entfernt.
Geschichte
Der Name Paramaribo ist wahrscheinlich von einem Karibendorf, Parmirbo, abgeleitet. Im Jahr 1613 gründeten die beiden Niederländer Dirck Claeszoon van Sanen und Nicolaas Baliestel eine kleine Handelsgesellschaft in der Nähe von Parmirbo am Westufer des Suriname. Zum Schutz gegen Überfälle durch Kariben war der Posten von Palisaden umgeben.
Nach mehreren gescheiterten Versuchen von Europäern, bleibend Fuß zu fassen, fiel der Posten 1651 in englische Hände. Die Engländer bauten den Posten im Auftrag von Francis Willoughby in ein Fort um, das Fort Willoughby. Sie siedelten sich jedoch weiter südlich, etwa 50 km vom Fort entfernt, am Suriname-Fluss an. Als Zentrum des neu in Besitz genommenen Gebietes gründeten die Engländer hier die Stadt Torarica.
Im Jahre 1667 wurde das Gebiet für die Zeeländer unter Abraham Crijnssen erobert. Das Fort erhielt nun den Namen Fort Zeelandia und der Ort Paramaribo wurde für kurze Zeit in Neu Middelburg umbenannt. Hiermit wurde das Fort zum Zentrum der Kolonie. Vom Fort aus breitete sich die Stadt erst in westliche und dann in südliche Richtung aus. Trotzdem bestand die Stadt selbst 1683 lediglich aus einer Ansammlung von 27 Gebäuden. Erst aus dem Jahr 1790 gibt es Berichte über die Zählung von mehr als 1000 Gebäuden.
Die Stadt wurde bei zwei Großbränden 1821 und 1832 in Teilen zerstört.
Nach Abschaffung der Sklaverei 1863 und dem Ablauf der darauffolgenden zehnjährigen Arbeitspflicht 1873 (staatstoezicht) zogen viele Ex-Sklaven in die Stadt. Dies machte die erste große Stadterweiterung erforderlich. Nach 1950 kam es durch die Zunahme der Bevölkerung zu weiteren größeren städtischen Bauprojekten. Im Jahre 1987 fand dann in Suriname eine Gebietsreform und Verwaltungsneugliederung statt. Der Distrikt Paramaribo wurde hierbei in zwölf Ressorts aufgeteilt.
Nach den Ergebnissen der Wohnungs- und Volkszählung im Jahre 2012 ging die Bevölkerungszahl von Paramaribo gegenüber der vorherigen Zählung im Jahre 2004 leicht zurück.
Architektur und Bevölkerung
Die Architektur von Paramaribo vermischt vorwiegend niederländische, französische und später auch amerikanische Einflüsse, welche eng mit den historischen Entwicklungen zusammenhängen. Hierdurch hat Paramaribo einen Stil entwickelt, bei dem hauptsächlich Holz- und weniger Ziegelsteine verwendet wurden. Auch spiegelt sich die multi-ethnisch und multi-religiös zusammengesetzte Bevölkerung in der Vielzahl unterschiedlicher und unterschiedlich gestalteter religiöser Gebäude, wie Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempeln wider.
Seit Juli 2002 steht das historische Zentrum von Paramaribo auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO.
Wirtschaft und Verkehr
Paramaribo ist der wichtigste Hafen des Landes, von hier aus werden die Erzeugnisse des Landes nach Übersee verschifft. Über den kleinen Flughafen Zorg en Hoop werden vor allem Personen und Güter in das unwegsame Binnenland transportiert.
Städtepartnerschaften
(Belgien)
(China)
Söhne und Töchter der Stadt
Weblinks
Übersichtskarte von Paramaribo (niederländisch)
Einzelnachweise
Hauptstadt in Südamerika
Ort mit Seehafen
Ort in Suriname
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Q3001
| 155.401119 |
2085
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https://de.wikipedia.org/wiki/Gestein
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Gestein
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Als Gestein bezeichnet man mehr oder weniger stark verfestigte, natürlich auftretende, in der Regel mikroskopisch heterogene Gemische aus Mineralkörnern, Gesteinsbruchstücken, organischen oder anorganischen Ausscheidungen oder Rückständen von Lebewesen. Das Mischungsverhältnis dieser Bestandteile schwankt innerhalb eines gegebenen Gesteinskörpers nur geringfügig, sodass dieser bei freiäugiger Betrachtung in der Regel einheitlich (homogen) wirkt.
Die Untersuchung der Lithogenese (von „Stein, Felsblock, Gestein“ und -genese), Petrogenese ( „Stein“) oder Gesteinsbildung ist zentrales Gebiet der Petrologie und Geologie, aber auch der Geophysik und Geochemie.
Die meisten Gesteine der Erdkruste (und auch der übrigen terrestrischen Planeten) sind Silikatgesteine (Hauptbestandteile Quarz, Feldspäte, Amphibole, Pyroxene), nur ein kleiner Teil der Gesteine besteht überwiegend aus Karbonaten oder anderen Mineralklassen oder Stoffgruppen.
Ein größeres Volumen eines bestimmten Gesteines, das sich in der Erdkruste befindet oder im Gelände zu Tage tritt, wird gemeinhin als Gesteinsformation bezeichnet (nicht gleichzusetzen mit dem zwar ähnlichen, aber wesentlich exakter definierten Formationsbegriff in der Lithostratigraphie).
Begriffsbestimmung
Der geologische Gesteinsbegriff ist weiter gefasst als der umgangssprachliche und bezieht auch natürlich auftretende Metall-Legierungen, vulkanisches Glas, Eis, lockeren Sand oder Kohle ein. Die Lehre von den Gesteinen, die Petrologie, ist ein Teilgebiet der Geowissenschaften. Beispiele für verschiedene Gesteinsarten sind in der Liste der Gesteine zu finden.
Die Erde und die inneren Planeten des Sonnensystems bauen sich aus sehr großen, räumlich zusammenhängenden Massen von Gesteinen auf. Jedoch sind diese nur an der Oberfläche der Erdkruste sichtbar und zugänglich, insbesondere in Gebirgen, die durch tektonische Vorgänge der Gebirgsbildung entstehen.
Die Lehre von der Be- und Verarbeitung von Gesteinen und Erden, deren Charakter nichtmetallisch ist, nennt man Gesteinshüttenkunde.
In der Medizin spricht man bei der Bildung von Gallensteinen, Speichelsteinen und Nierensteinen ebenfalls von einer Lithogenese.
Zusammensetzung, Gefüge und Struktur
Gesteine bestehen im Wesentlichen aus Mineralen, von denen aber nur etwa dreißig einen bedeutenden Anteil an der Gesteinsbildung haben, die darum ‚gesteinsbildende Minerale‘ genannt werden. Vor allem sind dies Silikate wie Feldspäte, Quarz, Glimmer, Amphibole oder Olivin, aber auch Karbonate wie Calcit oder Dolomit sind wichtige Bestandteile von Gesteinen. Neben diesen Hauptgemengteilen (die mineralischen Komponenten, die mehr als 10 % der Gesamtmasse ausmachen) enthalten die meisten Gesteine noch so genannte Nebengemengteile (Komponenten, die zwischen 10 und 1 % ausmachen) oder Akzessorien (Komponenten, die nur zu <1 % enthalten sind). Häufig sind die Akzessorien für ein Gestein namensgebend. Des Weiteren ist durchweg ein gewisser Anteil Wasser vorhanden, als Kristallwasser oder Porenwasser.
Als Gefüge eines Gesteins bezeichnet man vor allem seine Textur – die räumliche Lage und Verteilung der Minerale in einem Gestein, die sich aus den Eigenschaften und dem Verhältnis der gesteinsbildenden Minerale zueinander ergibt – und die Struktur, die sich auf die geometrischen Eigenschaften der einzelnen Gesteinsbestandteile bezieht. Dazu gehören relative und absolute Größe, die Form der Kristalle oder Mineralkörner und die Art des Kornverbandes.
Gesteinsklassen und Entstehung
Gesteine lassen sich entsprechend ihrer Entstehung (Genese) grob in drei Klassen unterteilen: magmatische Gesteine, Sedimentgesteine, und metamorphe Gesteine. Innerhalb dieser Klassen wird weiter untergliedert. Die gesamte Geschichte eines Gesteins, von seiner ursprünglichen Bildung bis zu seinem heutigen Zustand, wird als Petrogenese bezeichnet.
In der Geotechnik und zahlreichen verwandten Wissenschaften wie der Bodenkunde unterscheidet man Gesteine anhand ihrer mechanischen Eigenschaften grundsätzlich in zwei Gruppen, die Festgesteine und die Lockergesteine. Bei den Festgesteinen werden insbesondere unter dem Aspekt der Bearbeitbarkeit und Verwendbarkeit Hartgesteine von Weichgesteinen unterschieden.
Magmatische Gesteine
Magmatische Gesteine (Magmatite, Erstarrungsgesteine) entstehen durch das Erkalten und Auskristallisieren des geschmolzenen Materials aus dem Erdinneren, des so genannten Magmas. Die Nomenklatur von magmatischen Gesteinen nach ihrem Mineralbestand kann im Streckeisendiagramm abgelesen werden.
Findet das Erkalten tief in der Erdkruste (tiefer als 5 km) statt, spricht man von Plutoniten oder Intrusivgesteinen (Tiefengestein). Durch die verhältnismäßig gute Wärmeisolation der aufliegenden Gesteine kühlt sich die Magmaschmelze nur langsam ab, sodass große, das heißt mit bloßem Auge deutlich sicht- und unterscheidbare Mineralkristalle entstehen können. Beispiele für plutonische Gesteine sind Granit, Granodiorit, Syenit, Diorit oder Gabbro. Das Magma kann riesige Gesteinsmassen bilden, die so genannten Plutone, die oft mehrere Tausend Kubikkilometer Gestein umfassen.
Magma kann jedoch auch in flüssigem Zustand als Lava an der Erdoberfläche austreten. Dort erkaltet sie schnell und bildet dann die so genannten Vulkanite oder Effusivgesteine (Ergussgesteine). Durch die rasche Abkühlung können keine mit bloßem Auge sichtbare Kristalle wachsen, sodass Vulkanite, wie etwa Basalt, Andesit, Rhyolith und Trachyt, überwiegend sehr feinkörnig sind. Bei Abschreckung durch Kontakt mit Wasser entsteht sogar überhaupt keine kristalline Ordnung, sondern vulkanisches Glas wie beispielsweise Obsidian.
Ganggesteine bilden die Zwischenglieder von Plutoniten und Vulkaniten. Sie dringen in Spalten zwischen Magmakammer und Erdoberfläche ein und erstarren dort als Gänge. Beispiele für Ganggesteine sind Granitporphyr, Dolerit und Lamprophyr.
Metamorphe Gesteine
Metamorphe Gesteine (Umwandlungsgesteine) entstehen aus älteren Gesteinen beliebigen Typs durch Metamorphose, das heißt durch Umwandlung unter hohem Druck beziehungsweise hoher Temperatur. Bei der Umwandlung ändert sich in der Regel die Mineralzusammensetzung des Gesteins, weil neue Minerale und Mineralaggregate gebildet werden; der Gesteinschemismus bleibt aber weitgehend gleich. Daneben kann auch das Gesteinsgefüge transformiert werden. Beispielsweise entsteht aus Quarzsandsteinen durch Anwachsen von Quarzsäumen an die Sedimentkörner und die daraus resultierende enge Verzahnung der Körner miteinander das metamorphe Gestein Quarzit, aus Kalksteinen entsteht, durch Rekristallisation, der auf Bruchflächen typisch „zuckerkörnige“ Marmor (beides sind Beispiele für weitgehend monomineralische Gesteine, bei denen während der Metamorphose keine oder keine nennenswerten Änderungen im Mineralbestand erfolgen).
Weiträumige Metamorphose von Gesteinen findet meist in großer Tiefe statt, lokale Transformationen können aber auch nahe der Erdoberfläche auftreten, meist im Zusammenhang mit Vulkanismus. Auch Meteoriteneinschläge führen zu Gesteinsmetamorphosen (sogenannte Impaktmetamorphose).
Regionalmetamorphose steht in Zusammenhang mit Gebirgsbildungen und ist häufig druckbetont. Die damit verbundene Faltung von Gesteinen durch Kompression führt zu Rekristallisation und Einregelung von Mineralen und der Ausbildung einer Schieferung. Ein Beispiel ist die Umwandlung von tonigen Sedimenten in Schiefer, oder von magmatischen Gesteinen in Gneis.
Kontaktmetamorphose bezeichnet die Gesteinsumwandlung durch Wärmeeinwirkung aus dem umgebenden Gestein heraus, entweder im Zentimetermaßstab durch Aufheizen des Gesteins um kleinere magmatische Gänge herum oder unterhalb der Sohle von Lavaströmen bis hin zu kilometerbreiten Kontakthöfen, sogenannten Aureolen, die sich um große, plutonische Intrusionen herum bilden.
Sedimentgesteine
Sedimentgesteine (Sedimentite, Ablagerungsgesteine) entstehen
durch Verwitterung und Erosion von Gesteinen und erneute Ablagerung der Verwitterungsprodukte, wobei diese zuvor transportiert werden durch Wind (zum Beispiel Dünensand), Wasser (zum Beispiel Ton und fluviatile Schotter) oder Eis (zum Beispiel Tillit)
durch Abscheiden von in Wasser gelösten Stoffen infolge Verdampfens des Wassers (Evaporit)
durch Ausfällen von Stoffen infolge des Stoffwechsels von Lebewesen (zum Beispiel Kalkstein und Radiolarit)
So werden Sedimentgesteine nach Art ihrer Bildung in klastische, chemische und organogene (biogene) Ablagerungsgesteine unterschieden.
Werden die Ablagerungen durch Sedimentation weiteren Materials bedeckt, verdichten sie sich durch Druck, Bindemittelzufuhr und erhöhte Temperatur unter zunehmendem Wasserverlust immer mehr, bis aus dem weichen Sediment ein hartes, sprödes Sedimentgestein entstanden ist. Diese Veränderungen nach der primären Sedimentation bezeichnet man als Diagenese.
Beispiele für Sedimentgesteine sind Sandstein, Kalkstein und Steinsalz.
Sedimente lagern sich meist kumulativ in einer Abfolge horizontaler Schichten ab; durch die Reihenfolge der Ablagerung sind von Ausnahmefällen abgesehen höherliegende Schichten jünger als tieferliegende, eine Erkenntnis, die als Superpositionsprinzip oder Lagerungsgesetz auf den dänischen Arzt und Geologen Nicolaus Steno zurückgeht. Nach ihrer Entstehung können Sedimentgesteine starken Kräften unterliegen, wodurch die ehemals flachen Schichten gefaltet und gekippt werden, so dass die Lage des Gesteins im Raum so stark verändert sein kann, dass die ursprüngliche Schichtfolge lokal umgekehrt ist.
Sedimente lassen sich grob in terrestrische Land- und marine Meeressedimente unterteilen. Zu terrestrischen zählt man auch Ablagerungen in Süßwasserseen oder Flüssen, die aus Sand oder Schlamm entstanden sind, sowie die organischen Pflanzenreste, aus denen Kohle hervorgegangen ist. Auch Wüstensedimente sowie Ablagerungen von Gletschern werden dieser Gruppe zugeteilt. Ein Grenzfall zwischen Vulkaniten und Sedimenten sind vulkanische Aschen und Tuffe.
Meeressedimente können durch Ablagerung von Erosionsmaterial anderer Gesteine auf dem Meeresgrund, durch von biochemischen Vorgängen verursachte Ausfällung, zum Beispiel von Karbonaten, und durch Ablagerung anorganischer Skelette von Mikroorganismen wie Foraminiferen, Coccolithophoriden (Haptophyta), Strahlentierchen (Radiolaria) und Kieselalgen (Bacillariophyta) entstehen.
Meteoriten
Einen Sonderfall unter den Gesteinen bilden die Meteoriten, Gesteinskörper aus dem Weltraum. Meteoriten sind Zeugnisse der Frühgeschichte des Sonnensystems und enthalten zahlreiche Minerale, die sich nicht in anderen Gesteinen irdischen Ursprungs finden lassen. Sie lassen sich nach ihrem Mineralgehalt einteilen in Steinmeteoriten, die in erster Linie aus Silikaten wie Olivin oder Pyroxen bestehen, Eisenmeteoriten, die sich häufig aus den Eisen-Nickel-Mineralen Kamacit und Taenit zusammensetzen und Stein-Eisen-Meteoriten, die einen Mischtyp darstellen. Die Größe von Meteoriten liegt zwischen der von Mikrometeoriten und riesigen, tonnenschweren Gesteinskörpern. Fast alle der Wissenschaft bekannten Meteoriten gingen, in geologischen Zeitmaßstäben betrachtet, vor sehr kurzer Zeit auf der Erde nieder. Nur ein sehr geringer Teil liegt als sogenannte „fossile Meteoriten“ vor. Derartige Stücke sind in Schweden in mehrere hundert Millionen Jahre alten Sedimentgesteinen nachgewiesen worden.
Irdischen Ursprungs, aber durch Meteoriteneinschläge gebildet, sind die Tektite, zentimetergroße Glasobjekte, die durch einschlagbedingtes Schmelzen irdischen Gesteins und darauf folgendes schnelles Abkühlen an der Luft entstehen, und die Impaktite, die durch die starken mechanischen und thermischen Einwirkungen bei einem Meteoriteneinschlag aus den am Einschlagsort vorhandenen Gesteinen entstehen, wie etwa Suevit.
Gesteinskreislauf
Magmatische, metamorphe und Sedimentgesteine werden durch geodynamische Prozesse wie Erosion, Gesteinsmetamorphose oder Sedimentation ineinander umgewandelt.
So unterliegen durch Erosion des Deckgesteins freigelegte metamorphe und magmatische Intrusivgesteine ebenso wie die an der Oberfläche gebildeten Sediment- und magmatischen Extrusivgesteine der Verwitterung und Erosion. In erster Linie durch wind- oder wasserbedingten Transport lagern sich die Verwitterungsbestandteile als Sedimente ab und bilden durch Verdichtung schließlich Sedimentgesteine. Diese wandeln sich wie auch magmatische Intrusivgesteine in großer Tiefe unter hohem Druck und hoher Temperatur in metamorphe Gesteine um. Der Kreislauf schließt sich, wenn diese entweder wieder an die Oberfläche gelangen oder durch weitere Absenkung ins Erdinnere aufgeschmolzen werden und damit das Rohmaterial für die Entstehung magmatischer Gesteine bilden.
Das älteste Gestein
Es gibt Indizien dafür, dass ein Teil eines bei der Mondmission Apollo 14 gefundenen Steins ursprünglich auf der Erde kristallisierte, dies wäre mit einer Datierung von 4,0–4,1 Ga der wahrscheinlich älteste Stein der Erde.
Das älteste bisher sicher datierte Gestein stammt aus der Acasta-Gneis-Formation des Slave-Kratons im Nordwesten Kanadas mit 4,031 ± 0,003 Milliarden Jahren (datiert 1999). Forscher der McGill-Universität in Kanada behaupteten 2008, im Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel an der Hudson Bay im nördlichen Kanada ein noch älteres Gestein mit 4,28 Milliarden Jahren gefunden zu haben. Diese Datierung ist umstritten, das Alter dieser Gesteine ist weiterhin Gegenstand der Forschung.
Körner aus Mineralen, die besonders widerstandsfähig gegen Verwitterung sind, beispielsweise Quarz, können mehrfach zumindest den exogenen Teil des Gesteinskreislaufs durchlaufen, sie "überleben" quasi das Gestein in dem sie ursprünglich entstanden sind. Körner aus Mineralen, die zudem einen besonders hohen Schmelzpunkt haben, können sogar komplette Zyklen durchlaufen. Ein solches Mineral ist Zirkon, und die ältesten datierten Zeugnisse einer festen Kruste auf der Erde sind Zirkonkörner. Diese entstammen Metasedimenten in den Jack Hills (West-Australien), die vor 3 Milliarden Jahren abgelagert wurden. Einige der Zirkone darin waren jedoch schon vor 4,4 Milliarden Jahren aus einem Magma auskristallisiert. 2020 ergaben Spurenelementuntersuchungen an diesen Mineralen die besten Übereinstimmungen mit Mineralen, die heute in andesitischen Magmen kristallisieren, ähnlich den Magmen die heute an Inselbögen entstehen.
Bedeutung
Gesteine dienten in der Menschheitsgeschichte als erster Werkstoff zur Herstellung von Werkzeug, den Steingeräten, und sind somit auch der Namensgeber für die älteste kulturhistorische Erdepoche, die Steinzeit. Archäologische Funde aus jener Zeit sind meist Steinartefakte. Steine bilden das älteste feste Baumaterial der menschlichen Kultur und die ältesten bekannten überlieferten Schriftträger menschlicher Schriftkultur.
Die Kunst, Steine zu bearbeiten, nennt man Lithurgik.
In früheren Zeitepochen wurden aus Gesteinen gesamte Bauwerke erstellt. Heute sind sie ein wesentlicher Bestand im Innenausbau (Bodenbelag, Treppe, Fensterbank, Waschtisch und Küchenarbeitsplatte) und im Außenbau (Fassadenbekleidung oder Pflasterstein). Des Weiteren sind sie Grundlage bildlicher Darstellungen in der Kunst, besonders in der Lithografie und als Ausgangsmaterial der Bildhauerei. Schmucksteine, Edelsteine und Halbedelsteine sind als Schmuck beliebt. Lesesteinhaufen und Trockensteinmauern dienten früher als Markierung von Äckern und sind heute wertvolle Biotope. Ein Grenzstein wird zur Abgrenzung von Gebieten verwendet. Fossilien in Form von Versteinerungen zeugen von Lebewesen früherer Äonen, Epochen und Perioden und spielen eine große Rolle für das Studium vergangener Lebensformen, der Evolutionsgeschichte sowie für die Datierung von Gesteinsschichten.
Siehe auch
Biorock-Technologie
Geothermobarometrie
Geschiebe
Liste der Gesteine nach Genese
Naturstein
Stratigraphie (Geologie)
Gestein des Jahres
Literatur
Hermann Harder (Hrsg.): Lexikon für Mineralien- und Gesteinsfreunde. Luzern/Frankfurt am Main 1977.
W. Maresch, H.P. Schertl, O. Medenbach: Gesteine – Systematik, Bestimmung, Entstehung. 3., korrigierte Auflage. Schweizerbart, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-510-65341-6.
Peter Rothe: Gesteine. Entstehung – Zerstörung – Umbildung. 2., durchgesehene Auflage. Primus, Darmstadt 2005, ISBN 3-89678-536-2.
Roland Vinx: Gesteinsbestimmung im Gelände. Spektrum Akademischer Verlag, München 2005, ISBN 3-8274-1513-6.
Friedrich Müller: Gesteinskunde. 7. Auflage. Ebner, Ulm 2005, ISBN 3-87188-122-8.
Hans Murawski, Wilhelm Meyer: Geologisches Wörterbuch. 11. Auflage. Spektrum-Akademischer Verlag, München 2004, ISBN 3-8274-1445-8.
Zur Kulturgeschichte des Steins
Matthias Bärmann (Hrsg.): Das Buch vom Stein – Texte aus 5 Jahrtausenden. Jung & Jung, Salzburg/Wien 2005, ISBN 3-902497-02-5.
Weblinks
Gesteine – Baumaterial unserer Erde
Einzelnachweise
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Q8063
| 919.201393 |
148461
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https://de.wikipedia.org/wiki/Nachrichtensprecher
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Nachrichtensprecher
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Ein Nachrichtensprecher ist der Präsentator von Meldungstexten, die von einer Hörfunk- oder Fernseh-Nachrichtenredaktion zusammengestellt wurden. Nachrichtensprecher arbeiten meist „live“ im Nachrichtenstudio, haben eine umfassende (sprachliche) Ausbildung durchlaufen und stammen meist aus dem journalistischen oder schauspielerischen Bereich.
Berufsbild in Deutschland
Berufliche Voraussetzung sind vor allem:
Die Fähigkeit, deutsche „gemäßigte Standardlautung“ zu sprechen (normiert durch die Konventionen des Aussprache-Dudens)
Eine mikrofongeeignete Stimme
Lesekompetenz von Texten sämtlicher Themengebiete und deren neutrale und verständliche Darbietung für Hörer bzw. Zuschauer
Glaubwürdigkeit
Hinzu kommen Reaktionsschnelligkeit und eine umfassende Allgemeinbildung, beim Fernsehen auch noch ein „telegenes“ Äußeres und ein souveräner Umgang mit der Kamerasituation. Die Rundfunkanstalten der ARD weisen zumindest in ihren Stellenanzeigen immer wieder darauf hin, dass ein abgeschlossenes Hochschulstudium in einer geisteswissenschaftlichen Disziplin gerne gesehen ist.
Nachrichtensprecher arbeiten im Schichtdienst rund um die Uhr und haben neben ihrer eigentlichen Tätigkeit auch Texte für die unterschiedlichen Redaktionen der Funkhäuser zu sprechen. In vielen Funkhäusern arbeiten die Sprecher mittlerweile an der Konzeption von Nachrichtensendungen mit.
Die frühere Definition der Berufsbilder „Sprecher“ (als Präsentator) und Redakteur (als „Verfasser“ des Nachrichtentextes) weicht also immer mehr auf. Statt des klassischen „Sprechers“, oftmals mit schauspielerischem Werdegang, wird deshalb heute meist der „Redakteur am Mikrofon“ eingesetzt.
Siehe auch
Nachrichtensprache
Literatur
Uwe Herzog: Das Sprecherhandbuch. Ausbildung und Praxis bei Film, TV, Funk und Werbung. kirsten herzog verlag, Köln 2007, ISBN 978-3-938604-10-6 (E-Book; Format pdf)
Michael Rossié: Sprechertraining. Berlin (Econ Journalistische Praxis) 5. Aufl. 2009, ISBN 978-3430200370
Michael Rossié: Frei sprechen. Berlin (Econ Journalistische Praxis) 3. Aufl. 2009, ISBN 978-3430200103
Weblinks
Einzelnachweise
Medienberuf
Personenbezeichnung (Journalismus)
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Q270389
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https://de.wikipedia.org/wiki/Wechselstrom
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Wechselstrom
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Wechselstrom bezeichnet elektrischen Strom, der seine Richtung (Polung) in regelmäßiger Wiederholung ändert und bei dem sich positive und negative Augenblickswerte so ergänzen, dass der Strom im zeitlichen Mittel null ist. Abzugrenzen ist der Wechselstrom von Gleichstrom, der sich (abgesehen von Schaltvorgängen oder Einflusseffekten) zeitlich nicht ändert, oder, in erweiterter Bedeutung, der ein periodischer Strom ist, dessen Gleichanteil vorrangige Bedeutung hat. In der erweiterten Bedeutung handelt es sich um Mischstrom.
Weltweit wird die elektrische Energieversorgung am häufigsten mit sinusförmigem Wechselstrom vorgenommen. Die Gründe für diese Bevorzugung sind die einfache Erzeugung und einfache Transformation der Wechselspannung. Im Haushaltsbereich ist der Einphasenwechselstrom üblich. Daneben gibt es eine vorteilhafte Verkettung als Dreiphasenwechselstrom-System. Für die Energieübertragung sind am Wechselstrom dessen Wirkstrom- und Blindstromanteile zu beachten.
Hochfrequente Wechselströme werden in der Nachrichtentechnik und in der Elektromedizin verwendet.
International wird Wechselstrom häufig auf mit oder mit dem Kürzel AC bezeichnet, das zugleich für Wechselspannung verwendet wird. Im Gegensatz dazu steht DC für womit Gleichstrom wie auch Gleichspannung gekennzeichnet werden.
Erzeugung
Zeitlicher Verlauf
Die einfachste denkbare Form von Wechselstrom entsteht durch ständig wechselnde Umpolung einer Gleichstromquelle. Obwohl dieser Wechselstrom technisch sinnvoll nutzbar ist, wird er nicht zur großräumigen Energieversorgung verwendet. Der Grund ist das ausgedehnte Frequenzspektrum eines solchen Spannungsverlaufes, das zusätzliche, wesentlich höhere Frequenzen als nur die Grundfrequenz umfasst. Dieser sehr hohe Oberschwingungsanteil würde einen hohen Energieaufwand bei der Transformation und Fernübertragung des elektrischen Stromes verursachen. Aus dem gleichen Grund darf auch in der Funktechnik nicht mit Rechteckspannung gesendet werden, weil die sehr intensiven Harmonischen andere Funkdienste stören würden. In kleinen Geräten wie Schaltnetzteilen in Computern oder Zerhackern zur Erzeugung von Hochspannung aus Batterien wird die Rechteckform verwendet, weil sie technisch sehr einfach mit schaltenden Bauelementen der Leistungselektronik hergestellt werden kann. Kleine Geräte lassen sich so abschirmen, dass die Oberschwingungen keine Störungen anderer Geräte verursachen.
In der Energieversorgung wird fast nur „sinusförmiger Wechselstrom“ eingesetzt, weil er keine unerwünschten harmonischen Schwingungen besitzt. Er hat seinen Namen daher, dass die Momentanwerte über eine vollständige Periode mit einer positiven und einer negativen Halbschwingung exakt den Werten der Sinus-Winkelfunktion über einen Vollkreis (0–360°) entsprechen, die grafische Darstellung auf einer Zeitachse ergibt dabei die typische Sinuskurve.
Andere Graphformen, wie beispielsweise Dreieckform, kommen nur mit sehr geringen Leistungen in der Messtechnik, der Impulstechnik, der elektronischen Klangerzeugung oder der analogen Nachrichtentechnik vor.
Mehrphasiger Wechselstrom
Neben Wechselstrom als Einphasen-Leiterstrom werden zur Energieversorgung in den rotierenden elektrischen Maschinen verkettete, in ihren Phasenwinkeln versetzte Wechselströme eingesetzt. Die dazu notwendigen Spulen der Generatoren sind gleichmäßig um den Kreisumfang verteilt. Diese spezielle Form von Wechselstrom wird bei drei Phasenwinkeln von je 120° als Dreiphasenwechselstrom und umgangssprachlich als „Drehstrom“ bezeichnet.
Die einzelnen Wechselströme des Dreiphasensystems lassen sich unabhängig voneinander als Einzelsystem bei Kleinverbrauchern nutzen. Die drei zeitlich gegeneinander verschobenen Außenleiterströme haben unter anderem den Vorteil, dass sich damit bei gleicher übertragener Leistung die Leiterquerschnitte in Summe verringern lassen und die Fernübertragung mit hochgespanntem Wechselstrom durch die Verkettung verlustärmer wird. Ferner lassen sich kostengünstige und robuste Drehstrom-Asynchronmotoren bauen – allerdings mit dem Nachteil, dass ihre Drehzahl ohne Frequenzumrichter nur in groben Stufen verändert werden kann.
Darüber hinaus existieren noch andere mehrphasige Wechselstromsysteme, wie der Zweiphasenwechselstrom oder allgemein Mehrphasenwechselstromsysteme, welche allerdings in der öffentlichen elektrischen Energieversorgung keine wesentliche Bedeutung haben. Wechselstromsysteme mit mehr als drei Phasen werden unter anderem bei speziellen elektrischen Antriebssystemen basierend auf Synchronmotoren eingesetzt. Der Mehrphasenwechselstrom wird dabei mittels Wechselrichter und einem Zwischenkreis aus dem Dreiphasensystem gewonnen.
Rechengrößen
Frequenz und Periode
Die Frequenz bezeichnet die Anzahl der Schwingungen eines periodischen Vorgangs bezogen auf das Zeitintervall, für das diese Anzahl gilt. Sie wird angegeben in der Einheit Hertz mit dem Einheitenzeichen Hz.
Eine Periode ist das kleinste örtliche oder zeitliche Intervall, nach dem sich der Vorgang wiederholt. Dieser Zeitabstand heißt Periodendauer. Bei einem Wechselstrom ist eine Periode z. B. eine aufeinanderfolgende positive und negative Halbschwingung. Die Periodendauer ist gleich dem Kehrwert der Frequenz
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Die bekannteste Wechselstrom-Frequenz ist 50 Hz, die Netzfrequenz der öffentlichen elektrischen Energieversorgung in der Europäischen Union. Dieser Wechselstrom hat eine Periodendauer von
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Eine Übersicht zur Energieversorgung in anderen Ländern siehe unter Länderübersicht Steckertypen, Netzspannungen und -frequenzen.
Vorzugsweise für theoretische Berechnungen, wie etwa bei der komplexen Wechselstromrechnung, wird die Kreisfrequenz verwendet:
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Bei einem Wechselstrom mit einer Frequenz von 50 Hz ist
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Die niedrigste Wechselstrom-Frequenz, die mit einer gewissen Verbreitung in Deutschland, Österreich, Schweiz, Schweden und Norwegen eingesetzt wird, ist beim Bahnstrom mit 16,7 Hz zu finden.
Die höchste Frequenz für Wechselstrom ist durch die Möglichkeiten und Erfordernisse in der Funktechnik gegeben und liegt in der Größenordnung von 300 GHz.
Charakterisierende Werte der Stromstärke
Der zeitabhängige Verlauf des Wechselstromes bringt bei der Angabe über die Stromstärke Probleme mit sich.
Augenblickswerte oder Momentanwerte sind zur Charakterisierung ungeeignet.
Der Scheitelwert ist die höchste (unabhängig von der Polarität) erreichbare Stromstärke, er ist als besonderer Augenblickswert nur bei Sinusform repräsentativ und wird dann als Amplitude bezeichnet; allzu oft ist der Strom nicht sinusförmig. Seine Messung mittels Oszilloskop ist häufig schwierig (allein schon aus Erdungsgründen).
Der Mittelwert ist definitionsgemäß gleich null.
Der Gleichrichtwert ist die am leichtesten messbare Größe, hat aber außerhalb der Messtechnik nur wenig Bedeutung.
Der Effektivwert ist die bevorzugte Angabe, wenn Energieumsetzung von Bedeutung ist.
Der Effektivwert eines Wechselstroms entspricht dem Wert eines Gleichstroms, der in einem ohmschen Widerstand dieselbe Wärme erzeugt. Er kann mit einem effektivwertbildenden Strommessgerät gemessen werden.
Aus dem Effektivwert und dem Scheitelfaktor √2 eines sinusförmigen Wechselstroms kann dessen Amplitude berechnet werden
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Bei nicht sinusförmigem Wechselstrom ergibt sich in Abhängigkeit von der Kurvenform ein anderer Zusammenhang zwischen Scheitelwert und Effektivwert. Bei nach jeweils gleichen Zeiten zwischen und umspringendem Rechteckwechselstrom gilt beispielsweise:
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Falls nichts anderes angegeben wird, sind bei Wechselströmen und Wechselspannungen immer die Effektivwerte gemeint. So darf ein aus dem Stromnetz bezogener Strom mit der Angabe „maximal 2,0 A“ dennoch steigen auf
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Wechselstromwiderstände
Ohmscher Widerstand, Kondensator und Spule verhalten sich bei sinusförmigem Wechselstrom wie lineare Widerstände. Sie haben keinen Einfluss auf die Sinusförmigkeit, aber Kondensatoren und Spulen verursachen eine Phasenverschiebung zwischen dem Strom- und Spannungsverlauf. – Nahezu alle Halbleiter verhalten sich als nichtlineare Widerstände. Für nichtlineare Widerstände und nichtsinusförmige Verläufe ist eine geschlossene Behandlung nicht möglich.
Kenngrößen der Leistung
Mit der Spannung und der Stromstärke , die sich mit der Zeit ändern, gilt für den Augenblickswert der Leistung
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Bei periodischen Vorgängen gibt es zeitunabhängige Leistungsgrößen, und zwar die Wirkleistung , Blindleistung und Scheinleistung .
Geschichte
Die grundlegenden Voraussetzungen des heutigen „Stromes aus der Steckdose“ schuf Michael Faraday im Jahre 1831 mit seinen Untersuchungen zur elektromagnetischen Induktion. Durch seine Grundlagenforschung war es möglich, mechanische Leistung in elektrische Leistung umzusetzen.
Die magnetoelektrischen Maschinen der ersten Epoche, etwa die der in Belgien operierenden englisch-französischen Societé anonyme de l’Alliance nach Floris Nollet, waren mit ihren Permanentmagneten sperrig und unwirtschaftlich. Um die Jahrhundertmitte wurde jedoch das dynamoelektrische Prinzip entdeckt, welches die bisher eingesetzten Stahlmagnete durch sich selbst induzierende Elektromagnete ersetzte und daher zu einer größeren Wirtschaftlichkeit führte. Der Erstentdecker, der Däne Søren Hjorth, ließ seinen Generator 1854 in England patentieren. Der nächste Erbauer einer derartigen Maschine, Ányos Jedlik, verstand es noch nicht ganz und hoffte auf eine Weiterentwicklung zum Perpetuum mobile. Werner Siemens war der dritte und erreichte 1866 mit dem dynamoelektrischen Generator einen wirtschaftlichen Durchbruch.
Die historische Entwicklung verschiedener Systeme ist unter Stromkrieg beschrieben.
Eine wesentliche Komponente für die flächendeckende Verbreitung und Anwendung der Wechselstromtechnik war die Entwicklung des Transformators, an der zwischen 1870 und 1910 mehrere Forscher, Ingenieure und Geschäftsmänner in verschiedenen Ländern, teils unabhängig voneinander, wesentlich beteiligt waren.
Mit den Elektricitäts-Werken Reichenhall errichtete der Holzstoff-Fabrikant Konrad Fischer das erste öffentliche Wechselstromkraftwerk Deutschlands in Bad Reichenhall, welches am 15. Mai 1890 den Betrieb aufnahm. Es war das erste Wasserkraftwerk in Deutschland und das erste öffentliche E-Werk in Bayern. Über ein Vorgelege mit zwei konischen Rädern und einem Riemenantrieb übertrug eine Jonval-Turbine die Wasserkraft mit 600 min−1 auf einen Wechselstromgenerator der Firma Oerlikon in Zürich, der 2000 Volt Spannung und maximal 30 Ampere entwickelte. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme war das Werk in der Lage, 1200 Glühlampen in Reichenhall, Karlstein und Kirchberg zu versorgen.
Die Betreiber der Niagara-Wasserkraftwerke schrieben einen Preis in Höhe von 100.000 US-Dollar für denjenigen aus, der eine Lösung zur Übertragung elektrischen Stroms über große Entfernungen entwickelt. Die Entscheidung fiel 1893 zugunsten des von Nikola Tesla und George Westinghouse entwickelten Wechselstrom-Systems.
Betrachtung in der Hochfrequenztechnik
Bei der Netzfrequenz 50 Hz beträgt die Wellenlänge 6000 km, das übersteigt erheblich die Ausdehnung Deutschlands. In den meisten Wechselstrombauteilen kann daher vernachlässigt werden, dass es sich beim Wechselstrom um eine Welle handelt. Bei höheren Frequenzen wie im Bereich der Hochfrequenz tritt der Skin-Effekt (Stromverdrängung) auf, welcher zu einer Einschränkung der tatsächlich leitenden Schicht auf die äußeren Bereiche eines Leiters führt. Bei 50 Hz beträgt diese Eindringtiefe 12 mm für Aluminium und 10 mm für Kupfer. Während dies für Leitungen im Hausgebrauch nicht von Relevanz ist, werden Leitungen für höchste Ströme, z. B. in Generatoren, zuweilen als Hohlleiter ausgeführt (ein solcher Leiter kann dabei zusätzlich zur Führung von Kühlflüssigkeit genutzt werden). Bei der Energieübertragung mittels Freileitungen wird als Leiterseil oftmals eine Kombination aus Stahl und Aluminium verwendet. Stahl als Seele für die Zugfestigkeit umgeben von Aluminium für die elektrische Leitfähigkeit.
Biologische Wirkung auf den Menschen
Siehe auch: Elektrischer Strom im Alltag
Die Wirkung und eventuelle Gefährlichkeit von Strom auf den menschlichen Körper ergibt sich unter anderem aus der Beeinflussung auf das Erregungsleitungssystem des Herzens: Dort werden Erregungen als elektrische Impulse weitergeleitet, die zur geordneten Kontraktion des Herzmuskels führen. Von außen zugeführter Strom stört diese Erregungsausbreitung, insbesondere dann, wenn er während der sogenannten vulnerablen Phase Zellen des Herzens erregt. In dieser Phase sind Teile des Herzens noch erregt – also nicht neu erregbar –, während andere Teile schon wieder auf dem Weg zum nicht-erregten Zustand sind, also teilweise schon wieder erregbar. Wird in der vulnerablen Phase eine zusätzliche Erregung ausgelöst, kann es zu ungeordneten Erregungen der Herzmuskelzellen kommen, dem Kammerflimmern. Durch die ungleichmäßigen, schnellen Kontraktionen der Herzmuskelzellen kann kein Blut mehr gepumpt werden.
Die besondere Gefährlichkeit von Wechselstrom gegenüber Gleichstrom ergibt sich daraus, dass Wechselstrom durch die schnellen Wechsel der Polarität mit höherer Wahrscheinlichkeit die vulnerable Phase trifft.
Die Folgen eines Stromunfalls mit Wechselstrom auf den Menschen hängen dabei von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von Stromart und -frequenz (s. o.) sowie der Zeitdauer, die der Strom auf den Körper wirkt. Das erklärt, warum beispielsweise ein durch einen elektrischen Weidezaun zugefügter Stromschlag weder auf Menschen noch auf Tiere bleibende Folgen hat, da die Stromimpulse zu kurz sind, um die Nervenzellen des Herzens zu erregen. Schließlich spielt auch der Weg, den der Strom durch den Körper nimmt, eine Rolle, wobei der vertikale Weg, bei dem der Strom durch alle lebenswichtigen Organe fließt, der gefährlichste ist.
Letztlich bestimmt die Stromstärke pro Fläche, also die Stromdichte, sowie deren Einwirkdauer die Auswirkungen. Beispielsweise bewirken hohe Ströme an den Ein- und Austrittstellen Verbrennungen der Haut, die Strommarken genannt werden. Einen Anhalt über die zu erwartenden Auswirkungen auf den menschlichen Körper gibt folgende Tabelle. Diese Werte sind jedoch stark abhängig von dem Stromweg und gelten nur, wenn sich der Strom über den Hautwiderstand im Körper verteilt und nicht z. B. auf den Herzmuskel konzentriert. So genügen für den Herzmuskel selbst bereits 0,01 mA, um Herzkammerflimmern auszulösen. Wenn etwa Elektroden unter der Haut oder sogar in der Nähe des Herzens oder anderer empfindlicher Organe implantiert werden, können die bei gewöhnlichen Haushaltsgeräten vergleichsweise noch zulässigen Größenordnungen von Kriechströmen hier lebensbedrohlich sein.
Die entsprechende Angabe von Berührungsspannungen ist nur möglich (siehe ohmsches Gesetz), wenn der entsprechende Körperwiderstand bekannt wäre. Beispielsweise im Falle des Hausstromanschlusses (230 V) und einem Körperwiderstand von näherungsweise 3 kΩ (bei Stromweg zwischen einer Fingerspitze der linken Hand und einer Fingerspitze der rechten Hand unter verschiedenen Bedingungen), ergibt sich ein Strom von ca. 75 mA, der zu den oben genannten Reaktionen und in der Folge auch zum Tod führen kann. Feuchte oder nasse Haut kann den Körperwiderstand massiv absenken. Das Berühren von Gegenständen unter Kleinspannung (< 50 V) gilt für erwachsene Menschen als nicht lebensbedrohlich.
Literatur
Klaus Lunze: Theorie der Wechselstromschaltungen: Lehrbuch. Verlag Technik, Berlin 1991, ISBN 3-341-00984-1.
Heinz Rieger: Wechselspannung, Wechselstrom. Publicis Corporate Publishing, Erlangen 1992, ISBN 3-8009-4036-1.
Paul Vaske: Berechnung von Wechselstromschaltungen. Teubner, Stuttgart 1985, ISBN 3-519-20065-1.
Gert Hagmann: Grundlagen der Elektrotechnik. 15. Auflage. AULA-Verlag. Wiebelsheim, ISBN 978-3-89104-747-7
Weblinks
Einzelnachweise
Elektrischer Strom
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Q124164
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https://de.wikipedia.org/wiki/Budweis
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Budweis
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Budweis (; deutsch auch Böhmisch-Budweis, oder Böhmisch-Budwitz) ist mit etwa 93.000 Einwohnern die größte Stadt in Südböhmen (Tschechien) und Verwaltungssitz der Südböhmischen Region. Weltweit bekannt ist die Stadt wegen des Budweiser Bieres, sie ist auch Universitätsstadt und Sitz des Bistums Budweis. Das historische Stadtzentrum wurde 1980 in die Liste der städtischen Denkmalreservate in Tschechien aufgenommen.
Geographische Lage
Budweis liegt etwa 120 Kilometer südlich von Prag und etwa 80 Kilometer nördlich der österreichischen Stadt Linz. Diese wirtschaftlich und militärisch strategisch günstige Lage spielt seit Gründung der Stadt eine sehr wichtige Rolle.
Geschichte
Mittelalter
Den Zusammenfluss der Flüsse Moldau und Maltsch wählte 1265 der böhmische König Přemysl Ottokar II. als Ausgangspunkt für die Gründung der Königsstadt Budweis, mit der er seine Machtstellung gegenüber den Herren von Rosenberg in Südböhmen festigen wollte. Dafür überließ der König dem Fürsten Čéč von Budweis († ca. 1270) als Austausch die Burg und den Flecken Velešín.
Die Stadt wurde durch Handwerker und Handelsleute besiedelt, aufgebaut und wuchs dank der königlichen Gunst, der günstigen Lage und den Einnahmen durch Maut und Zölle an der Kreuzung von Handelswegen wirtschaftlich schnell. Vor 1300 war der Baubeginn der bedeutendsten Baugruppe der Stadt, des Dominikanerklosters mit Kreuzgang und Kirche und des benachbarten Salzstadels, ein Zeugnis der Gotik in Südböhmen. Für die Treue zur Krone wurde Budweis immer wieder belohnt und mit Vorteilen und Privilegien versehen. Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts wurden zwei Kirchen erbaut und die Stadt mit neuen Mauern umgeben. Im 14. Jahrhundert wurde Budweis, dank seiner günstigen Lage, zu einem wichtigen diplomatischen Schauplatz. Karl IV. besuchte die Stadt für diplomatische Verhandlungen mit seinen Nachbarn. Während seines letzten Besuchs ließ er Häuser auf dem Stadtplatz einreißen. Er ließ für den Fleischmarkt ein eigenes Haus bauen, in dem sich heute unter dem tschechischen Namen „Masné Krámy“ ein traditionelles Restaurant befindet. Die links und rechts vom Mittelschiff befindlichen Seitenräume erinnern an die alten Verkaufsräume. Im Verlauf des unruhigen 15. Jahrhunderts war das katholisch ausgerichtete Budweis eine wichtige Stütze gegen die Angriffe der Hussiten und beteiligte sich an deren Niederschlagung. Die Stadt selbst wurde dank ihrer gut ausgebauten Verteidigungsanlagen nie angegriffen. Ladislaus Postumus gab die Stadt 1453 den Rosenbergern als Lehen. Da die Rosenberger seit der Stadtgründung Erzfeinde von Budweis waren, widersetzte sich die Stadtbevölkerung dem König. Erst Georg von Podiebrad konnte den Streit zwischen den Rosenbergern und Budweis lösen, mit dem Ergebnis, dass Budweis eine Königsstadt blieb. Mit seinen rund 4500 Einwohnern gehörte es zu den größten und wichtigsten Städten des böhmischen Königreiches.
Neuzeit
Das 16. Jahrhundert brachte der Stadt starkes wirtschaftliches Wachstum, vor allem durch die Förderung von Silber. Sie erhielt 1541 die Bergfreiheit, um Erzlager auf eigenem Grund ausbeuten zu können und der wirtschaftlichen Konkurrenz der nahen Bergstadt Rudolfstadt zu widerstehen. 1550 fuhr das erste Salzschiff mit 125 Kufen Salz von Budweis auf der Moldau nach Prag. Auch die Fischzucht in den nahe gelegenen Teichgebieten bei Wodnian und deren Vermarktung brachten Gewinn. In Budweis wurden Bauwerke im Stil der Renaissance errichtet. In den Fleischbänken entstand 1560 ein Speiselokal für Durchreisende. 1569 wurde in Budweis eine eigene Münzstätte errichtet, die auch Silber verarbeitete, das in den Schachtrevieren um das Städtchen Rudolfstadt (heute Rudolfov) gefördert wurde. 1577 wurde der Stadtturm „Černá věž“ (Schwarzer Turm) neben der St.-Nikolaus-Kirche fertiggestellt.
Im Verlauf des Ständeaufstands und des darauffolgenden Dreißigjährigen Krieges blieb Budweis treu kaiserlich und hatte dadurch viel zu leiden. So war 1618 Feldmarschall Charles Bonaventure de Longueval Comte de Boucquoi dort eingeschlossen; es entstand große Not, und es gab kaum Brot zu kaufen. 1620 schlug Feldmarschall Baltasar von Marradas in Budweis sein Hauptquartier auf. Die damaligen Befestigungen machten aus der Stadt eine strategisch wichtige Festung, wohin 1631 die böhmischen Kronjuwelen in Sicherheit gebracht und in der St.-Nikolaus-Kirche aufbewahrt wurden. Einige Male flüchteten auch die höchsten Landesbeamten in die Festung Budweis. So wurde die Stadt während des Dreißigjährigen Krieges zur Verwaltungsstadt im Königreich Böhmen. Während die eigentlichen Kriegsgeschehnisse nur geringe Schäden an der Bausubstanz anrichteten, vernichtete ein Großbrand im Juli 1641 226 Häuser, mehr als die Hälfte der Stadt. Nach Ende des Krieges im Jahr 1648 begann ein langsamer Wiederaufbau der Stadt, der einige Jahrzehnte dauerte. Für die Stadtkirche wurde eine Bettelreise durch Südböhmen und Österreich gestattet. Es kam viel Geld und Material zusammen. Der Abt von Stift Schlägl schenkte zum Beispiel 47.060 kleine Glasscheiben für die neuen Kirchenfenster.
Die Ära des Barocks veränderte deutlich das Aussehen der Stadt, bereicherte Budweis um eine Reihe religiöser Bauten, unter anderem auch um eines der Symbole der Stadt, den Samsonbrunnen, das Rathaus am Marktplatz und die St.-Nikolaus-Kirche.
Die Theresianischen Reformen und der Josephinismus in der Mitte des 18. Jahrhunderts machten aus Budweis den Sitz eines neu gebildeten Kreises. Zur weiteren kulturellen Bedeutung der Stadt trug der Piaristenorden bei, der sich hier 1762 ansiedelte, ein Gymnasium mit der Unterrichtssprache Latein einrichtete und für begabte Burschen des Böhmerwaldes eine Ausbildungsstätte wurde. In dieselbe Zeit fällt auch die Entstehung des Stadttheaters. Unter Kaiser Joseph II. wurde 1785 das Budweiser Bistum gegründet. Zwei Jahrzehnte später wurden ein Priesterseminar und ein Philosophisches Institut eröffnet. 1795 gründete die deutsche Bürgerschaft der Stadt das Budweiser Bürgerbräu. Die Einnahmen flossen zum Teil in die Stadtkasse und wurden zum anderen Teil an die beteiligten Bürger der Stadt ausgeschüttet. Im 19. Jahrhundert machte das Bier die Stadt international bekannt.
19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert brachte der Stadt einen bemerkbaren Aufschwung in einer bürgerlich gewordenen Gesellschaft. Ein besonders erfolgreicher Unternehmer war der Eisenbahn-Ingenieur Franz Anton von Gerstner. Die Pferdebahn von Linz nach Budweis, errichtet zwischen den Jahren 1825 und 1832 als eine der beiden ersten auf dem europäischen Kontinent, verband Budweis als Kopfstation mit der Stadt Linz in Oberösterreich, und gemeinsam mit dem Schiffsverkehr auf der Moldau, der von dem Unternehmer Adalbert Lanna modernisiert und rationalisiert wurde, verbesserte sich der Transport von Waren nach Prag und elbabwärts und nach Wien. Dadurch wuchs auch die Bedeutung der Industrie und des Handels.
1841 zählte Budweis 13.097 Einwohner, von denen 8.135 in der Stadt und 4.962 in den umliegenden, zur Stadt gehörenden Ortschaften lebten. Die „herrschende Sprache in der Stadt und in den Ortschaften Rudolphstadt, Brod, Dubiken, Strodenitz, Vierhöf, Gauerndorf, Leitnowitz, Hackelhöf, Plan, Dirnfellern, Hlinz, Lodus, Pfaffendorf, Böhmischfellern, Pfaffenhöf, Schindelhöf, Ruden, Humeln, Bucharten, Meß, Gutwasser und Strups ist die deutsche. Indessen findet man überall, besonders in der Stadt, Leute, welche beider Landessprachen kundig sind.“
1847 verlegten die Söhne des Architekten Joseph Hardtmuth aus Asparn bei Wien die Firma nach Budweis, als in Mugrau in der Nähe der Stadt Graphit gefunden wurde und es entstand als Nachfolger die heutige Firma Koh-i-Noor Hardtmuth, eine Produktion von Bleistiften und keramischen Waren. Die Stadt erhielt durch die Söhne des Joseph Hardtmuth ihre erste große Fabrik mit 2000 Beschäftigten. 1871 entstand die Summerauer Bahn über Kaplitz (tsch. Kaplice) nach Linz. Bis 1890 war die Stadt überwiegend deutschsprachig und bildete mit den Dörfern der Umgebung eine deutsche Sprachinsel. Dann erlangte durch den Massenzuzug von Tschechen allmählich die tschechischsprachige Bevölkerung die Mehrheit, Bürgermeister blieben jedoch bis 1918 und der Entstehung der Tschechoslowakei deutschsprachige Persönlichkeiten – aufgrund des bis dahin geltenden Zensuswahlrechts. Bei der Volkszählung im Jahre 1930 machten die Deutschen etwa 14 % der Einwohner der Stadt aus.
1895 entstand eine von Tschechen gegründete Aktienbrauerei, die heutige Brauerei Budweiser Budvar, als Gegenstück zum Budweiser Bürgerbräu.
20. Jahrhundert
Im Januar 1915 rückte Jaroslav Hašek in die Kaserne am Marienplatz (Mariánské náměstí) ein und diente bis September im Budweiser k.u.k. Böhmischen Infanterie-Regiment „Freiherr von Czibulka“ Nr. 91 an der Ostfront. Seine Erlebnisse während dieser Zeit verarbeitete er im antimilitaristischen und satirischen Schelmenroman Der brave Soldat Schwejk.
Budweis wurde 1939 durch die deutsche Wehrmacht besetzt und Teil des Protektorats Böhmen und Mähren. Ab dem ersten Tag der Besatzung von Budweis war unter der Leitung von Heinz Stossberg die Gestapo maßgeblich an der Unterdrückung und Verfolgung der Stadtbevölkerung beteiligt. Die meisten tschechischen Vereine (Junák, Sokol, Orel) wurden aufgelöst und Symbole der Tschechoslowakei wurden entfernt. Die größten Repressionen der Besatzungsmacht erfuhren die Juden. Die meisten wurden ins KZ Theresienstadt deportiert und die neugotische Synagoge wurde gesprengt. Vom 13. April 1942 bis 23. Juni 1943 bestand am Stadtrand ein Außenlager des KZ Theresienstadt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Budweis ein Ziel amerikanischer Bombardements, das ungefähr 220 Menschen zum Opfer hatte. Am 5. Mai 1945 übernahmen tschechische Aufständische die Stadtverwaltung. Die deutschen Truppen zogen am 8. Mai 1945 ab; einen Tag später erreichte die Rote Armee Budweis.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 wurde Budweis Teil der wiedererrichteten Tschechoslowakischen Republik. Der größte Teil der Deutschen wurde vertrieben und gelangte in Eisenbahntransporten nach Österreich und Bayern. Budweis blieb wirtschaftliches und kulturelles Zentrum von Südböhmen und wurde 1949 zum Sitz des neu gebildeten Budweiser Kreises. Seit 1991 ist es Sitz der Südböhmischen Universität in Budweis und seit 2000 Verwaltungssitz der Südböhmischen Region.
Juden in Budweis
Seit dem 14. Jahrhundert lebten in der Stadt auch jüdische Familien, die jüdische Gemeinde wurde jedoch mehrfach an den Rand der Existenz gebracht und zeitweise aus der Stadt vertrieben. In der Stadt befand sich eine Synagoge, eine jüdische Schule, ein jüdischer Friedhof und eine Mikwe. Da die jüdische Gemeinde bis zum 19. Jahrhundert niemals mehr als 100 Mitglieder zählte, waren sie nie gezwungen in einem Ghetto zu leben. Die meisten Juden und alle ihre Einrichtungen befanden sich in der damaligen Judenstraße (heutiger Straßenname U Černé věže – „Am Schwarzen Turm“) in der sie mit Christen zusammenlebten. 1505 wurden die in Budweis lebenden Juden eines Ritualmordes an einem Kind in Niederösterreich beschuldigt. Ihre misslungene Flucht aus der Stadt galt als ein Schuldeingeständnis. Daraufhin wurden 7 Jüdische Mitbürger auf dem jüdischen Friedhof verbrannt, 13 weitere wurden in der Moldau ertränkt und der Rest wurde aus der Stadt verwiesen. Erst nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden 1848 siedelten sich Juden wieder in Budweis an. Sie errichteten eine neue Synagoge und einen bis heute erhaltenen Friedhof. 1942 wurde zum zweiten Mal die jüdische Gemeinde ausgelöscht, als die jüdischen Bewohner durch die deutsche Besatzungsmacht zuerst in das KZ Theresienstadt und später in das KZ Auschwitz deportiert wurden.
Demographie
Wappen
Beschreibung: In Rot eine schwarzgefugte gemauerte silberne aus dem Schildfuß aufragende Mauer mit drei aufgesetzten ebenso gebildeten Türmen mit goldenem Spitzdach und goldenen Ringen, der mittlere Turm ist der höhere und breitere. Vor allen ein roter Schild mit dem böhmischen silbernen Löwen, der goldbewehrt, so gekrönt und doppelschwänzig ist.
Wirtschaft und Infrastruktur
Verkehrsanbindung
Budweis liegt an den beiden Hauptverkehrsachsen Prag–Linz sowie Wien–Budweis–Pilsen.
Straße
Die Nord-Süd-Verkehrsachse (Dopravní koridor Sever-Jih) von Prag zur österreichischen Grenze ist Teil der Autobahn D 3, die abschnittsweise noch nicht fertiggestellt ist. Sie ist Teil der Europastraße 55. Die zweite Achse von Budweis nach Pilsen ist als Fernverkehrsstraße I/20 ausgeführt. Sie ist Teil der Europastraße 49.
Eisenbahn
Der Bahnhof České Budějovice ist Knotenpunkt der überregionalen Eisenbahnverbindungen (Wien-) České Velenice–České Budějovice–Plzeň (–Cheb) und Linz–České Budějovice–Veselí nad Lužnicí (–Praha). Beide Strecken sind elektrifiziert. Daneben existieren einige Nebenbahnen von und zum Eisenbahnknoten Budweis.
ÖPNV
Zwischen 1909 und 1914 verkehrte in der Stadt die Gleislose Bahn Budweis, einer der ersten Oberleitungsbus-Betriebe der Welt. Die Straßenbahn České Budějovice verkehrte zwischen 1909 und 1950 und wurde durch ein neuzeitlichen Obussystem abgelöst.
Flugverkehr
2005 gründete die Stadt zusammen mit dem Jihočeský kraj eine gemeinsame Trägergesellschaft für den früheren Militärflugplatz Planá an der südwestlichen Peripherie, der zu Jahresbeginn 2006 durch Luftstreitkräfte der Tschechischen Republik einer zivilen Nutzung übergeben wurde und zum internationalen Flughafen České Budějovice ausgebaut werden soll.
Schifffahrt
Die durch die Stadt fließende Moldau ist seit 2011 zum Teil schiffbar. Auf einem Abschnitt von gut 8 km findet Personenschifffahrt statt. Das von der Europäischen Gemeinschaft geförderte Projekt ist Teil des Planes, die Moldau bis Budweis schiffbar zu machen. 2010 war die Moldau bis Tyn (Moldautein) schiffbar. Derzeit laufen die Bauarbeiten für die Staustufen Richtung Budweis. Es wurde geplant, die Baumaßnahmen bis 2014 fertigzustellen.
Unternehmen
Budweis hat eine lange Brauereitradition. Die ortsansässigen Brauereien setzen wieder verstärkt auf den Namen „Budweis“ bzw. „Budweiser“ und halten verschiedene Namensrechte, abgesehen von den USA:
Budweiser Bürgerbräu seit (1795)
Budweiser Budvar seit (1895)
In der Stadt befindet sich außerdem der Firmensitz des ältesten Bleistiftherstellers der Welt, Koh-i-Noor Hardtmuth.
Bildung
Die Südböhmische Universität bietet Studiengänge in den Fachrichtungen Wirtschaft, Geisteswissenschaften, Lehrerbildung, Naturwissenschaft, Theologie, Kunst, Gesundheit und Soziales und Agrarfächer an.
Stadtgliederung
Die Stadt České Budějovice gliedert sich in sieben Ortsteile, 69 Grundsiedlungseinheiten und elf Katastralbezirke:
České Budějovice 1 (zugleich Katastralbezirk): České Budějovice-střed (Innenstadt) und Sokolský ostrov (Sokol-Insel)
České Budějovice 2:
Katastralbezirk České Budějovice 2: Čtyři Dvory (Vierhöf), Čtyři Dvory-střed, Sídliště Máj, Sídliště Šumava, Sídliště Vltava, Stromovka, Švábův Hrádek, U Vávrovského rybníka, Vysoká škola und Zavadilka
Katastralbezirk České Vrbné: České Vrbné (Böhmisch Fellern) und Přístav
Katastralbezirk Haklovy Dvory: Haklovy Dvory (Hackelhöf)
České Budějovice 3 (zugleich Katastralbezirk): Dolní Světlíky, Kněžské Dvory (Pfaffenhöf), Na sadech, Nemanice (Nemanitz), Nemanický rybník, Sídliště Na pražské, U Čertíka, U hřbitova, U Pekárenské, U požární zbrojnice, U pražské silnice, Za poliklinikou, Za Voříškovým Dvorem und Zahrádky – sog. Pražské předměstí (Prager Vorstadt)
České Budějovice 4 (zugleich Katastralbezirk): Husova Kolonie, Husova Kolonie-zahrádky, Nové Vráto (Neu Brod), Nové Vráto-průmyslový obvod, Světlík, U křížku, U Rozumova Dvora und Za Otýlií
České Budějovice 5:
Katastralbezirk České Budějovice 5: Pětidomí, Pohůrka (Neu Bucharten), Suché Vrbné (Dürrnfellern), Suché Vrbné-průmyslový obvod, U Dobrovodského potoka, U křížku, U rybníčků und U Vrbného
Katastralbezirk Kaliště u Českých Budějovic: Kaliště (Kalischt)
Katastralbezirk Třebotovice: Třebotovice (Trebotowitz) und Třebotovice-u Dobré Vody
České Budějovice 6 (zugleich Katastralbezirk): Brněnské Předměstí (Wiener Vorstadt), Havlíčkova Kolonie, Mladé-Červený Dvůr (Lodus-Rothe Hof), Nové Hodějovice (Neu Hodowitz), Nové Hodějovice-východ, U Malého jezu-U Špačků, U nádraží, U Novohradské, U Špačků-za hřbitovem und Za potokem
České Budějovice 7 (zugleich Katastralbezirk): Krumlovské Předměstí (Linzer Vorstadt), Nemocnice, Nové Roudné (Neu Ruden), Rožnov-jih (Strodenitz-Süd), Rožnov-sever (Strodenitz-Nord), U Malše, U Matice školské, U nemocnice, U pivovaru, U plavské silnice, V háječku und Za lineckou tratí.
Die Katastralbezirke Kaliště u Českých Budějovic und Třebotovice liegen – abgetrennt durch die Gemeinde Dobrá Voda u Českých Budějovic – als Exklave östlich des Stadtgebietes.
Städtepartnerschaften
Budweis unterhält Städtepartnerschaften mit folgenden Städten:
Linz, Österreich, seit 1987
Passau, Deutschland, seit 1993
Suhl, Deutschland, seit 1979
Lorient, Frankreich, seit 1997
Nitra, Slowakei
Sehenswürdigkeiten
Theater und Museen
Südböhmisches Theater, Dr. Stejskala 424/19
Südböhmisches Museum, Dukelská 242/1
Museum zeitgenössischer Kunst, Náměstí Přemysla Otakara II. 127/38
Pferdeeisenbahnmuseum Budweis, Mánesova 10
Brauereimuseum der Brauerei Budvar, Karoliny Světlé 4
Motorradmuseum, Piaristícké náměstí 1
Das Filmtheater Cinestar befindet sich am Einkaufszentrum Čtyři dvory.
Das Open Air Kino Letní kino Háječek befindet sich am Zusammenfluss von Moldau und Maltsch
Bauwerke
Die gotische Kathedrale St. Nikolaus (Katedrála svatého Mikuláše) ist die Hauptkirche der Diözese Budweis.
Den Schwarzen Turm (Černá věž) kann man auf 225 Stufen besteigen.
Der Rabensteiner Turm stammt aus dem 14. Jahrhundert
Das 1531 erbaute Salzhaus (Solnice) diente ursprünglich als Getreidelager, später als Zeughaus und schließlich als Salzlager.
Das barocke Rathaus gehört zu den schönsten Gebäuden in Tschechien.
Die Kirche Mariä Opferung (Kostel Obětování Panny Marie) liegt am Piaristenplatz (Piaristické náměstí)
Der Samson-Brunnen (Samsonová kašna) am Hauptplatz gehört zu den Symbolen der Stadt.
Die Eiserne Jungfrau (Železná panna) ist ein Festungsturm.
Das Planetarium (Hvězdárna) liegt im Park Háječek direkt am Zusammenfluss von Moldau und Maltsch.
Das Gemeinschaftshaus Koldům (kolektivní dům) an der Prager Straße wurde 2012 zum Kulturdenkmal erklärt.
Grünflächen und Naherholung
Stromovka ist der größte Budweiser Park mit einer Fläche von 68 ha und einer Gesamtlänge von 6,7 km.
Schwimmende Insel (Sokolský ostrov)
Regelmäßige Veranstaltungen
Auf dem Ausstellungsgelände findet jedes Jahr das zweitägige internationale Bierfest statt.
Budweiser Advent, letzte Novemberwoche bis 6. Januar
Persönlichkeiten
Literatur
in der Reihenfolge des Erscheinens
Jaroslaus Schaller: Topographie des Königreichs Böhmen. Band 13: Budweiser Kreis, Prag und Wien 1797, S. 6–26.
Johann Gottfried Sommer: Das Königreich Böhmen. Band 9: Budweiser Kreis, Prag 1841, S. 1–34.
Franz Seraphin Seyser und Franz Xaver Illing: Kurz gefaßte Chronik der königlich priviligirten und freiem Berg- und Kreisstadt Budweis, (Budowice) im Königreiche Böhmen, seit ihrem Ursprunge bis zum Jahre 1840. Budweis 1841 (Digitalisat).
Johann Trajer: Historisch-statistische Beschreibung der Diöcese Budweis. Budweis 1862, S. 1–12.
Karl Kratochwil, Alois Meerwald: Heimatbuch der Berg- und Kreisstadt Böhmisch-Budweis mit einer Sammlung von alten und neueren Sagen. Karl Kratochwil & Co, Verlag des Sonntagboten, Böhmisch Budweis 1930.
Lilian Schacherl: Böhmen. Kulturbild einer Landschaft. Prestel Verlag, München 1968, S. 190–192 (Budweis im Abschnitt „Königliche Diasporen“).
Johanna von Herzogenberg: Zwischen Donau und Moldau. Bayerischer Wald und Böhmerwald. Das Mühlviertel und Südböhmen. Passau 1968; 2. Auflage: Prestel Verlag, München 1973, ISBN 978-3-7913-0249-2, S. 178–184 (Kapitel über Budweis).
Karl M. Swoboda: Barock in Böhmen. Prestel Verlag, München 1984, S. 154 (Böhmisch-Budweis) und 217 (Niklaskirche und Rathaus; Hinweise zu deren Freskanten Johann Adam Schöpf).
Josef Wenzel Sailer: Budweiser Notizen. Hess Verlag, 2019, ISBN 978-3-87336-577-3, 231 Seiten.
Weblinks
Offizielle Homepage von České Budějovice auf c-budejovice.cz (de, cz, en)
Virtual show auf virtualczech.cz (nur mit FlashPlayer Plugin)
Einzelnachweise
Sprachinsel
Statutarstadt (Tschechien)
Tschechische Hochschul- oder Universitätsstadt
Städtisches Denkmalreservat in Tschechien
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
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Q16506
| 88.964139 |
1105636
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https://de.wikipedia.org/wiki/Gletscherrandsee
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Gletscherrandsee
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Ein Gletscherrandsee oder Gletscherendsee ist ein im Bereich der Grund- oder Endmoräne eines Gletschers entstandenes stehendes Gewässer.
Entstehung
Eine Hohlform wird durch das fließende Eis der Gletscherzunge ausgeschürft. Die End- und Seitenmoränen bilden einen natürlichen Damm. Durch feine Sedimente werden der Boden und die Endmoräne derart abgedichtet, dass sich das Schmelzwasser des Gletschers in diesem Becken sammeln und nach dem Rückzug der Gletscherzunge einen See bilden kann. Heute werden solche Seen meist durch Regen- und Grundwasser gespeist, in den Alpen weiterhin vom Schmelzwasser der höher gelegenen Gebiete. Die meisten Gletscherrandseen entstanden nach dem Ende der Eiszeit, sie treten aber auch nach dem Abschmelzen heutiger Gletscher auf. Die Zahl und Fläche von Gletscherseen ist zwischen 1990 und 2015 um 53 bzw. 51 Prozent gestiegen.
Zungenbeckensee / Fjordsee
Eine spezielle, postglazial entstandene Seeform ist der Zungenbeckensee.
Durch eiszeitliche Gletscherzungen eingetiefte Becken, so genannte Zungenbecken, gibt es in allen vor Zeiten eisbedeckten Regionen. Ob die darin entstandenen Seen speziell als Fjordseen bezeichnet werden, hängt von der Bewegungsrichtung des das Becken bildenden Eises ab. Wo sich das Eis durch Gebirgstäler herabschob, wie bei der Entstehung der Fjorde, spricht man von Fjordseen. Wo das Eis vom Eispanzer eines Meeres – in Europa der Ostsee – kam, entsprechend der Entstehung der Förden, spricht man nicht von Fjordsee. Derartige Seen finden sich in Norddeutschland und anderen Regionen südlich und östlich der Ostsee.
Beispiele
Gletscherrandseen sind etwa in Nordbrandenburg, den Alpenvorländern und in inneralpinen Becken häufig anzutreffen:
Gletscherrandseen, aber keine Fjordseen:
Ammersee (?)
Federsee
Grimnitzsee
Parsteiner See
Tollensesee
Oberuckersee und Unteruckersee
Fjordseen:
Ammersee (?)
Bodensee, auch als tektonische Senke zu betrachten
Genfersee, auch als tektonische Senke zu betrachten
Seen des Salzkammerguts
Kärntner Seengebiet
italienische Seen im alpinen Bereich vom Garda- bis zum Luganersee
rezente Beispiele (noch heute am Gletscherrand):
am Ende der Pasterze (Großglockner)
am Triftgletscher (Gadmen)
am Fuß des Svartisen
Siehe auch
Eisstausee – ein Gletscherrandsee, der nicht durch die Randmoräne, sondern den Gletscher selbst aufgehalten wird
Kar (Talform)
Gletschermilch
Einzelnachweise
Weblinks
Glaziale Landform
Stillgewässer
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Q211302
| 119.238045 |
41632
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https://de.wikipedia.org/wiki/Industrial
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Industrial
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Industrial ist eine Kunst- und Musikrichtung, die sich ab der Mitte der 1970er-Jahre weltweit aus Elementen der experimentellen und Avantgarde-Musik sowie der Konzept- und Aktionskunst entwickelte. Der Begriff entstammt ursprünglich dem englischen Musiklabel Industrial Records, das kollektiv von den Mitgliedern der Band Throbbing Gristle gegründet und geführt wurde, die eine zentrale Position im frühen Industrial innehatten. Seine Wurzeln hat der Industrial neben der englischen Szene auch in den Vereinigten Staaten.
Hintergrund
Eine wesentliche Komponente des Industrials war und ist die Provokation entlang der äußersten Ränder des Erträglichen und damit einhergehend das Experiment mit audiovisuellen Grenzerfahrungen. Um zu irritieren und schockierende Eindrücke aus der gelebten Welt zu kommentieren, werden extreme Darstellungen von Gewalt, Sexualität, Krankheit, Krieg und Tod mit bedrohlichen und aggressiven Klangcollagen unterlegt. Die Band Throbbing Gristle beispielsweise verwob in ihrem Stück Slug Bait – ICA den Mord an Sharon Tate und die Grausamkeiten rhodesischer Guerilleros vor einem ruhigen elektronischen Hintergrund detailliert ineinander, Psychic TV in Supermale Reden von Johannes Paul II. und Anton Szandor LaVey. Die slowenische Gruppe Laibach projizierte bei einem Konzert den Film The Future Continues und einen Pornofilm übereinander, so dass unter anderem der drei Jahre zuvor gestorbene jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito und ein Phallus gleichzeitig auf der Leinwand zu sehen waren.
Die drastischen Kolportationen von verstörenden Ereignissen in Industrialstücken können beim Hörer eine nur schwer zu umgehende Fokussierung auf die Entwicklung emanzipativer Prozesse auslösen. Laibach etwa betrachten ihre Konzerte als Dekonstruktionen politischer Kundgebungen, antworten in Interviews mit Manifesten und stellen ein übertriebenes Verlangen nach Autorität zur Schau:
Es gibt jedoch auch Bands und Künstler, die etwa totalitäre Symbolik affirmativ aufgreifen und sich entsprechend positionieren: Michael Moynihan von Blood Axis beispielsweise hat sich mehrmals als Befürworter des Faschismus geäußert, Boyd Rice tat dies ebenfalls, zeigte sich begeistert von Personen wie Adolf Hitler und Alfred Rosenberg und trat in der Sendung Race and Reason von Tom Metzger (White Aryan Resistance) auf, in der er Industrial als „weiße Musik“ bezeichnete, und das Projekt Brethren vertritt deutlich rassistische Positionen.
Als Einflüsse des Industrial finden sich Mail-Art-, Performance- und Aktionskünstler, Dada, Neo-Dada und Fluxus sowie Schriftsteller wie William S. Burroughs und Brion Gysin. Aber auch außerhalb der Kunst liegende Gebiete wie Psychologie, Werbung und Geschichte waren und sind wichtige Inspirationen für die Industrial Culture (darunter von zentraler Bedeutung als immer wiederkehrende Motive die Zeit des Nationalsozialismus, Terrorismus, der Kolonialismus mit den teils folgenden Unabhängigkeitskriegen sowie Motive aus Psychiatrie und Medizin). Ebenso werden nicht selten satanische und magische/okkulte Themen aufgegriffen, einige Musiker wie Z’EV, das Church-of-Satan-Mitglied Boyd Rice oder die Band Psychic TV sind bekannt für ihr Interesse an diesen Themen und haben zudem Vereinigungen wie Thee Temple ov Psychick Youth oder die Abraxas Foundation gegründet; Thee Temple ov Psychick Youth wurde in der englischen Presse zeitweilig als in Ritualmorden involvierte satanische Vereinigung dargestellt, und Namen wie LAShTAL und Current 93 zeigen Bezüge zu Thelema auf. Von relativ geringer Bedeutung sind dabei musikalische Einflüsse. Zu nennen wären hierbei die Musik des Futurismus, Free Jazz und Free Improv, Musique concrète und einige Krautrock-Bands (Cluster, Tangerine Dream, Neu!, Kraftwerk). Experimentelle Künstler wie Frank Zappa (Nasal Retentive Calliope Music, 1968), Captain Beefheart, die Noise-Pioniere Velvet Underground (European Son, 1969) oder Kevin Ayers (Song From The Bottom Of A Well, 1971) lieferten Songs, die die Industrial-Ästhetik zum Teil vorwegnahmen. Auch Lou Reeds umstrittenes Album Metal Machine Music (1975), das im Wesentlichen aus kakophonischen Klängen besteht, gilt als Vorläufer von Industrial.
Geschichte
Entstehungsphase
Bereits um 1974 formierten sich die ersten Industrial-Projekte, unter ihnen Cabaret Voltaire aus Sheffield und Boyd Rice unter dem Pseudonym NON aus Denver. Während dieser Zeit entstanden zahlreiche Aufnahmen, die allerdings erst später einer breiteren Hörerschaft zugänglich gemacht wurden. Wie bei vielen Industrial-Formationen dienten Gitarren Rice nicht als typisches Rockinstrument, sondern als unkonventioneller Klangerzeuger. Rice beispielsweise schuf einen Teil seiner Aufnahmen mithilfe einer „Rotorgitarre“, einer E-Gitarre mit angeschraubtem Ventilator, der mittels Antriebsschraube die Saiten zum Schwingen brachte und als gewünschten Effekt Texturen mit hohem Geräuschanteil erzielte. Diese Aufnahmen wurden 1977 unter dem Titel The Black Album veröffentlicht.
Das dadaistisch inspirierte Künstlerprojekt Cabaret Voltaire absolvierte seine ersten Auftritte bereits 1975 und konfrontierte das Publikum mit aufeinander folgenden TV-Screenshots in hoher Schnittfrequenz, die Bilder von politischen Ausschreitungen, militärischen Zerstörungen oder faschistischen Symbolen zeigten.
1977 veröffentlichten Throbbing Gristle, hervorgegangen aus der Extremperformancegruppe COUM Transmissions, das musikalisch bahnbrechende Album The Second Annual Report. Parallel dazu realisierten sie im angesehenen Londoner Institute of Contemporary Arts (ICA) eine Prostitution betitelte Ausstellung. Objekte wie gebrauchte Tampons und Abbildungen aus Pornomagazinen wurden gezeigt und Auftritte einer Stripperin, von Throbbing Gristle selbst und der Punk-Band Chelsea (unter dem Pseudonym „LSD“) fanden statt. Die Ausstellung provozierte einen nationalen Skandal, mit dem sich selbst das britische Parlament befasste, und machte die Band populär und zugleich London zum Zentrum der Bewegung. Quasi aus dem Publikum heraus gründeten sich weitere Bands und Gruppen und Künstler aus anderen Ländern zogen teils dorthin. So entstand schnell ein internationales Netzwerk aus Musiklabels, Künstlern, Medien und Auftrittsorten, das auch befördert wurde durch die Interaktion mit dem zeitgleich entstehenden Punk. Wichtige Nebenzentren waren Deutschland und Belgien. In beiden Ländern entwickelten sich schnell eigene Spielarten des Industrials, teils unter starkem Einfluss lokaler Stile.
Weitere essentielle Projekte im Umfeld von Industrial Records waren SPK und Monte Cazazza.
Die Gruppe SPK wurde in Australien gegründet und zog dann nach London, England. Die Mitglieder blieben anonym, ließen sich nicht abbilden und nutzten Pseudonyme wie EMS AKS, Ne/H/il, Oblivion, Tone Generator und Pinker statt ihrer bürgerlichen Namen. Ihre ersten Veröffentlichungen spiegelten medizinische Themen wie Krankheiten, missgebildete Säuglinge und siamesische Zwillinge. Auf der Bühne wurden außerdem Flammenwerfer eingesetzt und dem Publikum provozierendes Bild- und Filmmaterial präsentiert: Eine ihrer Live-Performances gipfelte im Verzehr von Teilen eines rohen Schafgehirns durch Kopf und Gründer Graeme Revell (u. a im offiziellen Band-Video Despair zu sehen). Auf ihren ersten Alben Information Overload Unit (1981) und Leichenschrei (1982) spielte die Band bruitistische Musik ohne jedwede Melodie mit metallischen und elektrischen Geräuschen. Auf ihrem Album Zamia Lehmanni – Songs of Byzantine Flowers (1986) hingegen ruhige, schwere und triste ethnische Musik.
Cazazza wiederum entstammte der Szene San Franciscos, die neben ihm und Rice auch Z’EV, Jupitter Larsen (The Haters), Mark Pauline (Survival Research Laboratories), die psychedelische Band Factrix und die bedeutenden Publikationen RE/Search und Unsound hervorbrachte.
Anfang bis Mitte der 1980er Jahre verfiel der innovative Impuls zunehmend, durch den sich Industrial anfangs ausgezeichnet hatte und das ursprünglich komplexe Geflecht aus Medientheorie, Kunst und Provokation degenerierte zu einem Stereotyp. Die meisten Industrial-Bands lösten sich zu dieser Zeit entweder auf oder gingen komplett neue Wege.
Entwicklungen innerhalb der Post-Industrial-Ära
Eine Fortentwicklung aus dem Industrial stellen die ab den frühen 1980ern neu entstandenen Richtungen Power Electronics, Dark Ambient, Ritual, Martial Industrial und Death Industrial dar. Diese Epoche, die mit der Auflösung des Industrial-Hauptacts Throbbing Gristle einsetzt, wird als Post-Industrial bezeichnet. Diese Bezeichnung ist jedoch umstritten, da sie außerhalb der Industrial-Bewegung nur geringe Verbreitung erfuhr und die damit bezeichnete Epoche chronologisch nur schwer greifbar erscheint.
Einflussreiche Künstler dieser Zeit waren Lustmord, Esplendor Geométrico, The Wolfgang Press, Einstürzende Neubauten, Coil, Psychic TV, Test Dept., Zoviet France, Laibach, P16.D4, Factrix, Zos Kia, Foetus, Nocturnal Emissions, Hunting Lodge, Z’EV, Blackhouse sowie einige Künstler aus dem Umfeld des Come-Org-Labels (u. a. Whitehouse und Nurse with Wound).
Bis heute gibt es einen sehr aktiven Untergrund, der weltweit miteinander vernetzt ist. Wie andere Subkulturen auch, nutzt dieser traditionell Fanzines als Medium der Kommunikation, heutzutage aber vor allem das Internet. Reine Industrial-Fanzines, wie das französische Symposium oder ansatzweise das deutsche Scharlach, sind selten. Industrial wurde in den 1980er Jahren zum Teil in Punk-Magazinen behandelt, später auch in Wave-Magazinen wie Aeterna, Cruciamentum, Glasnost Wave-Magazin oder später das Black-Magazin aus Deutschland.
Power Electronics
auch Heavy Electronics genannt, ist ein Post-Industrial-Genre, das durch den Come-Org-Kreis um Whitehouse begründet wurde und sich durch druckvolle, monotone Lärmkulissen und stark verzerrten Schreigesang auszeichnet. Gelegentlich finden Samples Verwendung (z. B. aus politischen Reden) oder die Kompositionen werden durch Perkussions-Elemente oder Noise-Frequenzen rhythmisch unterlegt.
Sowohl textlich als auch visuell liegt Power Electronics dem klassischen Industrial am nächsten. Dabei werden vor allem Themen wie Mord, (sexuelle) Gewalt, Paraphilie, Wahnsinn, Rassismus oder Krieg (teils mit sozialkritischer Intention) aufgegriffen und versucht, bei Hörerschaft und Publikum eine Schockwirkung zu erzielen.
Das bedeutende Power-Electronics-Projekt Whitehouse von William Bennett debütierte 1980 mit der LP Birthdeath Experience; die Stilbezeichnung kam mit ihrem Album Psychopathia Sexualis (1982) auf. Die im gleichen Jahr erschienene Kompilation Für Ilse Koch prägte neben der Musik außerdem die üblichen Themengebiete des Genres.
Anenzephalia
Con-Dom
Einleitungszeit
Genocide Organ
The Grey Wolves
Gruntsplatter
Intrinsic Action
Maurizio Bianchi
Mauthausen Orchestra
Minamata
New Blockaders
NON
Propergol
Thorofon
Slogun
Söldnergeist
Whitehouse
Dark Ambient
ursprünglich auch als Ambient Industrial bezeichnet, ist ein Post-Industrial-Genre, dessen Anfänge bis in die späten 1970er zurückreichen. Die Bezeichnung selbst etablierte sich etwa um 1994 und wurde im Umfeld des Cold-Meat-Industry-Labels für das Album The Goddess who Could Make the Ugly World Beautiful von Morthound und das Werk Enthraled by the Wind of Lonelienes (sic) von Raison d’être verwendet, das zu dieser Zeit von der Plattenfirma Discordia beworben wurde. Die Bezeichnung Ambient Industrial ist hingegen seit der zweiten Hälfte der 1980er belegt.
Erste Dark-Ambient-Elemente finden sich bereits auf dem Throbbing-Gristle-Album The Second Annual Report von 1977, auf dem (zum Teil live aufgenommene) Kompositionen mit repetitiven Arrangements, Sprachsamples und bedrohlich anmutenden Klanglandschaften erzeugt wurden. Ähnliche Elemente machten sich Anfang der 1980er Jahre bei Künstlern wie Lustmord (Lustmørd, 1981), SPK (Leichenschrei, 1982) oder Zoviet*France (Mohnomishe, 1983) bemerkbar. Als fast vollständig im Dark-Ambient-Stil produzierte Veröffentlichungen können das 1984er-Album Eostre von Zoviet*France oder das 1986er-Album Paradise Disowned von Lustmord betrachtet werden.
Eine Wechselbeziehung zwischen Dark Ambient und dem eigentlichen Ambient-Genre ist nicht ganz sicher, da sich beide Genres etwa gleichzeitig herausbildeten. Spätere Künstler geben allerdings an, von beiden Genres – Industrial und Ambient – beeinflusst worden zu sein. Einige bedeutende Vertreter aus dem Dark-Ambient-Umfeld sind:
Accurst
Demdike Stare
Deutsch Nepal
Endura
Haiku Funeral
Illusion of Safety
Inade
Kammarheit
Lull
Lustmord
Nagaarum
Nordvargr
pando
PHD²
Raison d’être
Stone Glass Steel
Svartsinn
TenHornedBeast
Urna
Vidna Obmana
Vladimír Hirsch
Wicked Messenger
Wordclock
Ritual
Häufig auch Ritual Industrial genannt, ist ein Post-Industrial-Genre, das sich etwa 1983 entwickelte.
Charakteristisch für diesen Stil ist die Verwendung perkussiver Elemente, wie Trommeln, Glocken oder Metallfässer, die als Samples eingesetzt oder live eingespielt werden. Dabei sind oft verschiedene Rhythmusformen vorzufinden, wie z. B. ein einfacher, repetitiver Trommelschlag oder ein perkussiv verschachteltes Grundgerüst (sogenannte Tribal Beats). Die Kombination aus synkopalen Rhythmen und ruhigen Dark-Ambient- oder Noise-Flächen ergibt ein „zeremonielles“ Klangbild, das vereinzelt durch Gesang und evozierende Worte untermalt wird. Typisch ist auch das kompositorische Einbetten von Samples sakraler, beispielsweise gregorianischer oder tibetischer Gesänge, die zumeist als authentische Mitschnitte vorliegen. Die Autoren des Buches Looking for Europe beschreiben die Musik als „eine meist ruhige Industrial-Variante, die im Besonderen charakterisiert ist durch repetitive Kompositionen, Rückgriffe auf ethnomusikalische Ritualklänge und die Arbeit mit magischen Konzepten“.
Als Schlüsselwerke früher Ritual-Musik gelten die Werke Dekompositiones (1983) von SPK, LAShTAL (1983) und Nature Unveiled (1984) von Current 93 sowie The Secret Eye of L.A.Y.L.A.H. (1984) von Zero Kama, das laut band-eigener Aussage mithilfe menschlicher Knochen eingespielt wurde. Auch die Gruppe 23 Skidoo, die dem Psychic-TV- und Cabaret-Voltaire-Umfeld entstammte, beschäftigte sich auf ihrem Werk The Culling is Coming (1983) mit ritueller Musik und kann mit Titeln wie Gregouka als einer der Vorreiter des Stils betrachtet werden. Ein frühes Beispiel für diese Bezeichnung findet sich u. a. auf der hauptsächlich mit metallischen Instrumenten wie Schwertern und Gongs eingespielten 12"-Single How to Destroy Angels von Coil (1984), wo sich die Beschreibung als ritual music for the accumulation of male sexual energy findet. Eine weitere, aus den USA stammende Band war Hunting Lodge, die simultan mit vergleichbaren Elementen arbeitete (bspw. auf dem Album Exhumed und der Single Night from Night, beide 1983) und zwei Jahre später mit Tribal Warning Shot einen Untergrund-Hit erzielte.
Reine Ritual-Musikprojekte sind selten. Viele Künstler sind nebenbei in anderen Bereichen tätig, wie etwa im Dark-Ambient-, Death-Industrial- oder Neofolk-Umfeld. Einige bedeutende Ritual-Projekte sind:
23 Skidoo
Ain SophAndreas Diesel, Dieter Gerten: Looking for Europe. Neofolk und Hintergründe. 2. Auflage. Index Verlag 2007, S. 283ff.
Allerseelen
Autopsia
C.O.T.A.
Chöd
Cranioclast
Current 93
Exotoendo
Halo Manash
Hunting Lodge
The HybrydsAndreas Diesel, Dieter Gerten: Looking for Europe. Neofolk und Hintergründe. 2. Auflage. Index Verlag 2007, S. 252.
In Slaughter Natives
Internal Fusion
LAShTAL
Maybe Mental
Metgumbnerbone
Nakasone
Nigredo
Raison d’être
Raksha Mancham
Rosengracht
S·core
Sigillum S
Sixth Comm
Sleep Chamber
SPK
Svasti-ayanam
T.A.C.
Tasaday
Temps perdu?
Third Global Vagina Torture
Voice of Eye
Zahgurim
Zero Kama
Zwickau
Gelegentlich werden Künstler wie Alio Die, Arbre Noir, László Hortobágyi, O Yuki Conjugate, TUU und Vasilisk dem Genre zugeordnet. Diese bewegen sich jedoch außerhalb des Post-Industrial-Kontextes und sind stilistisch im Tribal-Ambient- und World-Music-Umfeld anzusiedeln.
Martial Industrial
Martial Industrial auch Military Pop genannt, ist ein Post-Industrial-Genre, das sowohl auf Klassik- als auch auf Dark-Ambient-Elemente zurückgreift und diese mit Marschrhythmen kombiniert.
Das Genre hat seine Wurzeln bei Gruppen wie Laibach (Ti, Ki Izzivas, Neue Akropolis), In the Nursery (Breach Birth, Arm Me Audacity) und Jordi Valls/Vagina Dentata Organ (Triumph of the Flesh), aber auch SPK, die bereits in der Mitte der 1980er mit Militärtrommeln, Filmmusik- und Orchestralsamples experimentierten und die spätere Martial-Industrial-Bewegung vorwegnahmen. In den 1990ern begannen europaweit Projekte wie The Moon Lay Hidden Beneath a Cloud, Dernière Volonté (Le feu sacré, Les blessures de l’ombre) oder Regard Extrême damit, dieses Konzept fortzuführen. Letztlich ging das Genre „in seiner Gesamtheit aber an seiner inhaltlichen und musikalischen Limitierung zugrunde“.
Aufgrund der Kriegsthematik in der Musik und der Covergestaltung einiger Alben, die dem Stile Leni Riefenstahls teilweise nachempfunden wurden, werden Vertreter des Martial Industrial oft ideologisch als rechtsorientiert kritisiert, was aber – abgesehen von einzelnen sich offen zu rechtem Gedankengut bekennenden Bands und Musikern wie Von Thronstahl und Michael Moynihan – an der starren Ästhetik von Militärkleidung und weniger in den Texten, Handlungen oder Absichten der Künstler zu sehen ist. Einige bedeutende Vertreter des Martial Industrial sind:
A Challenge of Honour
Apoptose
Arditi
Blood Axis
Der Blutharsch
Dernière Volonté
In the Nursery
Laibach
Les Joyaux de la Princesse
Life Toward Twilight
Karjalan Sissit
The Moon Lay Hidden Beneath a Cloud
Mordor
Parzival
Puissance
Regard Extrême
Triarii
Vagina Dentata Organ
Von Thronstahl
Wappenbund
Death Industrial
Der, auch als Doom Industrial bezeichnete, Death Industrial ist ein Post-Industrial-Genre, das Ende der 1980er Jahre entstand und sich in der Grauzone zwischen Power Electronics, Dark Ambient und Ritual bewegt.
Dabei werden häufig Samples von Maschinengeräuschen, Glocken und sakralen Gesängen sowie Sound-Effekte wie Verzerrer, Echo, Reverb oder Delay verwendet, um einen tiefen, monumentalen Klang zu erzeugen. Meistens werden die jeweiligen Kompositionen von dumpfen Geräuschkulissen begleitet, die eine Art „Katakomben-Ambiente“ hervorrufen sollen.
Die Bezeichnung Death Industrial wurde zunächst von Roger Karmanik, seines Zeichens Labelgründer und -betreiber von Cold Meat Industry, für das Projekt Brighter Death Now verwendet und im Laufe der Zeit auf zahlreiche weitere Künstler des Labels ausgedehnt, die sich stilistisch zwischen Power Electronics, Dark Ambient und Ritual-Musik bewegten. Inzwischen ist sie auch für label-übergreifende Künstler in Gebrauch. Einige bedeutende Künstler aus dem Death-Industrial-Umfeld sind:
Archon Satani
Atrabilis Sunrise
Atrax Morgue
Bad Sector
Brighter Death Now
Coph Nia
Djinn
Frozen Faces
The Grey Wolves
In Slaughter Natives
Lille Roger
Maschinenzimmer 412
Megaptera
Melek-Tha
Mental Destruction
Morthond
Negru Voda
Ordo Rosarius Equilibrio
Satanismo Calibro 9
Stratvm Terror (Frühwerk)
Derivative Formen
Ferner waren Überlagerungen mit anderen Genres, insbesondere mit dem Post-Punk-Umfeld, charakteristisch. Diese Überschneidung findet sich unter anderem bei Künstlern wie Skinny Puppy oder den frühen Death in June.
Aufgrund stilistischer Wechselwirkungen zeigten sich mehrere Querverbindungen zu Künstlern aus dem Neofolk-Genre. Diese Tatsache beruht möglicherweise auch auf den frühen Tätigkeiten von Boyd Rice, der bereits 1975 mit seinen Anti-Platten Material veröffentlichte, das sich sowohl für Industrial als auch für den Neofolk als wegweisend erwies. So suchten die experimentierfreudigen Avantgarde- und Neofolk-Projekte wie Current 93, Nurse With Wound oder Death in June mit Hilfe post-industrieller Strömungen nach weiteren Ausdrucksmöglichkeiten.
Über weitere vielfache Kreuzungen mit anderen Stilen (bspw. Rockmusik und Metal) entstand in den USA und Kanada eine Generation, die sich von den klassischen Urhebern bereits weit entfernt hatte. Ab dem Ende der 1980er Jahre kamen diese neuartigen, als Industrial Rock und Industrial Metal bezeichneten Stile durch Künstler wie Ministry oder Nine Inch Nails auch im Mainstream an. Das starke emanzipatorische Potential der ursprünglichen Industrial-Bewegung wich dabei zunehmend einer reinen Schockästhetik. Von den intellektuellen Fundamenten (Medientheorie, Wahrnehmungsforschung, „Wirtschaftsguerilla“) sind in aller Regel nur mehr Bruchstücke erhalten geblieben. John McRobbie, Betreiber des Mute-Records-Sublabels The Grey Area, das sich auf die Wiederveröffentlichungen früher Industrial-Werke spezialisiert, sieht das ähnlich:
Wechselbeziehungen
Aus einer Verschmelzung von Industrial und elektronischer Punkmusik (DAF, Die Krupps) ging die Electronic Body Music (EBM) hervor, die wiederum zahlreiche nachfolgende Musikstile beeinflusste, darunter den Techno in Europa.
Innerhalb der Post-Industrial-Szene existieren gegenwärtig unterschiedliche kulturelle Strömungen. Während ein Teil der Szene den Austausch mit der Neofolk-Kultur grundsätzlich befürwortet, lehnt ein anderer Teil den Kontakt mit dieser – aufgrund ihrer politischen Umstrittenheit – strikt ab. Unabhängig davon sind jedoch beide Subkulturen auf musikhistorischer Ebene untrennbar miteinander verwoben.
Einfluss auf andere Subkulturen
Mit der Entstehung von IDM, Hardcore Techno, Drum and Bass, Glitch und Clicks & Cuts in den 1990er Jahren, gab es etliche Künstler, die sich auf das Industrial-Umfeld beriefen und zur Entstehung weiterer Genres wie Breakcore, Rhythm ’n’ Noise oder Industrial Hardcore beitrugen. So finden sich bei Projekten wie Autechre (Incunabula, 1993), Aphex Twin (Selected Ambient Works Vol. II, 1994) oder Biosphere (Patashnik, 1994) beispielsweise verstärkt Dark-Ambient-Elemente. Umstritten ist hierbei jedoch die direkte Beeinflussung durch frühere Künstler aus dem Dark-Ambient-Umfeld.
Etwa gleichzeitig wurden, vereinzelt in Zusammenhang mit dem schwedischen Label Cold Meat Industry, Teile der Black-Metal-Szene auf das Post-Industrial-Umfeld aufmerksam. Beispiele hierfür sind Abruptum (deren „Anti-Musik“ bereits Ende der 1980er Jahre Death-Industrial-Elemente übernahm), Darkspace und Vinterriket. Eine Annäherung beider Szenen zeigt sich auch im gemeinsamen Erscheinen der Compilation Souvenirs from Hell, auf der unter anderem Bands wie Ulver, Blood Axis sowie Magus Wampyr Daoloths Projekte N.A.O.S. und Diabolos Rising vertreten sind.
Der zeitgenössische klassische Komponist Moritz Eggert ließ sich durch Industrial zu seinem Schlagzeugkonzert Industrial für Metallteile und Großes Orchester inspirieren.
Labels
Ant-Zen
Art Konkret
Artware Production
Banned Production
BloodLust!
Cause for Concern
Cold Meat Industry
Cold Spring Records
Come Org
Cyclic Law
Dark Vinyl Records
Drone Records
Extreme
Fetish Records
Freak Animal Records
Galakthorrö
Industrial Records
L.A.Y.L.A.H. Anti-Records
Ladd-Frith
L. White Records
Loki Foundation
Malignant Records
Membrum Debile Propaganda
Minus Habens
Nature & Art
Nekrophile Rekords
Noise Museum
Old Europa Café
Open Wound
Power & Steel
Praxis Dr. Bearmann
RRRecords
SSS Productions
Self Abuse Records
Slaughter Productions
Soleilmoon Recordings
Sounds for Consciousness Rape
Staalplaat
Stateart
Steinklang Industries
Sterile Records
Susan Lawly
Tesco Organisation
Zero Cabal
Literatur
RE/Search No. 6/7: Industrial Culture Handbook. RE/Search Publications 1983, ISBN 0-940642-07-7
Charles Neal: Tape Delay: Confessions from the Eighties Underground. New edition. 2001, ISBN 978-0-946719-02-0
David Keenan: England’s Hidden Reverse: A Secret History of the Esoteric Underground. New edition. 2004, ISBN 978-0-946719-67-9.
Paul Hegarty: Noise/Music: A History. 2007, ISBN 978-0-8264-1726-8.
Ästhetische Mobilmachung. Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien. Herausgegeben von Andreas Speit. Unrast Verlag 2002, ISBN 3-89771-804-9.
Bret D. Woods: Industrial music for industrial people: the history and development of an underground genre. (PDF; 12,8 MB; englisch).
Paul Matyas: Die Anfänge der Industrial Music Culture und deren Bezüge zu Strängen musikalisch-künstlerischer Avantgardebewegungen othes.univie.ac.at (PDF)
Andreas Diesel, Dieter Gerten: Looking for Europe. Neofolk und Hintergründe.Index Verlag, Zeltingen-Rachtig 2005, ISBN 3-936878-02-1.
Siehe auch
Wikipedia:WikiProjekt Industrial und Noise
Weblinks
Birgit Richard: Die Industrial Culture-Szene
Wolfgang Sterneck: Die Industrial Culture
Rigobert Dittmann: Industrial Culture – Industrial Music
Einzelnachweise
Musikgenre
Englische Phrase
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Q487965
| 94.269481 |
13836
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tirana
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Tirana
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Tirana [] (bestimmte Namensform, unbestimmte: Tiranë []; im lokalen gegischen Dialekt Tirona [] bzw. Tiron []) ist die Hauptstadt Albaniens und der Gemeinde Tirana (Bashkia e Tiranës). Bei der Volkszählung 2011 wurden für die Stadt 418.495 Einwohner und für die heutige Gemeinde 557.422 Einwohner erhoben. Nach eigenen Angaben hat Tirana deutlich mehr, rund 625.000 Einwohner (2009), während die Agglomeration 895.042 Einwohner zählt (2008). Mit Durrës und einigen Vorstädten bildet Tirana eine Metropolregion, wo auch der größte Flughafen und der größte Hafen Albaniens liegen.
Tirana ist der kulturelle, politische und wirtschaftliche Mittelpunkt eines zentralistisch organisierten Staates und Sitz mehrerer Einrichtungen, Organisationen und Parteien. So befinden sich dort das Parlament und die Regierung des Landes. Tirana ist Hauptstadt des gleichnamigen Qarks und war bis zu dessen Auflösung auch Hauptstadt eines Kreises, von dem ein Großteil heute zum Gebiet der Gemeinde zählt.
Geographie
Geographische Lage
Tirana liegt am Westfuß seines Hausbergs Dajti () am Übergang von der Ebene in hügelige Landschaft auf einer Höhe von in Mittelalbanien. Bis zur Küste der Adria bei der Hafenstadt Durrës – der zweitgrößten Stadt des Landes – sind es nur etwa 30 Kilometer Luftlinie. Im Süden und Westen wird Tirana von Hügeln umgeben, die mit dem Dajti einen grünen Gürtel um die Stadt bilden. Nach Nordwesten öffnet sich eine etwa 40 Kilometer lange Ebene bis zur Meeresküste.
Am nördlichen Stadtrand verläuft der gleichnamige Fluss Tirana, einer der Oberläufe des Flusses Ishëm. Einige Kilometer südlich fließt der Erzen an Tirana vorbei. Das Stadtzentrum wird vom Flüsschen Lana durchquert, das am Dajti entspringt. Das Skanderbeggebirge im Osten dient mit dem Bovilla-Reservoir und der Zuleitung zum Wasserkraftwerk Lanabregas der Trinkwasserversorgung der Hauptstadtregion.
Die Umgebung der Hauptstadt ist von vielen kleinen, teils künstlichen Seen geprägt. Der wohl bekannteste ist der Tirana-See, auch Künstlicher See (Liqeni artificial) genannt. Er befindet sich im Großen Park (Parku i madh) am Südrand der Innenstadt und wurde 1956 angelegt. Damals berechnete man für jeden einzelnen der rund 150.000 Einwohner acht Quadratmeter Parkgelände. Der See hat eine Fläche von 55 Hektar. Er wird am Südrand von neuen Siedlungen und einem Autobahnabschnitt begrenzt.
Weitere Seen beziehungsweise Reservoirs sind der Farka-See östlich des Großen Parks, der Paskuqan-See zwischen Tirana und dem Vorort Kamza und der Kashar-See nordwestlich der Stadt beim gleichnamigen Ort an der Autobahn Tirana–Durrës.
Außerhalb der Innenstadt gehören auch weite Hügelgebiete und Gebirgsregionen – ein Großteil des alten Kreises Tirana – zur Gemeinde.
Stadtgliederung
Die alte Gemeinde Tirana war in elf Stadtbezirke (offiziell , früher auch Minibashki genannt) eingeteilt, die jeweils einen eigenen Bürgermeister stellten und dem Oberbürgermeister untergeordnet waren.
Seit der Gemeindereform von 2015 sind die vorher eigenständigen Gemeinden Baldushk, Bërzhita, Dajt, Farka, Kashar, Krraba, Ndroq, Petrela, Peza, Shëngjergj, Vaqarr, Zall-Bastar und Zall-Herr in der Bashkia Tirana vereint. Nunmehr bestimmt der Bürgermeister die Verwalter in den einzelnen Bezirken.
Klima
Tirana befindet sich in der mediterranen Klimazone. Die Stadt hat nach Köppen ein feucht-subtropisches Klima (effektive Klimaklassifikation: Cfa).
Die Sommer sind warm und oft auch heiß; die Winter sind zwar kühl, doch sinkt die Tagestemperatur nur sehr selten unter den Gefrierpunkt. Der wärmste Monat ist der Juli mit 24,9 °C, der kälteste der Januar mit 7 °C im Durchschnitt. Durch die geographische Lage in einem Talkessel ist es in Tirana öfters einige Grad wärmer als in der umliegenden Landschaft. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt 15,9 °C.
Die mittlere jährliche Niederschlagsmenge beträgt 1265 Millimeter. Sie ist hoch bedingt durch die Wirkung des Skanderbeggebirges, das die Westwinde staut. Im Sommer fallen die Niederschläge vor allem als Starkregen, so dass trotz überdurchschnittlicher Niederschlagsmengen sehr viele Sonnentage verzeichnet werden. Im November gibt es den meisten Niederschlag mit durchschnittlich 172 Millimetern, im Juli mit im Durchschnitt 42 Millimetern den geringsten (gemäß anderen Quellen im Juli sogar nur 29 Millimeter).
Sehr oft tritt in der Großstadt eine Inversionswetterlage auf, was zu hoher Luftverschmutzung und Smog führt.
Geschichte
Früheste Zeugnisse und Stadtgründung
Die Umgebung von Tirana ist schon seit der Altsteinzeit bewohnt. Die ältesten Funde auf Stadtgebiet stammen aus der Römerzeit: Mauern und ein Mosaik aus einer zu einer Kirche umgebauten römischen Villa des 2. oder 3. Jahrhunderts. Im 6. Jahrhundert ließ der römische Kaiser Justinian I. eine Festung errichten, deren Mauern noch heute im Stadtzentrum zu sehen sind.
Tirana wurde erstmals in der heutigen Namensform in den Jahren 1372 und 1418 in venezianischen Dokumenten erwähnt. 1431/32 führten die Osmanen zum ersten Mal in der Gegend eine Registrierung von Böden und Einwohnern durch. Demnach gab es in dieser Region 60 Ortschaften mit rund 1000 Häusern und 7300 Einwohnern. Marin Barleti unterschied im 16. Jahrhundert Tyranna maior (Groß-Tirana) und Tyranna Minor (Klein-Tirana). 1583 ergab eine osmanische Zählung für das Gebiet Tirana 110 Ortschaften, in denen 20.000 Menschen in 2900 Häusern lebten.
Der aus Mullet bei Petrela stammende lokale Großgrundbesitzer Sulejman Pascha Bargjini errichtete 1614 an der heutigen Stelle die Sylejman-Pascha-Moschee, eine Karawanserei (Han), eine Bäckerei sowie einen Hamam und gilt dadurch als Stadtgründer von Tirana. Vermutlich existierte an dieser Stelle schon zuvor ein kleiner Ort mit regelmäßigem Basar und Jahrmarkt, der an Bedeutung gewonnen hatte, weshalb es sich lohnte, eine solche Infrastruktur für die anreisenden Händler zu bauen. Nachdem Sulejmans Nachfahren um 1800 ausstarben, übernahm die Familie Toptani aus Kruja die Herrschaft über Tirana.
Bestimmung zur Hauptstadt 1920 und erste städtebauliche Maßnahmen
Tirana blieb lange klein und unbedeutend, bis der Ort 1920 auf dem Kongress von Lushnja zur Hauptstadt Albaniens bestimmt wurde. Darauf wurde schnell aus einem Ort mit wenigen tausend Einwohnern die größte und bedeutendste Stadt des Landes. König Zogu ließ sich hier einen Palast erbauen und mit italienischer Hilfe wurden Ministerien und eine Prachtstraße angelegt. Durch städtebauliche Maßnahmen entstanden erste moderne Strukturen, unter anderem der nach dem albanischen Fürsten Skanderbeg benannte Zentralplatz.
Zweiter Weltkrieg und Kommunistische Regierung 1944 bis 1990/91
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 wurde Albanien von den italienischen Faschisten besetzt.
Im November 1941 baute Enver Hoxha in Tirana die Kommunistische Partei Albaniens auf, und Tirana wurde zum Zentrum der albanischen Kommunisten. Sie warben bei der Bevölkerung, gegen die italienischen Faschisten und die deutschen Nazis zu kämpfen. Die Stadt wurde nach einem schweren, mehrere Tage dauernden Kampf zwischen den Partisanen und der Wehrmacht, bei dem zahlreiche historische Gebäude – darunter auch die wichtigste Moschee – zerstört wurden, am 17. November 1944 befreit. Wenige Tage später, am 29. November 1944, rief Hoxha in Tirana die Unabhängigkeit Albaniens aus.
In der Zeit der kommunistischen Herrschaft entwickelte sich die Stadt rasant: Sozialistische Wohnsiedlungen und Fabriken – insbesondere Nahrungsmittel- und Maschinenfabriken – wurden errichtet. Daneben setzte die kommunistische Führung auch den kulturellen Ausbau der Hauptstadt fort und errichtete zahlreiche Bildungseinrichtungen und Kulturzentren wie das Opernhaus, mehrere Museen, das Filmstudio und einige Theater. Die Universität Tirana wurde im Jahr 1956 gegründet.
Um das Zentrum der Stadt neu gestalten zu können, wurden in den 60er- und 80er-Jahren zahlreiche historische Gebäude zerstört.
Zeit der Demokratisierung
Am 20. Februar 1991 stürzten Demonstranten die überlebensgroße Statue von Enver Hoxha auf dem Skanderbeg-Platz. Somit wurde das Ende der kommunistischen Herrschaft eingeleitet. Albanien begann sich allmählich politisch und gesellschaftlich zu öffnen und zu demokratisieren. Im März 1997 wurde Albanien nochmals von Unruhen erschüttert. Staaten wie die USA (Operation Silver Wake) oder Deutschland (Operation Libelle) begannen in der sich ausbreitenden Anarchie, ihre Staatsbürger und das Botschaftspersonal auszufliegen. Zur Befriedung der Situation übernahm im Rahmen der Operation Alba ab April 1997 für mehrere Monate eine multinationale Schutztruppe die Kontrolle der öffentlichen Sicherheit im Land. Im Sommer des Jahres wurden erfolgreich Neuwahlen durchgeführt.
Nach der Demokratisierung änderte sich das Stadtbild schnell. Überall wurden illegal Gebäude errichtet, vor allem Richtung Nordwesten. Viele Bewohner der Landregionen ließen sich am Stadtrand nieder. Im Stadtzentrum entstanden Läden, Cafés und Restaurants. Ab 1999 wurden die illegalen Bauten im Stadtzentrum abgerissen und die Grünanlagen wiederhergestellt.
Im 21. Jahrhundert erlebte Tirana einen wirtschaftlichen Aufschwung. Zahlreiche moderne Hochhäuser sind entstanden. Der Großteil der Straßen wurde neu asphaltiert und beschriftet. Viele Parks wurden eingerichtet und viele Bäume gepflanzt. Ein Stadt- und Ordnungsplan wurde fertiggestellt. Ein Kanalisationsprojekt wird von einer japanischen Firma verwirklicht und große Teile der Stadt wurden gesäubert. Internationale Firmen und Läden eröffneten Niederlassungen. Der öffentliche Verkehr wurde teilweise ausgebaut und neue Stadtbusse sind erworben worden. Ein Tram-Projekt wird geprüft. Außerdem wurde ein Adressensystem realisiert.
In der Nacht vom 21. September auf den 22. September 2019 wurde Tirana von einem Erdbeben erschüttert. Das Beben mit einer Stärke von 5,8 auf der Richterskala richtete Schäden an mindestens 300 Gebäuden an. Örtliche Medien gaben an, dass über 100 Personen verletzt wurden, einige trugen schwere Verletzungen davon. Das albanische Ministerium sprach vom schwersten Erdbeben seit Jahrzehnten, das Albanien erlebt hat.
Bevölkerung
Einwohnerentwicklung
Die Einwohnerzahl Tiranas dürfte sich seit 1991 – dem Jahr des Sturzes der kommunistischen Regierung – mehr als verdoppelt haben. Im September 2009 waren 624.642 Einwohner beim Standesamt (Gjendja civile) gemeldet, davon waren 49,8 Prozent Männer und 50,2 Prozent Frauen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in Tirana und in den Vororten Tausende von Personen nicht registriert sind, weshalb andere offizielle Quellen die Bevölkerungszahl in der Metropole mit 895.042 Personen (2008) angeben. Bei der Volkszählung im September 2011 wurden jedoch nur 418.495 Einwohner erfasst.
Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft setzte in Albanien eine starke Landflucht ein, vor allem aus dem von der Verarmung der Bevölkerung stark betroffenen Norden des Landes. Zwischenzeitlich entwickelte sich ein riesiger Unterschied zwischen Reichen und Armen. Während in den modernen Geschäften im Stadtzentrum die Preise weit über Landesdurchschnitt liegen und viele neue Villen und Hochhäuser für die Oberschicht entstanden sind, haben sich in informalen Siedlungen um Kamza und Paskuqan am Stadtrand Zehntausende von Menschen aus armen Berggebieten niedergelassen, die Einwohnerzahl hat sich vervielfacht. Die Zuwanderer haben oft illegal Land besetzt und einfache Häuser errichtet, die anfangs weder über fließendes Wasser, Strom oder ordentliche Zufahrtsstraßen verfügten. Für die Kinder in diesen Gegenden fehlten lange Schulen. Mittlerweile wurde die Infrastruktur auch in den Vororten deutlich verbessert durch Asphaltierung der Straßen, Sicherstellung von fließendem Wasser, Anbindung ans Stromnetz und den Bau von Schulen.
Dialekte
Ursprünglich war Tirana ein kleines Städtchen, dessen Einwohner den regionalen südgegischen Dialekt sprachen. Dieser wird heute noch in den benachbarten Dörfern gepflegt. Die seit 1920 anhaltende stetige Einwanderung aus allen Teilen des Landes, hat jedoch dazu geführt, dass das örtliche Idiom mittlerweile fast ganz verschwunden ist und nur mehr Standard-Albanisch gesprochen wird.
Ethnische Minderheiten
Die starke albanische Binnenmigration – vorzugsweise mit dem Ziel Tirana – führte dazu, dass heute in der Hauptstadt Angehörige aller in Albanien vertretenen Minderheiten leben. Die größte ethnische Minderheit sind die Roma, gefolgt von einer kleineren Zahl Griechen und Aromunen. Genaue Zahlen liegen jedoch nicht vor.
Religionen
Tirana ist in religiöser Hinsicht ein großer Schmelztiegel geworden. Ursprünglich war die Stadt eher sunnitisch-islamisch geprägt. Seit Tirana zur Hauptstadt bestimmt wurde, sind auch viele Bewohner anderer Konfessionen zugezogen. Es gibt auch zahlreiche Atheisten, die nach dem Religionsverbot während der kommunistischen Herrschaft keinen Glauben mehr angenommen haben. Genaue Zahlen zu den Religionsbekenntnissen der Bevölkerung liegen nicht vor. Bemerkenswert ist das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Glaubensgemeinschaften.
Tirana ist Sitz des sunnitischen Großmuftis der Muslimischen Gemeinschaft Albaniens, des Erzbischofs des römisch-katholischen Erzbistums Tirana-Durrës und eines Erzbischofs der orthodoxen Kirche von Albanien. Zudem ist Tirana das Weltzentrum des Bektaschi-Ordens.
Während der kommunistischen Herrschaft wurden viele Gotteshäuser zerstört oder umfunktioniert; später wurden viele neu errichtet: Neben der historischen Et’hem-Bey-Moschee am Hauptplatz und den beiden Kathedralen im Stadtzentrum wird jetzt auch eine Große Moschee errichtet, die von der türkischen Regierung mitfinanziert wird. In der Stadt befinden sich weiter mehrere kleinere Kirchen und Moscheen wie die Herz-Jesu-Kirche, eine katholische Universität (Zoja e Këshillit të Mirë) und eine Medrese. Die 2010 eröffnete Synagoge der kleinen jüdischen Gemeinde wurde bald darauf wieder geschlossen.
Es gibt zudem kleine protestantische, baptistische, buddhistische und Gemeinden der Bahai, der Zeugen Jehovas und der Ahmadiyya.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Tirana ist kultureller Mittelpunkt Albaniens. Dort befinden sich die wichtigsten kulturellen Einrichtungen des Landes und dort wirkt auch der Großteil der albanischen Künstler, Sportler, Musiker, Schauspieler und Sänger. Dem war jedoch nicht immer so in Albanien. Bevor Tirana 1920 zur Hauptstadt bestimmt wurde, galten die Städte Shkodra, Korça, Prizren (Kosovo) und Skopje (Nordmazedonien) als kulturelle Zentren Albaniens und der Albaner. Erst mit der Entstehung der zentralistischen Staatsstruktur Albaniens entstanden im ehemaligen kleinen Marktflecken Tirana große Stadtgebäude und damit auch kulturelle Anlagen.
Durch diese zentralistische Politik, aber auch durch die Landflucht und damit verbunden durch die Einwanderung aus anderen Landesteilen Albaniens, trat die örtliche Kultur vor allem in den letzten 20 Jahren allmählich in den Hintergrund. Die Tiraner Traditionen und Bräuche und allgemein das lokale Volkstum sind heute nur wenigen Stadtbewohnern bekannt; diese Kultur ist nun ausschließlich in den benachbarten Dörfern anzutreffen.
Theater, Museen und Kunstgalerien
Tirana ist Standort der größten Museen, Kunstgalerien und anderer kultureller Einrichtungen des Landes. Unter den zahlreichen Institutionen sind der Kongresspalast und der Kulturpalast, in dem sich das staatliche Opern- und Balletttheater und die Nationalbibliothek befinden. Zentral gelegen sind auch das Historische Nationalmuseum, das Archäologische Nationalmuseum, das Internationale Zentrum für albanische Archäologie, die Nationale Kunstgalerie, die Ausstellung der Volkskultur, das Museum der Naturwissenschaften und das Museum der Streitkräfte. Das 2018 eröffnete Kulturzentrum arTurbina, das das Nationaltheater beherbergt, liegt südlich der Innenstadt.
Bauwerke
Das Wahrzeichen der Stadt ist das Reiterstandbild zu Ehren Skanderbegs auf dem gleichnamigen Platz. Berühmt ist außerdem die Et’hem-Bey-Moschee (Bauzeit von 1794 bis 1821) sowie der 35 Meter hohe Uhrturm von 1830 gleich daneben. Andere Überreste aus osmanischer Zeit sind rar. Erhalten blieben die osmanische Steinbogenbrücke Ura e Tabakëve aus dem 18. Jahrhundert mit der gleichnamigen Moschee und die Mauern der Burg, die zum Teil sogar aus justinianischer Zeit stammt. Auch die Kapllan-Pascha-Türbe gehört ebenso wie die Kokonozi-Moschee und die Scheich-Dyrri-Tekke zum osmanischen Kulturerbe.
Zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Umgebung von Tirana zählt die in der frühbyzantinischen Zeit errichtete Festung Petrela an der Straße nach Elbasan. Eine weitere bedeutende Festung befindet sich in Preza.
In den 1930er- und 1940er-Jahren wurden das Hauptgebäude der Universität und ein Ensemble mit Verwaltungsgebäuden im Stil des italienischen Faschismus errichtet. Die ebenfalls in dieser Zeit errichteten Stadtvillen mussten in den letzten Jahren zum großen Teil modernen Hochhausbauten weichen. Baugrund ist in der Innenstadt von Tirana knapp und teuer.
Die Pyramide von Tirana befindet sich südlich der Lana; es ist ein Gebäude aus kommunistischer Zeit, das 1988 als dem diktatorischen Führer Enver Hoxha gewidmetes Museum eröffnet wurde. Seine Tochter Pranvera ließ die Pyramide planen und errichten. Nach zahlreichen Plänen zum Abriss und zu Umnutzungen wird das zuletzt baufällige Gebäude seit Februar 2021 von der niederländischen Firma MVRDV zu einem neuen Kultur- und Bildungszentrum umgebaut.
Architektur
Die Architektur ist teilweise balkanisch-traditionell, teilweise aus der Zwischenkriegszeit faschistisch (neoklassizistisch), zum größten Teil aber durch Plattenbauten, neuere Apartmenthäuser und – vor allem im Nordwesten – von illegalen Siedlungen geprägt. Das Pallati me kuba ist eines der wenigen Beispiele modernen Bauens aus der kommunistischen Zeit. Tirana erlebt seit einigen Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung; so zeugen auch die vielen Bautätigkeiten davon.
Die Fassaden ganzer Straßenzüge in der Innenstadt wurden vor einigen Jahren in schrillen Farben und wilden Mustern neu gestaltet. Durch diese „Mal-Aktionen“ des Bürgermeisters und Künstlers Edi Rama wurde die kommunistische Tristesse, die manchem Plattenbau und vielen unverputzten Häusern anhing, gemildert. Auch andere Städte in Albanien übernahmen diese Idee aus Tirana.
Seit diesen ersten Umgestaltungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich das Stadtbild jedoch weiterhin stark verändert. Es sind moderne Neubauten, neue Alleen, Schulen, Straßen, Radwege, Parks und ein neues Abwassersystem entstanden, und auch die Versorgung mit Elektrizität und Wasser hat sich sehr verbessert.
Innenstadt
Den Mittelpunkt der Stadt bildet der Skanderbeg-Platz, der vom Historischen Nationalmuseum, dem Tirana International Hotel, dem Kulturpalast, der Et’hem-Bey-Moschee und dem dahinterstehenden Uhrturm und dem TID Tower, dem Gebäude-Ensemble aus der faschistischen Ära – westlich davon befinden sich noch das Puppentheater, der Hauptsitz der Sozialistischen Partei und die albanisch-orthodoxe Auferstehungskathedrale – und der Bank von Albanien umkreist wird (von Norden im Uhrzeigersinn drehend).
Vom Skanderbeg-Platz aus gehen die wichtigsten Straßen der Stadt sternförmig in allen Richtungen. Der Boulevard Dëshmorët e Kombit ist die zentrale Achse und führt in südlicher Richtung an dem Innen- und Verteidigungsministerium, dem Rinia-Park, der Nationalen Kunstgalerie, dem Hotel Dajti, über die Lana, an der Pyramide von Tirana, dem Park Lulishtja e tre vëllezërve Frashëri, den Twin Towers, weiter am Ministerrat, dem Regierungssitz, dem Rogner Hotel, dem Qemal Stafa-Park, dem Sitz des Präsidenten und dem Kongresspalast vorbei bis zum Mutter-Teresa-Platz mit der Universität, der Polytechnischen Universität und der Universität der Künste sowie dem etwas zurückversetzten Air Albania Stadium. Nördlich des Stadions befindet sich das ABA-Business-Center und südlich davon das Sheraton Hotel am Fuße des kleinen Hügels, worauf sich der Große Park (Parku i madh) befindet. Im Park gibt es einen Deutschen Soldatenfriedhof. Hinter dem künstlichen See befinden sich zudem der Botanische und der Zoologische Garten.
Der Blloku westlich des zentralen Boulevards, war ein Villenviertel, das vor der demokratischen Wende nur von den höheren Führungspolitikern bewohnt wurde, unter anderem von Enver Hoxha. In den letzten Jahren entstanden hier auf engstem Raum zahlreiche Cafés, trendige Bars, schicke Restaurants, Boutiquen, Bürogebäude und Hochhäuser wie der Sky Tower mit Drehrestaurant. Das Viertel wird heute oft als Spielplatz der jungen Elite bezeichnet.
Weiter westlich liegt das Stadtviertel Komuna e Parisit mit zahlreichen modernen Hochhäusern und dem Selman-Stërmasi-Stadion.
Neben zahlreichen Grünanlagen im Stadtzentrum lädt der Große Park südlich der Universität zum Verweilen ein. Er grenzt an den künstlichen See, neben dem sich auch das städtische Schwimmbad befindet. In früheren Zeiten befand sich im Park die orthodoxe Kirche von Shën Prokopi. Die atheistischen Kommunisten erließen 1967 ein totales Religionsverbot – am Ort der Kirche wurde ein Restaurant erbaut. Nach der Einführung der Demokratie wurde das Gebäude wieder in eine Kirche umfunktioniert.
Östlich des Boulevards am Nordufer der Lana befindet sich die katholische Pauluskathedrale (alb. Shën Pali). Weiter östlich befindet sich eine alte osmanische Steinbrücke, die über die Lana führt (Ura e Tabakëve). Der größte Lebensmittelmarkt der Stadt, Pazari i ri, liegt östlich des Skanderbeg-Platzes rund um den Avni-Rustemi-Platz.
Nordwestlich des Skanderbeg-Platzes befindet sich der Sheshi Karl Thopia (früher Sheshi Zogu i Zi), wo die Autobahnen nach Durrës und Shkodra beginnen.
Vom zentralen Skanderbeg-Platz nach Norden führt der Boulevard Zogu I., der von vielen Boutiquen und Restaurants gesäumt ist. Die Straße endet beim Platz Sheshi Franc Nopca, an dem früher der Bahnhof Tirana der Hekurudha Shqiptare lag. An einer Verlängerung nach Norden wird zurzeit (2014) gearbeitet.
Außenbezirke
Im Stadtbezirk Lapraka im Nordwesten Tiranas befindet sich das größte Krankenhaus Albaniens, der Spitali Ushtarak – „Militärspital“ – genannt wird. Das Universitätsspital steht neben der Militärischen Akademie „Skanderbeg“ nordöstlich des Skanderbeg-Platzes.
Im ganz äußersten südwestlichen Zipfel der Stadt befindet sich der Stadtteil Kombinati, ein ehemals großes Industriegebiet mit vielen Fabriken und Gewerbebetrieben und vielen Wohnhäusern für die Arbeiter.
Auf dem Heldenfriedhof am südöstlichen Stadtrand steht das Monument Mutter Albanien (Nëna Shqipëri).
Sport
Die drei Fußballklubs KF Tirana, KS Dinamo Tirana und FK Partizani Tirana gehören zu den erfolgreichsten Vereinen des Landes: KF Tirana führt vor Dinamo und Partizani die Liste der Rekordmeister der albanischen Meisterschaft Kategoria Superiore an. Den Pokal haben Tirana und Partizani am häufigsten gewonnen, vor Dinamo. Seit 2023 spielen wieder alle drei Teams in der höchsten Spielklasse. Die Fußballmannschaften tragen ihre Heimspiele im Selman-Stërmasi-Stadion, im Kompleksi Partizani und im Air Albania Stadium, dem Nationalstadion, aus.
Der 1920 gegründete städtische Sportverein SK Tirana ist in rund einem Dutzend Sportarten aktiv. Der KF Tirana ist daraus hervorgegangen.
Für Hallensportarten wie Basketball und Volleyball verfügt Tirana über die größere Arena Pallati i Sportit „Asllan Rusi“, die während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als Flüchtlingsunterkunft diente. Gleichermaßen genutzt wurde damals auch das große Freibad am Stadtrand, welches renoviert und heute das größte außenstehende Schwimmbad Albaniens ist. Angrenzend befindet sich der 2017 eröffnete Parku Olimpik Tirana, eine weitere Mehrzweckhalle, in der Europameisterschaften im Gewichtheben 2022 ausgetragen wurden.
Folklore
Tirana hat eine reiche traditionelle Folklore, die in ganz Albanien beliebt ist. Die Stadt ist eines der Zentren der mittelalbanischen Musik, Lieder, Tänze und Trachten. Zu berühmten Interpretinnen der typischen Volksmusik von Tirana zählen Merita Halili, Manjola Nallbani, Valbona Mema, Hafsa Zyberi (1925–1994) und Fitnete Rexha (1933–2003).
Der Musikstil der örtlichen Volkskultur ist vor allem von den Klängen der Klarinette und dem Akkordeon sowie dem Rhythmus von Dajre und Tupan geprägt. In der ganzen mittelalbanischen Region um Durrës, Kavaja, Kruja und Elbasan herrschen sehr ähnliche Musikstile.
Jedes Jahr wird am 14. März das heidnische Frühlingsfest Dita e Verës in verschiedenen Straßen und auf zahlreichen Plätzen Tiranas gefeiert.
Politik und Verwaltung
Exekutive
Der Bürgermeister der Bashkia von Tirana (albanisch Kryetari i Bashkisë) übernimmt gemeinsam mit seinem „Kabinett“ exekutive Funktionen und wird zusammen mit dem Stadtrat alle vier Jahre direkt gewählt. Der Bürgermeistersitz befindet sich im Rathaus am Skanderbeg-Platz.
Seit Sommer 2015 ist Erion Veliaj (PS) der Bürgermeister der Stadt. Er löste den seit 2011 amtierenden Lulzim Basha (PD) ab. Bashas Vorgänger war von 2000 bis 2011 Edi Rama (PS), der durch zahlreiche Aktionen weltweite Aufmerksamkeit generierte. Weitere Vorgänger nach dem Sturz des kommunistischen Regimes waren Sali Këlmendi (1992–1996) und Albert Brojka (1996–2000), beide von der PD.
Legislative
Der Stadtrat (alb. Këshilli Bashkiak) setzt sich aus 61 Mitgliedern zusammen. Er verfügt über legislative Funktionen und wird alle vier Jahre vom Stimmvolk der Bashkia Tirana direkt gewählt. Der Ratssitz befindet sich am Skanderbeg-Platz.
Judikative
Tirana ist Sitz eines Bezirksgerichts (alb. Gjykata e Rrethit Gjyqësor) und des Obersten Gerichtshof Albaniens (alb. Gjykata e Lartë e Republikës së Shqipërisë). Im Weiteren sind das Appellationsgericht von Tirana (alb. Gjykata e Apelit), das Verfassungsgericht, der Hohe Justizrat und die Staatsanwaltschaft angesiedelt.
Stadtwappen
Das Stadtwappen von Tirana zeigt einen spatenblattförmigen Schild, der links den Uhrturm von Tirana auf rotem Grund und rechts das Wappen der mittelalterlichen lokalen Adelsfamilie der Skuraj auf blauem Grund zeigt. Der Schild wird oben von einer dreitürmigen Mauerkrone abgeschlossen.
Städtepartnerschaften
Wirtschaft
Tirana war während der kommunistischen Herrschaft ein Schwerpunkt der Industrie in Albanien. Es gab Maschinenbau, Schuh- und Textilindustrie, eine Zementfabrik, glasverarbeitende und Lebensmittelindustrie. Die Industrieanlagen sind wie im ganzen Land zwischenzeitlich zum Großteil stillgelegt. Die meisten Bewohner sind heute im Handel, im Gewerbe, als Staatsangestellte, im Bausektor und im Dienstleistungsbereich tätig.
Viele, vor allem ausländische, Unternehmen, die im Land tätig sind, haben ihren Hauptsitz in der Hauptstadt. So haben die Zentralbank Albaniens, Raiffeisen Bank Albania, Banka Kombëtare Tregtare, American Bank of Albania, Credins Bank und Tirana Bank ihren Sitz in der albanischen Metropole. Die drei Telekommunikationsanbieter One Telecommunications (ehemals Telekom Albania), Vodafone Albania und ALBtelecom sind auch hier beheimatet. Auch die Fluggesellschaften der Albanian Airlines und der Belle Air waren bis zu ihrem Konkurs hier niedergelassen.
Im 21. Jahrhundert wurden – vor allem entlang der Hauptstraße nach Durrës – mehrere Einkaufszentren und Warenhäuser, darunter das Qendra Tregtare Univers, der Citypark und das Tirana East Gate, das größte Albaniens, errichtet.
Auch in Tirana hat der Fremdenverkehr wie in ganz Albanien an der Wirtschaft zunehmend an Einfluss gewonnen. Viele Berufstätige sind in diesem Sektor beschäftigt. Die größten Hotels des Landes befinden sich ebenfalls in der Hauptstadt, so wie das das Tirana International Hotel, das Hotel Rogner und die heute geschlossenen Hotel Sheraton und Hotel Dajti.
Medien
Die größten Fernsehsender, Radiostationen, Zeitungen und Zeitschriften Albaniens haben ihren Hauptsitz in Tirana. 1938 kam mit dem Satz „Mirëdita, kjo është Radio Tirana!“ („Guten Tag, das ist Radio Tirana!“) die erste albanische Radiostation Radio Tirana auf Sendung. 1960 folgte das erste Fernsehprogramm von Radio Televizioni Shqiptar. Zwischen 1945 und 1990/91 waren während der Diktatur die Medien jedoch staatlich kontrolliert und ermöglichten so keine Pressefreiheit.
Nach dem Sturz der Diktatur und der Einleitung des Transformationsprozess in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, vergrößerte sich die Medienlandschaft rapide. Es entstanden zum ersten Mal private Fernseh- und Radiosender und erste unabhängige Zeitungen. Dies fand alles in Tirana statt, was sie zum Zentrum der albanischen unabhängigen Medienpioniere machte.
Zu den größten Fernsehsendern zählen heute die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt TVSH, der private, eher links gerichtete Sender Top Channel, der private, eher rechts gerichtete Sender TV Klan, die Privatsender Vizion Plus und Albanian Screen Radio Television sowie weitere kleinere Nachrichtensender.
Die Radiosender Top Albania Radio, Radio Tirana 2, Club FM, Radio Dee-Jay und Boom Boom Radio haben ihren Hauptsitz ebenfalls in Tirana und haben eines der beliebtesten Radioprogramme Albaniens.
Shqip, Koha Jonë, Panorama, Shekulli, Tirana Observer und Tirana Times gehören zu den wichtigsten albanischen Tageszeitungen. Die Zeitschrift Mapo ist die auflagenstärkste in Albanien und hat ihren Hauptsitz ebenfalls in Tirana.
Verkehrsinfrastruktur
Zentral im Land gelegen, bildet der Großraum Tirana-Durrës den Knotenpunkt des albanischen Verkehrsnetzes. Seit den 2000er Jahren wurde vor allem das Straßenverkehrsnetz Albaniens erneuert und ausgebaut – auch innerstädtisch wurde in den letzten Jahren investiert, damit die Straßen den stark gestiegenen Verkehr bewältigen können und die Bedürfnisse an den öffentlichen Nahverkehr besser abgedeckt werden. Der einzige internationale Flughafen des Landes nahe der Hauptstadt wurde ebenfalls modernisiert und erweitert. Der Schienenverkehr wurde in den letzten Jahrzehnten stark vernachlässigt, wenn auch Ausbaupläne bestehen.
Straßenverkehr
Insbesondere die Einfallsstraßen von Durrës und Elbasan wurden in den letzten Jahren ausgebaut und erweitert, während Umbauten in der Innenstadt rund um den Skanderbegplatz den Verkehr flüssiger machen sollten. Mit neuen Umfahrungsstraßen im Westen und Süden wurde die Innenstadt von Durchgangsverkehr entlastet. Die Südwestumfahrung, die eine durchgehende Verbindung von der SH2 zur A3 außerhalb der Innenstadt ermöglicht, wurde im September 2017 abgeschlossen. Weitere Teile der Umfahrung sind in Planung beziehungsweise im Südosten bereits im Bau.
Viele Landesteile sind mit der Hauptstadt durch Nationalstraßen direkt verbunden. So führt die SH1 von der montenegrinischen Grenze über Shkodra, Lezha und Fushë-Kruja nach Tirana und ist somit Teil der national bedeutende Nord-Süd-Achse. Die SH2 ist die direkte Verbindung mit Durrës, der wichtigsten Hafenstadt Albaniens. Zurzeit wird die SH3 zur Autobahn A3 ausgebaut, die Tirana mit Elbasan verbindet und weiter als Paneuropäischer Verkehrskorridor VIII Anschluss zur nordmazedonischen Grenze sowie über Korça auch nach Griechenland ermöglicht. Die A3 war im Sommer 2017 abgesehen von einem kurzen Teilstück zumindest auf einer Spur befahrbar. Eine Verlängerung von Elbasan über Berat bis nach Tepelena in Südalbanien ist angedacht.
Durch den Bau der A1 verkürzte sich die Fahrtzeit von Tirana ins Kosovo um viele Stunden. Heute erreicht man Pristina in weniger als drei Stunden, was die Märkte von Albanien und Kosovo näher zusammenbringt.
Eisenbahnverkehr
Die Bahnstrecke Durrës–Tirana wurde 1949 eröffnet.
Die Hekurudha Shqiptare betrieb seit Jahrzehnten direkte Bahnverbindungen von Tirana nach Durrës, Shkodra, Elbasan und Vlora. 2013 wurde jedoch der Abschnitt von Tirana nach Vora eingestellt, da der Bahnhof Tirana an den Stadtrand verlegt werden soll, um so für einen neuen Boulevard und ein neues Stadtviertel Platz zu machen. Zwischen Tirana und Vora fuhren zeitweise Ersatzbusse. Aktuell enden die Züge im Stadtteil Kashar. Mit den Bauarbeiten für den neuen Bahnhof und Busterminal Terminal i transportit publik Tirana wurde bis 2020 nicht begonnen.
Flugverkehr
17 Kilometer nordwestlich liegt der internationale Flughafen Tirana International Airport Nënë Tereza. Er ist mit Abstand der Größte der beiden zivilen Flughafen Albaniens. Regelmäßige Verbindungen bestehen zu diversen Städten in Italien, Deutschland, Österreich, Slowenien, Griechenland und der Türkei. 2012 nutzten fast 1,7 Millionen Passagiere den Flughafen.
Öffentlicher Verkehr
Der öffentliche Verkehr innerhalb Tiranas wird ausschließlich durch öffentliche Buslinien bewältigt. Es gibt Linien vom Skanderbeg-Platz in die Außenquartiere und eine Ringlinie, die das Zentrum in beide Richtungen umkreist. 2010 wurden neue Omnibusse durch die Stadtverwaltung beschafft. Zudem wurden in den letzten Jahren einige Busspuren eingerichtet, damit die Busse weniger in den Verkehrsstaus steckenbleiben. Mit weiteren Busspuren soll der öffentliche Verkehr attraktiver gemacht werden.
Von Tirana fahren täglich Busse in alle wichtigen Städte des Landes und auch in wichtige Städte Europas.
Beim geplanten neuen Bahnhof Terminal i transportit publik Tirana im Norden der Stadt soll ein Verkehrsknotenpunkt zwischen öffentlichem Nah- und Fernverkehr entstehen. Nebst der Eisenbahn soll ein Busbahnhof dem inneralbanischen Verkehr dienen. Anschluss in die Stadt soll künftig eine Straßenbahn (trami) bieten. Geplant sind zwei Tramlinien: Eine vom Bahnhof zur Universität, die die Innenstadt von Nord nach Süd durchquert und eine zweite Strecke, die vom Vorort Dajt im Osten quer durch Tirana ins Außenquartier Kombinat im Westen verläuft. Der Baubeginn der Straßenbahn ist ungewiss.
Dajti Ekspres
Seit Sommer 2005 bringt die Gondelbahn Dajti Ekspres Besucher in kurzer Zeit auf den Hausberg Dajti. Die von einer österreichischen Firma errichtete Bahn bietet eine schnelle und bequeme Alternative zur schmalen und kurvenreichen Bergstraße. Das beliebte Ausflugsziel bietet eine weite Aussicht auf die Stadt und Umgebung.
Fahrradfahren
An immer mehr Straßen werden Fahrradstreifen eingerichtet.
Das Fahrradverleihsystem Ecovolis wurde im Jahre 2011 ins Leben gerufen. Fahrräder werden an mehreren Stationen gegen eine kleine Gebühr vermietet.
Bildung
In Tirana haben die Albanische Akademie der Wissenschaften und mehrere staatliche Universitäten ihren Sitz, darunter die staatlichen Hochschulen Universität Tirana, die älteste Universität Albaniens, die Polytechnische Universität mit Sitz im markanten Gebäude am Mutter-Teresa-Platz, die Medizin-Universität Tirana, die Universität der Künste (früher Kunstakademie), die Sportuniversität und die Landwirtschaftliche Universität Tirana im Vorort Kamza. Daneben haben seit dem Jahr zahlreiche private Universitäten eröffnet, viele mit wohlklingenden Namen wie University of New York Tirana (gegründet 2002), Europäische Universität von Tirana, die Albanische Universität (bis 2010 UFO-Universität) und Kristal-Universität (2014 durchs Bildungsministerium geschlossen). Weitere private Hochschulen sind unter anderen die muslimische Bedër-Universität, die Katholische Universität „Maria, Mutter vom Guten Rat“, die Epoka-Universität, die Polis-Universität mit Schwerpunkt auf Gestaltung, Stadtplanung und Architektur und die Akademie Marubi für Film und Multimedia.
In der ganzen Stadt gibt es staatliche und private Kindergärten, 9-Jahresschulen (Grundschulen) und Mittelschulen. Erwähnenswert als erste Bildungsinstitute ihrer Art sind das Pädagogisches Institut „Nëna Mbretëreshë“ und das Kunstlyzeum „Jordan Misja“. Auch ausländische Bildungseinrichtungen wie die französische Epitech und das Goethe-Institut sowie Alliance française sind vertreten.
Umwelt
Die städtische Müllentsorgung funktionierte nach 1990 nur eingeschränkt, weswegen Abfälle oft illegal entsorgt worden sind. Mittlerweile hat sich die Infrastruktur hinsichtlich Entsorgung und Stadtreinigung jedoch verbessert, da Stadtverwaltung und Regierung in den letzten Jahren viele Projekte ausgeführt haben, die die enormen Verschmutzungen begrenzen sollten. Nicht zuletzt tragen auch zahlreiche Freiwilligenaktionen, bei denen engagierte Bürger Müll einsammeln oder Bäume pflanzen, zur Besserung der Umweltsituation bei. Beispielsweise ist die Lana heute mehr oder weniger sauber und müllfrei.
Neuerdings setzt sich der neue Bürgermeister Erion Veliaj, der Tirana zur „saubersten Stadt des Balkans“ machen will, verstärkt für die Umwelt ein. So lässt er neue Grünanlagen entstehen und hat Reinigungsunternehmen ein Ultimatum gestellt: Entweder sie arbeiten effizient oder ihnen wird der Vertrag mit der Stadt gekündigt. Des Weiteren ließ er sehr hohe Geldbußen für das Wegwerfen von Müll auf den Straßen, öffentliches Urinieren und anderen Vandalismus einführen.
Ein Problem bleibt die Luftverschmutzung. Zwar überschreiten die Messwerte für Ozon, Schwefel- und Stickstoffdioxid nicht die EU-Grenzwerte, allerdings sind die Werte für Feinstaub in der Luft bedenklich: Obwohl der von der EU zugelassene Jahresmittelwert 40 µg/m³ nicht übersteigen soll, werden in der südlichen Innenstadt bis zu 65 µg/m³ gemessen. Die Messwerte überstiegen den Grenzwert an gewissen Orten mehr als 100 Mal pro Jahr, was gemäß EU aber nur 40 Mal vorkommen sollte.
Die Lärmbelastung ist seit 2007 zurückgegangen, bleibt aber nach wie vor hoch. So wurde in der Rruga e Elbasanit der Wert 74,3 dB (am Tag) ermittelt, wobei der zugelassene Wert der EU bei 55 dB (am Tag) liegt.
Persönlichkeiten
Literatur
Wilfried Heller (Hrsg.): Abwanderungsraum Albanien – Zuwanderungsziel Tirana. (= Praxis Kultur- und Sozialgeographie. 27). Universitäts-Verlag, Potsdam 2003, ISBN 3-935024-68-1.
Beat Bieri: Tirana in Farbe. Velvet-Edition, Luzern 2003 (Fotoband über Aktion der Stadt die Häuser knallbunt anzumalen, sowie Interview mit dem Bürgermeister Edi Rama).
Dietmar Richter: Flächennutzungswandel in Tirana. Untersuchungen anhand von Landsat TM, Terra ASTER und GIS. (= Praxis Kultur- und Sozialgeographie. 42). Universitäts-Verlag, Potsdam 2007, ISBN 978-3-939469-64-3 (Volltext)
Adolph Stiller (Hrsg.): Tirana. Planen Bauen Leben. (= Architektur im Ringturm. Band 22). Müry Salzmann Verlag, Salzburg 2010, ISBN 978-3-99014-030-7.
Weblinks
Offizielle Homepage der Stadtverwaltung
Die Wiedergeburt der Stadt – die Stadtverwaltung zeigt Bilder von bemalten Häusern, neuen Parkanlagen und Straßen
Tirana-Online.de – touristische Informationen über Tirana (deutsch, albanisch)
Informationen über Tirana als Teil der New Economic Geography Karte der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) (englisch)
Interaktive Karte von Tirana
Einzelnachweise
Ort im Qark Tirana
Ort in Albanien
Hochschul- oder Universitätsstadt
Ehemalige Hauptstadt (Albanien)
Ehemalige Gemeinde in Albanien
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Q19689
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5135
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https://de.wikipedia.org/wiki/Titus
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Titus
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Titus (* 30. Dezember 39 in Rom; † 13. September 81 in Aquae Cutiliae, Latium) war als Nachfolger seines Vaters Vespasian der zweite römische Kaiser der flavischen Dynastie. Er regierte vom 24. Juni 79 bis zu seinem Tod. Sein vollständiger Geburtsname war – wie der seines Vaters – Titus Flavius Vespasianus; als Kaiser führte er den Namen Imperator Titus Caesar divi Vespasiani filius Vespasianus Augustus.
Nach dem Herrschaftsantritt seines Vaters im Jahr 69 beendete Titus als militärischer Oberbefehlshaber den Jüdischen Krieg, wobei Jerusalem und sein Tempel zerstört wurden. Für seinen Sieg wurde er in Rom mit einem Triumphzug sowie dem Titusbogen an der Via Sacra und einem zweiten Bogen am Circus Maximus geehrt. Aus der Kriegsbeute finanzierten die Flavier ihre Bautätigkeit in Rom, Titus selbst ließ das Kolosseum vollenden.
Während seiner wenig mehr als zweijährigen Regierungszeit setzte er die Politik seines Vaters Vespasian fort. Von der antiken Geschichtsschreibung wurde Titus als idealer Herrscher gerühmt. Neben dem ausgesprochen guten Verhältnis zwischen Senat und Kaiser, durch das er sich diametral von seinem jüngeren Bruder und Nachfolger Domitian unterschied, waren für dieses günstige Bild auch die Wohltaten des Titus ausschlaggebend. Nachdem im Jahr 79 der Vesuv ausgebrochen war, leitete er die Hilfsmaßnahmen ein, ebenso im darauf folgenden Jahr nach einem Brand in der Stadt Rom. Die moderne Forschung diskutiert insbesondere seine Rolle bei der Zerstörung des Jerusalemer Tempels.
Leben bis zum Herrschaftsantritt
Herkunft und Jugend
Titus wurde am 30. Dezember 39 in Rom als ältester Sohn des Vespasian und der Flavia Domitilla geboren. Er hatte eine Schwester, die ebenfalls Flavia Domitilla hieß, und einen jüngeren Bruder, Domitian, der ihm 81 im Amt des Kaisers folgte.
Die Familie seines Vaters stammte aus dem Sabinerland und war zunächst wenig bedeutend. Dies änderte sich unter Kaiser Claudius, der neben Freigelassenen auch den Ritterstand begünstigte, dem Vespasians Familie angehörte. Unter ihm durchlief Vespasian in schneller Folge die Ämter des Cursus honorum und legte so den Grundstein für den Aufstieg der Flavier zur Kaiserdynastie. Kaiser Claudius zeichnete Vespasian für seine Leistungen als Kommandant der Legio II Augusta mit den Triumphalinsignien (ornamenta triumphalia) aus. Titus Flavius Sabinus, sein älterer Bruder, erreichte 61 das Amt des Stadtpräfekten von Rom. Vespasia Polla, die Großmutter des Titus, drängte ihre Söhne Sabinus und Vespasian, die senatorische Ämterlaufbahn einzuschlagen.
Titus wuchs zunächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Der Aufstieg seines Vaters ermöglichte ihm jedoch eine Erziehung am Hof des Kaisers Claudius. Dort wurde er gemeinsam mit Britannicus, dem Sohn des Kaisers, unterrichtet. Ihr gemeinsamer Lehrer war Sosibius, der jedoch 51 wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung hingerichtet wurde. Mit Britannicus war Titus freundschaftlich verbunden, bis der Kaisersohn 55 überraschend auf einem Gelage verstarb. Möglicherweise hatte der neue Kaiser Nero die Vergiftung des potenziellen Thronrivalen veranlasst. Titus selbst schadete der Tod des Britannicus keineswegs. Die soziale Herkunft seines Vaters ließ ihn nicht als möglichen Thronrivalen erscheinen. Für seinen Jugendfreund Britannicus ließ Titus später zwei Statuen errichten. Eine davon bestand aus Gold und war im Kaiserpalast aufgestellt. Die Erziehung am kaiserlichen Hof brachte Titus eine sehr gute Ausbildung ein. Durch die hohe Stellung seines Vaters, der 51 ein Suffektkonsulat bekleidet hatte, konnte er auf eine glänzende politische Laufbahn hoffen.
Aufstieg unter Nero
Nach ersten Tätigkeiten in untergeordneten Ämtern, von denen nichts Genaues bekannt ist, diente Titus ab 61 als Militärtribun in Obergermanien und Britannien. In diesen Provinzen hatte sein Vater zwanzig Jahre zuvor als Legat römische Truppen kommandiert. Titus wurde dort laut Sueton durch zahlreiche Statuen geehrt. In Germanien teilte er ein Quartier mit dem älteren Plinius. In Britannien soll Titus seinem Vater einmal das Leben gerettet haben, wie Cassius Dio berichtet. Diese Nachricht könnte jedoch auf die bei späteren Autoren hervortretende Tendenz zur Idealisierung des Titus zurückgehen.
Titus kehrte 64 aus Britannien nach Rom zurück. Dort arbeitete er als Anwalt und übernahm die üblichen Ämter eines jungen Senators. Noch in diesem Jahr, in das auch der Brand Roms fiel, der in der Christenverfolgung unter Nero den frühen hauptstädtischen Christen angelastet wurde, heiratete er Arrecina Tertulla. Über die Herkunft und die Familie seiner ersten Gattin ist nur wenig bekannt. Ihr Vater Marcus Arrecinus Clemens war Prätorianerpräfekt unter Caligula. Sie starb bereits wenige Monate nach der Hochzeit, vielleicht nach der Geburt der Tochter Iulia. Iulia kann jedoch auch die Tochter der zweiten Ehefrau des Titus gewesen sein, der Marcia Furnilla, die aus der reichen Familie eines früheren Prokonsuls von Africa stammte. Marcia war die Nichte des Quintus Marcius Barea Soranus, der als Mitglied der senatorischen Opposition gegen Nero in den Tod getrieben wurde. Möglicherweise fürchtete Titus aufgrund dieser Verwandtschaft um sein eigenes Leben oder zumindest um seine Karriere. Die Ehe wurde bald darauf geschieden. Wahrscheinlich 63 oder 64 bekleidete Titus die Quästur.
Der Jüdische Krieg
In der römischen Provinz Judäa führten verschiedene Faktoren im Jahr 66 zu einem Aufstand der dort ansässigen Juden: Die Steuern waren erdrückend, und die römischen Statthalter nutzten ihre Amtsgewalt aus, um die Provinzialen zu erpressen. Auch verschiedene Provokationen gegenüber der jüdischen Religion, deren Monotheismus mit der römischen Staatsreligion unvereinbar war, trugen zur Eskalation bei. Zur Niederwerfung der Rebellion wurde im Herbst 66 der syrische Legat Gaius Cestius Gallus mit 12.000 Legionären und zahlreichen Hilfstruppen nach Jerusalem geschickt. Gallus musste sich jedoch unter hohen Verlusten zurückziehen; aus dem lokalen Aufstand war der Jüdische Krieg geworden.
Mit der Führung dieses Krieges beauftragte der in Griechenland weilende Kaiser Nero Vespasian, obwohl dieser zeitweise bei ihm in Ungnade gefallen war. Als Gründe für seine Berufung nennt Sueton Vespasians Tüchtigkeit und Erfahrung und vor allem, dass er wegen seiner einfachen Herkunft in den Augen Neros keine Gefahr darstellte. Der sechsundzwanzigjährige Titus begleitete seinen Vater.
Vespasians Heer war erheblich größer als das des Cestius. Es bestand neben drei Legionen aus 23 Auxiliarkohorten, Reiterabteilungen sowie 15.000 Mann Hilfstruppen der verbündeten orientalischen Fürsten. Insgesamt verfügte Vespasian inklusive Hilfstruppen über ein Heer von etwa 60.000 Mann. Die Größe des Heeres und die wichtige Position des noch recht unerfahrenen Titus, der bisher noch nicht einmal Prätor gewesen war, zeigen das Vertrauen, das der Kaiser in die beiden Flavier setzte. Titus befehligte als Legat die legio XV Apollinaris. Er belagerte 67 Iotapata und eroberte Iapha, außerdem war er an den Kampfhandlungen um Gischala, Tiberias, Tarichea und Gamala beteiligt.
Während der Belagerung von Iotapata wurde der jüdische Befehlshaber Iosephus gefangen genommen. In seiner Gefangenschaft prophezeite er Vespasian das Kaiseramt; später, nachdem Vespasian tatsächlich die Kaiserwürde erlangt hatte, wurde er freigelassen. An der späteren Eroberung Jerusalems durch Titus nahm er auf römischer Seite teil, über den Kriegsverlauf verfasste er sein Werk De Bello Iudaico. Das Geschichtswerk des Autors, der später das römische Bürgerrecht erhielt und daher in christlichen Quellen der Spätantike als Flavius Josephus bezeichnet wurde, zählt zu den wichtigsten Quellen für die frühe römische Kaiserzeit und ist die Hauptquelle für den Jüdischen Krieg. Bis zum Mai/Juni 69 waren alle abgefallenen Städte abgesehen von den Festungen Herodeion, Machairos und Masada zurückerobert, damit war Jerusalem isoliert.
Das Vierkaiserjahr
Nach Beginn des Jüdischen Krieges stürzte das Römische Reich in seine schwerste Krise seit der Begründung des Prinzipats. Diese Krise und der Sturz Neros sind auf die katastrophale Lage der römischen Finanzen und die schwindende Akzeptanz des Kaisers beim Heer sowie der plebs urbana zurückzuführen. Nach dem großen Brand Roms und – folgt man der nerofeindlichen Überlieferung – unsinnigen Verschwendungen konnte Nero seine Truppen nicht mehr bezahlen. Unzufriedenheit und Aufruhr breiteten sich im Reich aus. Als Sulpicius Galba, der Statthalter der hispanischen Provinz Tarraconensis, am 4. April 68 in Carthago Nova seinen Abfall von Nero erklärte und Neros erzwungener Suizid wenig später das Ende der julisch-claudischen Dynastie herbeiführte, war ein Präzedenzfall geschaffen: Fortan konnte das Heer den Kaiser „machen“.
Nach dem Tod Neros folgte in Judäa eine Phase der Inaktivität. Für die nächsten zwölf Monate galten sämtliche Aktivitäten dem Kampf um die Kaiserwürde. Als Titus von der Ermordung des neuen Kaisers Galba erfuhr, brach er seine Reise zum Kaiser ab, dem er die Loyalitätserklärung der in Judäa stationierten Truppen überbringen wollte. Während der kurzen Prinzipate Othos (15. Januar bis 16. April 69) und des Vitellius (2. Januar bis 20. Dezember 69) fällt Titus folgenreichste Leistung. In Vespasians Umfeld äußerte er wohl als Erster, dass dessen Zukunft nur durch den Griff nach dem römischen Kaisertum zu sichern sei. Dafür unterstützte er seinen Vater erfolgreich durch Verhandlungen mit dem syrischen Statthalter Gaius Licinius Mucianus über eine Revolte gegen Vitellius. Im Juli 69 riefen die Legionen Syriens, Ägyptens und Judäas Vespasian zum Kaiser aus. Im Herbst sprachen sich auch die Truppen an der Donau für Vespasian aus, dessen Truppen nun in Italien einfallen konnten und Vitellius in der Schlacht von Bedriacum in Oberitalien am 24. Oktober 69 besiegten. Am 21. Dezember, einen Tag nach der Hinrichtung des Vitellius, legte der römische Senat alle Macht in die Hände Vespasians. Titus war damit vom Sohn eines wenig bedeutenden Italikers zum römischen Thronfolger aufgestiegen.
Die Belagerung von Jerusalem
Während Vespasian von Rom aus die Reichsautorität nach den Wirren des Vierkaiserjahres wiederherstellte, blieb Titus im Osten. Er erhielt den Auftrag, den Jüdischen Krieg zu Ende zu führen (ad reliqua Iudaici belli perpetranda), also Jerusalem einzunehmen, das bis zu diesem Zeitpunkt allen Eroberungsversuchen widerstanden hatte. Ob außer der Eroberung auch die völlige Zerstörung der Stadt und des Tempels geplant war, geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor.
Mit vier Legionen unter seinem Kommando begann Titus während des Pessachfestes im Frühling die Belagerung Jerusalems. Dort hatte sich fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung Iudaeas versammelt, um eines der drei jüdischen Pilgerfeste zu feiern, weshalb die Bevölkerung der Stadt für einige Tage auf das Zehnfache angestiegen war. Gleich zu Beginn der Belagerung soll Titus die aus der Stadt Fliehenden vor den Augen der Belagerten gemartert und gekreuzigt haben. Auf diese Weise sollen, wie Flavius Iosephus berichtet, jeden Tag 500 Juden hingerichtet worden sein. Nach der Erstürmung und Zerstörung der beiden nördlichen Vorstädte ließ Titus den Rest der Stadt, nämlich die Ober- und Unterstadt innerhalb der Ersten Mauer und die nordöstlich angrenzende Tempelesplanade, mit einem Belagerungswall umgeben. Dadurch sollen innerhalb weniger Wochen über 600.000 Juden verhungert sein. Tacitus hingegen schätzte die Gesamtzahl der Belagerten auf 600.000 Menschen. Die Verteidiger hielten die Erste Mauer und den durch seine Umfassungsmauern festungsartigen Tempel noch bis Anfang August. Nachdem Titus’ Soldaten den äußeren Hof des Tempels erreicht hatten, brannten sie das Bauwerk nieder und töteten alle, die nicht schon vorher verhungert waren oder sich das Leben genommen hatten.
Das zentrale Heiligtum aller Juden, der Tempel, wurde dabei zerstört, ob mit Absicht oder aus Zufall ist aufgrund der Überlieferungssituation nicht zu entscheiden. Lediglich die von Herodes errichtete Umfassungsmauer der Tempelesplanade, die heutige Klagemauer ist ein Teil davon, blieb bestehen. Angeblich starben bei der Belagerung von Jerusalem etwa 1.100.000 Menschen, nur 97.000 sollen überlebt haben. Der Tempelschatz und die Kultgeräte, darunter die Menora und der Schaubrottisch, wurde nach Rom gebracht. Die Überlebenden wurden in die Sklaverei verkauft oder in Zirkusspielen umgebracht, das jüdische Land und seine Einkünfte zugunsten der kaiserlichen Kasse beschlagnahmt. Die verbliebenen Juden wurden gezwungen, die Kopfsteuer, die sie jährlich an den Tempel von Jerusalem entrichtet hatten, zukünftig an den kapitolinischen Jupiter zu zahlen (fiscus Iudaicus). Dies war nicht nur eine unerhörte Erniedrigung, sondern auch eine finanzielle Belastung. Zwar betrug ihre Höhe nur zwei Drachmen, jedoch wurden auch Ältere und Kinder herangezogen und damit die Zahl der Zahlungspflichtigen erheblich vermehrt. Nach der Niederschlagung des Aufstands richtete Vespasian Judäa als proprätorische Provinz ein.
Titus blieb den Winter über im Osten des Reiches. Er nutzte die Zeit für Siegesfeierlichkeiten und Inspektionsreisen. Zweimal war er in dieser Zeit im syrischen Antiochia, einer Stadt mit einer großen jüdischen Gemeinde. Nach dem Jüdischen Krieg hofften die Antiochener, dass sie die Vertreibung der Juden aus ihrer Stadt unter den neuen Herrschern erreichen könnten. Titus lehnte dieses Anliegen jedoch beide Male ab. Die flavischen Kaiser orientierten sich im Umgang mit dem jüdischen Volk weiterhin an der iulisch-claudischen Dynastie.
Politische Rolle unter Vespasian
Nach der Eroberung Jerusalems akklamierten die Soldaten Titus zum Imperator, so dass der „Verdacht entstand, er habe von seinem Vater abfallen und sich zum König des Orients (Orientis rex) machen wollen“. Der Titel war in den letzten Jahrzehnten dem Princeps vorbehalten gewesen. Titus hätte dadurch eine Konkurrenz für Vespasian darstellen können. Doch verhielt sich Titus loyal und kehrte nach Rom zurück, um sich seinem Vater für weitere Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Ein knappes Jahr nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt bewilligte der Senat sowohl Vespasian als auch ihm einen Triumph, der den Krieg trotz der anhaltenden Kämpfe um Masada für beendet erklärte. Der Triumphzug half bei der Legitimierung der flavischen Herrschaft und stärkte Titus’ Position im neuen Regime. Erst über drei Jahre nach der Zerstörung und Eroberung Jerusalems gelang es den Römern im Winter 73/74, mit der abgelegenen Festung Masada den letzten Ort der Aufständischen zu erobern.
In den ersten zwei Jahren der Regierungszeit Vespasians wurden Titus und Domitian gleichrangig als Nachfolger herausgestellt. Dies kam in der Münzprägung zum Ausdruck, wo beide Söhne gleichermaßen hervorgehoben wurden. Ab Mitte des Jahres 71 zeigte keine Münze Vespasians mehr Titus und Domitian nebeneinander. Mit Titus’ siegreicher Rückkehr nach Rom begann Vespasian ihn als seinen Nachfolger aufzubauen und zu präsentieren. Domitian wurde offen zurückgesetzt. Während der folgenden Jahre teilte Vespasian fast jede Ehrung mit Titus, der bereits vor seinem Herrschaftsantritt siebenmal zum Konsul gewählt wurde – eine Zahl von Konsulaten, die vor ihm nur der Heeresreformer Marius und Augustus erreicht bzw. übertroffen hatten. Vierzehnmal wurde er zum Imperator akklamiert. Zudem trug er schon seit 69 den Titel Caesar. Mit seinem Vater übte er im Jahr 73 die Zensur aus, das Amt des römischen Censors, das zuletzt 47/48 Claudius und Lucius Vitellius innegehabt hatten. Die Zensur gab ihnen die rechtliche Grundlage zur Neuordnung der patrizischen, senatorischen und ritterlichen Standesgruppen und dadurch die Möglichkeit, eine neue, loyale Führungsschicht zu formen. Am 1. Juli 71 erhielt er die tribunizische Amtsgewalt und wurde mit dem Imperium Proconsulare ausgestattet, dem Oberbefehl über Heere und Provinzen. Ab 71 kommandierte Titus als Prätorianerpräfekt die 4500 Mann umfassende kaiserliche Leibgarde, was ihm die unmittelbare militärische Gewalt in Rom einbrachte. Diese Entscheidung war ein kluger Schachzug Vespasians, da die Prätorianerpräfekten seit Sejan, der dieses Amt unter Tiberius innegehabt hatte, immer wieder versucht hatten, gegen den Kaiser Politik zu machen, oder ihn sogar, wie im Fall Galbas, gestürzt hatten. Titus war damit berechtigt, gewaltsam gegen politische Gegner vorzugehen, während sein Vater in der Rolle des milden Kaisers auftreten konnte.
Bei der Aburteilung von Verbrechern und Aufrührern ging Titus offenbar so erbarmungslos vor, dass er sich den Ruf eines „Schlächters“ erwarb. Sueton berichtet, dass Titus nicht nur selbst Prozesse führte, sondern sie auch durch Volkes Stimme im Theater entscheiden ließ. Wegen angeblichen Hochverrats ließ er einige hochangesehene Senatoren hinrichten. Allerdings zeigte sich Titus auch als fähiger Verwalter, der Senatssitzungen beiwohnte, den Rat erfahrener Politiker schätzte und mit den meisten wichtigen Fraktionen und Gruppierungen gut auskam.
Kontrovers wird in der Forschung beurteilt, ob die zahlreichen Ehrungen des Titus ihn als Mitregenten Vespasians ausweisen oder er seinem Vater klar untergeordnet war. Bei klarer Unterordnung hätten die Ehrungen nur die Nachfolge vorbereitet.
Eine der zentralen Aufgaben der Herrschaft Vespasians war die Konsolidierung der durch Nero und die Bürgerkriege zerrütteten Finanzen. Durch verschiedene Maßnahmen gelang es ihm, die Einkünfte des Staates zu erhöhen. Landverkäufe, Steuererhöhungen und Einsparungen füllten die Staatskasse. Steuerbefreiungen im griechischsprachigen Osten und in Ägypten wurden aufgehoben. Gegenüber der jüdischen Bevölkerung wurden die Steuern drastisch erhöht. Vespasians minutiöse Steuerpolitik erfasste sogar die öffentlichen Latrinen. Als Titus die Einführung einer Gebühr auf die Latrinen kritisierte, soll Vespasian ihm das Geld aus der ersten Zahlung unter die Nase gehalten und gefragt haben, ob er am Geruch Anstoß nehme. Als jener verneinte, soll er geantwortet haben: Atqui e lotio est („Und doch kommt es vom Urin“). Als Titus die Herrschaft übernahm, waren die staatlichen Finanzen geordnet, die Staatskasse war gefüllt.
Der Prinzipat des Titus
Regierungsantritt, Verhältnis zu Domitian
Beim Tod Vespasians am 23. Juni 79 konnte Titus seinem Vater ohne erkennbare Widerstände im Amt folgen. Vespasian hatte ihm bereits umfassende Kompetenzen verliehen und ihn damit auf die Nachfolge vorbereitet. Gerüchte, nach denen Titus seinen Vater vergiften ließ, werden in der Forschung meist als unglaubwürdig angesehen. Noch in der Woche des Todes Vespasians erschienen Münzen, auf denen Titus mit dem Titel Augustus und pontifex maximus auftrat. Wenige Monate später erhielt er den Ehrentitel pater patriae. Die Politik seines Vaters führte Titus fort.
Bereits im Jahr 79 erschienen Münzen, die ihn mit Domitian auf dem Revers mit umschlossenen Händen zeigen. Domitian wurde von Titus als „Teilhaber und Nachfolger“ (consors et successor) bezeichnet und folgte im Jahr 80 Vespasian als Konsul. Jedoch erhielt Domitian keine verantwortlichen Aufgaben. Weder teilte er die tribunizische Gewalt mit Titus noch erhielt er das Amt des Prätorianerpräfekten oder ein militärisches Kommando. Gerüchten zufolge ging die größte Bedrohung für Titus’ Herrschaft von seinem Bruder aus. Domitian soll teils offen, teils geheim gegen seinen Bruder konspiriert haben. Er soll Titus sogar nach dem Leben getrachtet und Unruhe im Heer gestiftet haben. Trotz dieser Schilderung der domitianfeindlichen Überlieferung geht die Forschung von nicht allzu großen Spannungen zwischen den beiden Brüdern aus.
Verhältnis zum Senat
Da Titus als Prätorianerpräfekt rücksichtslos seine politischen Gegner hatte ermorden oder misshandeln lassen und weil Gerüchte über sexuelle Ausschweifungen nicht nur mit der judäischen Prinzessin Berenike kursierten, soll man in ihm einen „zweiten Nero“ erwartet haben. Doch der nunmehr Titus Caesar Vespasianus Augustus genannte neue Kaiser scheint sein Verhalten wesentlich verändert zu haben: Willkürlichkeiten sind ebenso wenig überliefert wie Majestätsprozesse. Eunuchen und Lustknaben wurden aus dem Palast verbannt und ein offener Umgang mit der Stadtbevölkerung gepflegt. Titus gab sich betont milde und großmütig. Ebenso wie sein Vater war er um ein gutes Verhältnis zum Senat und zum Volk bemüht. Völlig unerwartet schwor er, niemals einen Senator zu töten, womit er den Senat für sich gewann.
Titus setzte sich damit von denjenigen Kaisern des 1. Jahrhunderts ab, unter denen Senatoren in Hochverratsprozessen verurteilt und exekutiert worden waren. Noch in der hohen Kaiserzeit wiederholten einzelne Kaiser den für Titus erstmals überlieferten Eid zu Beginn ihrer Amtszeit. Wichtige Ämter besetzte der Kaiser nicht mit Familienmitgliedern oder Anhängern, sondern nach Rang und Ansehen aus den Reihen der Senatoren. Der Senat spielte zwar realpolitisch bereits seit Augustus keine wesentliche Rolle mehr, doch es wurde von „guten Kaisern“ erwartet, dass sie die auctoritas („Ansehensmacht“) der Senatoren respektierten.
Suetons Titus-Biographie ist aus verschiedenen Quellen kompiliert. Sie zeigt eine deutliche Zweiteilung in der Beurteilung des Titus vor und nach dessen Herrschaftsantritt. Möglicherweise ist diese zweigeteilte Beurteilung durch die unterschiedliche Tendenz der zugrundeliegenden Quellen zu erklären. Die antike Historiographie folgte in der Zweiteilung der Charakterzeichnung mit einem Wandel zum „guten“ Kaiser einem typischen Erzählmuster. Außerdem wurde Titus, der dem Senat auch wegen der Kürze seiner Regierung kaum Anlass zu Kritik gab, in der Überlieferung, speziell in der senatorischen Geschichtsschreibung, als Gegenbild zu früheren Kaisern und seinem Nachfolger Domitian gesehen. Er wurde als Vorbild für künftige Kaiser dargestellt.
Gesetzgebung und Legitimierung der Herrschaft
Als Kaiser umgab sich Titus wie schon in Judäa mit fähigen Beratern und konnte sich mit deren Hilfe in der Öffentlichkeit noch deutlicher als weiser, auf sozialen Ausgleich bedachter Herrscher zeigen. Seine Gesetzgebung beschränkte sich weitgehend auf populäre Sozialmaßnahmen, von denen neben der Armee auch die ärmeren Römer und Provinzbewohner profitierten, sowie administrative Veränderungen im Finanzbereich. So regelte Titus Landbesitz, Hochzeit und Testamentsfreiheit für Veteranen neu und reduzierte die Anzahl der Prätoren für Erbrechtsangelegenheiten.
Für die Flavier war die Legitimierung ihrer Dynastie ein vorrangiges Anliegen, da sie das Manko fehlender Ahnenbilder ausgleichen mussten und nicht auf eine Tradition verweisen konnten, die mit derjenigen der von Augustus gegründeten Dynastie vergleichbar gewesen wäre. Umso wichtiger war es daher, handgreifliche Erfolge vorweisen zu können. Diesem Zweck diente der Sieg im Jüdischen Krieg, in dem sich Vespasian und Titus als Feldherrn ausgezeichnet hatten. Ihren sichtbarsten Ausdruck fand die propagandistische Instrumentalisierung des Sieges in den Siegesmünzen, die im gesamten Reich verbreitet wurden. Die Legenden der Münzen lauteten in den meisten Fällen IVDAEA CAPTA (S C), IVD CAP (S C) oder IVDEA CAPTA, andere Legenden heißen IVDEA DEVICTA, DEVICTA IVDAEA S C, DE IVDAEIS oder nur IVDAE. Mit der Legende IVDEA CAPTA („Judäa eingenommen“), einer Formulierung, mit der man die Übernahme eines Gebietes in die römische Befehlsgewalt zu bezeichnen pflegte, drückten sich Vespasian und Titus so aus, als hätten sie als erste dieses Gebiet unterworfen und unter römische Herrschaft gebracht. In Wirklichkeit war Judäa bereits seit 63 v. Chr. unter römischer Oberhoheit und hatte seit 6 n. Chr. den Status einer prokuratorischen Provinz.
Die Münzen, welche die Eroberung einer neuen Provinz suggerierten, lassen auch den von Vespasian und Titus abgehaltenen Triumphzug über Judäa besser verstehen. Der kultisch gebundene und durch Rituale geprägte Triumph wurde nur für einen Sieg in einem gerechten Krieg, einem bellum iustum, gewährt. Die bloße Niederschlagung des jüdischen Aufstands berechtigte nach römischer Tradition nicht zu einem Triumph. Den Triumph nutzten die Flavier, um ihre Sieghaftigkeit zu inszenieren. Man feierte nicht nur einen Sieg über Feinde, sondern die Flavier verherrlichten ihren Erfolg auch als das „Ende der Bürgerkriegswirren und als Anfang der Hoffnungen auf eine glückliche Zukunft“. Für römische Eroberer war es ehrenvoll, wenn ihnen bei einem Triumph ein Beiname wie Africanus, Germanicus oder Balearicus verliehen wurde. Doch den Titel Iudaicus lehnte Titus ab, da dieses Wort in der Bedeutung „der Jüdische“ missverständlich als Annahme jüdischer Bräuche und Religion hätte aufgefasst werden können.
Die Legitimität des Herrscherhauses versuchte Titus durch mittelbare Anknüpfung an das julisch-claudische zu untermauern. Unter anderem prägte er Gedenkmünzen für Augustus und Claudius, die zur julisch-claudischen Dynastie gehörten. Während sich die Flavier damit entschieden von Nero abgrenzten, stellten sie sich als Erben des ersten Princeps Augustus und Fortsetzer von dessen Vorhaben dar. Nach Sueton hatte schon Augustus geplant, das Amphitheater zu errichten.
Daneben pflegte Titus den kontinuitätsstiftenden Herrscherkult für seinen verstorbenen Vater Vespasian, denn er begann mit der Errichtung des später als Tempel des Vespasian und des Titus bekannten Heiligtums. Nach dem Tod des Titus wurde dieser Familientempel von Domitian vollendet. Zur Legitimitätspolitik der Flavier gehörten darüber hinaus wirtschaftliche Maßnahmen, für die Titus auf den von Vespasian stark vergrößerten Staatsschatz zurückgreifen konnte.
Katastrophenmanagement
Titus’ zweijährige Regierungszeit wurde von drei Katastrophen überschattet. Nur wenige Monate nach seinem Regierungsantritt ereignete sich der Ausbruch des Vesuvs, der die Städte Herculaneum, Pompeji und Stabiae unter Asche und Schlamm begrub und für weite Teile Kampaniens große Not brachte. Eine Kommission (curatores restituendae Campaniae) organisierte den Wiederaufbau. Der Dichter Statius berichtete zehn Jahre später von wiedererstandenen Städten am Vesuv. Noch im selben Jahr wurde Rom von einer Seuche bisher unbekannten Ausmaßes heimgesucht. Genaueres über die Epidemie geht aus den Quellen nicht hervor. Im nächsten Jahr verheerte ein dreitägiges Großfeuer Rom. Nach Cassius Dio wurden dabei sämtliche Gebäude zwischen dem Pantheon und dem Kapitol beschädigt oder zerstört. Titus leitete bei allen Katastrophen umgehend die Hilfsmaßnahmen ein, was einen tiefen Eindruck hinterließ. Cassius Dios Bericht zufolge nahm der Kaiser keine Geldspenden an, obwohl viele Angebote von einzelnen Bürgern, Städten und Königen vorlagen, sondern deckte alle Kosten aus bereits vorhandenen Mitteln. Seine Freizügigkeit demonstrierte er durch sein großzügiges Angebot, zum Aufbau der öffentlichen Gebäude und Tempel den Schmuck des Kaiserpalastes zu verwenden. Möglicherweise sollte durch diese Geste der Gegensatz der Flavier zu Nero verdeutlicht werden.
Bautätigkeit
Titus vollendete das von seinem Vater begonnene Flavische Amphitheater, das wegen einer ursprünglich dort stehenden Kolossalstatue Neros seit dem Mittelalter als Kolosseum bezeichnet wird. Der ursprüngliche Name war jedoch Amphitheatrum Flavium („Amphitheater der Flavier“), was die enge Verbindung des Gebäudes mit der flavischen Dynastie anzeigt. Eingeweiht wurde es im Mai/Juni 80 mit vom Kaiser bezahlten hunderttägigen Spielen. Neben Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und nachgestellten Infanteriegefechten wurden auch Seeschlachten aufgeführt. Eigens dafür konnte die Arena des Kolosseums mit Wasser geflutet werden. Géza Alföldy konnte durch eine Lesung der sogenannten Dübellochfunde im Amphitheater eine Bauinschrift nachweisen, die zeigt, dass Vespasian und Titus das Amphitheater aus der Kriegsbeute finanziert hatten. Sie lautete: I[mp(erator)] Vespasi[anus Aug(ustus)] / amphitheatru[m novum?] / [ex] manubis (vac.) [fieri iussit(?)] („Kaiser Vespasian Augustus ließ das neue Amphitheater aus der Beute [des jüdischen Krieges] errichten“). Zuvor war dies lediglich vermutet worden.
Um sich von ihrem verhassten Vorgänger zu distanzieren, ließen die Flavier Neros Domus Aurea teilweise abreißen und durch das Amphitheater und die sogenannten Titusthermen überbauen. Die Errichtung solcher Bäder gehörte in der Folgezeit zum Programm von Kaisern, die als vorbildlich gelten wollten. Neben der Errichtung und Vollendung von Repräsentations- und Vergnügungsbauten verbesserten Titus und Vespasian die Infrastruktur in Italien und den Provinzen. Titus verbesserte die stadtrömische Wasserversorgung durch Ausbau und Reparatur der Aquädukte Aqua Marcia, Curtia und Caerulea. Eine Thermenanlage für die Bevölkerung auf dem mons Oppius, dem Südteil des im Osten der Stadt gelegenen Esquilin, ist allerdings das einzige eigenständige Bauprojekt in seiner kurzen Regierungszeit. Vor allem forcierte er den Straßenbau. Große Summen flossen auch in den Wiederaufbau der vom Ausbruch des Vesuvs am 24. August 79 zerstörten Städte in Kampanien sowie in die Maßnahmen nach dem Großfeuer und der anschließenden Seuche in Rom. Neben anderen Eigenschaften des Kaisers wurde oftmals seine Großzügigkeit betont. Dennoch blieb Titus sparsam und die Finanzen geordnet.
Außenpolitik
Auch in der Außenpolitik setzte Titus den Kurs seines Vaters fort. Diese Kontinuität zeigt sich in seinen Maßnahmen zur Verstärkung und Sicherung der Reichsgrenzen und in der Fortführung der erfolgreichen Offensive in Britannien unter Gnaeus Iulius Agricola. Domitian brach diese Offensive im Jahr 84 ab und bündelte die römischen Kräfte in Germanien.
Zu einem Besuch der Grenzprovinzen hatte Titus in seiner kurzen Regierungszeit keine Gelegenheit. Er verstärkte dort den Straßenbau und die Grenzsicherung entlang von Donau und Euphrat. Möglicherweise hängt die relative Ruhe, die in den nächsten Jahren an diesen Grenzen herrschte, auch mit diesen Maßnahmen zusammen.
Titus und Berenike
Seit dem Jüdischen Krieg hatte Titus eine Liaison mit der elf Jahre älteren Berenike. Sie war eine Urenkelin Herodes’ des Großen und die Schwester des jüdischen Königs Herodes Agrippa II. Sie wurde als Mitregentin ihres Bruders anerkannt. Berenike setzte sich erfolgreich für ihre Heimat ein, die nach dem von ihrem Lebensgefährten und dessen Vater geführten Jüdischen Krieg darniederlag. Im Jahr 75 erschien Berenike in Rom. Sie erreichte dort eine ähnlich einflussreiche Stellung wie die kaiserlichen Frauen unter Caligula und Claudius. Einen Senator, der sie verführen wollte, ließ Titus noch vor seinem Regierungsantritt hinrichten. Quintilian, zu dieser Zeit ein bedeutender Anwalt, der erste vom Kaiser bezahlte Rhetoriklehrer und spätere Prinzenerzieher unter Domitian, berichtet von einem Verfahren vor dem Kronrat (consilium principis) Vespasians, dessen Gegenstand Berenike betraf. Quintilian zufolge gehörte sie dem Gremium an und war so selbst an der Entscheidung beteiligt, während er als Anwalt vor diesem plädierte. Aus seinem Bericht in der Ausbildung des Redners geht allerdings nicht hervor, worum es in diesem Verfahren ging. Helmut Castritius geht davon aus, dass eine Vermögensangelegenheit verhandelt wurde, da Berenike sehr reich war und in Palästina wertvolle Ländereien besaß, wo die Römer nach dem Jüdischen Aufstand in großem Umfang Grundbesitzer enteignet hatten.
Doch eine Ehe zwischen einer jüdischen Prinzessin und einem römischen Feldherrn bedrohte in den Augen der Römer die politische Stabilität und war deshalb erst recht unmöglich für einen Kaisersohn wie Titus. Nach seinem Herrschaftsantritt im Juni 79 kam es zu einem Bruch in der engen Beziehung der beiden. Titus war aufgrund der enormen öffentlichen Kritik gezwungen, sie gegen seinen und ihren Willen (invito, invitam) zu verlassen. Wann genau dies geschah, ist umstritten. Wahrscheinlich wurde Berenike unmittelbar nach Titus’ Herrschaftsantritt aus Rom verbannt.
Rechtliche Hindernisse für eine eheliche Verbindung gab es indes keine. Berenike war von Geburt an römische Bürgerin, da Gaius Iulius Caesar ihrer Familie in den 40er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. für ihre Verdienste im Bürgerkrieg das römische Bürgerrecht verliehen hatte. Möglicherweise wurde die Ehe jedoch dadurch verhindert, dass sie Jüdin war und damit etwaige Kinder ebenfalls Juden gewesen wären. Damit konnten sich Senat und Volk von Rom offenbar so kurz nach dem Jüdischen Aufstand und dem Stadtbrand des Jahres 64, der mit den Christen – nach römischer Auffassung einer jüdischen Sekte – in Verbindung gebracht wurde, nicht anfreunden. Die plebs urbana zeigte, von zwei kynischen Philosophen im Theater aufgewiegelt, offen ihre Ablehnung und beeinflusste so nicht zum ersten Mal die Entscheidungen im Kaiserhaus. Wegen der öffentlichen Proteste und aus Gründen der Staatsräson unterließ es Titus, seine Verbindung mit Berenike zu legalisieren, und entfernte sie zudem aus seinem persönlichen Umfeld. Berenike blieb allerdings in Italien. Sie kam offenbar kurz vor dem frühen Tod des Titus im Jahr 81 noch einmal nach Rom und verließ danach Italien, um in ihre Heimat zurückzukehren.
Tod und Nachfolge
Nachdem er hunderttägige Spiele in Rom gegeben hatte, zog sich Titus im Sommer 81 weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Er starb nach nur 26 Monaten der Herrschaft am 13. September. Sueton zufolge erkrankte er auf dem Weg in das Sabinerland, die Heimat seiner Vorfahren, an einem Fieber und starb in derselben Villa wie sein Vater Vespasian zwei Jahre zuvor. Nach Plutarch hatte Titus gegen den Rat der Ärzte trotz einer schweren Erkrankung die Thermen besucht und starb an der dadurch verschlimmerten Krankheit. Andere Autoren berichten von Gerüchten, Domitian habe den Tod seines Bruders herbeigeführt, indem er den erkrankten Kaiser Unterkühlungen ausgesetzt habe. Ungeklärte Todesfälle von Herrschern zogen oft Mordgerüchte nach sich. Nach Sueton soll er bitterlich über seinen frühen Tod geklagt haben; seine letzten Worte sollen gewesen sein, dass er keine Tat bis auf eine bereuen müsse. Dazu überliefert Cassius Dio zwei konträre zeitgenössische Vermutungen. Nach der einen hat Titus seine Beziehung zu Domitia, der Ehefrau Domitians, bereut, nach der anderen hat er es sich nicht verzeihen können, seinem Bruder die Thronfolge gesichert zu haben.
Domitian übernahm ohne Schwierigkeiten die Macht und wurde noch am 13. September von den Prätorianern als Imperator akklamiert. Einen Tag später übertrug ihm der Senat die mit dem Herrscheramt verbundenen Vollmachten und den Augustusnamen. Die Domitian feindlich gesinnte Überlieferung behauptet, der neue Kaiser habe seinem Bruder außer der Divinisierung keine weiteren Ehrungen zukommen lassen. Doch ließ Domitian in Rom eine Reihe von Repräsentationsbauten errichten, die Titus und die eigene gens verherrlichen sollten. Der von Titus begonnene Familientempel wurde unter Domitian vollendet, sein Name in Tempel des Vespasian und des Titus geändert. Dort errichtete Domitian eine Kultstatue für seinen Bruder. Auf dem Quirinal an der Stelle, wo sein Geburtshaus stand, baute er ein templum gentis Flaviae und auf dem Campus Martius ließ er ein templum deorum errichten. Mit der Domus Flavia schuf er auf dem Palatin einen repräsentativen Palast. Von 81 bis etwa 84 ließ Domitian Konsekrationsmünzen für Titus prägen.
Für seinen Sieg über Judäa wurde Titus nach seinem Tod auf dem höchsten Punkt der Via Sacra am östlichen Rand des Forum Romanum ein Triumphbogen errichtet, der als Titusbogen bezeichnet wird. Nach Michael Pfanner feiert dieser Bogen jedoch die Konsekration des Titus. Die Inschrift des Bogens lautet: Senatus / populusque Romanus / divo Tito divi Vespasiani f(ilio) / Vespasiano Augusto („Der Senat und das römische Volk dem vergöttlichten Titus, Sohn des vergöttlichten Vespasian, Vespasian dem Erhabenen“). Titus allein wird dabei der Triumph zugestanden, sein Vater Vespasian tritt nicht in Erscheinung. Noch heute erinnert an der Innenseite des Bogens ein Relief an die Belagerung und Zerstörung Jerusalems. Für den Sieg über die Juden und die Zerstörung Jerusalems wurde auch ein zweiter, 2014 und 2015 am Circus Maximus ergrabener Bogen für den Kaiser errichtet.
Wirkungsgeschichte
Antike Meinungen
Die Schriftsteller Tacitus, Cassius Dio und Sueton verfassten ihre Werke erst nach dem Tod des letzten Flaviers. Sie stehen in der Tradition der senatorischen Geschichtsschreibung und konzentrierten sich in ihrer Darstellung auf die Konflikte zwischen dem Senat und dem Princeps. Da Titus angeblich in völliger Harmonie mit dem Senat lebte, prägte dies auch das Urteil der späteren antiken Geschichtsschreibung. Insbesondere galt Titus als Gegenbild zu seinem Bruder und verhassten Nachfolger Domitian, der ermordet wurde und dessen Erinnerung auf Anordnung des Senats ausgelöscht werden sollte. Für die Senatoren war Titus der ideale Herrscher. Nach Sueton sagte der Senat „dem Toten so großen Dank und überhäufte ihn derart mit Ehrungen, wie er es nicht einmal in seinen besten Tagen erlebt hatte“.
Folglich beschrieb die senatorische Überlieferung Titus als körperlich und geistig außergewöhnlich begabt und zumindest in seiner Jugend auch allseits beliebt. Zudem soll er in allen Sportarten erfolgreich und als Redner ebenso wie als Dichter und Sänger fähig gewesen sein. Bewundert wurde auch, dass er aus dem Stegreif dichten, fremde Handschriften täuschend nachahmen und außergewöhnlich schnell „stenografieren“ konnte. Plinius der Ältere, der beim Ausbruch des Vesuvs starb, widmete seinem Freund Titus seine Naturgeschichte. Als Beweis für Titus’ menschenfreundliches Wesen diente der ihm zugeschriebene Ausspruch, er habe einen Tag verloren, weil er niemandem Gutes getan habe.
Der römische Kaiserbiograf Sueton feierte Titus als „Liebling des Menschengeschlechts“ (amor ac deliciae generis humani). Hingegen hielt er die Zerstörung des Jerusalemer Tempels nicht einmal für erwähnenswert. Angesichts des Amphitheaters betonte Martial, dass Titus Rom sich selbst wiedergegeben habe und das Volk unter ihm jetzt genießen könne, was zuvor allein der Tyrann genoss – war das Amphitheater doch da entstanden, wo Neros Goldenes Haus, seine künstlichen Teiche und protzigen Gärten lagen. Für die folgenden Generationen der senatorischen Geschichtsschreibung galt er als mustergültiger Herrscher. Im 4. Jahrhundert bezeichnete ihn Aurelius Victor als „Wonne der Menschheit“; sein Tod habe Rom und die Provinzen mit unbeschreiblichem Schmerz erfüllt. Aber auch an nüchternen Stimmen fehlte es schon in der Antike nicht. Im vierten Jahrhundert bezeichnete Ausonius Titus als „glücklich durch die Kürze seines Regiments“ (felix brevitate regendi).
Der römisch-jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, der den Jüdischen Krieg miterlebt hatte, machte in seinem Werk Bellum Iudaicum die jüdischen Splittergruppen für die Erhebung gegen Rom verantwortlich und verherrlichte die flavischen Kaiser. Er betonte mit Nachdruck, dass die Juden an ihrem Untergang selbst schuld seien. Nur die Belagerung Jerusalems durch Titus habe ihrem mörderischen und unverständlichen Treiben ein Ende setzen können. Intensiv glorifizierte Josephus seinen Helden Titus, wobei auch Dankbarkeit eine Rolle spielte, weil dieser maßgeblich an der Rettung seines Lebens beteiligt gewesen war. Der römische Feldherr erscheint bei Josephus als Wohltäter und Retter des jüdischen Volkes, selbst die Zerstörung des Tempels habe er zu verhindern versucht.
Jedoch folgten nicht alle antiken Geschichtsschreiber dem Bericht des jüdischen Gelehrten. Im ausgehenden 4. Jahrhundert schrieb Sulpicius Severus, Titus habe die Auffassung der Mitglieder seines Stabs, die für die Zerstörung des Tempels plädierten, geteilt. Die christliche Überlieferung rühmte die Zerstörung der Stadt als ein Vergeltungswerk an den Juden dafür, dass sie Christus getötet hatten.
Hingegen ist das Titus-Bild in der rabbinischen Literatur äußerst negativ. Hier hat Titus den ständigen Beinamen „der Frevler“ (הרשע). Es handelt sich um Legenden zu drei Themenkreisen: Titus im Tempel; Reise des Titus nach Rom und sein qualvoller vorzeitiger Tod; sein Neffe Onkelos, der zum Judentum konvertiert sei. Die Verfasser des Talmuds betrachteten seinen frühen Tod als gerechte Strafe des Himmels. Titus habe nicht nur Jerusalem eingenommen, sondern sich auch seinen jüdischen Gefangenen gegenüber äußerst grausam verhalten. Die Sibyllinischen Orakel, eine Sammlung von Prophezeiungen verschiedenen Ursprungs, enthalten einen Text, der den Ausbruch des Vesuvs als Strafe für die Zerstörung Jerusalems deutet.
Künstlerische Rezeption
Insbesondere Titus’ Eroberung des Tempels von Jerusalem, die Liebesbeziehung zu Berenike und die ihm zugesprochene Milde haben bildende Künstler zu Werken angeregt. Schon im frühen 8. Jahrhundert nutzte ein angelsächsischer Runenmeister die Eroberung Jerusalems als Motiv. Auf dem Runenkästchen von Auzon – vermutlich ein königliches Schatzkästchen – soll diese Darstellung in Verbindung mit der runischen Inschrift das Kampfesglück und somit den Ruhm des anglischen Kriegerkönigs sichern.
Nicolas Poussin schuf 1625 in Rom zu diesem Thema ein repräsentatives Gemälde für Kardinal Francesco Barberini, das seinen Ruf als Historienmaler bestärkte. Er stellt Titus beritten mit einer an die Reiterstatue Mark Aurels auf dem Kapitol erinnernden Geste dar, mit der er die Plünderung des Tempels durch seine Soldaten noch verhindern will.
Das Monumentalgemälde Zerstörung Jerusalems durch Titus hingegen, das Wilhelm von Kaulbach 1841–1846 im Auftrag König Ludwigs I. von Bayern schuf, erhöht Titus, der in ähnlicher Pose zu Pferd dargestellt ist, zum göttlichen Werkzeug, indem Propheten und Engel die Zerstörung des Tempels als göttliches Strafgericht erscheinen lassen. Das Werk, das in seiner Anlage und in vielen Details zahlreiche antisemitische Klischees der abendländischen Kunst vereint, gehört heute zur Sammlung der Neuen Pinakothek in München. Weitere Gemälde über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels schufen die Maler David Roberts (1850) und Francesco Hayez (1867). Der Triumphzug über Judäa inspirierte die Maler Giulio Romano (1540) und Lawrence Alma-Tadema (1885).
Titus taucht schon früh als Figur der Oper auf: Antonio Cestis Oper Il Tito nach einem Libretto von Nicolò Beregan wurde 1666 in Venedig uraufgeführt. Die Oper spielt zur Zeit der Eroberung Jerusalems.
Aber auch seine Milde (clementia) wurde in Kunst und Belletristik oft behandelt. Pietro Metastasios Opernlibretto La clemenza di Tito (1734) wurde von mehr als 40 Opernkomponisten des Barocks und der Klassik vertont. Am bekanntesten ist bis heute die Vertonung von Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito. Auch andere Komponisten wie Antonio Caldara, Baldassare Galuppi, Johann Adolph Hasse, Niccolò Jommelli, Ignaz Holzbauer und Christoph Willibald von Gluck komponierten Opern zu diesem Text. Titus wird von Metastasio als tugendhafter, der Milde verpflichteter Herrscher dargestellt, der den Fürsten des Absolutismus zum Vorbild dienen sollte. Mit dem historischen Titus hat Metastasios Darstellung allerdings wenig zu tun, vielmehr ist sein Libretto von Pierre Corneilles Drama Cinna beeinflusst, das die Milde des Kaisers Augustus gegenüber dem Verschwörer Gnaeus Cornelius Cinna Magnus darstellte.
Die Liebesbeziehung zwischen Berenike und Titus inspirierte die französischen Klassiker Jean Racine und Pierre Corneille 1670 zu ihren Werken Bérénice und Tite et Bérénice.
In Lion Feuchtwangers Josephus-Trilogie, die Leben und Wirken des Flavius Josephus zum Thema hat und in der die drei Kaiser der Flavier-Dynastie als wichtige Nebenfiguren auftreten, wird Titus als ehrlich, treu und intelligent, allerdings auch als mitunter schwermütig und verzweifelt dargestellt. Feuchtwanger suggeriert in seiner Romantrilogie, Titus habe am Ende seines Lebens psychisch unter seiner Entscheidung gelitten, Jerusalem zerstört zu haben, da diese Entscheidung eine affektive Übersprunghandlung gewesen sei, die den sonst rational denkenden Titus im Nachhinein stark beschämt habe.
Titus in der Forschung
Titus’ enge Kooperation mit Vespasian und die Kürze seiner Herrschaft machen eine adäquate Beurteilung seiner Politik schwierig. Insgesamt wird er als fähiger Herrscher und Verwalter angesehen, der die flavische Dynastie sichern konnte. In der bislang einzigen Biografie des Kaisers sieht Brian W. Jones Titus als einen wohlwollenden, paternalistischen Autokraten, der durch das Festhalten an einem weiterhin faktisch entmachteten Senat – bei voller Ehrung des Gremiums – als ein Vorbild für Trajan und die Adoptivkaiser gelten kann. Als Vorbild für Titus’ Regierungsstil vermutet Jones den ersten römischen Kaiser Augustus.
Darüber hinaus diskutiert die Forschung insbesondere Einzelaspekte wie Titus’ Rolle bei der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und sein Verhältnis zu Berenike.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde auf Grundlage bürgerlicher Wertvorstellungen und eigener Vorbehalte gegen eine erheblich ältere Gefährtin, sexuelle Freizügigkeit, das Judentum und die sich entwickelnde Emanzipation Berenike hart kritisiert. Sie galt als eine ehrgeizige, alternde, der libido ergebene Frau, die aus selbstsüchtigen Motiven ihren jüngeren Liebhaber an sich fesselte. Die Beurteilung der Liebesbeziehung schwankte dabei zwischen „lächerlicher Leidenschaft“ (Adolf Hausrath) und „weltgeschichtliche(m) Liebesverhältnis“ (Emil Schürer). Die dürftige Quellenlage über die Liebesbeziehung eröffnete nachfolgenden Historikergenerationen wiederholt Raum für Versuche, die näheren Verhältnisse zu rekonstruieren.
Die Frage nach Absicht oder Zufall der Tempelzerstörung wurde in der Geschichtswissenschaft vielfach diskutiert. Der Bericht des Sulpicius Severus schreibt anders als Josephus dem Titus die Verantwortung für die Zerstörung des Tempels zu. Für seine Chronik an der Wende vom vierten zum fünften Jahrhundert könnte er für Informationen auf Tacitus zurückgegriffen haben. Die von Josephus abweichende Version bei Sulpicius Severus wird von einer Mehrheit der Forscher vertreten, darunter Theodor Mommsen, Adalberto Giovannini, Ingomar Weiler oder Helmut Schwier. Doch auch die Darstellung des Josephus hat wiederholt Befürworter gefunden, wie Otto Michel, Otto Bauernfeind, Emil Schürer oder Martin Goodman.
Quellen
Die wichtigsten Quellen zu Titus sind die Titusbiografie Suetons, Cassius Dio und der Jüdische Krieg (De bello Iudaico) des Flavius Josephus.
Ursul Philip Boissevain (Hrsg.): Cassii Dionis Cocceiani historiarum Romanarum quae supersunt, Band 3. Weidmann, Berlin 1901, S. 152–161 (kritische Ausgabe der erhaltenen Auszüge aus Buch 66)
Otto Veh (Hrsg.): Cassius Dio: Römische Geschichte, Band 5, Artemis, Zürich 1987, ISBN 3-7608-3675-5, S. 157–168 (Übersetzung der Epitome des Buches 66)
Otto Michel, Otto Bauernfeind (Hrsg.): Flavius Josephus: De bello Judaico. Der jüdische Krieg. Zweisprachige Ausgabe der sieben Bücher. 3 Bände, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1959–1969 (kritische Ausgabe mit knappem Apparat)
Max Ihm (Hrsg.): C. Suetoni Tranquilli opera, Band 1: De vita Caesarum libri VIII. Teubner, Stuttgart 1973, ISBN 3-519-01827-6, S. 309–316 (Nachdruck der Ausgabe von 1908; kritische Ausgabe, editio minor)
Hans Martinet (Hrsg.): C. Suetonius Tranquillus: Die Kaiserviten. De vita Caesarum. Berühmte Männer. De viris illustribus. Artemis & Winkler, Düsseldorf 1997, ISBN 3-7608-1698-3, S. 866–883 (unkritische Ausgabe des lateinischen Textes mit deutscher Übersetzung)
Literatur
Überblickswerke
Biographien
Darstellungen
Johanna Leithoff: Macht der Vergangenheit. Zur Erringung, Verstetigung und Ausgestaltung des Principats unter Vespasian, Titus und Domitian (= Schriften zur politischen Kommunikation. Bd. 19). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 3-8471-0289-3.
Christopher Weikert: Von Jerusalem zu Aelia Capitolina. Die römische Politik gegenüber den Juden von Vespasian bis Hadrian. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016, ISBN 978-3-525-20869-4.
Anne Wolsfeld: Die Bildnisrepräsentation des Titus und des Domitian (= Tübinger Archäologische Forschungen. Band 32). Verlag Marie Leidorf, Rahden (Westfalen) 2021, ISBN 978-3-89646-863-5.
Rezeptionsgeschichte
Weblinks
Albert Ottenbacher: Die Zerstörung Jerusalems – ein „göttliches Strafgericht“? (Interpretation der Titus-Gemälde von Kaulbach und Poussin)
Cassius Dio, Römische Geschichte Buch 66 (englische Übersetzung bei LacusCurtius)
Josephus, Jüdischer Krieg (griechischer Text und englische Übersetzung)
Sueton, Titus: lateinischer Text, englische Übersetzung
Anmerkungen
Kaiser (Rom)
Censor
Augur
Pontifex
Herrscher (1. Jahrhundert)
Flavius Vespasianus, Titus
Flavius Vespasianus, Titus
Vespasian
Flavier
Geboren 39
Gestorben 81
Mann
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Q1421
| 90.866829 |
21057
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hardcover
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Hardcover
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Ein Hardcover (Abkürzung: HC; Pappband, Abkürzung Pp.; auch Festeinband oder selten Deckenband) ist ein Buch mit einem festen Einband, dessen Kern in der Regel aus Pappe besteht und vollständig von Bezugsmaterialien wie Papier, Textilem oder Leder umgeben ist. Der Einband mit vorderem und hinterem Buchdeckel sowie Buchrücken wird separat erstellt und als Buchdecke bzw. Decke bezeichnet.
Im Gegensatz dazu ist der Einband eines preislich günstigeren, in Anlehnung an Hardcover auch Softcover genannten Taschenbuchs () flexibel und besteht meist nur aus bedrucktem Karton ohne Bezugsmaterial.
Im modernen Buchhandel erscheinen Erstausgaben meist als Hardcover.
Geschichte
Als Massenartikel industrieller Buchproduktion etablierte sich der Deckenband als bevorzugte Einbandart von Verlagseinbänden ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Wurden vorher meist ungebundene Buchblöcke verkauft, die dann vom Besitzer des Buches separat und individuell gebunden wurden, übernahmen es nun die Verlage, eine Auflage eines Buches vorab in einheitliche Einbände binden zu lassen. Es entstand der Verlagseinband. Der Deckenband ermöglicht relativ preisgünstige Einbände in großen Stückzahlen, da ein hoher Mechanisierungsgrad erreicht werden kann. In letzter Konsequenz stellt das Softcover beziehungsweise die Broschur die reduzierteste Form dieser Entwicklung dar, da der Einband nur noch aus einem einzigen Stück meist bedrucktem Karton ohne Bezugsmaterial besteht. Die herkömmliche Art des Buchbindens überlebte lediglich in Handbuchbindereien, etwa bei teilweise aufwendig und künstlerisch gestalteten Kleinserien.
Abgrenzung
Das Gegenstück zum Hardcover ist meist preiswerter und lediglich mit einem flexiblen Umschlag aus Karton, Papier o. ä. versehen. Je nach Format und Qualität des Umschlags werden derartige Buchexemplare dann als Broschur, Softcover, Paperback oder Taschenbuch bezeichnet.
In der historischen bzw. besonders hochwertigen Buchbindung wird der Buchblock separat mit den Deckeln und dem Rücken in mehreren Arbeitsschritten verbunden, so zum Beispiel beim Franzband.
Herstellung
Buchblock und Buchdecke werden in getrennten Arbeitsgängen hergestellt und danach zusammengefügt, was den Deckenband vom herkömmlichen Verfahren des Buchbindens unterscheidet. Bestandteile der Buchdecke sind der Vorderdeckel (oder vorderer Deckel), der Hinterdeckel (oder hinterer Deckel) sowie der Buchrücken. Gaze und Hülse können den Buchrücken zusätzlich verstärken. In der industriellen Buchherstellung werden die Buchdecken auf einer Deckenmaschine hergestellt. Der Buchblock wird in die fertige Decke „eingehängt“: Der Buchblock wird meist über das Vorsatz, aber auch in einigen Fällen zusätzlich mittels Bünde oder Gaze mit der Buchdecke verbunden. Der Einband kann einen Schutzumschlag erhalten.
Bestandteile
Als Material für die Buchdeckel können verschiedene Materialien verwendet werden, üblicherweise Pappe (Pappband) oder fester Karton; seltener auch Plastik oder Metall, historisch auch Holz. Der Buchblock eines Deckenbandes kann unterschiedlich gestaltet werden:
runder oder gerader Buchrücken
Kapitalband
Farbschnitt oder Naturschnitt
Der Einband besteht aus Vorder- und Rückendeckel sowie dem Schrenz bzw. der Rückeneinlage. Diese sind durch Bezugsmaterial miteinander verbunden. Auch bei Deckenbänden gibt es sowohl Halb- als auch Ganzbände, wobei letztere wesentlich häufiger hergestellt werden. Die Buchdecke kann noch mit verschiedenen Merkmalen ausgestattet werden:
Farbprägung oder Blindprägung
Titelschild
Buchschleife
Einstecktaschen (auf den Spiegeln)
Schuber
Literatur
Konrad Umlauf: Moderne Buchkunde. Bücher in Bibliotheken und im Buchhandel heute. (= Bibliotheksarbeit. Band 2). 2., aktualisierte und neu gefasste Auflage. Harrassowitz, Wiesbaden 2005, ISBN 3-447-04176-5.
Weblinks
Einzelnachweise
Buchbinden
Einbandart
Englische Phrase
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Q193955
| 195.972328 |
3412152
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https://de.wikipedia.org/wiki/Russland
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Russland
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Russland (), amtlich die Russische Föderation (russisch ‚Russländische Föderation‘), ist ein Bundesstaat in Osteuropa und Nordasien, mit der Exklave Kaliningrad in Mitteleuropa. Der Fläche nach ist Russland mit etwa 17 Millionen Quadratkilometern der größte Staat der Welt und umfasst etwa ein Neuntel der Landmasse der Erde. Mit 144,5 Millionen Einwohnern (2019) steht es an neunter Stelle der bevölkerungsreichsten Staaten und ist zugleich einer der am dünnsten besiedelten.
Der europäische Teil des Staatsgebiets ist viel dichter besiedelt und verstädtert als der über dreimal so große asiatische Teil: Etwa 77 % der Bevölkerung (110 Millionen Einwohner) leben westlich des Urals. Die Hauptstadt Moskau ist eine der größten Städte und Metropolregionen der Welt. Das zweitwichtigste Zentrum ist Sankt Petersburg, das von 1712 bis 1918 Hauptstadt war und heute vor allem ein wichtiges Kulturzentrum bildet. Die nächstgrößten Millionenstädte sind Nowosibirsk, Jekaterinburg, Kasan und Nischni Nowgorod. Insgesamt gibt es in Russland 15 Millionenstädte und fast 70 Agglomerationen mit über 500.000 Einwohnern.
Die föderale Gliederung Russlands besteht aus acht Föderationskreisen und 83 Föderationssubjekten. Russland ist ein über 100 Ethnien zählender Vielvölkerstaat, wobei ethnische Russen fast 80 % der Bevölkerung ausmachen.
Russland ist heute ein Schwellenland im Bereich des oberen mittleren Einkommens. Nach der Erholung von der postkommunistischen Transformationskrise der 1990er-Jahre wurde das Land die heute achtgrößte, nach Kaufkraftparität sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt, direkt hinter Deutschland. Seine Rohstoffreserven sind mit etwa 20 bis 30 % die wahrscheinlich größten der Welt, mit erheblichen Vorkommen von Primärenergieträgern – vor allem Erdgas. Russland ist seit Mitte der 1980er-Jahre, damals noch als Teil der Sowjetunion, einem stetigen wirtschaftlichen, demografischen und militärischen Leistungsverfall ausgesetzt.
Militärisch wird es 2023 von Global Firepower auf dem zweiten Platz hinter den USA gesehen, nach dem SIPRI Institut verfügt es mit 4.489 über die größte Anzahl an atomaren Sprengköpfen aller Staaten, von denen aber nur 1.674 einsatzbereit sind, während die übrigen gelagert werden.
Russland ist seit 1946 ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates und zudem Mitglied von WTO, OSZE, APEC und der SCO sowie führendes Mitglied der regionalen Organisationen GUS, OVKS und EAEU.
Die Russische Föderation ist „Fortsetzerstaat“ der Sowjetunion in internationalen Organisationen. Dem sowjetischen Bundesstaat voraus gingen das Russische Kaiserreich, das Zarentum Russland und ursprünglich das Großfürstentum Moskau, ein Teilfürstentum des früheren ostslawischen Reiches Kiewer Rus. Um 1990 endete der Kalte Krieg, Russland wurde zwischenzeitlich ein wenig demokratischer und näherte sich leicht „dem Westen“ an. Die damalige Verfassung sieht für Russland eine semipräsidentielle Demokratie vor, die Verfassungswirklichkeit entspricht gemäß vielen Demokratie-Indizes heute jedoch der einer Autokratie, zum Teil auch den Modellen defekter Demokratien bzw. Postdemokratien. Von russischer Seite wird hierfür gelegentlich selbst der Begriff „gelenkte Demokratie“ gebraucht. Auch Korruption und Menschenrechtsverletzungen sind bis heute weit verbreitet.
Russlands Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt ist seit Beginn der Sanktionen 2014 als Folge der Annexion der Krim und verschärft mit dem Überfall auf die Ukraine 2022 von 4 auf 2,85 % (2022) gefallen. Vor allem seit dem Angriff auf das Nachbarland sind die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zum Westen sehr stark belastet.
Russland wird überwiegend als Autokratie bewertet. In den Politik- und Osteuropawissenschaften wird diskutiert, ob es sich mittlerweile wegen innenpolitischer Verschärfungen und des Ukraine-Krieges um ein faschistisches Regime oder eine zunehmend totalitäre Diktatur handelt.
Geographie
Russland ist mit 17.075.020 km² das mit Abstand flächengrößte Land der Erde. Es umfasst 11 % der Weltlandfläche, das entspricht in etwa der Fläche Australiens und Europas zusammen. Bis auf die Tropen sind alle Klimazonen vertreten.
Von Westen nach Osten erstreckt sich Russland auf einer Gesamtlänge von 9000 km, von 19° östlicher bis 169° westlicher Länge über zwei Kontinente. Auf Europa entfallen 23 % der Landfläche, auf Asien 77 %. Von Süden nach Norden beträgt die Ausdehnung bis zu 4000 km, vom 41. bis zum 81. Grad nördlicher Breite.
Auf dem Gebiet Russlands befinden sich einige der längsten Flüsse sowie der älteste und tiefste Binnensee der Welt (Baikalsee). Wenn man die Reliefstruktur und die Flusssysteme Russlands miteinander vergleicht, so entsteht ein Gitternetz aus breitenparallel verlaufenden Wasserscheiden bzw. dem Steppengürtel im Süden und den meridional ausgerichteten Stromwegen.
Lage und Grenzen
Russland hat neben der Volksrepublik China mit 14 die größte Anzahl Nachbarstaaten mit einer gemeinsamen Landgrenze. Die Gesamtlänge der Landesgrenzen beträgt 20.027 km. Russland grenzt des Weiteren an fünf Meere, wobei die Küstenlinie 37.653 km umfasst.
Das russische Kernland grenzt an die Staaten Norwegen (196 km) und Finnland (1340 km; vgl. Grenze zwischen Finnland und Russland), gefolgt von einem kurzen Küstenstreifen zur Ostsee. Zudem teilt sich Russland eine Grenze mit den baltischen Ländern Estland (334 km) und Lettland (217 km), weiter südlich gefolgt von Belarus (959 km) und der Ukraine. Das Schwarze Meer trennt die europäischen Grenzen Russlands von den asiatischen. Im Kaukasus grenzen Georgien (723 km) und Aserbaidschan (284 km) an. Es folgt ein Küstenstreifen am Kaspischen Meer und eine lange gemeinsame Grenze mit Kasachstan (6846 km). In Ostasien grenzt Russland erstmals an die Volksrepublik China (etwa 40 km) und dann an die Mongolei (3485 km). Danach trifft das russische Hoheitsgebiet zum zweiten Mal mit chinesischem zusammen (3605 km). Mit Nordkorea (19 km) besteht die letzte Landverbindung zu einem anderen Staat.
Danach folgen die Küstenlinien zum Japanischen Meer, dem Ochotskischen Meer, zum Pazifischen Ozean und schließlich zur Beringsee. Über die nur etwa 85 km schmale und 30 bis 50 m tiefe Beringstraße ist Russland im äußersten Osten von Alaska getrennt. Die inmitten der Beringstraße befindliche russische Große Diomedes-Insel liegt nur 4 km von der US-amerikanischen Kleinen Diomedes-Insel entfernt. Der gesamte nördliche Teil des Landes grenzt an den Arktischen Ozean. Dort liegen verschiedene zu Russland gehörende Inseln, als nördlichste Franz-Josef-Land. Russland betrachtet zudem noch weitere Gebiete des Arktischen Ozeans und der Eisfläche als Teil seines Hoheitsgebietes.
Neben dem Kernland besitzt Russland noch eine Exklave, den nördlichen Teil des ehemaligen Ostpreußen, die heutige Oblast Kaliningrad. Dieses Gebiet, über das 1945 die Sowjetunion die territoriale Souveränität beanspruchte, grenzt an Litauen (227 km) und den südlichen Teil des früheren Ostpreußen, der jetzt zu Polen gehört (206 km). Es ist somit vollständig von EU-Ländern umgeben.
Russland ist in elf Zeitzonen eingeteilt (von UTC+2 bis UTC+12), wobei mit der Abschaffung der Zeitumstellung im Jahr 2011 bis 2014 überall ganzjährig die Sommerzeit galt. Nach anhaltender Kritik aus der Bevölkerung kehrte Russland am 26. Oktober 2014 zur Normalzeit zurück.
Großlandschaften und Relief
Russland umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Naturräume, die vielfältige Potenziale, aber auch sehr verschiedenartige Nutzungen aufweisen. Russland gliedert sich geographisch betrachtet hauptsächlich in die acht Großlandschaften (etwa in West-Ost-Richtung):
Die Osteuropäische Ebene nimmt den größten Teil des europäischen Russlands ein. Es besteht aus weiten Niederungen, die von schwach gegliederten Höhenrücken unterbrochen werden. Nur wenige Erhebungen erreichen Höhen von mehr als 300 m. In Karelien und auf der Halbinsel Kola, die geologisch zum Baltischen Schild gehören, ist das Relief im Norden differenzierter. Dort wird in den Chibinen der zentralen Kola-Halbinsel eine maximale Höhe von 1191 m erreicht. Im Süden geht das Osteuropäische Tiefland in die unterhalb des Meeresspiegels gelegene Kaspische Senke über. Während der letzten Eiszeit entstand eine Kette von Endmoränen, die vom Grenzgebiet zu Belarus aus nach Osten und nördlich von Moskau zur arktischen Küste westlich des Flusses Petschora verläuft. Die Region nördlich davon besteht aus vielen Seen und Sümpfen.
Östlich des Uralgebirges setzt sich bis zum Jenissei die weit gespannte Ebene im Westsibirischen Tiefland fort. Dieses überaus flache Gebiet wird von weiträumigen Sumpflandschaften eingenommen.
Das Nordsibirische Tiefland schließt sich nördlich des Mittelsibirischen Berglands an, das nach Norden zur Taimyrhalbinsel bis südlich des Arktischen Ozeans ansteigt.
Östlich des Jenissei erstreckt sich bis zur Lena das wellige Mittelsibirische Bergland mit durchschnittlichen Höhen zwischen 500 und 700 m. Im Nordwesten dieser Region erhebt sich das Putorana-Gebirge, das eine maximale Höhe von 1701 m erreicht. Flüsse prägten die Gestalt der Landschaft, an einigen Stellen haben sich tiefe Canyons eingeschnitten.
Im Süden von Mittel- und Ostsibirien setzen sich weitere Gebirgszüge ostwärts bis zum Pazifischen Ozean fort (Südsibirische Gebirge). Dazu gehören Altai, Sajangebirge, Jablonowygebirge, Stanowoigebirge und Dschugdschur.
Die Mitteljakutische Niederung umfasst vor allem die Unterlaufstäler von Lena und Wiljui, aber auch das untere Aldantal. Die etwa 1 Million km² umfassende Niederung wird im Westen vom Mittelsibirischen Bergland begrenzt und im Osten vom Ostsibirischen Bergland.
Östlich von Lena und Aldan schließt sich das Ostsibirische Bergland an, das aus verzweigten Gebirgsketten besteht. Die höheren Gebirge in dieser Region, wie das Werchojansker Gebirge, das Tscherskigebirge und das Kolymagebirge, erreichen Höhen zwischen etwa 2300 und 3200 m. Auf der Halbinsel Kamtschatka gibt es etwa 160 Vulkane. Die vulkanische Gebirgskette von Kamtschatka setzt sich im Süden auf den Kurilen fort. Dort gibt es rund 100 Vulkane.
Südlich der Ostsibirischen See erschließt sich das weitläufige Ostsibirische Tiefland, das sich ausschließlich nördlich des Polarkreises befindet. Die Landschaft umfasst die Unterläufe der Flüsse Jana, Indigirka und Kolyma. Der westliche Teil ist das Jana-Indigirka-Tiefland, der östliche das Kolyma-Tiefland. Im Westen, Süden und Osten grenzt das Ostsibirische Tiefland an das Ostsibirische Bergland.
Flüsse und Seen
Mit 120.000 Flüssen und Strömen und fast zwei Millionen Seen ist Russland sehr wasserreich. Der Waldgürtel, der zwei Drittel der Fläche einnimmt, wirkt zusammen mit dem Niederschlagsüberschuss als riesiger Wasserspeicher, der ein ganzes Netz an Wasserläufen speist.
Im europäischen Teil Russlands ist der wichtigste Fluss die Wolga. Sie ist der längste Fluss Europas und verläuft ausschließlich in Russland. Zusammen mit ihren beiden Nebenflüssen Kama und Oka entwässert sie einen großen Teil der Osteuropäischen Ebene nach 3534 km zum Kaspischen Meer im Südosten. Als Wasserweg hat die Wolga besondere Bedeutung, da sie Osteuropa mit Zentralasien verbindet. Der Nordrussische Landrücken bildet die Wasserscheide zwischen Wolgabecken und Weißem Meer bzw. Barentssee im Norden. Eine große Bedeutung für die slawischen Staaten besitzt der Dnepr (auch Dnjepr genannt). Der Strom entsteht westlich von Moskau und fließt anschließend durch Belarus und die Ukraine, wo er ins Schwarze Meer mündet. Über den Dnepr-Bug-Kanal ist er mit den polnischen Flüssen Bug und Weichsel sowie mittelbar über das Oginskische Kanalsystem mit der Memel verbunden, was den Dnepr zu einer wichtigen Wasserstraße macht.
Die längsten Flüsse Russlands liegen in Sibirien und dem fernöstlichen Russland. Der Ob entspringt im südsibirischen Altai und mündet in das Nordpolarmeer. Der mit seinem Quellfluss Katun über 4300 km lange Fluss bildet – zusammen mit dem Irtysch – eines der längsten Flusssysteme Asiens mit einer Gesamtlänge von über 5400 km. Eine noch etwas längere Fließstrecke hat das Flusssystem des Jenissei, dessen Wasser (teilweise) aus der Mongolei nach Norden durch Westsibirien zum Nordpolarmeer fließt. Sein Hauptzufluss, die Angara, stellt den einzigen Abfluss des Baikalsees dar. Der Jenissei führt dem Nordpolarmeer jährlich etwa 600 km³ Wasser zu. Damit verzeichnet er die höchste Durchflussmenge aller russischen Flüsse. Die rund 4300 km lange Lena, der längste Strom, der ausschließlich in Russland verläuft und dessen Einzugsgebiet sich ausschließlich in Russland befindet, entspringt nur 5 km vom Baikalsee entfernt. Sie fließt zunächst in nordöstliche Richtung, biegt nach dem Einmünden des Aldan nach Norden und mündet in einem ausgedehnten Delta in die Laptewsee, ein Nebenmeer des Nordpolarmeers. Weitere wichtige Flüsse, die ins Nordpolarmeer münden, sind die Petschora, die Nördliche Dwina, die Chatanga sowie die Kolyma und die Indigirka.
Ein weiteres wichtiges Flusssystem bildet der Amur mit seinem Zufluss Schilka. Mit dessen Quellfluss Onon hat es eine Gesamtlänge von etwa 4400 km und führt vom Nordosten der Mongolei in östlicher Richtung entlang der chinesischen Grenze zur Pazifikküste. Amur und Anadyr sind die größten russischen Flüsse, die in den Pazifischen Ozean fließen.
Viele andere Ströme sind als Verkehrswege und als Energiequellen bedeutend, oder sie dienen in trockenen Regionen der Bewässerung. Der Don nimmt dabei eine herausragende Stellung ein. Er liegt im bevölkerungsreichen Osteuropäischen Tiefland und entwässert nach Süden in das Asowsche Meer. Andere wichtige Flüsse sind Moskwa, Selenga, Tobol, Steinige Tunguska, Untere Tunguska, Ural und Ussuri.
In Russland gibt es, besonders im ehemals vergletscherten nordwestlichen Teil des Landes, viele natürliche Seen. Das Kaspische Meer ist mit 386.400 km² der weltgrößte Binnensee. Der Seespiegel des Salzwassersees befindet sich etwa 28 m unterhalb des Meeresniveaus. Da das Kaspische Meer keinen Abfluss hat, entweicht Wasser nur durch Verdunstung, wodurch es bei dem hier herrschenden trockenen Klima zur Auskristallisation von Salzen kommt. Der Baikalsee hat als ältester Süßwassersee eine Tiefe von 1642 m, womit er nicht nur der tiefste See, sondern zugleich auch das größte Reservoir flüssigen Süßwassers weltweit (ca. ein Fünftel aller flüssigen Süßwasserreserven) ist. Weitere wichtige und große Seen sind Ladogasee (größter Binnensee Europas), Onegasee und Taimyrsee.
Gebirge und Naturschutzgebiete
Rund 40 % der Fläche Russlands ist von Gebirgen überzogen. Dabei bildet der Ural die Trennlinie zwischen dem europäischen und asiatischen Teil des Landes; er stellt allerdings wegen seiner geringen Höhe von knapp 2000 m (Narodnaja, 1895 m) keine wirkliche Barriere dar. Östlich des Ural erstreckt sich das sehr flache Westsibirische Tiefland, das bis zum Fluss Jenissej reicht und von weiträumigen Sumpflandschaften durchzogen ist. Südöstlich wird das Westsibirische Tiefland durch das Mittelsibirische Bergland abgeschlossen, das sich bis zum Fluss Lena erstreckt und im Norden zum schmalen Nordsibirischen Tiefland abfällt. Zum Mittelsibirischen Bergland gehören die Gebirge Sajan (Munku Sardyk, 3491 m) und das höchste Gebirge Sibiriens, der Altai (Belucha, 4506 m), im russisch-kasachisch-chinesisch-mongolischen Grenzgebiet. Östlich der Lena erhebt sich das Ostsibirische Bergland, das sich in verschiedene Gebirgsketten, wie das Werchojansker Gebirge (2389 m in Orlugan) und Tscherskigebirge (Pobeda, 3003 m), verzweigt und Höhen bis gut 3000 m erreicht. Die Halbinsel Kamtschatka ist durch ihre 160 Vulkane mit Höhen bis zu 4688 m geprägt, von denen 29 noch aktiv sind.
Weitere Gebirge in Russland sind: Baikalgebirge, Chibinen, Kaukasus, Kolymagebirge, Putorana-Gebirge, Stanowoigebirge, Stanowoihochland, Tannu-ola-Gebirge. Der höchste Berg in Russland ist der Elbrus (5642 m) im Kaukasus. Neben weiteren 5000ern im Kaukasus sind der Kasbek mit 5047 m und die Kljutschewskaja Sopka mit 4750 m bekannte Gipfel.
Russland besitzt ein ausgeprägtes Naturschutzsystem mit einer langen Tradition. Zu den klassischen russischen Schutzgebietskategorien wie den streng geschützten Sapowedniki oder den Sakasniki kamen seit den 1980er-Jahren die nach internationalen Kriterien errichteten Nationalparks und andere internationale Schutzgebietsklassen hinzu. Russland besitzt flächenmäßig eines der größten Schutzgebietssysteme der Welt:
Sapowedniki (streng geschützte Gebiete): Ist die wichtigste nationale Schutzgebietskategorie in Russland, die international zur höchstmöglichen Schutzgebietskategorie gehört. In ihnen darf keinerlei Nutzung und keine menschliche Beeinflussung der natürlichen Prozesse erfolgen. Daher ist das Betreten der Kernzone eines Sapowedniks durch Besucher verboten, wobei es für Wissenschaftler in beschränktem Umfang Ausnahmegenehmigungen gibt. Derzeit gibt es 100 von diesen Totalreservaten in Russland, die in ihrer Fläche von 2,31 bis 4169 km² reichen und insgesamt 27.000 km² umfassen.
Sakasniki (Wildschutzgebiete): Hierbei handelt es sich um Gebiete die bis zu 6000 km² Fläche umfassen, in denen Beschränkungen für die wirtschaftliche Nutzung gelten. Sie dienen als Landschaftsreservate dem Schutz und der Regeneration natürlicher Ökosysteme, dem Schutz von seltenen Tier- und Pflanzenarten, von Fossilienfundstellen oder auch dem Schutz hydrologisch, bzw. geologisch bedeutender Stätten. Insgesamt gibt es etwa 3000 Sakasniki in Russland mit einer Gesamtfläche von etwa 78.000 km².
Nationalparks in Russland: Erst seit Anfang der 1980er-Jahre gibt es in Russland auch die in anderen Ländern schon länger bekannte Schutzgebietskategorie der Nationalparks. Diese besitzen einen geringeren Schutzstatus als die Sapowedniki und dienen neben dem Schutz von Natur- und Kulturschätzen auch der Forschung und Bildung sowie dem kontrollierten Tourismus. Derzeit gibt es 35 Nationalparks in Russland, die in ihrer Fläche von 7 km² bis 18.900 km² reichen und zusammen 90.000 km² des Staatsgebietes umfassen.
Naturparks: Sie sind eine relativ neue Schutzkategorie und dienen neben dem Naturschutz auch der Erholung.
Naturerbe: 1972 wurde die Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt verabschiedet, der Russland 1988 beigetreten ist. Als Naturerbe gelten einzigartige physikalische, biologische und geologische Formationen oder Gebiete, deren Erhaltung für die Wissenschaft oder wegen ihrer natürlichen Schönheit von außergewöhnlichem Wert sind, sowie Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Bisher wurden folgende Gebiete von der UNESCO als Naturerbe aufgenommen:
1995 – Urwälder von Komi
1996 – Baikalsee
1996 – Vulkanregion von Kamtschatka mit Naturpark
1998 – Altai-Gebirge
1999 – Westlicher Kaukasus
2001 – Naturschutzgebiet Zentral-Sichote-Alin
2003 – Uws-Nuur-Becken
2004 – Naturreservat Wrangelinsel
2010 – Putorana-Gebirge
Klima- und Vegetationszonen
Die Jahresdurchschnittstemperatur für Russland wird mit −5,5 °C angegeben. Große Teile des Landes sind vom Kontinentalklima mit heißen Sommern und sehr kalten Wintern geprägt. Je weiter man in Richtung Osten des Landes reist, desto deutlicher spürt man die prägenden Temperaturen zu den verschiedenen Jahreszeiten, das heißt, der Sommer ist extrem heiß und die Temperaturen in den Wintermonaten mitunter eisig kalt. Kaum ein anderes Land bietet solche Temperaturunterschiede wie Russland. Die südliche Hälfte des Fernen Ostens hat ein vom Monsun beeinflusstes Klima. Die durchschnittlichen Januartemperaturen liegen mit Ausnahme der Schwarzmeerküste überall unter dem Gefrierpunkt. In Ostsibirien sinken sie auf −35 bis −60 °C ab, sind aufgrund der meist sehr niedrigen Luftfeuchtigkeit jedoch leichter auszuhalten. Die Sommertemperaturen sind sehr unterschiedlich. Die Durchschnittstemperaturen im hohen Norden liegen bei +1 bis +2 °C, in den Halbsteppen und Steppengebieten des Südens hingegen bei +24 bis +25 °C.
Die Klima-, Vegetations- und Ökozonen verlaufen in Russland weitgehend breitenkreisparallel, so dass eine Nord-Süd-Abfolge entsteht:
Im Nördlichen Eismeer herrscht die lebensfeindliche Kältewüste. Dies betrifft unter anderen den nördlichen Teil der Taimyrhalbinsel und weitere dort befindliche Inseln. Es herrscht ein ausgeprägtes Eisklima, in dem es kaum Pflanzen gibt. In dieser Zone gibt es nur wenige ständige Siedlungen. Die Durchschnittstemperaturen steigen nur für drei Monate knapp über den Gefrierpunkt und in den kältesten Monaten Januar und Februar erreichen sie bis −30 °C. Die jährlichen Niederschlagsmengen in Form von Schnee steigen selten über 250 Millimeter.
Beginnend vom nördlichsten Eurasischen Festland schließt sich ein baumloser und durch Permafrost gekennzeichneter Landschaftsgürtel an, der eine Nord-Süd-Ausdehnung zwischen 200 und 800 km aufweist und sich etwa bis zum Polarkreis, im Mittelsibirischen Bergland bis 70° nördlicher Breite erstreckt. Die Küstenlandschaft im Norden ist mit Ausnahme der Bucht um das Weiße Meer von der Tundra geprägt. Die Sommer sind dort zu kurz und zu kühl, als dass sich Wald ausbilden könnte. Die Durchschnittstemperaturen liegen nur vier bis fünf Monate im Jahr über dem Gefrierpunkt, wobei die wärmsten Monate in den Randgebieten ein Mittel über 10 °C aufweisen. Daher taut auch der Boden nur an der Oberfläche auf, sodass sich die reichlichen Niederschläge auf dem gefrorenen Unterboden stauen und die Tundra im Sommer in ein Meer von Sümpfen und Mooren mit einer Vegetation aus Flechten, Gräsern und Zwergsträuchern verwandeln. Landwirtschaft ist nicht möglich, nur die indigenen Rentiernomaden finden dort ihr Auskommen. Daher gibt es nur wenige menschliche Siedlungen. Weiter südwärts der Kältesteppe beginnen Fichten zunächst einzeln zu wachsen, um dann zusammen mit Moor-Birken und Espen von Sümpfen durchsetzte Waldtundra zu bilden. An ihrer Südgrenze geht die Waldtundra dann fließend in die Waldzone über.
Diese 1000 bis 2000 km breite Zone verläuft nördlich entlang der Linie St. Petersburg–Ufa–Irkutsk–Sachalin und bildet die boreale Zone bzw. die Taiga. Die Waldzone durchzieht ganz Nordeurasien. Wegen dieser gewaltigen Ausdehnung gliedert sie sich in mehrere breitenparallele Unterzonen: In den der Fläche nach bei weitem dominierenden Nadelwaldgürtel (eigentliche Taiga) im Norden, in Mittelsibirien weiter in die Sub-Taiga als Übergangszone zur Steppe sowie in einen Mischwaldgürtel, der sich jedoch lediglich im europäischen Russland südlich anschließt. Die Taiga ihrerseits bildet drei breitenparallel hintereinander geschaltete Unterzonen:
Westlich des Urals besteht die nördliche Taiga aus niedrigen Fichtenwäldern mit vereinzelten Birken. Nur in Karelien herrscht die Kiefer vor.
Die mittlere Taiga bildet dunkle Fichtenwälder mit Einschlüssen von Birken, nach Süden hin zunehmend auch Kiefern sowie ersten Vorboten von Laubhölzern wie der Winterlinde. Geringe Fruchtbarkeit des Bodens und Artenarmut der Vegetation macht diese Landschaft für eine Landwirtschaft ungeeignet.
Die südliche Taiga zeichnet sich durch einen hohen Anteil von Laubhölzern am Unterwuchs aus, bedingt durch ergiebigere Böden. Die Taiga Sibiriens ist durch lichte Wälder, bestehend aus Sibirischen Lärchen, Fichten und Zirbelkiefern gekennzeichnet.
Die Waldzone ist durch kontinentales Klima mit einem starken Temperaturgefälle zwischen heißen Sommern und kalten Wintern geprägt. Die mittlere Jahrestemperatur nimmt von Westen nach Osten deutlich ab. In Pskow beträgt sie noch 5,1 °C, sinkt aber bis zum Ural auf 2,3 °C ab und erreicht im westsibirischen Tomsk nur noch 0,1 °C. Im ostsibirischen Jakutsk liegt sie dann bei −10 °C. Die niedrigen Jahresmittel sind auf den langen und sehr kalten Winter in Sibirien zurückzuführen. Dagegen entsprechen die durchschnittlichen Sommertemperaturen dem mitteleuropäischen Mittel.
In den von kühlgemäßigten Klimaten beherrschten Gebieten, die sich der Taiga südlich anschließen, wächst sommergrüner Laub- und Mischwald. Diese Zone verläuft innerhalb Europas im Dreieck St. Petersburg–Odessa–Ufa, in Westsibirien in einem Streifen von Tscheljabinsk bis Krasnojarsk sowie im Amur-Gebiet. Die Mischwaldzone verläuft damit in einem nach Osten hin sich verjüngenden Dreieck von den mittleren Karpaten und von der baltischen Küste bis an den Südural. Die Vegetation besteht primär aus Fichten, Kiefern und Eichen, ehe sie weiter südwärts in reinen Laubwald übergeht. Leithölzer bilden dort die Eiche sowie in der Westukraine Buche und Hainbuche. Kiefern wachsen, wie auch im Mischwaldbereich, vor allem in sandigen Senken wie im Pripjetbecken. Östlich des Urals gibt es aus klimatischen Gründen keinen Mischwald. Stattdessen leiten in Westsibirien Birkenhaine unmittelbar von der Taiga in die Waldsteppe über. Der Mischwald tritt dann wieder im Fernen Osten auf. Die Mischwaldzone bietet für die Landwirtschaft im Allgemeinen akzeptable, die Laubwaldzone gute Existenzbedingungen.
Weiter südlich folgt ein Steppengürtel, der am Unterlauf von Don und Wolga, Nordkaukasus, Kaspische Senke und Tuwa verläuft. Der Steppengürtel untergliedert sich im Norden in die Waldsteppe und im Süden in die eigentliche Steppe. Der Wald löst sich von Norden nach Süden in Inseln auf und verschwindet schließlich fast ganz. Das hängt mit dem nach Südosten abnehmenden Niederschlag bei gleichzeitig wachsender Verdunstungsintensität zusammen. Außer in Flusstälern (als Auwald) oder in Senken mit günstigen Grundwasserverhältnissen reicht das im Lössboden gespeicherte Wasser nicht aus, um den Flüssigkeitsbedarf von Laubhölzern zu decken. Daher bilden in der Waldsteppe Wiesen-, in der eigentlichen Steppe Federgrasformationen die Pflanzendecke. Der Steppengürtel ist aufgrund der fruchtbaren Schwarzerdeschicht ideal für den Getreideanbau.
An der Schwarzmeerküste zwischen Noworossijsk und Sotschi folgt eine Hartlaubwaldzone. An der Schwarzmeerküste herrschen im Durchschnitt um die 20 Grad Celsius. Dieser subtropische Teil Russlands ist geprägt von dichten Wäldern.
Russland beherbergt nach Kanada die größten noch verbliebenen nordischen Wildnisregionen. Nach Global Forest Watch sind rund 26 % der Wälder noch intakte Urwälder. Sie liegen zum allergrößten Teil in Sibirien. Im europäischen Teil haben noch 9 % der Wälder diesen Status.
Fauna
Das polare Klima an der Nordküste Russlands ist Lebensraum für Polarbären, Robben, Walrosse und Seevögel. In der sich südwärts anschließenden Tundra leben Polarfüchse, Eulen, Schneehasen und Lemminge. Im Sommer wandern große Herden von Rentieren und Wölfen in die Tundra ein. Diese Tiere sind an die lebensunfreundlichen Umstände dieser Zone perfekt angepasst. In den Wäldern von Russland nimmt die Artenvielfalt in der Tierwelt zu. So leben in der Taiga und den borealen Nadelwäldern Russlands Elche, Rentiere, Wölfe, Bären, Zobel, Eichhörnchen, Füchse und der Vielfraß. Weiter südlich haben sich Wildschweine, Nerze und Hirsche ausgebreitet. Vereinzelt gibt es auch Sibirische Tiger. Die Steppenzone Russlands ist der Lebensraum für Hamster, Ziesel sowie für den Iltis und den Steppenfuchs.
Bevölkerung
Bevölkerungsdichte
Die Bevölkerung Russlands ist sehr ungleichmäßig verteilt. 85 % der Einwohner (etwa 123 Millionen Menschen) leben im europäischen Teil, der dabei lediglich 23 % des russischen Territoriums umfasst. Deshalb leben nur 15 % (etwa 22 Millionen Menschen) im flächenmäßig weit größeren asiatischen Teil, der 77 % der Gesamtfläche ausmacht. Die Bevölkerungsdichte variiert von 362 Einwohner/km² in der Hauptstadt und ihrer Umgebung (Gebiet Moskau) und unter 1 Einwohner/km² im Nordosten und im russischen Fernen Osten. Im Schnitt beträgt sie 8,3 Einwohner/km². Da in vielen Fällen ein beträchtlicher Bevölkerungsanteil im jeweiligen Gebietshauptort lebt, liegt die Bevölkerungsdichte im ländlichen Raum auch in den relativ dicht besiedelten zentralrussischen Verwaltungsgebieten selten höher als 40 bis 50 Einwohner/km².
Demografische Entwicklung
Russlands Bevölkerungszahl sank von 147,0 Millionen bei der Volkszählung im Januar 1989 bis 2007 auf 142,2 Mio. Danach verlangsamte sich der Bevölkerungsrückgang, so dass die Einwohnerzahl 2010 bei 141,9 Mio. lag. Durch die Ergebnisse der Volkszählung 2010 wurde die Bevölkerungszahl korrigiert. Die Fertilitätsrate sank zwischen 1988 und 1999 von zwei auf 1,16 Geburten pro Frau. Gleichzeitig verdoppelte sich bei den Männern die Sterblichkeitsrate von 9,4 (1970) auf 18,7 pro 1.000 Einwohner (2005). Die Durchschnittslebenserwartung der Männer sank von 63,9 Jahren 1986 auf 57,5 Jahre (1994). Bis 2004 stieg sie auf 58,9 Jahre an; 2011 lag sie bei 64,3 Jahren, 2014 bei 70,36 Jahren. Die höhere männliche Sterberate führt zu einem Frauenüberschuss. 2010 gab es in Russland 10,7 Millionen mehr Frauen als Männer. Hauptursache: Ungesunde Lebensweise durch Alkohol, Rauchen sowie Verkehrsunfälle, Suizid und Mord. Als häufigste Todesursache gelten mit 56,7 % diverse Herzkrankheiten, sehr häufig sind auch Krebserkrankungen. Die Zahlen von Todesfällen infolge Drogenkonsums, Tuberkulose und HIV sind seit dem Ende der Sowjetunion merklich gestiegen. 2015 war von einer jährlichen Zunahme von 10 % bei den HIV-Ansteckungen die Rede, vor allem durch Drogenkonsum. Der Leiter der Föderalen Zentrale für die Prävention und Kontrolle von AIDS, Wadim Pokrowski, sprach Mitte 2015 von fünfzehn Regionen Russlands mit einer generalisierten Epidemie mit mehr als 1 % angesteckter Bevölkerung, ähnlich wie in Südafrika. Laut Angaben zu Beginn der Welt-Aids-Konferenz 2018 nahmen die Neuinfektionen in Osteuropa und Zentralasien als einziger Weltregion zwischen 2010 und 2016 zu, zu 80 % betreffe dies Russland, wo die Anzahl der Neuinfektionen 2017 laut UNAIDS doppelt so hoch lag wie 2005. Im Jahr 2019 zählte die Verbraucherschutzbehörde knapp über eine Million Infizierte und zirka 80 tägliche Neuansteckungen, so Wadim Pokrowski.
Die russische Regierung hat mehrere nationale Programme eingeleitet, die helfen sollen, die Geburtenrate zu steigern. Seit 2007 erhielten Eltern ab ihrem zweiten neugeborenen Kind eine einmalige staatliche Beihilfe (Mutterschaftskapital) in Höhe von fast 10.000 Euro (2012). So hatten sich die Geburtenzahlen in Russland von 1,48 Mio. (2006) auf 1,9 Mio. (2012) erhöht. 2018 erhielten Familien vergünstigte Hypotheken und Zuschüsse teils schon ab dem ersten Kind; für 3 Jahre wurden 9 Milliarden Dollar budgetiert. Im Februar 2019 erklärte Präsident Wladimir Putin, sich nicht mit der sinkenden Geburtenrate abzufinden, und kündigte weitere Erleichterungen für Familien mit Kindern an.
Der Anteil der Stadtbevölkerung blieb konstant bei 73 %.
Zur Auswanderung neigten besonders höher Gebildete, teilweise wegen der herrschenden Rechtsunsicherheit. Auch infolge der demografiepolitischen Anstrengungen der Regierung verlangsamte sich dieser Trend zeitweise. Nach der Annexion der Krim durch die Russische Föderation 2014 verließen während des folgenden Wirtschaftseinbruchs wieder deutlich mehr Hochqualifizierte das Land. Im Frühjahr 2018 beklagte der Chef der Russischen Akademie der Wissenschaften eine Zahl von 44.000 Auswanderern, welche der russischen Forschung fehlten.
Von 2003 bis 2006 war Russland das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt. 2017 waren 8,1 % der Bevölkerung Migranten. Herkunftsregionen sind hierbei vor allem die ärmeren, südlichen ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens und des Kaukasus, aber in zunehmender Zahl auch Afrika und Südostasien. Die Mehrheit der Einwanderer stellen bisher jedoch die Nachkommen von Russen, die im Kaiserreich und der Sowjetzeit in anderen Teilrepubliken angesiedelt wurden und meist mit ihren Familien gemeinsam nach Russland zurückkehrten. Der Zustrom dämpfte sich nach der Annexion der Krim durch die Wirtschaftsflaute, aber auch durch Protektionismus und Nationalismus – im ersten Halbjahr 2017 glich die Immigration die Sterblichkeit nicht mehr aus.
Innerhalb der russländischen Gesamtbevölkerung haben v.a moslemische Völker wie Tschetschenen und Inguschen hohe Geburtenraten, andere moslemische Gruppen wie Tscherkessen, Tartaren oder Baschkiren aber nicht.
Die Bevölkerung Russlands wird ähnlich wie in anderen Ländern Europas in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich weiter abnehmen, die ILO erwartet bis 2050 einen Rückgang auf 130 Millionen Einwohner. Unter Annahme einer Nettozuwanderung von jährlich 300.000 Personen wäre der Rückgang nur schwach ausgeprägt. Bis 2012 stabilisierte sich die Lage etwas, die Einwohnerzahl stieg leicht an und lag bei etwa 143,5 Millionen. Für die Zeit ab 2015 war aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge der 1990er-Jahre eine Verschlechterung der demografischen Situation erwartet worden. Dieses leichte Bevölkerungswachstum schwenkte im weiteren Verlauf der 2010er-Jahre wieder zu einer negativen demografischen Entwicklung um. 2020 umfasste der Rückgang der russischen Bevölkerung laut Rosstat erstmals seit 2005 wieder mehr als 500.000 Menschen in einem Jahr. 2021 rechneten die russischen Behörden mit einem Bevölkerungsrückgang von 1,2 Millionen Menschen bis 2024.
Die Invasion der Ukraine verschlechterte die Situation weiter: Nach Kriegsbeginn schrumpfte die Bevölkerung um mindestens 524.000 Personen, zwischen „Januar und April 2023 wurden 3,1% weniger Kinder geboren als im Vorjahreszeitraum, was einen Negativrekord darstellt“.
Städte
Schon ab 800 war die Kiewer Rus von vielen städteähnlichen Siedlungen gekennzeichnet, weshalb die skandinavischen Waräger das Gebiet Gardarike („Reich der Städte“) nannten. Zu den ältesten erhaltenen Städten in diesem Bereich zählen Nowgorod, Smolensk, Pskow, Rostow, Murom und Beloosero, die alle noch im ersten Jahrtausend nach Christus gegründet wurden. Im 11. und 12. Jahrhundert wurden weitere Städte im Zentrum Russlands von slawischen Siedlern gegründet. In dieser Zeit entstanden Moskau, Jaroslawl, Twer, Wladimir, Wologda, Kirow, Tula, Kursk, Kostroma, Rjasan und etwas später Nischni Nowgorod. Aufgrund der Landesgröße war eine Vielzahl großer Städte als Stützpunkte notwendig. Mit der Eroberung Kasans und Astrachans zur Mitte des 16. Jahrhunderts gründeten russische Kolonisten weitere Städte im Osten, Südosten und Süden. Zahlreiche Städte wurden zunächst als Grenzfestungen gegründet. Im Süden waren dies Stützpunkte der Verhaulinie gegen die Krimtataren, wie Orjol (1566) und das heutige Woronesch (1586). Weiter östlich, an der Wolga entstanden in dieser Zeit weitere Städte wie Samara (1586), Zarizyn (1589) und Saratow (1590). In Sibirien entstanden nach dessen Eroberung zahlreiche Kosakenforts, sogenannte Ostrogs. Aus ihnen wuchsen später Städte wie Tobolsk, Irkutsk, Bratsk, Tomsk und Jakutsk heran. Städte im Ural- und Altai-Gebirge wie Perm (1723), Jekaterinburg (1723) oder Barnaul (1730) entstanden in der Epoche Peters des Großen im Zusammenhang mit den dort vorhandenen Erzen und kostbaren Mineralen. Mit dem Niedergang der Krimtataren und dem weiteren Vorstoßen Russlands in den Kaukasus entstanden im 18. Jahrhundert neue Festungen und Städte. 1784 wurden Stawropol und Wladikawkas gegründet, 1793 Krasnodar, 1805 Nowotscherkassk, 1818 Grosny, 1844 Port Petrowsk.
Trotz der Gründungen behielten große Teilräume ihren ländlichen Charakter. Der Bauer gehörte einem Mir (Bauerngemeinde) an. Städte stellten außerhalb der Agglomerationen isolierte Erscheinungen dar und bildeten ein nur weitmaschiges Netz. Bis 1712 fungierte Moskau als Hauptstadt und wurde dann nach dem Willen Peters I. vom 1703 neugegründeten Sankt Petersburg abgelöst, um 1918 wieder offiziell den Status der Hauptstadt anzunehmen. Im 19. Jahrhundert war sogar häufig von den beiden Hauptstädten die Rede. Die Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts brachte in allen Landesteilen einen bedeutenden Impuls für die nachfolgende Urbanisierung. Sie führte zur Entstehung zahlreicher neuer Städte und zum raschen Wachstum alter Städte. Viele russische Städte entstanden als Folge einer administrativen Umstrukturierung mehrerer benachbarter Dorfsiedlungen zu einer Stadtsiedlung. Neugründungen von Städten und Stadterhebungen sind bis heute ein Charakteristikum der russischen Urbanisierung.
Mehr als die Hälfte aller russischen Städte sind erst in den letzten 90 Jahren, besonders in den 1960er-Jahren gegründet worden. Deshalb gibt es unter den 160 russischen Großstädten, in denen die Hälfte der russischen Bevölkerung lebt, viele neue Städte (etwa ein Viertel). Die russischen Großstädte sind in erster Linie Industrie- und Verwaltungszentren, besitzen aber auch andere hochrangige Funktionen. Beispiele neuer Großstädte sind Magnitogorsk, Nowokusnezk oder Bratsk, zu den gewachsenen zählen unter anderem Samara und Tambow.
Zu Zeiten der Sowjetunion wurde die städtische Entwicklung zentral geplant und gesteuert. Es herrschte der Typus der Sozialistischen Stadt vor. Dazu zählt beispielsweise die Herausbildung neuer Stadttypen, etwa der Hauptstädte kleiner nationaler Republiken (u. a. Tscheboksary, Naltschik) oder der Wissenschaftsstädte (z. B. Dubna). Die in der Sowjetzeit betriebene massive Verstädterungspolitik führte dazu, dass heute 73 % der Bevölkerung in städtischen Siedlungen leben. Aus den politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen im Russland der 1990er-Jahre gingen die Städte als eigenständige und selbstverantwortliche kommunale Einheiten hervor. Dazu erhielten sie lokale und regionale Steuerungsinstanzen. Mit den neuen Staatsgrenzen brachen aber auch stark arbeitsteilig organisierte, spezialisierte Produktions- und Distributionsabläufe zusammen. Viele Städte waren plötzlich von den bisherigen Netzwerken abgeschnitten. Ehemals zentral gelegene Städte stellten plötzlich Grenzstädte dar und waren geopolitisch peripher gelegen. Dadurch veränderten sich grundlegend die funktionale Struktur und die wirtschaftliche Entwicklungsbasis der russischen Städte und führte zu Verschiebungen im Städtesystem Russlands, mit Auf- und Absteigern. Zu den Gewinnern der Transformation gehören bisher vor allem die Metropolen, allen voran Moskau. Weil Kapital zur Gewinnung und zum Transport von Rohstoffen unter extremen Bedingungen fehlte, gerieten viele Bergbaustädte des Nordens in eine Überlebenskrise.
Die zehn größten Städte Russlands (ehemalige Namen aus sowjetischer Zeit in Klammern):
Moskau – Zentralrussland (12,23 Mio. Einwohner)
Sankt Petersburg (Leningrad) – Nordwestrussland (5,28 Mio. Einwohner)
Nowosibirsk – Sibirien (1,60 Mio. Einwohner)
Jekaterinburg (Swerdlowsk) – Ural (1,46 Mio. Einwohner)
Nischni Nowgorod (Gorki) – Wolga (1,26 Mio. Einwohner)
Kasan – Wolga (1,23 Mio. Einwohner)
Tscheljabinsk – Ural (1,20 Mio. Einwohner)
Omsk – Sibirien (1,18 Mio. Einwohner)
Samara (Kuibyschew) – Wolga (1,17 Mio. Einwohner)
Rostow am Don – Südrussland (1,13 Mio. Einwohner)
Völker
Streng genommen würde Rossijskaja Federazija wörtlich übersetzt „Russländische Föderation“ (von Rossija „Russland“) und nicht „Russische Föderation“ heißen. Man hat bewusst nicht Russkaja Federazija („Russische Föderation“) als Staatsbezeichnung gewählt, um auch die nichtrussischen Nationalitäten mit einzubeziehen. Ist von dem russischen Volk oder der russischsprachigen Kultur die Rede, spricht man daher im Russischen von (russisch), für den russischen Staat hingegen verwendet man das Adjektiv (russländisch). Trotzdem wird im Deutschen in beiden Fällen zumeist das Adjektiv „russisch“ verwendet. Der Gebrauch des Wortes „russländisch“ beschränkt sich weitgehend auf Fachpublikationen. Auch die amtliche Übersetzung der Verfassung Russlands verwendet diese Variante.
Die Russische Föderation begreift sich auch heute noch als Vielvölkerstaat. Die größte Gruppe sind die Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, doch leben nahezu 100 weitere Völker auf dem Gebiet des Landes. Trotz der Heterogenität ist die russische Bevölkerung in allen städtischen und industriell geprägten Räumen landesweit dominant und die Titularnationen bilden auch in ihren „eigenen“ Territorien häufig die Minderheit. So zählen nur 23 Völker bzw. Titularnationen mehr als 400.000 Personen. Der Grad der ethnischen Identifikation variiert.
Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Deutschen (0,8 %) und andere. Zu den kleineren Minderheiten zählen beispielsweise die Mescheten und verschiedene Minderheiten jüdischen Glaubens. Die nichtrussischen Minderheiten sprechen überwiegend Sprachen aus dem Kreis der Turksprachen, kaukasische Sprachen, uralische Sprachen (samojedische Sprachen), altaische oder paläosibirische Sprachen. Für viele nichtrussische Völker wurden Republiken mit weitgehender Autonomie errichtet. Während manche Minderheiten, wie etwa Armenier, Koreaner und Deutsche, auf die verschiedensten Regionen Russlands verteilt sind, gibt es auch im europäischen Russland mehrere indigene Völker. Groß ist die Zahl der Nationalitäten im Kaukasusgebiet, das erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu Russland kam.
Sprachen
Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache, parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken jedoch häufig die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet. In einigen Republiken existieren auch drei oder mehr offizielle Sprachen; in Dagestan, wo mehr als 30 einheimische Volksgruppen leben, gibt es 14 offizielle Sprachen.
Die Verwendung der regionalen Sprachen wird im Unterricht, in den Massenmedien und in der Kulturpolitik gefördert. Die Regierungen und Parlamente der Republiken betrachten dies als unabdingbare Voraussetzung, um ein Aussterben von Volksgruppen zu verhindern. Allerdings nimmt die Beherrschung der indigenen Muttersprache unter vielen nicht-russischen Volksgruppen ab.
Russisch wird, ebenso wie fast alle regionalen Amtssprachen in Russland, im kyrillischen Alphabet geschrieben. Es besteht die Richtlinie, dass alle jeweiligen Sprachen kyrillisch zu schreiben sind. Ausnahmen bilden das Jiddische in der Jüdischen Autonomen Oblast, welches dort aber bereits seit Jahrzehnten kaum noch gesprochen wird, sowie das Karelische, Finnische und Wepsische in Karelien, die dort jedoch nur einen untergeordneten offiziellen Status besitzen.
In Tatarstan wurde Tatarisch als einzige Ausnahme von 2001 bis 2004 gegen den Widerstand der in Tatarstan ansässigen russischsprachigen Bevölkerung ausschließlich in lateinischer Schrift geschrieben. Diese Praxis verbot das russische Verfassungsgericht im November 2004 mit der Begründung, dass für die Einigkeit Russlands eine einheitliche Schrift notwendig sei.
Religionen
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem damit verbundenen Verschwinden der atheistischen Staatsideologie des Marxismus-Leninismus fand eine Rückbesinnung auf religiöse Werte statt. Die in Russland am weitesten verbreiteten Religionen sind das Christentum – vor allem der russisch-orthodoxe Glaube – sowie der Islam (→ Islam in Russland). Vertreten sind darüber hinaus zahlreiche andere Konfessionen wie der römisch-katholische Glauben, der Protestantismus, das Judentum, der Buddhismus sowie traditionelle Glaubensrichtungen einiger Volksgruppen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung bezeichnet sich als Atheisten oder Konfessionslose.
Was die Zugehörigkeit zu einzelnen Religionsgruppen angeht, gibt es keine zuverlässigen Zahlen, da die Mitglieder von Kirchen und Gemeinden in Russland nicht registriert werden und keine Kirchensteuer erhoben wird. Umfragen weichen oft erheblich voneinander ab. So hat die Stiftung für öffentliche Meinung (FOM) 2012 nur noch 41 Prozent Orthodoxe festgestellt, gegenüber 13 Prozent Atheisten und nur 6,5 Prozent Muslimen. Weitere 25 Prozent aber bezeichneten sich als Agnostiker bzw. gaben an, an eine höhere gottähnliche Macht zu glauben. Das Gesamtrussische Zentrum für Meinungsforschung (VCIOM) ging hingegen 2010 von 75 Prozent Orthodoxen und nur 8 Prozent Atheisten aus, seine Zahlen werden auch von der Russischen Botschaft in Deutschland zitiert.
Abweichend von den genannten Umfragen wird der Anteil der Orthodoxen meist zwischen 51 und 72 % angegeben, die der anderen Christen mit zusammen kaum 2 %, die der Buddhisten mit knapp 1 % und die der Juden mit etwa 0,35 %. Der Fischer Weltalmanach und der Religious Freedom Report des US-Außenministeriums geben 14 % Muslime an.
Das CIA World Factbook ging 2006 von folgenden groben Schätzungen für praktizierende Gläubige aus, also von solchen, die ihren Glauben aktiv ausüben: 15 bis 20 % Russisch-Orthodoxe, 10 bis 15 % Muslime, 2 % andere christliche Konfessionen.
Russisch-Orthodoxe Kirche
Der russisch-orthodoxe Glaube reicht bis ins frühe Mittelalter zurück. Die engen Kontakte zu dieser Glaubensrichtung resultierten aus dem hauptsächlich auf Konstantinopel ausgerichteten Handel und den damit engen Kontakten mit Byzanz. Die Fürstin Olga von Kiew (893–924) ließ sich als erste Herrscherin aus der rurikidischen Dynastie taufen, konnte den christlichen Glauben im Reich aber nicht durchsetzen. Nach der Belagerung von Konstantinopel (860) kamen ab 911 verstärkt orthodoxe Missionare ins Land, angeblich sollen bereits Waräger und Russen, die am Angriff von 860 teilgenommen hatten, getauft zurückgekehrt sein. Unter Olgas Enkel, Wladimir dem Heiligen, begann 988/989 die Christianisierung der Rus, wobei die Kiewer Bevölkerung in Massentaufen bekehrt wurde. Nach Wladimirs Tod 1015 wurden die bisher heidnischen Völker noch jahrzehntelang weiter christianisiert. Byzanz betrieb zu dieser Zeit seine Kirchenpolitik im bewussten Gegensatz zu Rom und vermittelte den Ostslawen bei ihrer Bekehrung antirömische Tendenzen. Die Kirche Kiews wurde als Teilkirche des Patriarchates von Konstantinopel zunächst von Exarchen verwaltet, was keine Auswirkungen auf die politische Selbständigkeit der Kiewer Großfürsten hatte. Die Orthodoxe Kirche und ihre Werte bilden bis heute eine tragende gesellschaftliche Säule des russischen Reiches.
Nach der Vernichtung der Kiewer Rus im Mongolensturm und unter der nachfolgenden Goldenen Horde übersiedelte der Kiewer Metropolit im 14. Jahrhundert zunächst nach Wladimir, dann 1328 nach Moskau. Im 15. Jahrhundert löste sich die Russisch-Orthodoxe Kirche endgültig vom griechisch-orthodoxen Patriarchat in Konstantinopel, nachdem sich dieses infolge des politischen Niedergangs von Byzanz zu Zugeständnissen an den Papst bereit erklärt hatte. Die Konzeption von Moskau als Drittem Rom, das als einziges den „wahren christlichen Glauben“ aufrechterhalte, war geboren. 1589 wurde ein eigenes Patriarchat gegründet. Peter I. hob dieses auf und setzte 1721 stattdessen an die Spitze der Kirche den Heiligsten regierenden Synod, der 1918 in Sowjetrussland abgeschafft wurde. Die Sowjets stellten zunächst das Patriarchat wieder her, ehe 1988 ein Heiliger Synod der Russisch-Orthodoxen Kirche wiedererrichtet wurde.
Im Russland vor 1917 durften Anhänger der Russisch-Orthodoxen Kirche nicht zu einer anderen Konfession, auch wenn sie christlich war, übertreten und durften keine „Nichtchristen“ heiraten. Dieser Kirche war es als einziger Religion erlaubt, zu missionieren; Kinder aus „gemischten“ Ehen mit Nicht-Orthodoxen galten als orthodox. Erst mit der Revolution von 1905 wurden die Gesetze gelockert. Nach der Herrschaftsübernahme der Kommunisten wurden hauptsächlich Mitglieder dieser Kirche unterdrückt, da sie als Symbol der Autokratie galt. Zwischen 1918 und 1939 wurden ca. 40.000 orthodoxe Geistliche hingerichtet. Die 77.800 Gemeinden von 1917 wurden bis 1941 auf etwa 3100 reduziert.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche erlebt eine staatlich geförderte Wiederbelebung, insbesondere in ländlichen Gebieten. Viele Klöster wurden gegründet oder wiedererrichtet. Die Kirche zählt gegenwärtig etwa 100 Millionen Mitglieder, von denen jedoch nur 5 bis 10 % regelmäßige Gottesdienstbesucher sind. Religionsunterricht an Schulen wurde 2006 wieder eingeführt. Die Russisch-Orthodoxe Kirche sieht sich als Vertreter der Interessen des Volkes, ohne im Gegensatz zur Regierung zu stehen. Der Staat selbst hingegen sieht die Kirche als Garant für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Nach Einschätzung des Theologen Thomas Bremer vertraute 2008 die Mehrheit der Bevölkerung der Kirche und sieht in ihr eine Institution, die Werte vermittelt und den inneren Zusammenhalt in der Gesellschaft stärkt. 2022 sah er eine große Staatsnähe der Kirche, die sich in historische Muster einfüge: Zwischen Staat und Kirche werde traditionell nicht wirklich getrennt, die Gemeinschaft werde gegenüber Individuen und Partikularidentitäten stets bevorzugt. Der Westen werde als bedrohlich individualistisch und „dekadent“ wahrgenommen, traditionelle Werte wie Nation oder Familie oder die Ehe zwischen Mann und Frau würden – nach Meinung der Kirche – in Russland hingegen nach dem Ende der Sowjetunion wieder bejaht und geschützt. Die Russisch-Orthodoxe Kirche liefere damit Putin eine Herrschaftsbegründung, eine „religiöse Basis für die politische Abgrenzung, die Russland gegen den Westen vorgenommen hat.“
Die Russisch-Orthodoxe Kirche ist nach Einschätzung von Andreas Heinemann-Grüder heute (2023) Teil der putinistischen Herrschaftsstruktur, Patriarch Kyrill habe mit Wladimir Putin eine prägende Vergangenheit im sowjetischen KGB gemeinsam. Das Konzept der Russki Mir werde von der Kirche militant vertreten, der Krieg gegen die Ukraine nicht allein gerechtfertigt, sondern zum „Gottesdienst“ verklärt: „Die symbiotische Nähe zwischen der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Regime unter Putin weist Parallelen zu klerikalfaschistischen Strömungen der 1920er und 1930er Jahre auf“. Der Glaube werde dabei „eher deklamiert als tatsächlich gelebt“.
Im Verlauf der Geschichte haben sich Abspaltungen vom orthodoxen Glauben vollzogen. Die älteste Abspaltung sind die Altorthodoxen oder Altgläubigen. Weitere aus der Orthodoxie hervorgegangene Glaubensrichtungen sind die Molokanen. Aus ihnen gingen wiederum die Duchoborzen hervor. Beide Religionsgemeinschaften lehnen Reichtum ab, versuchen ein Leben in Bescheidenheit zu führen und suchen nach einer wahrhaft biblischen Gemeinschaft. Von einigen Leibeigenen wurde die Gemeinschaft der Subbotniki gegründet. Diese berufen sich in erster Linie auf das Alte Testament. Viele dieser Sekten oder Gruppierungen waren im Zarenreich willkürlichen Verfolgungen ausgesetzt.
Andere christliche Konfessionen
In Russland gibt es neben der russisch-orthodoxen Ausrichtung weitere christliche Konfessionen:
Die Römisch-katholische Kirche in Russland war durch die byzantinischen Einflüsse unbeliebt. So dauerte es bis 1705, bis Peter I. erstmals den Bau einer römisch-katholischen Kirche erlaubte. Die Katholiken waren sehr strengen staatlichen Kontrollen unterstellt. Kümmerten sich die Bolschewiki in erster Linie nach der Oktoberrevolution um die Kontrolle der orthodoxen Kirche, wurden die Katholiken später wieder stärker beobachtet. Bis 1930 waren alle Strukturen der Kirche aufgelöst. Nach 1945 gab es im russischen Teil der Sowjetunion nur 20 Gemeinden, denen es untersagt war, Verbindungen untereinander aufzubauen. Heute existieren ungefähr 200 katholische Gemeinden mit etwa 400.000–800.000 Mitgliedern in Russland. Die Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis (Moskau) wurde restauriert und wieder ihrer Bestimmung zugeführt. Seit 2010 gibt es wieder einen Apostolischen Nuntius in Moskau.
Die evangelische Kirche in Russland war früher fast nur unter den Russlanddeutschen und in ihren Kolonien verbreitet. Erst nach der Revolution von 1905 wurden auch für Russen und Ukrainer andere Konfessionen legalisiert. Jedoch gab es auch durch die russlanddeutschen Adventisten und Baptisten erfolgreiche Missionierungsversuche unter der einheimischen Bevölkerung vor der Lockerung der Religionsgesetze. Der Protestantismus erlebte in den 1920er-Jahren trotz des Atheismus der Regierung der Sowjetunion eine Blütezeit (insbesondere die Baptisten, Siebenten-Tags-Adventisten und die Pfingstler). Jedoch wurden die Baptisten, Evangeliums-Christen und die Pfingstler zu zentralistischen Ordnungen gezwungen, um sie besser kontrollieren zu können. Mit den Siebenten-Tags-Adventisten und den Mennoniten geschah dasselbe im Jahr 1963. In der Zeit des Stalinismus wurden viele evangelische Christen aller Strömungen hingerichtet und verfolgt.
Wie den meisten Konfessionen war es auch der Neuapostolischen Kirche (NAK) unmöglich vor dem Fall der Berliner Mauer (1989) und des Eisernen Vorhangs in Russland zu missionieren. Seitdem wächst die Zahl der neuapostolischen Christen in Russland stetig. Während es um die Jahrtausendwende 23.500 waren, zählt die Neuapostolische Kirche heute beinahe 40.000 Gläubige. Auch ist sie seit Beginn der 1990er-Jahre staatlich anerkannt.
Mit Stand vom April 2017 gibt es etwa 170.000 aktive Zeugen Jehovas in Russland. In der Sowjetunion wurden insbesondere vom Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis 1965 viele Zeugen Jehovas inhaftiert und nach Sibirien deportiert (siehe Operation Nord). Seit einigen Jahren führte der russische Staat insgesamt sieben Verbotsklagen gegen die Zeugen Jehovas. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Russland mehrfach zu Schadenersatzzahlungen wegen seines Vorgehens gegen die Religionsgruppe. Am 20. April 2017 wurde die Gemeinschaft von Russlands oberstem Gericht als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Der Besitz aller Regionalverbände wurde beschlagnahmt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte die Gerichtsentscheidung.
Islam
Der Islam in Russland ist im Nordkaukasus schon seit dem 7. Jahrhundert verbreitet und damit auf dem heutigen russischen Staatsgebiet älter als die erste russische Staatsgründung und die Christianisierung des Landes. Im Jahr 922 traten auch die Wolgabulgaren zum Islam über und gaben ihn im 13. Jahrhundert an die Tataren weiter. Die einheimischen Völker des Kaukasus und die Turkvölker sind zumeist sunnitische Gläubige. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren im Russischen Reich 11,1 % der Gesamtbevölkerung muslimischer Herkunft. Im heutigen Russland ist der Anteil der Muslime mit rund 14 % etwa ebenso groß wie einst in der Sowjetunion. Von 1990 bis 1994 bestand in Russland die „Islamische Partei der Wiedergeburt“. Daneben gibt es auch eine „Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans“ sowie zahlreiche weitere Organisationen und Abspaltungen. Zentren des Islam in Russland sind heute neben Kasan und Moskau auch Ufa und Dagestan. Die zunehmende Bedeutung des Islam im Kaukasus gehe gemäß Recherchen der Nowaja gaseta im Jahr 2018 einher mit dem Vertrauensverlust in den Staat.
Judentum
Die Geschichte der Juden in Russland lässt sich seit dem 4. Jahrhundert nachweisen, als Juden aus Armenien und von der Krim sich auch in Tmutarakan niederließen. Im späten 8. oder frühen 9. Jahrhundert konvertierte ein Großteil der Chasaren zum Judentum. Nach der Vernichtung des Chasaren-Reiches durch Swjatoslaw I. (969) beschränkte sich das Judentum im Wesentlichen auf Kiew, die Krim und den Kaukasus. Im Großfürstentum Moskau wurden Juden 1471 das erste Mal erwähnt. Bis zur Zeit Iwans des Schrecklichen (1533–1584) wurden Juden bis auf einige gegen sie gerichtete Gesetze toleriert. Ab 1721 wurden sie aus dem Russischen Kaiserreich ausgewiesen, bis dies durch die Eingliederung der östlichen Teile Polens (1793 und 1795) unmöglich wurde. Die Juden mussten ab 1791 innerhalb des Ansiedlungsrayons leben, das sich auf dem heutigen Gebiet der Ukraine, Belarus’ und des Baltikums befand.
Im 19. Jahrhundert unterstützten führende Beamte wie Konstantin Pobedonoszew antisemitische Strömungen in der Bevölkerung. So kam es im südlichen Russland 1881 zu vielen Pogromen, nachdem den Juden fälschlich der Anschlag auf Alexander II. unterstellt wurde. Die Maigesetze von 1882 vertrieben die Juden selbst im Ansiedlungsrayon aus den ländlichen Gebieten; mit Quoten begrenzte man die Anzahl der Juden, die zu höherer Bildung zugelassen wurden, auf 3–10 %. Zwischen 1880 und 1920 flohen mehr als zwei Millionen Juden aus Russland, besonders nach Amerika. 1903 brachen neue Pogrome aus, die sich in der Russischen Revolution nochmals verstärkten und zu zwischen 70.000 und 250.000 Opfern in der jüdischen Zivilbevölkerung führten. Während des Stalinismus wurde in Russisch-Fernost die Jüdische Autonome Oblast mit dem Hauptort Birobidschan gegründet, wo sich nur wenige Juden ansiedelten. Im Vergleich zu den Jahrzehnten davor gibt es heute nur noch wenige Juden, da viele von ihnen nach Deutschland oder nach Amerika, die meisten aber nach Israel ausgewandert sind. Heute gibt es in Russland 87 Synagogen, die meisten davon in Sankt Petersburg und in Moskau, darunter die Moskauer Gedenksynagoge. Die Juden im europäischen Russland sind meist Aschkenasim, östlich davon leben daneben auch einige Bergjuden und Bucharische Juden, die zu den Mizrachim gezählt werden.
Buddhismus
In Russland ist auch die tibetische Form des Buddhismus verbreitet, wobei er sich ursprünglich auf die asiatischen Völker (Kalmücken, Tuwiner) beschränkte. Ebenso wie Geistliche und Anhänger praktisch aller anderen Religionen wurden in der Sowjetunion während der kommunistischen Herrschaft auch buddhistische Mönche verfolgt und unterdrückt. Seit der politischen Wende in Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verzeichnen die buddhistischen Gemeinschaften hingegen wieder Mitgliederzuwachs unter den Angehörigen der traditionell buddhistischen Völker, aber auch seitens der Russen und anderen Nationalitäten.
Schamanismus
Der Schamanismus ist unter der indigenen Bevölkerung in Sibirien wieder weit verbreitet; insbesondere bei den kleinen Völkern des russischen Nordens. Zwar sind heute die meisten Bewohner Sibiriens Christen, dennoch sehen sie es nicht als Widerspruch, die Rituale ihrer Vorfahren zu praktizieren.
Gesellschaft und Mentalität
Die Sowjetunion war ein imperial geeinter Nationalitätenstaat, d. h., Nationalität war dabei ein politisches Instrument zur Konsolidierung der Sowjetmacht, und auch im heutigen Russland treffen sich viele unterschiedliche Mentalitäten. Die Verschmelzung dieser Völker und Konfessionen sowie Einflüsse westlicher wie östlicher Prägungen schufen aber auch markante Eigenarten, die sich im Stereotyp der „russischen Seele“ manifestieren. Dieser Begriff prägt bis heute das Russlandbild; im westlichen Ausland diente der Begriff Russophilen und Kritikern der westlichen Lebensweise als Projektion zu der als gefühlskalt empfundenen eigenen Zivilisation. Die „russische Seele“ wird als ein Hang zu extremen Gegensätzen beschrieben, der sich aus der geschichtlichen Entwicklung der russischen Volkskultur ergeben hat. Diese Extreme äußern sich z. B. in dem Streben nach dem absolut Äußersten, verbunden mit der Bereitschaft zu einer plötzlichen Richtungsänderung; dazu kommen eine ausgeprägte Schicksalsergebenheit, ein Hang zur Geduld, Neigung zum Aberglauben, Leidensfähigkeit oder auch eine sehr starke Heimatverbundenheit. Die bereits erwähnte Alles-oder-nichts-Mentalität kennt keinen Kompromiss und keine goldene Mitte. Bekannt ist auch die Offenheit von Gefühlsäußerungen, positiven wie negativen, denen im Vergleich mit rationalen Erwägungen häufig mehr Gewicht zugemessen wird, was westliche Ausländer oft irritiert. Wichtig ist zudem weiterhin ein starkes Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühl.
„Verstehen kann man Russland nicht, und auch nicht messen mit Verstand. Es hat sein eigenes Gesicht. Nur glauben kann man an das Land.“Bekannt gewordenes Bonmot von 1866 von Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew, das den Nationalcharakter des russischen Volkes beschreibt.
Die russische Gesellschaft ist traditionell kollektivistisch geprägt, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe sehr wichtig. Dieses Wertesystem beruht ursprünglich auf der Lebensweise der bäuerlichen Dorfgemeinschaft, dem Mir. Da auch Grund und Boden lange Zeit Gemeingut waren, definiert man sich in Russland seit jeher über die Gemeinschaft und achtet auf die Stimmigkeit von eigenem Verhalten und eigener Meinungsäußerung mit denen des Kollektivs.
Die Familie ist für viele Russen eine wichtige Bezugsgruppe, besonders auf dem Land lebt man in jeder Beziehung eng zusammen. Dort wohnen oft mehrere Generationen in einer Wohnung oder in einem Haus. Die Familie unterstützt sich finanziell und hilft einander bei der Kinderbetreuung und Seniorenpflege, häusliche Gewalt ist weitverbreitet. Staatlicherseits wird angesichts der demographischen Krise das Ideal „traditioneller Familienwerte“ betont, jede Frau soll drei Kinder haben, tatsächlich sind Familien mit nur einem Kind üblich. Die Kollektivorientierung zeigt sich bisweilen auch heute noch im Berufsalltag. Das Kollegium wird als Gemeinschaft erlebt und es erscheint sehr wichtig, diese Gruppenorientierung zu stärken. Vetternwirtschaft (Nepotismus) bei der Stellen- oder Auftragsvergabe ist dabei eine Nebenwirkung.
Seit der Auflösung der Sowjetunion orientierten sich nun aber insbesondere gebildete Bevölkerungsschichten in den Großstädten, die von der neu gewonnenen Reisefreiheit profitieren konnten, an Prinzipien des Individualismus, was ein massives innergesellschaftliches Spannungsverhältnis zur Folge hatte und zu einem zentralen Thema im zeitgenössischen Literatur- und Filmschaffen geworden war. Bildungsnahe, ehrgeizige und kritische Menschen suchten nach dem markanten Bruch mit der westlichen Welt im Jahr 2014 vermehrt Lebensmöglichkeiten im Ausland; die Duma diskutierte 2015 gar ein Verbot von Fremdsprachenunterricht, weil dieser die Abwanderung fördere. Im Jahr 2019 erhob das Lewada-Zentrum eine repräsentative Umfrage, in der 53 % der Befragten in der Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren angaben, ins Ausland ziehen zu wollen. Nur etwa 20 % der russischen Bevölkerung besitzen einen Reisepass und waren mindestens einmal im Ausland.
Im Jahr 2014 waren 43 % aller Managerposten in Russland weiblich besetzt; prozentual mehr als in jedem anderen Land der Welt.
Gesundheitswesen
Artikel 41 der Verfassung Russlands garantiert allen Bürgern das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung. Dieser seit Sowjetzeiten bestehende Grundsatz ist zum Teil die Ursache dafür, dass Russland im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl Ärzte und Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung aufweist. Dennoch ist der gesundheitliche Zustand der russischen Bevölkerung schlecht. Gerade beim wirtschaftlichen Niedergang der 1990er-Jahre in Russland wurde das Gesundheitswesen stark getroffen. Infolge äußerst niedriger Entlohnungen der Ärzte und Krankenschwestern wurde die medizinische Versorgung der breiten Öffentlichkeit massiv verschlechtert. So ist inzwischen jede dritte Klinik der 7000 Krankenhäuser im Land dringend renovierungsbedürftig. Schrittweise werden in letzter Zeit die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Einrichtung neuer und Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Zwischen 1999 und 2003 betrugen die Gesamtausgaben für den Gesundheitssektor in Russland im Verhältnis zum BIP durchschnittlich 5,70 %.
In Russland ist der Gesundheitssektor dezentral organisiert. Das Gesundheitsministerium ist auf föderaler Ebene für den gesamten Sektor zuständig. Konkrete medizinische Leistungen (inklusive die Bereitstellung von Krankenhäusern) obliegen aber den Föderationssubjekten und Gemeinden, die rund zwei Drittel der gesamten Budgetausgaben bestreiten. Das russische Gesundheitssystem wird durch einen Mix aus Budgetmitteln und Mitteln aus der Sozialversicherung finanziert. Auf die Verschlechterung der Beziehungen zum Westen folgten ab 2015 Zulassungsbeschränkungen für medizinische Geräte aus dem Ausland.
Armut
Nach dem Zerfall der UdSSR stieg die Armut bis 1999 auf über 40 % Bevölkerungsanteil und sank danach spürbar. 2002 betrug der Anteil 19,6 % und reduzierte sich bis 2011 auf 12,8 % der Bevölkerung oder 18 Millionen Russen. Offiziell lag dabei das Existenzminimum bei 170 Euro für einen Menschen im arbeitsfähigen Alter; bei Kindern liegt der Wert unwesentlich niedriger, bei Rentnern beträgt er 125 Euro. Der Lebensstandard verbesserte sich regional sehr unterschiedlich. Während besonders in Moskau und St. Petersburg einige Viertel in neuem Glanz zu erstrahlen begannen, war in manchen Regionen die Armut nach wie vor groß. In Tschetschenien und Dagestan lebten mehr als die Hälfte der Menschen in Armut; weitere arme Regionen sind Inguschetien, Tuwa und Kabardino-Balkarien, Mari El, Kalmückien, Burjatien und Altai und Mordwinien. 2011 betrug der Durchschnittslohn 576 € pro Monat. Die großen Einkommensdifferenzen konnten ab 2005 verringert werden, insbesondere die mittlere Einkommensschicht nahm prozentual erheblich zu. Die Renten lagen 2010 das erste Mal seit vielen Jahren über dem Existenzminimum und sollten gemäß Prognosen bis 2014 auf 268 Euro steigen. 2012 zählte etwa die Hälfte der Bevölkerung zu der einkommensschwachen Schicht, die zentrale soziale Bedürfnisse wie Wohnraum oder zusätzliche Ausbildung nicht finanzieren kann. Tatsächlich betrug im Jahr 2014 die durchschnittliche Rente 10.000 Rubel, was 160 Euro entsprach. Renten und Gehälter mussten eingefroren werden. Seit 2014 wurden Gelder der zweiten, kapitalgedeckten Säule der Altersvorsorge zur Deckung des Finanzbedarfs herangezogen. Die Gebiete mit den höchsten Arbeitslosenzahlen in Russland waren um 2021 Dagestan, Inguschetien und Nordossetien.
Die Verringerung der Armut zählte im Frühjahr 2019 zu einem der Fünfjahresziele des Präsidenten Putin: Fast 19 Millionen Russen galten als arm, das entsprach 12,9 % der Bevölkerung.
Die ärmeren Bevölkerungsschichten litten bis 2009 unter zweistellig steigenden Verbraucherpreisen, die sich bis 2012 wieder verringerten. Von 2014 bis 2019 verringerte sich das Realeinkommen. Zur Bekämpfung der Armut wurde im Herbst 2021 eine neue Berechnungsgrundlage eingeführt, womit die Zahl der Armen schlagartig um 2,8 Millionen sank. Zwar wurden Anfang 2022 die Sozialleistungen um die Inflation von 8 % erhöht, jedoch lagen die Preissteigerungen bei Lebensmitteln weit höher. In besonders armen Regionen gelten die russischen Streitkräfte als einzige Möglichkeit für junge Männer, der Armut zu entkommen und jemals eine Familie versorgen zu können.
Die Arbeitslosenquote hatte mit der Überwindung der Finanzkrise 2008 zu sinken begonnen. In Wachstumsregionen wie Moskau, Kaluga und St. Petersburg tendierte die Erwerbslosigkeit gegen Null. Die Arbeitslosigkeit betrug nach Berechnung nach Standards der Internationalen Arbeitsorganisation 2005 7,1 %, 2010 7,6 % und 2011 6,6 %. Bis 2014 sank sie auf 5,2 % und begann wieder zu steigen. Das Arbeitslosengeld betrug zwischen 60 und 70 Euro im Monat. Die Arbeitslosigkeit ist aber aufgrund einer Besonderheit des russischen Arbeitsrechts ein problematischer Indikator für die Konjunkturlage: Betriebsbedingte Kündigungen sind in Russland zumeist unzulässig, stattdessen dürfen Arbeitgeber einseitig Arbeitsentgelte reduzieren. Daher verbleiben russische Arbeitnehmer auch bei Auftragsmangel lieber in ihrem Betrieb und nehmen hohe Lohneinbußen in Kauf, anstatt die mit 20 bis 110 Euro im Jahr 2019 eher symbolische Arbeitslosenunterstützung in Anspruch zu nehmen.
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zählt die Russische Föderation zu den Staaten mit sehr hoher menschlicher Entwicklung. Der Gini-Koeffizient lag 2016 bei 37,7.
Umweltschutz
Zur Zeit der Sowjetunion wurde die russische Natur schwer belastet: von Fabrikabfällen vermüllt, chemisch und radioaktiv verunreinigt. Auch heute gibt es ernsthafte Umweltprobleme in Russland – aber auch ein wachsendes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung. Das Recht des Bürgers auf gesunde Umwelt und auf verlässliche Informationen über ihren Zustand ist im Artikel 42 der russischen Verfassung verankert. Allerdings hat der Umweltschutz in der russischen Politik eine vergleichsweise niedrige Priorität, was von internationalen Umweltorganisationen wie WWF oder Greenpeace immer wieder kritisiert wird. So wurden in der Vergangenheit oft gängige Umweltstandards bei der Erschließung neuer Erdöl- oder Erdgasvorkommen nur unzureichend eingehalten. Ein bekanntes Beispiel der jüngsten Zeit ist die Erschließung der Fördergebiete Sachalin II, bei der in höherem Maße gegen Umweltauflagen verstoßen worden sein soll. Hinzu kommt eine verbreitete Korruption innerhalb staatlicher Umweltbehörden, die mehrfache Verstöße gegen Umweltauflagen beim Bau von Häusern oder massenhaften illegalen Holzeinschlag ermöglicht. Auch eine Vielzahl von Altlasten aus den Sowjetzeiten, darunter marode Fabriken, die die heutigen Umweltstandards nicht einhalten können, belasten die Umwelt in Teilen des Landes erheblich. Einige Städte mit solchen Fabriken, wie Norilsk oder Dserschinsk, gelten als ökologisches Notstandsgebiet.
Je stärker die Lebensqualität stieg, umso wichtiger und dringlicher wurden Umweltfragen in Russlands Öffentlichkeit und Politik diskutiert. Seit 2004 wurden vereinzelte Bemühungen der russischen Staatsmacht zum Vorantreiben des Umwelt- und Klimaschutzes sichtbar. So wurde in Russland die Ratifizierung des Kyoto-Abkommens am 5. November 2004 mit der Zustimmung des Präsidenten zum Beschluss der Staatsduma abgeschlossen. Am 30. Januar 2008 äußerte sich der designierte Präsident Dmitri Medwedew für eine schnelle Entwicklung des einheimischen Marktes für Innovationstechnik im Umweltschutz. Inzwischen gibt es Pläne der Regierung, die Energieeffizienz in Russland zu steigern, um den erheblichen Verlust an Wärmeenergie für den Wohnungssektor zu begrenzen.
Geschichte
Russlands Geschichte erlebte seit ihrem Beginn im 9. Jahrhundert vielfältige Brüche. So ist die russische Geschichte eine Eigenentwicklung, die sich von der Entwicklung seiner Nachbarn in Europa deutlich unterscheidet. Ursächlich dafür ist ein ständiges In- und Gegeneinanderspiel typisch russischer Merkmale aus sozialen Begebenheiten und geographischen Einflüssen, die seine Geschichte auf weiten Strecken begleiteten. So gab die erdräumliche Lage Russland eine Brückenstellung zwischen Europa und Asien, die je nach Kräftelage die Aggression fremder Mächte (größere Einfälle u. a. 1240, 1242, 1609, 1709, 1812, 1917, 1941) oder die eigene Expansion begünstigte. Dazu trug das Fehlen natürlicher Grenzen bei, was Russland im Wechselspiel mit der Erfahrung fremder Einfälle dazu veranlasste, die Grenzen so weit auszudehnen, bis natürliche Grenzen einen wirksamen Schutz bilden konnten (vgl. Russische Kolonisation). Dieses starke, aus historischen Einfällen resultierende Sicherheitsbedürfnis Russlands setzt sich bis heute fort.
Die Spannung zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und der Bewältigung bzw. Nichtbewältigung durch die jeweils herrschenden Gruppen gehört ebenso zu den Konstanten der russischen Geschichte. Beispielhaft zu nennen sind die Nichtbewältigung der sozialen Unruhen im Zuge des Industriezeitalters mit ihren Höhepunkten in der Revolution 1905, der Februar- und der Oktoberrevolution 1917 oder die postkommunistische Systemtransformation der 1990er-Jahre.
Die aus der byzantinischen Orthodoxie übernommenen Denkweisen führten zu Spannungen mit modernistischen Tendenzen und begründeten das markante Spannungsverhältnis zwischen Beharrung und Fortschritt, das sich z. B. bei der Kirchenspaltung 1666/1667 oder den Petrinischen Reformen 1700–1720 deutlich zeigte. Aufgrund der fehlenden römischen Rechtstradition fehlte lange Zeit ein Widerstandsrecht gegen herrscherliche Übergriffe, so dass die Beziehung zwischen Staatsgewalt und der wirtschaftlichen und politischen Freiheit des Einzelnen belastet blieb. Dies zeigte sich besonders im 19. Jahrhundert, als liberale Ideen in Russland vermehrt Anhänger fanden und sich in mehreren Attentaten gegen den russischen Selbstherrscher äußerten (z. B. Dekabristenaufstand).
Die bis zum Ende der Sowjetunion ausgeprägte Verbindung von genossenschaftlichen mit herrschaftlichen Elementen liegt ursprünglich in der orthodoxen Kirche begründet, wo die Gemeinschaft der Gläubigen eine viel größere Rolle spielte als das Gott gegenüber verantwortliche Individuum. An diese Vorstellungen des Kollektivs knüpften im 19. und 20. Jahrhundert Marxisten und Sozialisten an und setzte diese in der Sowjetunion fort. Der Ausgleich zwischen zentralistischer und dezentraler Herrschaft war in der Geschichte Russlands ein konstantes Problem. Insbesondere in Übergangszeiten (z. B. zwischen 1240 und 1480, nach 1917 und nach 1994) nahmen separatistische Strömungen an den Rändern des Landes zu.
Altrussland, Mongolensturm und Aufstieg Moskaus
Der alte ostslawische Name für das Gebiet des von Slawen bewohnten Teils des europäischen Russlands, Belarus’ und der Ukraine war Rus (siehe Kiewer Rus), auf Griechisch Rossia. Auf diese Form geht der heutige russische Landesname Rossija zurück. Die früheste Geschichte des europäischen Russlands (zur Geschichte des asiatischen Teils siehe Geschichte Sibiriens) ist im Norden geprägt von finno-ugrischen Völkern und Balten, im Süden von den indogermanischen Steppenvölkern des Kurganvolks, der Kimmerer, Skythen, Sarmaten und Alanen; später kamen hier noch Griechen, Goten, Hunnen und Awaren hinzu. In die Mitte, zwischen Dnepr und Bug, kamen die slawischen Völker, die sich ab dem 6. Jahrhundert auch nach Norden und Osten auszudehnen begannen.
Ab dem 8. Jahrhundert befuhren skandinavische Wikinger die osteuropäischen Flüsse und vermischten sich später mit der slawischen Mehrheitsbevölkerung. Diese auch Waräger oder Rus genannten Kriegerkaufleute waren maßgeblich an der Gründung des ersten ostslawischen Staates, der Kiewer Rus mit Zentren in Kiew und Nowgorod, beteiligt. Im südlichen Steppengebiet und an der Wolga waren hingegen Reiche der aus Asien eingeströmten Turkvölker der Chasaren und Wolgabulgaren entstanden, mit denen die Rus Handel trieben, aber auch Kriege führten. Intensive Kontakte mit dem Byzantinischen Reich führten schließlich 988 zur orthodoxen Christianisierung der Kiewer Rus.
Das mangelhafte Senioratsprinzip zur Regelung der Erbfolge förderte die Zersplitterung der Kiewer Rus im 12. Jahrhundert und erleichterte die Unterwerfung der zerstrittenen russischen Fürstentümer im Mongolensturm. Die mongolische Invasion der Rus begann 1223 mit der Schlacht an der Kalka; die Übergangsphase bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wird als „dunkles“ Zeitalter bezeichnet. Die russische Nationalhistoriographie spricht vom „Tatarenjoch“ dieser Zeit. Die mongolische Fremdherrschaft führte demnach für zwei Jahrhunderte zu einem Abbruch der Beziehungen zum Westen und förderte die Abkapselung des orthodoxen Russlands. Die russischen Fürstentümer lagen im Machtbereich der Goldenen Horde, konnten jedoch eine gewisse innere Autonomie bewahren. Derweil mussten die russischen Fürstentümer im Norden und Westen Angriffe von Schweden, Ordensrittern und Litauern abwehren. Unter den zersplitterten und verfeindeten russischen Fürstentümern erwies sich das kleine und anfangs unbedeutende Fürstentum Moskau als das durchsetzungsstärkste. Dmitri Donskoi, der verschiedene russische Fürstentümer einen konnte, besiegte im Jahre 1380 die Goldene Horde in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld.
Der Moskauer Großfürst Iwan der Große (1440–1505) beendete die Mongolenherrschaft und wurde de facto zum Begründer eines zentralisierten russischen Staates, indem er Schritt für Schritt die umliegenden russischen Länder „einsammelte“ (russisch , sobiranije semel), darunter die Republik Nowgorod. Sein Titel „Herrscher der ganzen Rus“ drückte auch den Anspruch auf den vom Großfürstentum Litauen im 14. Jahrhundert beherrschten westlichen Teil der Rus aus. Dies führte zu langanhaltenden Kriegen im 16. und 17. Jahrhundert mit Polen und Litauen (vgl. Russisch-Litauische Kriege). Unter Iwan dem Großen wurde die russische Gesetzgebung reformiert und der Großteil des heutigen Moskauer Kremls erbaut. Sein Enkel Iwan IV. begründete 1547 das Zarentum Russland. Unter seiner Herrschaft begann nach der Einnahme der Tatarenhauptstadt Kasan auch die Eroberung Sibiriens, die russische Kosaken erstmals im 17. Jahrhundert bis an den Pazifik brachte.
Öffnung Russlands unter Peter dem Großen und Aufstieg zur europäischen Großmacht
An der Wende zum 18. Jahrhundert öffnete Zar Peter der Große das in den alten Strukturen erstarrte Zarentum Russland westeuropäischen Einflüssen und förderte Wissenschaft und Kultur. 1703 gründet er die Stadt Sankt Petersburg, die – seit 1712 als neue Hauptstadt – das Symbol für den russischen Fortschritt werden sollte. Mit dem Sieg gegen Schweden im über 20 Jahre währenden Großen Nordischen Krieg erlangte Russland nach mehr als 150 Jahren der Auseinandersetzung mit Schweden die Vormachtstellung im Ostseeraum (vgl. Nordische Kriege). Russland übernahm die Position Schwedens als nordische Großmacht in Europa. Zur Unterstreichung des neuen Status im diplomatischen Ranggefüge Europas ließ Zar Peter das Russische Zarentum in „Russisches Kaiserreich“ umbenennen und änderte den Monarchentitel offiziell von „Zar“ in „Kaiser“ (, Imperator).
Katharina die Große führte Peters Expansionspolitik weiter. Unter ihrer Regierung wurde das Krimkhanat („Neurussland“) erobert. Durch die Beteiligung an den drei Teilungen Polens wurde die Westgrenze Russlands weit in Richtung Mitteleuropa vorgeschoben. 1812 fielen Napoleons Truppen in Russland ein und eroberten Moskau, wurden schließlich jedoch vernichtend geschlagen. Dies gab den Auftakt zu den Befreiungskriegen, bei denen russische Truppen mit ihren Verbündeten (Preußen, Österreich, Vereinigtes Königreich u. a.) Napoleon endgültig besiegen und zur Abdankung zwingen konnten. Alexander I. zog als „Befreier Europas“ in Paris ein. Nach dem Wiener Kongress 1814/15 erlangte Russland eine dominierende Rolle auf dem europäischen Festland, die bis zum Krimkrieg 1853–1856 andauerte. Aufgrund der festgefahrenen gesellschaftlichen Strukturen wie der Autokratie und der Leibeigenschaft konnte das agrarisch geprägte Reich jedoch mit den sich rasant entwickelnden Industriestaaten immer weniger Schritt halten. Der verlorene Krimkrieg gegen die Westmächte legte die inneren Schwächen des Reiches offen und gab Anstoß zu einer Phase der inneren Reformen. Diese beschleunigten Russlands wirtschaftliche Entwicklung, doch das Land wurde immer wieder von inneren Unruhen destabilisiert, da die politischen Veränderungen nicht weitreichend genug waren und große Teile der Bevölkerung ausgeklammert wurden. Den „Westlern“, die eine Übernahme westeuropäischer Lebensformen und politischer Institutionen propagierten, standen aber immer auch die nationalromantisch geprägten „Russophilen“ oder „Slawophilen“ gegenüber, die einen eigenen, spezifisch russischen Weg in die Moderne forderten und die pauschale Übernahme westlicher Werte ganz oder zum großen Teil ablehnten.
In den großen Städten entstand um die Jahrhundertwende ein Industrieproletariat, aber sehr rasch auch eine bürgerliche Mittelschicht. Diese forderte ihren Anteil an der Verfügung über die Staatseinnahmen und die Mitverantwortung für die öffentlichen Angelegenheiten. Die Angehörigen der Mittelschicht besaßen aber kein gemeinsames politisches Bewusstsein. Sie verstanden unter politischer Freiheit kein moralisches Ziel, sondern meinten damit die Freiheit der materiellen Entfaltung und gerechte Besteuerung. So ließ sich die Mittelschicht auch nicht auf Dauer von den utopischen Entwürfen der Intelligenzija leiten. Eine Anpassung der Verfassungswirklichkeit des Staates, der die Mittelschicht näher eingebunden hätte, fand aber nicht statt. Stattdessen flammte der Terror wieder auf. Die Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg führte letztlich zur Russischen Revolution von 1905. Der russische Kaiser Nikolaus II. war jedoch nicht bereit, grundlegende Reformen einzuleiten und ließ ein weitgehend funktionsloses Parlament, die Duma, das er notgedrungen genehmigt hatte, nur kurze Zeit später wieder auflösen.
Russische Revolution und Sowjetunion
Als im Jahre 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, erfasste Russland als Mitglied der Entente eine patriotische Welle – eine Stimmung, die anfänglich alle Kriegsparteien bestimmte, einschließlich des Deutschen Kaiserreichs und dessen Verbündeten (Mittelmächte). Die anfänglichen Erfolge, vor allem gegen Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich, wurden bald abgelöst von einem Stellungskrieg, bis 1917 die Moral der russischen Soldaten nachgab und die Front zusammenbrach. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung und die trostlose Versorgungslage führten in der Hauptstadt Petrograd zu Demonstrationen der Arbeiter und Bauern. Nach blutiger Niederschlagung der Demonstranten stürmten diese den Winterpalast und Kaiser Nikolaus II. wurde zum Abdanken gezwungen.
In Folge kam im Februar 1917 eine provisorische Regierung (unter Beteiligung der Menschewiki und von Sozialrevolutionären) an die Macht, die als Doppelregierung mit Arbeiter- und Soldatensowjets amtierte. Die radikalrevolutionären Bolschewiki stellten hier zunächst eine Minderheit dar. Da die provisorische Regierung zur Enttäuschung weiter Teile der Bevölkerung den Krieg nicht beendete und nötige innenpolitische Reformen nicht in Angriff nahm, gewannen die Bolschewiki unter dem im April aus dem Exil zurückgekehrten Wladimir Iljitsch Lenin an Zulauf und stürzten diese im Oktober 1917.
Nach der Februarrevolution 1917 erlangten die Frauen in Russland das aktive und passive Wahlrecht. Sie waren sowohl an den Wahlen zu den Sowjets als auch zu den Stadtdumas zugelassen. Im Mai 1917 wurde ein Gesetz beschlossen, das russischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern über 20 das Recht verschaffte, die Konstituierende Versammlung zu wählen. Nach der Oktoberrevolution wurde das aktive und passive Frauenwahlrecht in der Verfassung der Russischen Sowjetrepublik vom 10. Juli 1918 festgeschrieben.
Aus dem der Oktoberrevolution folgenden Bürgerkrieg zwischen den sozialistischen „Roten“ und den gegenrevolutionären „Weißen“ gingen die Bolschewiki als Sieger hervor. Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, wie auch Finnland, errangen dagegen durch Abwehr der Roten Armee bzw. durch längere Bürgerkriege ihre Unabhängigkeit von Russland. Im Laufe des Bürgerkriegs sowie des darauf folgenden Polnisch-Russischen Kriegs verlor Russland 1920 Teile Belarus’ und der Ukraine („Ostpolen“) an Polen. 1921 wurde die russische Sowjetrepublik als Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) ausgerufen, die den wichtigsten Teil der späteren Sowjetunion darstellte.
Am 30. Dezember 1922 wurde aus dem bisher bestehenden Sowjetrussland die Sowjetunion gegründet und eine staatlich kontrollierte Wirtschaftspolitik ausgerufen. Die Sowjets wurden als Eigentümer von Boden und Produktionsmitteln erklärt. Lenins Tod am 21. Januar 1924 führte zu einem erbitterten Nachfolgekampf, in dem sich Josef Stalin gegen Leo Trotzki durchsetzte. Der Stalinismus zeichnete sich durch gezielten Terror aus. Seit 1928 wurde die staatliche Wirtschaft Fünfjahresplänen unterworfen und die Industrialisierung der Sowjetunion vorangetrieben. Die Zwangskollektivierung in der Sowjetunion wurde von der Kampagne der „Entkulakisierung“ begleitet.
Im August 1939 schloss die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt mit dem NS-Staat, wobei in einem geheimen Zusatz auch eine einvernehmliche Aufteilung Osteuropas aufgenommen wurde. Dies ermöglichte Hitler Anfang September 1939 den geplanten Angriffskrieg gegen Polen, der mit einem sowjetischen Angriff gegen Ostpolen Mitte September abgestimmt war. Im Winterkrieg überfiel die Sowjetunion Finnland und gewann kleinere Teile des Landes. 1940 wurden Litauen, Lettland und Estland besetzt.
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, der zum Deutsch-Sowjetischen Krieg führte (in der Sowjetunion Großer Vaterländischer Krieg genannt), trat das Land der Anti-Hitler-Koalition bei. Allein während der Leningrader Blockade verhungerten über eine Million Menschen in Leningrad. Insgesamt starben in diesem Krieg geschätzt 27 Millionen Sowjetbürger, davon 14 Millionen Zivilisten. Sie konnte aber im Kriegsverlauf den deutschen Truppen schwere Niederlagen zufügen und siegte im Mai 1945 in der abschließenden Schlacht um Berlin. Nach dem Krieg sicherte sich die Sowjetunion großen Einfluss in den angrenzenden Ländern Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien und in der DDR. In diesen Ländern blieben Hunderttausende sowjetischer Soldaten stationiert. Der Kalte Krieg dominierte bis 1989 die Weltpolitik.
Der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow leitete ab 1987 mit der „Perestroika“ einen Umbau des politischen und wirtschaftlichen Systems in der Sowjetunion ein und förderte mit der Politik der „Glasnost“ die Transparenz und Offenheit der Staatsführung gegenüber der Bevölkerung, worauf einzelne Unionsrepubliken die Unabhängigkeit von der Sowjetunion anstrebten. Nach dem misslungenen Augustputsch in Moskau 1991 konservativer Kommunisten beschlossen der Präsident Russlands Boris Jelzin und Vertreter der Sowjetrepubliken die Auflösung der UdSSR zum 31. Dezember 1991.
Russische Föderation seit 1992
Die Russische Föderation übt seit 1992 als größte ehemalige Sowjetrepublik (Russische SFSR) die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten der UdSSR aus. In den ersten Jahren ergaben sich innenpolitische Konflikte über den einzuschlagenden Kurs: In der russischen Verfassungskrise 1993 löste Jelzin per Ukas den Volksdeputiertenkongress sowie den Obersten Sowjet Russlands auf, die sich seinen Bemühungen und den Resultaten einer Volksbefragung am 25. April 1993 widersetzt hatten, Wirtschaftsreformen durchzusetzen. Jelzin ordnete eine gewaltsame Stürmung des Parlamentsgebäudes (Weißes Haus) an, in dem sich etwa 100 Parlamentarier und weitere Anhänger verbarrikadiert hatten. Bei der gewaltsamen Niederschlagung eines weiteren Aufstandes gegen ihn am 3. und 4. Oktober gab es in Moskau 190 Tote. Im Dezember billigte die russische Bevölkerung per Volksabstimmung die neue Verfassung der Russischen Föderation (Zweikammersystem, Präsidialverwaltung).
Unter Jelzin wurden in Russland Teile der Wirtschaft privatisiert und Reformen versucht. Dabei gelangten wertvolle Unternehmen, Banken und Rohstoffvorkommen, u. a. Mineralöl, bei Versteigerungen weit unter ihrem Wert in den Besitz von Oligarchen wie beispielsweise Sergey Grishin und Roman Abramowitsch, die gute Beziehungen zu Herrschenden hatten bzw. diesen Schmiergelder und Schutzgelder zahlten. Durch lukrative Geschäfte mit dem Staat konnten die Oligarchen ihren Profit zum Nachteil des Volkes noch steigern. Die Oligarchen wurden politisch einflussreiche Akteure, denen die Absicherung ihrer Positionen wichtiger war als demokratische Prinzipien und Prozeduren.
1991/92 gab es eine Rubelkrise. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) lag 1993 um 12 % unter dem von 1992 und um 29 % unter dem von 1991. Die Industrieproduktion war 1993 um 31,3 %, die Konsumgüterproduktion um 24,8 % und die Nahrungsmittelproduktion um 27,3 % niedriger als 1991. Im Oktober 1993 waren 2400 Produktionsbetriebe vorübergehend stillgelegt, im Februar 1994 4280. Wegen Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern kam es zu gesamtwirtschaftlich folgenschweren Streiks, z. B. in den Kohlerevieren.
Die Inflation war jahrelang hoch und große Teile der Bevölkerung verarmten. 1998 rutschte das Land in die Zahlungsunfähigkeit (→ Russlandkrise). Insbesondere in der Übergangszeit nahmen aufgrund des Erstarkens regionaler Autonomien nach dem Ende der stark zentralistischen Sowjetzeit zentrifugale Strömungen an den Rändern des Landes zu. So sah sich seit Mitte der 1990er-Jahre die russische Regierung mit Unabhängigkeitsbewegungen und Machtkämpfen in zahlreichen Teilrepubliken konfrontiert, besonders im Ersten Tschetschenienkrieg 1994/96, bei dem zehntausende Menschen starben. Von Frühherbst 1999 bis Anfang 2000 brachten russische Truppen den Großteil Tschetscheniens wieder unter ihre Kontrolle (vgl. Zweiter Tschetschenienkrieg).
Die chaotischen Jahre unter Jelzin verunsicherten viele Menschen. Die Geburtenrate war niedrig; Kriminalität, Alkoholismus etc. waren verbreitet. In der Endphase von Jelzins Herrschaft bestand die russische Außenpolitik fast nur noch aus leeren Drohungen und Reaktionen. Dies betraf z. B. die NATO-Osterweiterung und den Kosovokrieg. Auch einige markante Ereignisse wie der Untergang der Kursk im August 2000, der tagelange Brand des Moskauer Fernsehturms Ostankino und das Ende der Mir im März 2001 förderten bei vielen Russen das Gefühl, Russland sei von der Rolle einer Supermacht auf die eines Schwellenlands zurückgefallen.
Hohe Rohstoffpreise (Öl, Gas, Stahl), eine Steuerreform und Kapitalrückfluss förderten die wirtschaftliche Erholung nach dem Amtsantritt Wladimir Putins. Nach der Geiselnahme von Beslan im September 2004 leitete Putin einen grundlegenden Umbau des Staatswesens ein, der Macht und Kontrolle in noch stärkerem Maß als bisher in den Händen des Präsidenten konzentrierte. Die Machtvertikale wird von westlichen Beobachtern wie z. B. Margareta Mommsen (2012) als in jeder Hinsicht unvereinbar mit Vorstellungen einer eigenständigen Rolle des Parlaments, von wechselnden parlamentarischen Mehrheiten sowie vom freien Wettbewerb politischer Parteien gesehen. Selbst die höchsten politischen Amtsträger verfügten über kein klares Verfassungsverständnis; mit diesem Ansatz könne weder eine Verfassungslegitimität noch eine Verfassungskultur entstehen.
2008 kam es zum Kaukasuskrieg gegen Georgien, in dessen Folge die völkerrechtlich zu Georgien gehörenden Gebiete Abchasien und Südossetien von Russland als unabhängige Staaten anerkannt wurden.
Nach den Fälschungen der Parlamentswahlen 2011 kam es zu Großdemonstrationen mit Hunderttausenden von Teilnehmern. Darauf und auf die Proteste bei der Präsidentenwahl reagierte die Staatsmacht mit noch mehr Repression; es wurde bereits verhaftet, wer sich mit einer anderen „protestierenden“ Person traf; jede andere Protestform als ein Einzelprotest wurde verboten, Geldstrafen für Teilnahmen an nicht genehmigten Demonstrationen wurden um ein bis zu 150-faches erhöht. Anmeldungen von Demonstrationen zur Bewilligung waren willkürlichen Regeln unterworfen. Auch wurde ein Gesetz über „ausländische Agenten“ in Russland eingeführt.
Ab 2013 begann die Stagnation der Wirtschaft.
Krieg in der Ostukraine ab 2014 und Überfall auf die Ukraine 2022
Am 20. Februar 2014 kam es in einem nur halb verdeckten Militäreinsatz prorussischer Kämpfer zu Angriffen auf die durch einen Freundschaftsvertrag mit Russland verbundene Ukraine. Deren vertraglich garantierte Souveränität wurde vor allem durch die russische Annexion der Halbinsel Krim verletzt. Am 21. März 2014 wurde der Föderationskreis Krim gegründet. Die völkerrechtliche Legitimität dieser Schritte ist außerhalb Russlands, aber auch in Russland selbst umstritten.
Der von Russland 2014 angestoßene Hybridkrieg in der östlichen Ukraine währte nach einer internationalen Eindämmung über mehrere Jahre. Im Jahr 2015 wurde Oppositionsführer Boris Nemzow ermordet.
In der Gesellschaft kam es Ende der 2010er- sowie zu Beginn der 2020er-Jahre zu mehreren Demonstrationswellen. 2018 demonstrierten die Menschen wochenlang gegen die Erhöhung des Rentenalters, 2019 kam es neben einer bewilligten Großdemonstration trotz Demonstrationsverboten zu wochenlangen Protesten gegen den Ausschluss von Kandidaten bei den Kommunalwahlen. Diese Proteste wären moralisch, nicht politisch, so Leonid Gosman, daher vereinten sie Menschen verschiedener politischer Ansichten gegen die Arroganz und Unzulänglichkeit der Behörden mit ihren Lügen und ihrer Verachtung der Menschen. Weitere Proteste gab es in Chabarowsk 2020 nach der offensichtlich politisch motivierten Festnahme des Gouverneurs Sergei Furgal. Im Januar 2021 protestierten Zehntausende gegen die Festnahme von Alexei Nawalny. Das Jahr 2021 war geprägt von einer Zunahme der repressiven Kontrolle über die Gesellschaft, die sich sowohl gegen potentielle Konkurrenten Putins wie Nawalny als auch freie Medien, Meinungsäußerungen im Internet und die Universitäten richtete.
Am 24. Februar 2022 folgte der russische Überfall auf die Ukraine. Kurz nach Invasionsbeginn, unter fortgesetzten russischen Angriffen, erfolgte russisch-ukrainische Friedensverhandlungen scheiterten. Mit dem Krieg begann eine tiefergehende Unterdrückung der Informations-, Meinungs- und Medienfreiheit in Russland, ohne dass sich die russische Bevölkerung zum Widerstand erhebte. Eine deutliche Mehrheit der 144 Millionen Menschen umfassenden russischen Bevölkerung befürwortete in mehreren respräsentativen Umfragen des Lewada-Zentrums den russischen Militäreinsatz in der Ukraine. Mit Beginn des Krieges, der per Gesetz nicht als Krieg bezeichnet werden darf, sondern vor dem Hintergrund von Propaganda in Russland „militärische Spezialoperation“ genannt wird, setzte eine Auswanderung ein, die sich mit der Mobilmachung in Russland auf mehrere hundert tausend Menschen erhöhte. Beobachter bewerten diese als die größte Auswanderungsbewegung „seit der Oktoberrevolution“; mehr als 1 % der arbeitenden Bevölkerung seien von ihr umfasst. Unter den Emigranten sind insbesondere junge und gut ausgebildete Angehörige technischer Berufe, etwa aus dem IT-Bereich. Im Zuge des Krieges weitete die russische Staatsführung die Anzahl der in Russland unerwünschten ausländischen Organisationen, als auch die Anzahl der in Russland als „ausländische Agenten“ geführten Personen, aus. Im Zuge des Kriegs erfolgte seitens der EU und vielen anderen Ländern Wirtschaftssanktionen gegen Russland und russische Personen. Russland umging diese teilweise erfolgreich. Wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine ließ Deutschland die von Russland nach Deutschland verlaufende zusätzliche Erdgasexportpipeline Nord Stream 2 nicht für den Betrieb zu, Russland stoppte die Lieferungen nurch Nord Stream 1 ab Juni 2022 mit der Begründung von Wartungsarbeiten, noch im selben Jahr rissen Sprengungen Löcher in drei der vier Ostsee-Pipelines. Mit dem zeitlich befristeten Getreideexportabkommen schloss Russland in Kriegszeiten eine Vereinbarung über den Güterverkehr mit der Ukraine, wodurch insbesondere ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer verschifft werden konnte. Der IStGH in Den Haag, der von Russland nicht anerkannt wird, erließ im Jahr 2023 einen Haftbefehl gegen den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin wegen des Vorwurfs der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. wegen Kriegsverbrechen im Russisch-Ukrainischen Krieg. Bis ins Jahr 2023 fielen nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen mehreren zehntausend bis deutlich über hunderttausend russische Soldaten und Söldner dem russisch-ukrainischen Krieg zum Opfer.
Im Juni 2023 führte Jewgeni Prigoschin mit seiner Söldnerorganisation Gruppe Wagner einen Aufstand in Russland an, beendete ihn jedoch auf Vermittlung des belarussischen Diktators Aljaksandr Lukaschenka vorzeitig, sodass es zu keinem Umsturz kam. Laut Prigoschin war der Aufstand gegen die russische Armeeführung um Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow gerichtet und wegen einer Unzufriedenheit über die russische Kriegsführung in der Ukraine gestartet worden. Wenige Monate später starb Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz. Sein Ableben reihte sich in eine Serie von Todesfällen russischer Unternehmer, Politiker und Staatsbediensteter ein, die nicht restlos aufgeklärt oder deren Umstände zweifelhaft sind.
Im September 2023 wurde an allen staatlichen Schulen praktischer Militärunterricht, den es bereits in der Sowjetunion gegeben hatte, eingeführt. Zum selben Zweck war im Jahr 2016 die dem russischen Verteidigungsministerium unterstehende Jugendarmee Junarmija gegründet worden, die innerhalb weniger Jahre auf über eine Million Mitglieder anwuchs.
Politik
Politisches System
Russland ist nach der Verfassung vom 12. Dezember 1993 ein „demokratischer föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform“ und einem semipräsidentiellen Regierungssystem. So ist das Staatsoberhaupt der Präsident Russlands, der vom Volk für jeweils sechs Jahre direkt gewählt wird. Laut offizieller Selbstdarstellung gehört er keiner der drei Staatsgewalten an, er sichert vielmehr deren Funktionieren und Zusammenwirken. De facto ist der Präsident die zentrale Figur des russischen Staates, seine Position ist (Stand 2023) faktisch autokratisch, und er kann über sämtliche Machtmittel des Staates verfügen. Per Dekret kann er jeden Sachverhalt mit unmittelbarer Rechtswirkung regeln. Der Präsident bestimmt die Hauptrichtungen der Außenpolitik und kann internationale Verträge unterzeichnen. Er ist der Oberste Befehlshaber der Streitkräfte Russlands, ernennt und entlässt das Oberkommando der Streitkräfte.
Die exekutive Gewalt liegt bei der Regierung der Russischen Föderation, deren Schlüsselministerien und -behörden jedoch direkt dem Präsidenten und nicht dem Ministerpräsidenten oder dem Parlament unterstellt sind. Direkt dem Präsidenten unterstellt sind u.a die Nationalgarde, das Innenministerium, das Katastrophenschutzministerium, das Außenministerium; das Verteidigungsministerium, das Justizministerium, der Auslandsgeheimdienst SWR, der Inlandsgeheimdienst (FSB), der Föderale Schutzdienst (FSO), der Föderale Dienst für Finanzaufsicht (Rosfinmonitoring) sowie die Russische Präsidialverwaltung. Ferner untersteht die „wichtigste föderale Ermittlungsbehörde“, das sogenannte Untersuchungskomitee (Sledstwennyj komitet), das Bundesbehörden überprüft und Fälle von Machtmissbrauch und Korruption aufklärt, dem Präsidenten direkt. Die Regierung ist keine politische Parlamentsregierung mit eigenem Rückhalt, sondern ein Technokratenkabinett, das hauptsächlich für Wirtschafts- und Finanzfragen und für Verwaltungsaufgaben zuständig ist. Das Kabinett tagt wöchentlich öffentlich. Der Präsident hat das Recht des Kabinettsvorsitzes, das er aber nicht immer wahrnimmt. Der Ministerpräsident von Russland, auch als Premierminister bezeichnet, wird vom Präsidenten vorgeschlagen und muss von der Duma bestätigt werden.
Die Staatsduma ist das Unterhaus und besteht aus 450 Abgeordneten, die für fünf Jahre nach Parteilisten gewählt werden. Die Regierung ist nicht an die Legislaturperiode des Parlaments, sondern an die Amtszeit des Präsidenten gebunden, denn bei einem neu gewählten Präsidenten legt die Regierung ihre Vollmachten nieder. Die Staatsduma kann der Regierung mit der Mehrheit aller Abgeordneten das Misstrauen aussprechen oder die Vertrauensfrage der Regierung abschlägig bescheiden. Die Regierung hat die Budgethoheit und gewährleistet eine einheitliche Finanz-, Kredit- und Geldpolitik. Die weiteren Politikfelder sind Kultur-, Wissenschafts-, Bildungs-, Gesundheits-, soziale Sicherheits- und Ökologiepolitik. Das bedeutet insgesamt, dass die Machtverteilung und Regierungszusammensetzung nicht die politischen Kräfteverhältnisse der Staatsduma widerspiegeln muss. Sowohl die Kandidatur des Regierungschefs (Ministerpräsidenten) der Föderation als auch die Ernennung bedarf nach einer Verfassungsänderung von 2020 der Zustimmung der Staatsduma, dasselbe gilt für die vom Ministerpräsidenten vorgeschlagenen Vizeministerpräsidenten und Minister. Der russische Präsident ist verpflichtet, die Berufenen zu ernennen, eine Ablehnung ist nicht möglich; jedoch wird er weiterhin das Recht haben, im Falle eines Vertrauensverlustes oder einer nicht-ordnungsgemäßen Pflichterfüllung den Ministerpräsidenten sowie seine Stellvertreter und Minister zu entlassen.
Die Legislative wird durch die Föderationsversammlung ausgeübt, die aus zwei Kammern besteht. Der Föderationsrat ist das Oberhaus und der Vertreter der Föderationssubjekte. Alle von der Staatsduma verabschiedeten Gesetze müssen dem Föderationsrat vorgelegt werden, dem es frei steht, sie innerhalb von zwei Wochen zu behandeln oder nicht, was als Zustimmung gilt. Um im Parlament Einzug zu halten, muss eine Partei bei der Wahl mindestens 7 % der Stimmen erhalten. Die Hauptaufgabe der Staatsduma ist die Verabschiedung von Gesetzen. In der Praxis (Stand 2022) hat nach Einschätzung der Bertelsmann Stiftung das Parlament keine Kontrolle über die Exekutive.
Die judikative Gewalt bildet das Verfassungsgericht der Russischen Föderation, das den Rang eines Verfassungsorgans besitzt und an das sich staatliche Organe und auch Bürger wenden können (vgl. Rechtsgeschichte Russlands). Es soll die strikte Einhaltung der Verfassung durch die Staatsorgane überwachen. Häufig wird vom Verfassungsgericht zugunsten des Bürgers entschieden. Das Gericht unterstützte in mehreren Urteilen die zunehmende Machtverschiebung zum Amt des Präsidenten.
Charakterisierung des Systems
Unvollständige Demokratisierung unter Jelzin
Als die Sowjetunion sich zum Ende 1991 auflöste und Boris Jelzin Präsident Russlands wurde, entstand trotz entsprechender Bemühungen keine stabile Demokratie. Die neunzehnhundertneunziger Jahre waren geprägt von Freiheiten, aber einem schwachen Staat, von freien und regelmäßigen Wahlen, aber auch von korrupten Eliten ohne gestalterischen Gesamtwillen und ohne Akzeptanz demokratischer Institutionen, von enttäuschten Bürgern, und einem starken Pluralismus, der aber politisch nicht effektiv war. Zentrifugale Tendenzen wurden begleitet von einer unvollkommenen Steuererhebung, staatliche Angestellte wurden nur unregelmäßig bezahlt, die Sicherheitsinstitutionen des Landes befanden sich in teilweiser „Auflösung“, während zugleich demokratische Institutionen eingeführt wurden, aber das System nur in einem Dualismus demokratischer und autokratischer Prinzipien funktionierte. Ins Zentrum rückte die Präsidialadministration, die auch von der Schwächung anderer Teile der Exekutive profitierte. Russland in diesen Jahren konsolidierte sich demokratisch nicht, sondern wurde zu einer „im besten Fall“ defekten Demokratie.
De facto stellte das politische System Russlands eine Mischung aus instabilen demokratischen Institutionen und autoritären Praktiken dar.
Entdemokratisierung unter Putin
Unter Jelzins Nachfolger Wladimir Putin (2000–2008 Präsident und erneut seit 2012) lässt sich seit der Jahrtausendwende eine deutliche „Ent-Demokratisierung“ dieses Systems und eine Zentralisierung der politischen Macht beim Präsidenten und seiner Verwaltung beobachten. Geschriebene Verfassung und politische Realität (Verfassungswirklichkeit) fallen auseinander, das Parlament spielt nur eine schwache Rolle. Es gelang Putin allerdings durch wirtschaftliches Wachstum und politische Stabilität breite Zustimmung und damit Legitimität zu generieren, die wirtschaftlichen Fortschritte beruhten allerdings fast vollständig auf Rohstoffexporten, was über den exportgestützten hohen Rubelkurs zu Lasten der produzierenden Industrie ging (vgl. Holländische Krankheit). Das Aufhalten des staatlichen Zerfalls und die ökonomischen Erfolge mündeten nicht in einer echten Liberalisierung, während staatlicher Terror in Tschetschenien, Druck auf unabhängige Medien und rechtsstaatliche Mängel bereits 2004 dazu führten, dass eine skeptische Bewertung Russland als „bürokratischen Autoritarismus“ auffasste.
Unter Putin wurde die Macht des Staatsoberhaupts durch die Schaffung einer „Machtvertikalen“ ausgebaut: Der Präsident Russlands schlug ab 2005 bis Mai 2012 die Gouverneure vor – die Regionalparlamente konnten diese nur noch bestätigen. Diese von Russland „souveräne Demokratie“ genannte Variante beschnitt politische Rechte der Regionen, die unter Präsident Jelzin ein politisches Gegengewicht aufgebaut hatten. Die Gouverneure wiederum ernannten (seit 2002 anstelle der regionalen Parlamente) die Vertreter für den Föderationsrat und auch lokale Vertreter wie Bürgermeister. Kritische Beobachter sprachen nach der Entmachtung der Regionen auch von einer „Surrogatsföderation“ anstelle einer richtigen Föderation. Russland ließ sich 2010 noch als hybrides System beschreiben, das Elemente der Autokratie mit Elementen der Demokratie verband. Während bereits Präsident Boris Jelzin aufgrund autoritärer Handlungsweisen nicht wirklich als Demokrat verstanden werden konnte, ließ er dennoch verhältnismäßig offene Wahlkämpfe und regionale Machtzentren mit eigenen Wahlkämpfen zu. Unter Putin wurden die Gouverneure durch das genannte Ernennungssystem enger and die zentrale Ebene gebunden und als Akteure mit eigener Basis ausgeschaltet, so dass in Russland alleine Putin über das rechtliche und organisatorische Potential verfügte, Wahlen in politische Macht umzumünzen.
Nach Protesten wegen der Parlamentswahlen im Dezember 2011 wurde das Gesetz geändert. Die Gouverneure werden seit Oktober 2012 wieder gewählt. Jedoch wurde nicht zum vorherigen System zurückgekehrt, sondern ein gemischtes Verfahren installiert, das eine Nominierung von Kandidaten durch eine bestimmte Prozentzahl an Abgeordneten der Regionalparlamente und eine Konsultation des Präsidenten vorsieht. Die entsprechenden Wahlen wurden manipuliert.
Im Ergebnis entstand nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Margareta Mommsen „ein autoritäres System mit der Besonderheit förmlich fortbestehender demokratischer Einrichtungen. Diese gaukeln demokratische Verhältnisse lediglich vor. Nicht zufällig sprechen kritische Beobachter von einer ‚simulierten Demokratie‘.“ So enden polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen dort bzw. werden erst gar nicht begonnen, wo sie einflussreiche Politiker berühren.
Seit den Protesten 2012 und der Aneignung der Krim 2014 setzt Putin weniger auf das funktionale Eigengewicht von Institutionen, als darauf, die Institutionen zu kontrollieren. Persönliche Gefolgsleute – oft mit Vorerfahrungen in der mächtigen Präsidialadministration – werden in wichtigen Zweigen der Verwaltung auf Posten mit Steuerungsfähigkeit gesetzt, das System funktioniert verstärkt als ein Loyalitäts- und Gefolgschaftsgeflecht, welches durch „quasi-feudale“ Strukturen und intransparente Entscheidungsprozesse gekennzeichnet ist. Als eigene Machtfaktoren geschwächt wurden durch die Besetzung mit engen Gefolgsleuten die Gouverneure, aber auch der Inlandsgeheimdienst FSB. Auch die „technokratischen Ministerien“ müssen sich ihren sachlichen Überzeugungen widersprechende Interventionen gefallen lassen, etwa auf dem Feld der Wirtschaft. Die Schaffung einer Putin direkt unterstellten Nationalgarde minderte dazu das Gewicht des regulären Militärs, Indiz für eine zunehmende Personalisierung des Systems: „Die Schaffung prätorischer militärischer Institutionen wie der Nationalgarde sind klassische Manöver – wie aus dem Lehrbuch personalistischer Diktaturen anderer Epochen.“
Autokratisierung, Entwicklung zur Diktatur
Im Demokratieindex der britischen Zeitschrift The Economist belegte 2020 Russland unter den 167 untersuchten Staaten den 124. Rang und wurde als „autoritäres Regime“ eingestuft. Im Jahr 2007 war es noch als hybrides System eingestuft worden. Etwas weniger negativ ist die Einstufung im Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung, wo Russland 2017 (bezogen auf Demokratie) auf Platz 84 von 137 Ländern zwischen Mali und Bangladesch liegt. 2022 verschärfte der Economist seine Einschätzung, Russland zeige „nun viele Merkmale einer Diktatur“ und liege nur noch auf Rang 146 seines Indexes. Freedom House betrachtet Russland 2023 als „personalisierte Diktatur“ in einer Abwärtsspirale mit erwartbar weiterer Reduzierung an Freiheitsrechten („one of the most notorious personalist dictatorships in the world“). Das V-Dem Institut zählte 2022 Russland zu den autokratischsten Ländern der Welt. Der Osteuropahistoriker Benno Ennker bewertet Russland nicht alleine als Diktatur, sondern als zunehmend totalitäre „Führerdiktatur“. Die Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer sieht für Russland gleichfalls totalitäre Tendenzen, der Krieg gegen die Ukraine habe es „von der harten Autokratie in die Diktatur katapultiert.“ Die Parlamentarische Versammlung des Europarates erklärte im Oktober 2023 in einer einstimmigen Resolution, dass Russland „de facto“ eine Diktatur sei.
Über die Rückentwicklung Russlands zur Autokratie („Road to Autocracy“) und ihre Gründe wird in der Politikwissenschaft diskutiert, ebenso wie über seinen „Grad der Diktatur“ („scholars argue over the degree of dictatorship that has taken hold“), jedoch werde Russland „von niemandem“ noch als Demokratie gesehen.
Faschismusdiskussion
Im Frühjahr 2022 – nach Beginn der Invasion der Ukraine – vermehrte sich der bestehende Diskurs, ob Russland unter Putin faschistisch zu nennen sei. Alexander J. Motyl hatte schon 2009 geschrieben, dass sich Russland seit dem Machtantritt Wladimir Putins in Richtung Faschismus bewege. Das System sei allerdings erst mal „faschistoid“ und noch nicht konsolidiert. Leonid Luks widersprach ihm damals mit dem Argument, Putin sei stabilitätsorientiert und nicht revolutionär, ein Vergleich mit dem Nationalsozialismus sei ebenso falsch wie einer mit dem italienischen Faschismus, der immerhin eine revolutionäre Neugestaltung Italiens angestrebt habe. Es fehle bei Putin an der für faschistische Systeme so typischen Verherrlichung von Krieg und Gewalt. Echte russische Faschisten wie der Publizist Alexandr Dugin, der einen imperialen und endgültigen Krieg gegen den Westen vorschlage, hätten in Russland bislang nur begrenzten, wenn auch wachsenden, Einfluss. Die Darstellung der russischen Regierungsform als faschistisch laufe Gefahr, das Risiko eines Raumgewinns des echten russischen Faschismus um Publizisten wie Dugin zu unterschätzen.
Die 2009 noch offene Entwicklung des Systems verlief bis 2022 derart, dass Motyl Russland heute einen „faschistischen Staat“ nennt. Michail Jampolski schrieb 2015 von nationalem (russischem) Exzeptionalismus (vgl. Exzeptionalismus) und Intoleranz auch gegenüber Demokratie; die russische Gesellschaft kultiviere „Gruppen von Grundvoraussetzungen“ gemäß Wilfred Bion. Die zusätzliche projektive Identifikation einer sich postimperial gedemütigt fühlenden Nation verglich er mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Österreich. Individualität werde abgelehnt, vorherrschend sei eine Ablehnung der Differenzierung von Persönlichkeiten, dies führe zu noch mehr Intoleranz gegenüber Abweichungen von einem einzigen Denk- und Verhaltensmuster.
Bereits im Jahr 2014 wies Timothy Snyder darauf hin, dass die Ideologie Putins faschistische Wurzeln habe im Bezug auf den von Putin oft zitierten Iwan Iljin, den „Philosophen des russischen Faschismus“ russisch-christlicher Ausprägung. Iljin erklärte den Faschismus einer „auserwählten“ Nation als einzige mögliche Erlösung aus einer seit der Schöpfung andauernden Schande. 2022 schrieb Snyder, der Glaube, dass Politik mit der Wahl des „richtigen“ Feindes beginne, und die Rede von „heilender Gewalt“ sei zweifellos faschistisch. Die maximale Selbstbezogenheit und der groteske Widerspruch von Putins Kriegs-Rechtfertigungen bestätigten nur den offen vorliegenden russischen Faschismus. Der Historiker Michael Khodarkovsky urteilte im Journal of East Asian Affairs kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, dass dieser Krieg klargemacht habe, dass Putins Regime nicht eine reine Autokratie sei, sondern es sich um Faschismus handele, wie er aus dem 20. Jahrhundert bekannt sei. Als Merkmale nennt er imperialistische Nostalgie, Restauration und Expansionismus und einen, seine Männlichkeit und Entschlossenheit herausstellenden Führer.
Auch der russische Politologe Wladislaw Leonidowitsch Inosemzew hält Putin für einen faschistischen Herrscher; Russland erfülle nun im Jahre 2022 „mustergültig den Katalog dessen, was Faschismus ausmacht“. Man könne Putin nur verstehen, wenn man davon ausginge, dass er weder Politiker noch Militär ist, sondern ein Geheimdienstler, dem Loyalität, Vertrauen und Netzwerke wichtiger sind als Institutionen. Beim KGB galt, wie in der organisierten Kriminalität, zu der Putin in seiner Leningrader Zeit enge Verbindung gehabt habe, ein „Kult von Macht und persönlicher Loyalität“. Die Kluft zwischen Putins Russland und dem demokratischen Westen sei um das Jahr 2006 entstanden, „als er feststellte, dass es in der atlantischen Welt keine Staatsoberhäupter gab, mit denen er von starkem Mann zu starkem Mann reden konnte“, der Westen aber „andererseits Russland Werte und Verfahren ‚aufzwingen‘ wollte, welche die Macht Putins selbst hätten vernichten können.“
Der Politikwissenschaftler Stefan Meister nannte das Regime um Putin „zunehmend faschistisch“ und ging davon aus, dass Angst die russische Gesellschaft vermehrt prägen werde. Faschismus sei ein aufgeladenes Wort, befand hingegen Robert Gellately: Man könne natürlich Putin „in die eine oder andere Definition von Faschismus hineinzwängen“. Er würde ihn nicht als Faschisten sehen, sondern als jemand, der in einer Zeit voller Gewalt sozialisiert wurde; Gulag, Geheimpolizei, Repression – stets sei sowjetische Gewalt „extrem brutal“ gewesen. Irgendwann würden die Russen die Lügen erkennen und der Polizeistaat werde ihr Alibi für ihr Nichtwissen sein. Ulrich Schmid sagt, der Gedanke des Faschismus liege zwar nahe, aber „das jetzige russische System einfach als faschistisch zu bezeichnen, ebnet wohl mehr ein, als dass wir Konturen erkennen können“. Die Politikwissenschaftlerin Marlene Laruelle kommt in ihrer Analyse des politischen Systems ebenfalls zu dem Ergebnis, dass man es nicht faschistisch nennen könne, denn die Macht stütze sich nicht auf die Mobilisierung der Massen, sondern profitiere im Gegenteil vielmehr von der Atomisierung der Gesellschaft. Die beiden vergleichenden Faschismusforscher Roger Griffin und Stanley Payne (2022) lehnen auch im Kontext des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 eine Einordnung Putins als „Faschisten“ ab, da seine Ideologie nicht revolutionär, sondern reaktionär ausgerichtet sei. Zwar hält Payne fest, dass Putins Regime das seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges „nächstliegende Analogon zum Faschismus in einem großen Land“ darstellen würde. Dem Vergleich mit Mussolini und Hitler hält Payne dennoch entgegen, dass Putin „als Apparatschik aufgewachsen“ und somit „ein Produkt des russischen Staates“ sei, der keine „dynamische und charismatische Bewegung im faschistischen Stil“ aufgebaut habe. Payne konstatiert, Putins politisches System sei „eher eine Wiederbelebung des Glaubensbekenntnisses von Zar Nikolaus I. im 19. Jahrhundert, der Orthodoxie, Autokratie und Nationalität betonte, als eines, das den revolutionären, modernisierenden Regimen von Hitler und Mussolini“ ähnelt. Griffin hält an einer Betrachtungsweise des Putin-Regimes als illiberale Demokratie fest und sieht Russland stattdessen ideologisch in einer Reihe mit Narendra Modis Indien. Man könne jedoch auch einen Vergleich zum ultranationalistischen Regime Japans während des Zweiten Weltkrieges ziehen, das ebenfalls einige Elemente des Faschismus übernahm, ohne aber selbst zu einem authentisch faschistischen Regime zu werden. Anders als beim revolutionären Ultranationalismus der Faschisten, würden diese Staatsführer nicht versuchen, das bisherige System zu zerstören, sondern es stattdessen aushöhlen und in ihrem Sinne benutzen. Ulrich Herbert lehnt eine Charakterisierung des Systems Putins als faschistisch gleichfalls ab, dazu fehle es an einer tragenden Massenbewegung. Vergleiche mit Hitler seien disproportional, es sei falsch jede brutale Rechtsdiktatur als faschistisch zu bewerten.
Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hält Russland für einen neuen Typ eines totalitären Systems, es seien „ein stalinoider Kern und eine faschistoide Außenhülle zu erkennen“. Putin beziehe sich sowohl auf Stalin als Eroberer wie auf ältere Traditionen des russischen Imperialismus, das Konzept der Russki Mir habe er von faschistischen Quellen übernommen. Habe seine Herrschaft bislang auf der Passivität der Gesellschaft beruht, müsser er sie nun propagandistisch und militärisch mobilisieren und ihre Zustimmung erpressen, um den Krieg zu gewinnen. Das führe durch Radikalisierung und Intensivierung der Repression zu „Familienähnlichkeiten“ mit Faschismus und Stalinismus, ohne dass das neue System mit den Vorgängern identisch wäre, weil gewichtige Unterschiede verblieben. Es handele sich dennoch um eine Art Rekombination von Stalinismus und Faschismus, wobei beider Intensität noch nicht erreicht werde. Es lediglich eine Autokratie oder ein illiberales System zu nennen, sei aber eine Verharmlosung.
Die britischen Politikwissenschaftler Nicholas Michelsen, Pablo De Orellana und Filippo Costa Buranelli ordnen Russland unter Putin in eine „reaktionäre Internationale“ der Neuen Rechten ein, zu der sie neben anderen auch Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien, Xi Jinping in China und Marine Le Pen in Frankreich rechnen. Diese würden sich miteinander solidarisieren, wobei sie aber eher pluralistische Werte betonen würden. Dies unterscheide sie von der Solidarität faschistischer Regime in den 1930er und 1940er Jahren.
Politische Willensbildung
Sicherheitsrat der Russischen Föderation
Der Sicherheitsrat der Russischen Föderation (russisch Совет Безопасности Российской Федерации Sowet Besopasnosti Rossijskoi Federazii; englisch Security Council of the Russian Federation, SCRF) ist ein Gremium hochrangiger Politiker zur gemeinsamen Entscheidungsfindung in Sachen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Organisiert als Teil der präsidentiellen Kreml-Administration besitzt er faktisch eine gewisse Autonomie. Er besteht aus 13 ständigen Mitgliedern qua Amtsnähe (z. B. Verteidigungsminister und Außenminister) und 18 vom Präsidenten ernannten Mitgliedern ohne Stimmberechtigung und trifft sich etwa 35 mal im Jahr. Die ständigen Mitglieder allerdings treffen sich wöchentlich unter Vorsitz des Präsidenten. Der Rat verfügt über ein eigenes und stark mit Personal versehenes Sekretariat, das Abstimmungsprozesse zwischen den Akteuren koordiniert und Einblick in deren Planungsprozesse und Operationen hat. Mitarbeiter des Sekretariats werden öfters auf hohe Posten in der Verwaltung befördert. Eine besondere und einflussreiche Rolle spielt der langjährige Sekretär des Rates, Nikolai Patruschew. Wichtige Personen bleiben über Jahre Mitglieder im Rat, selbst wenn ihre Positionen in Verwaltung und Politik sich zwischenzeitlich ändern. 1992 gegründet wurde der Rat zeitweise mit dem früheren Politbüro verglichen und als ein innerer Zirkel beschrieben, allerdings wird heute davon ausgegangen, dass die wichtigen Entscheidungen nicht im Rat selbst, sondern in noch kleinerem Rahmen vorbereitet werden. Über Zugehörigkeit zum Rat entscheidet letztlich immer der Präsident, der Rat ist ein Ort wo Elitenakteure – insbesondere die Silowiki – die Politik abstimmen und etwaige Konflikte lösen. Sicherheitsrelevante Gesetze werden im Rat vorformuliert und in den Gesetzgebungsprozess als Vorschläge eingebracht, die in der Verwaltung und der Duma beachtet werden (nachdem sie von ausgewählten Abgeordneten parlamentarisch eingebracht wurden), Rat und Sekretariat haben eine wirksame Rolle als Agenda-Setter und Koordinierungsstelle inne. So wird die Nationale Sicherheitsstrategie im Rat als Konsens erarbeitet. Der Rat diskutiert allerdings nicht nur sicherheitsrelevante Themen, sondern letztlich alles, was für den Staat wichtig erscheint, auch bei Themen die den Bereich innerer und äußerer Sicherheit verlassen, beeinflusst er zumindest die ideologische Ausrichtung.
Der Entschluss zur Invasion der Ukraine 2022 wurde nicht im Rat getroffen, sondern von einer kleinen Gruppe von Vertrauten Putins, darunter prominente Mitglieder des Sicherheitsrates wie Sekretär Patruschew, der Verteidigungsminister Schoigu, der Generalstabschef Gerassimow, der FSB-Direktor Bortnikow und der Kommandeur der russischen Nationalgarde Solotow. Bei einer öffentlichen Sitzung vor Invasionsbeginn, in der es offiziell um die Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk ging, in Wirklichkeit aber um den Krieg, waren nicht alle Mitglieder des Rates über die Pläne vorab informiert worden. Obwohl „eine Fraktion für die Fortsetzung der Verhandlungen mit den USA und der Nato plädierte“, ließ Putin keinen Widerspruch zu. Laut Fabian Burkhardt sei der Zweck der Sitzung gewesen, die Nichteingeweihten in die Kriegsvorbereitung zu verwickeln und „mitschuldig zu machen“, um sie zu binden. Der Vorgang habe belegt, dass der Rat Putin nicht eingrenzen könne, sondern die Herrschaft in Russland sich radikalisiere und nicht von Institutionen, sondern von Putin als Person ausgehe. Es sei verdeutlicht worden, „wie hochpersonalisiert das autoritäre Regime in Russland ist“.
Politische Parteien und Wahlen
Seit dem Verzicht der KPdSU auf ihre verfassungsmäßige Führungsrolle 1990 vollzog sich ein Wandel von einem diktatorischen Einparteienstaat zu einem Mehrparteiensystem. Es bildeten sich Hunderte von politischen Gruppierungen, Splittergruppen, Bewegungen und Parteien, die ein breites politisches Spektrum von Monarchisten bis hin zu Kommunisten abdecken. Die russischen Parteien sind eher schwach und verfügten selten über eine stabile Identität. Fraglich erscheint, ob eine wirkliche Demokratisierung je stattfand, denn ein Wechsel der Eliten erfolgte nicht: Die früheren Mitglieder und Funktionäre der KPDSU, die Nomenklatura, besetzten weiterhin die Schlüsselpositionen, Wettstreit der Parteien wurde vom Kreml allenfalls zeitweise akzeptiert.
Seit der Parlamentswahl in Russland 1995 unterstützt die Regierung jeweils eine neue, eigene Hausmacht. Diese administrativen, von oben gegründeten „Parteien der Macht“ (партии власти, partii wlasti) sind lose Ad-hoc-Bündnisse, die sich auf Bürokraten stützen, die dem Präsidenten loyal ergeben sind.
Seit der Jahrtausendwende funktionierten einige wenige Parteien als gesellschaftliche Netzwerke, die spezifische Wählergruppen mobilisieren konnten. Von 2008 bis 2011 bestanden in Russland nur sieben Parteien, ein Ergebnis gesetzlicher Regelungen, die für Parteien eine hohe Mindestmitgliederzahl und Niederlassungen in zwei Dritteln der Regionen, faktisch landesweit anordneten. Im Zuge der Demonstrationen zur Parlamentswahl im Dezember 2011 wurde ein neues Parteiengesetz verabschiedet, das die Zulassung neuer Parteien ab einer Mitgliederzahl von 500 Personen erlaubt (bisher 40.000). Nach einer Entscheidung des EGMR zugunsten der regierungskritischen Partei der Volksfreiheit stieg die Zahl der russischen Parteien bis Jahresende 2012 auf 48 an.
Gegenwärtig wird die Politik Russlands von einer einzigen Partei, Einiges Russland (Единая Россия, Jedinaja Rossija), dominiert. Einiges Russland entstand 2001 aus den Parteien Einheit (Единство, Jedinstwo) und Vaterland – ganz Russland (Отечество – Вся Россия, Otetschestwo – wsja Rossija), die sich wiederum zum Teil aus der untergegangenen Partei Unser Haus Russland (Наш дом – Россия, Nasch dom – Rossija) rekrutierten, der Partei von Putins Vorgänger Boris Jelzin. Einiges Russland wurde gezielt und mit Aufwand von Regierungsseite als dominante Partei Russlands aufgebaut, mit über zwei Millionen Mitgliedern stellt sie eine solide Massenbasis. Die Popularität Putins und flächendeckend vorhandene klientelistische Netzwerke lokaler Führungspersonen mit hoher Organisationskraft ermöglichten wiederholte Wahlsiege. Die Partei dient dazu, die das System stützenden Eliten zu integrieren und Politiker in neue Ämter einzuführen. Putin selbst ist Einiges Russland nicht beigetreten, was nach Einschätzung Stefan Meisters seine Abneigung gegen Parteien aufzeigt. Diese „dienen in erster Linie dazu, Unterstützung zu mobilisieren und das existierende System zu legitimieren. Parteien in Russland sind entweder konstruiert, manipuliert oder befriedet.“ Jugendorganisation der Partei ist die sogenannte Molodaja Gwardija, die als Massenorganisation konzipierten und mit der Partei informell verbundenen Naschi wurden 2013 aufgelöst.
Neben dieser großen Partei existieren weitere und Splitterparteien. Zum Parteienkartell des Kreml („a four-party cartel“) wird neben Einiges Russland die Kommunistische Partei der Russischen Föderation, die Liberal-Demokratische Partei Russlands und die sozialdemokratische Partei Gerechtes Russland gerechnet. Daneben gibt es noch außerhalb der Duma die Partei Jabloko, die Patrioten Russlands und Rechte Sache. Parteien wie Gerechtes Russland und Rechte Sache wurden ganz bewusst vom Kreml als Spoilerparteien aufgebaut, um das Elektorat konkurrierender Parteien der Opposition mit verwandten Themen anzusprechen und um diese so zu schwächen. Das Kartell der systemtreuen Parteien ermöglicht dem Kreml eine Kontrolle der Duma, – im „Kartell der systemischen Opposition“ gibt es laut der Politikwissenschaftlerin Petra Stykow nur geringe programmatische Unterschiede und keinen wirklichen ideologischen Wettbewerb um Inhalte, sondern nur den Wettbewerb „von Gruppen, die die Macht haben wollen“, was man „nicht mit einer Demokratie verwechseln“ dürfe. Darüber hinaus dient das Parlament Elitengruppen als Entscheidungsort für Fragen und Konflikte, die der Kreml als nicht so bedeutsam betrachtet, dass er selbst die Entscheidung vorgeben müsste, sowie der Einbeziehung von möglichen Oppositionellen durch Abgeordnetenprivilegien und der Möglichkeit, dass Putin initiierte Vorhaben, die als in der Bevölkerung zu unpopulär erkannt werden, durch sein Veto noch stoppen und sich in der Öffentlichkeit entsprechend inszenieren kann.
Wahlen sind nicht frei, sondern von Manipulationen, Wahlfälschungen und dem Ausschluss oder der strafrechtlichen Verfolgung missliebiger Kandidaten geprägt, während regierungsnahe Kandidaten und Parteien staatlich und medial stark unterstützt werden. Dennoch wäre es falsch, anzunehmen, dass Putin über keinen Rückhalt in der Bevölkerung verfügt, Wahlbetrug war nicht ausschlaggebend für seine Wahlsiege. Manipulierte Wahlen dienen auch nicht primär der Sicherstellung (ungefährdeter) Wahlsiege, sondern der Loyalitätsdemonstration der Klientel des Regimes, der Entmutigung von Oppositionswählern und unzufriedenen Teilen der Elite und damit insgesamt der Konsolidierung des Systems. Um in Legitimität übersetzt werden zu können, muss Unterstützung aus der Bevölkerung aufzeigbar erhalten bleiben.
Da aussichtsreiche Oppositionskandidaten gar nicht auf den Wahllisten geführt, sondern aussortiert wurden, griff die Opposition um Alexei Nawalny 2018 – nachdem er als Präsidentschaftskandidat nicht zugelassen worden war – auf das Konzept des „Smart Voting“ zurück: Stimmen konzertiert und taktisch an die jeweils aussichtsreichste Partei bzw. solche Kandidaten zu geben, insofern diese Partei nicht Einiges Russland ist und die Kandidaten von ihr nicht gestützt werden. Ziel des Konzeptes war u. a. eine Mobilisierung apathischer Bevölkerungsteile. Das führte in einigen regionalen Wahlen dazu, dass Einiges Russland spürbar weniger Stimmen als erwartet erhielt, in Tomsk, wo Nawalny die Korruption der örtlichen Eliten enthüllt hatte, verlor die Partei sogar die Mehrheit. Das taktische Wählen half besonders den Kommunisten, regionale Abgeordnete dieser eigentlich kremltreuen Partei fanden daran Gefallen und positionierten sich – wie von Nawalny erhofft – stärker gegen den Kreml. 2021 reagierte der Staat auf das Konzept mit mehr Repression; Suchmaschinen wurde es verboten, zu „Smart Voting“ Seiten zu führen, Nawalnys Organisation wurde als „extremistisch“ bewertet und die russische Führung setzte verstärkt auf Wahlfälschungen.
Nichtregierungsorganisationen
Bis zum Amtsantritt des neuen Präsidenten Wladimir Putin hatten sich die russischen NGOs weitgehend frei von staatlichen Einflüssen entwickeln können. Wahrscheinlich war ihr Einfluss auf den Staat größer als umgekehrt. Das sollte sich schnell ändern. Putin ging sofort daran, die bis dahin zwar nicht autonom agierenden, aber von unterschiedlichen Machtzentren kontrollierten Bereiche der russischen politischen Öffentlichkeit systematisch der Regierung zu unterwerfen. Er nannte das, die „Machtvertikale stärken“ und eine „Diktatur des Rechts“ aufbauen. Hinter diesem Vorgehen steckt die Überzeugung, dass der russische Staat in den 1990er-Jahren kurz vor dem Zerfall gestanden habe und dass das ursächlich mit der Schwäche der Zentralmacht zusammengehangen habe.
Der erste Versuch, die NGOs einzubinden, war die Initiative zu einer großen Bürgerversammlung 2001 im Kreml. Bei dieser Versammlung wurden ausgewählte Themen diskutiert. Allerdings wurden aus Regierungssicht nicht konstruktive NGOs, die sich nicht einfach unterordnen wollten, ausgeschlossen. Dies sollte eine Art „Burgfrieden“ zwischen NGOs und der russischen Regierung darstellen. Jedoch wurde Anfang 2002, trotz Protesten und Verhandlungen, die steuerliche Gleichsetzung von kommerziellen und nichtkommerziellen Unternehmen verabschiedet. Endgültig brach der Frieden, als Michail Chodorkowski verhaftet wurde. Dieser hatte mit seiner Stiftung Offenes Russland begonnen, in großem Maße Projekte von NGOs zu finanzieren, und war somit die letzte Hoffnung auf langfristige und nachhaltige Finanzierung von NGOs im Inland gewesen. Der zweite Bruch war die Rosenrevolution in Georgien, die als Misserfolg der russischen Politik gewertet wurde und in der Wahrnehmung der russischen Regierung ein Werk der vom Westen finanzierten NGOs war. Dies wurde auch beim Machtwechsel in der Ukraine vermutet.
Putin drückte das am 26. Mai 2004 in seiner alljährlichen Ansprache vor beiden Parlamentskammern so aus:
Letztlich blieb das Verhältnis zwischen Regierung und NGOs ambivalent in Putins erster Amtszeit, was aus der Tatsache resultiert, dass marktwirtschaftliche Systeme ein gewisses Maß an Freiheit erfordern. Das Taktieren der Regierung mit den NGOs ist Ausdruck dessen, dass man ein Übergreifen dieser Freiheit ins Politisch-Gesellschaftliche verhindern möchte.
Die zweite Amtszeit war in Bezug auf die NGOs in erster Linie geprägt durch das NGO-Gesetz, mit dem der russischen Regierung weitreichende Kontroll- und Sanktionsinstrumente in die Hand gegeben wurde. Die Rosregistracija überwacht nun die Tätigkeiten der NGOs. Sich dagegen zu beschweren, ist in einer hoch korrupten Gesellschaft wie der russischen, in der Beschwerde- und Berufungsinstanzen insbesondere gegen staatliches Handeln, etwa Gerichte, nur sehr eingeschränkt funktionieren, mit hohem administrativen Aufwand verbunden. Die Registrierungsbehörden setzen verstärkt auf Bestimmungen des Arbeitsrechts, Steuerrechts, Arbeitsschutzes oder Brandschutzes, um staatliches Vorgehen gegen die NGOs zumindest teilweise zu kaschieren.
Am 23. Mai 2015 unterschrieb Präsident Putin ein Gesetz, dank dem es russischen Behörden ohne Vorwarnung möglich ist, internationale NGOs auf eine schwarze Liste zu setzen. Hohe Strafen drohen jedermann, der mit solchen „unerwünschten Organisationen“ in Kontakt tritt. Das Gesetz schränkt die Arbeit der Medien und der Zivilgesellschaft ein. Als ein Fall der Anwendung dieses Gesetzes wurde der Entzug des Abgeordnetenmandates des Jabloko-Politikers Lew Schlosberg bekannt, der 2014 von den Beisetzungen wohl in der Ukraine gefallener russischer Soldaten berichtet hatte.
Im April 2022 wurde deutschen Stiftungen wie auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die zuvor von einer Art „besonderem Verhältnis“ zwischen Deutschland und Russland profitiert hatten, die Registrierung entzogen. Ebenso betraf dies Amnesty International und Human Rights Watch sowie die Carnegie-Stiftung.
Föderale Gliederung
Ebenen und Einteilung
Der russische Föderalismus ist geprägt durch eine Kombination von ethnoföderalen Republiken und territorial-föderalen Gebieten. Bereits unter Präsident Boris Jelzin gab es Versuche, den asymmetrischen „Vertragsföderalismus“ (der Gliedstaaten zeitweise die Möglichkeit gab, ihre Macht mit der Zentrale in Moskau auszuhandeln) einzuschränken, unter Wladimir Putin erfolgte eine Rückkehr zur Zentralisierung und Kontrolle. Die Einteilung des Landes wurde im Wesentlichen aus der Sowjetzeit übernommen, sieht man von der Statusanhebung der meisten Autonomen Gebiete zu Republiken und der Aufteilung der vormaligen Tschetscheno-Inguschetischen ASSR in zwei Republiken ab. Russland gliedert sich nach Artikel 65 der russischen Verfassung in 83 Föderationssubjekte. Dazu zählen 21 Republiken, neun Regionen (Krai), 46 Gebiete (Oblast), zwei Städte föderalen Ranges (Moskau, Sankt Petersburg), ein Autonomes Gebiet und vier Autonome Kreise. Dass ukrainische Gebiete annektiert wurden und als dem Territorium Russlands zugehörig beansprucht werden, wird international abgelehnt. Die Republiken wurden nach den jeweils dominierenden nichtrussischen Volksgruppen definiert, wenngleich ihre Grenzen nicht immer mit den ethnischen übereinstimmen, während die Gebiete in den übrigen, mehrheitlich von Russen bewohnten Teilen des Landes nach rein administrativen Gesichtspunkten gebildet wurden. Territorien, in denen kleinere nichtrussische Minderheiten leben, erhalten den niedrigeren Rang eines Autonomen Gebietes, beziehungsweise Autonomen Kreises. Obwohl alle Föderationssubjekte formal gleichgestellt sind, sind nur die Republiken berechtigt, eine eigene Verfassung zu erlassen. Sie können zudem internationale Verträge unterzeichnen, solange sich diese an die russische Verfassung halten. Besonderheiten der Republiken bestehen zudem in der traditionellen Namensgebung, der Anzahl der Abgeordneten in Regionalparlamenten und spezifischen Gesetzgebungskompetenzen.
Bezogen auf Bevölkerung, Fläche und relativen Wohlstand unterscheiden sich die Föderationssubjekte mitunter erheblich.
Gemeinsam haben sie, dass ihre Steuerhoheit nur „minimal“ existiert und ihre Kompetenzen stark zugunsten der Zentrale beschnitten sind. Geteilte Zuständigkeiten von Föderation und unterer Ebene werden faktisch von Moskau wahrgenommen.
Im Jahr 2000 schuf Präsident Putin per Dekret sieben Föderationskreise, die jeweils mehrere Föderationssubjekte zu einer größeren Einheit zusammenfassen. Ziel dieser Reform war die Stärkung der vertikalen Machtverteilung und eine Verschärfung der Kontrolle über die regionalen Machthaber. Im Jahr 2010 wurde zudem der Föderationskreis Nordkaukasus, durch Ausgliederung aus dem Föderationskreis Südrussland, als achter Föderationskreis geschaffen.
Nach der gewaltsamen und widerrechtlichen Aneignung der Krim durch die Russische Föderation bildete die Krim ab dem 21. März 2014 einen eigenen (neunten) Föderationskreis, der per 28. Juli 2016 aufgelöst und dem Föderationskreis Südrussland angeschlossen wurde.
Neben den genannten zwei hierarchischen föderalen Ebenen (1. Föderationskreis, 2. Föderationssubjekt) gibt es noch eine dritte eigenständige Verwaltungsebene, die der kommunalen Selbstverwaltung (Rajon). Deren administrative Leiter werden von der Bevölkerung direkt gewählt. Die Regionen sind gegenüber den kommunalen Selbstverwaltungsorganen administrativ höherstehend und weisungsberechtigt.
Die Oblaste und Kraje sind im Unterschied zu den Republiken keine Gliedstaaten. Sie verfügen nur über Statuten anstelle von Verfassungen. An der Spitze der Föderationssubjekte steht ein Oberhaupt, Föderationssubjekte werden von dem Leiter der Administration geführt, der im Sprachgebrauch allgemein als Gouverneur wiedergegeben wird. Die gesetzgebenden Körperschaften in den Republiken sind sowohl Einkammer- als auch Zweikammersysteme. In den Gebieten besteht die parlamentarische Vertretung nur aus einer Kammer.
Sonderfall Tschetschenien
Tschetschenien spielt innerhalb des föderalen Systems Russlands eine Sonderrolle, de facto ist es ein „Staat im Staat“, der der russischen Justiz und föderalen Polizeikräften weitgehend entzogen ist. Religionsfreiheit wird im Rahmen einer sunnitisch-islamistischen Herrschaftsideologie nicht länger gewährt. Alleine „der seidene Faden persönlicher Loyalität zwischen Kadyrow und Putin“ bindet die Republik noch an Russland, Kadyrow verfügt über eigene Truppen, deren Loyalität zu Putin er öffentlich demonstriert, deren Existenz aber selbst auch eine Warnung darstellt.
Auswahl und Kontrolle der Gouverneure
Während sich in den ersten Jahren der Russischen Föderation unter Boris Jelzin ein Föderalismus mit regionalen Zentren herausbildete erfolgte unter Putin ein zentralisierender „Prozess sukzessiver Entmachtung der föderalen Institutionen zugunsten der Präsidialadministration sowie der Personalisierung der politischen Macht“.
Zwischen 2005 und 2012 wurden die Gouverneure und Republikoberhäupter nicht mehr von der Bevölkerung gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt. Seit 2012 werden die Kandidaten vom regionalen Parlament nominiert, danach folgt eine Konsultation der Kandidaten mit dem Präsidenten. Anschließend findet eine regionale Wahl statt, in welcher die Kandidaten mindestens 50 % der Stimmen erhalten müssen, um gewählt zu werden. Der Präsident kann die Gouverneure mit der Begründung eines Vertrauensverlustes entlassen. Nach Ansicht Julian Wallers wurde die erneut eingeführte Möglichkeit der Gouverneurswahl aber „durch noch stärkere Wahlmanipulation in den Regionen wieder ausgehöhlt“. Für die Entlassung müssen seit 2020 keine weiteren Begründungen mehr gegeben werden, die Kontrolle des Kreml über die Gouverneure und Regionen wurde damit weiter ausgebaut, so dass die Frage gestellt wurde, ob Russland überhaupt noch als föderaler oder nicht bereits als unitarischer Staat erscheint. Die Verwendung des Titels „Präsident“ für ein Oberhaupt eines Föderationssubjektes wurde explizit untersagt, bezogen war dies auf die Republik Tatarstan, die sich vormals Sonderrechte herausgehandelt hatte. Bei der Auswahl der Gouverneure achtet der Kreml darauf, dass sie zu ihren Regionen möglichst geringe Bindungen aufweisen.
Zwischen 2012 und 2021 fanden 121 Wahlen von Gouverneuren statt, in denen lediglich vier Kandidaten, die nicht in der Gunst Putins standen, ihre Wahlen gewinnen konnten. Nur einer von ihnen blieb letztlich Gouverneur, ein anderer wechselte in die Duma, ein weiterer trat unter Druck zurück; ihm wurde eine erneute Kandidatur verboten, während Sergei Furgal, Oberhaupt der Region Chabarowsk, unter dem Vorwurf zweier Morde, die er in seiner Zeit als Geschäftsmann in Auftrag gegeben haben soll, verhaftet wurde. Seine Verhaftung, Entlassung und das Gerichtsverfahren in Moskau führten in seiner Region zu Massenprotesten von Anhängern, die den Grund für die Verhaftung darin sahen, dass Furgal seine Kandidatur gegen den Willen und gegen den Kandidaten des Kreml aufrechterhalten hatte und in einer Protestwahl tatsächlich gewählt worden war.
Politische Kultur
Menschenrechte
Laut einem im September 2023 vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vorgestellten Bericht, werden Menschenrechte in Russland „systematisch und in eklatanter Weise verletzt“. Als Beispiel führte eine UN-Menschenrechtsbeauftragte die Festnahme und Anklage von 20.000 Anti-Kriegs-Demonstranten, die gegen den russischen Militäreinsatz in der Ukraine protestiert hatten, an. Sie erklärte, dass die Zivilgesellschaft von russischen Behörden mundtot gemacht wurde. Es gebe „keine unabhängigen Medien“ mehr, „zivilgesellschaftliche Organisationen“ wurden „geschlossen“. Von internationalen Bürgerrechtsorganisationen und dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland werden die Einschränkungen der Pressefreiheit seit dem Jahr 2001 kritisiert. Die staatliche Einflussnahme im Bereich des Fernsehens ist komplett; alle landesweit sendenden TV-Stationen sind entweder direkt in staatlichem Besitz oder unter staatlicher Kontrolle. Im Radiobereich ist die Situation ähnlich. Offiziell gibt es zwar keine Zensur durch die Regierung, durch Repressionen und Verbote von regimekritischen Sendern sowie die Eigentumsverhältnisse und teilweise Selbstzensur findet diese aber faktisch statt. Drei von insgesamt sechs Voten beim Treffen des Menschenrechtsrates des Präsidenten im Oktober 2017 hatten den durch die staatlichen Medien und deren Propaganda geschürten Hass in der Gesellschaft beklagt.
Die Tötungsrate in Russland unterlag zwischen 1990 und 2017 ausgeprägten Schwankungen zwischen 30,5 Tötungen (im Jahr 1995) und 9,2 Tötungen (im Jahr 2017) je 100.000 Einwohner. Der Staat schütze die Bürger nicht, klagten 2017 die Nowaja gaseta sowie die geflüchtete Julija Latynina. Auch ist häusliche Gewalt in Russland ein gesellschaftliches Problem. 40 % aller Gewaltverbrechen in Russland werden in den eigenen vier Wänden, innerhalb der Familie, begangen. Diese Gewalt richtet sich insbesondere gegen Frauen. So sterben dadurch in Russland laut Angaben des Innenministeriums 12.000 bis 14.000 Frauen jährlich.
Wiederholt kommt es zu Anschlägen auf Oppositionelle oder Brandanschlägen auf deren Eigentum. Besondere Aufmerksamkeit erregten die Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser 1999, hinter denen man staatliche Täter vermutet. Auch kursierten Listen mit Adressangaben von Oppositionellen im Internet. Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen enden hingegen dort bzw. werden erst gar nicht begonnen, wo sie einflussreiche Politiker berühren. Seit 2015 drohen auch jeder Einzelperson, die sich mit einem improvisierten (oder gar leeren) Protestplakat auf die Straße stellt, bis zu fünf Jahre Haft. In Russland saßen im Jahr 2013 geschätzte 600.000 Menschen in „strenger Lagerhaft“, darunter nicht nur nach Meinung der Menschenrechtsorganisation Memorial auch etliche politische Gefangene. Etwa 140.000 Gefangene waren im Frühjahr 2019 wegen Drogenmissbrauchs in Haft aufgrund des Paragraphen 228.2, dessen Missbrauchsmöglichkeiten schon länger bekannt waren und der durch den Skandal um den Journalisten Iwan Golunow international bekannt wurde. Im August 2020 war die Zahl der inhaftierten Sträflinge, Verdächtigen und Angeklagten in russischen Straf- und Untersuchungshaftanstalten laut dem Bundesgefängnisdienst (FSIN) auf weniger als 500.000 gesunken. Den Angaben der FSIN zufolge wurde das auf den Einsatz alternativer, nicht-inhaftierender Strafen sowie eine Liberalisierung des Strafvollzugssystems zurückgeführt.
Im Dezember 2015 unterschrieb Putin ein Gesetz, wonach das russische Verfassungsgericht auf Antrag der Regierung Urteile internationaler Gerichte außer Kraft setzen kann, was in erster Linie Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) betreffen sollte. Auch für den Kulturbereich wurde eine „nicht greifbare Zensur“ beschrieben.
Homosexualität in Russland ist weitgehend tabuisiert. Die gesetzlichen Regelungen beinhalten unter anderem ein Verbot „homosexueller Propaganda“ (etwa der Regenbogenflagge), was von Kritikern als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, die Versammlungsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit gewertet wird.
Unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung wurden die Freiheiten religiöser Minderheiten stark eingeschränkt. 2016 wurde es Angehörigen nicht registrierter Religionsgemeinschaften verboten, mit anderen über ihre religiöse Überzeugung zu sprechen. Im März 2017 beantragte das russische Justizministerium ein Verbot der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas und all ihrer Aktivitäten, das im April 2017 umgesetzt wurde.
Auf der Krim hat sich die Menschenrechtslage seit der Besetzung durch Russland erheblich verschlechtert. Laut einem Bericht des UNHCHR kommt es immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen und Folter, auch eine außergerichtliche Hinrichtung ist dokumentiert. Am brisantesten ist die Menschenrechtslage seit Jahren im Kaukasus, namentlich in Tschetschenien. Die Überprüfung von Bürgerrechten, z. B. bei Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, findet nach dem Gesetz vor dem Obersten Gerichtshof Russlands statt.
Korruption
Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Russland mit 28 von möglichen 100 Punkten im 2022er-Ranking weltweit auf Platz 137 unter 180 Staaten und an letzter Stelle aller europäischen Staaten.
Im Jahr 2016 ordnete Präsident Putin persönlich für Kontrollbehörden eine „Kontrollpause“ an. Die angeblichen Sicherheitskontrollen hatten kaum je der Sicherheit gedient, sondern zum größeren Umfang der Bereicherung. Ein Durchbrechen der Korruptionsketten sei auch deshalb kaum möglich, weil saubere Beamten kein Geld nach oben abgeben können und deshalb aus dem Amt gedrängt werden oder Posten für ehrliche Beamte wegen Ablösesummen erst gar nicht zugänglich seien, schreibt Jens Siegert, langjähriger Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Nähe zur Staatsmacht ermöglicht Geld und Privilegien: Jelena Tschischowa beschreibt denn auch nicht nur die alltägliche Korruption, sondern auch, wie der Umfang mit der Nähe zur Macht im Kreml zunimmt, und nennt die Gemeinsamkeit: „In einem autoritären Land ist «Freund» ein Schlüsselbegriff.“ Alexei Nawalny und seine Anti-Korruptions-Organisation deckten zahlreiche Fälle von persönlicher Bereicherung und Nepotismus auf höchster Ebene auf, darunter auch die Existenz des sogenannten Palast Putins.
Innere und äußere Sicherheit
Geheimdienste, Militär und Sicherheitsbehörden
Allgemein spielen die sogenannten „Machtstrukturen“ (silowye struktury), worunter bundesstaatliche „Ministerien oder Institutionen mit uniformierten, militarisierten und bewaffneten Einheiten“ verstanden werden und ihr Zusammenspiel zwischen Wettstreit, Machtkämpfen und Kooperation in Russland eine große und kaum zu überschätzende Rolle. Ihr Einfluss auf den Kreml ist überproportional groß, in den Diensten gibt es die gemeinsam geteilte Weltsicht eines vom Westen bedrohten Russlands. Ihre Angehörigen wurden vom einflussreichen Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, mal als „neuer Adel“ Russlands bezeichnet. Die Dienste konkurrieren miteinander, ihre Angehörigen nutzen ihre Machtposition und Machtmittel zur kleptokratischen Bereicherung. Mark Galeotti umschreibt die Dienste als „strategisch geeint und taktisch“ getrennt. Die Macht der Silowiki greift über die Dienste hinaus, wichtige Posten der Verwaltung und in Unternehmen werden oft von ihnen besetzt; Putin agiert zwischen den Diensten und konkurrierenden Gruppen als Schiedsrichter, der sich ihren illiberalen Ansichten dabei annähert. Der wichtige Zugang zum Präsidenten erfolgt in hohem Maße informell und oft eher nach politischen als nach fachlichen Kriterien: Präsidialadministration und Sekretär Patruschew können kontrollieren, welchen Berichten besonderer Raum eingeräumt wird und welchem nicht, gleichfalls hat – oder hatte – auch der Chef des FSO einen auf persönlicher Nähe beruhenden ungeregelt guten Zugang. Eine Fachstelle, die die Informationen der verschiedenen Dienste zusammenführend betrachtet und gewichtet, bevor sie vorgelegt werden, fehlt anscheinend. Einfluss haben auch die Berichte des FSB, selbst zu außenpolitischen Themen, die eher in die Expertise von SWR und GRU fallen würden, welche es aber offenbar schwerer haben mit ihren Einschätzungen zum Präsidenten durchzudringen.
Inlandsgeheimdienst FSB
Der FSB ist der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation. Der russische Name (ФСБ) bedeutet „Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation“.
Dem FSB untersteht – mit Ausnahme der Auslandsspionage und des Föderalen Schutzdienstes – die gesamte Infrastruktur des früheren KGB (Komitee für Staatssicherheit). Seine Aufgaben erstrecken sich vor allem auf den Staatsschutz, die Inlandsspionage, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und den Grenzdienst, wo ihm die paramilitärischen Grenztruppen des FSB unterstellt sind. Er ist der größte der russischen Geheimdienste, ist für das nationale Antiterror-Zentrum zuständig, hat Kompetenzen einer Ermittlungsbehörde und eigene Gefängnisse.
Der FSB ist jedoch kein reiner Inlandsgeheimdienst, sondern er blieb nach dem Zusammenbruch der UdSSR für die Gebiete früherer Sowjetrepubliken zuständig, darunter die Ukraine. Seine für die Ukraine zuständige Fünfte Direktion war für die schweren Fehleinschätzungen zu Anfang der Invasion 2022 mitverantwortlich, was zu (zeitweiligen) Strafmaßnahmen gegen FSB-Offiziere führte.
Der Dienst hat gute Verbindungen ins Innenministerium. Dessen Schwächung durch Gründung der Nationalgarde (der Kompetenzen im Antiterrorkampf übertragen wurden, für den der FSB federführend zuständig ist) benachteiligt insofern auch den FSB.
Der FSB verfügt über die Spezialeinheiten ALFA und Wympel, er wird von Alexander Bortnikow geleitet.
Föderaler Schutzdienst FSO
Der Federalnaja Sluschba Ochrany Rossijskoi Federazii (FSO, russisch Федеральная служба охраны Российской Федерации ‚Föderaler Dienst für Bewachung der Russischen Föderation‘) ist ein Geheimdienst, dessen primäre Hauptaufgabe die Sicherheit des russischen Präsidenten und der russischen Regierung ist. Ihm untersteht das Kremlregiment.
Dem FSO gehören 20.000 Mann an. Abweichend von der physischen Schutzaufgabe hat der FSO nach Mark Galeotti auch eine schwer durchschaubare Bedeutung als Wächter der anderen Geheimdienste gewonnen, er führt sogar eigene Meinungsumfragen durch um Aufschluss über die Meinungsbildung der Bevölkerung zu gewinnen. Er stellt „auch Prognosen und Analysen zur nationalen Sicherheit für den Präsidenten auf“, seine über Bewachungsaufgaben hinausgehenden Kompetenzen stellen ihn in eine Konkurrenzsituation gegen den FSB.
Auslandsgeheimdienst SWR
Die Sluschba wneschnei raswedki (SWR, auch SVR; russisch Служба внешней разведки Российской Федерации, СВР; deutsch Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation) ist der zivile russische Auslandsgeheimdienst.
Er verfügt über 15.000 Mitarbeiter aufwärts und eine für den Schutz russischer Auslandsvertretungen zuständige Sondereinheit Saslon. Er legt großen Wert auf HUMINT und führt dafür auch aufwändig installierte Langzeitagenten. Traditionell wird er nicht von langjährigen Geheimdienstlern, sondern von Karrierebeamten mit externer Erfahrung geführt, momentan von Sergei Naryschkin.
Militärgeheimdienst GRU
Die Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU; russisch Главное разведывательное управление (ГРУ), ‚Hauptverwaltung für Aufklärung‘, ) ist der Militärnachrichtendienst (Военная разведка) des russischen Militärs. Der Dienst ist eine Abteilung des russischen Generalstabs, dem er demzufolge untersteht und verfügt über eigene Spetznas-Einheiten. Ähnlich wie der FSB ist er für Spionageabwehr zuständig, ähnlich wie der SWR betreibt er Auslandsspionage.
Polizei und Innenministerium
Die russische Polizei (russisch полиция polizija) ist föderal organisiert und untersteht dem russischen Innenministerium. Die russische Polizei wurde 2011 gegründet und löste die Miliz als Polizeiorganisation ab. Das Innenministerium erfuhr 2016 einen empfindlichen Machtverlust und verlor die Inneren Truppen an die neugegründete Nationalgarde, bekam dafür aber die Drogenfahndung (Föderaler Dienst für die Kontrolle des Umlaufs von Drogen, bis zu 40.000 Mitarbeiter) und die Fremdenpolizei (Föderaler Migrationsdienst, 42.000 Mitarbeiter) übertragen.
Anfang 2023 verfügte die russische Polizei über 900.000 Polizisten und war damit eine der größten Polizeibehörden der Welt, auf 100.000 Einwohner kamen 630 Beamte, was mehr als doppelt soviel wie in den USA ist. Dennoch tritt aufgrund schlechter Bezahlung und verstärkter Arbeitsbelastung infolge verschärfter Gesetze im Zusammenhang des Ukrainekrieges Personalmangel auf.
Traditionell bringt die Bevölkerung der Polizei nur geringes Vertrauen entgegen, beklagt wurden Korruption und Vermischung mit wirtschaftlichen Interessen und privaten Sicherheitsdiensten. 2011 wurden nur etwa 40 % der Straftaten überhaupt angezeigt.
Paramilitärische Einheiten
Nationalgarde Rosgwardija
Die Nationalgarde (, Umschrift: Rosgwardija, offiziell Федера́льная слу́жба войск национа́льной гва́рдии Росси́йской Федера́ции (Росгвaрдия), Föderaler Dienst der Einheiten der Nationalgarde der Russischen Föderation) von Russland ist eine Gendarmerie, die im Jahr 2016 als Nachfolger der Inneren Truppen des Innenministeriums gegründet wurde. Sie ist ein wichtiges innenpolitisches Machtinstrument und unmittelbar dem Präsidenten der Russischen Föderation unterstellt. Sie übernahm die OMON- und SOBR-Einheiten des Innenministeriums. Befehligt wird die Nationalgarde seit ihrer Gründung von Wiktor Solotow, der als Vertrauter Wladimir Putins gilt.
Das Aufgabengebiet der Nationalgarde reicht vom Schutz der öffentlichen Ordnung, Kriminalitätsbekämpfung über die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bis zur Beteiligung an Territorialverteidigung und dem Grenzschutz. Sie bewacht außerdem kritische staatliche Infrastrukturen.
Sie war an Einsätzen auf der Krim, in Syrien und in Belarus beteiligt, Einheiten der Nationalgarde werden seit Invasionsbeginn 2022 in der Ukraine eingesetzt.
Nach dem CIA World Factbook verfügt die Nationalgarde über schätzungsweise 350.000 Mann aufwärts, das Center for European Policy Analysis (CEPA) schätzte 2022, dass die Nationalgarde aber lediglich über Einheiten von etwa 60.000-70.000 Soldaten verfügt, die sie theoretisch auch in die Ukraine schicken könnte. Sie verfügt über Schützenpanzer, gepanzerte Transportfahrzeuge, Transportflugzeuge und -hubschrauber, sowie über Artilleriegeschütze, nach dem gescheiterten Aufstand Jewgeni Prigoschins und seiner Gruppe Wagner soll die Nationalgarde zusätzlich noch schwere Kampfpanzer erhalten.
Grenztruppen des FSB
Die Grenztruppen Russlands (russisch Пограничная служба ФСБ России) sind die für den Grenzschutz der Russischen Föderation verantwortlichen bewaffneten Kräfte.
Sie gehören nicht zu den Streitkräften Russlands, werden jedoch zur Erfüllung besonderer Aufgaben im Bereich der Landesverteidigung eingesetzt. Sie unterstehen dem Inlandsgeheimdienst FSB. Die Russische Küstenwache ist Teil der Grenztruppen.
Gruppe Wagner und ähnliche Formationen
Die Gruppe Wagner ist eine 2014 äußerlich als Söldnerunternehmen oder PMC gegründete paramilitärische Einheit, die im Widerspruch zu einem gesetzlichen Verbot von Söldnerunternehmen in besonderer Nähe zum russischen Staat steht und mit seinen Strukturen verbunden ist und lange klandestin für ihn handeln konnte, ohne dass die russische Regierung öffentlich Verantwortung übernehmen musste. Mitglieder der Gruppe Wagner waren oder sind in Syrien, Afrika und der Ukraine aktiv, um Interessen des russischen Staates wahrzunehmen. Die Gruppe Wagner weist eine besondere Nähe zum russischen Militärgeheimdienst auf, ihr militärischer Kommandeur Dmitri Utkin war ursprünglich Oberstleutnant im Militärgeheimdienst GRU, ihr Ausbildungsgelände teilte sie sich von Anfang an mit russischen Militäreinheiten, darunter auch eine Einheit der GRU. Sie lässt sich als „halbstaatlicher Akteur“ („semi-state actor“) mit bewusst unklarem legalen Status charakterisieren, ihr Agieren im rechtlichen Dunkelfeld hat für den Auftraggeber Vorteile, etwa den sie bei Bedarf entweder als Privatunternehmen mit eigenen Interesse auftreten oder im Gegenteil neben regulären Einheiten verwenden zu lassen, während das Personal sich tatsächlich weiterhin mit dem russischen Staat identifiziert. Die Mischung politischer mit wirtschaftlichen Interessen des Geschäftsmannes Jewgeni Prigoschin erlaubte Russland in Afrika und Syrien relativ günstig Einfluss zu projizieren, wo die Gruppe Wagner Rohstoffe ausbeutete und lokalen Eliten gegen Gewährung wirtschaftlicher Vorteile Dienste anbot. Wagner steht insofern für ein Zusammenspiel oligarchischer mit staatlichen Interessen Russlands , ebenso wie für eine Privatisierung staatlicher Funktionen, die Wagner als Konkurrent etablierter Strukturen erscheinen lässt und im Widerspruch zu zentralisierter Kontrolle erscheint.
Zu Anfang der Invasion der Ukraine 2022 sollen Presseberichten zufolge mehrere aus Wagner-Soldaten bestehende Kommandos nach hochrangigen ukrainischen Führungsfiguren wie Witali Klitschko und Wolodymyr Selenskyj gesucht haben, drei Anschläge auf Selenskyj sollen verhindert worden sein. Dem Inhaber der Gruppe, Jewgeni Prigoschin, wurde staatlicherseits erlaubt in russischen Gefängnissen Freiwillige anzuwerben, denen großzügige Bezahlung, Leistungen für Angehörige im Todesfall und Begnadigung für Kriegsdienst in der und gegen die Ukraine versprochen wurde, wo die Gruppe relativ eigenständig kämpfte. Zeitweilig bestand die Gruppe Wagner nach Schätzungen aus 50.000 Kämpfern, von denen 40.000 Strafgefangene waren. Russland erlaubte dies zusätzliche Kämpfer zu generieren, ohne dafür auf die Normalbevölkerung zurückgreifen zu müssen. Ihre Teilnahme unter menschenverachtenden Praktiken führte zur Eroberung Bachmuts, aber auch zu außerordentlich hohen Opferzahlen auf der eigenen Seite.
Die Rolle von Wagner als Kampfverband in der Ukraine verdeutlichte ihre Staatsnähe, 2023 versuchte Verteidigungsminister Schoigu die Gruppe durch einen Vertrag stärker an sein Ministerium zu binden, die Gruppe putschte jedoch um eine stärkere Integration in die Befehlskette des Verteidigungsministerium zu verhindern. Ihre Zukunft nach dem gescheiterten Aufstand und dem Tode ihrer wichtigsten Führer ist ungewiss, jedoch versucht der russische Staat unter Putin sich zumindest ihre Kampfkraft zu erhalten, oder sie unter neuen Vorgesetzten fortzuführen. Auch Wagners außenpolitische Rolle ist für den russischen Staat erhaltenswert. Nachdem jahrelang jede Verbindung zum Staat geleugnet worden war, gab Putin zu, die Gruppe Wagner seit ihrer Gründung finanziert zu haben. Von Mai 2022 bis Mai 2023 - so erklärte Putin - habe der russische Staat Wagner 86 Milliarden Rubel gezahlt (entspricht etwa 940 Millionen US-Dollar).
Neben Wagner gibt es noch weitere Militärfirmen unterschiedlicher Größe, die mit Duldung oder Unterstützung des russischen Staates agieren, die ukrainische Osint-Organisation molfar zählt 37 verschiedene PMCs, darunter allerdings auch einige bereits eingestellte. Inhaber können Firmen wie Gazprom sein, das gleich über zwei solche Einheiten verfügen soll, aber auch Politiker, wie der Gouverneur der Krim, Sergei Aksjonow, dem die Gruppe Convoy zugeordnet wird, die in Kherson operiert. Verteidigungsminister Schoigu selbst werden Milizen wie die Gruppe Patriot zugeordnet. Der Gruppe Redut des Oligarchen Gennadi Timtschenko wird die Chance bzw. die Aufgabe zugeschrieben, Wagner zu beerben.
Verteidigungspolitik
Militärdoktrin
Mit der Unterschrift Präsident Putins trat am 31. Dezember 2015 Ukas 683 und damit eine neue Militärdoktrin in Kraft, welche erstmals die USA sowie deren Alliierte, die NATO und die EU als Bedrohung für Russland und seine Nachbarn benannte. Im März 2018 widmete Präsident Putin ein Drittel seiner Rede an die Nation der Präsentation angeblich unbesiegbarer Nuklearwaffen.
Nach Vermutung des amerikanischen Verteidigungsministeriums und verschiedener westlicher Wissenschaftler und Analytiker sieht die russische Nuklearstrategie im Falle eines militärischen Konfliktes in Osteuropa begrenzte nukleare Schläge in Europa vor, ausgehend von der Annahme, dass die USA zu einer umfassenden gleichartigen Antwort nicht bereit seien. Die Strategie sehe insofern vor, atomar begrenzt zu eskalieren, um dann deeskalieren zu können. Die Entwicklung und Stationierung neuer taktischer Atomwaffen (etwa in Kaliningrad) deute auf diese Strategie ebenso hin wie die Integration simulierter Atomschläge in konventionelle Großmanöver der russischen Streitkräfte.
In Folge der Invasion der Ukraine 2022 nutzte Russland die Drohung mit Nuklearwaffen, um sein aggressives Vorgehen gegenüber dem Westen abzusichern. Nuklearwaffen erscheinen damit nicht mehr allein als Mittel der Abschreckung von Angreifern, sondern als Schutzschild für imperiales Ausgreifen. Insbesondere die angekündigte Verlegung von Atomwaffen nach Belarus im Rahmen einer nuklearen Teilhabe wird als Signal an den Westen, insbesondere an Polen interpretiert. Diese nicht allein defensive Art der Abschreckung deckt sich nicht mit dem was Russland über seine Nukleardoktrinen zuvor veröffentlicht hatte.
Militär
Allgemein
In Russland gilt eine allgemeine Wehrpflicht, bisher für wehrfähige Männer ab 18 bis maximal 27 Jahren. 2023 wurde das Wehrpflichtalter per Gesetz von der Duma auf 30 Jahre erhöht, um den Bedarf an Soldaten im Krieg gegen die Ukraine zu decken. 2007 war sie von 24 auf 18, 2008 dann auf 12 Monate verkürzt worden. Da die wehrpflichtigen Soldaten früher auch in Krisengebieten wie Tschetschenien eingesetzt wurden und es im Rahmen der Dedowschtschina nicht selten zu Misshandlungen von jungen Rekruten durch Vorgesetzte kommt, gibt es in der Bevölkerung, besonders durch die Mütter Wehrpflichtiger, immer wieder Kritik an der Wehrpflicht.
Innerhalb des Militärs spielen ethnische und religiöse Unterschiede eine große und steigende Rolle. So sind immerhin 15 % der Soldaten insgesamt Moslems (deren Anteil an der Bevölkerung stark zunimmt), dies findet aber in höheren Positionen keinen Niederschlag, dort beträgt der Anteil ethnischer Russen (und Ukrainer) 90 %. Ethnisch russische Einheiten werden gegenüber solchen aus Minderheiten materiell bevorzugt, es findet innerhalb des Militärs eine starke Betonung des orthodoxen Bekenntnisses und seiner Verbindung mit der russischen Nation statt.
Seit mehreren Jahren nehmen die Militärausgaben stark zu. Im Jahr 2018 gab Russland 61,4 Mrd. Dollar für sein Militär aus. Es lag damit im internationalen Vergleich hinter den Vereinigten Staaten mit 649 Mrd. Dollar, der Volksrepublik China mit 250 Mrd. Dollar, Saudi-Arabien mit 67,6 Mrd. Dollar, Indien mit 66,5 Mrd. Dollar und Frankreich mit 63,8 Mrd. Dollar auf Platz 6, gefolgt vom Vereinigten Königreich und Deutschland. Die schon ab 2000 massiv gestiegenen Rüstungsausgaben Russlands hatten sich von 2004 bis 2014 verdoppelt und orientierten sich am Ziel eines Fünftels der gesamten Staatsausgaben ab 2014. Von 2021 bis 2022 stiegen die Ausgaben dann sprunghaft von 65,9 Mrd. auf 86,4 Mrd. US-Dollar. 2022 rückte es damit hinter den USA und China auf den Platz des Landes mit den dritthöchsten Militärausgaben vor. Russland gab 2022 4 % seines BIP für das Militär aus.
Militärisch wird die Stärke Russlands 2023 von Global Firepower auf dem zweiten Platz hinter den USA gesehen.
Gegenwärtige Situation (ab Februar 2022)
Die Informationslage über die Zahlen zum militärischen Personal ist weitestgehend unklar. Bis zum Ukrainekrieg im Februar 2022 verfügten die Streitkräfte über ca. 850.000 Mann. Davon entfielen 300.000 Mann auf das Heer, 40.000 auf die Luftlandetruppen, 150.000 Mann auf die Marine, 160.000 Mann auf die Luftwaffe, 70.000 Mann auf die Strategischen Raketentruppen, 20.000 Mann auf die Spezialkräfte und 100.000 weitere Soldaten für Stabsaufgaben, Cybereinsätze, Unterstützung und Logistik.
Zusätzlich verfügt die Nationalgarde nach dem CIA World Factbook über schätzungsweise 350.000 Mann aufwärts, teilweise in militärisch verwendungsfähigen Einheiten. Gleichfalls lassen sich Angehörige der Gruppe Wagner und ähnlicher semistaatlicher Milizen zum militärischen Personal Russlands zählen.
Nach Invasionsbeginn reagierte die Staatsführung auf den gestiegenen Personalbedarf mit der Schaffung von Freiwiligenbataillonen, die von den Gouverneuren in den Regionen aufgestellt werden sollten. Militärische Vorkenntnisse wurden dabei nicht verlangt, die Bezahlung jedoch war ebenso wie das erlaubte Rekrutierungsalter (bis 50 Jahre, in Sonderfällen auch bis 60) deutlich höher als bei regulären Soldaten und Wehrpflichtigen.
Im August 2022 ordnete Präsident Putin per Dekret die Vergrößerung der Armee um 137.000 auf 1,15 Millionen Soldaten ab 2023 an.
Im September 2022 ordnete die Regierung die Einberufung hunderttausender Reservisten und damit die erste Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg an.
2023 wurde bekannt, dass Verteidigungsminister Sergei Schoigu auf Anweisung Putins die Personalstärke des russischen Militärs noch einmal von 1,15 Millionen auf 1,5 Millionen Soldaten erhöhen soll. Unter anderem sollen ein neues Armeekorps an der Grenze zu Finnland und weitere zwölf Divisionen aufgestellt werden, Dmitri Peskow begründete den erneuten Ausbau der Streitkräfte mit dem „Stellvertreterkrieg“, den der Westen gegen Russland führe.
Atomstreitkräfte
Der russische Staat besitzt den 1949 noch als Sowjetunion erlangten Status einer anerkannten Atommacht und verfügt mit 5977 Stück über das weltweit größte Arsenal an nuklearen Sprengköpfen, vor den Vereinigten Staaten mit 5428 (Stand: Januar 2022).
Russland verfügte nach westlichen Informationen im Jahr 2021 über 6.255 Atomsprengköpfe. Im Jahr 2015 wurden neue Raketen für die Nuklearstreitkräfte angekündigt. Die „stationierten“ Atomsprengköpfe stiegen von 1.400 im Jahr 2013 auf 1.796 im Jahr 2016. Die Zahl der stationierten Sprengköpfe stieg damit aufgrund neu eingeflotteter U-Boote gegenüber dem Inkrafttreten des New-START-Abkommens im Jahr 2011.
Nach dem SIPRI Institut verfügt Russland 2023 mit 4.489 über die größte Anzahl an atomaren Sprengköpfen aller Staaten, von denen aber nur 1.674 einsatzbereit sind, während die übrigen eingelagert werden.
Katastrophenschutz und Zivilverteidigung
Das militärisch organisierte Katastrophenschutzministerium ist für Hilfe bei Naturkatastrophen und großen Unglücksfällen zuständig, ebenso wie für die zivile Verteidigung. Es führt landesweit die in Berufs- und freiwillige Wehren organisierte Feuerwehr.
Feuerwehr
In der Feuerwehr in Russland waren im Jahr 2019 landesweit 271.000 Berufs- und 956.600 freiwillige Feuerwehrleute organisiert, die in 18.322 Feuerwachen und Feuerwehrhäusern, in denen 22.735 Löschfahrzeuge und 1.326 Drehleitern bzw. Teleskopmasten bereitstehen, tätig sind. Der Frauenanteil beträgt 14 %. In den Jugendfeuerwehren sind 262.354 Kinder und Jugendliche organisiert. Die russischen Feuerwehren wurden im selben Jahr zu 1.161.581 Einsätzen alarmiert, dabei waren 471.426 Brände zu löschen. Hierbei wurden 8.559 Tote von den Feuerwehren bei Bränden geborgen und 9.461 Verletzte gerettet. Die Landesbrandaufsicht Федеральный государственный пожарный надзор, vertreten durch den staatlichen Brandinspektor (auch Chief State Inspector der Russischen Föderation für Brandüberwachung, russisch Российская Федерация по пожарному надзору), die dem Ministerium für Notsituationen МЧС роии unterstellt ist, repräsentiert die russischen Feuerwehren im Weltfeuerwehrverband CTIF.
Außenpolitik
Außenpolitische Situation
Nach dem Ende der Sowjetunion ist Russland darum bemüht, seinen Einfluss in der Welt, aber insbesondere in seiner direkten Nachbarschaft zu konsolidieren. Hierbei verfolgt Russland die Idee einer multipolaren Weltordnung, in der Großmächte eigenverantwortlich ihre nationalen Interessen vertreten. Russland ist in eine Anzahl regionaler Konflikte verstrickt, von denen viele kriegerischen Charakter haben und nur teilweise oder noch gar nicht gelöst wurden – darunter die Tschetschenienkriege (1994 bis 2009), der Krieg in Georgien um Abchasien und Südossetien (Kaukasuskrieg 2008), der Konflikt in Transnistrien in Moldau (seit 1990) und zuletzt der Krieg in der Ukraine, der mit der Annexion der Krim begann.
Im außenpolitischen Konzept sieht sich Russland als Großmacht, die selbstständig nationale Interessen verfolgt. Der Großmachtanspruch leitet sich in erster Linie aus Russlands imperialem Erbe und zweitens aus seinem bedeutenden Arsenal an Atomwaffen ab. Seinen Einfluss generiert Russland daneben über die militärischen Streitkräfte (derzeit ca. 1.000.000 Soldaten, Militärbasen in verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken und in Syrien (Marinebasis Tartus)), Rüstungsexporte, die Vollmitgliedschaft mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat und die Stellung als bedeutender Energielieferant. Darüber hinaus bestehen jedoch enorme Schwierigkeiten, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Dies rührt insbesondere aus der ökonomischen Schwäche her. Daneben verfügt es im Gegensatz zur Sowjetunion nicht mehr über ein attraktives Herrschafts- und Kultursystem. Die Möglichkeit, militärische Macht in politischen Einfluss umzuwandeln, ist auf Russlands unmittelbare Umgebung beschränkt. Es fehlt Russland an verlässlichen Verbündeten, wie die Nichtanerkennung Abchasiens und Südossetiens durch die restlichen GUS-Staaten zeigt.
Die politische Führung in Moskau drängt auf die Prärogative des UN-Sicherheitsrats. Ein Beispiel hierfür ist die Forderung, dass die NATO nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrats tätig werden soll. Selbst besteht die Führung Russlands aber auf dem Recht, unilateral handeln zu dürfen, was das Verhalten im Georgienkrieg belegt. Um seinem Ziel näher zu kommen, sieht sich Russland nach Gegenpolen zu den USA um. Besonders Asien gewinnt dabei eine stetig wachsende Bedeutung. Die BRICS werden im außenpolitischen Konzept als strategische Partner betrachtet. Während Russland und Indien traditionell gute Beziehungen pflegen und diese weiter ausgebaut haben, hat sich das russisch-chinesische Verhältnis durch die Lösung alter Spannungen stetig verbessert. Abgesehen vom gemeinsamen Ziel, der weltpolitischen Dominanz des Westens etwas entgegenzusetzen, stehen vor allem Wirtschafts- und Rüstungsprojekte sowie russische Rohstofflieferungen im Vordergrund der Kooperation.
Generell sieht sich Russland seit etwa 2004 durch die NATO-Osterweiterung und einen zunehmenden Einfluss der USA auf die eigene geostrategische Interessensphäre bedroht. Dabei wird Russland vorgeworfen, destabilisierende Methoden zur außenpolitischen Einflussnahme einzusetzen. Dazu gehören beispielsweise Cyberangriffe, Beeinflussung von Wahlkämpfen und die Untergrabung von Beistandsverpflichtungen.
Russland gewährte 2013 dem US-amerikanischen Whistleblower Edward Snowden eine Aufenthaltserlaubnis.
Putin war der einzige Präsident Russlands, der Israel besuchte. Laut Matthias Vetter positionierten seine Partei und er sich wiederholt gegen jeden Form des Antisemitismismus. Laut Jason Stanley verwendet Putin „antisemitische Schlüsselelemente einer weltweit vernetzten Rechten, die in Putin ihren Führer“ sehe; er sei „selbst ein faschistischer Autokrat, der demokratische Oppositionsführer und Kritiker inhaftiert“. Putin spreche christliche und andere Nationalisten im Westen gezielt an, um die Demokratien insgesamt zu treffen.
Drohungen mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen
Im Zusammenhang mit der 2022 gestarteten Invasion der Ukraine wurde aus der russischen Führung und ihr nahestehenden Kreisen wiederholt mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen gedroht. Dies wurde so bewertet, dass Russland solche Drohungen zur Erreichung außenpolitischer Ziele einsetzt. Inwieweit Russland tatsächlich zu einem Einsatz von Atomwaffen – in der Ukraine oder gegen westliche Länder – bereit ist, wird debattiert. Befürchtet wird jedoch, dass bereits die Drohung die globale Ordnung destabilisiert.
Beziehungen
Mitgliedschaften
Russland ist ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, aller UN-Nebenorganisationen, der OSZE und zudem Mitglied der EBRD sowie des IWF und der Weltbank. Beim G8-Gipfel im Mai 1998 wurde Russland formal in die damalige Gruppe der Sieben (G7) aufgenommen; diese wurde dadurch zur G8. Im März 2014 schlossen diese Sieben Russland wegen des Krieges in der Ukraine wieder aus der G8 aus. Am 15. März 2022 kam Russland einem Ausschluss aus dem Europarat zuvor, indem es seinen Austritt ankündigte.
Unter Putin gewannen zwei Sicherheitsorganisationen besonderes Gewicht – die Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit (OVKS) und die Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SOZ):
Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit zielt auf eine engere Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen, wie auch auf eine gemeinsame Verteidigung im Falle eines Angriffes (Artikel 4 des Vertrags) ab. Ursprünglich eine sicherheitspolitische Institution der GUS, wurde die OVKS 2002 zu einer eigenständigen sicherheitspolitischen Organisation mit dem Fokus auf Zentralasien aufgewertet. Mitgliedstaaten neben Russland sind: Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan. Auf russische Initiative wurde 2009 im Rahmen der OVKS eine schnelle Eingreiftruppe geschaffen, die in Krisensituationen eingesetzt werden kann.
Hauptziel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, zu der auch China gehört, ist die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und guter nachbarschaftlicher Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Neben dem Ausbalancieren der sicherheitspolitischen Interessen Russlands und Chinas in Zentralasien soll sie auch der Durchsetzung gemeinsamer Sicherheitsinteressen in der Region dienen. Ursprüngliches Ziel Russlands und Chinas war es, durch sicherheitspolitische Kooperation die USA aus der Region herauszuhalten.
Beziehung zum „Nahen Ausland“
Die Auflösung der Sowjetunion stellte Russland zunächst vor die Aufgabe, das Verhältnis zu den aus Russlands Sicht oft als „Nahes Ausland“ (ближнее зарубежье) bezeichneten Nachfolgerepubliken neu zu gestalten. Die aus der Sowjetzeit geerbten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Republiken erforderten eine neue rechtliche Form der Kooperation und der Integration. Zugleich waren für Russland zahlreiche Objekte von strategischem Interesse, die nun außerhalb der Russischen Föderation lagen. Hierzu zählten u. a. der Weltraumbahnhof Baikonur, militärstrategische Einrichtungen in Aserbaidschan und Belarus sowie der Flottenstützpunkt der Schwarzmeerflotte in Sewastopol.
Zur Nachfolgeorganisation der Sowjetunion wurde die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der zunächst 12 der 15 ehemaligen Sowjetrepubliken beitraten. Dieser eher lockere Staatenbund hat jedoch bis zur heutigen Zeit seine Bedeutung weitgehend eingebüßt. Mit Belarus hat sich Russland in der Russisch-Belarussischen Union zusammengeschlossen, auf die sich Boris Jelzin mit Aljaksandr Lukaschenka (belarussischer Staatspräsident seit 1994) verständigte. Nach Einschätzung von Politologen hing ihre Entwicklung jedoch stark mit persönlichen Ambitionen Lukaschenkas zusammen, der Nachfolger Jelzins in einem künftigen Unionsstaat zu werden. Als nach Jelzin 1999 Wladimir Putin russischer Präsident wurde, kühlte sich das Verhältnis zu Belarus ab, dem Putin einen Beitritt zur Russischen Föderation vorschlug. Bis 2011 verlief die weitere Integration sehr schleppend, viele Projekte wie die gemeinsame Währung wurden nicht umgesetzt. Die Beziehungen waren vielmehr von Energiekonflikten überschattet. 2011 trat Belarus jedoch der gemeinsamen Zollunion mit Russland und Kasachstan bei, die bereits seit 2000 im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft in Planung war. Zu den weiteren Zielen dieser Gemeinschaft zählt ein gemeinsamer Wirtschaftsraum und die Schaffung einer politischen Union, die für weitere Staaten des postsowjetischen Raumes offensteht.
Beziehungen zur Ukraine
Russland hatte schon immer ein ambivalentes, spätestens ab 2014 ein stark gespanntes Verhältnis zur seit 1991 unabhängigen Ukraine. Trotz enger historischer und kultureller Verbindungen und einer fortbestehenden wechselseitigen Abhängigkeit, besonders in Energiefragen, haben geschichtsbezogene Meinungsverschiedenheiten (vgl. Holodomor) sowie der erklärte Westkurs der Ukraine das Verhältnis schwer belastet. Vor allem westlich orientierte Regierungen der Ukraine wurden von Russland wiederholt unter Druck gesetzt, so zum Beispiel nach der Präsidentschaftswahl in der Ukraine 2004, als es zum russisch-ukrainischen Gasstreit kam.
Bereits im Jahr 2009 war in ukrainischen Medien offen über die Möglichkeit eines militärischen Angriffs durch Russland diskutiert worden. Nach der Flucht und der folgenden Absetzung des russlandfreundlichen Präsidenten Wiktor Janukowytsch und der Revolution des Euromaidan (November 2013 bis Februar 2014), bei dem sich die Demonstranten für eine Westorientierung der Ukraine aussprachen, kam es mit der Annexion der Krim zum Ausbruch des russisch-ukrainischen Kriegs. Zudem kämpften ab 2014 sogenannte „Separatisten“ für eine Autonomie in der Ostukraine (siehe Krieg im Donbas). Diese wurden durch Russland personell und militärisch unterstützt. Im Rahmen des Konflikts kam es auch zum Abschuss des Fluges MH17 im Juli 2014 in der Oblast Donezk. Im Februar 2022 startete Russland einen Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine, am 30. September 2022 wurden weite Teile der Süd- und Ostukraine annektiert.
Beziehung zur Europäischen Union
Als Antwort auf die Annexion der Krim 2014 wurden von der Europäischen Union Sanktionen gegen Russland ergriffen. Dabei geht es vorwiegend um bestimmte Ausrüstungen für die russische Öl- und Gasindustrie, zudem wird verschiedenen russischen Finanzinstituten der Zugang zum Finanzmarkt erschwert. Der Beschluss dieser Sanktionen erfolgt jeweils befristet für ein halbes Jahr (letztmals bis Januar 2019) und bedarf der Einstimmigkeit des Rates der Europäischen Union.
Im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine verhängte die EU massive Sanktionen gegen Russland, infolgedessen kam es auch zu Gegenreaktionen seitens Russlands.
Deutsch-russische Beziehungen
Deutsche waren die ersten „westlichen“ Europäer, mit denen Russland intensiver in Kontakt kam. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts bestand der Peterhof in Nowgorod als Handelsniederlassung der Hanse. Zu militärischen Auseinandersetzungen kam es seit dem 12. Jahrhundert mit dem Schwertbrüderorden in Livland.
Die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschen und Russen waren besonders eng unter Peter dem Großen. Russische Deutsche haben einen großen Beitrag zur Entwicklung der russischen Kultur geleistet, beispielsweise Kaiserin Katharina II., Admiral Adam Johann von Krusenstern, der Militäringenieur Graf Eduard Iwanowitsch Totleben, der Musiker Swjatoslaw Teofilowitsch Richter und viele andere. Der historische Beitrag Deutschlands wird daher bis heute in Russland anerkannt und geschätzt. Auch politisch blickten Deutschland und Russland bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf lange Bündnistraditionen zurück. Insbesondere das Königreich Preußen lehnte sich seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 bis zur deutschen Reichsgründung von 1871 eng an das russische Zarenreich an, da es zweimal in seiner Geschichte letztlich durch Russland vor der fast völligen Vernichtung bewahrt worden war – 1762 durch den Seitenwechsel Zar Peters III. im Siebenjährigen Krieg und 1807 durch die Fürsprache Zar Alexanders I. bei Napoleon im Frieden von Tilsit. Während der Befreiungskriege kämpften Russen und Deutsche gemeinsam gegen die französische Fremdherrschaft. So waren russische Soldaten maßgeblich an der Befreiung Deutschlands beteiligt. Die „Allianz der drei Schwarzen Adler“ – Russland, Österreich und Preußen –, die bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestanden hatte, setzte sich in der Folge nach dem Wiener Kongress als Heilige Allianz fort. Die schweren kriegerischen Auseinandersetzungen im 20. Jahrhundert haben bis heute Nachwirkungen. Die rechtliche Grundlage der Beziehungen des wiedervereinigten Deutschlands und der Russischen Föderation bilden der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990, der Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9. November 1990 sowie die gemeinsame Erklärung des russischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers vom 21. November 1991. Im Zeichen der friedlichen deutschen Wiedervereinigung war die deutsche Seite einerseits dankbar für die problemlose Abwicklung der Folgeauswirkungen, andererseits fühlte sich Deutschland als Impulsgeber und Motor für eine stärkere Integration Russlands in europäische Strukturen und warb für Kredite und Investitionen in Russland. Ab der Kanzlerschaft Gerhard Schröders und dem Wirtschaftsaufschwung in Russland unter Wladimir Putin intensivierten sich die deutsch-russischen Beziehungen insbesondere im Bereich der Wirtschaft, aber auch beim politischen Dialog. Ab 1998 fanden jährlich bilaterale Regierungskonsultationen auf höchster Ebene unter Beteiligung beider Regierungen statt.
Es gab in Russland zwischenzeitlich mehr als 6.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung, einschließlich mehr als 1.350 russisch-deutscher Joint Ventures.
Zwischen Deutschland und Russland entwickelte sich ein enger kultureller und bildungspolitischer Austausch. 2003 wurde ein Regierungsabkommen zur Förderung des gegenseitigen Erlernens der Partnersprache abgeschlossen. Rund 12.000 junge russische Staatsbürger studierten an deutschen Hochschulen. Im April 2005 wurde eine gemeinsame Erklärung für eine strategische Partnerschaft auf dem Gebiet der Bildung, Forschung und Innovation unterzeichnet. Ab 2006 gab es Koordinierungsbüros in Hamburg und Moskau für den bilateralen Schüler- und Jugendaustausch. Das Goethe-Institut ist an vielen Orten in Russland präsent, in Moskau, St. Petersburg und seit Frühjahr 2009 in Nowosibirsk. Daneben sind zahlreiche weitere deutsche Kulturmittler in Russland vertreten.
Frank-Walter Steinmeier war in seiner Zeit als Bundesaußenminister Architekt einer engen Zusammenarbeit mit Moskau, dem er 2008 eine „Modernisierungspartnerschaft“ anbot, von der er sich eine Liberalisierung Russlands in Richtung einer „offenen Gesellschaft“ versprach. Daran hielt er fest, auch wenn früh Zweifel daran auftauchten, ob eine solche Liberalisierung in Moskau überhaupt gewünscht werde. Der Planungsstab des Ministeriums unter Markus Ederer erfand die Formulierung „Annäherung durch Verflechtung“ – angelehnt an Egon Bahrs berühmte Formel „Wandel durch Annäherung“. In Arbeitspapieren wurde das Ziel festgehalten, eine „irreversible“ wirtschaftliche „Verflechtung“ beider Länder zu erreichen. Zweifel aus dem eigenen Hause an Putin wehrte Steinmeier ab. Er glaubte, dass der Wechsel zu Präsident Medwedew diesen tatsächlich zum zukünftig starken Mann in Russland gemacht habe, obgleich Mitarbeiter im Auswärtigen Amt diese Annahme für „absurd“ hielten. Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 versuchte er seine Vorstellung von einer Modernisierungspartnerschaft zur Politik der EU zu machen. 2014 stellte Steinmeier dann fest, dass die im Jahre 2008 vorgeschlagene Modernisierungspartnerschaft aufgrund der formulierten Voraussetzungen (wie etwa einer offenen Zivilgesellschaft) von der russischen Seite ausgeschlagen worden war.
Obwohl die Tendenz stieg, hatten 2011 trotz starker Wirtschaftsbeziehungen und eines bedeutenden Austausches zwischen den Zivilgesellschaften nur ein Drittel der Deutschen Russland als Partnerland vertraut. Dies lässt sich auf die Rolle der Medien zurückführen, die einen entscheidenden Einfluss bei der Wahrnehmung Russlands haben (vgl. Russlandberichterstattung in Deutschland). Bis zum Amtsantritt Wladimir Putins herrschte in den deutschen Medien das Bild eines „armen“ und „unberechenbaren“ Russlands vor. Durch die wirtschaftliche Stabilisierung nach der Jahrtausendwende und hohe Einkommen aus den Ölvorkommen verschwand dieses Bild allmählich. An seine Stelle rückte die Angst vor Putins Energie-Imperium und der Abhängigkeit von ihm. Die Berichterstattung der politischen Situation in Russland wurde durch die Stagnation der Medien und deren Personalabbau zuweilen als zu wenig differenziert wahrgenommen; Präsident Medwedew galt den Einen als „liberal“, den anderen als Präsident eines Landes, welchem ein Umsturz bevorstand.
2007 hatte Putin in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz generell die NATO-Osterweiterung als Bruch westlicher Zusagen bezeichnet, 2008 trennte Russland im Gefolge des Kaukasuskrieges Gebiete von Georgien ab. Das Verhältnis zu westlichen Staaten verschlechterte sich zusehends. Die Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti beklagte eine im Herbst 2012 beginnende Abkühlung der russisch-deutschen Beziehungen, als der Bundestag eine Resolution mit Kritik an Russlands Innenpolitik verabschiedete. Die Putin-Regierung betreibt seit Mai 2012 eine „nationalpatriotische und gegen westliche Einflüsse gerichtete Politik“.
Im Februar 2014 kritisierte Russland die deutsche Rolle beim Euromaidan in der Ukraine. Im Verlauf der Annexion der Krim und des Russisch-Ukrainischen Kriegs zeigte sich, dass russische Geheimdienste zunehmend versuchen, mittels gezielter Infiltration sozialer Netzwerke wie Facebook sowie der Kommentarbereiche westlicher, auch deutscher Onlinemedien (betroffen sind etwa die Deutsche Welle und die Süddeutsche Zeitung), die öffentliche Meinung im Ausland zu Gunsten Russlands zu manipulieren. Wie die Süddeutsche berichtet, sind zu diesem Zweck hunderte bezahlte Manipulatoren im Einsatz.
Unmittelbar nach der Annexion der Krim 2014 wurden in der Europäischen Union Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Als Folge brach der deutsch-russische Handel binnen Monaten um rund ein Drittel ein. Im Sommer 2017 wurden die Sanktionen wiederum verschärft.
2019 wurde in Berlin ein Tschetschene georgischer Staatsbürgerschaft ermordet, unmittelbar danach konnte der Täter festgenommen werden, der in Ermittlungen als russischer Agent enttarnt wurde. Die Bundesregierung erklärte daraufhin zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft zu unerwünschten Personen, woraufhin auch Russland zwei deutsche Diplomaten auswies. Nach der Verurteilung des Täters zu lebenslanger Haft - das Gericht hatte Russlands Beteiligung als erwiesen bewertet und von „Staatsterrorismus“ gesprochen - wies das Auswärtige Amt erneut zwei russische Diplomaten aus, was von Moskau gleichfalls mit der Ausweisung zweier deutscher Diplomaten beantwortet wurde.
Im Februar 2020 warf der deutsche Außenminister Heiko Maas der russischen Regierung angesichts des russischen Militäreinsatzes im Rahmen des syrischen Bürgerkriegs vor, das humanitäre Völkerrecht gebrochen und Kriegsverbrechen im Gouvernement Idlib begangen zu haben.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz versuchte Anfang 2022 in Moskau auf Wladimir Putin einzuwirken, die vorbereitete Invasion der Ukraine zu unterlassen und warnte, dass Deutschland andernfalls zu weitreichenden Maßnahmen bereit sei. Der dennoch erfolgte Überfall auf die Ukraine zerstörte das deutsch-russische Verhältnis endgültig. Die Bundesrepublik Deutschland schloss sich den bis dato beispiellosen westlichen Sanktionen an und begann, die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen, bezog (und bezahlte) aber weiterhin Gas über die Nordstream-Pipeline, bis Putin die Lieferungen unterbrach.
Beide Staaten wiesen Diplomaten der anderen Seite aus, erst aus Protest, dann um die diplomatischen Beziehungen insgesamt herunterzufahren. Russland beschränkte die Anzahl deutscher Staatsbediensteter und lokaler Mitarbeiter auf insgesamt 350, was Deutschland dazu zwang drei Generalkonsulate in Russland zu schließen. Im Gegenzug ordnete Berlin die Schließung von vier der fünf russischen Generalkonsulate an.
Beziehung zu Polen
Beziehung zum Vereinigten Königreich
Beziehung zu den Vereinigten Staaten
Rolle im Syrischen Bürgerkrieg
Der Syrienkonflikt ist einer der wenigen internationalen Konflikte, in denen die russische Regierung eine zentrale Rolle spielt. Dabei brachte ihre Verweigerungshaltung gegenüber jeglichen Versuchen, im Rahmen des UN-Sicherheitsrats internationalen Druck auf die Regierung Assad auszuüben, der russischen Regierung scharfe Kritik westlicher und regionaler Akteure ein und beschädigte das Ansehen Russlands in der arabischen Welt. Russland nahm von Anfang an die klare Haltung ein, dass die Kämpfe zwischen Regierung und Opposition nur innersyrisch zu lösen sei. Dies sei erstens durch ergebnisoffene Verhandlungen zwischen beiden Seiten zu erreichen und sollte zweitens ohne externe Einmischung geschehen, sei es durch Waffenlieferung an die Rebellen oder durch militärische Intervention. Deswegen blockierte Russland nicht nur Resolutionsentwürfe im UN-Sicherheitsrat, die Sanktionen vorgesehen hätten (Oktober 2011, Juli 2012), sondern auch solche, die lediglich die Gewaltanwendung durch die syrische Regierung verurteilt hätten, ohne dass zugleich die Regimegegner ebenfalls verurteilt und zum Gewaltverzicht aufgerufen würden (Februar 2012).
Die Führung Russlands gibt vor, damit eine neutrale Haltung einzunehmen. Mehrmals betonten Präsident Putin, Außenminister Lawrow und Ministerpräsident Medwedew, dass ihr Land – im Gegensatz zu den westlichen Staaten oder den Golfmonarchien – nicht einseitig Partei ergreife.
Jedoch unterstützt die russische Regierung die Regierung Assads auf vielfältige Weise. Erstens stützt man auf internationaler Bühne die Legitimationsstrategie der syrischen Führung. Durch eine Darstellung der Opposition primär als einer Gruppe von „Fanatikern“, Islamisten oder Terroristen wird die Schuld am Gewaltausbruch implizit ihr zugewiesen. Zweitens liefert Russland weiterhin Waffen an die syrische Regierung, darunter Luftabwehrsysteme (Buk-M2 [Nato-Code: SA-17 Grizzly] und Panzir-S1 [Nato-Code: SA-22 Greyhound]) und Helikopter. Russland verweist darauf, dass die Exporte nach internationalem Recht zulässig seien. Schließlich hat der UN-Sicherheitsrat – aufgrund russischer und chinesischer Weigerung – bislang kein Waffenembargo verhängen können. Als verlässlicher Exporteur – so die russische Rechtfertigung – sei die russische Regierung daher verpflichtet, bestehende Verträge zu erfüllen. „Neue Lieferungen“ seien aber suspendiert worden, erklärte Wjatscheslaw Dsirkaln vom Föderalen Dienst für Militärtechnische Zusammenarbeit im Juli 2012. Drittens hilft die russische Regierung der Regierung Assad auch, indem sie Banknoten für die syrische Regierung druckt.
Die Motive der russischen Syrienpolitik gehen über materielle Interessen hinaus. Sie betreffen grundlegende Fragen der internationalen Ordnung und regionalen Machtbalance, aber auch konkrete sicherheitspolitische Risiken für Russland selbst. Der „arabische Frühling“ warf für die internationale Gemeinschaft erneut die Frage auf, wie mit dem Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und Schutzverantwortung („responsibility to protect“ – „R2P“) umzugehen ist. Es geht um konträre Ansichten zur Ausgestaltung der internationalen Ordnung und den Anspruch Russlands, diese mitzubestimmen. Die russische Regierung lehnt die „R2P“ nicht prinzipiell ab, will es aber an enge Grenzen gebunden wissen, ohne das Ziel eines „Regime Change“ von außen. Dahinter steht eine traditionelle Interpretation staatlicher Souveränität. Diese hat auch eine innenpolitische Begründung. Schließlich stellt eine Aufweichung des Nichteinmischungsgebots für die autoritäre Führung in Moskau auch aus Gründen des eigenen Machterhalts ein Gefahrenszenario dar.
Nach den Giftgas-Angriffen von Ghuta und der Drohung der US-amerikanischen Regierung mit einem Militärschlag gelang es Russland, zwischen der US-amerikanischen und der syrischen Regierung zu vermitteln. Am 14. September 2013 wurde vereinbart, dass die syrische Regierung zunächst binnen einer Woche das gesamte Giftgasarsenal offenlegen und den UN-Inspektoren uneingeschränkten Zugang zu den Lagerstätten gewähren muss. Mitte November sollten die UN-Inspekteure die Arbeit aufnehmen. Die Chemiewaffen wurden außerhalb von Syrien vernichtet. Am 16. September sprach sich Russland erneut gegen eine UN-Resolution aus, die eine Drohung im Falle einer Nichterfüllung der Vereinbarung gegen die syrische Regierung vorsah.
Humanitäre Hilfe leistet Russland in dem Konflikt hingegen kaum, so stellte die Regierung im Jahr 2015 für das UN-Hilfsprogramm zur Versorgung der rund 4 Millionen Syrer, die vor dem Krieg in die Nachbarländer geflohen sind, bislang einen Betrag von 300.000 US-Dollar zur Verfügung, was 0,02 % der für die Hilfsmaßnahmen veranschlagten Gesamtkosten deckt. In Russland selbst halten sich Schätzungen zufolge zwischen 8000 und 12.000 syrische Flüchtlinge auf, viele davon illegal. Im Jahr 2015 wurde kein einziger Syrer in Russland offiziell als Flüchtling anerkannt, 482 Asylsuchende wurden geduldet.
Durch den russischen Militäreinsatz sind bis Ende September 2019 laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte etwa 19.000 Menschen (davon ca. 8300 Zivilisten) ums Leben gekommen. Insbesondere im Gouvernement Idlib sind durch die Offensiven der russischen und syrischen Streitkräfte hunderttausende Menschen zur Flucht genötigt worden. Auch hinterließ die Offensive einen immensen Schaden der lokalen Infrastruktur. So sind laut einem Bericht von Amnesty International zwischen Mai 2019 und Februar 2020 mindestens 18 Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen in Syrien durch die russischen und syrischen Streitkräfte verübt worden. In der Folge haben fünf Kliniken darum schließen müssen. Im Juli 2020 blockierte die russische Regierung mit einem Veto im UN-Sicherheitsrat den Fortbestand eines Großteils der UN-Hilfslieferungen von medizinischen Gütern und Nahrungsmitteln nach Syrien, sodass das UN-Hilfsprogramm für Syrien nur noch eingeschränkt fortgesetzt wurde.
Aktivitäten in Afrika
Durch die Präsenz der paramilitärischen Organisation Gruppe Wagner in mehreren afrikanischen Staaten (u. a. Angola, Guinea, Guinea-Bissau, Kongo, Libyen, Madagaskar, Mali, Mosambik, Simbabwe, Sudan, Zentralafrikanische Republik) versucht der russische Staat, seinen Einfluss dort inoffiziell zu mehren. So ist die Wagner-Gruppe eine Kriegspartei im seit 2014 bestehendem Bürgerkrieg in Libyen und im Konflikt in Mali. Auch durch den Auslandssender RT führt Russland in Afrika geschickte Desinformationskampagnen.
Recherchen der European Investigative Collaboration ergaben, dass Russland vom Handel mit Konfliktdiamanten aus Afrika profitiert und das Schürfen von Diamanten aus Gebieten, aus denen offiziell keine Diamanten exportiert werden dürfen, durch die Gruppe Wagner überwachen lässt. Als Mitglied des Kimberley-Prozesses macht Russland von seinem Vetorecht Gebrauch, um Bemühungen zur Unterbindung des Handels mit Konfliktdiamanten zu untergraben.
Unterstützung der Militärdiktatur in Myanmar
Nach dem Militärputsch in Myanmar 2021 durch die dortige Militärregierung hat Russland laut den Vereinten Nationen Militärtechnik im Wert von 406 Millionen Dollar an die Streitkräfte von Myanmar verkauft.
Finanzpolitik
Währung
Die russische Währung ist der russische Rubel (; Kürzel RUB) zu 100 Kopeken (). Nach starker Inflation in den 1990er-Jahren wurde im Jahr 1998 eine Währungsreform durchgeführt, bei der 1000 alte Rubel (RUR) durch je einen neuen Rubel (RUB) ersetzt wurden. Seitdem war der Rubel bis 2008 gegenüber US-Dollar und Euro im Wesentlichen stabil, die Inflation betrug 2006 8,2 %. Dazu hat bisher vor allem die Wechselkurspolitik der russischen Zentralbank beigetragen. Um eine rasche Aufwertung des Rubels mit einer Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit russischer Produzenten zu verhindern, intervenierte sie am Devisenmarkt. Sie kaufte die Russland mit den hohen Leistungsbilanzüberschüssen zufließenden Devisen gegen Rubel auf. Die umlaufende Rubelgeldmenge stieg stark an. Das Inflationspotential wuchs. Im Zuge der Internationalen Wirtschaftskrise verlor der Rubel im zweiten Halbjahr 2008 rund 20 % seines Wertes gegenüber dem Euro. Seit der Annexion der Krim verlor der Rubel mehr als die Hälfte seines Wertes gegenüber Euro, US-Dollar oder Renminbi.
Neben dem Rubel finden im Alltag auch US-Dollar und Euro Verwendung. Bis zum Januar 2007 wurden Preise auch oft in Verrechnungseinheiten angegeben, die je einem US-Dollar entsprachen. Da die Verwendung von Drittwährung in Russland nicht erlaubt ist, wurde dennoch in Rubel gezahlt. Diese Praxis ist aber seit Januar 2007 verboten. Wegen häufiger Bankeninsolvenzen und Finanzkrisen sind viele Russen dazu übergegangen, ihre Ersparnisse als Bargeld in Euro- und Dollar-Scheinen oder in Immobilien anzulegen.
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 236,6 Mrd. Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 186,5 Mrd. Dollar gegenüber. Damit hatte das Land ein Haushaltsdefizit in Höhe von 3,9 % des BIP. Der Abschluss der Duma- und Präsidentenwahl gibt ab Mitte 2012 Anlass zu neuen umfangreichen Modernisierungsausgaben zugunsten der Infrastruktur, Wirtschaft und der Landesverteidigung. Angekündigt ist auch eine weitere Steigerung der Sozialausgaben. Somit werden die Ausgaben tendenziell weiter steigen, was aufgrund einer geringen Verschuldungsquote kein Problem darstellt. Die Staatsverschuldung betrug 2016 17,0 % des BIP.
2006 betrug der Anteil der Staatsausgaben vom BIP folgender Bereiche:
Gesundheit: 5,3 %
Bildung: 3,8 % (2005)
Militär: 3,9 % (2005)
Wirtschaft und Infrastruktur
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR bildete sich durch die Privatisierung von Staatsunternehmen eine von sogenannten Oligarchen geprägte Wirtschaft heraus. Nach Machtantritt Wladimir Putins stellte dieser jedoch die staatliche Kontrolle über die früheren Staatsunternehmen durch Entmachtung dieser Oligarchen und die Installierung von Vertrauenspersonen aus den Reihen der Silowiki in Schlüsselunternehmen (vornehmlich der Öl- und Gasförderindustrie) erneut her. Diese Führungspersonen werden zuweilen Silowarchen genannt. Charakterisieren lässt sich die heutige Wirtschaftsform als oligarchisch geführter „Staatskapitalismus“, in dem eine „exklusive Elite mit Hilfe extraktiver politischer und wirtschaftlicher Institutionen maßgeblich die Schwerpunkte in der Wirtschafts-und Außenwirtschaftspolitik bestimmt“ und durch Rohstoffverkäufe auf den Weltmärkten große Einkünfte erzielt, so dass eine marktwirtschaftliche Modernisierung, die zum Machtgewinn anderer Akteure führen würde, von ihr nicht erwünscht, sondern verhindert wird. Margareta Mommsen geht von „etwa 13 bis 15 Klans, die in dem permanenten Poker um Macht und Eigentum involviert sind“ aus, sie regierten als „geheime Oligarchie“ das Land informell mit, und Wladimir Putin erscheine als Verbindungsglied zwischen ihnen und den nach außen sichtbaren Machtinstitutionen des Staates, er sei der „Patron der cliquenwirtschaftlichen Strukturen“, der für einen Ausgleich der Interessen sorge.
Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftsgeschichte
Russland ist ein entwickeltes Industrie- und Agrarland. Das Land ist zudem Gründungsmitglied der seit dem 1. Januar 2015 existierenden Eurasischen Wirtschaftsunion. Die führenden Industriebranchen sind Maschinenbau sowie die Eisen- und Nichteisenmetallverarbeitung. Gut entwickelt sind auch die chemische und petrolchemische Industrie sowie die Holz-, Leicht- und Nahrungsmittelindustrie.
Das russische Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2015 ca. 1192 Mrd. EUR. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug im selben Jahr 8137 Euro. Der Dienstleistungssektor steuert 62,6 % zum Bruttoinlandsprodukt bei. Auf den industriellen Sekundärsektor entfallen rund 32,7 %, auf den Agrarsektor (Bauwirtschaft und Landwirtschaft) 4,7 %. Die Weltbank schätzte, dass rund ein Viertel der gesamtwirtschaftlichen Produktion von der Rohstoffproduktion gestellt wird.
Laut einer Studie der Bank Credit Suisse beträgt der durchschnittliche Vermögensbesitz je erwachsene Person in Russland 16.773 US-Dollar. Im Median liegt er jedoch bei nur 3.919 US-Dollar (Weltdurchschnitt: 3.582 US-Dollar), was auf eine hohe Vermögensungleichheit hindeutet. Mehr als 70 % der russischen Bevölkerung besitzen weniger als 10.000 US-Dollar an Vermögen. Russland belegte Platz 19 in der Rangliste der Länder nach totalem Privatvermögen, einen Platz vor Indonesien und einen hinter Schweden. Russland war 2017 das Land mit der fünfthöchsten Anzahl an Milliardären (insgesamt 96). Die sogenannten Oligarchen im Land sind teilweise zum Symbol für korrupte Strukturen und Ungleichheit geworden.
Die Gesamtzahl der Beschäftigten beträgt 73,5 Millionen (2006). 30 % der Erwerbstätigen arbeiteten 2005 in der Industrie. In der Landwirtschaft waren 10 %, im Dienstleistungsbereich 22 % und im öffentlichen Sektor nochmals 22 % aller Erwerbstätigen beschäftigt. Im Jahr 2013 sagte die russische Vize-Ministerpräsidentin Olga Golodez, nur 48 Millionen (statt 86 Millionen) Arbeitsfähige seien für die Regierung sichtbar, je nach Schätzung macht die Schattenwirtschaft die Hälfte der Wirtschaftsleistung aus. Kleine und mittlere Betriebe leisteten ein Fünftel, wohingegen die staatlichen Konzerne 70 % beitrugen. Auch aufgrund der minimalen Renten weiterhin arbeitstätige Rentner gehörten zum Heer der selbständig erwerbenden Kleinverdiener, die ihr Einkommen kaum je deklarierten: Die Steuermoral lag angesichts der bekannten korrupten Ausschweifungen der Politiker darnieder.
Nach Jahren des Aufschwungs steckte die russische Wirtschaft um die Jahre 2015/16 in der Rezession. Nachdem das russische Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2014 noch um 0,6 % gewachsen war, schrumpfte die russische Wirtschaft 2015 um 3,7 %. Für das Jahr 2016 wurde offiziell ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 % vermeldet. Als Hauptgründe für die Rezession wurden zumeist der sehr niedrige Ölpreis, der Verfall des Rubels sowie die westlichen Sanktionen im Zuge des Krieges in der Ukraine genannt. Allerdings werden der russischen Wirtschaft auch grundsätzliche strukturelle Probleme bescheinigt. Des Weiteren hatte Russland mit erhöhten Inflationsraten im Falle des Jahres 2015 von bis zu 15 % zu kämpfen. Die Inflation fiel 2018 wieder auf um 3 %. Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt Russland Platz 38 von 137 Ländern (Stand 2017/18). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt das Land 2017 Platz 114 von 180 Ländern.
Nach der Transformationskrise
Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Russlands nach der Auflösung der Sowjetunion war zunächst von einem drastischen Einbruch der Produktion geprägt. Dazu trug der Wegfall eingespielter Handelsbeziehungen im Verbund der Sowjetunion bei. Der Übergang von der Planwirtschaft zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung war schwierig und gelang nur in Teilbereichen. Insgesamt verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt um gut 40 %. Kurz nach Beginn der Asienkrise begann im Herbst 1997 die Russlandkrise. Am 17. August 1998 erklärte Russland den Staatsbankrott und musste die Dollarbindung des Rubel aufgeben. Die „Politik des Minimalstaates“ unter Jelzin führte dazu, dass die föderale Regierung nicht imstande war, Steuern einzutreiben und für Rechtssicherheit zu sorgen. Dies änderte sich unter der Präsidentschaft von Wladimir Putin ab dem Jahr 2000. Um die politische Kontrolle im Staat wieder zu erlangen, stärkte er den Staatsapparat auf Kosten des Einflusses der Oligarchen.
Putin führte in Russland bis 2008 eine staatlich geführte korporatistische Wirtschaft. Im Jahr 2007 führte er per Gesetz sechs Institutionen zur Bündelung von Staatsaktivitäten in strategisch wichtigen Bereichen ein, unter alleiniger Führung des Präsidenten. Darunter fallen die Nukleartechnik bei Rosatom, die Bank für Außenwirtschaft VEB, der Reformfonds für Immobilien, Rusnano oder das Rüstungsgüter-Konglomerat Rostec, dazu Olimpstroi, die 2014 aufgelöste Staatsgesellschaft für Bauten der Olympischen Spiele in Sotschi 2014. Die VEB war aus der Außenhandelsbank der UdSSR hervorgegangen. An diesen durch Gesetz geschaffenen Staatskonglomeraten kritisierte unter anderem Ministerpräsident Medwedew die Verwendung von Staatseigentum oder Staatsmitteln zur Gründung, was zu einer versteckten Privatisierung führe. Bei einer Prüfung der Korporationen im Jahr 2009 durch Medwedew wurden Missbrauch und Ineffizienz festgestellt. Präsident Medwedew nannte in seiner Rede an die Nation im November 2009 die Organisationsform der Korporationen „ohne Perspektive“.
Wenige Tage später erwiderte Ministerpräsident Putin, Staatskorporationen seien schlicht eine Notwendigkeit, und betonte, dass darüber in der Staatsführung Einigkeit herrsche.
In den ersten vier Jahren von Putins Präsidentschaft folgte die Einführung einer Flatrate bei der Einkommensteuer (vgl. Steuerrecht (Russland)), der vollen Konvertibilität des Rubels und eines Drei-Jahres-Budgets (dies bis zu den Finanzproblemen im Jahr 2015). Um von den Einnahmen des Energiesektors zu profitieren, wurden private Unternehmen aus diesem Bereich zurückgedrängt. Auch außerhalb des Energiesektors baute der Staat seinen Einfluss aus. Die Regierung förderte die Bildung staatlicher Großkonzerne, die strategische Branchen dominieren sollen. So wurden beispielsweise private Unternehmen für Maschinen- und Automobilbau von Staatsbetrieben übernommen und durch Subventionen gestützt, um modernisiert werden zu können.
Große Produktionskapazitäten aus der Zeit der UdSSR waren nicht ausgelastet, so dass sich die russische Regierung daran orientierte, durch eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik mittels expansiver, wachstumsorientierter Geldpolitik diese Kapazitäten wieder voll auszulasten. Dies brachte eine zweistellige Inflationsrate mit sich. Das von Präsident Putin gesetzte Ziel, das Bruttoinlandsprodukt binnen zehn Jahren zu verdoppeln, sollte mittels staatlichem Ausgabenprogramm erreicht werden. Dafür wurden Gehälter im öffentlichen Dienst sowie Renten, sonstige Sozialleistungen und Ausgaben für den Wohnungsbau erhöht. Möglich wurde das Sozialprogramm durch den Ölboom, der neben hohen Mehreinnahmen für den Staat eine Reduzierung der Auslandsverschuldung ermöglichte, die 2000 noch 166 Mrd. Dollar betrug. Ein Teil der Öleinnahmen floss in den 2004 errichteten Stabilisierungsfonds, der sinkende Staatseinnahmen abfedern und eine mögliche Inflation abschwächen sollte. Dieser Stabilisierungsfonds wurde 2008 in einen Reservefonds und einen Wohlstandsfonds (zur Rentensicherung) aufgegliedert. Der Wohlstandsfonds betrug 2011 68,4 Mrd. Euro, der Reservefonds 19,9 Mrd. Euro.
Die russische Wirtschaft hatte sich vom Produktionseinbruch im Zuge der Finanzkrise des Jahres 1998 rasch erholt, da die 1998 eingetretene deutliche Abwertung des Rubels der russischen Wirtschaft Auftrieb verschaffte und ausländische Güter verteuerte, so dass Produkte aus Russland dort wettbewerbsfähiger wurden. Außenwirtschaftlich verstärkte sich die Abhängigkeit der russischen Wirtschaft vom Energiesektor allerdings weiter. Trotz kräftig gestiegener Investitionen wurde in Russland im internationalen Vergleich zu wenig investiert. Investoren kritisierten fehlende Rechtssicherheit, weit verbreitete Korruption, eine überbordende Bürokratie und die geringe Leistungsfähigkeit des russischen Bankensystems.
In der internationalen Wirtschaftskrise
Im Zuge der Internationalen Wirtschaftskrise wies die russische Wirtschaft seit Mitte 2008 deutlich negative Entwicklungen auf, was in hohem Maße auf ihre große Abhängigkeit vom Rohstoffsektor zurückzuführen war. Aufgrund des drastischen Preisverfalls beim Erdöl und Erdgas sanken die Staatseinnahmen. Die weltweite Finanzkrise hatte Russland 2009 hart getroffen. Russland konnte durch seine Antikrisenpolitik größere Bankenzusammenbrüche verhindern, so dass das russische Finanzsystem wieder als stabil gilt. Die Pflichteinlagen bei der Zentralbank wurden hochgeschraubt, Banken bekamen staatliche Hilfen. Die Russische Zentralbank verwendete fast 300 Milliarden Dollar an Reserven, um den als Folge des ausländischen Kapitalabzugs unter Abwertungsdruck gekommenen Rubel zu stützen. 2010 und 2011 setzte eine wirtschaftliche Erholung in Russland ein.
Durch diese Krise wurde sichtbar, dass die Fixierung auf den Rohstoffreichtum das Land in eine Sackgasse führt und die Abhängigkeit von den Weltmarktpreisen für Erdöl, Erdgas oder Metalle zu hoch ist. Bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte in Russland eine intensive Diskussion über Sonderwirtschaftszonen eingesetzt. Unter Wladimir Putin wurde 2005 ein entsprechendes Gesetz über Sonderwirtschaftszonen in der Russischen Föderation verabschiedet. Bis Ende 2009 wurden 15 dieser Zonen konzipiert und bestätigt, darunter unter anderem zwei Industrie-Sonderwirtschaftszonen (Jelabuga, Lipezk), vier technikorientierte Sonderwirtschaftszonen (Moskau, St. Petersburg, Dubna, Tomsk) sowie sieben Zonen für Tourismus und Erholung.
Zinsen wurden gesenkt, um Investitionen in die Produktion zu ermöglichen. Die Inflationsrate erreichte 2011 ihren niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Die Regierung war bemüht, preistreibende Faktoren wie die Verteuerung von Treibstoffen und Strom über Quartalsvereinbarungen mit den Anbietern unter Kontrolle zu halten.
Während das Land 1999 noch auf Platz 22 der größten Wirtschaftsnationen lag, hatte es 2012 den 9. Platz in der Welt nach nominalen BIP inne. Lag der Wert des russischen BIP in Relation zum deutschen im Jahr 2004 bei 21,7 %, waren es 2011 bereits 51,7 %. Der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) erfolgte 2012 nach 18 Verhandlungsjahren, wodurch die Importzölle sanken und der Modernisierungsdruck der heimischen Wirtschaft stieg. Im Jahr 2015 lag Russlands Wirtschaftsleistung wieder hinter der Italiens auf Rang 10 oder 11. Die Regierung hatte es bis 2018 nie gewagt, das Renteneintrittsalter, welches Stalin im Jahr 1932 festgelegt hatte, zu erhöhen – die Renten, welche Frauen ab 55 Jahren, Männer ab 60 Jahren erhalten, sind jedoch so niedrig, dass sich viele in der Schattenwirtschaft Geld dazuverdienen. Gleichzeitig fehlten dem Arbeitsmarkt Arbeitskräfte.
Nach der Annexion der Krim 2014
Durch die Sanktionen des Westens aufgrund der russischen Annexion der Krim sowie des von Russland gefütterten Krieges in der Ukraine seit 2014 stagnierte die wirtschaftliche Entwicklung in Verbindung mit einem Einbruch des Erdölpreises. Es akzentuierten sich die strukturellen Probleme der russischen Wirtschaft, die über Jahre auf den Rohstoffexport ausgerichtet war. Die NZZ schrieb im August 2015 in einem Vergleich mit der Rubelkrise von 1997: „Heute ist die Lage weniger bedrohlich, aber die Besserungschancen sind geringer“; so konnte die Rubelschwäche wegen der Finanzrestriktionen nicht dazu genutzt werden, die Wirtschaft zu modernisieren und zu diversifizieren. Das russische Haushaltseinkommen 2015 sank durchschnittlich um 8,5 %, während die Lebensmittelpreise bis 25 % anstiegen. Die Jahresinflation 2015 betrug 12,9 %. Eine Kapital-Amnestie sollte ab Dezember 2014 Geld nach Russland zurückbringen. Während bei Präsidentensprecher Peskow bei der Einführung von einem absolut einmaligen, für ein Jahr gültigen Angebot die Rede war, wurde die Amnestie im Dezember 2015 bis Juni 2016 verlängert und Anfang 2018 nach neuen amerikanischen Sanktionen erneuert.
Alle staatlichen Ausgaben mussten gekürzt werden, nur die Rüstung war nicht davon betroffen. Der russische Ministerpräsident Medwedew hatte wiederholt erklärt, das Land werde „unbefristet“ mit den westlichen Sanktionen leben müssen. Die Wirtschaftsentwicklung blieb gelähmt, weil die Techniken des Machterhalts des Putin-Regimes nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Reformen verhinderten. Der Anteil der Staatswirtschaft stieg an, die Schattenwirtschaft blühte, die Realeinkommen waren zwischen 2014 und 2018 mehrmals gesunken. Ein Steuersatz von 0 % für die Jahre 2017/2018 hätte Selbständigerwerbende zur Registrierung ihrer Tätigkeit animieren sollen; von den vermutlich rund neun Millionen derart Werktätigen hatten sich gerade mal 936 registrieren lassen. Nach einem erneuten Gesetzesvorschlag von 2018 sollte diesen Kleinverdienern beim Auffliegen der Tätigkeit der gesamte Ertrag abgenommen werden, also eine härtere Strafe, als sie Gutverdienende zu befürchten hätten. Eine Geschäftseröffnung war für die Mehrzahl befragter Russen im Februar 2019 nicht erstrebenswert, da es nicht möglich sei, ohne Mogeleien zu wirtschaften. Die ausländischen Direktinvestitionen, die 2013 noch 69 Milliarden Dollar umfasst hatten, waren laut Le Monde bis 2018 auf weit unter 5 Milliarden gefallen.
Im Juli 2018 wurde entschieden, die Mehrwertsteuer um 2 % zu erhöhen, womit sie ab 1. Januar 2019 20 % betrug.
Mehrere Wochen demonstrierten die Menschen in ganz Russland im Sommer 2018 gegen die Erhöhung des Rentenalters. Die Zustimmungsraten Putins stürzten ab wie 2012, das übliche System „schlechte Bojaren, guter Zar“ funktionierte also nicht. Zwar könne Putins Beliebtheit dank der umfassenden Propaganda kaum unter 60 % fallen, aber die große Mehrheit der Befragten sei doch überzeugt, dass Putin für den Machtmissbrauch verantwortlich sei, den die Opposition den Regierenden vorwirft; die Erhebungen des Lewada-Zentrums unterschieden in „Zustimmung“ zur Politik und in „Vertrauen“.
Nachdem schon im Vorkriegsjahr 2021 die Preise aufgrund der Kartellisierung der Wirtschaft wieder merklich gestiegen waren, wurden nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 durch die freie Welt beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängt. Dadurch könnte der Dienstleistungssektor sich wieder verkleinern; der Staat kontrollierte Anfang 2022 bereits 60 bis 75 % der Wirtschaft direkt oder indirekt.
Landwirtschaft
Die Holzindustrie ist hauptsächlich im Nordwesten des europäischen Teiles, im zentralen Uralgebirge, in Südsibirien und im Süden des fernöstlichen Russlands vertreten. Russland verfügt über etwa ein Fünftel des Waldbestandes der Erde und über rund ein Drittel des Weltbestandes an Nadelwald; der größte Teil der russischen Nutzholzproduktion besteht aus Weichholz, hauptsächlich von Kiefern, Tannen und Lärchen. Wichtigstes Laubholz für den Handel ist Birke.
Die Landwirtschaft ist nach wie vor eine wichtige Branche der russischen Wirtschaft. Einst die Kornkammer Europas, erlitt die russische Landwirtschaft in den 1990er-Jahren einen drastischen Einbruch der Agrarproduktion – jedoch schon in den 1980er-Jahren war Russland der weltweit bedeutendste Weizenexporteur. Der Produktionswert der russischen Landwirtschaft lag 2009 wieder bei umgerechnet 38 Milliarden Euro. Im Jahr 2016 unterstrich Präsident Putin den Willen, eine Agrar-Exportnation zu sein. Von der Rekordernte von 75 Millionen Tonnen Weizen im Jahr 2016 könnten knapp 7 Millionen Tonnen (ähnlich wie 2015) exportiert werden. Für den Transport ist die staatliche Agrar-Transportbehörde Rusagrotrans zuständig. Der Wert der exportierten Landwirtschaftsgüter lag 2016 bei 17 Milliarden Dollar. Die Bedingungen für die Landwirtschaft sind vor allem im europäischen Teil Russlands sowie in Südrussland gut, das russische Schwarzerdegebiet ist das größte der Welt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche beträgt 219 Millionen Hektar, das sind 13 % der Landfläche Russlands. Davon sind 122 Millionen Hektar Ackerfläche, was 9 % des weltweiten Ackerlandes entspricht. Mehr als 80 % der Saatflächen liegen an der Wolga, im Nordkaukasus, am Ural und in Westsibirien innerhalb des sogenannten Agrardreiecks. Der Ackerbau macht 36 % der landwirtschaftlichen Bruttoerzeugung Russlands aus, die Tierzucht über 60 %. Die wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse in Russland sind Getreide, Zuckerrüben, Sonnenblumen, Kartoffeln und Flachs. Die Binnenfischerei liefert mit dem Stör den begehrten russischen Kaviar. In der Transformationsphase zwischen 1990 und 1997 gingen die Schweine- und Geflügelbestände fast um die Hälfte zurück. Russland importierte seitdem einen Teil seiner Nahrungsmittel. Es war schon zuvor, aber insbesondere seit seinen Gegen-Sanktionen gegen den Westen nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 das Ziel der russischen Regierung, die Fähigkeit zur Eigenversorgung zu steigern und die Importabhängigkeit zu reduzieren. Der Bestand an Rindern beträgt 12,1 Millionen Tiere, an Schweinen 7 Mio. sowie an Schafen und Ziegen 4,6 Mio. Rinderzucht wird vorwiegend im Wolgagebiet, in Westsibirien und dem europäischen Zentrum betrieben, Schweinezucht findet sich ebenfalls im Wolgagebiet, aber auch in Nordkaukasien und im zentralen Schwarzerdegebiet. Schafzucht weist Schwerpunkte in den Regionen Ostsibirien, Nordkaukasiens und dem Wolgagebiet auf.
Rohstoffwirtschaft
Die Naturreichtümer Russlands sind eine wichtige Basis für die Wirtschaft des Landes. In Russland befinden sich 16 % aller mineralischen Naturressourcen der Welt, davon 32 % aller Erdgasvorräte (erster Platz in der Welt), 12 % aller Vorräte an Erdöl, die sich insbesondere in Westsibirien, auf der Insel Sachalin, in Nordkaukasien, der Republik Komi und den Erdölgebieten im Wolga-Ural-Bereich (Kaspische Senke) finden. Mit der kräftigen Zunahme der Ölexporte bei steigenden Ölpreisen von 2002 bis 2011 war die Bedeutung der Förderung besonders von Öl und Gas in Russland angewachsen und spielte eine wichtige Rolle für die Wirtschaft auch außerhalb Russlands. Russische Unternehmen wie Gazprom, Rosneft oder Lukoil sind an der Erdöl- und Erdgasförderung beteiligt, die hauptsächlich in den nördlichen und östlichen Landesteilen stattfindet.
Mit seinen Goldvorräten belegt Russland den dritten Platz in der Welt. Weltbekannt sind die Diamantenvorkommen im nordostsibirischen Jakutien. Seit 1996 werden hier Diamanten in einer der weltweit größten Kimberlit-Lagerstätten, in Mirny, gewonnen.
Russlands Anteil an den Weltvorräten an Eisen und Zinn beträgt über 27 %, an Nickel 36 %, an Kupfer 11 %, an Kobalt 20 %, an Blei 12 %, an Zink 16 % und an Metallen der Platingruppe 40 %. 50 % der weltweit bekannten Kohlevorkommen finden sich in Russland. Entsprechend den mineralischen Vorkommen spielt die Steinkohle- und Eisenerzförderung eine sehr wichtige Rolle in der Wirtschaft Russlands. Größere Erzvorkommen finden sich vor allem in den altgefalteten Gebirgen (Chibinen auf der Kola-Halbinsel, Ural, Altai, Sajangebirge sowie andere sibirische Gebirgszüge). Lagerstätten von Steinkohle finden sich in einigen Vorsenken dieser Gebirge, vor allem am Ural (u. a. Kohlelagerstätten von Workuta) sowie im Donezbecken an der Grenze zur Ukraine. Die Kohlenförderung litt an fehlenden Investitionen und hat im Vergleich zur Sowjetzeit an Bedeutung verloren.
Energiewirtschaft
Mit Öl, Erdgas oder Kohle betriebene Wärmekraftwerke erzeugten 2003 rund 63 % der gesamten Stromproduktion von rund 851 Mrd. Kilowattstunden. Auf Wasserkraftwerke entfielen 21 %, auf Kernkraftwerke 16 %. Die russische Regierung plant, den Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung bis 2020 auf etwa ein Drittel zu verdoppeln, um noch mehr Erdöl und Erdgas exportieren zu können. Das Stromnetz und die meisten Großkraftwerke sind nach wie vor unter staatlicher Kontrolle. Um von den Einnahmen des Energiesektors zu profitieren, war die russische Politik darauf ausgerichtet, die staatliche Kontrolle über die Energiewirtschaft wieder zu verstärken und private Unternehmen aus diesem Bereich zurückzudrängen. Das wurde durch die Zerschlagung des Erdölkonzerns Yukos und die Übernahme des Ölkonzerns Sibneft durch die halbstaatliche Erdgasgesellschaft Gazprom erreicht. Zu den größten Gas- und Ölförderungskonzernen gehört heute Surgutneftegas, wo Präsident Wladimir Putin 37 % der Aktien kontrolliert. Alle russischen Kernkraftwerke sind Eigentum des staatlichen Unternehmens Rosatom und werden vom ebenfalls staatlichen Unternehmen Rosenergoatom betrieben. Den größten Anteil an der Stromproduktion hatte bis zum Jahr 2008 Unified Energy System, das zu über 50 % dem russischen Staat gehörte und inzwischen in kleinere Unternehmen aufgeteilt wurde.
Das Programm der Gasversorgung der russischen Regionen läuft seit 2005. Es war geplant, in zehn Jahren, also bis 2015, Gas in jedes Dorf zu führen. 2019 wurde das Programm bis 2030 verlängert. Das neue Ziel ist nicht mehr alle, sondern 85 % der Siedlungen des Landes zu versorgen. In Russland wurden auch im Jahr 2022 noch Schulen und Krankenhäuser mit Brennholz beheizt, das laut Nowaja Gaseta teurer sei als in Deutschland.
Industrie
Neben den alten Industriegebieten Moskau, Nischni Nowgorod, Sankt Petersburg, Saratow, Rostow und Wolgograd sind seit dem Zweiten Weltkrieg weitere Industriestandorte vorzugsweise im asiatischen Teil des Landes entstanden. Die Schwerindustrie konzentriert sich im Ural um Jekaterinburg. Russland nimmt eine führende Rolle in der weltweiten Produktion von Stahl und Aluminium ein. In den letzten Jahren haben sich in Russland weltbekannte Stahlkonzerne mit hoher Finanzkraft gebildet. Dies sind zum Beispiel Evraz, Severstal, Magnitogorsk Iron and Steel Works und Novolipetsk Steel, die zu den weltweit 30 größten Stahlkonzernen gehören. Wichtige Zentren der Schwerindustrie sind Magnitogorsk, Tscheljabinsk, Nischni Tagil, Nowokusnezk, Tscherepowez und Lipetsk.
An den alten Hauptindustriestandorten Moskau, dem Wolgagebiet, dem Nordwesten und dem Ural produzieren zahlreiche Maschinen- und Fahrzeugindustrien, aber auch Geräte- und Anlagenbauherstellung ist hier angesiedelt. Mehrere Zweige des Verarbeitenden Gewerbes wie Maschinenbau, Autoindustrie und Rüstungsindustrie einschließlich Luftfahrtindustrie fielen nach dem Ende der Sowjetunion in eine tiefe Krise. Die Produktion ging stark zurück. In den 2000er-Jahren ging es aber auch in der verarbeitenden Industrie wieder bergauf. Vor allem auf Märkten in der GUS konnten Marktanteile zurückgewonnen und neue Märkte in Asien gefunden werden, weil sich einige russische Erzeugnisse als einfacher und preiswerter als westliche Konkurrenzprodukte profilieren konnten. Die Inlandsproduktion von Maschinen und Ausrüstungen erreichte 2006 ein Volumen von rund 63 Milliarden Euro. Um die notwendige Modernisierung im Maschinenbau zu forcieren, steuert der Staat die weitere Entwicklung des Maschinenbaus von oben. Dazu gehörte die Gründung der Staatsholding Rostechnologii, in die Staatsanteile von fast 500 Unternehmen (Rüstungsbetriebe, Fluggesellschaften, Lkw- und Waggonhersteller und Maschinenbauer) eingebracht wurden.
Der Flugzeugbau war eine der wichtigsten und technisch am höchsten entwickelten Branchen der russischen Industrie. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Produktionsketten zwischen den ehemaligen Unionsrepubliken unterbrochen. Das hatte tiefgreifende negative Auswirkungen auf den russischen Flugzeugbau. Die wichtigsten Entwickler und Produzenten von Flugzeugen in Russland wurden 2006 in der OAK zusammengefasst. 2010 lieferte die OAK 75 Flugzeuge aus bei einem Erlös von vier Milliarden US-Dollar. Die bekanntesten russischen Autohersteller sind AwtoWAS, KAMAZ, Ischmasch oder die GAZ-Gruppe. Sehr oft sieht man noch die in Russland hergestellten Automarken Schiguli, Moskwitsch, Lada Niva und Oka sowie die Lkw KAMAZ, Ural und andere. Inzwischen kooperieren die russischen Autohersteller mit ausländischen Konzernen. Aktuell arbeiten die Volkswagen Group Rus mit GAZ, Ford mit Sollers, Renault-Nissan und AwtoWAZ sowie General Motors (GM) mit Avtotor zusammen. Dadurch entstanden und entstehen derzeit neue Montagewerke in Kaluga, Nischni Nowgorod, Togliatti, St. Petersburg und Kaliningrad. Koordiniert wird Russlands Rüstungsindustrie vom staatlichen Rüstungsexporteur Rosoboronexport. Rosoboronexport koordiniert die Arbeit der verschiedenen Rüstungsunternehmen und schließt diese über Beteiligungen zu einem Konzern zusammen.
Die chemische Industrie Russlands ist eine der Hauptbranchen der Volkswirtschaft Russlands, deren Anteil am Umfang der Warenproduktion 6 % erreicht. Der chemische Komplex Russlands schließt 15 große Industriegruppen ein, die sich auf den Ausstoß einer vielfältigen Produktion spezialisiert haben. Die führenden Unternehmen in diesem Bereich sind die hochrentablen, erdölverarbeitenden Unternehmen und Produzenten von chemischen Düngemitteln. Darüber hinaus sind in Russland die Herstellung von Chemiefasern, Kunststoffen und Autoreifen stark entwickelt. Die Wirtschaft Russlands wird auch durch die Herstellung von Baustoffen, die Leichtindustrie (hauptsächlich Textilindustrie) und die Nahrungsmittelindustrie geprägt.
Dienstleistungen
Handel
Einzelhandel
Zu den führenden lokalen Einzelhandelsketten gehören mit großem Abstand die X5 Retail Group (zu dem u. a. die Ketten Pjatjorotschka und Perekrjostok gehören), Magnit, bei den internationalen Ketten führen die Metro Group und Auchan. Den Bankenmarkt dominieren Staatsinstitute wie Sberbank, WTB, Rosselchosbank und Wneschekonombank. Allein die Sberbank, die frühere Werktätigensparkasse der Sowjetunion, hält etwa die Hälfte aller Spareinlagen. Über ein landesweites Filialnetz verfügt nur die Sberbank. Der Anteil der staatlich kontrollierten Banken am Gesamtmarkt beträgt im Schnitt etwa 50 %. Die größten russischen Privatbanken (Gazprombank, Alfa Group, MDM Bank, Rosbank) sind Teil von Industrieholdings und nehmen hauptsächlich Aufgaben im Rahmen der Holding wahr.
Außenhandel
Von der Lieferstruktur her wichtigster Handelspartner Russlands ist Deutschland, das vor allem industrielle Fertigerzeugnisse wie Maschinen, Anlagen und Spitzentechnik nach Russland liefert. Russland ist im Gegenzug Deutschlands größter Rohöllieferant und deckt rund ein Drittel des deutschen Erdgasbedarfs. Der deutsch-russische Handel stieg 2018 um 8,4 % auf 61,9 Mrd. Euro. Die deutschen Importe aus Russland legten im Vorjahresvergleich um 14,7 % zu und betrugen rund 36 Mrd. Euro. Auch die Exporte nach Russland sind um 0,6 % auf 25,9 Mrd. Euro gestiegen. Die Volksrepublik China hat 2010 Deutschland als wichtigsten Außenhandelspartner abgelöst, ebenfalls von Bedeutung für Russland sind die Niederlande, Ukraine, Italien, Belarus und die Türkei. Schon heute ist Russland weltweit zweitgrößter Exporteur von Rohöl und weltweit größter Exporteur von Erdgas. Der Export von Energieträgern und Elektrizität hat einen Anteil von 62,8 % an den Gesamtausfuhren (Metalle, Metallprodukte: 9,9 %, Chemikalien: 4,1 %). Russlands Anteil am weltweiten Warenhandel ist trotz seiner bedeutenden Stellung als Rohstofflieferant jedoch vergleichsweise gering. Er beträgt 2 %, knapp ein Drittel des Anteils Deutschlands.
Russlands Warenaustausch mit dem Ausland war 2019 rückläufig. Auf US-Dollarbasis sank der Handelsumsatz im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 %, er belief sich auf umgerechnet rund 595 Milliarden Euro. Die Einfuhren von Waren und Dienstleistungen legten um 2,2 % zu, die Ausfuhren gingen hingegen um 6 % zurück. Erstmals seit zehn Jahren bremste der Export somit das BIP-Wachstum.
Tourismus
Das Land verfügt über sehenswerte Naturlandschaften, darunter UNESCO-Weltnaturerbe, sowie Sehenswürdigkeiten von hohem kulturellen Wert. 2010 besuchten 2,4 Millionen ausländische Touristen Russland, wohingegen 13,1 Mio. Russen zur Erholung ins Ausland reisten. Der Binnentourismus brachte es auf 29,1 Mio. Reisende. Obwohl der Touristenstrom aus Asien und Südamerika zunimmt, machen Gäste aus Europa – mit Deutschland an der Spitze – den Großteil der Besucher in Russland aus. So waren auch die Einreisezahlen von Urlaubs- und Geschäftsreisenden kontinuierlich gestiegen; waren es 2002 rund 360.000 Deutsche, die das Land bereisten, so kamen 2008 558.000 deutsche Besucher. Allerdings waren davon nur 66.000 Urlaubsreisen Deutscher und der Rest Geschäftsreisen sowie Familien- und Freundschaftsbesuche. 2017 besuchten 580.000 Deutsche die Russische Föderation. Individualtouristen wurden häufig durch Visa-Beschaffung und sprachliche Hürden abgeschreckt, während das Land bei Reisegruppen beliebter ist.
Touristen waren lange durch ein unattraktives Markenimage abgeschreckt, wonach und , meinte Alexander Radkow, Chef der staatlichen Tourismusagentur Rostourismus, im Jahr 2012. Trotz vermehrter Aktivitäten durch die Föderale Tourismusagentur fehlt bislang eine wirksame PR- und Marketingstrategie, die das schlechte Image des Landes im Westen, verursacht u. a. durch mediale Berichterstattung, welche vor allem Nachrichten über Anschläge, Korruption und Unfreiheit enthält, beeinflussen könnte.
Der Tourismus in Russland konzentriert sich vor allem auf die beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Sankt Petersburg gilt als Venedig des Nordens und besitzt ein reiches kulturelles Angebot und eine historische Innenstadt, die vollständig UNESCO-Weltkulturerbe ist. Typisch für St. Petersburg sind die Weißen Nächte mit den hochgeklappten Newa-Brücken von Ende Mai bis Mitte Juli. Darüber hinaus werden Schifffahrten auf der Wolga sowie Besichtigungen von altrussischen Städten nordöstlich von Moskau, dem sogenannten Goldenen Ring mit mehr als 20 Städten, angeboten. Natururlaub ist vor allem in Karelien und dem Altai-Gebirge (Weltnaturerbe) möglich. Die Transsibirische Eisenbahn (Transsib) führt auf rund 9300 km von Moskau über Jekaterinburg, Nowosibirsk, die Hauptstadt Sibiriens, Irkutsk, das auch „Paris“ Sibiriens genannt wird, sowie die Region um den Baikalsee, ebenfalls ein UNESCO-Weltnaturerbe, bis nach Wladiwostok. Die Transsib wird sowohl von Individualtouristen in den Regelzügen der russischen Eisenbahn befahren als auch von Gruppenreisenden, die Fahrten in Sonderzügen buchen.
Auch Kaliningrad, das frühere Königsberg, zieht immer mehr deutsche Besucher an. Die Kurische Nehrung, eine schmale Landzunge, 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, liegt teils in der Oblast Kaliningrad, teils in Litauen.
Im innerrussischen Fremdenverkehr sind die Badeorte der Schwarzmeerküste sowie eine Reihe von nordkaukasischen Thermalquellen-Kurorten wie Kislowodsk oder Pjatigorsk von Bedeutung. 400 km liegen zwischen dem nördlichsten und dem südlichsten Punkt der russischen Schwarzmeerküste. Auf diesem relativ kleinen Küstenabschnitt, der auf dem gleichen Breitengrad gelegen ist wie die Badeorte der Adria und der italienischen und französischen Mittelmeerküste, konzentriert sich innerhalb der Saison von Mai bis Oktober der Großteil des Seebadbetriebes Russlands.
Zunehmender Beliebtheit erfreut sich der Skitourismus im Nordkaukasus. Vor allem für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi wurde die entsprechende Infrastruktur ausgebaut.
Verkehr
Verkehrsinfrastruktur
Mit einer Größe von 17.075.400 km² liegt das besondere Augenmerk des Landes auf einer möglichst breit gefächerten und funktionierenden Infrastruktur. Nach der politischen Wende Russlands hatte sich das Verkehrsaufkommen zunächst aufgrund des Wirtschaftsabbaus überwiegend reduziert, erlebte dann aber ein starkes Wachstum. Die derzeitige Infrastruktur stammt noch zu einem größeren Teil aus den Zeiten der Sowjetunion und ist inzwischen modernisierungsbedürftig, und die bestehenden Verkehrssysteme erzeugen kaum Netzwerkeffekte. Die Erweiterung und Modernisierung der Transport-Infrastruktur besitzt für die russische Regierung daher hohe Priorität. 2005 beschloss die Regierung eine Strategie zur Erneuerung der Verkehrswege, mit Schwerpunkt auf fortgesetzten Modernisierungen und Verbesserungen im Schienen-, Straßen- und Luftverkehr sowie der Sanierung der Häfen des Landes. Zudem sollen Konzessionen und andere öffentlich-private Partnerschaftsmodelle im Transportsektor forciert werden, um auch in diesem Sektor Finanzierungsmittel privater Investoren zu mobilisieren.
Trotz schwieriger Bedingungen will sich Russland programmatisch als ein wichtiges Drehkreuz im Asien-Europa-Verkehr und zum Teil auch auf der Nord-Süd-Achse von Nordeuropa Richtung Indien etablieren. Die Logistikinfrastruktur soll dazu vor allem an den Knotenpunkten Moskau und Sankt Petersburg ausgebaut werden.
Während die Verkehrsinfrastruktur Russlands westlich des Urals insgesamt gut ausgebaut ist, ist die Infrastruktur von Straßen- und Eisenbahnen im Trans-Ural und in Sibirien technisch bestenfalls veraltet und nicht wettbewerbsfähig. Größtes verkehrstechnisches Hindernis zur wirtschaftlichen Anbindung der riesigen Territorien Sibiriens an die boomenden süd- und südostasiatischen Staaten sind fehlende Verkehrswege in Nord-Süd-Richtung. Demzufolge vereinbarten Wladimir Putin und Xi Jinping 2015, die respektive von Russland und China initiierte Eurasische Wirtschaftsunion und die Silk Road Belt Initiative in ein Projekt, die Central Eurasia Initiative, zu integrieren. Darin soll eine logistische Strategie zu einem neuen Transportgerüst für Sibirien und den Fernen Osten Russlands ausgearbeitet werden.
Im Logistics Performance Index, der von der Weltbank erstellt wird und die Qualität der Infrastruktur misst, belegte Russland 2018 den 75. Platz unter 160 Ländern.
Straßenverkehr
Seit 2000 ist in Russland der Trend zur Straße deutlich zu erkennen. Die Straßendichte ist mit 40 m Straße pro km² sehr gering. Dies ist unter anderem auf die in großen Teilen des Landes sehr geringe Bevölkerungsdichte zurückzuführen. Das Straßennetz in Russland ist von sehr unterschiedlicher Qualität, sein Ausbau kann mit dem immer stärker werdenden Straßenverkehr nicht Schritt halten. Die Dichte des Netzes nimmt von West nach Ost stark ab: Je weiter man sich von Moskau nach Osten entfernt, desto mehr verschlechtern sich die Straßenverhältnisse. Trotzdem wird der Großteil des Güterverkehrs zwischen Westeuropa und Russland über die Straße abgewickelt – im Transit über Polen und Belarus oder über die Nordroute via Polen und die baltischen Republiken sowie über Finnland. Dazu trägt auch der Spurweitenunterschied der Eisenbahnen bei.
Das russische Autobahn- und Fernstraßennetz umfasst zusammen etwa 540.000 km (2001), davon sind zwei Drittel befestigt. Erst seit 2003 existiert eine räumlich und saisonal durchgehende Straßenverbindung von der Ostsee zum Pazifik. Die Fernstraßen sind außerhalb der Ballungsgebiete in der Regel nicht als Autobahnen oder Schnellstraßen ausgebaut und auch bei größeren breiten Straßen sind die Richtungsfahrbahnen nicht durch Leitplanken voneinander getrennt. Die wichtigste Fernstraße in Russland ist die Europastraße 30, die in Sibirien endet.
Der Anteil der Transportkosten an den Produktionskosten liegt aufgrund der schlechten Straßen bei bis zu 20 %. Die schlechte Infrastruktur kostet das Land bis zu 9 % seiner Wirtschaftsleistung; Verkehrsexperten schätzen, dass jährlich umgerechnet mindestens 32 Milliarden Euro in den Ausbau der Straßen investiert werden müssten.
Im Straßenverkehr passieren relativ viele tödliche Unfälle. Im Jahr 2013 kamen in Russland insgesamt 18,9 Verkehrstote auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im selben Jahr 4,3 Tote. Insgesamt kamen damit 27.000 Personen im Straßenverkehr ums Leben. Die Motorisierungsrate des Landes liegt weltweit im oberen Mittelfeld. 2017 kamen im Land 324 Kraftfahrzeuge auf 1000 Einwohner. Mit ungefähr 46,9 Millionen Fahrzeugen verfügt Russland über den fünftgrößten Fuhrpark aller Länder.
Öffentlicher Nahverkehr
Fast die Hälfte der Passagierbeförderung findet im Nahverkehr statt, vorwiegend über das Busnetz, das in 120 Städten existiert. Darüber hinaus verfügen 90 russische Städte über ein Obusnetz, in 66 Städten gibt es Straßenbahnen und Vorortzüge und in sieben Städten auch eine U-Bahn sowie in vier weiteren S-Bahnlinien.
In den 1990er-Jahren verfielen viele der guten Nahverkehrsnetze und wurden zunehmend durch private Bus- oder Linientaxibetriebe ergänzt oder ersetzt. Auch in jüngster Zeit wurden in mehreren Großstädten Straßenbahn- oder Obussysteme zugunsten von Bussen stillgelegt (so 2008 der Obus in Archangelsk und die Straßenbahn in Iwanowo, oder 2009 die Straßenbahn in Woronesch).
Schienenverkehr
Als Massentransportmittel über lange Distanzen nimmt die Eisenbahn in Russland einen wichtigen Teil des Verkehrsmarktes ein. Aufgrund der großen Entfernungen bildete im frühen 20. Jahrhundert die Anbindung des Fernen Ostens eine große Herausforderung, die das Land mit der berühmten Transsibirischen Eisenbahn herstellen konnte. Parallel dazu wurde Ende des 20. Jahrhunderts zur Erschließung des fernen Ostens Sibiriens die Baikal-Amur-Magistrale vom Baikalsee zum Fluss Amur gebaut. Durch diese beiden und die abzweigenden Strecken wird das Land in west-östlicher Richtung erschlossen. Durch sie kann beispielsweise die Beförderung von Gütern zwischen Pusan und Helsinki von etwa 47 Tagen auf dem Seeweg auf ca. 16 Tage reduziert werden.
Im Mai 2001 beschloss die russische Regierung die Umsetzung der Bahnreform. Die Hauptziele war die Liberalisierung des Eisenbahnmarktes und Freigabe der Tarife im Eisenbahnverkehr. Im Rahmen der Bahnreform wurde im Oktober 2003 das ehemalige Bahnministerium (MPS) aufgelöst und Russlands zweitgrößtes staatliches Unternehmen, die Rossijskije schelesnyje dorogi (RZhD) gegründet. In den letzten Jahren sind in Russland auch 85 Privatbahnunternehmen entstanden, die heute mehr als 25 % der Güter transportieren und rund 30 % (etwa 200.000 Güterwagen) des gesamten Güterwagen-Bestands in Russland besitzen. Das Streckennetz in Russland wird von der RZhD betrieben. Insgesamt umfasst das gut entwickelte Eisenbahnnetz (Breitspur mit 1520 mm Spurweite) rund 87.000 km, davon ist knapp die Hälfte (40.000 km) elektrifiziert. Auf der Insel Sachalin existieren fast 1000 km in 1067 mm Breite. Daneben gibt es zusätzlich 30.000 km nicht öffentlicher Industriebahnen (alle Angaben 2004). Während in Westeuropa schon seit Jahrzehnten der Straßengüterverkehr der dominierende Verkehrsträger ist und die Bahn eine nachrangige Bedeutung hat, konnte der Lkw in Russland erst seit 2000 aufholen. Daher besitzt die Bahn in Russland mit 83 % einen überdurchschnittlich hohen Marktanteil am Güterverkehr.
Wasserverkehr
Russland verfügt über eine beträchtliche Anzahl von Häfen und befahrbaren Wasserstraßen. 72.000 km Binnenwasserwege verbinden im europäischen Teil Russlands die Ostsee, das Schwarze Meer, die Binnenseen und das Weiße Meer miteinander. Wichtige Wasserstraßen dabei sind die Wolga, die Kama, die Nischni Nowgoroder Oka, die Wjatka, der Don und die Kanäle, die diese Flüsse miteinander verbinden.
In Sibirien sind 24.000 km schiffbar. Durch die Entwässerung der großen Flüsse Ob, Jenissei und Lena in das Polarmeer fehlt eine Ost-West Erschließung auf dem Wasserweg; durch Eisbildung ist die Polarroute nur wenige Monate im Sommer möglich, diese Periode verlängert sich aber durch den Klimawandel. Die Schiffbarkeit der Flüsse und Kanäle wird durch meteorologische Einflüsse (Wasserstand) und mangelhaften Ausbau stark beeinträchtigt. Seit 1990 ist in Russland ein Abbau des Bestands der Binnenschiffsflotte zu beobachten. Die Zahl der Binnenschiffe betrug 2002 noch etwa 8800, davon waren 8000 Güterschiffe und 800 Passagierschiffe. Die wichtigsten russischen Binnenhäfen sind Archangelsk, Perm, Jaroslaw, Saratow und Tscheboksary.
Die Seeschifffahrt gehört zu den stark wachsenden Verkehrsbranchen in Russland. Wesentlicher Grund dafür ist das steigende Exportaufkommen an Rohöl und Mineralölerzeugnissen. Die wichtigsten Seehäfen befinden sich in St. Petersburg und Kaliningrad an der Ostsee, Noworossijsk und Sotschi am Schwarzen Meer sowie Wladiwostok, Nachodka, Magadan und Petropawlowsk-Kamtschatski am Pazifischen Ozean; Murmansk ist der einzige ganzjährig eisfrei gehaltene (Nord-)Atlantikhafen. Im Jahr 2003 betrug der Güterumschlag in den russischen Häfen 285,7 Millionen Tonnen. Für den Güterverkehr zwischen dem russischen Kernland und der Exklave Kaliningrad ist der Fährverkehr von Bedeutung.
Luftverkehr
In Russland und der Sowjetunion kam der Luftfahrt aufgrund der Fläche des Landes schon früh eine große Bedeutung zu. Der nationale Flugverkehr verbindet entlegene Gebiete, deren Erschließung auf dem Landweg sich nie lohnte. Zu Zeiten der Sowjetunion war die staatliche Aeroflot die größte Fluggesellschaft der Welt und ihre Preise teils günstiger als die der Eisenbahn.
Die Flugscheine in den fernen Osten Russlands werden auch heute vom Staat subventioniert.
Neben der weiterhin halbstaatlichen Aeroflot fliegen als größere Gesellschaften die ebenfalls mit dem Staat verbundene Rossija, S7 Airlines oder UTair. Die Zahl von Flughäfen in Russland verringerte sich zwischen 1992 und 2011 von 1302 auf 496, wobei die Zahl internationaler Flughäfen von 19 auf 70 gestiegen war und 55 Flugplätze über eine befestigte Piste von mehr als 3000 m Länge verfügten. Mehrere internationale Fluggesellschaften fliegen außer Moskau auch andere russische Städte an. Die größten und wichtigsten Flughäfen sind Scheremetjewo-2 und Domodedowo in der Nähe von Moskau. Die Flugzeugflotte Russlands umfasste im Jahr 2011 rund 6000 Flugzeuge, davon knapp 2000 Frachtflugzeuge. Zur Belebung der russischen Luftfahrtindustrie dienen staatliche Förderung und Regulierungen. Im Herbst 2018 erteilte die Regierung den Banken Sberbank und VTB den Auftrag zur Gründung einer großen Regionalfluglinie, Mit deren Hilfe sollte eine Aufwertung der Regionalflughäfen zur Entlastung des Drehkreuzes Moskau erreicht werden. Im Januar 2020 erteilte Präsident Putin der Regierung die Anweisung, eine Gesellschaft für die Erschließung der abgelegenen östlichen Regionen zu bilden mit einer rein aus russischen Flugzeugen bestehenden Flotte. Diese Gesellschaft wurde auf Basis der Red Wings geschaffen. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 und den westlichen Sanktionen erteilten die russischen Behörden 21 Fluggesellschaften die Erlaubnis, ausländische Luftfahrzeuge ohne gültiges Lufttüchtigkeitszeugnis zu betreiben, was zu einem Flugverbot über der EU führte. Russland selbst schloss den Luftraum und elf Flughäfen (Anapa, Belgorod, Brjansk, Woronesch, Gelendschik, Krasnodar, Kursk, Lipezk, Rostow am Don, Simferopol und Elista) entlang des Kriegsgebietes zunächst für sieben Tage, danach wurden die Maßnahmen dutzendfach verlängert. China verweigerte den doppelt registrierten Flugzeugen ebenfalls die Benutzung seines Luftraums.
Raumfahrt
In den 1990er-Jahren litt die russische Raumfahrt unter großen Finanzierungsproblemen, so dass viele Programme stillstanden. Durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation konnte sich die russische Raumfahrt erholen. Das Staatsunternehmen Roskosmos ist als nationale Weltraumorganisation für das zivile Raumfahrtprogramm des Landes zuständig; sein Sitz befindet sich im Sternenstädtchen nahe Moskau. Es wurde 1992 als Behörde gegründet und übernahm die wesentlichen Ressourcen der sowjetischen Raumfahrt. Roskosmos nutzt aktuell drei Raumfahrtbahnhöfe: das Kosmodrom Plessezk bei Archangelsk, das Kosmodrom Wostotschny im Amur-Gebiet sowie das Kosmodrom Baikonur in Kasachstan, die Hauptbasis der sowjetischen und russischen Raumfahrt. Russland ist seit Jahrzehnten einer der erfolgreichsten Anbieter von kommerziellen Raketenstarts.
Im Juli 2005 wurde ein neues Raumfahrtprogramm für die Jahre 2005 bis 2015 von der russischen Regierung genehmigt. Ziel war es, das Weltniveau der russischen Raumfahrt zu sichern und die Position Russlands unter den weltweit führenden Raumfahrtmächten zu festigen. Priorität hatten dabei die Entwicklung und Nutzung der Raumfahrttechnik und -dienstleistungen sowie der Bau von Raumschiffen für bemannte Flüge, Transport- und interplanetare Missionen, darunter auch ein wiederverwendbares Raumfahrtsystem. Russland beteiligt sich maßgeblich an der ISS, zu deren Versorgung, seit der Einstellung des Space-Shuttle-Programms, vermehrt die Sojus-Rakete mit dem Sojus-Raumschiff und dem Progress-Raumtransporter eingesetzt werden.
Weiterhin sollen die wissenschaftlich-technischen Grundlagen für einen bemannten Flug zum Mars und eine Raumstation der neuen Generation geschaffen werden. In einem ersten Schritt wollte Russland dazu bis 2015 seine Satellitenflotte vorrangig mithilfe westlicher Elemente an den Weltstandard heranführen. Zudem sollten zu diesem Zeitpunkt vom neuen Kosmodrom Wostotschny im Amur-Gebiet die ersten unbemannten Starts mit modernisierten Versionen der bisherigen Trägerraketen erfolgen. Tatsächlich startet dort seit 2016 das ältere Modell Sojus-2.1. Für 2020 waren von Wostotschny erste bemannte Starts von Raumschiffen mit der neuen Trägerrakete Angara A5 geplant; dies verschiebt sich auf Mitte der 2020er-Jahre. Zugleich sind für die 2020er-Jahre Missionen zur vertieften Erforschung des Mondes sowie des Planeten Venus vorgesehen.
Die russische Raumfahrtindustrie war seit Sowjetzeiten mit der der Ukraine verwoben; mehrere Raketen wie die Dnepr und die Zenit wurden gemeinsam entwickelt und produziert. Durch den Krieg mit der Ukraine zerbrach diese Zusammenarbeit, sodass Russland etwa die Hälfte seiner Auswahl an Trägerraketen verlor. Neue Eigenentwicklungen wie die Sojus-5 und -6 sollen dies im Laufe der 2020er-Jahre kompensieren.
Kommunikation und Information
Pressefreiheit und Mediensteuerung
Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt und nimmt weiter ab, nach Reporter ohne Grenzen lag Russland 2019 auf Platz 149 von 180 Ländern, 2023 nur noch auf Platz 164. Die Russische Präsidialverwaltung nimmt unbeachtlich der in der Verfassung garantierten Pressefreiheit direkten Einfluss auf die Berichterstattung, ihr stellvertretender Leiter Alexei Gromow gibt den Chefs der bedeutenden staatlichen und privaten TV-Sender bei einem Termin in Büroräumen der Kreml-Verwaltung wöchentlich den Rahmen der gewünschten Berichterstattung vor. Ferner werden Leitfäden mit Sprachregelungen und Argumentationslinien verfasst und den Sendern zugesandt. Unterhalb der Kreml-Administration findet über den Föderalen Dienst für die Aufsicht im Bereich der Informationstechnologie und Massenkommunikation (Roskomnadsor) Aufsicht wie Steuerung und Zensur sowohl der Medienlandschaft wie privater Kommunikation in elektronischen Medien, also dem Internet, statt. Dieses spielt eine bedeutende Rolle, Russen weichen nach dem Bann verbliebener einheimischer Medien wie westlicher sozialer Netzwerke im Jahre 2022 zunehmend in Telegram-Kanäle aus, um sich Informationen zu verschaffen, der Kreml nutzt über ihm nahestehende Kanäle diese Möglichkeit ebenfalls, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Roskomnadsor blockierte seit Februar 2022 fast alle unabhängigen Medien, diese sind wie auch beispielsweise Facebook oder Instagram nur noch über VPN zu erreichen. Unabhängige Medien verließen das Land, die Duma verabschiedete im März 2022 ein Zensurgesetz, wonach bei Androhung hoher Haftstrafen nur noch gemäß offizieller staatlicher Quellen berichtet werden darf.
Medienstruktur
Seit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems gab es viele Umstrukturierungsphasen im russischen Mediensektor. Staatliche Reformen haben den Medienmarkt zu Beginn der 1990er-Jahre privatisiert. Viele Zeitungen, Verlage und Fernsehsender gingen seitdem Allianzen mit Oligarchen ein, um ihr Überleben zu sichern. Dabei gerieten sie aber unter deren Kontrolle, die durch Manipulationen politischen Einfluss über die Medien ausüben. Die Präsident Putin widersprechenden Medienimperien von Boris Beresowski und Wladimir Gussinski (Media Most) wurden durch Gerichtsbeschluss zerschlagen. Die größten russischen Medienholdings sind die Gazprom-Media und die WGTRK, die Allrussische Staatsgesellschaft für Fernsehen und Radio. Obwohl die Medienzensur durch Roskomnadsor (Aufsichtsbehörde für Massenmedien, Kommunikation und den Schutz des kulturellen Erbes) praktiziert wird, ist laut der russischen Verfassung, Kapitel 2, Artikel 29 die Freiheit der Meinung und des Wortes garantiert. Propaganda und Agitation, die soziale, rassische, nationale und religiöse Feindschaft schürt, ist verboten, ebenso die Relativierung der Rolle der Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Die meisten Russen bevorzugen das Fernsehen als Informationsquelle Nummer eins, gefolgt von Zeitungen. Nach Angaben von Roskomnadsor sind in Russland (Stand: Jahr 2012) 66.032 Medien gelistet. Darunter finden sich 5254 TV-Sender, 3769 Radiosender, 28.449 Zeitungen und 21.572 Zeitschriften. Die Kanäle des Staatsfernsehens sind keine Massenmedien im westlichen Sinne.
Fernsehen
Das Fernsehen ist für 85 % der russischen Bevölkerung die hauptsächliche und oft einzige Informationsquelle und eignet sich daher besonders als Propaganda-Instrument der Regierung, die die inhaltliche Ausrichtung der Programme sorgfältig steuert. In den meisten Teilen Russlands können drei landesweite und ein bis zwei regionale Fernsehsender empfangen werden. In Moskau sind je nach Lage mehr als ein Dutzend Fernsehanbieter terrestrisch empfangbar. Der Perwy kanal, dt. Erster Kanal, ist landesweit der Sender mit der größten Reichweite und kann von 99,8 % der russischen Bevölkerung empfangen werden, die wöchentliche Zuschauerschaft beim Sender erreicht über 80 % der Bevölkerung. Ein Teil der russischen Fernsehsender wird vom staatlichen Medienkonzern WGTRK betrieben. Zu dessen Angebot gehört der Kanal Rossija 1, der laut eigenen Angaben von ca. 98,8 % der russischen Bevölkerung empfangen wird. Auch ein Sportsender namens Sport (russisch Спорт) und ein Kultursender namens Rossija K werden von WGTRK betrieben. Daneben gibt es seit 2005 den international ausgerichteten, u.a englischsprachigen Sender Russia Today mit Sitz in Moskau, dessen erklärte Ziele sind, dem Publikum die russische Sichtweise auf das internationale Geschehen vorzustellen. Auch Entwicklungen innerhalb Russlands sollen hier aus russischer Perspektive beleuchtet werden. Russia Today gilt als aus dem Kreml direkt initiiertes Propagandainstrument, die Idee für die Gründung wird Michail Lessin zugeschrieben. Der Sender ist personalstark (2011 verfügte er weltweit über mehr Mitarbeiter als Fox News) und verbreitet Verschwörungstheorien, es ist ihm gelungen im Westen eine große Zuschauerzahl zu gewinnen. Seine Bedeutung stieg ab dem Georgienkrieg 2009 und die Berichterstattung wurde zunehmend offensiv gebraucht. Vesti ist einer der wichtigsten Nachrichtenkanäle Russlands. Er ist ein Teil von Telekanal Rossija und RTR. Der TV-Sender Russian TV international wird speziell für die im Ausland lebenden Russen produziert.
In den 1990er-Jahren entwickelten sich in Russland mehrere teils landesweite private Fernsehsender, die auch unabhängige und auch regierungskritische Informationssendungen im Programm hatten. Zu Beginn der 2000er-Jahre gerieten jedoch die landesweit empfangbaren Sender unter die indirekte Kontrolle des Staates oder wurden geschlossen und durch staatliche Sender ersetzt. So sendet Sport heute auf der Frequenz von TW-6. Russland sendet mit der Fernsehnorm SECAM (Variante Osteuropa). Russland plant langfristig (in den 2010er-Jahren) DVB-T einzuführen. Angeblich sollen derartige Geräte subventioniert werden, damit sich die Bevölkerung das verhältnismäßig teure Gerät anschaffen kann.
Druckmedien
Die tagesaktuelle Presse der UdSSR wurde jahrzehntelang vor allem durch die halbamtliche Presseagentur TASS mit Informationen versorgt. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR entwickelte sich in Russland eine freie Presse, die sich jedoch heute wieder zunehmenden Repressionen durch die Regierung ausgesetzt sieht. Freedom House bewertet die Pressefreiheit als „nicht frei“ und mit einem generellen Abwärtstrend (2002 war das Land noch als „teilweise frei“ verzeichnet). In der Rangliste der Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen rangiert Russland im Jahr 2023 auf dem 164. Platz; in Europa schnitt nur die Türkei (Rang 165) schlechter ab.
Im Frühjahr 2017 wurde der Journalist Nikolai Andruschtschenko getötet. Laut dem Bericht von Reporter ohne Grenzen steht der Tod des Opfers in direktem Zusammenhang mit seiner journalistischen Tätigkeit.
Unter den Printmedien gilt die Boulevardzeitung Moskowski Komsomolez als die beliebteste im Land. Nach eigenen Angaben erreicht die Boulevardzeitung etwa 1,3 Millionen Leser. Sie ist auch die günstigste. Wichtigste Tageszeitung ist die Komsomolskaja Prawda, mit einer Auflage von heute 830.000 Exemplaren. Die Tageszeitung Rossijskaja gaseta (Auflage: 430.000 Exemplare) ist ein Verlautbarungsblatt der russischen Regierung mit Sitz in Moskau. Russische Gesetze und Erlasse treten erst mit der Veröffentlichung in der Rossijskaja Gaseta in Kraft. Eine staatliche Informations- und Analyseagentur ist seit 1993 die RIA Novosti mit eigenen Korrespondenten in mehr als 40 Ländern.
Radio
Neben dem staatlichen Radio Rossii gibt es zahlreiche private Hörfunksender – meist Lokalsender. Einige Moskauer Stationen haben auch Lizenzen in den Regionen. Der Sender Echo Moskwy galt bis zu seiner erzwungenen Unterbrechung 2022 als einziger verbliebener Vertreter regierungskritischer Medien. Russische Radiosender nutzen heutzutage die auch in Deutschland üblichen UKW-Frequenzen (87,5 MHz bis 108,0 MHz) unter der englischen Bezeichnung „FM“. Zu Sowjetzeiten wurde das so genannte OIRT-Band (65,9 bis 73,1 MHz) genutzt, wo heute unter dem Namen UKW noch einzelne Sender laufen. Viele russische Wohnungen haben einen Radiostecker, mit dem man in der Art des Drahtfunks ein bis drei Sender empfangen kann. Die simplen Geräte benötigen keine weitere Stromversorgung und haben oftmals als einziges Bedienelement einen Lautstärkeregler. Unter der Bezeichnung Stimme Russlands wird der umfangreiche Rundfunk-Auslandsdienst betrieben.
Internet
Die Geschichte des Internets in Russland beginnt im September 1990, als die Top-Level-Domain „.su“ für die damalige Sowjetunion angemeldet wurde. Diese Domain wird von russischen Websites teilweise bis heute benutzt. Im März 1994 wurde die offizielle Top-Level-Domain „.ru“ für russische Internet-Adressen angemeldet. Websites unter dieser Domain machen einen beträchtlichen Teil des russischen Internets – oft kurz Runet genannt – aus. Inzwischen hat das Land auch eine kyrillische Top-Level-Domain (.рф). Das russische Internet-Segment rangierte um 2012 mit insgesamt mehr als 3,6 Millionen Domainnamen auf Platz vier weltweit.
In den 2000er-Jahren stieg die Anzahl der Internetnutzer in ganz Russland kontinuierlich an: Gab es im Jahre 2000 nur 3,1 Millionen Nutzer (2,1 % der Bevölkerung) landesweit, betrug ihre Anzahl 2007 bereits 28 Mio. (19,5 %). Mit mehr als 50 Millionen Internet-Usern wurde Russland 2011 zum europäischen Spitzenreiter. 2016 nutzten 102 Millionen Russen oder 71,3 % der Bevölkerung das Internet. Zu den bedeutendsten Internet-Projekten des Runet gehören die Suchmaschinen Rambler und Yandex, das Online-Netzwerk W Kontakte sowie die Informations- und Nachrichtenportale RBC Informations Systems, Lenta.ru und Gazeta.ru. Zu den bekanntesten Providern gehören größere Telekommunikationsunternehmen wie CenterTelekom, MGTS, North-West Telecom oder WolgaTelekom. Im Zuge einer staatlichen Förderung des Internet-Ausbaus verzeichneten die Social-Media-Aktivitäten in Russland einen außergewöhnlich starken Auftrieb, entsprechende Plattformen spielen in Russland eine bedeutende Rolle. Besonders populär sind die in Russland entstandenen Plattformen Vkontakte.ru und Odnoklassniki.ru, die höhere Wachstumsraten auswiesen als internationale, wie etwa Facebook. Auch LiveJournal wurde in Russland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich genutzt und schließlich russisch. Die Bruttoreichweite der Social Networks betrug im Jahr 2010 rund 49,2 Millionen der in Russland lebenden Personen. Seither wurden viele Regulierungen mit schwammigen Formulierungen erlassen, welche den Behörden ein Durchgreifen gegen Dienste und Nutzer erlauben. Ab 2018 müssten sämtliche Kommunikationsinhalte gespeichert (und dem Staat zur Verfügung gestellt) werden, eine Verschiebung dieser Pflicht um 5 Jahre musste wegen des Aufwandes im Jahr 2017 erwogen werden.
Telekommunikation
Das gesamtrussische Telekommunikationsunternehmen Rostelekom ist das größte Unternehmen dieser Branche in Russland. Seit dem 1. April 2011 gehören zu ihm die Regionalfilialen Dalny Wostok (Ferner Osten), Sibir, Ural, Wolga, Jug (Süden), Sewero-Sapad (Nord-West) und Zentr (Zentrum). Den Mobilfunkmarkt teilen sich landesweit im Wesentlichen die drei größten Anbieter des Landes Mobile TeleSystems, Beeline und MegaFon, ferner einige kleinere regionale Anbieter. Diese Branche erlebte in Russland ab dem Jahr 2000 einen rasanten Wachstum: Besaß noch im Jahr 2000 weniger als 1 % der russischen Bevölkerung ein Mobiltelefon, überschritt 2006 die landesweite Anzahl von Handys bereits die Bevölkerungszahl und betrug mit dem Stand vom 31. März 2007 gut 155 Millionen.
Im Jahr 2019 wurde per Gesetz verfügt, dass der Internet-Datenverkehr über eigene Server zu laufen hat, sodass fortan eine Unabhängigkeit gegenüber dem Ausland gewährleistet ist.
Post
Der überwiegende Teil des russischen Postwesens wird vom staatlichen Unternehmen Potschta Rossii abgewickelt. Dieses wurde 2002 aus dem zugleich aufgelösten föderalen Post- und Telekommunikationsministerium ausgegliedert, das auch zu Sowjetzeiten für den Postverkehr zuständig war. Heute bietet die Potschta Rossii ihre Dienstleistungen in insgesamt über 42.000 Postämtern an, die flächendeckend über ganz Russland verteilt sind. Die Zahl der Beschäftigten im Unternehmen beläuft sich russlandweit auf rund 415.000. In vielen Städten bieten Postfilialen seit Anfang des 21. Jahrhunderts neben grundlegenden Postdienstleistungen – wie etwa dem Versenden und Empfangen von Briefen, Paketen und Telegrammen sowie dem Postgiro – auch ergänzende Dienste an, darunter öffentliche Computerarbeitsplätze mit Internetzugang.
Im Briefzustellungsbereich ist Potschta Rossii in Russland Monopolist. Im Bereich der Paketpost sind seit den 1990er-Jahren auch international tätige Kurierunternehmen wie DHL oder TNT Express in Russland tätig.
Bildung
Bildungssystem
Das Bildungssystem in Russland gliedert sich in vier Abschnitte: allgemeine Schulausbildung, Berufsausbildung, Hochschulausbildung und die Postgraduierten-Ausbildung. Die allgemeine Schulausbildung bedeutet nicht, dass das Kind eine Schule besuchen muss. Auf Wunsch der Eltern kann ein Kind eine häusliche Ausbildung erhalten, wenn sein Kenntnisstand dem Schulprogramm entspricht, was zweimal jährlich geprüft wird. Dieses Recht ist in Russland durch die Staatsverfassung (der Artikel 43) sowie durch das Bundesgesetz №273-ФЗ (das Föderalgesetz über Bildung in der Russischen Föderation) garantiert.
Der Staat wendete um 2017 4 % des Zentralhaushalts für Bildung auf. Im PISA-Ranking von 2015 erreichen russische Schüler Platz 23 von 72 Ländern in Mathematik, Platz 32 in Naturwissenschaften und Platz 26 beim Leseverständnis.
Allgemeine Schulausbildung
Die Allgemeine Schulausbildung untergliedert sich wiederum in die Abschnitte Grundstufe, Hauptstufe und Oberstufe.
Grundstufe: Der Schuleintritt erfolgt im Alter von sieben Jahren. Sowohl das Studienjahr als auch das Schuljahr beginnen in ganz Russland einheitlich am 1. September jedes Jahres. Das vorgezogene Schuleintrittsalter von sechs Jahren wird durchschnittlich etwa 35 % der Kinder nach einem psychologischen Gutachten empfohlen. Die vierjährige Primarstufe der Grund- oder Anfangsschule absolvieren die mit sieben Jahren eingeschulten Kinder binnen drei Jahren. Sie gelangen auf diese Weise aus dem dritten sofort in das fünfte Schuljahr.
Hauptstufe: Danach folgt eine obligatorische sechsjährige Hauptschulstufe. Sie führt zum Erwerb der „grundlegenden allgemeinen Bildung“ – in der Regel am Ende der neunten Klasse und nach dem Erreichen des Pflichtschulalters von 15 Jahren. Dieser Abschluss berechtigt zum Besuch der oberen Sekundarstufe (zweijährig). Nach der neunjährigen Pflichtschulbildung kann statt der Oberschulstufe auch eine Berufsausbildung an der mittleren Fachschule (Berufsschule) beziehungsweise dem Technikum absolviert werden. Diese Einrichtungen stehen im vertikal durchlässigen gesamten beruflichen Bildungswesen weiterhin für den Erwerb der vollständigen mittleren Bildung zur Verfügung (dualer Ausbildungsgang). Denn zusätzlich zu den berufsspezifischen Fächern werden auch die allgemeinbildenden Fächer unterrichtet, inhaltlich allerdings an der beruflichen Ausrichtung orientiert.
Oberstufe: Der Abschluss der Oberstufe erfolgt durch das „Zeugnis über die vollständige mittlere Bildung“ (das traditionell so genannte „Reifezeugnis“) – zu Deutsch Abitur, das aber noch nicht den Universitätseintritt garantiert. Dazu ist eine anspruchsvolle Aufnahmeprüfung erforderlich. Wer mit sehr guten Ergebnissen das Abitur abgelegt hat, hat nur eine oder zwei Aufnahmeprüfungen zu bestehen. Bei schlechteren Abiturnoten werden mehrere Fächer geprüft.
Hochschulen
Für die Hochschulausbildung steht den Studierenden in Russland ein vielfältiges Hochschulwesen zur Verfügung. Außer der klassischen Universität mit einem breiten Fächerangebot gibt es verschiedene Hochschulen und Akademien mit einer speziellen technischen, pädagogischen oder ökonomischen Ausrichtung. Das Abitur ist zwar Voraussetzung für den Hochschulbesuch, es muss jedoch zusätzlich eine Aufnahmeprüfung bestanden werden. Die Studienfinanzierung gibt es für leistungsstarke Schüler kostenfrei, für einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung aber nur gebührenfinanziert. Die Hochschulen haben nach 1992 größere Rechte zur Selbstverwaltung erhalten. Hochschulen werden neu aufgestellt; altehrwürdige Einrichtungen erhalten neue Namen und moderne Strukturen.
Die Dauer der meisten Studienprogramme beträgt fünf Jahre, wobei die ersten zwei Jahre wie in Deutschland auch, einem allgemeinen Grundstudium dienen, dem dann die fachliche Spezialisierung im Hauptstudium folgt. Bis 1991 gab es als einzigen Abschluss nur das Diplom. Mit der schrittweisen Einführung neuer Studiengänge sind neben dem Diplom auch der Bachelor und Master als Abschlüsse möglich, den die meisten Studenten auch anstreben.
Insgesamt lassen sich vier Kategorien von Hochschuleinrichtungen in folgender Hierarchie aufstellen:
Universitäten
Akademien
Institute (= Hochschulen)
Colleges
Zu den bekanntesten russischen Universitäten gehören die Staatliche Moskauer Lomonossow-Universität, die Staatliche Universität Sankt Petersburg, die Staatliche Universität Kasan und die Staatliche Technische Universität Nowosibirsk. Inzwischen ist in Russland die Gründung von privaten Schulen und Hochschulen erlaubt. Ihr Besuch ist nicht kostenlos und meist nur für eine kleine Schicht erschwinglich. In Russland gab es 2005 1061 Universitäten und Hochschulen, wovon 413 private Hochschulen waren.
Forschung
Erste Anfänge der wissenschaftlichen Tätigkeiten gab es in Russland bereits zu Zeiten der Kiewer Rus. So stammen die ersten überlieferten Chroniken, die Nestorchroniken, aus dem Jahr 1070. Dort wurden vor allem historische Ereignisse und auch meteorologische Beobachtungen festgehalten.
Wissenschaft als soziale Einrichtung entstand in Russland aber erst Anfang des 18. Jahrhunderts unter der Herrschaft Peter des Großen. Zu dieser Zeit wurden die ersten wissenschaftlichen Einrichtungen des Russischen Reichs gegründet, vor allem 1724 die Akademie der Wissenschaften. 1755 wurde in Moskau mit der heutigen Lomonossow-Universität die erste Universität Russlands gegründet. Im Jahre 1916 gab es in ganz Russland rund 100 Hochschulen, davon 10 Universitäten, sowie einige Dutzend Forschungseinrichtungen. Damit befand sich die Wissenschaft des Russischen Reichs im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern auf einem niedrigen Entwicklungsniveau. Dennoch genossen schon damals bestimmte Bereiche der russischen Wissenschaft internationales Ansehen. So waren unter den ersten Nobelpreisträgern zwei russische Akademiker, Iwan Pawlow (1904) und Ilja Metschnikow (1908).
Einen erheblichen Entwicklungsschub bekam die russische Wissenschaft zu Sowjetzeiten. Die Sowjetunion besaß insgesamt ein gut ausgebautes Forschungs- und Entwicklungssystem. Charakteristisch für diese Zeit war der hohe Zentralisierungsgrad der Forschung. So waren die meisten Wissenschaftler bei der Akademie der Wissenschaften oder in ihren regionalen Abteilungen angestellt. Zentrale Merkmale waren die Trennung von Forschung und Produktion, die Dominanz der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in der Grundlagenforschung und in der anwendungsbezogenen Forschung und die geringe Bedeutung des Hochschulbereichs in der Forschung. Alle Unternehmen im Wirtschaftsbereich waren in Staatsbesitz und führten selbst wenig Forschung durch. Ein Großteil der Forschung wurde durch spezialisierte Forschungsinstitute vorgenommen, die im Allgemeinen organisatorisch von den staatlichen Unternehmen getrennt waren. Da der Sowjetstaat der Industrialisierung und militärischer Überlegenheit eine sehr hohe Priorität einräumte, förderte er die Forschung und Entwicklung auf diesen Gebieten besonders großzügig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs förderte der Staat die Entwicklung der sowjetischen Raumfahrt sehr intensiv. Dies alles führte dazu, dass die Sowjetunion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Industrieland aufgestiegen war. Die Forschung und Entwicklung galt auf bestimmten Gebieten, wie der Rüstungsindustrie und der Raumfahrt, als weltweit führend.
Die Wissenschaft erlebte in der Russischen Föderation in den 1990er-Jahren eine schwere Krise, da es permanent an finanziellen Mitteln fehlte, um die vorhandenen Forschungseinrichtungen zu unterstützen. Das führte zu Entwicklungsstopps auf vielen Gebieten und zur Abwanderung qualifizierter Forschungs- und Lehrkräfte ins europäische Ausland oder in die USA. Die Institutionen und Arbeitsweisen in der russischen Forschung und Entwicklung haben viele Merkmale des ehemaligen sowjetischen Systems beibehalten, die Mehrheit der Forschungsorganisationen sind vom Wirtschaftssektor getrennt. Forschungseinrichtungen in Unternehmen sind in der Regel gering ausgebildet. Die Russische Akademie der Wissenschaften hat eine dominierende Stellung inne. Fast zwei Drittel aller Forschungseinrichtungen waren (Stand April 2012) in Staatsbesitz und beschäftigen 78 % des Forschungspersonals. Dagegen sind 14 % der Einrichtungen privatwirtschaftlich organisiert. Aufgrund dieser Übermacht des Staates wird die russische Forschung vorrangig durch große Forschungsinstitute angeführt, kleine Organisationen haben nur eine geringe Bedeutung. Dementsprechend beschäftigten 2008 die größten aller russischen Forschungseinrichtungen insgesamt 53 % des Forschungspersonals und waren für 44 % der gesamten Forschungsausgaben verantwortlich. Bei der Finanzierung von Forschung und Entwicklung überwiegt die Förderung durch den Staatshaushalt. Anfang der 2010er-Jahre versuchte die Regierung, den Forschungsbeitrag der Universitäten zu erhöhen. Am gesamten Finanzierungsumfang der Forschung macht der Hochschulsektor gerade 6–7 % aus. 12 % des Lehrpersonals werden als Forscher eingestuft. Fast die Hälfte aller Universitäten und anderen Hochschuleinrichtungen beteiligt sich überhaupt nicht an Forschungsaktivitäten.
Trotz Krisen in den 1990er-Jahren nehmen einige Bereiche der Wissenschaft Russlands nach wie vor im internationalen Vergleich obere Positionen ein. So wurden fünf russische Physiker mit dem Nobelpreis ausgezeichnet: Schores Alfjorow im Jahr 2000, Alexei Abrikossow und Witali Ginsburg im Jahr 2003 sowie Andrei Geim und Konstantin Nowosjolow im Jahr 2010.
Zur Förderung der einheimischen Forschung und Entwicklung ab 2000 wurden spezielle nationale Zielprogramme entworfen, die unter anderem eine Erhöhung der Gehälter für Angestellte in der Wissenschaft, die Förderung von Nachwuchsakademikern und die landesweite Einrichtung von Technologieparks vorsahen. Dabei wurde besonders auf die Weiterentwicklung in den Bereichen Wert gelegt, in denen Russland früher Spitzenergebnisse erzielte, also vor allem in Naturwissenschaften und der Rüstungsindustrie. Präsident Medwedew startete eine Modernisierungsoffensive durch Förderung von Schlüsselprojekten, so die Stadt der Innovationen (Innograd), in Skolkowo. Dort sollen künftig neue Techniken erforscht und bis zur Marktreife entwickelt werden. Der neue Forschungs- und Entwicklungskomplex sollte vorrangig in fünf Bereichen arbeiten: Energie, Informationstechnik, Telekommunikation, Biomedizin und Kerntechnik. Die russische Regierung plante weiterhin den Einstieg in die Produktion von Mikroelektronik. Auch bei der Satellitennavigation will Russland seinen Markt stärker auf die Nutzung des einheimischen Systems GLONASS trimmen.
Die Aussichten für die Wissenschaft verdüsterten sich nach dem russischen Angriffskrieg 2022, alle Spitzen des Wissenschaftsbetriebs wurden auf Regierungskurs eingeschworen, während umgekehrt 8000 Wissenschaftler einen Protestbrief unterschrieben. Das MIT wie auch das CERN stellte die Zusammenarbeit ein, die Russen am CERN hofften auf einen Verbleib als „staatenlose“ Mitarbeiter, ähnlich russischer Olympiateilnehmer. Es wurde eine Kürzung der Mittel ebenso befürchtet wie Probleme bei der Labor-Ausrüstung für die Grundlagenforschung. Schon seit längerer Zeit konnten Wissenschaftler mit Kontakten ins Ausland willkürlich belangt und als „ausländische Agenten“ registriert werden.
Kultur
Kulturelle Entwicklung
Die russische Kultur besteht aus einer europäischen Hochkultur und einer gewachsenen russischen Volkskultur. Zeitweise verstand sich Russland als das radikale Andere des Westens, auch weil die russische Kultur im Vergleich zu der westeuropäischen über lange Zeit eine andere Entwicklung nahm, bedingt durch ihren Standort an der Peripherie der westlichen Kulturentwicklung. Weiterhin führte das Schisma von 1054 zu einem sich völlig anders entfaltenden orthodoxen Christentum mit einer wachsenden Ablehnung des Katholizismus. Die russische Staats- und Rechtsauffassung, die dem byzantinischen Cäsaropapismus entstammt, im Unterschied zur römischen Rechtstradition im Westen, trug ebenso zu der Abgrenzung der russischen Kultur zu der westeuropäischen bei (vgl. Rechtsgeschichte Russlands). Im Gegensatz zu der Entwicklung von Nationalstaaten im restlichen Europa vollzog sich in Russland ab 1550 der Wandel zu einem Vielvölkerreich, der die kulturelle Entwicklung mitprägte.
Die russische Kultur ist weiterhin durch zeitlich verschiedene Entwicklungsphasen zur westeuropäischen Kultur geprägt. Dies lässt sich durch die geokulturelle Randlage und gleichzeitige Ausdehnung Russlands nach Osten erklären, die ein unterschiedliches Evolutionstempo im Wechselspiel verlangsamter und beschleunigter Nachhol- und Entwicklungsphasen hervorrufen, wodurch es in der russischen Geschichte wiederholt zu gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Radikalisierungen kam. Demnach kann Russland als eine Übersetzungskultur angesehen werden, allerdings nicht in passiver Nachahmung, sondern aus dem Bedürfnis des Nachholens und Überbietens. Dies erzeugt produktive Wechselwirkungen, indem Eigenes nach dem imitierten Fremden modelliert wird und so Neues hervorbringt.
Russlands Kulturgeschichte beginnt weitgehend mit seiner Christianisierung (988/989) am Ende des 10. Jahrhunderts, wobei auf Ersuchen des Kiewer Fürsten Wladimir I. die byzantinische Kultur in ihren slawisierten Formen für die nächsten sieben Jahrhunderte bei den Russen die Vorherrschaft gewann. Es folgte ein rasches Aufblühen ihres Schrifttums, ihrer Kunst und Architektur nach der Einführung des Christentums.
Gerade die Orthodoxie bedingte ein anderes, auf Beharrung und Traditionen basierendes Kulturverständnis. Die religiöse Weltanschauung und kirchliche Textauffassung bestimmte und verlangsamte im Moskauer Reich die kulturelle Entwicklung. Eine Erstarrung der russisch-orthodoxen Kultur setzte ab 1500 ein, nachdem der Impulsgeber Byzanz durch den Fall Konstantinopels unter osmanische Herrschaft gelangt war. Unter Peter I. begann ab dem 17. Jahrhundert eine forcierte Säkularisierung und Europäisierung des gesellschaftlichen Lebens. Der erste Kaiser des Russischen Reiches holte westeuropäische Architekten und Künstler ins Land und wollte durch die äußere Europäisierung – z. B. Ablegung der Bärte und Annahme der europäischen Kleiderordnung – eine Änderung der inneren Einstellung erreichen. Die Europäisierung Russlands erreichte aber nur eine kleine Oberschicht. Russland fand im 19. Jahrhundert den Anschluss an die europäische Kultur und gehörte um 1900 zu ihrer Avantgarde. Neben einer verwestlichten Hochkultur der Oberschicht bestand die traditionelle russische Volkskultur im Volk fort, so dass bis 1914 immer noch zwei Kulturen nebeneinander bestanden. In der Sowjetunion wurde dann unter Stalin der Sozialistische Realismus zur einzigen verbindlichen Kulturnorm erklärt. Nicht systemkonforme schriftliche oder gesungene Ausdrucksformen von Kultur konnten nur im Untergrund als Samisdat erscheinen. Im neuen russischen Staat erlebte die russische Kultur in den 1990er-Jahren eine erneute Krise. So mussten die russischen Kunstschaffenden mit den wegfallenden staatlichen Förderungen und der Konkurrenz in der kapitalistischen Massenkultur in den 1990er-Jahren zuerst den daraus resultierenden Stillstand überwinden.
Volkskultur
Holzbaukunst
Die Wohnhäuser in Russland wurden lange in Blockbauweise (Isba) errichtet. Diese Blockhäuser findet man heute noch auf den Dörfern. Sie sind meist in blauen oder grünen Farbtönen gestrichen und besitzen phantasievolle geschnitzte, meist weiße Fensterrahmen. Blau und Grün sollen als Farben der Orthodoxie böse Geister vertreiben.
Handwerkskunst
Russisches traditionelles Handwerk bildet einen wichtigen Aspekt der russischen Volkskultur. In der Waldzone der Nordost-Rus entwickelten sich das Drechslerhandwerk und die Holzschnitzerei. An Orten, an denen Lehm vorhanden war, entwickelte sich das Keramikhandwerk. In den nördlichen Regionen Russlands mit seinen ausgedehnten Flachsfeldern wurden Spitzen geklöppelt. Der Ural mit seinen reichen Vorkommen von Eisenerz sowie von Halbedel- und Schmucksteinen ist für seine Gießkunst, den Waffenschmuck und Schmuckartikel berühmt. Berühmt ist das Dymkowo Keramik-Spielzeug (siehe Anna Afanassjewna Mesrina), Chochloma, Keramik aus Gschel und Lackminiaturen aus Palech. Matrjoschka ist das beliebteste russische Souvenir. Schon ein paar Jahre nach ihrem Aufkommen wurde die Matrjoschka auf der Pariser Weltausstellung von 1900 demonstriert, wo sie eine Medaille verdiente und weltweiten Ruhm erlangte.
Kleidung
Zur traditionellen russischen Kleidung gehörten Kaftan, Kossoworotka und Uschanka für Männer, Sarafan und Kokoschnik für Frauen, mit Lapti aus Bast und Walenki (Filzstiefel) als übliches Schuhwerk. Zur traditionellen Kleidung der Kosaken aus dem südlichen Russland gehören Burka und Papacha.
Küche
Die russische Küche, ursprünglich eine typische Bauernküche, verwendet viele Zutaten aus Fisch, Geflügel, Pilzen, Beeren und Honig. Gegessen wird Brot, Pfannkuchen, getrunken wird Kwas, Bier und Wodka. Wodka ist ein Teil der russischen Kultur. Laut russischen Chroniken entstanden im Russland des 12. Jahrhunderts erste Brennereien. Zunächst wurde Wodka für medizinische Zwecke verwendet. Russischer Wodka wird aus Getreide hergestellt. Traditionell bevorzugt man in Russland einen reinen, nicht aromatisierten Wodka, der bei Zimmertemperatur meist in Gesellschaft getrunken wird. Zu Wodka wird oft etwas Salziges (beispielsweise Salzgurken, Salzpilze oder Salzhering) serviert. Schmackhafte Suppen und Eintöpfe wie Schtschi, Borschtsch, Rassolnik, Ucha, Soljanka und Okroschka kennzeichnen die russische Küche. Berühmt sind auch russische Teigspeisen wie Piroschki, Blini und Syrniki. Kiewer Kotelett, Bœuf Stroganoff, Pelmeni und Schaschlik sind beliebte Fleischgerichte, die letzten beiden sind tatarischen und kaukasischen Ursprungs. Weitere verbreitete Fleischgerichte sind Kohlrouladen (russ. ) in der Regel mit Fleisch gefüllt. Typisch russisches Salate sind Vinaigrette (russ. ), Oliviersalat und Hering im Pelzmantel (russ. ). Tee wird in Russland bereits seit dem 17. Jahrhundert in jedem Haushalt getrunken, sodass sich in Russland eine richtige Teekultur entwickelte. Zur Zubereitung des Tees wird in Russland traditionell ein Samowar verwendet, er gilt in Russland als eine Art Nationalsymbol. Neben den traditionellen russischen Desserts, wie Baranki, Prjaniki, Warenje und Pastila (bzw. Sefir), werden zum Tee auch gerne orientalische Süßigkeiten, wie Halva, Gosinaki und Lokum, sowie diverse Schokoladen und Torten serviert.
Volksmusik
Russlands große Anzahl von ethnischen Gruppen verfügt über ausgeprägte Traditionen der Volksmusik. Typische russische Musikinstrumente sind Gusli, Balalaika, Schaleika und Garmon. Das russische Volk besitzt eine reiche Tanzfolklore. Berichte über russische Tänze finden sich seit dem 11. Jahrhundert. Tänze spielen für das russische Volk eine große Rolle. In vielen Tänzen kommen die nationalen Züge des russischen Charakters sehr klar zum Ausdruck. Die älteste Art des russischen Tanzes ist der so genannte Chorowod, ein Reigentanz einer Gruppe von Teilnehmern, die sich an den Händen halten. Die zweite Art von Tänzen, die für die russische Tanzkunst charakteristisch ist, sind die Improvisationstänze. Sie werden als Solotänze (Mann oder Frau), in Paaren oder von mehreren Tanzenden aufgeführt. In diesen Tänzen kommt die Individualität des Tanzenden besonders stark zum Ausdruck. Der Perepljas ist eine Art Tanz um die Wette, wobei jeder der Reihe nach auftretende Tänzer bestrebt ist, den anderen durch seine Tanzmeisterschaft, Phantasie und bessere Ausführung der Bewegungen zu übertrumpfen.
Badekultur
Russland besitzt eine ausgeprägte Dampfbadkultur, die Banja. Der Besuch der Banja ist ein Ritual. Dort finden bis heute wichtige Gespräche, Geschäftsverhandlungen und politische Besprechungen statt. Auch im Kreml gibt es eine Banja. Nach alter russischer Tradition klopft man sich vorsichtig mit Weniks ab – in warmes Wasser getauchte, getrocknete Birkenzweigbündel.
Datschenkultur
Zur Erholung und zum Entspannen verbringen russische Stadtbewohner die Wochenenden oder ihren Urlaub gerne in einer Datscha, einem Land- bzw. Ferienhaus mit Garten. Seit drei Jahrhunderten gehören die Datschen zur russischen Geschichte und Kultur. Auch in vielen russischen Balladen und in der russischen Literatur findet die Datscha oftmals Erwähnung. Ab Mitte Mai beginnt die Datscha-Saison. Rund um St. Petersburg und Moskau gibt es sehr viele Datschen-Vororte, die sich im Laufe ihrer Geschichte immer weiter von der Stadt entfernt haben.
Erzählkultur
Bekannt sind auch die russischen Märchen, die ihre Ursprünge in der heidnischen Zeit der Rus haben. Sie bildeten die Grundlage für die berühmten sowjetischen Märchenfilme. Sie haben Märchengestalten wie „Väterchen Frost“, das „Schneeflöckchen“ oder die „Hexe Baba Jaga“ auch nach Mitteleuropa gebracht.
Gastfreundschaft
Die russische Gastfreundschaft selbst in wirtschaftlich schwierigsten Zeiten ist sprichwörtlich. Bei einer Einladung versucht der Gastgeber bewusst, so viele verschiedene Gerichte wie möglich zuzubereiten. Das zeigt, dass für die Gäste an nichts gespart wird. Bis heute lebt der Brauch, bei offiziellen Anlässen ein rundes Brot mit einem Salzgefäß in der Mitte an den wichtigsten Gast auszuhändigen. Brot war lange Zeit das Hauptnahrungsmittel in Russland. Salz war rar und deswegen sehr teuer.
Troika
Ein im 19. Jahrhundert sehr verbreitetes Straßenbild im Winter war die Troika, das typisch russische Dreigespann. Dazu werden drei Pferde vor einer Kutsche oder einem Schlitten nebeneinander angeschirrt. Am Bogen hängt ein Glöckchen, das während der Fahrt ständig bimmelt und die Pferde in Trab hält. Die Troika stammt von den Waldai-Höhen, einer Hügellandschaft zwischen Moskau und St. Petersburg, und wird heute als Folklore gepflegt.
Feiertage
Als Nationalfeiertage gelten in Russland der sogenannte Tag der Einheit des Volkes am 4. November, der an die Befreiung Moskaus im Jahre 1612 von polnisch-litauischen Fremdherrschern erinnert, sowie der Tag Russlands am 12. Juni anlässlich der Erklärung der Staatssouveränität der Russischen SFSR an diesem Tag im Jahr 1990. Daneben gibt es jährlich mehrere gesetzliche Feiertage, von denen vor allem das Neujahrsfest (durchgehend vom 1. bis 5. Januar) gefeiert wird. Das Neujahrsfest wurde 2005 verlängert, dafür aber der für die Kommunisten wichtigste Nationalfeiertag, der Tag der Oktoberrevolution am 7. November, abgeschafft. Die russisch-orthodoxen Christen feiern Weihnachten nicht wie bei den Christen anderer Konfessionen am 24. Dezember. Sie feiern nach dem Julianischen Kalender am 7. Januar das Fest der Erscheinung des Herrn. Während der Sowjetzeit waren religiöse Feste nicht erlaubt. Doch seitdem im Jahr 1991 der 7. Januar zu einem offiziellen Feiertag erklärt wurde, wird Weihnachten in Russland wieder richtig gefeiert. Den Heiligen Abend am 6. Januar nennt man in Russland Sotschelnik.
Jedes Jahr begeht die russisch-orthodoxe Kirche das Epiphaniasfest. Es ist einer der ältesten orthodoxen Feiertage und geht zurück auf die Taufe Jesu im Jordan. Trotz Frost zieht es Jahr für Jahr Millionen Russen in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar ans Eisloch. An diesem einen Tag im Jahr ist das Wasser aller Flüsse und Seen Russlands heilig, besonders wenn es zuvor von einem orthodoxen Priester gesegnet wurde. Dreimal müssen Teilnehmende vollständig untertauchen. Vor jedem Eintauchen des Kopfes bekreuzigen sie sich. Die Prozedur soll die Gläubigen von Sünden reinigen und ihnen neue Kraft verleihen.
Der „Tag des Sieges“ über das nationalsozialistische Deutschland (am 9. Mai) besitzt nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung. Anfang Mai kommen dazu überall in Russland festlich gekleidete Kriegsveteranen zusammen und gedenken der gefallenen Kameraden. Oft fängt so ein Treffen an einem Grab oder Grabmal des unbekannten Soldaten oder an einem Ewigen Feuer an. Danach wird die Gedenkfeier entweder bei einem offiziellen Empfang oder privat an einer Festtafel fortgesetzt. Zum Siegestag schenkt man Kriegsveteranen Nelken. Jedes Jahr finden am Siegestag in vielen Städten Russlands (2011: 23) Militärparaden statt.
Fällt ein gesetzlicher Feiertag auf einen Dienstag oder einen Donnerstag, ist die Einrichtung eines arbeitsfreien Brückentags am Montag bzw. Freitag üblich, indem der vorhergehende Samstag bzw. der nachfolgende Sonntag im Gegenzug zu Arbeitstagen erklärt werden.
Kulturelle Zentren
Moskau und St. Petersburg sind die kulturellen Zentren Russlands mit einer großen Anzahl kultureller Einrichtungen. Allein Moskau weist mehr als 120 Theater, fünf Opernhäuser, sechs professionelle Symphonieorchester sowie zahlreiche Museen und Galerien auf. Das Moskauer Bolschoi-Theater genießt Weltruf, die Eremitage in St. Petersburg und die Staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau beherbergen weltbedeutende Kunstsammlungen. In anderen regionalen Zentren haben sich auch kulturelle Szenen entwickelt, so etwa in Nowosibirsk (Theater, Oper), Jekaterinburg (Theater, zeitgenössischer Tanz) und Nischni Nowgorod (zeitgenössische Kunst).
Literatur
In Russland genießt die Literatur eine sehr große Wertschätzung. Die in Westeuropa üblichen und gültigen Ordnungsmuster der Poetik und Gattungslehre, wie auch literarische Epochenbezeichnungen werden aber in Russland anders, weil zeitversetzt und in anderer Funktion, verwendet. Der Romanik entsprach in der Kiewer Rus die „Periode der stilistischen Einfachheit“ (11. Jh.), der Gotik das „Zeitalter des ornamentalen Stils“ (12. und 13. Jh.), für die folgenden Jahrhunderte vom 14. bis zum 16. gibt es gebräuchliche ideologische und geopolitische Epochennamen („Periode der geistigen Auseinandersetzungen“ und „Moskauer Literatur“). Im 17. und 18. Jahrhundert führte die Nachahmung barocker Stilverfahren zu einem späten Gleichklang mit dem westeuropäischen Zeitstil.
Der aus der byzantinischen Geschichtsschreibung übernommene Grundbestand an geistlichen Texten und Gattungen legte die Grundlage der kirchenslawische Tradition fest, was im slawischen Mittelalter als Literatur und als literarischer Text galt. Es herrschte die Dominanz eines geistlich-kirchlichen Literaturbegriffs (d. h. Lesen und Schreiben – ähnlich wie in der Ikonenmalerei – zum Nutzen der Seele). Andererseits fehlten die ästhetische Funktion, Individualstil, Fiktionalität (Trennung von Wahrheit und Dichtung), literarische Gattungen im neuzeitlichen Sinn und ein moderner Autorenbegriff. Literatur mit nicht vorherrschend geistlicher Funktion im alten Russland (vor 1700) ist vergleichsweise wenig vertreten. Der literarische Übergang zur Neuzeit vollzog sich im Namen einer möglichst festen und unmittelbaren Anbindung Russlands an Westeuropa unter Peter dem Großen.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erfüllte die Literatur vorrangig Erziehungs- und Repräsentationsfunktionen für den Staat. Gegen 1800 emanzipierte sich die literarische Kommunikation von den Ansprüchen des Hofes, der Bildungsinstitute sowie des Mäzenatentums. Russische Autoren konnten ihre Werke erstmals auf einem eigenen Buchmarkt veröffentlichen. Für Jahrzehnte dominierte nun das Genre des realistischen Gesellschaftsromans, der die Leser in Europa nachhaltig beeindruckte. Der russische realistische Roman entwickelte seine eigenen Verfahren zur Abbildung der Wirklichkeit und bildete Metastandpunkte bezüglich der destabilisierenden Wirkung westlicher Modernisierung auf traditionelle Lebensformen und gesellschaftliche Strukturen heraus.
Puschkin gilt als Begründer der modernen russischen Literatur. Weitere russische Schriftsteller von Weltrang sind: Michail Bulgakow, Fjodor Dostojewski, Nikolai Gogol, Maxim Gorki, Boris Pasternak, Alexander Solschenizyn, Lew Tolstoi, Anton Tschechow, Iwan Turgenew, der Exilant Vladimir Nabokov und Iwan Bunin, der erste russische Schriftsteller, der mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.
1990 verzeichneten Bücher in Russland eine Auflagenstärke von insgesamt 1,6 Milliarden Büchern. 2004 waren es nur noch 562 Millionen. Auflagenstärkste Autorin war dabei Darja Donzowa mit 99 Bänden und einer Auflagenstärke von 18,1 Mio. Büchern.
Der russische Buchhändler-Verband beklagte im Jahr 2016 die gestiegenen Preise sowohl für die Produktion als auch für den Verkauf durch kleine Buchhändler mit Handelsgebühren. So gebe es in Moskau nur noch eine Buchhandlung pro 58.000 Einwohner; die 12 Millionen Einwohner Moskaus teilten sich 199 Buchhandlungen im Vergleich zu den 3 Millionen Einwohnern von Paris mit deren 700 Buchhandlungen.
Bildende Kunst
Malerei
Auch auf dem Gebiet der Malerei leistete Russland einen großen Beitrag. Die Porträtmalerei war im 18. Jahrhundert sehr populär. Aber auch andere Stilrichtungen, wie Historienmalerei und religiöse Malerei wurden häufig verwendet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam die europäische Moderne, wie Impressionismus und Jugendstil, in abgeleiteter Form nach Russland.
Im Zusammenhang mit dem Impressionismus und der Russische Avantgarde sind Namen wie Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch, Alexej von Jawlensky, Wladimir Tatlin, Michail Larionow und Natalja Gontscharowa zu erwähnen. Zu den großen russische Malern zählen außerdem Andrei Rubljow, Ilja Repin, Marc Chagall, Michail Wrubel, Walentin Serow, Wassili Surikow, Iwan Aiwasowski, Isaak Lewitan, zu den bedeutenden Landschaftsmalern gehören Nikolai von Astudin und viele mehr. In neuerer Zeit machen vor allem provokative Künstler und Künstlergruppen wie „Die blauen Nasen“ Furore, die international ausgezeichnet, von der russisch-orthodoxen Kirche und den Behörden aber immer wieder in die Schranken verwiesen werden.
Siehe auch: Liste russischer Maler, Peredwischniki, Mir Iskusstwa, Russische Avantgarde, Suprematismus, Kubofuturismus, Konstruktivismus (Kunst)
Architektur
Die Zwiebeltürme russisch-orthodoxer Kirchen haben eine besondere Bedeutung: drei Kuppeln für die Dreieinigkeit, fünf Kuppeln für Christus und die vier Evangelisten. Säulen und Pfeiler stehen für Engel und Heilige.
In Russland befinden sich 25 Welterbestätten, davon 14 als UNESCO-Weltkulturerbe (Stand 2013); darunter befinden sich die Altstädte und historische Zentren von Derbent, Jaroslawl, Sankt Petersburg, Weliki Nowgorod, Wladimir oder die Kreml von Kasan und Moskau sowie die Holzkirchen von Kischi Pogost.
Die frühe Architektur Russlands orientiert sich an der des Byzantinischen Reichs: frühe Sakralbauten orientieren sich wie die byzantinischen am Griechischen Kreuz, das von fünf Kuppeln gekrönt wird. Beispiele hierfür sind die Sophienkathedrale in Nowgorod, oder die Kirche Sankt Demetrios in Wladimir. Westeuropäische Einflüsse breiteten sich mit dem Barock aus. Barockeinflüsse (Russischer Barock) begannen sich Ende des 17. Jahrhunderts in Russland zu zeigen (Kirche der Gottesmutter-Ikone von Wladimir zu Kurkino in Moskau).
Ein eigenständiger russischer Stil hatte sich wahrscheinlich ursprünglich nur im Bereich der Holzbauten entwickelt, von denen aufgrund des Baumaterials aber keine Bauten erhalten sind, die älter als das 17. Jahrhundert sind. Die Kirchen, die daraus entstanden, zeichnen sich durch eine einfachere zentrale Anlage und einen großen oktogonalen Mittelturm aus. Diese wurden im Laufe der Zeit immer dekorativer ausgestaltet. Ein berühmtes Beispiel ist die Basilius-Kathedrale auf dem Moskauer Roten Platz von 1555. Ihren Durchbruch erreichte sie jedoch im von Zar Peter I. gegründeten Sankt Petersburg. Europäische Architekten wie Andreas Schlüter oder Domenico Trezzini kamen nach Russland, sie bauten Gebäude wie das Menschikow-Palais oder die Peter-und-Paul-Festung.
Architektur von Weltniveau erreichten die Baumeister unter Katharina II. (Bartolomeo Francesco Rastrelli). Die Paläste wie der Winterpalast in St. Petersburg, das Schloss Peterhof oder der Katharinenpalast zeigen an den Fassaden einen großen und gewaltigen Rokoko-Stil und sind im Inneren exorbitant luxuriös ausgestattet.
Mit dem Klassizismus, der in Russland ungefähr zur selben Zeit einsetzte wie im restlichen Europa, begannen erstmals originär russische Baumeister wie Iwan Jegorowitsch Starow eine herausragende Stellung einzunehmen. Die meisten Gebäude der Petersburger Innenstadt sind bis heute klassizistisch geprägt. Ein Paradebeispiel dafür ist die Rossistraße in Sankt Petersburg, benannt nach dem Architekten Carlo Rossi, deren Gesamtanlage einschließlich der Häuser einem streng geometrischen Gesamtmuster folgt. In den Sakralbauten wie der Isaakskathedrale allerdings mischen sich klassizistische und historistische Stilelemente.
Anfang des 20. Jahrhunderts waren avantgardistische Strömungen in der gesamten russischen Kultur stark. Nach der Oktoberrevolution konnten ihre Verfechter diese einige Jahre lang umsetzen. Beispielgebend ist hier El Lissitzky oder neuartige Prototypen für Wohnungsbau, Industriebau und für die öffentliche Verwaltung. Internationale Architekten wie Le Corbusier, Walter Gropius, Peter Behrens und Ludwig Mies van der Rohe konnten in Moskau bauen. Unter Stalins Herrschaft erfolgte jedoch schnell ein Rückschlag auf monumental gesteigerte klassische Muster. Der Zuckerbäckerstil begann vorherrschend zu werden, die Repräsentativität stand gegenüber künstlerischen Entwürfen klar im Vordergrund. In der spätsowjetischen Phase der 1970er-Jahre bis zum Zusammenbruch des Sowjetreiches entstanden in allen Teilrepubliken einzigartige, teils futuristische Bauwerke, deren radikale Ästhetik und eigenwillige Formensprache im Gegensatz zur konformistischen Staatsarchitektur stand. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird zunehmend ein historisierender Baustil modern, der Anknüpfungspunkte in der traditionellen russischen Architektur sucht. Beispiele hierfür sind neben vielen anderen Gebäuden die wiederaufgebaute Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, oder die gleichnamige Kathedrale in Kaliningrad.
Darstellende Kunst
Musik
Die russische Musik reicht weit zurück. Ihre Ursprünge liegen im heidnischen Brauchtum der Ostslawen. Nach der Annahme des Christentums entwickelte sich zuerst die kirchliche Musik. Ursprünglich aus Byzanz gekommen, gewann sie schnell nationale russische Merkmale. Im 11. Jahrhundert bildete sich ein besonderer Typ des orthodoxen Kirchengesangs, der sogenannte Snamenny raspew heraus. Erst im 16. bis 17. Jahrhundert verbreitete sich das lyrische Volkslied. Einige Lieder sind weltberühmt, wie z. B. Lied der Wolgaschlepper, Kalinka, Katjuscha, Kosakenwiegenlied, Dubinuschka, Korobeiniki, Schwarze Augen.
Die Anfänge der russischen Kunstmusik begannen sich im 18. Jahrhundert zu entwickeln und standen seit Peter dem Großen unter Beeinflussung westeuropäischer Musik. Der wichtigste Komponist dieser Zeit war Dmytro Bortnjanskyj, in dessen Schaffen sowohl Kunstmusik wie auch die typisch russisch anzusehenden A-cappella-Gesänge der orthodoxen Kirchenmusik vertreten sind. Jewstignei Ipatowitsch Fomin, der bedeutendste Opernkomponist Russlands des späten 18. Jahrhunderts, war immer noch westlich geprägt. Wendungen aus der russischen Volksmusik tauchen erstmals verstärkt in den Opern und Orchesterstücken Michail Glinkas und Alexander Dargomyschskis auf, wodurch sie den Weg zu einer nationalrussischen Komponistenschule ebneten. Im Anschluss daran formierte sich aus fünf jungen Komponisten die sogenannte Gruppe der Fünf (Alexander Borodin, César Cui, Mili Balakirew, Modest Mussorgski, Nikolai Rimski-Korsakow), die es sich zur Aufgabe machte, gezielt die Eigentümlichkeiten russischer Volksmusik für Symphonien, Opern, Tondichtungen und Kammermusik nutzbar zu machen.
In Kontrast dazu entwickelte sich eine eher an westlicher Musik (besonders der deutschen Romantik) orientierte Gegenströmung, die durch Anton Rubinstein begründet wurde. Ihr gehörte auch der bedeutendste russische Komponist des 19. Jahrhunderts, Pjotr Tschaikowski, an, dessen Werke (Symphonien, Opern, Ballette, Kammermusikwerke) der russischen Musik erstmals auch im Ausland zu größerem Ansehen verhalfen. Die nachfolgenden Komponisten wie Anatoli Ljadow, Sergei Tanejew, Anton Arenski, Alexander Gretschaninow, Alexander Glasunow und Wassili Kalinnikow setzten in ihren Kompositionen vor allem auf eine aussöhnende Vereinigung des westlich-internationalen und des russisch-nationalen Stiles. Während Sergei Rachmaninow in seinen Klavierkonzerten und Symphonien den Stil Tschaikowskis eigenständig weiterentwickelte, hielt mit Alexander Skrjabin, Schöpfer eines eigenwilligen harmonischen Systems, erstmals die musikalische Moderne in Russland Einzug.
Der Expressionismus ist in der russischen Musik durch das Frühwerk Igor Strawinskis und Sergei Prokofjews repräsentiert. In den 1920er-Jahren experimentierten viele Komponisten mit neuartigen musikalischen Gestaltungsmitteln, so auch der junge Dmitri Schostakowitsch, dessen frühe Werke sich besonders durch satirischen Tonfall auszeichnen. Die meisten älteren Komponisten hielten dagegen an der Romantik fest, wie Glasunow, Reinhold Glière und Nikolai Mjaskowski, später dann auch Prokofjew. Ab Mitte der 1930er-Jahre wurde für russische Musiker auf Anordnung Stalins die Doktrin des Sozialistischen Realismus bindend, die avantgardistische Experimente verbot und eine „volksnahe“ Kunst forderte. Dieser Zwang lockerte sich erst nach Stalins Tod 1953 allmählich. Hauptrepräsentanten einer sowjetischen Musikkultur wurden im Anschluss neben Schostakowitsch vor allem Dmitri Kabalewski und der Armenier Aram Chatschaturjan. Seit etwa 1980 machen sich auch wieder die einst verpönten avantgardistische Elemente in russischen Kompositionen bemerkbar, so bei Edisson Denissow, Sofia Gubaidulina und Alfred Schnittke. Dagegen hielten Komponisten wie der gebürtige Pole Mieczysław Weinberg oder Boris Tschaikowski die Tradition in der Nachfolge Schostakowitschs aufrecht.
Neben der althergebrachten Unterhaltungsmusik aus der Zeit der Sowjetunion, der sogenannten Estrada, gibt es eine Reihe unterschiedlicher Genres russischer Popmusik. Als bedeutender russischer Liedermacher/Chansonnier des 20. Jahrhunderts wird der Dichter, Sänger und Schauspieler Wladimir Wyssozki angesehen, dessen Lieder größtenteils in den 1960er- und 1970er-Jahren entstanden. Zu Beginn der 1980er-Jahre und in der Zeit der Perestroika entwickelte sich in Russland eine vitale, russischsprachige Rockmusikszene, welche die gestandenen Bands wie Maschina Wremeni ergänzte. Als Galionsfigur dieser Jahre gilt gemeinhin der im Jahre 1990 verstorbene Frontmann von Kino, Wiktor Zoi, dessen Lieder und Texte für viele Bands der nachfolgenden Jahre prägend waren. Neben originären russischen Bands wie Kino, Ljube, Aquarium, DDT und Nautilus Pompilius, oder den Punkbands Graschdanskaja Oborona und Sektor Gasa wurde die Popkultur im Bereich der Musik stark vom internationalen Mainstream beeinflusst.
In den 1990er-Jahren etablierte sich in den kulturellen Zentren des Landes, aber insbesondere in St. Petersburg ein weitläufiger Underground, der bis heute das gesamte Spektrum der Musik abdeckt. Gegen Ende des Jahrhunderts startete auch das russische MTV. Während dieser Zeit wurde eine Vielzahl von Rockbands gegründet und aufgelöst, vor allem aber feierten die bereits in den 1980er-Jahren gegründeten Formationen große Erfolge. Auch die ersten Bands der Untergrundkultur konnten viele Zuhörer gewinnen, so z. B. Leningrad. Sehr bekannt wurde in dieser Zeit auch Semfira. Spätestens seit Beginn dieses Jahrzehnts hat auch russische Popsa bedeutende Marktanteile inne. Dabei handelt es sich um tanzbare Musik mit einem hohen Elektroanteil, die besonders Teenager zur Zielgruppe hat und sich musikalisch vollständig an international erfolgreichen Projekten orientiert (Walerija, VIA Gra). Das Duo t.A.T.u. ist die bislang einzige international erfolgreiche russische Popband. Ein weiteres, in der Zeit der Sowjetunion weitgehend an den Rand gedrängte Genre erlebt die letzten Jahre ebenfalls eine Renaissance – das russische Chanson. Ein populärer Star dieser Richtung ist der Sänger Michail Schufutinski.
Ballett, Theater und Oper
Das Ballett hat in Russland eine lange Tradition und ist eine sehr beliebte Form der Unterhaltung. Peter I. lernte Ballett auf einer seiner Reisen nach Westeuropa kennen und war begeistert. An seiner Residenz gab es zwar auch Tanzvergnügungen, aber sie waren anders, folkloristischer, volksnaher. So wurden Ballettspezialisten aus Europa nach Russland engagiert. Damit begann die eindrucksvolle Entwicklung des russischen Balletts, deren Tänzer und Choreographen bald durch das Patronat der russischen Monarchie für das Bolschoi- und Mariinski-Ballett zu den führenden Europas aufstiegen. In der choreographischen Arbeit Marius Petipas, zu denen insbesondere Pjotr Iljitsch Tschaikowski die Musik lieferte, entstanden mit Der Nussknacker, Schwanensee und Dornröschen die klassischen Meisterwerke im romantischen Ballett in Russland.
Auf Initiative des Impresarios Sergei Pawlowitsch Djagilew wurden 1909 die wegweisenden Ballets Russes gegründet. Auf Tourneen in den Kulturhauptstädten Europas in Paris und London wurde die Kompagnie zum Fixpunkt der europäischen Kunstavantgarde. Das europäische Publikum geriet angesichts der, teils dem zeitgenössischen Faible für Folklore und Orientalismus, teils der revolutionären Neuerungen von Musik, Choreographie und Interpretation, wie beispielhaft in der Inszenierung von Petruschka durch Igor Strawinsky, Michel Fokine und Vaslav Nijinsky, in Begeisterungsstürme. Das russische Ballett hatte damit in seiner allgemeinen Entwicklung Frankreich als führende Ballettnation entthront. Russische Technik und russisches Repertoire waren nun allgemeine Synonyme des klassischen Balletts. Der Einfluss ging so weit, dass auch bekannte westliche Tänzerinnen (wie Alicia Markova) ihre Namen russifizierten, um Chancen auf ein Engagement zu verbessern.
Auch die weltweite Entwicklung des Balletts im 20. Jahrhundert wurde in der Emigration zahlreicher in Russland ausgebildeter Tänzer und Choreographen entscheidend geprägt. George Balanchine hatte fundamentalen Einfluss auf den choreographischen Stil im zeitgenössischen Ballett und Rudolf Nurejew initiierte mit der Wiederaufnahme des klassischen Repertoires die anhaltende Popularität der romantischen Ballette, die bis heute Standardwerke geblieben sind. Durch interpretatorischen Anspruch und technische Bravour setzen sie hier auch nach wie vor Maßstäbe.
Zwar leitete die weitere politische Entwicklung in der Sowjetunion auch im Ballett eine künstlerische Stagnation im Vergleich zu den Entwicklungen im modernen Tanz ein, jedoch blieb durch staatliche Ausbildung wie an der Waganowa-Ballettakademie und der finanziellen Förderung neuer Produktionen das hohe Niveau erhalten. Das sowjetische Repertoire wurde, wie in Sergei Prokofjews „Romeo und Julia“ und „Cinderella“ teilweise unmittelbar im Westen adaptiert. Die Entwicklung einer dramaturgischen Inszenierung eines sozialistischen Balletts wurde auf wirkungsvolle Weise in Juri Grigorowitschs Choreographie von „Spartakus“ umgesetzt, die weiterhin Höhepunkt im Ballettschaffen geblieben ist.
Russland brachte so große Tänzerpersönlichkeiten wie Anna Pawlowa, Tamara Platonowna Karsawina, Léonide Massine, Galina Ulanowa, Mikhail Baryshnikov, Natalja Romanowna Makarowa und Maja Plissezkaja hervor. Die heute wohl bekannteste Ballettgruppe ist das Russische Staatsballett mit bisher 20 Millionen Besuchern. Es wurde 1981 von Irina Tichimisowa gegründet und ist seit 1984 unter der Leitung von Wjatscheslaw Gordejew, Ex-Bolschoi-Star.
Auch in diesem Bereich gibt es staatliche Einflussnahme und regimekritische Kulturschaffende werden bedrängt: Im Juni 2017 rief der Regisseur Kirill Serebrennikow gar das Publikum auf zu bestätigen, dass es das Stück Ein Sommernachtstraum gesehen hatte; dies, um dem Irrsinn ein Ende zu bereiten, nachdem ein staatliches Komitee ihm vorgeworfen hatte, den für diese Produktion bewilligten Beitrag unterschlagen zu haben.
Die faktisch wieder eingeführte Zensur nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 führte dazu, dass Werke und Autoren wie zum Beispiel Iwan Wyrypajew teils auf direkte Weisung nicht mehr aufgeführt, aber auch Inszenierungen abgesagt wurden, zum Beispiel Bulgakows Adam und Eva.
Film
Die russische Filmgeschichte begann bereits in der Epoche des Russischen Kaiserreichs mit Stummfilmpionieren wie Alexander Chanschonkow, Iwan Mosschuchin und Wera Cholodnaja. Sergei Eisenstein und Andrei Tarkowski, beide zur Sowjetzeit tätig, gehören zu den wichtigsten europäischen Filmregisseuren. Zahlreiche bemerkenswerte russische Filme und Regisseure blieben jedoch aufgrund des Ost-West-Konfliktes im Westen weitgehend unbekannt. In der Sowjetunion unterlag das Kino einer strengen ideologischen Zensur, innerhalb des erlaubten ideologischen Rahmens wurde jedoch eine beachtenswerte Talentförderung und staatliche Unterstützung des Kinogewerbes betrieben. Auch heute noch betrachten viele Russen die Sowjetzeit, die viele beliebte Schauspieler und Filme hervorbrachte, als den Höhepunkt der russischen Filmkunst und der Schauspielschule.
Trotz der postsowjetischen Krise der russischen Filmindustrie erreichten seit den 1990er-Jahren russische Filme gelegentlich internationale Erfolge: Zu nennen ist beispielsweise der oscarprämierte Streifen Die Sonne, die uns täuscht (1994) von Regisseur Nikita Michalkow, das Jugenddrama The Return – Die Rückkehr (2003) von Andrei Swjaginzew, der hierfür mit dem Goldenen Löwen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet wurde, sowie die Fantasy-Verfilmung Wächter der Nacht – Nochnoi Dozor (2004), die zur kommerziell bislang erfolgreichsten russischen Filmproduktion wurde. Der wichtigste Filmpreis in Russland ist der Nika, welcher von der Russischen Akademie für Filmkunst verliehen wird. Zu den größten russischen Filmstudios gehören Goskino, Sowkino, Mosfilm, Lenfilm, Gorki Filmstudio (vormals Meschrabpom), sowie das Animationsstudio Sojusmultfilm.
Insgesamt ließ sich in Russland (im Gegensatz zu Europa) in den Jahren bis 2012 ein enormer Anstieg der Kinobesuche nachvollziehen. Bemerkenswert war, dass die russische Filmproduktion bei der beinahen Verdoppelung der Kinobesuche ihren – im Vergleich mit Europa überdurchschnittlich hohen – Marktanteil, der seit 2005 stets über einem Viertel an allen Kinobesuchen in Russland lag, halten konnte.
Die staatliche Aufsichtsbehörde überprüfte immer wieder Filme und der Propagandist Dmitri Kisseljow forderte schon 2018 gar eine Einschränkung der Meinungsfreiheit aufgrund kritischer Filme, zudem wurden einzelne ausländische Produktionen überhaupt nicht gezeigt, bei anderen wurden Startdaten so gelegt, dass sie nicht mit patriotischen russischen Filmen konkurrieren.
Video
Video-Art ist im modernen Russland sehr beliebt. Russland ist einer der wichtigsten Märkte für YouTube. Die beliebteste Episode aus der russischen Zeichentrickserie Mascha und der Bär hat über 3 Milliarden Aufrufe. Besonders populär ist die Show +100500, die Video-Rezensionen für lustige Videos und BadComedian beherbergt, der populäre Filme rezensiert. Viele russische Filmtrailer wurden für Golden Trailer Awards nominiert. Viele Videos von Nikolai Kurbatow, dem Begründer der Trailer-Poetik und der Dialog-Konstruktion des Trailers, wurden auf die großen YouTube-Kanäle hochgeladen, als Haupttrailer verwendet und ins Buch der Rekorde eingetragen.
Sport
In Russland hat Sport einen relativ hohen Stellenwert, was man auf die umfassende sportliche Förderung in der UdSSR zurückführen kann (vgl. Sport in der Sowjetunion). 2008 besaß Russland 2687 Stadien ab 1500 Sitzplätze und mehr als 3762 Schwimmbäder und 123.200 Sportanlagen. Der Breitensport ist bedeutend, so liegt die Zahl der Mitglieder in den Sportvereinen bei 22,6 Millionen Menschen, darunter 8,1 Millionen Frauen. Die beliebteste Mannschaftssportart der Russen ist Fußball (vgl. Fußball in Russland), das einen Boom erlebt – begünstigt durch starke finanzielle Sponsorenförderung aus der Wirtschaft. Eishockey (vgl. Eishockey in Russland) ist die zweitbeliebteste Mannschaftssportart. Basketball ist die drittbeliebteste Mannschaftssportart, aber auch Schach und Tennis erfreuen sich großer Beliebtheit. Russland hat bereits zahlreiche Weltklassesportler hervorgebracht. Besonders in den Sportarten Leichtathletik, Wintersport, Eiskunstlauf, Turnen/Gymnastik und Gewichtheben dominieren russische Sportlerinnen und Sportler. Aus keiner Nation stammen mehr aktuelle und ehemalige Schachweltmeister und Großmeister als aus Russland.
Russland nahm inklusive der Teilnahmen als Teil der Sowjetunion bisher 19-mal an Olympischen Sommerspielen und 17-mal an Olympischen Winterspielen teil. Bislang konnten Sportler aus Russland und der Sowjetunion 1911 olympische Medaillen bei den Sportwettbewerben erringen und belegen damit Platz zwei des ewigen Medaillenspiegels. 1980 war die damals sowjetische Hauptstadt Moskau zum ersten Mal Ausrichter der Olympischen Sommerspiele. Der Schwarzmeer-Kurort Sotschi richtete 2014 zum ersten Mal die Olympischen Winterspiele in Russland aus. Darüber hinaus ist Russland häufig Austragungsort von internationalen Wettbewerben wie Welt- und Europameisterschaften. So trug Russland 2018 zum ersten Mal die Fußball-Weltmeisterschaft aus, die unter anderem in Moskau, Sankt Petersburg, aber auch in der Exklave Kaliningrad stattfand. Im Motorsport stellt Russland mit Witali Petrow einen ehemaligen und mit Daniil Kwjat einen aktiven Formel-1-Piloten. Auch die DTM und die Superbike-WM waren schon in Moskau zu Gast.
Eine Domäne stellt Russland auch im Eisspeedwaysport dar und die russischen Eisspeedway-Piloten stellten Eisspeedway-Weltmeister in Serie. Die Städte Togliatti und Balakowo sind die Zentren des russischen Speedway-Motorrad-Rennsports.
Im Boxen zählt das Land ebenfalls weltweit zur Spitze. Seit Ende der Sowjetunion gewannen russische Amateurboxer ab 1996 bei Olympischen Spielen 10× Gold, 6× Silber und 15× Bronze. Zusammen mit 14× Gold, 19× Silber und 18× Bronze bei Olympischen Spielen aus Sowjetzeiten, liegt Russland derzeit mit insgesamt 84 Olympiamedaillen auf Platz 2 des ewigen Medaillenspiegels hinter den USA mit 114 Medaillen und vor Kuba mit 73 Medaillen (Stand nach den Olympischen Spielen 2016). Von 1993 bis 2017 gewannen russische Boxer und Boxerinnen zudem 45 Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften.
Rugby Union erfreut sich ebenfalls zunehmender Beliebtheit. Die russische Nationalmannschaft qualifizierte sich bisher für zwei Rugby-Union-Weltmeisterschaften (2011 und 2019), erreichte jedoch noch nicht die K.O.-Phase. Russland ist einer der Teilnehmer bei der Rugby-Union-Europameisterschaft und trifft dort auf andere aufstrebende Nationalmannschaften. Vor allem Spiele gegen den politischen Rivalen Georgien stoßen auf großes Interesse und gelten als eine Art „David gegen Goliath“, auch aufgrund Russlands negativer Gewinnbilanz gegen den südlichen Nachbarn. Seit 2021 spielen Russland und Rumänien den Kiseleff Cup aus; diese Trophäe ist nach dem Herzog Pawel Kisseljow benannt, einem Russen, der bei der Ausarbeitung der ersten Verfassung für die beiden Fürstentümer Walachei und Moldau (heutiges Rumänien und Republik Moldau) entscheidend mitgewirkt hatte. Als Heimatstadion dient das Zentralstadion in Sotschi.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) wirft Russland vor, seit Jahren systematisches, staatlich gesteuertes Doping zu betreiben; die Manipulationen würden vom Sportministerium „geleitet, kontrolliert und überwacht“, vom Inlandsgeheimdienst FSB unterstützt und beträfen fast alle Sportarten, insbesondere im russischen Leichtathletikverband herrsche eine „tief verwurzelte Betrugskultur“. Bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2013 in Moskau seien zahlreiche positive Doping-Proben russischer Sportler ausgetauscht worden, aber auch bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 und bei den Schwimmweltmeisterschaften 2015 in Kasan. Im November 2015 entzog die WADA der nationalen russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA die Akkreditierung; wenige Tage später schloss der Weltleichtathletikverband (IAAF) die russischen Leichtathleten bis auf weiteres von allen internationalen Wettkämpfen – also auch von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro – aus. Auch die russischen Gewichtheber durften nach einer entsprechenden Entscheidung des Weltverbands IWF nicht in Rio antreten.
Auch die russische sportwissenschaftliche Forschung ist hiervon betroffen. Während die Trainingswissenschaft lange von den Erfolgen der Sportlerinnen und Sportler durch systematische Planung und Entwicklung wie z. B. der Periodisierung des sportlichen Trainings profitierte, ist der Innovationsvorsprung in den letzten Jahren geschrumpft, da die Methoden bei gleichzeitiger Reduktion des Dopings sich als weniger erfolgreich erwiesen. Eine Langzeitanalyse der führenden sowjetischen/russischen trainingswissenschaftlichen Zeitschrift Theorie und Praxis der Körperkultur (Moskau) zeigte, dass die in der Zeitschrift verwendete Literatur immer älter wurde und die Zeitschrift heute mit einem Durchschnittsalter der Literatur von 15 Jahren sich um mehr als zehn Jahre gegenüber den 1980er-Jahren verschlechtert hat. Inzwischen wird auch über die Einbeziehung von verdeckten Dopingmethoden publiziert, da sich die Nanotechnologie noch immer weitgehend den Kontrollen der WADA entzieht.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hatte im Dezember 2019 die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA nach diversen Dopingskandalen – unter anderem wurden Daten von Athleten manipuliert – für vier Jahre gesperrt und einen Olympia-Bann für die russische Mannschaft ausgesprochen. Das Verfahren zum russischen Staatsdoping soll im Herbst 2020 vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) verhandelt werden. Der CAS setzte als Termin für die Anhörung den 2. bis 5. November an. Die RUSADA hat dagegen Einspruch beim CAS eingelegt.
Siehe auch
Literatur
Allgemeines
Rüdiger von Fritsch: Russlands Weg. Als Botschafter in Moskau. Aufbau Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-351-03814-4.
Jens Siegert: Im Prinzip Russland. Eine Begegnung in 22 Begriffen. Edition Körber, Hamburg 2021, ISBN 978-3-89684-288-6.
Volker Ullrich (Hrsg.): Russland und der Kaukasus. Reihe: Fischer Weltalmanach aktuell, 72303. Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-72303-5
Aktuelle Politik
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Peter Patze: Wie demokratisch ist Russland?. Ein tiefenorientierter Ansatz zur Messung demokratischer Standards (= Schriftenreihe „Demokratiestudien“. Bd. 2). Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6255-5.
Heiko Pleines, Hans-Henning Schröder (Hrsg.): , Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, 1066. Bonn 2010, ISBN 3-8389-0066-9.
Dmitri Stachow, Lilia Shevtsova, Roland Götz, Jutta Scherrer, Eva-Maria Auch: Russland, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006 (PDF).
Reinhard Bingener, Markus Wehner: Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit. C.H. Beck, München 2023, ISBN 978-3-406-79941-9.
Alexander Etkind: Russia Against Modernity. John Wiley & Sons, 2023, ISBN 978-1-5095-5659-5.
Geschichte
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Christoph Schmidt: Russische Geschichte 1547–1917. 2. Auflage, Oldenbourg, München 2009, ISBN 3-486-56704-7.
Carsten Goehrke: Russland. Eine Strukturgeschichte. Schöningh, Paderborn 2000, ISBN 978-3-506-76763-9 (Rezension).
Richard Pipes: Russland vor der Revolution. Staat und Gesellschaft im Zarenreich. Beck, München 1984, ISBN 3-406-06720-4.
Abraham Ascher: Geschichte Russlands. Magnus, Essen 2005, ISBN 3-88400-432-8.
Tim Guldimann: Moral und Herrschaft in der Sowjetunion. Erlebnis und Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-11240-6.
Andreas Kappeler: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall. 2., durchgesehene Auflage, C.H. Beck, München 2008, ISBN 3-406-36472-1.
Andreas Kappeler: Russische Geschichte. 4., aktualisierte Auflage, Beck, München 2005, ISBN 3-406-47076-9.
Olaf Kühl: Z. Kurze Geschichte Russlands, von seinem Ende her gesehen. Rowohlt, Berlin 2023, ISBN 978-3-7371-0175-2.
Tanja Wagensohn: Russland nach dem Ende der Sowjetunion. Pustet, Regensburg 2001, ISBN 3-7917-1751-0
Soziologie und Kultur
Norbert Franz (Hrsg.): Lexikon der russischen Kultur. Primus, Darmstadt 2002, ISBN 3-89678-413-7.
Hans-Joachim Frey, Jürgen Helfricht: Russland lieben lernen. Einblicke in eine Welt-Kulturnation. 2. Auflage, Husum-Verlag, Husum 2019, ISBN 978-3-89876-910-5.
Carsten Goehrke: Russischer Alltag. Chronos, Zürich 2003, ISBN 3-0340-0583-0.
Orlando Figes: Nataschas Tanz. Eine Kulturgeschichte Russlands. Berlin Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-8270-0487-X.
Dorothea Redepenning: Geschichte der russischen und sowjetischen Musik. Das 19. und 20. Jahrhundert in 2 Bänden. Laaber-Verlag, Laaber 1994, ISBN 978-3-89007-206-7.
Weblinks
Deutsche offizielle und wissenschaftliche Websites
Länderinformationen zu Russland des deutschen Auswärtigen Amtes
Länderprofil des Statistischen Bundesamtes
Dossier Russland der Bundeszentrale für politische Bildung
Publikationen zu Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik
Sonstige Websites
eng.kavkaz-uzel.eu: englisch- und kavkaz-uzel.eu: russischsprachige Kurznachrichten von Kawkasski Usel aus Russland (aufgrund des Korrespondentennetzes vorwiegend aus Südrussland und Nordkaukasus)
russiancolonialism.com
Anmerkungen
Einzelnachweise
Staat in Europa
Staat in Asien
Gruppe der Acht
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
Mitgliedstaat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
Ehemaliges Mitglied des Europarats
Nachfolgestaat der Sowjetunion
Namensgeber für ein chemisches Element
Verwaltungseinheit als Namensgeber für einen Asteroiden
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Q159
| 18,476.91809 |
1661262
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mirrorseite
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Mirrorseite
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Als Mirrorseite oder Mirror-Site bezeichnet man exakte Kopien einer Webseite unter verschiedenen URLs.
Wenn zum Beispiel www.1234567.de und www.abcdef.de jeweils identische Inhalte aufweisen, aber auf unterschiedlichen Servern liegen, so sind sie Mirrorseiten.
Hauptzweck von Mirrorseiten ist die Lastverteilung und Redundanz zum Zweck der Sicherheit. Anbieter von stark genutzten Downloadangeboten verteilen ihr Angebot auf mehrere Rechner weltweit, so dass keiner der Server überlastet wird. Bei Ausfall eines Servers sind alle anderen Mirrors unverändert verfügbar.
Internetzensur, die sich gegen eine einzelne URL richtet, wird oft durch die Erstellung mehrerer Mirrorseiten umgangen, die oft bei verschiedenen Providern von kostenlosem Webspace angelegt werden. Dies verzögert die endgültige Zensur von Internetseiten meistens um Wochen, Monate oder macht sie vollkommen unmöglich. Den gleichen Mechanismus machen sich Anbieter von urheberrechtsverletzendem oder strafrechtlich relevantem Material zunutze.
Siehe auch
Spiegelserver
Internetanwendung
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Q1938536
| 102.458729 |
8006
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https://de.wikipedia.org/wiki/Krakau
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Krakau
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Krakau (polnisch Kraków ; ; ; nichtamtlicher Name ), die Hauptstadt der Woiwodschaft Kleinpolen, liegt im Süden Polens rund 290 km südwestlich von Warschau und ist mit etwa 780.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes.
Die kreisfreie Stadt an der oberen Weichsel war bis 1596 Hauptstadt des Königreichs Polen, ist mit der Jagiellonen-Universität Sitz der – nach Prag – zweitältesten mitteleuropäischen Universität und entwickelte sich zu einem Industrie-, Wissenschafts- und Kulturzentrum. Zahlreiche Bauwerke der Gotik, der Renaissance, des Barock und späterer Epochen der Kunstgeschichte prägen das Stadtbild. Dies zeigt sich auch an der ehemaligen Residenz auf dem Wawelhügel mit dem Schloss und der Kathedrale, wo die meisten der Könige Polens sowie zahlreiche Persönlichkeiten von herausragender historischer Bedeutung bestattet sind.
Seit 1978 steht Krakau auf der Liste des UNESCO-Welterbes und seit 2013 trägte es den Titel UNESCO-Literaturstadt. Im Jahr 2000 war Krakau Kulturhauptstadt Europas. 2016 fand in Krakau der Weltjugendtag der katholischen Kirche statt.
Geographie
Geografische Lage
Krakau liegt in Südpolen, im zentral-westlichen Teil der Woiwodschaft Kleinpolen. Durch die Stadt fließt die Weichsel. Auf dem Stadtgebiet von Krakau münden mehrere Nebenflüsse in die Weichsel: die Białucha (Unterlauf des Prądnik), die Rudawa, die Dłubnia, die Drwina Długa und die Wilga. Krakau befindet sich am Schnittpunkt der geografischen Regionen Krakauer Tor (Kleinpolen), Auschwitzer Becken, Sandomirer Becken, Westbeskiden-Vorgebirge und Krakau-Tschenstochauer Jura.
Die Stadt hat eine Nord-Süd-Ausdehnung von 18 Kilometern und eine Ost-West-Ausdehnung von 31 Kilometern. Innerhalb der Verwaltungsgrenzen von Krakau schneidet sich der Meridian 20°O mit dem Breitengrad 50°N. Das ist der einzige Schnittpunkt von vollen Zehntelgraden in Europa.
Die folgenden Gemeinden () grenzen an Krakau: Igołomia-Wawrzeńczyce, Kocmyrzów-Luborzyca, Koniusza, Liszki, Michałowice, Mogilany, Niepołomice, Skawina, Świątniki Górne, Wieliczka, Wielka Wieś, Zabierzów und Zielonki. Diese Gemeinden gehören zu den drei an Krakau angrenzenden Landkreisen () Kraków, Wieliczka und Proszowice.
Stadtgliederung
Krakau gliedert sich seit 1990 in 18 Stadtbezirke:
Die Verwaltungsbezirke sind nicht mit den gleichnamigen ehemaligen Orten zu verwechseln, weil sie mehrere ehemalige Orte (Stadtteile) umfassen können. So umfasst etwa der Stadtbezirk I die ursprünglich selbstständigen Städte Kazimierz und Kleparz.
Klima und Wetter
Krakau liegt an der Schwelle vom atlantischen See- zum Kontinentalklima. Je nach vorherrschender Windrichtung wird das Wetter beeinflusst. Westwinde (~40 Prozent) bringen vor allem im Sommer feuchtes Wetter mit Regen, während Ostwinde (~22 Prozent) besonders im Winter trockene und sehr kalte Witterung hervorrufen. Der Wind weht durchschnittlich mit 11 km/h.
Die mittlere Temperatur im Januar beträgt etwa −2 °C, wobei Tiefsttemperaturen von weniger als −20 °C keine Seltenheit sind. Die mittlere Temperatur im Juli beträgt etwa +19 °C, das Thermometer kann aber auch +35 °C und mehr erreichen. Allgemein ist das Wetter sehr ruhig mit geringen täglichen Schwankungen.
An sehr heißen Sommertagen kann es zu kräftigen Gewittern kommen. In den letzten Jahren haben in der Region die Extremwettererscheinungen zugenommen. Dazu gehören Starkregen mit 50 l/m² oder auch kleine Tornados.
Landnutzungsstruktur
In Krakau gibt es 43 Parks, mit einer Gesamtfläche von etwa 397 ha. Das macht etwas mehr als 1 % der gesamten Stadtfläche aus.
Die Landschaftsparks Dolinki Krakowskie und Orlich Gniazd, sowie der Bielany-Tyniecer, der Dłubniaer, der Rudnoer und der Tenczyner Landschaftspark gehören zum Komplex der Landschaftsparks der Woiwodschaft Kleinpolen.
Die fünf Naturschutzgebiete Krakaus sind Bielańskie Skałki, Bonarka, Panieńskie Skały, Skałki Przegorzalskie und Skołczanka. Sie nehmen eine Gesamtfläche von 48,6 ha ein. Das sind 0,15 % der Stadtfläche.
Ein Teil des Stadtgebiets liegt innerhalb des Wildtierkorridors der Weichsel.
In Krakau gibt es 17 ausgewiesene ökologische Gebiete. Ökologische Gebiete sind eine der Formen des Naturschutzes in Polen, hier zum Schutz von Überresten von Ökosystemen, die für die Erhaltung der biologischen Vielfalt wichtig sind. Von den 17 ökologischen Gebieten on Krakau befinden sich 16 vollständig innerhalb der Stadt und eines, nämlich Uroczysko w Rząsce, teilweise auch in der Nachbargemeinde Gmina Zabierzów. Uroczysko w Rząsce (deutsch: Rząsceist-Wildnis) wurde 2001 gegründet und ist somit das älteste ökologische Gebiet in Krakau. Die größte Fläche (von allen in Krakau gelegenen) nimmt mit 57,17 ha Łąki Nowohuckie (deutsch: Neue Hütte-Wiesen) ein und die kleinste mit 0,39 ha Staw w Rajsku (deutsch: Rajskoer Teich). Die meisten ökologischen Gebiete Krakaus befinden sich im VIII. Bezirk Dębniki.
Geschichte
Vorgeschichte und frühes Mittelalter
Die Wawelanhöhe, auf der das Schloss und die Kathedrale stehen, wurde bereits vor 20.000 Jahren besiedelt. In der Nähe von Krakau bauten die Menschen bereits in prähistorischen Zeiten Salz ab und handelten damit.
Nach dem von Wincenty Kadłubek aufgezeichneten Gründungsmythos der Stadt „errichtete Stammesfürst Krak die Stadt auf dem Wawelhügel über einer Drachenhöhle, nachdem er den dort hausenden Drachen getötet hatte“. Aus dieser Zeit stammen zwei Kurgane, in denen der Überlieferung zufolge Krak und seine Tochter Wanda ihre letzte Ruhestätte gefunden haben sollen.
Im 9. Jahrhundert werden die slawischen Wislanen in der Gegend um Krakau von Method von Saloniki erwähnt. Im 9. Jahrhundert in der Umgegend der späteren Stadt werden auch Chrobaten erwähnt – die Beziehung zwischen Wislanen und Chrobaten ist von Forschern umstritten. Beide wurden als zeitweise zum Großmährischen Reich zugehörigen beschrieben. Großmährische Chroniken berichten, dass Kyrill und Method dem (unbenannten, aber mächtigen) Herrscher der Wislanen die christliche Taufe angeraten haben.
Es ist nicht bekannt, ob dieser das Angebot annahm. Doch soll bereits zu dieser Zeit die erste Kirche in Krakau an der Stelle eines heidnischen Kultortes (Standort der späteren Andreaskirche) errichtet worden sein. Im Jahr 965 wurde Krakau von dem arabisch-jüdischen Kaufmann Ibrahim ibn Yaqub zum ersten Mal urkundlich erwähnt – höchstwahrscheinlich gehörte damals das Gebiet der Wislanen bzw. Weißen Chrobaten zu Böhmen. Spätestens 989/990 gehörte Krakau bereits mit Sicherheit zu Mieszkos (dem ersten historisch belegten Herrscher Polens) Staat, obwohl einige Forscher dieses Datum auf die Zeit kurz nach dem Tod von Mieszkos Frau Dubrawka, also zwischen 977 und 981, verschieben.
Ende des 10. Jahrhunderts war Krakau bereits ein bedeutender Handelsplatz und wurde im Jahr 1000 von Boleslaus I. dem Tapferen (Bolesław I. Chrobry) zum Sitz des Bistums Krakau erhoben. Die ersten steinernen Gebäude wurden errichtet (eine Burg auf dem Wawelhügel und mehrere romanische Sakralbauten).
Hochmittelalter
Unter Kasimir I. dem Erneuerer wurde Krakau 1038 Hauptstadt Polens. Kasimir verließ das von dem tschechischen Herrscher Břetislav I. zerstörte Gnesen und verlegte den Herrschersitz nach Krakau. Gleichwohl blieb Gnesen Sitz des wichtigsten polnischen Erzbistums und damit des polnischen Primas. Wegen seiner neuen Rolle als polnische Hauptstadt entwickelte sich Krakau im 11. Jahrhundert sehr schnell. Es entstanden zahlreiche romanische Bauten, u. a. die Marienrotunde auf dem Wawel und die Kirchen St. Adalbert und St. Andreas, die Benediktinerabtei Tyniec und das Prämonstratenserinnenkloster sowie der Stadtteil Okół nordöstlich des Wawel um den heutigen Maria-Magdalena-Platz.
In dieser Zeit kam es aber auch zum Konflikt der weltlichen mit der kirchlichen Macht in Polen, der darin mündete, dass König Boleslaus II. der Kühne, der Sohn Kasimirs I., den Erzbischof Stanislaus in der Michaeliskirche 1079 erschlug. Stanislaus wurde zu einem der ersten Schutzpatrone Polens. Boleslaus II. musste aus Polen fliehen und wurde später in Ungarn vergiftet. Sein Bruder Ladislaus I. Hermann, der ihm 1079 auf den Thron folgte, verlegte für kurze Zeit die Hauptstadt weiter nach Płock. In der Płocker Kathedrale sind Ladislaus Hermann und sein Sohn Boleslaus III. Schiefmund beigesetzt.
Doch bereits Anfang des 12. Jahrhunderts sicherte sich Krakau wieder die Stellung der polnischen Hauptstadt. Nach dem Tod von Boleslaus III. war Krakau von 1138 bis 1320 Hauptstadt des Seniorats Polen. Die Krakauer Herzöge waren im Rahmen der Senioratsverfassung den übrigen polnischen Teilherzögen übergeordnet und versuchten das Königreich Polen wiederzuvereinen. In dieser Zeit wanderten viele Juden und Deutsche nach Krakau ein und erwarben das Bürgerrecht. 1228 wurde Petrus scultetus Cracoviensis (Schulz von Krakau) erwähnt, ein erstes Indiz für die Präsenz des deutschen Stadtrechts.
Im 13. Jahrhundert wurde Krakau mehrmals von den Tataren, wie man sie damals bezeichnete (eigentlich waren es Mongolen), belagert. Besonders verheerend war der erste Überfall der Mongolen (Mongolensturm) im Jahr 1241, den nur die Wawelburg und der Stadtteil Okół überstanden. Die Bürger konnten in der Andreaskirche und auf der Burg Schutz finden.
1257 wurde Krakau von Herzog Boleslaus dem Schamhaften nach Magdeburger Stadtrecht neugegründet und wiederaufgebaut. In dieser Zeit wurden die Marktplätze und das schachbrettartige Straßennetz der Altstadt abgesteckt, in dem ältere Fragmente, wie die Marienkirche oder die Grodzka-Straße, eingebettet waren. Boleslaus der Schamhafte und seine Frau, die Heilige Kunigunde, förderten den Salzabbau in Bochnia und Wieliczka. Damit legten sie die Basis für den Reichtum der Stadt im Spätmittelalter. 1281 erfolgte der letzte große Mongolenangriff auf Krakau, den die Bürger jedoch abwehren konnten. An dieses Ereignis erinnern das Hejnał-Turmbläsersignal und die Figur des Lajkonik.
Im Jahr 1311 erhob sich die deutsche Bürgerschaft unter Führung des Vogtes Albert gegen den polnischen Seniorherzog Ladislaus I. Ellenlang. Nachdem er den Aufstand niedergeschlagen hatte, verbannte Ladislaus die meisten Deutschen aus der Stadt und ließ einige von ihnen hinrichten. Die Nationalität der Bürger wurde durch ein Schibboleth überprüft: Als Deutscher galt, wer soczewica, koło, miele, młyn nicht fehlerfrei aussprechen konnte.
Laut dem britischen Historiker Norman Davies zeigten sich bei der Auseinandersetzung erste Züge eines polnischen Chauvinismus. Um 1480 waren wieder 36 Prozent der Einwohner mit Stadtrecht deutschsprachig und in der prächtigsten Pfarrkirche, der Marienkirche, wurde deutsch gepredigt – bis auf königlichen Erlass hin die deutschen Predigten im Jahr 1537 in die Barbarakirche verlegt wurden.
Im Jahr 1356 wurde durch Kasimir den Großen der Krakauer Oberhof als Oberhof für Magdeburger Recht eingerichtet, er bestand bis 1794.
Weitere Repressionen gegen die Stadt waren der Entzug der Ratswahl und die Gründung von benachbarten Konkurrenzstädten wie Kazimierz und Kleparz. Die politischen Aspirationen der Städte, insbesondere von Krakau, wurden dadurch dauerhaft gebrochen. 1320 wurde in der Wawelkathedrale mit Ladislaus I. Ellenlang zum ersten Mal seit der Teilung im Jahr 1138 wieder ein polnischer König gekrönt. Krakau blieb Krönungs- und Begräbnisstätte der polnischen Könige bis 1734, im 16. Jahrhundert allerdings wurde Warschau Hauptstadt.
Seit 1150 existierte eine Lateinschule des Krakauer Erzbistums und Kasimir III. der Große – der Sohn von Ladislaus Ellenlang – gründete 1364 die Krakauer Akademie (die spätere Jagiellonen-Universität), die damit nach der Universität Prag die zweitälteste in Mitteleuropa ist.
Kasimir der Große gründete die Vorstädte Kazimierz (1335) und Kleparz (1366) und ließ die Wawelkathedrale und viele andere Kirchen im gotischen Stil umbauen bzw. neu errichten.
Zu seiner Zeit kamen nach den Pestpogromen von 1348/49 besonders viele Juden nach Polen und Krakau, denen Kasimir III. weitgehende Privilegien und in der Ausweitung des Kalischer Toleranzedikts von 1265 die Religionsfreiheit zusicherte. Entgegen einem weit verbreiteten Irrglauben siedelten sich die Juden zunächst nicht in Kazimierz an, sondern im heutigen Universitätsviertel um die St.-Anna-Straße.
Während der Herrschaft von Ladislaus (Władysław) II. Jagiełło Ende des 14. Jahrhunderts wurde Krakau Mitglied der Hanse, verließ diese aber 1478 wieder.
Spätmittelalter
Nach dem Tod Kasimirs III. des Großen 1370 kam sein Neffe Ludwig von Anjou an die Macht, der zugleich König von Ungarn war. Nach dessen Tod bestieg die 12-jährige Hedwig 1384 den polnischen Thron als König (nicht Königin). Sie heiratete den litauischen Großfürsten Ladislaus (Władysław) II. Jagiełło und legte damit den Grundstein für die Union zwischen beiden Staaten. Sie verstarb sehr jung 1399 und vererbte ihr ganzes Vermögen der Krakauer Universität. Ihr Ehemann Władysław II. Jagiełło besiegte 1410 den Deutschen Orden bei Tannenberg militärisch und 1416 auf dem Konzil von Konstanz juristisch. Nach der polnisch-litauischen Union von Krewo 1385 entwickelte sich Krakau als Hauptstadt einer der größten europäischen Kontinentalmächte ökonomisch, kulturell, wissenschaftlich und urban. Władysław II. Jagiełło gilt als Stammvater der Dynastie der Jagiellonen, die in Polen-Litauen, dem Königreich Böhmen und Ungarn regierten und starke familiäre Beziehungen mit Habsburg, Wittelsbach und Vasa unterhielten. Unter ihrer Herrschaft wuchs Krakau weiter und trat der Hanse bei.
Der Fürstbischof regierte sehr geschickt ab 1434 für die minderjährigen Söhne Władysław II. Jagiełłos, Władysław III. von Warna und Kasimir IV. Jagiello. Unter letzterem blühte Krakau in der Spätgotik auf. Von den zahlreichen Kindern des Ehepaares – seine Frau Elisabeth von Habsburg wurde Mutter der Jagiellonen genannt – wurden allein vier Könige; sieben weitere bekleideten wichtige Kirchenämter oder heirateten in meist deutsche Adelsgeschlechter ein. Als Folge davon sind fast alle gegenwärtigen europäischen Monarchen mit Kasimir IV. und Elisabeth verwandt. Der italienische Humanist Kallimachus, der aus politisch-religiösen Gründen aus Rom nach Krakau geflohen war, erzog die Kinder.
1475 warb der bayerische Herzog Georg der Reiche, der Erbe des Herzogtums Bayern-Landshut, um die Hand von Hedwig Jagiellonica (Jadwiga Jagiellonka). Nach einer zweimonatigen Reise fand in Landshut die Landshuter Fürstenhochzeit statt.
Viele Gelehrte und Künstler aus dem deutschsprachigen Raum, meist aus Franken, gingen nach Krakau, so auch Buchdrucker. Kasper Straube war 1473 der erste, aber erst Johann Haller konnte eine Druckpresse für längere Zeit in Krakau betreiben. 1488 gründete der Humanist Conrad Celtis die Sodalitas Litterarum Vistulana, eine Gelehrtengesellschaft nach Vorbild der Römischen Akademie. 1489 beendete Veit Stoß (poln. Wit Stwosz) aus Nürnberg die Arbeit am Hochaltar der Krakauer Marienkirche und fertigte dann den Marmorsarkophag für Kasimir IV. Jagiellonicus, Kallimachus sowie für Bischöfe von Krakau und Posen. Auch zahlreiche andere Künstler aus Italien, Holland und Süddeutschland kamen in der Zeit Kasimirs IV. nach Krakau und arbeiteten im Stil der Spätgotik und Renaissance. Drei seiner Söhne waren nacheinander polnische Könige, der älteste aber König von Böhmen und Ungarn.
Die Könige Alexander und Jan I. Olbracht ließen die Stadtbefestigung gegen einen befürchteten Türkenansturm ausbauen und um die Barbakane 1499 ergänzen und legten in Kazimierz den Grundstein für das neue jüdische Viertel (oppidum judaeorum), in dem die Alte Synagoge im Renaissancestil errichtet wurde. Ihr jüngerer Bruder Sigismund I. der Alte und dessen Sohn Sigismund II. August bauten Krakau zum Machtzentrum der jagiellonischen Länder in Polen-Litauen und Tschechien-Ungarn aus. Zu dieser Zeit zählte Krakau ca. 30.000 Einwohner. Aus dieser kulturellen Blütezeit der Stadt ist eine Vielzahl von Baudenkmälern und Kunstschätzen der Gotik und Renaissance erhalten. Insbesondere der Schlosskomplex auf dem Wawelhügel und die befestigte Altstadt – Barbakane, Tuchhallen, Bürgerhäuser etc. Auch die Universität erlebte in dieser Zeit ihre Blüte. Hier studierte Ende des 15. Jahrhunderts Nikolaus Kopernikus zusammen mit zahlreichen deutschsprachigen Gelehrten.
Frühe Neuzeit
Sigismund I. der Alte ließ das 1499 niedergebrannte gotische Königsschloss, das Kasimir der Große errichtet hatte, von den florentinischen Meistern Francesco Fiorentino und Bartolomeo Berrecci im Stil der Renaissance wiederaufbauen. Die Sigismundkapelle auf dem Wawel von Berrecci gilt als schönstes Bauwerk der italienischen Renaissance außerhalb Italiens. Das Werk Berreccis war so überragend, dass einer seiner Landsleute, der ebenfalls als Künstler an den Krakauer Hof gekommen war, diesen 1534 aus Neid auf dem Krakauer Marktplatz niederstach. Berrecci wurde mit großen Ehren in der Fronleichnamskirche in Kazimierz beigesetzt.
Sigismund I. heiratete Bona Sforza aus Mailand, die viele italienische Künstler an den Krakauer Hof brachte. Aber auch Deutsche, Niederländer und Polen waren unter Sigismund I. in Krakau künstlerisch aktiv. 1505 sind im Balthasar-Behem-Kodex die Statuten der deutschsprachigen Bürger-Gilden beschrieben. 1520 veranlasste Johann Beheim die Herstellung der bisher größten polnischen Kirchenglocke (Stand 2015), der Sigismund-Glocke. Peter Vischer aus Nürnberg eröffnete eine Bronzegießerei in Krakau. Stanislaus Samostrzelnik schuf viele Renaissancefresken in den Krakauer Kirchen. Im gleichen Zeitraum war Hans Dürer, der jüngere Bruder Albrecht Dürers, Hofmaler bei Sigismund I. dem Alten. Hans von Kulmbach malte den Johannes-Altar der Marienkirche.
1525 huldigte Albrecht, der Hochmeister des Deutschen Ordens, dem polnischen König auf dem Krakauer Marktplatz und wandelte auf Anraten Martin Luthers und mit Billigung des polnischen Königs den Ordensstaat in ein polnisches Lehen um. Albrecht schuf mit diesem Herzogtum Preußen als polnischem Lehen das erste Gebiet, das den lutherischen Glauben annahm. Die Konflikte um Reformation und Gegenreformation wirkten sich auch bald auf Krakau aus. Die ersten protestantischen Andachten wurden in den Jahren 1545 und 1547 gepredigt.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts existierte dort auch eine reformierte Gemeinde, sowie nach der Spaltung darin, ab 16. Oktober 1562 die erste Gemeinde der Polnischen Brüder. Nach der königlichen Erlaubnis wurde im Jahr 1572 die evangelische Johannes-Kirche eröffnet. Am 23. Mai 1591 wurde sie von der katholischen Plebs zerstört. Danach wurde der Sitz der Gemeinde nach Aleksandrowice verlegt. Das Geschehen gilt als der Wendepunkt in der polnischen Gegenreformation.
Sigismund II. August wurde 1530 zu Lebzeiten seines Vaters König von Polen und regierte bis zu dessen Tod 1548 mit diesem gemeinsam. Auf Anraten von Königin Bona Sforza holte auch er viele italienische Künstler nach Krakau, unter denen die Brüder Santi und Monti Gucci die bedeutendsten waren. Ersterer baute die Tuchhallen im Renaissancestil um und schuf viele Marmorskulpturen in der Wawelkathedrale, letzterer baute die alte Synagoge in Kazimierz um. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde begonnen, die deutschsprachige Stadtregierung durch eine polnische bzw. italienische zu ersetzen. 1572 starb der letzte Jagiellonenkönig, Sigismund II. August. Sein Nachfolger aus Frankreich Heinrich von Valois regierte nur ein Jahr auf dem Wawel. Ihm folgte der Ungar Stephan Báthory, unter dem Krakau sich weiter im Stil des Manierismus entwickelte. Doch verlegte 1596 der polnische und zeitweise schwedische König sowie zeitweilige Zar von Russland Sigismund III. Wasa (Zygmunt III Waza) die Residenz nach Warschau, das bis 1526 (dem Jahr des Erlöschens des masowischen Piastenhauses) Hauptstadt des Herzogtums Masowien gewesen war, welches an die polnische Krone zurückfiel. Sigismund bevorzugte die Nähe Warschaus zu seinem schwedischen Erbkönigreich und zu seinen russischen Ambitionen. Gleichwohl entstanden in der formellen Hauptstadt Krakau noch ehrgeizige barocke Projekte, wie die Peter-und-Paul-Kirche, die St.-Anna-Kirche, die Benediktinerkirche, die Kamaldulenser-Abtei etc.
Die Bedeutung Krakaus nahm aber ab, beschleunigt durch die Plünderung während der schwedischen Invasionen 1655 und 1702 und durch die Pest, die 20.000 Opfer forderte.
Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert lag Krakau abseits der polnischen Politik, die nun in Warschau ihren Mittelpunkt hatte. 1778 wurden in Krakau ohne die Vorstädte 8894 Einwohner gezählt und 1782 insgesamt 9193 Einwohner. Die Vorstädte (u. a. Kazimierz, Stradom, Kleparz, Garbary) wurden im Jahr 1792 vom Vierjährigen Sejm nach Krakau eingemeindet.
Österreichische Zeit und Republik Krakau
Im Zuge der Dritten Teilung Polens wurde Krakau 1795 in der Habsburgermonarchie dem Kronland Galizien zugeordnet, dem habsburgischen Anteil aus der Ersten Teilung Polens 1772. Im Frieden von Schönbrunn musste Österreich es 1809 zusammen mit Westgalizien an das von Napoleon Bonaparte 1807 errichtete Herzogtum Warschau abtreten. Nach der Aufteilung des Herzogtums im Wiener Kongress stand die neu geschaffene Republik Krakau bis 1846 unter dem gemeinsamen Protektorat seiner Nachbarn Russland, Preußen und Österreich und wurde zu einer liberalen, wohlhabenden Handelsenklave in Mitteleuropa.
Am 3. Mai 1815 erhielt die Freie Stadt Krakau eine Verfassung mit ausgedehnter Autonomie unter Aufsicht der drei Schutzmächte Österreich, Preussen und Russland. Ein zwölfköpfiger Senat mit einem Präsidenten an der Spitze und eine hauptsächlich aus adeligen Kreisen rekrutierte Repräsentantenversammlung bildeten die Regierung. Im Jahre 1815 lebten in der Republik Krakau 87.986 Einwohner, davon 23.389 in Krakau selbst und seinen Vorstädten. Von letzteren war ein Fünftel Juden. In den drei Jahrzehnten ihres Bestehens wuchs die Einwohnerzahl der Republik stark auf 145.787 Einwohner, davon 42.990 in der Stadt selbst. Unter anderem wurde die von einem polnischen Senat regierte Stadt in dieser Zeit ein Zufluchtsort für in den drei Teilungsgebieten politisch verfolgte polnische Nationalisten.
Nach dem wegen des Galizischen Bauernaufstands gescheiterten Krakauer Aufstand 1846 annektierte Österreich Krakau mit Zustimmung von Russland und Preußen. Die jetzt an der Peripherie des Kaisertums Österreich liegende und folgend verarmte Stadt verlor an Bedeutung. Die von Russland abhängigen Unternehmen gingen pleite. 1847 wurde die Stadt an die Krakau-Oberschlesische Eisenbahn angeschlossen. Kurz danach begann der Bau von zahlreichen Befestigungen, der Anfang der „Festung Krakau“, was der Industrialisierung neue Impulse gab (Ziegeleien, Steinbrüche). Ab dem Jahr 1855 war Krakau der Sitz eines Bezirks. Mit Wien als damaliger Hauptstadt war Krakau seit 1856 durch die k.k. Nordbahn verbunden, die wichtigste Bahnstrecke der Monarchie. Die ersten Jahre unter österreichischer Herrschaft waren von Germanisierungstendenzen der Wiener Führung geprägt. Nach der Niederlage Österreichs im Krieg gegen das sich formierende Italien 1859 und einer Schwächung der Zentralisten in Wien durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 folgte jedoch eine weitreichende Autonomie für Galizien.
Im cisleithanischen Teil der nunmehr als k.u.k. Monarchie bezeichneten Realunion, der liberal regiert wurde und allen Nationalitäten Gleichberechtigung einräumte, entwickelte sich Krakau erneut zum Zentrum polnischer Kunst und Kultur. In diese Zeit fiel das Wirken von Jan Matejko, Stanisław Wyspiański, Jan Kasprowicz, Stanisław Przybyszewski, Juliusz Kossak, Józef Mehoffer und Wojciech Kossak, Stanisław Ignacy Witkiewicz und Leon Chwistek. Krakau wurde das Zentrum der neoromantischen Bewegung Junges Polen, des Jugendstils sowie des polnischen Modernismus.
So wurde Krakau neben Warschau eines der bedeutendsten Zentren der polnischen Unabhängigkeitsbewegung. In den letzten zwei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg erlebte Krakau eine sprunghafte Modernisierung, die nicht zuletzt vom jüdischen Bürgertum getragen wurde.
Im Jahr 1900 war Krakau mit 91.323 Einwohnern auf dem sechsten Platz in Cisleithanien, jedoch mit nur 6,88 km² (5,77 km² ohne Błonia-Wiesen) die am dichtesten besiedelte Großstadt (15.851 Einwohner je Quadratkilometer). In den Jahren 1910 bis 1915 wurden nach dem Bebauungsplan der Stadt Krakau des Stadtpräsidenten Juliusz Leo vom galizischen Landtag zahlreiche Gemeinden nach Krakau eingemeindet.
Am 1. April 1910 waren dies Zakrzówek, Dębniki, Półwsie Zwierzynieckie, Zwierzyniec, Czarna Wieś, Nowa Wieś Narodowa, Krowodrza, Grzegórzki und Teile der Gemeinden Prądnik Biały und Prądnik Czerwony mit Olsza, insgesamt 22,74 km² (von 6,88 km² auf 29,62 km²). Im Jahr 1915 wurde dieser Vorgang mit der Eingemeindung der Stadt Podgórze vollendet. „Groß-Krakau“ hatte danach 46,9 km² und etwa 180.000 Einwohner.
Der Wawel wurde von der k.u.k. Armee als Kaserne genutzt, wobei wesentliche historische Bauelemente beseitigt oder beschädigt wurden. Anlässlich eines Aufenthalts von Kaiser Franz Joseph I. in Krakau 1880 (er war im Stadthaus von Statthalter Graf Potocki auf dem Hauptmarkt zu Gast) wurde dem Monarchen eine Petition überreicht, den Wawel zur kaiserlichen Residenz zu erklären. Franz Joseph sagte dies zu; die Verhandlungen der Stadtverwaltung mit dem k.u.k. Kriegsministerium führten aber erst 1905 zur Räumung der königlichen Burg durch das Militär, worauf sofort Restaurierungsarbeiten begannen, die erst in der Zwischenkriegszeit abgeschlossen werden konnten.
Die russische Grenze war nur wenige Kilometer von Krakau entfernt. Die k.u.k. Armee ließ daher im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zahlreiche Außenforts rund um die von Mauern umgebene Stadt errichten, um diese gegebenenfalls als Festung gegen Russland verteidigen zu können. Einige dieser Forts sind erhalten.
Am 16. April 1918 brachen in Krakau (erneut) Unruhen wegen der schlechten Versorgungslage aus, die in antisemitischen Ausschreitungen mündeten. Jüdische Geschäfte wurden geplündert und Juden mit Stöcken geschlagen, ein Mann wurde zu Tode geprügelt. Der Trauerzug zum Friedhof am Folgetag wurde ebenfalls überfallen.
Zweite Polnische Republik
Am Ende des Ersten Weltkriegs sah sich Krakau ab 28. Oktober 1918 wie ganz Galizien als Teil des wieder erstehenden polnischen Staates. Dies wurde im September 1919 im Vertrag von Saint-Germain bestätigt.
Im Jahr 1921 hatte Krakau 183.706 Einwohner, davon die Mehrheit polnischer Nationalität (154.873) und römisch-katholisch (136.241). Krakau entwickelte sich in der Zwischenkriegszeit sehr schnell und war neben Warschau und Lemberg eines der wichtigsten kulturellen Zentren Polens. Krakau wurde zum Sitz einer Woiwodschaft. Viele große Gebäude wurden erbaut, besonders nordwestlich der Krakauer Altstadt (Czarna Wieś, Nowa Wieś).
Deutsche Besetzung 1939–1945
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nahm beim Überfall auf Polen die deutsche Wehrmacht Krakau am 6. September 1939 kampflos ein. Westgalizien wurde als der Distrikt Krakau Bestandteil des Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete mit Sitz in Krakau. Nach Jacek Purchla wurde Krakau und nicht Warschau zur Hauptstadt, weil es kleiner war, näher zur Grenze lag und einfacher zu germanisieren wäre. Unter Generalgouverneur Hans Frank wurden in Stadtnähe die berüchtigten Konzentrationslager Plaszow, Auschwitz und Auschwitz-Birkenau errichtet. Von 1939 bis 1944 war Krakau Sitz des Instituts für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres.
Die deutschen Besatzer erreichten mit Eingemeindungen im Jahr 1941 mehr als die Verdopplung der Größe der Stadt. Hans Frank wollte ein repräsentatives Regierungsviertel um den Park Błonia bauen, aber der Architekt Hubert Ritter hatte dagegen durch Enteignungen und Abriss ein das Stadtbild stärker zerstörendes Projekt „Ost-Nürnberg“ in Dębniki entworfen. Die größte Siedlung der einigen Dutzend mehrgeschossiger Gebäude wurde dagegen auf der Reichstrasse, in Nowa Wieś, gegründet.
Die Besatzer errichteten im Stadtteil Podgórze am rechten Weichselufer für jüdische Stadtbürger das Ghetto Krakau, in dem zeitweise 20.000 Menschen als Arbeitssklaven gefangen gehalten wurden. Im Herbst 1941 wurden 2.000 Menschen aus dem Ghetto für die Tötung „selektiert“, weggebracht oder dort ermordet. Das Ghettogelände wurde anfangs mit Mauern abgesperrt. Nach weiteren Deportationen (1.–8. Juni und 27.–28. Oktober 1942) wurde das ganze Gelände im Dezember in Wohnbezirk A und Wohnbezirk B unterteilt. Das war die Vorbereitung für die endgültige Liquidation, die am 13. März 1943 begann.
Die Besatzer vernichteten einen großen Teil der Kunstschätze des Wawels, insbesondere der polnischen Künstler. Die Bausubstanz Krakaus blieb aber zum großen Teil erhalten, da das NS-Regime Krakau als ursprünglich deutsche Stadt betrachtete. Krakau blieb von Bombardements und größeren Zerstörungen weitgehend verschont. Es verlor aber fast die Hälfte seiner Bevölkerung, fast die ganze jüdische Gemeinde und insbesondere in der „Sonderaktion Krakau“ vom November 1939 die universitäre Elite.
Seit 1945
Als die Rote Armee im Januar 1945 im Zuge der Weichsel-Oder-Operation überraschend auf Krakau vorstieß, ließ Generalgouverneur Frank alle Deutschen evakuieren und verließ die Stadt, während sich die deutschen Truppen zur Oder zurückzogen.
So konnte die Rote Armee am 19. Januar in das nahezu unzerstörte Krakau einziehen. Die dadurch angeblich verhinderte Sprengung der Stadt gehört vermutlich ins Reich der Legenden. Die Sowjetunion und das polnische kommunistische Regime unterdrückten die bürgerlichen und aristokratischen Strömungen der Krakauer. Am 11. August 1945 kam es zum Pogrom von Krakau an jüdischen Überlebenden des NS-Terrors.
Aus ideologischen Überlegungen wurden in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stadt das damals weltgrößte Stahlwerk und die sozialistische Trabantenstadt Nowa Huta (Neue Hütte) errichtet (1951 eingemeindet). Das Regime hoffte, durch einen größeren Anteil an „sozialistischen Arbeitern“ den Einfluss der „kapitalistischen Intellektuellen“ zu beseitigen. Nowa Huta wurde später, während der Solidarność-Bewegung, zu einem Brennpunkt des sozialen und politischen Reformwillens gegen den Kommunismus. Bis in die 1990er Jahre hinein schädigten die Emissionen des Stahlwerks die historische Bausubstanz Krakaus.
Im Jahr 1978 wurde der Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyła, zum Papst gewählt und nahm als solcher den Namen Johannes Paul II. an. Er besuchte Krakau während seines Pontifikates mehrmals. Diese Wahl hatte bedeutende Auswirkungen auf die polnische Oppositionsbewegung und indirekt auf die gesamte internationale Politik. Im selben Jahr wurden die Altstadt von Krakau und der Wawel zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Das Salzbergwerk Wieliczka vor den Stadttoren Krakaus wurde 1978 ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe und wurde 2013 um das Salzgrafenschloss und Bochnia erweitert. Die Klöster in den Stadtteilen Tyniec, Bielany und Salwator standen einige Jahre auf der Nominierungsliste zum Welterbe.
Nach den Gesprächen am Runden Tisch 1988/89 und den ersten freien Wahlen 1989 konnte sich Krakau wieder frei entwickeln. Die Versäumnisse früherer Restaurierungsarbeiten konnten in den 1990er Jahren nachgeholt werden. Es wurden Autobahnverbindungen nach Katowice und Breslau errichtet und der Flughafen in Balice ausgebaut. Nunmehr wird die Autobahn A4 in Richtung Tarnów ausgebaut und die Schnellstraße „Zakopianka“ in die Hohe Tatra modernisiert.
Bevölkerungsentwicklung
1791 lebten in Krakau 23.591 Menschen. Etwa 50 Jahre später waren es 36.000 und weitere 65 Jahre später, 1900, bereits 85.300. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte die Stadt 259.000 Einwohner, 1945 nach dem Ende des Krieges noch 298.500. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein starkes Bevölkerungswachstum ein, sodass Krakau bereits 1955 428.231 Einwohner hatte. Bis 1985, kurz vor der Wende, stieg die Einwohnerzahl weiter auf 740.120 an. Auch nach der Wende hielt das Bevölkerungswachstum an, sodass die Stadt bei der Volkszählung am 31. März 2021 mit 800.653 Einwohnern das erste Mal die Grenze von 800.000 Bewohnern überschritt. Davon waren 426.754 Frauen und 373.899 Männer.
Politik
Stadtpräsident
Die Verwaltung der Stadt wird von einem Stadtpräsidenten geleitet. Seit 2002 ist dies Jacek Majchrowski.
Die Stadtpräsidentenwahl 2018 führte zu folgendem Ergebnis:
Jacek Majchrowski (Sojusz Lewicy Demokratycznej, Parteimitgliedschaft ausgesetzt) 45,8 % der Stimmen
Małgorzata Wassermann (Prawo i Sprawiedliwość) 31,9 % der Stimmen
Łukasz Gibała (Wahlkomitee Krakau für Einwohner) 17,1 % der Stimmen
Konrad Berkowicz (KORWiN) 2,5 % der Stimmen
Übrige 2,7 % der Stimmen
Da keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte, wurde eine Stichwahl nötig, in der sich Majchrowski, der in beiden Wahlgängen auch von der Koalicja Obywatelska unterstützt worden war, mit 61,9 % gegen Wassermann, die auf 38,1 % der Stimmen kam, durchsetzte.
Stadtrat
Die kommunale Selbstverwaltung Krakaus geht auf die Gründung der Stadt im Jahr 1257 zurück. Die erste offizielle Erwähnung eines Stadtrats stammt aus dem Jahr 1264. Nach dem modernen Regierungssystem Polens ist Krakau eine Stadt mit Kreisrechten. Der Krakauer Stadtrat ist das lokale Regierungsorgan in Krakau, das auch Kontrollfunktionen ausübt und sich aus gewählten Ratsmitgliedern zusammensetzt, die auf der Grundlage der Gemeinde- und Kreisordnung handeln. Die Einwohner wählen 43 Ratsmitglieder für eine fünfjährige Amtszeit in den Stadtrat. Die Wahl 2018 führte zu folgendem Ergebnis:
Wahlkomitee Jacek Majchrowski – Krakauer Bürger 43,7 % der Stimmen, 23 Sitze
Prawo i Sprawiedliwość (PiS) 29,8 % der Stimmen, 16 Sitze
Wahlkomitee Krakau für Einwohner 12,7 % der Stimmen, 4 Sitze
Kukiz’15 4,0 % der Stimmen, kein Sitz
Wahlkomitee Zusammen für Krakau 3,1 % der Stimmen, kein Sitz
KORWiN 3,0 % der Stimmen, kein Sitz
Wahlkomitee für unabhängige lokale Verwaltungen 2,9 % der Stimmen, kein Sitz
Übrige 0,8 % der Stimmen, kein Sitze
Konsulate
2019 gab es in Krakau neun Generalkonsulate und über 20 Honorarkonsulate.
Generalkonsulate
, ul. Stolarska 7
, ul. Stolarska 15
, Krupnicza 42
, ul. Biskupia 7
, Al. 29 Listopada 137
, ul. Św. Tomasza 34
, ul. Beliny-Prażmowskiego 4
, ul. Lubicz 17H
, ul. Stolarska 9
Honorarkonsulate
, ul. Wrocławska 53
, ul. Marii Grzegorzewskiej 33A
, ul. Kazimierza Czapińskiego 3
, ul. Floriańska 3
, ul. Ks. Jerzego Popiełuszki 36
, ul. Św. Anny 5
, ul. Floriańska 15
, ul. Św. Anny 5
, ul. Krupicza 5
, ul. Św. Anny 5
, ul. Rynek Główny 12
, ul. Grabowskiego 5
, ul. H. Siemiradzkiego 5
, ul. Karmelicka 30
, ul. Radzikowskiego 1
, ul. Bogusławskiego 7
, ul. Malborska 130
, ul. Karmelicka 30
, ul. Kordylewskiego 11
, ul. Śliczna 30A
, ul. Papiernicza 2
, al. 3 Maja 9
, ul. Mosiężnicza 3
, ul. Żabiniec 1
, ul. Straszewskiego 28
, ul. Tadeusza Śliwiaka 48
, ul. Straszewskiego 17
, ul. Grodzka 40
, ul. Balicka 255
Architektur
Da nach dem Mongolensturm im 13. Jahrhundert keine wesentlichen Zerstörungen mehr erfolgten und sich die Industrialisierung eher außerhalb abspielte, ist Krakau reich an Beispielen aller Epochen ab dem Hochmittelalter (Romanik und Gotik), vor allem Renaissance, aber auch Barock, Jugendstil und Neugotik sind zu finden (Collegium Novum). Bausünden wurden vergleichsweise wenige begangen, eine über 40 Jahre bestehende Investitionsruine (der sogenannte „Skeletor“) wurde 2020 als Unity Tower fertiggestellt. Seit 2002 werden viele Baulücken im Stadtgebiet durch angepasste Neubauten geschlossen.
Kultur
Theater- und Konzertsäle (Auswahl)
Altes Theater
Juliusz-Słowacki-Theater
Theater Bagatela
Volkstheater
Theater Groteska
Philharmonie Krakau
Die Krakauer Oper war bis zur Vollendung des neuen Opernhauses im Słowacki-Theater untergebracht.
Bekannte Regisseure und Schauspieler Krakaus sind Andrzej Wajda und Jerzy Stuhr.
Kabarett
Krakau ist bekannt für seine alte Tradition des literarischen Kabaretts, die ständig gepflegt wird. Die bekanntesten Kabarett-Theater sind Piwnica pod Baranami und Jama Michalika. Ein neues, junges Kabarett ist Loch Camelot. Im Piwnica pod Baranami hatte die legendäre Chansonsängerin Ewa Demarczyk ihre ersten Auftritte und blieb dem Kabarettkeller lange Zeit eng verbunden. Tradition hat der jährliche Kabarettwettbewerb PAKA, der u. a. dem bekanntesten deutschen „Nicht-Politiker“ in Polen, Steffen Möller, zum Durchbruch verhalf.
Filmtheater (Auswahl)
Direkt in der Altstadt gelegen sind das Ars und das Pod Baranami, zwei Programmkinos, die mit origineller Einrichtung und unterschiedlichen Aktionen und Veranstaltungen besonders unter Studenten beliebt sind. Mainstream-Filme werden aber genauso gezeigt. Dagegen sind die gemeinsam betriebenen Kinos Kijów und Mikro reine Programmkinos, die sich (v. a. das Mikro) auf alternative Independent-Filme spezialisiert haben. Zu den reinen Blockbuster-Kinos wiederum gehören die drei Kinos der Kette Cinema City und das Multikino, das für seine Filmmarathons bekannt ist. Das Orange IMAX zeigt 3D-Filme.
Veranstaltungen (Auswahl)
Stündliches Turmbläsersignal (Hejnał Mariacki, ) vom Turm der Marienkirche
Internationales Shantie-Festival (Februar)
Kabarettwettbewerb PAKA (März)
Musikfestival Misteria Paschalia (Karwoche, Ostern)
Internationales Theaterfestival Krakowskie Reminiscencje Teatralne
Tage der Orgelmusik (April)
Internationales Filmfestival Off Camera
Juwenalia – Studentenfestival (Mai)
Krakowski Festiwal Filmowy (Mai/Juni)
Jüdisches Kulturfestival in Krakau (Juni/Juli)
Jazzfestival im Pod Baranami (Juli)
Festival Klassische Musik an historischen Orten (August)
Musikfestival Sacrum-Profanum (September)
International Jarek Śmietana Jazz Guitar Competition
Festival der Jazztrompeter – Miles Davis Memorial Night (September)
Festival Genius Loci in Kazimierz (Oktober)
Wettbewerb der Krakauer Weihnachtskrippen (Dezember)
Parks und Umweltschutz
In Krakau gibt es ca. 40 Parks, die insgesamt 318,5 ha (Stand von 2002) umfassen. Sie stellen beinahe ein Prozent der Gesamtfläche der Stadt dar.
Auf dem Stadtgebiet gibt es viele wertvolle Tier- und Pflanzenarten. In Krakau gibt es fünf Naturschutzgebiete mit einer Gesamtfläche von 48,6 ha (0,14 % des Stadtgebiets). Auf dem Gebiet kann man auch kleine grüne Flächen finden, die zum Komplex der Landschaftsschutzgebiete Jurajskie Parki Krajobrazowe gehören. Es dient zum Schutz der folgenden Gebiete: Jura Krakowsko-Częstochowska u. a. Fragmente der Parks Bielańsko-Tyniecki, Tenczyński und Dolinki Krakowskie mit ihrer Umhüllung. Die Flora des Gebietes Jura Krakowsko-Częstochowska gehört zum Programm Corine biotopes in Bezug auf seine Tier- und Pflanzenwelt, Geomorphologie und Landschaft.
Der westliche Teil von Krakau ist das so genannte Gebiet Obszar Krakowski und ist dem polnischen ökologischen Netz unterstellt. Ein Teil der Stadt liegt im Bereich der Biotopvernetzung der Weichsel. Flüsse, ihre Täler sowie Gewässer sind die interessantesten Plätze in Krakau in Bezug auf die Naturschätze.
Zur Jagiellonen-Universität gehört ein botanischer Garten.
Der 1889 eröffnete, nach Henryk Jordan benannte Park Jordana war der europaweit erste „Aktiv-Spielplatz“, er besteht bis heute.
Luftverschmutzung
Krakau war unter den polnischen Kommunen ab 100.000 Einwohnern die Stadt mit der höchsten Luftverschmutzung. Laut Weltgesundheitsorganisation starben jährlich an ihren Folgen mindestens 1400 Krakauer vorzeitig. Besonders in vernebelten Wintertagen empfiehlt sich unter freiem Himmel das Tragen eines Feinstaubfilters vor dem Mund. Wenn die Feinstaubbelastung die Norm um das Vierfache übersteigt, erlaubt die Stadtverwaltung die kostenlose Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel für Kfz-Besitzer (gegen Vorzeigen des Fahrzeugscheins).
Durch die relativ geringe Luftgeschwindigkeit von durchschnittlich 2,78 m/s im Jahresmittel wird die verunreinigte Luft nur sehr langsam abtransportiert. In der Niederung, in der die Stadt liegt, bildet sich oft über Nacht eine kühlere Luftschicht, die von einer wärmeren Schicht überlagert wird. Unter dieser Glocke sammeln sich Abgase von Verkehr und Ofenheizungen. Im Jahr 2011 trat dieser Inversionseffekt an 2575 Stunden im Jahr auf (30 % der Gesamtzeit).
Zusätzlich wehen die Abgase aus der stark industrialisierten Region Schlesien über Kleinpolen ins Stadtgebiet. Die tages- und stundenaktuellen Verschmutzungswerte findet man auf dem Portal der Woiwodschaftsinspektion für Umweltschutz Krakau.
Es gibt auch eine App dazu für mobile Geräte. Wie das Umweltamt der Woiwodschaftsverwaltung meldet, liegt die Feinstaubbelastung PM10 und PM2,5 in der Heizperiode dreimal so hoch wie von April bis September, dazu kommt die Belastung mit Benzo(a)pyren aus der Kohleverbrennung. Nach Ansicht des Collegium Medicum der Krakauer Jagiellonen-Universität liegt der IQ der Krakauer Kinder aufgrund der Luftverschmutzung um 3,8 % unter dem Niveau von Schülern aus sauberen Kommunen.
Im Jahr 2012 organisierte eine Bürgerinitiative Proteste und eine Plakatkampagne. Nach diesem Anstoß aus der Zivilgesellschaft reagierte die Stadtregierung und finanzierte ab 2013 den Ersatz von Kohleöfen, welche von damals 25.000 auf 4000 im Jahr 2018 reduziert werden konnten. Seit Anfang 2014 durften in Neubauten keine Kohleöfen installiert werden.
Die Anzahl der Tage im Jahr, in welchen die Feinstaubgrenzwerte überschritten wurden, sank bis 2017 unter Hundert. Das Parlament der Woiwodschaft Kleinpolen (Sejmik) beschloss, das Heizen mit festen Brennstoffen ab September 2019 gänzlich zu verbieten. Außerdem werden mit höheren Parkgebühren, Park & Ride, feucht fegenden Straßenkehrmaschinen, neuen Bussen (Elektro, Flüssiggas, Euro 6), konsequenter durchgeführten ASU-Tests für KFZ und stärkeren Kontrollen energieintensiver Industriebetriebe die Emissionen gesenkt, Umgehungsstraßen, Fahrradwege und neue Straßenbahnstrecken gebaut, Eisenbahngleise modernisiert, Gebäude wärmeisoliert und an das Fernheiznetz angeschlossen und die Strafen für Müll verbrennende Haushalte erhöht.
Der stellvertretende Marschall der Woiwodschaft Kleinpolen, Wojciech Kozak erklärte 2016, dass in der gesamten Woiwodschaft 200.000 Kohleöfen ausgetauscht werden müssten. Auch durch Kohleöfen der 5. Generation ließen sich die Emissionen um 90 Prozent verringern. Die Idee, den Bürgern nur noch das Verfeuern hochwertiger Kohle zu erlauben, hat man aufgegeben, weil das nicht kontrolliert werden kann.
Bildung
Krakau ist seit Jahrhunderten eines der wichtigsten Bildungszentren Polens. In der Stadt sind elf Hochschulen mit etwa 10.000 Angestellten und 51.000 Studenten sowie eine Reihe weiterer höherer Bildungseinrichtungen angesiedelt. Insgesamt gibt es in der Stadt 210.000 Studenten.
Jagiellonen-Universität, gegründet 1364
Technische Universität Krakau, gegründet 1945
AGH Wissenschaftlich-Technische Universität, gegründet 1919
Akademie der Bildenden Künste, gegründet 1818
Krzysztof-Penderecki-Musikakademie
Landwirtschaftsuniversität Krakau
Wirtschaftsuniversität, gegründet 1882
Sportakademie Krakau, gegründet 1950
Pädagogische Universität, gegründet 1946
Staatliche Theaterhochschule Krakau, gegründet 1946
Päpstliche Universität Johannes Paul II., gegründet 1981
Ignatianum – Hochschule für Philosophie und Pädagogik
Bogdan-Jański-Hochschule
Hochschule für Management und Bankwesen
Krakauer Andrzej-Frycz-Modrzewski-Akademie
Hochschule für Wirtschaftswissenschaften und Informatik
Hochschule für Management
Józef-Tischner-Europa-Hochschule
Kleinpolnische Fachhochschule Krakau
Die älteste Schule ist das
Liceum Bartłomieja Nowodworskiego (1588)
Wirtschaft
Krakau gehört zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Städten in Polen. Das lässt sich sowohl auf die zentrale geografische Lage mit acht Millionen Menschen im Umkreis von 100 km als auch auf die junge und gut ausgebildete Bevölkerung zurückführen. 60 Prozent der Einwohner der Stadt sind jünger als 45 Jahre, verglichen mit 46 Prozent im restlichen Polen.
2005 betrug die Arbeitslosenquote 6,9 Prozent, mehr als zehn Prozentpunkte niedriger als der nationale Durchschnitt.
In Krakau haben einige ausländische Unternehmen investiert wie die HVB, die Deutsche Bank, die Konzerne Allianz SE, Volvo, Phillip Morris, Tishman Speyer Properties oder Motorola. Ebenso haben sich ausländische Handelsketten wie Metro, Tesco, Carrefour oder Ikea in der Stadt niedergelassen. Das deutsche Unternehmen ECE Projektmanagement errichtete Ende 2006 eine Einkaufsgalerie inklusive Hotel mit fast 250 Geschäften auf 60.000 m² auf dem Bahnhofsvorplatz. Der Busbahnhof wurde dafür hinter den Hauptbahnhof verlegt.
Die Stadt fördert die Ansiedlung von Hochtechnologieunternehmen mit einem Technologiepark, der auf vier Gebiete in Krakau und Tarnow verteilt ist. Der Park bietet moderne Infrastruktur wie auch steuerliche Anreize. Seit 1998 haben dort IT/Elektronikfirmen wie Motorola (USA), RR Donnelley (USA) und Comarch (PL) investiert, ebenso einige Forschungseinrichtungen der Krakauer Hochschulen.
Auch der Tourismus ist ein wichtiger Faktor der Krakauer Wirtschaft. Die Stadt zählte 2015 zehn Millionen Besucher, und mit den Billigflugverbindungen nach Westeuropa steigt die Zahl der Gäste insbesondere aus Großbritannien und Irland stark an.
Sehenswürdigkeiten
Da Krakau im Mittelalter die Hauptstadt Polens war und seine Bausubstanz in der Neuzeit weitgehend von Kriegszerstörungen verschont blieb, hat es ein historisch geprägtes Stadtbild und zahlreiche original erhaltene Baudenkmäler. Das ist auch der Grund, warum sein historisches Zentrum, die Altstadt von Krakau, 1978 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurde.
Ensemble des UNESCO-Welterbes
Die historische Altstadt von Krakau besteht als Welterbe-Objekt aus den städtischen Ensembles:
mittelalterlichen Kernstadt Krakau,
Wawel mit Schloss und Kathedrale,
Stadt Kazimierz (mit Vorstadt Stradom).
Im Listeneintrag von 1978 wird das Ensemble folgendermaßen begründet: „Es ist eines der bemerkenswertesten Beispiele europäischer Stadtplanung, das charakterisiert ist durch harmonische Entwicklung und eine Ansammlung von Elementen, die alle Architekturstile von der Frühromanik bis zur Moderne repräsentieren.“ (…) „Es ist ein Architektur-Ensemble von herausragender Qualität, sowohl was die Stadtlandschaft als auch die einzelnen Kulturdenkmale betrifft. Das historische Zentrum Krakaus illustriert auf wunderbare Weise den Prozess einer ungestörten Stadtentwicklung vom Mittelalter bis zur Gegenwart.“
Übersicht
auf dem Wawel (Burg) das Königsschloss im Stil der Renaissance und die Kathedrale St. Stanislaus und Wenzel
auf dem von zahlreichen Bürgerhäusern umstandenen Hauptmarkt der größte mittelalterliche Profanbau der Stadt, die Tuchhallen (Gewandhaus, polnisch: Sukiennice) sowie der Rathausturm, ein Relikt des 1832 abgerissenen Rathauses
über 100 Kirchen und Klöster, darunter am Hauptmarkt die Marienkirche und die Barbarakirche
28 Museen mit bedeutenden Ausstellungsstücken aus ganz Polen
Kazimierz, früher selbstständige Stadt mit jüdischem Viertel
Błonia-Wiese, deren Geschichte (als städtische Weide) bis ins Mittelalter zurückreicht
Kirchen und Klöster
Altstadt
Marienkirche, gotische Basilika am Ring, von 1287 bis 1320 errichtet auf romanischen Fundamenten
St.-Barbara-Kirche, neben der Marienkirche, etwa zeitgleich mit dieser erbaut
St.-Adalbert-Kirche am Hauptmarkt, älteste Kirche Krakaus
Dominikanerkirche und Dominikanerkloster
Franziskanerkirche und Franziskanerkloster, Basilika aus dem 13. Jahrhundert mit bedeutenden, von Stanisław Wyspiański entworfenen Bleiglasfenstern
St.-Josef-Kirche und Bernhardinerkloster
St.-Peter-und-Paul-Kirche, 1605–1619 errichtete Jesuitenkirche, erste Barockkirche Krakaus
St.-Andreas-Kirche und Klarissenkloster, romanische Kirche (Baubeginn 1080)
St.-Martin-Kirche (evangelisch-augsburgisch)
St.-Ägidius-Kirche
St.-Anna-Kirche, 1689 als Universitätskirche erbaut
Kreuzerhöhungskirche (griechisch-katholisch)
Reformatenkirche oder St. Kasimir-Kirche und Reformatenkloster, 1673 erbaut
St.-Markus-Kirche
St.-Johannes-Kirche und Johanneskloster
Piaristenkirche und Piaristenkloster, 1718 bis 1728 erbaute Barockkirche an der Stadtmauer
Heilig-Kreuz-Kirche, gotische Kirche aus dem 14. Jh.
Mariä-Entschlafens-Kirche
Maria-Schnee-Kirche
Stradom und Kazimierz
Kathedrale St. Stanislaus und Wenzel oder Wawelkathedrale
Bernhardinerkirche mit Kloster
Paulinerkirche oder St.-Michael-und-Stanislaus-Kirche „Auf dem Felsen“, urspr. gotische Basilika, 1733–1751 barock umgebaut
St.-Katharinen-Kirche und Augustinerkloster, 1463 für die Augustiner errichtet
St.-Agnes-Kirche
Fronleichnamskirche
Kirche und Spital der Barmherzigen Brüder
Tyniec, Bielany und Salwator
Die Klöster und Kirchen der drei Stadtteile in den westlichen Bezirken Krakaus waren 1993 bis 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO nominiert. Neben ihrer beeindruckenden Lage an oder über der Weichsel ist auch die umgebende Landschaft geschützt, z. B. die der Schutzgebiete Bielańsko-Tyniecki und Rezerwat Skałki Bielańskie. Die Klosteranlage von Tyniec wurde am 30. März 2017 durch Verordnung des Präsidenten Andrzej Duda zum Geschichtsdenkmal erklärt.
Benediktinerabtei Tyniec
Kamaldulenserkloster Bielany
Prämonstratenserinnenkloster und -kirche
Salvatorkirche
Margaretenkapelle
Kleparz, Piasek, Nowy Świat und Wesoła
Barmherzigkeitskirche
St.-Florian-Kirche
Lazaristenkloster und -kirche
Visitantinnenkloster und -kirche
Josef-Schutz-Kirche und Kloster der Unbeschuhten Karmeliter
Karmeliterkloster und -kirche
Kapuzinerkirche
St.-Nikolaus-Kirche, urspr. romanische Kirche aus dem 12. Jh., 1655 barock umgebaut
Herz-Jesu-Kirche, errichtet 1909 bis 1912 im eklektischen Stil
St.-Vinzenzkirche
Podgórze
St.-Josef-Kirche
St.-Benedikt-Kirche
Nowa Huta
Zisterzienserkloster Mogiła
Kirche der Muttergottes, Königin von Polen (Arche des Herrn)
St.-Bartholomäus-Kirche
Kirche der Muttergottes von Tschenstochau
Kirche St. Johannes der Täufer
Kirche St. Gregor
Łagiewniki
Josefskapelle
Heiligtum der göttlichen Barmherzigkeit
Heiligtum des heiligen Johannes Paul II.
Königsweg
Der Königsweg ist ein touristischer Rundgang durch die Altstadt. Er beginnt nördlich der Altstadt am Denkmal für die Schlacht von Tannenberg, das an den Sieg der Polen über den Deutschen Orden erinnert. Man überquert die innere Ringstraße um die Altstadt und steht vor der Barbakane, die als größte ihrer Art in Europa gilt. Weiter kommt man zu den Überresten der Stadtmauer mit dem Florianstor. Durch dieses letzte erhaltene Stadttor betritt man die Altstadt. In der Floriańska-Straße kommt man unter anderem am Pharmazie-Museum und dem Jan-Matejko-Haus vorbei und erreicht den Hauptmarkt, den mit ca. 200 × 200 m größten mittelalterlichen Marktplatz Europas.
Hier begegnet der Weg einem zweiten Rundgang, dem Universitätsweg, welcher der Geschichte der Jagiellonen-Universität gewidmet ist. Folgt man aber dem Königsweg, kommt man entlang der Grodzka-Straße an weiteren Kirchen vorbei – der Dominikanerkirche, der Peter-und-Paul-Kirche (dem ersten barocken Sakralbau Polens), der romanischen Andreaskirche und der evangelischen Martinskirche. Am Ende des Weges sieht man das überwältigende Königsschloss auf dem Wawelhügel am Ufer der Weichsel mit der feuerspeienden Skulptur des legendären Wawel-Drachen.
Via Jagiellonica und Via Regia
Die Via Jagiellonica ist eine neue europäische Kulturstraße und touristische Angebotspalette, die im Jahr 2010 anlässlich des 600. Jahrestages der Schlacht von Tannenberg eröffnet wurde. Die Straße verbindet Krakau (als südlichen Endpunkt) auf zwei Routen mit Lublin, Białystok, der belarussischen Grenzstadt Brest und endet in der litauischen Hauptstadt Vilnius.
Die Straße orientiert sich an der ehemaligen Heerstraße der Könige von Polen und Großfürsten von Litauen aus der Jagiellonen-Dynastie nach Masowien, die in der Schlacht als Waffenbrüder auftraten und dem Deutschen Orden eine vernichtende Niederlage beibrachten. Im Mittelpunkt stehen die kulturellen Sehenswürdigkeiten und Naturschönheiten, denn die Straße soll zur Entwicklung der Europäischen Union beitragen.
Bereits seit 2005 wird die Via Regia als bekannteste europäische Kulturstraße entwickelt. Krakau bildete seit dem Mittelalter einen wichtigen Etappenort auf dieser wichtigsten West-Ost-Handelsstraße, die von Spanien (Santiago de Compostela) durch Frankreich (Bordeaux, Paris) über Frankfurt am Main, Leipzig, Görlitz, Breslau bis nach Kiew verlief. In umgekehrter Richtung war die Via Regia auch ein Pilgerweg (Jakobsweg), der bis zum Pilgerort Santiago de Compostela führte.
Jüdisches Viertel und Ghetto
Der Stadtteil Kazimierz (1335 von König Kasimir dem Großen und nach ihm benannt) war einst eine selbstständige Stadt. Um 1500 entstand in ihrem östlichen Teil die deutlich abgegrenzte Jüdische Stadt (oppidum judaeorum). Bis zu Beginn der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg hatte Kazimierz einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil.
Das heute bei Einheimischen und Touristen beliebte Ausgehviertel wird gegenwärtig saniert und besticht durch seinen alternativen Charme und seine Künstlerszene sowie die Erinnerung an seine jüdische Geschichte. Allerdings leben hier kaum noch Juden. Nur noch etwa 150 praktizierende, vor allem ältere Juden sind derzeit noch in Krakau ansässig. Zentrum des ehemaligen jüdischen Viertels war die Szeroka-Straße, an der drei Synagogen und das Gebäude der Großen Mikwe liegen. Heute kümmert sich das Jüdische Gemeindezentrum um die Pflege des jüdischen Lebens in Krakau, während sich die Stiftung Judaica – Zentrum für Jüdische Kultur für den Erhalt des jüdischen Kulturerbes und den polnisch-jüdischen Dialog einsetzt.
Synagogen in Kazimierz:
Alte Synagoge
Hohe Synagoge
Isaak-Synagoge
Kupa-Synagoge
Popper-Synagoge
Remuh-Synagoge (mit dem Alten Jüdischen Friedhof)
Tempel-Synagoge
Die Remuh-Synagoge dient noch immer und die Kupa-Synagoge heute wieder sakralen Zwecken. Außer dem Alten Jüdischen Friedhof ist auch der jenseits des Bahndamms gelegene Neuen Jüdische Friedhof erhalten.
Reste des ehemaligen Ghettos Krakau, wie Teile der Mauer und die Ghetto-Apotheke (Adler-Apotheke von Tadeusz Pankiewicz, heute eine der Geschichte des Krakauer Ghettos gewidmete Abteilung des Museums Krakau), befinden sich im südlich der Weichsel gelegenen, angrenzenden Stadtteil Podgórze. Dort befindet sich auch die ehemalige Fabrik Oskar Schindlers. Seit Kriegsende wurden dort Radio- und Fernsehgeräte hergestellt.
Nach aufwändiger Renovierung wurde in dem Gebäude am 10. Juni 2010 das Museum Emaille-Fabrik von Oskar Schindler eröffnet. Es beherbergt eine multimediale Ausstellung zum Leben der Polen und Juden während der deutschen Besatzung. Die Ghettoaufnahmen im Kinofilm Schindlers Liste wurden aufgrund der dort vorhandenen historischen Bausubstanz zum größten Teil in Kazimierz gedreht.
Museen
Von den insgesamt 28 Museen seien hier erwähnt:
Nationalmuseum, unterteilt in Abteilungen:
Hauptgebäude (polnische Kunst des 20. Jahrhunderts)
Kunstgalerie in den Tuchhallen (polnische Kunst des 19. Jahrhunderts)
Erasmus-Ciołek-Bischofspalast (polnische Kunst vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert)
Czartoryski-Museum, u. a. mit Werken von Leonardo da Vinci und Rembrandt
Jan-Matejko-Haus
Józef-Mehoffer-Haus
Emmerich-Hutten-Czapski-Museum
Szołayski-Haus „Feliks Jasieński“ (polnische Kunst des Fin de Siècle)
Europäum (europäische Kunst vom 14. bis 18. Jahrhundert)
Königsschloss auf dem Wawel – Staatliche Kunstsammlungen
Museum Krakau (bis 2018: Historisches Museum der Stadt Krakau) mit Abteilungen, u. a.:
Palais Pod Krzysztofory (Hauptsitz)
Der unterirdische Hauptmarkt
Emaille-Fabrik von Oskar Schindler
Alte Synagoge
Museum für Gegenwartskunst Krakau
Kunstbunker (moderne Kunst)
Polnisches Luftfahrtmuseum
Zentrum für japanische Kunst und Technologie Manggha
Galicia Jewish Museum
Archäologisches Museum
Pharmazeutisches Museum
Völkerkundemuseum
Erzdiözesianmuseum
Museum für Stadtingenieurwesen
Fotografiemuseum
Museum der Heimatarmee
Verkehr
Straßenverkehr
Die Stadt ist über die Autobahn A4 mit dem oberschlesischen Industriegebiet und Westeuropa verbunden. Bis 2014 wurde die Autobahn bis zur ukrainischen Grenze fertiggestellt. Richtung Süden führt die Schnellstraße S7 und die Landesstraße 7 zum Wintersportort Zakopane.
Schienenverkehr
Vom Krakauer Hauptbahnhof (Kraków Główny) gibt es direkte Bahnverbindungen nach Danzig über Warschau, nach Posen über Breslau, in die Ukraine über Przemyśl sowie nach Berlin, Prag, Budapest, Wien und Bratislava.
Luftverkehr
Der Flughafen Johannes Paul II. Krakau-Balice in Balice ist der zweitgrößte Flughafen Polens mit Linienverbindungen u. a. nach Chicago, Frankfurt am Main, Wien und Berlin sowie Basel, Köln-Bonn, Düsseldorf, Dortmund, München, Hamburg und Stuttgart.
Nahverkehr
Das Straßenbahn- und Autobusnetz ist dicht. Siehe dazu Straßenbahn Krakau.
Besonders die Außenbezirke verbindet die Straßenbahn mit dem Zentrum. Im Dezember 2008 wurde die erste Schnellstraßenbahn in Krakau in Betrieb genommen. Die gesamte Strecke der Krakauer Stadtbahn hat eine Länge von 14 km und verläuft teilweise in einem unterirdischen Tunnel. Daneben gibt es einen Linienbusverkehr ins Umland, aber auch internationale Verbindungen.
Das Straßenbahnsystem war ursprünglich in der seltenen Spurweite von 900 mm aufgebaut, ab etwa 1910 wurden Strecken abschnittsweise in Normalspur in Betrieb genommen.
Schiffsverkehr
Die Weichsel wird für Ausflugsdampfer und in kleinem Maßstab für den Transport von Kies genutzt.
Bike-Sharing
Im Herbst 2016 wurde das älteste Fahrradverleihsystem Polens modernisiert und hat nun unter dem Namen Wavelo über 1500 Fahrräder an 150 Verleihstationen.
Sport
Krakau war einer der Austragungsorte der Volleyball-Weltmeisterschaft der Männer 2014 sowie der Handball-Europameisterschaft der Männer 2016 und Veranstalter der Europaspiele 2023. Außerdem war Krakau 2014 Sportstadt Europas. Seit 2002 wird jährlich der Krakau-Marathon ausgetragen.
Die Krakauer Fußballvereine Wisła Krakau und KS Cracovia zählen zu den ältesten Fußballvereinen Polens, die ihre Heimspiele im rund 33.000 Zuschauer fassenden Henryk-Reyman-Stadion bzw. im 15.114 Zuschauer fassenden Józef-Piłsudski-Cracovia-Stadion austragen. Cracovia wurde 1921 der erste polnischer Fußballmeister und gewann sechs Meisterschaften sowie einmal den Pokal, Wisła ist 13-facher polnischer Meister und viermaliger Pokalsieger. Mit dem Meister von 1931, Garbarnia Kraków, errang eine dritte Mannschaft aus der Stadt den Titel. Weitere überregional erfolgreiche Fußballvereine aus Krakau sind Hutnik Kraków (ehemals Hutnik Nowa Huta), Podgórze Kraków und Wawel Kraków.
Die Eishockeyabteilung von Cracovia ist zwölffacher polnischer Meister.
Persönlichkeiten
Umgebung
Wieliczka (ca. 20 km entfernt) mit Salzbergwerk Wieliczka und Salzgrafenschloss und Bochnia (ca. 40 km entfernt) mit Salzbergwerk Bochnia (zusammen UNESCO-Welterbe Königliche Salzbergwerke Wieliczka und Bochnia)
Niepołomice (ca. 25 km entfernt) mit Königsschloss und Niepołomicer Wald
Nationalpark Ojców (ca. 25 km entfernt) mit dem Schloss Pieskowa Skała
Kalwaria Zebrzydowska mit Kalvarienberg und Bernhardinerkloster (UNESCO-Welterbe) und Lanckorona (ca. 30 km entfernt)
Nationalpark Babia Góra (ca. 60 km entfernt)
Nationalpark Gorce (ca. 60 km entfernt)
Stauseen Jezioro Rożnowskie (ca. 65 km entfernt) und Jezioro Czorsztyńskie (ca. 75 km entfernt) mit Wassersportmöglichkeiten (Segeln)
Nationalpark Pieninen (ca. 80 km entfernt)
Oświęcim mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau (ca. 80 km entfernt, UNESCO-Welterbe)
Zakopane und Tatra-Nationalpark (ca. 90 km entfernt)
Oberschlesisches Industriegebiet mit zahlreichen bedeutenden Denkmälern der Industriekultur und Besucherbergwerken
Holzkirchen im südlichen Kleinpolen (UNESCO-Welterbe)
Krakau-Tschenstochauer Jura mit Krakauer Juratälern, Sportklettergebieten und Adlerhorst-Weitwanderweg von Krakau zum Wallfahrtsort Tschenstochau mit Paulinerkloster Jasna Góra
Weichselradwanderweg (führt mitten durch Krakau, weitgehend durchgängig fertiggestellt auf der Strecke Wisła – Szczucin)
Städtepartnerschaften
Krakau unterhält Partnerschaften mit einer großen Anzahl an Städten. Zusammen mit der Stadt Nürnberg erfolgte 1996, als Projekt mit Modellcharakter, die Einrichtung zweier Partnerhäuser in der jeweils anderen Stadt, die dort als Kulturzentren und Austauschsort fungieren. Das Krakauer Haus in Nürnberg stellt hierbei die einzige Einrichtung Krakaus außerhalb Polens dar. Das Nürnberger Haus in Krakau befindet sich im historischen Stadtteil Kazimierz.
Bordeaux (Frankreich)
Bratislava (Slowakei)
Curitiba (Brasilien)
Cusco (Peru)
Edinburgh (Vereinigtes Königreich)
Florenz (Italien)
Mailand (Italien)
Frankfurt am Main (Deutschland), seit 1991
Leipzig (Deutschland)
Nürnberg (Deutschland), seit 1979
Innsbruck (Österreich)
Göteborg (Schweden)
Lemberg (Ukraine)
Löwen (Belgien), seit 1991
Orléans (Frankreich)
Fès (Marokko)
Rochester (Vereinigte Staaten)
Sevilla (Spanien)
Solothurn (Schweiz), seit 1990
Vilnius (Litauen)
Zagreb (Kroatien), seit 1975
Siehe auch
Galizische Küche
Literatur
Jan Małecki, Krakau – Erbe der Jahrhunderte, Krakau 2006, ISBN 83-89599-28-7.
Adam Bujak: Königliches Krakau. Biały Kruk, Krakau 2005, ISBN 83-88918-77-X.
August Essenwein: Die mittelalterlichen Kunstdenkmale der Stadt Krakau. Nürnberg 1867 (Digitalisat)
Marta Kijowska: Krakau. Spaziergang durch eine Dichterstadt. DTV, München 2005, ISBN 3-423-24483-6.
Peter Lehmann: Andere Heimat Kraków. Brockhaus, Leipzig 1988, ISBN 3-325-00163-7.
Jacek Purchla: Krakau unter österreichischer Herrschaft 1846–1918. Faktoren seiner Entwicklung. Böhlau, Wien u. a. 1993, ISBN 3-205-05489-X.
Jehuda L. Stein: Juden in Krakau. Ein historischer Überblick 1173–1939. Hartung-Gorre, Konstanz 1997, ISBN 3-89649-201-2.
Constantin von Wurzbach: Die Kirchen der Stadt Krakau. Eine Monographie zur Geschichte und Kirchengeschichte des einstigen Königreichs Polen. Wien 1853 (Digitalisat)
Weblinks
http://www.krakow.travel/de/ – sehr umfangreicher und informativer Online-Reiseführer des Krakauer Festivalbüros
Magiczny Kraków – offizielle Seite der Stadt (in mehreren Sprachen)
SWR: Schätze der Welt – Krakau (Fernsehfilm)
Deutschsprachige Publikationen über Krakau im Bibliotheks- und Bibliographieportal / Herder-Institut (Marburg)
Stadtansicht im Reisealbum des Pfalzgrafen Ottheinrich 1536/37
Abbildung der Stadt 1617 in Civitates orbis terrarum von Georg Braun und Frans Hogenberg
Einzelnachweise
Hauptstadt einer Woiwodschaft
Hansestadt
Ort der Woiwodschaft Kleinpolen
Ort an der Weichsel
Ehemalige Hauptstadt (Polen)
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Stadtrechtsverleihung 1257
Hochschul- oder Universitätsstadt in Polen
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Q31487
| 792.163399 |
50793
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https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrdienst
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Wehrdienst
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Der Wehrdienst, Militärdienst oder, insbesondere auf den Kriegsfall bezogen, Kriegsdienst genannt, ist die Ausübung des Dienstes in den Streitkräften eines Staates. Er wird aufgrund einer Wehrpflicht oder einer freiwilligen Verpflichtung (öffentlich-rechtliche Verpflichtung oder Vertrag) geleistet.
Grundlegendes zum Militärdienst
Die gesetzliche Verpflichtung zum Wehrdienst (Wehrpflicht) kann umfassen
im Frieden:
die Ableistung eines längere Zeit dauernden Wehrdienstes (Grundwehrdienst ( WPflG) / Präsenzdienst / Rekrutenschule),
die Ableistung von kurzdauernden Übungen (Pflichtwehrübungen / Fortbildungsdienste der Truppe);
im Spannungs- oder Verteidigungsfall:
den unbefristeten Wehrdienst.
Die Wehrpflicht wurde und wird unabhängig von einer totalitären oder demokratischen Staatsform weltweit praktiziert. In vielen Staaten ist die Ableistung eines Wehrersatzdienstes oder eines Zivildienstes an Stelle des Grundwehrdienstes möglich.
Eine freiwillige Verpflichtung ist möglich als
Berufssoldat (BS),
Soldat auf Zeit (SaZ),
in Deutschland auch als freiwillig Wehrdienst Leistender (FWDL),
in Deutschland auch als Reservistendienst Leistender (RDL),
in der Schweiz auch als Durchdiener,
in der Schweiz auch für Einsätze zur Friedensförderung (Militärgesetz Art. 66)
der Europäischen Menschenrechtskonvention besagt: Hiervon ist der Militärdienst jedoch explizit ausgenommen: . In Deutschland garantierte das Kriegsdienstverweigerungsrecht. Auch schloss ursprünglich jede Zwangsverpflichtung aus und wurde erst mit Aufbau der Bundeswehr um die Ausnahmen zur Wehrpflicht und Landesverteidigung geändert.
Deutschland
Preußen
Zu den Reformen, die Preußen unter dem Eindruck der Niederlage im Krieg gegen Frankreich 1807 durchführte, gehörte die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Zunächst wurde die, durch den Frieden von Tilsit auferlegte Grenze von 42.000 Soldaten sowie das Verbot, für die Aufstellung einer Miliz und von Reserveeinrichtungen durch das Krümpersystem von Gerhard von Scharnhorst umgangen. Am Ende der Befreiungskriege in den Jahren 1813/14 stand die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht durch das Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst vom 3. September 1814. Damit war eine grundsätzliche Aufwertung des Soldatenstandes verbunden, denn bis dahin hatten gemeine Soldaten als gesellschaftlich deklassiert gegolten. Der Militärdienst, zu dem auch die Söhne des Adels und des Bürgertums eingezogen wurden, galt nun als Ehrendienst und die Armee als „Schule der Nation“. Wehrpflichtige aus den „gebildeten Ständen“ konnten sich als „Einjährig-Freiwillige“ melden und hatten nach diesem Jahr die Aussicht, sich zum Reserveoffizier weiterbilden zu können, was mit viel gesellschaftlichem Prestige verbunden war.
Unter allen größeren europäischen Staaten hatte nur Preußen nach den Napoleonischen Kriegen sein System der allgemeinen Wehrpflicht beibehalten und trotz des Heereskonflikts Anfang der 1860er Jahre modernisiert.
In den anderen deutschen und den meisten europäischen Staaten wurde unter den tauglich Gemusterten die erforderliche Anzahl von Rekruten durch das Los bestimmt. Der Ausgeloste konnte aber einen von ihm bezahlten Ersatzmann als „Einsteher“ stellen, weshalb in diesen Armeen eher Männer aus ärmeren Schichten dienten. War ihre Dienstzeit abgelaufen, rückten sie für einen anderen Wehrpflichtigen erneut als Einsteher an dessen Stelle, so dass die Armeen, wie auch die Frankreichs, faktisch aus Berufssoldaten bestanden. Andere deutsche Staaten zogen nur einen Teil der Wehrpflichtigen für eine sehr lange Dienstzeit ein, darunter Österreich, ungeachtet zahlreicher Sonderbestimmungen, für 14 Jahre.
Nachdem das preußische Wehrpflichtsystem seine Effizienz in den Kriegen mit Dänemark im Jahre 1864 und mit dem innerdeutschen Konkurrenten Österreich im Jahre 1866 im Deutschen Krieg bewiesen hatte, übernahmen es die anderen deutschen Staaten. In Folge des Inkrafttretens der Verpflichtung zum Kriegsdienst für den Norddeutschen Bund. Der Wehrdienst begann im Alter von 20 Jahren.
„Um im Allgemeinen körperliche und wissenschaftliche Ausbildung so wenig als möglich zu stören“ (§ 9), dürfen Freiwillige bereits mit 17 Jahren eintreten, wodurch sich die Verpflichtungszeit entsprechend nach hinten verkürzt. Diejenigen, welche freiwillig in das stehende Heer treten, erhalten dafür die Begünstigung, sich die Waffengattung und das Regiment zu wählen. Des Weiteren werden folgende Abstufungen eingeführt: dem stehenden Heere, der Landwehr des ersten Aufgebots, der Landwehr des zweiten Aufgebots und Landsturm. Der Heeresstärke wird nicht festgelegt und so den „jedesmaligen Staatsverhältnissen“ angepasst werden. Das Stehende Heer bildet sich aus den Berufssoldaten, den Freiwilligen und einem „Theil der jungen Mannschaft der Nation vom 20. bis zum 25. Jahre.“ Damit ist der Wehrdienst auf 5 Jahre festgesetzt. Die ersten 3 Jahre dient man beim Stehenden Heer und die letzten 2 Jahre wird man in die Heimat entlassen und dient als Reserve, die als Ersatz des Stehenden Heeres im Kriege mobilgemacht werden kann. Wer freiwillig länger im Stehenden Heer dienen möchte, kann sich zu einem weiteren sechsjährigen Dienst verpflichten. Er erhält damit eine Auszeichnung, für die zweite Dienstzeit eine Soldzulage und Anspruch auf Versorgung, wenn er zu weiteren Dienst unfähig geworden ist. Des Weiteren wird im § 7 der Einjährig-Freiwilliger eingeführt. Allerdings dienen sie zunächst nicht beim Stehenden Heer, sondern unter dem Eindruck des Lützowsches Freikorps wird ihnen das Ersatz der freiwillige einjährige Dienst in „Jäger- und Schützenkorps“ gestattet. Sie müssen sich selbst einkleiden und bewaffnen. Die Landwehr ersten Aufgebots dient im Frieden in der Heimat, im Krieg ist sie sowohl im In- wie im Ausland zur Unterstützung des Stehenden Heers berufen. Ihre Mannschaften setzen sich aus Wehrpflichtigen (20–25 Jahren), Jäger- und Schützenbataillone (Einjährig-Freiwillige) und Mannschaften (26–32 Jahren) zusammen. Aus den Männern, die aus der Landwehr ersten Aufgebots austreten, werden automatisch bis zum 39. Geburtstag in der Landwehr zweiten Aufgebots aufgenommen, die in Garnisonen oder Garnison-Bataillonen dient. Jünglingen von 17 bis 20 Jahre ist die Teilnahme an den Übungen der Landwehr zweiten Aufgebots gestattet. Die Landwehr im Allgemeinen ist eine ortsansässige Armee. Wenn ein Bürger in einen anderen Ort zieht, so tritt er damit automatisch die die Landwehrabteilung des neuen Wohnsitzes über. Der Landsturm tritt nur im Krieg, in der Heimat und nur auf Befehl des Königs dem Feind entgegen. Ansonsten ist er für die Unterstützung der öffentlichen Ordnung vorgesehen. Er besteht aus Jünglingen ab 17 Jahren, aus allen Männern, die aus der Landwehr ausgetreten sind, und aus Männern, die weder zum stehenden Heer noch zu Landwehr gehören und das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Der Landsturm teilt sich in „Bürger-Compagnien in den großen Städten“ und „Land-Compagnien nach Maßgabe der innern Kreiseintheilung“.
Norddeutscher Bund
In der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 wurde im Artikel 57 festgelegt: „Jeder Norddeutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen“ kann. Im Artikel 59 wird der Wehrdienst wie folgt ausgearbeitet:
Im Artikel 60 wird die Sollstärke festgelegt:
Grund dafür dürfte u. a. auch die finanzielle Belastung des Staatsbudgets gewesen sein, die durch Aufwendung von 225 Thalern pro Kopf des Heeres verursacht wurde. In dem Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 9. November 1867 wird dann die Regulierung weiter ausgeführt. Vor allem können die Wehrpflichtigen jetzt vorzeitig den Wehrdienst aufnehmen, wenn es ihnen vorteilhaft erscheint:
Diese Regelung bleibt auch in dem Deutschen Kaiserreich bestehen.
Deutsches Kaiserreich
Die allgemeine Wehrpflicht wurde durch die Reichsverfassung (Artikel 57 ff.) und das Reichsmilitärgesetz gesetzlich geregelt. Im Reichsmilitärgesetz wurde festgelegt, dass jeder Deutsche militärpflichtig ist:
Der Eintritt in die Streitkräfte war zu Quartalsbeginn möglich. Die Dienstpflicht dauerte 7 Jahre lang, vom 21. bis zum 27. Lebensjahr. Dieser Zeitraum wurde in 3 Jahre aktiven Dienst und 4 Jahre Reserve aufgeteilt, bez. später für die Infanterie 2 Aktiv und 5 Jahre Reserve. Die Rekrutierung erfolgte immer zum Oktober des jeweiligen Jahres. Der aktive Wehrdienst betrug somit 2 bzw. 3 Jahre, musste aber innerhalb der Wehrpflicht geleistet werden, wenn der betreffende sich nicht zuvor freiwillig früher zum Wehrdienst gemeldet hatte. Die Reserveeinheiten wurden nur im Kriegsfall gebildet. Vom 1. Januar eines Kalenderjahres an, wurden deutsche Männer, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten, wehrpflichtig und hatten die Pflicht sich regelmäßig bei den zuständigen Behörden zu melden, bis über ihre militärische Verwendung entschieden wurde. Zur Kontrolle dieser Regelung wurden von den Gemeinden sogenannte Stammrollen aufgestellt. Der Wehrpflichtige konnte sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Jeder wehrfähige Mann gehörte vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 20. Lebensjahr zum Landsturm I. Aufgebots. Die Zeit vom vollendeten 20. Lebensjahr bis zum 31. März des Jahres, in dem er das 39. vollendete, gehörte zu seiner Dienstpflicht. Die Dienstpflicht betrug also 19 Jahre. Davon diente der Mann 2 Jahre (Infanterie) aktiv und 5 Jahre in der Reserve. Kavallerie und reitende Artillerie dienten 3 Jahre aktiv. Männer die kürzer als 2 Jahre aktiv dienten, z. B. die einjährigen Freiwilligen, blieben entsprechend länger in der Reserve. Die Reserve diente zur Ergänzung des aktiven Heeres. Mannschaften, die freiwillig länger als 2 Jahre aktiv gedient haben, diente entsprechend kürzer in der Landwehr I. Den Rest der Jahre, bis 31. März des Jahres, in dem er sein 39. Lebensjahr beendete, zur Landwehr II. Mannschaften, die freiwillig vor dem vollendeten 20. Lebensjahr eingetreten sind, treten entsprechend früher aus der Landwehr II aus. Bei späteren Eintritt in das aktive Heer die durch folgende Gründe verursacht werden:
bei noch mangelnder Körperentwickelung
auf Ansuchen in Berücksichtigung bürgerlicher Verhältnisse
Zurückstellung bis zu 5 Jahren, um einen Beruf nicht zu unterbrechen
dient der Mann nicht länger in der Landwehr II, sondern auch nur bis zu seinem vollendeten 39. Lebensjahr. Vom 31. März des Jahres, an dem er sein 39. Lebensjahr vollendet hatte, bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres diente er im Landsturm II. Diese gesamte Regelung gilt für Friedenszeiten, im Krieg findet kein Übertritt vom stehenden Heer zur Landwehr statt. Die Anzahl der zum Wehrdienst Herangezogenen wurde durch die Heeresgröße bestimmt. Im Artikel 60 der Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde die Friedenspräsenzstärke des Heeres auf 1 % der Bevölkerung von 1867 festgelegt. Die künftige Festlegung der Friedenspräsenzstärke wurde von der Reichsgesetzgebung geregelt, die dem Reichstag ein erhebliches Mitspracherecht einräumte.
Dies war aber keine Verschärfung der Zustände, obwohl damit eine Heeresvermehrung einherging. Gerade die Nationalliberalen und Fortschrittspartei sahen in der nominellen Festsetzung der Heeresstärke eine Einschränkung des Budgetrechts des Reichstags, denn sie machte die Bewilligung des Militäretats zu einer Farce. Sicherlich hatte Bismarck seine Lehren aus dem Preußischen Verfassungskonflikt gezogen. Doch das rasche Bevölkerungswachstum in der Gründerzeit führte dazu, dass zwischen der Reichsgründung und dem Ersten Weltkrieg nur 63 % der wehrpflichtigen Männer zu den Fahnen gerufen wurden. Selbst 1912, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in einer Zeit der Hochrüstung, betrug das Verhältnis der Heeresgröße zur Gesamtbevölkerung nur 0,923 %. Eine effektive und damit gerechtere Aushebung war erst Anfang des Ersten Weltkrieges mit dem Edikt über die allgemeine Verpflichtung zu Wehrpflicht vom 3. September 1914 (§§ 9, 10, 11, 12 und 16) möglich. Es bildete gleichzeitig die gesetzliche Grundlage, um aus einer relativ zu seinen Gegnern geringen Heeresgröße ein Millionenheer zu machen.
Weimarer Republik
Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne am 11. November 1918 hatte die Regierung der zügigen Räumung der besetzten Gebiete zugestimmt. Bereits am 12. November begann der Rückzug an der Westfront, bis zum 17. Januar 1919 waren auch die linksrheinischen Gebiete frei von deutschem Militär. Nun galt es, diese immer noch mehrere Millionen Soldaten zählenden Verbände der „Alten Armee“ schrittweise abzurüsten. Dies geschah in den zuvor bestimmten Demobilmachungsorten, üblicherweise den jeweiligen Heimatgarnisonen; für die Regimenter mit linksrheinischen Garnisonen wurden Demobilisierungsorte im Innern des Reichs bestimmt. Der Rat der Volksbeauftragten und die Oberste Heeresleitung beabsichtigten, nach der Demobilisierung noch bestehende Truppenteile in ein Friedensheer zu überführen. Am 19. Januar 1919 erließ die Reichsregierung die „Vorläufigen Bestimmungen über die Bekleidung des Friedensheeres“ im Armeeverordnungsblatt 1919, Nr. 85; die am 6. Februar 1919 zusammengetretene Weimarer Nationalversammlung beschloss aber am 6. März 1919 das Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr. Es ermächtigte den Reichspräsidenten,
Die Stärke dieses Heeres sollte 400.000 Mann betragen. Das Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichsmarine vom 16. April 1919 ermächtigte ihn,
Die Stärke der Marine sollte 20.000 Mann betragen. Deutschland musste 1919 aufgrund des Friedensvertrags von Versailles auf die Wehrpflicht verzichten, „um die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu ermöglichen“. Die Reichswehr war eine auf 115.000 Mann begrenzte Berufsarmee. Infolgedessen bestand bis 1935 keine Wehrpflicht.
Vom 1. Oktober 1919 bis zum 1. April 1920 wurden die Streitkräfte der sogenannten Vorläufigen Reichswehr in das 200.000 Mann starke „Übergangsheer“ transformiert. Gleichzeitig entfielen die bisherigen Verbände und Dienststellen der alten Armee. Über den Zwischenschritt von 150.000 Mann im Oktober 1920 wurde bis 1. Januar 1921 die endgültige Heeresstärke von 100.000 Mann erreicht. Damit wurde zum 1. Januar 1921 die Reichswehr formiert, wobei das Wehrgesetz vom 23. März 1921 die näheren Einzelheiten regelte. Gegen den Versailler Vertrag verstieß der parallele Aufbau schwarzer Reichswehrverbände.
Drittes Reich
Im Herbst 1934 verfügte das Deutsche Reich bereits über 250.000 Soldaten. Geplant war ein Heer von 21 Divisionen im Frieden und 63 Divisionen im Krieg. Im März 1935 waren bereits 21 Divisionen aufgestellt, wenn auch nicht voll einsatzbereit und das Deutsche Reich verfügte über 280.000 Soldaten. Dafür wurden 56.000 Mann der kasernierten Sicherheitspolizei in die Streitkräfte übernommen. Grundlage für die weitere Aufrüstung wurde die bereits am 3. Februar 1933 von Hitler angekündigte und im Reichskonkordat (Juli 1933) berücksichtigte Wiedereinführung der Wehrpflicht mit dem Wehrgesetz vom 21. Mai 1935. Dadurch konnten erstmals in der deutschen Geschichte auch Frauen im Krieg dienstverpflichtet werden.
Somit war die rechtliche Voraussetzung für die Wehrmachthelferin geschaffen, auf die im Krieg zurückgegriffen wurde. Außerdem musste nach dem Gesetz für den Reichsarbeitsdienst zuvor der ein in der Regel 6-monatiger Arbeitsdienst zuvor geleistet werden, der eigentlich erst mit dem 18. Lebensjahr begonnen werden konnte, zu dem während des Krieges schon mit 17 herangezogen werden konnte. Der Reichsarbeitsdienst leistete nicht nur die militärische Vorarbeit zur nachgelagerten militärischen Ausbildung, sondern schaufelte auch Schützengräben und entlastete die Wehrmacht. Dadurch wurde bereits innerhalb eines halben Jahres ein enormes Anwachsen der Streitkräfte möglich: 24 Infanterie-Divisionen, zwei Kavallerie-Divisionen und drei Panzer-Divisionen brachten eine Sollstärke von 400.000 Mann auf. Im Frühjahr 1936 wurden daher 41 Divisionen im Frieden, die im Kriegsfall auf 102 Divisionen anwachsen sollten, geplant. Hinzu kam der Umbau des Heeres auf Vollmotorisierung. Bereits im Herbst erreiche man einen Stand von 520.000 Soldaten, die in 36 Divisionen untergliedert waren. Der Anschluss Österreichs im März 1938 brachte weitere 60.000 Soldaten, untergliedert in 6 Divisionen. Insgesamt gelang von 1923 eine beachtliche Aufrüstung von 10 Reichswehr-Divisionen bis zum Anfang des Zweiten Weltkriegs mit über 50 Divisionen und rund 2,7 Millionen Soldaten. Die rechtliche Grundlage für die Einberufung und den Einsatz der Luftwaffen- und Marinehelfer war die Notdienstverordnung des Deutschen Reiches vom 15. Oktober 1938. Danach konnte jeder Bewohner des Reichsgebietes nach Vollendung des 15. Lebensjahres zu beliebigen, vom Staat bestimmten Diensten herangezogen werden. Auch konnten damit ledige Frauen zum Arbeitsdienst herangezogen werden. Die gesetzliche Grundlage dieser Verordnung reichte zurück bis zum Wehrgesetz vom 21. Mai 1935. Damit war bereits vor dem Krieg der Weg frei für die Luftwaffenhelfer, Flakhelfer und HJ-Marinehelfer, die nach der heute weltweit gebräuchlichen Begriffsbestimmung zu den Kindersoldaten gezählt werden. Der Soziologe Heinz Bude hat die Definition Schülersoldaten für die Luftwaffenhelfer geprägt. Mit Kriegsanfang wurde auch, wie schon im Ersten Weltkrieg das Notabitur an den höheren Schulen eingeführt, um die Schüler möglichst rasch dem Wehrdienst zuzuführen. Mit dem Erlass über die Bildung des Volkssturms vom 20. Oktober 1944 wurde der Volkssturm geschaffen, der aber nicht mit dem Landsturm des kaiserlichen Heeres verwechselt werden darf. Zu diesem wurden alle „waffenfähigen“ Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren herangezogen.
Der Volkssturm unterstand dem Befehlshaber des Ersatzheeres, dem Reichsführer SS Heinrich Himmler. Ihre Aufstellung wurde in ihren Gauen durch die Gauleiter unter zur Hilfenahme von SA, SS, des NSKK und der HJ organisiert.
Deutsche Demokratische Republik
Die Kasernierte Volkspolizei (KVP) war der militärische Beginn in der DDR. Ihre Geschichte begann am 1. Juli 1952, als zunächst die Bereitschaften (Regimenter) der Hauptverwaltung Ausbildung des Ministeriums des Innern der DDR (MdI) in Divisionen der Landstreitkräfte formiert wurden. Der Hauptstab lag anfangs in Berlin-Adlershof (Rudower Chaussee) und ab Juni 1954 in Strausberg. Ihre Gründung erinnert in gewisser Weise an die preußischen Kasernierte Sicherheitspolizei. Am 1. März 1956 erfolgte dann die Gründung der Nationalen Volksarmee. Diese beiden Streitkräfte waren zunächst Freiwilligenverbände und zwar die einzigen auf dem Gebiet des Warschauer Paktes. Dies änderte sich mit dem Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht vom 24. Januar 1962. Bei der Nivellierung mit dem Wehrdienstgesetz am 25. März 1982 blieb die Wehrdauer unverändert, allerdings verschärften sich die Pflichten, die den Jugendlichen auferlegt wurden. Besonders wurden die vorbereitenden Maßnahmen auf den Wehrdienst (vgl. §§ 5–17 Wehrdienstgesetz) hier erwähnt.
So wurde die Vorbereitung auf den Wehrdienst Bestandteil der Bildung und Erziehung an den allgemeinbildenden Schulen, Einrichtungen der Berufsbildung, Fachschulen, Hochschulen und Universitäten. Der dauerte 18 Monate. Die Wehrpflichtigen konnten vom vollendeten 18. Lebensjahr bis zum 31. Dezember des Jahres, in dem sie das 26. Lebensjahr vollenden, zum Grundwehrdienst einberufen werden. Die Wehrpflicht erstreckte sich vom 19. bis zum 50. Lebensjahr, bei Offizieren bis zum 60. Lebensjahr. Im Verteidigungszustand konnte die Wehrpflicht bis zum 60. Lebensjahr erweitert werden.
Bundesrepublik Deutschland
Der Bundesgrenzschutz war mit seinen kasernierten Einheiten ein erster Schritt zur Grenzsicherung und mit rund 10.000 Polizeibeamten ein Baustein zur Gründung der Bundeswehr.
Männliche Personen können mit Vollendung des 18. Lebensjahres auf Grund von GG zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.
Tatsächlich wurden nie Wehrpflichtige zum Bundesgrenzschutz oder ins THW (Technisches Hilfswerk), der Zivil- und Katastrophenschutzorganisation der Bundesrepublik Deutschland, einberufen. Jedoch haben viele Wehrpflichtige in diesen Organisationen ihre Dienstpflicht erfüllt.
Die einfachgesetzliche Grundlage für die Wehrpflicht bildet das Wehrpflichtgesetz (WPflG). Gemäß WPflG sind alle männlichen bundesdeutschen Staatsbürger vom vollendeten 18. Lebensjahr an wehrpflichtig. Ausnahmen gelten nach § 11 WPflG u. a. für ordinierte Geistliche und „dritte Söhne“, nach § 12 unter anderem für Priesteramtskandidaten.
Die Wehrpflicht endet generell mit Ablauf des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 45. Lebensjahr vollendet, bei Offizieren und Unteroffizieren mit Ablauf des Jahres, in dem sie das 60. Lebensjahr vollenden. Im Spannungs- und Verteidigungsfall endet die Wehrpflicht für alle mit Ablauf des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 60. Lebensjahr vollendet ( WPflG).
Änderungen seit Juli 2011
Ab dem 1. Juli 2011 wird die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes in Deutschland ausgesetzt. Es besteht die Möglichkeit eines freiwilligen Wehrdienstes. Freiwillig Wehrdienstleistende können zwischen 7 und 23 Monaten in der Bundeswehr dienen, davon sind die ersten 6 Monate Probezeit. Zum 1. Juli 2011 begannen erstmals insgesamt 3.375 Männer und 44 Frauen den freiwilligen Wehrdienst. Neben den Freiwilligen sind auch 3.761 Zeitsoldaten eingerückt. Maximal 15.000 Männer und Frauen können sich jährlich bewerben. Freiwillig Wehrdienstleistende erhielten im Jahr 2013 einen Sold von rund 778 bis 1.100 Euro netto pro Monat zuzüglich Sachleistungen (Verpflegung, Unterkunft) in Höhe von 265 Euro.
Arten des Wehrdienstes
Nach des Wehrpflichtgesetzes umfasst der zu leistende Wehrdienst
den Grundwehrdienst ( WPflG)
die Wehrübungen ( WPflG)
die besondere Auslandsverwendung ( WPflG)
den freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst im Anschluss an den Grundwehrdienst ( WPflG)
die Hilfeleistung im Innern ( WPflG)
die Hilfeleistung im Ausland ( WPflG)
den unbefristeten Wehrdienst im Spannungs- und Verteidigungsfall ( Nr. 7 WPflG).
Dauer des Wehrdienstes
Grundwehrdienst
Während des Kalten Krieges verfügte die Bundeswehr nach den Aufbaujahren über eine Sollstärke von etwa 495.000 Soldaten, nach der Wiedervereinigung wurde eine Obergrenze von 370.000 Soldaten für die Bundeswehr festgelegt. Die Dauer des Grundwehrdienstes ( WPflG) variierte in der Vergangenheit auf Grund geänderter Bedrohungsanalysen (1962, 1973, 1990, 2002) oder der Stärke der zur Verfügung stehenden Jahrgänge (geburtenstarke Jahrgänge wehrpflichtig ab 1973, Pillenknick wirkte ab Ende der 1980er) meist im Bereich zwischen 12, 15 und 18 Monaten, entsprechend W12, W15, W18 genannt.
Eine Besonderheit stellte die Dauer des Wehrdienstes für im Jahre 1989 einberufene Wehrpflichtige dar. Hatte der Jahrgang 1964 noch 1357304 Geburten gezählt, so dass 1982 weit über eine halbe Million junge Männer volljährig wurden, so war bereits 1971 die Jahrgangsstärke um ein Drittel auf 1013396 gesunken. Daher wurde ab dem dritten Quartal 1989 die Dienstzeit von 15 wieder auf 18 Monate heraufgesetzt (allerdings später nach Einberufung des Jahrgang aufgrund der Ereignisse um die Wende wieder auf 15 Monate verkürzt). Um den davon betroffenen Absolventen des Abiturjahrgangs 1989 nach Beendigung der Wehrdienstzeit einen zeitverlustfreien Übergang in das Studium zum Wintersemester 1990/91 zu ermöglichen, wurde die Einberufung vom Quartalsbeginn 1. Juli um einen Monat auf den 1. Juni (Dienstantritt: 5. Juni) vorverlegt. Unter Anrechnung des Erholungsurlaubs sollte damit ein Dienstende mit Ablauf des 31. August 1990 ermöglicht werden. Infolge dieser Regelung verkürzte sich das letzte Schulhalbjahr mit den Abiturprüfungen deutlich um einige Wochen. Die im Laufe des Frühjahres und Sommers 1989 erfolgenden Grenzöffnungen in Ungarn sowie die Entwicklung in der DDR erforderte eine kurzfristige Neubewertung der Bedrohungslage. Noch im August 1989 wurde die Dienstzeit für das Einberufungsquartal III/1989 wieder auf 15 Monate abgesenkt und den Soldaten, die bereits in der Bundeswehr dienten, dienstlich mitgeteilt. Der Grundwehrdienst der zum 1. Oktober 1989 einberufenen Wehrpflichtigen dauerte dann angesichts von Mauerfall, der anstehenden Wiedervereinigung samt Abzug Sowjetischer Truppen, mithin Wegfall der konkreten Bedrohungslage, mittels einer im Sommer 1990 beschlossenen Dienstzeitverkürzung letztendlich 12 Monate.
Der erste Teil des Grundwehrdienstes ist die Grundausbildung (AGA), die drei Monate dauert. Sie beinhaltet unter anderem Themen wie Allgemeine Truppenkunde, Formalausbildung, Schießausbildung, Gefechtsdienst aller Truppen, Selbst- und Kameradenhilfe in Form des Einsatzersthelfers A, Sport und einzelne Themen zur ersten Vorbereitung auf Auslandseinsätze. Dazu gehören auch Märsche, Biwaks und das Überwinden einer Hindernisbahn. Gegen Ende der GA wird das Gelöbnis abgelegt. Die GA endet mit der „Rekrutenbesichtigung“, einer ein- oder mehrtägigen Prüfung, in der die Rekruten die erworbenen Fähigkeiten nachweisen müssen. Nach erfolgter Ausbildung zum Sicherungs- und Wachsoldaten wird den Absolventen die Ausbildungs- und Tätigkeitsnummer (ATN) Sicherungssoldat (Wachausbildung) zuerkannt.
Je nach Verwendung schließt sich eine Spezialgrundausbildung z. B. zum Panzergrenadier, Fallschirmjäger, Stabsdienstsoldat usw. dem Ende der GA an. Dem Soldaten wird am Ende dieser Ausbildung eine weitere ATN (Erstverwendungs-ATN) verliehen, z. B. Panzergrenadier, Fallschirmjäger, Stabsdienstsoldat usw.
In den verbleibenden Monaten folgt in der Regel die sogenannte „Vollausbildung“. Hier nehmen die Wehrpflichtigen verschiedenste Aufgaben wahr, beispielsweise Posten im Stabsdienst, als Kraftfahrer oder ähnliches. Verfügen die Wehrpflichtigen über besondere Fähigkeiten (zum Beispiel Fremdsprachenkenntnisse), können sie dementsprechend eingesetzt werden.
Wehrübungen
Die Gesamtdauer der möglichen Pflichtwehrübungen ist begrenzt ( WPflG)
bei Mannschaften auf höchstens sechs Monate,
bei Unteroffizieren auf höchstens neun Monate,
bei Offizieren auf höchstens zwölf Monate.
Verpflichten sich Reservisten mindestens 19 oder 33 Tage pro Jahr Reservistendienst zu leisten, erhalten sie nach Erbringen der Voraussetzungen einen Zuschlag zum Sold.
Sogenannte „Einsatzreservisten“ gibt es nicht mehr.
Besondere Auslandsverwendungen
Besondere Auslandsverwendungen ( WPflG) sind befristete Einsätze von Soldaten im Ausland aufgrund eines Beschlusses des Bundestages.
An besonderen Auslandsverwendungen nehmen keine Grundwehrdienstleistenden teil.
Auch Reservisten können während einer Wehrübung an einer besonderen Auslandsverwendung teilnehmen, vorzugsweise solche mit besonderen zivilberuflichen Qualifikationen, wenn sie sich schriftlich dazu bereit erklärt haben und durch die Bundeswehr ausgewählt wurden. Dies ist für jeweils höchstens sieben Monate möglich. Soweit die Dauer drei Monate übersteigt, wirkt das Kreiswehrersatzamt auf die Zustimmung des Arbeitgebers oder der Dienstbehörde hin.
Freiwilliger zusätzlicher Wehrdienst
Im Anschluss an den Grundwehrdienst kann freiwillig zusätzlicher Wehrdienst ( WPflG) bis zu einer Dauer von 17 Monaten (Gesamtdienstzeit 23 Monate) geleistet werden. Damit ist die Bereitschaft zur Teilnahme an besonderen Auslandsverwendungen verknüpft.
Hilfeleistung im Innern
Zu Einsätzen im Rahmen von Hilfeleistungen im Inland sowie dem Schutz Deutschlands und seiner Bürger im Frieden werden Reservisten nur aufgrund freiwilliger Verpflichtung eingesetzt. Einberufungen dafür Beorderter sind auch ohne Fristen möglich.
Wehrdienstverhältnis besonderer Art
Soldaten, auch Reservisten während einer Wehrübung, die während einer besonderen Auslandsverwendung durch einen Unfall oder eine Erkrankung eine gesundheitliche Schädigung erlitten ( Soldatenversorgungsgesetz), haben einen besonderen Schutz. Für sie gilt eine Schutzzeit gem. Einsatz-Weiterverwendungsgesetz von maximal fünf Jahren ( EinsatzWVG), in der sie medizinische Leistungen oder Leistungen zur beruflichen Qualifizierung erhalten. Endet das bestehende bisherige Wehrdienstverhältnis während dieser Schutzzeit, beginnt ab diesem Zeitpunkt das Wehrdienstverhältnis besonderer Art ( EinsatzWVG) bis zum Ende der Schutzfrist. Das Wehrdienstverhältnis besonderer Art endet durch eine Berufung in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder auf schriftlichen Antrag des Soldaten.
Außer für Soldaten gilt das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz auch für Beamte, Richter und Arbeitnehmer des Bundes sowie für Helfer des Technischen Hilfswerks.
Dienstliche Veranstaltung
Eine Besonderheit sind Dienstliche Veranstaltungen ( Soldatengesetz). Dies sind dienstliche Vorhaben der Streitkräfte mit einer Dauer von einigen Stunden bis zu drei Tagen zur militärischen Aus-, Fort- und Weiterbildung, zu denen Personen, die dienstfähig sind und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mit ihrem Einverständnis zugezogen werden können. Sie stehen während dieser Wehrdienstleistung in einem Wehrdienstverhältnis, die Teilnehmer sind also Soldaten mit allen Rechten und Pflichten. Sie erhalten keinen Wehrsold, jedoch können ihnen Fahrtkosten zur An- und Abreise erstattet und unentgeltliche Verpflegung sowie sanitätsdienstliche Versorgung zur Verfügung gestellt werden.
Uniformtrageerlaubnis
Früheren Soldaten kann eine Uniformtrageerlaubnis (UTE) gemäß Uniformverordnung () erteilt werden, die sie berechtigt, zu bestimmten Anlässen (Hochzeiten, festliche Veranstaltungen, öffentlichen Gedenkfeiern, Verbandsveranstaltungen des Reservistenverbands etc.) Uniform zu tragen.
Schutzbestimmungen
Durch die Ableistung des Wehrdienstes darf keinem Bundesbürger ein Nachteil entstehen.
Während des Grundwehrdienstes oder einer Wehrübung ruht das Arbeitsverhältnis. Das enthält weitere Schutzbestimmungen.
Auch ein Studienplatz ist gesichert. Jeder Schüler kann sich für einen Studienplatz bewerben, obwohl er vorher seinen Dienst ableisten muss. Wird er dann an einer Universität angenommen, so ist ein Studienplatz für ihn bevorzugt frei zu halten. Es ist dann jedoch nicht der Ort des Studierens für ihn zwangsläufig derselbe.
Österreich
Die Dauer des Grundwehrdienstes beim österreichischen Bundesheer wurde mit 1. Januar 2006 per Ministerverordnung für alle von acht auf sechs Monate verkürzt (bis dahin wurde je nach Waffengattung der Grundwehrdienst in sechs oder acht Monaten abgeleistet, im ersteren Falle wurde der Rest der Wehrpflicht in Truppenübungen abgeleistet).
Der Grundwehrdienst ist eine der Präsenzdienstarten. Ein Zivildienst von neun Monaten Dauer (bis 31. Dezember 2005: zwölf Monate), einige Freiwilligendienste mit einer Mindestdauer von zehn Monaten oder ein 12-monatiger Auslandsdienst sind als Wehrersatzdienste zulässig. Das freiwillige Leisten des Militärdienstes für einen anderen Staat oder etwa als Söldner für ein Privates Sicherheits- und Militärunternehmen (PMC), führt zum Verlust der Staatsbürgerschaft.
In einer am 20. Januar 2013 abgehaltenen Volksbefragung stimmten bei einer Wahlbeteiligung von rund 52 % eine Mehrheit von fast 60 % für die Beibehaltung der Wehrpflicht.
Die Ausbildung der Grundwehrdiener gliedert sich
in eine etwa neunwöchige Basisausbildung 1, zum Herstellen der Überlebensfähigkeit des Soldaten im Einsatz (Qualifikation 1),
in eine anschließende etwa siebenwöchige Basisausbildung 2, die Ausbildung zu einer Grundfunktion in der Waffengattung (Qualifikation 2), und
in eine etwa zehnwöchige Basisausbildung 3, zur Ausbildung im Organisationselement in der Waffengattung (Qualifikation 3).
Nach dem Heeresgebührengesetz erhält ein Grundwehrdiener mit Stand Oktober 2022 362 Euro Entschädigung monatlich. Für das Aufkommen von Wohnkosten und Unterhaltspflichten sowie von Verpflegsgeld können weitere Beiträge dazukommen. Im Oktober 2022 ist es breiter Konsens im Nationalrats die Entlohnung für Grundwehrdiener wesentlich anzuheben.
Mit dem im Nationalrat einstimmig beschlossenen Wehrrechtsänderungsgesetz 2023 erhalten die Grundwehrdiener ab 1. Jänner 2023 eine Solderhöhung auf 500 Euro monatlich.
Freiwilliger Grundwehrdienst
Um die Frauenquote beim Militär zu erhöhen, ist es ab dem 1. April 2023 für Frauen möglich einen freiwilligen Grundwehrdienst zu leisten. Bis dahin konnten Frauen nur direkt eine Kaderlaufbahn, also eine Laufbahn als Unteroffizier oder als Offizier einschlagen, für welche eine strengere Eignungsprüfung (Kadereignung statt Mannschaftseignung) zu absolvieren ist. Durch die Änderung ist der Zugang zum Bundesheer niederschwelliger, da Frauen nun auch nur Mannschafts- und Chargenfunktionen anstreben können.
Schweiz
In der Schweiz herrscht die allgemeine Militärdienstpflicht für Männer.
Die obligatorische Grundausbildung heißt Rekrutenschule und dauert zwischen 18 und 21 Wochen. Anschließend gibt es alljährlich Wiederholungskurse (WK) (heutige Bezeichnung: Fortbildungsdienste der Truppe (FDT)) von rund drei Wochen, derzeit bis etwa zum 34. Lebensjahr. Die gesamte Dienstleistungszeit für einfache Soldaten dauert 260 Tage. In besonderen Formationen wird die Dienstleistung einzeltageweise geleistet (zum Beispiel im Zentrum für Informations- und Kommunikationsausbildung der Armee (ZIKA)).
Seit 2001 ist es möglich, den Militärdienst als Durchdiener in 300 Tagen an einem Stück abzuleisten. Die darauf folgenden zehn Jahre bleiben die Durchdiener in der Reserve eingeteilt und leisten keine FdT, sondern nur das jährliche obligatorische Schießen.
Der Dienst in der Armee kann aus Gewissensgründen abgelehnt werden. Der Ersatzdienst heißt Zivildienst und dauert eineinhalbmal so lange wie der Militärdienst. Männer, die aus medizinischen Gründen den Militärdienst nicht leisten können, werden vorzeitig dem Zivilschutz zugeteilt. Jene, die keinen Wehr- oder Zivildienst leisten, müssen eine Wehrpflichtersatzabgabe bezahlen.
Die Verletzung der Militärdienstpflicht wird von den Organen der Militärjustiz nach den Art. 81 ff. MStG beurteilt.
Schweizer Soldaten behalten nach Beendigung der Grundausbildung ihre militärische Ausrüstung einschließlich Sturmgewehr und bis 2007 auch die Munition (Taschenmunition) zu Hause, um sie sofort für den Kriegsfall – oder für die jährliche FdT – bereitzuhaben. Nach kompletter Beendigung des Militärdienstes kann das Gewehr gegen ein Entgelt erworben werden. Ab Oktober 2007 wurde die Taschenmunition nicht mehr ausgegeben. Die ausgegebene Taschenmunition wurde in den Schulen und Kursen zurückgegeben. 2009 wurde der Einzug der rund 257.000 Blechdosen mit Taschenmunition vollständig abgeschlossen.
Türkei
Der Wehr- bzw. sogenannte Vaterlandsdienst (vatan hizmeti) in den Türkischen Streitkräften ist laut Art. 72 der türkischen Verfassung in Verbindung mit Art. 1 des Wehrdienstgesetzes (Gesetz Nr. 1111 vom 21. Juni 1927) Recht und Pflicht jedes männlichen Staatsbürgers. Die Möglichkeit einer Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissens- oder religiösen Gründen ist nicht vorgesehen. Die Türkei hat auf Druck der Europäischen Union mehrfach angekündigt, einen Militärersatzdienst einzuführen, der doppelt so lang sein soll wie der Wehrdienst. Bereits abgeleisteter Wehr- oder Zivildienst, etwa vor einer Einbürgerung, wird seit 1993 mit dem Ministerratsbeschluss Nr. 93/4613 anerkannt.
Nach Art. 2 des Wehrdienstgesetzes beginnt die Wehrpflicht am 1. Januar des Jahres, in dem in das 20. Lebensjahr eingetreten wird. Die Wehrpflicht endet mit Beginn des Jahres, in dem das 41. Lebensjahr beginnt. Geschwister bzw. Kinder von im Dienst getöteten Soldaten sind nicht wehrpflichtig.
Zwischen dem 15. Juli 2003 bis zum 1. Januar 2014 dauerte der reguläre Militärdienst für Soldaten (er) 15 Monate. Für Reserveoffiziersanwärter (yedek subay adayı) dauert er 12 Monate und für Kurzzeitsoldaten (kısa dönem er) 6 Monate. Im Oktober 2013 beschloss der Ministerrat, den regulären Wehrdienst ab dem 1. Januar 2014 auf 12 Monate zu begrenzen.
Für türkische Staatsbürger, die sich länger als drei Jahre (1095 Tage) im Ausland befinden, besteht die Möglichkeit, die Ableistung des Militärdienstes durch Zahlung von Devisen zu vermeiden. Dazu bestimmt der Zusatzartikel 1 des Wehrdienstgesetzes, dass für diese Personen „ihr aktiver Militärdienst als erfüllt [gilt], wenn sie bis zum Ende des Jahres, in dem sie 38 Jahre alt geworden sind, eine Summe von 10.000 Euro oder eine entsprechende durch einen Bescheid festgelegte Summe in einer anderen Währung zahlen. […] Der Ministerrat ist ermächtigt, die zu zahlende Summe bis auf die Hälfte zu reduzieren oder bis auf das Doppelte zu erhöhen.“ Mit dem Gesetz Nr. 6252 vom 30. November 2011 wurde die Bedingung, dass Personen, die die geforderte Summe zahlen, eine 21-tägige „Grundausbildung“ leisten müssen, abgeschafft. Durch den Ministerratsbeschluss Nr. 2013/5048 vom 8. Juli 2013 wurde der zu zahlende Betrag von 10.000 Euro auf 6.000 Euro reduziert.
Aufgrund von Gesetzesänderungen in der Türkei wurde der zu leistende Beitrag von 6.000 Euro auf 1.000 Euro herabgesetzt.
Anthropologische Betrachtung
Im modernen Militärdienst sehen einige Kulturanthropologen Parallelen zu Mannbarkeits-Initiationsriten traditioneller Völker. Mario Erdheim spricht von der „Männlichkeitsideologie“, die in der Zeit beim Militär „inszeniert“ werde, damit junge Männer lernten, „den Standpunkt der Herrschaft zu akzeptieren“. Der von Gehorsamkeits-Ritualen geprägte Dienst sei eine unabdingbare Voraussetzung zur Kriegsführung.
Eine Betrachtung unter dem lateinischen Spruch Sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant (etwa: „Kinder sind (halt) Kinder, und Kinder machen Kindereien.“) kommt zum Schluss, dass das jugendliche Alter der Wehrdienstleistenden bewusst ausgenutzt wird.
Siehe auch
Wehrpflicht
Wehrpflicht in Deutschland
Wehrersatzpflicht
Grenzschutzdienstpflicht
Kriegsdienstverweigerung
Kriegsdienstverweigerung in Deutschland
Totalverweigerung
Wehrgerechtigkeit
Weißer Jahrgang
Literatur
Hartmut Bühl, Friedrich Vogel (Hrsg.): Wehrdienst aus Gewissensgründen. Zur politischen und ethischen Legitimation der Verteidigung. Mittler, Herford u. a. 1987, ISBN 3-8132-0268-2.
Quellen
Bundesrepublik Deutschland
Österreich
Bundes-Verfassungsgesetz
Wehrgesetz
Schweiz
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 – Systematische Sammlung des schweizerischen Bundesrechts (Webdokument: PDF (PDF; 429 kB) )
Schweizer Militärgesetz
Durchdiener
Weblinks
Dienstliche Veranstaltung (PDF; 434 kB)
Schweizer Armee – SWISSCOY (Swiss Company)
Österreichisches Bundesheer – AUCON/KFOR
Informationen zum Wehrdienst der Bundeswehr
Einzelnachweise
Wehrpflicht
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Q209572
| 148.84677 |
1655502
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https://de.wikipedia.org/wiki/MIMAROPA
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MIMAROPA
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MIMAROPA oder Region IV-B ist eine philippinische Region. Der Name MIMAROPA ist ein Akronym, dass sich aus den Namen der Provinzen der Region zusammensetzt: Mindoro (Occidental; Oriental), Marinduque, Romblon, Palawan. Calapan City ist das regionale Zentrum.
Am 17. Mai 2002 wurde der Bezirk Southern Tagalog in MIMAROPA und CALABARZON aufgeteilt.
Ein Beschluss vom 23. Mai 2005 sah vor, die Provinz Palawan der Region Western Visayas anzugliedern. Die Umsetzung dieses Beschlusses wurde aber am 19. August 2005 vorläufig aufgehoben und ist bis heute nicht erfolgt.
Politische Gliederung
Nationalparks und Naturschutzgebiete
Apo Reef Marine Natural Park
Calauit Game Preserve and Wildlife Sanctuary
Coron Island Protected Area
El Nido-Taytay Managed Resource Protected Area
Lake-Naujan-Nationalpark
Malampaya Sound Protected Landscape/Seascape
Marinduque Wildlife Sanctuary
Mount Calavite Wildlife Sanctuary
Mount Guiting-guiting Natural Park
Mount-Iglit-Baco-Nationalpark
Mount Mantalinganhan Protected Landscape
Ursula Island Game Refuge and Bird Sanctuary
Hochschulen
Divine Word College of San Jose
Divine Word College of Calapan
Holy Trinity University
Innovative College of Science and Information Technology
Loyola College of Culion
Marinduque State College
Mindoro State College of Agriculture and Technology
Palawan State University
Polytechnic University of the Philippines
Romblon State University
Western Philippines University
Einzelnachweise
Philippinische Region
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Q13658
| 108.842371 |
6200697
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https://de.wikipedia.org/wiki/Chromebook
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Chromebook
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Als Chromebooks werden Notebooks und Tabletcomputer bezeichnet, die als Betriebssystem die Linux-Distribution Google Chrome OS benutzen.
Chromebooks zeichnen sich dadurch aus, dass anders als bei einem klassischen Notebook Anwendungsprogramme zum überwiegenden Teil als Applikation im Chrome-Browser laufen. Daten und Einstellungen werden in der Regel nicht lokal, sondern in der Google-Cloud gespeichert und online zur Verfügung gestellt. Dadurch sind die Geräte schnell austauschbar: Mit der Anmeldung über ein persönliches Google-Konto auf einem anderen Gerät werden alle Daten und Einstellungen synchronisiert. Um ihren vollen Funktionsumfang auszuschöpfen, sind Chromebooks auf die Anbindung an die Google-Server über einen Internetzugang angewiesen.
Die ersten Chromebooks wurden ab Juni 2011 in den USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland angeboten.
Geschichte
Die ersten Modelle der Chromebooks wurden von den asiatischen Unternehmen Samsung und Acer produziert und optional mit UMTS-Unterstützung angeboten. Das Chromebook von Samsung wurde mit einem 12,1"-Monitor und einer Auflösung von 1280 × 800 Bildpunkten ausgeliefert, das Acer-Chromebook mit einem 11,6"-Monitor. Beide Geräte verfügten über eine HD-fähige Webcam, sodass auch Videokonferenz-Dienste des US-amerikanischen Unternehmens Google genutzt werden konnten.
Heutige Modelle (Stand 2018) sind bis auf wenige High-End-Modelle mit eher leistungsschwächeren Bauteilen für CPUs und Arbeitsspeicher ausgestattet, und die Akkus sind häufig fest verbaut. Die lokalen Massenspeicher, häufig SSDs, sind weitaus kleiner ausgelegt als bei Notebooks ähnlicher Größe, weil größere Datenmengen zentral auf Servern gespeichert werden.
Für schnelles Booten wird Coreboot anstatt BIOS/UEFI verwendet.
Neben den Notebooks werden seit 2012 auch Chrome OS-Geräte in Form von Desktop-Computern angeboten, die Chromebox genannt werden.
Jedes Chromebook hat sowohl ein Trusted Platform Module als auch einen passenden Firmware-Chip. Dieser Chip wird verwendet, um beim Bootvorgang zu überprüfen, ob die Read-Write-Firmware vom Unternehmen Google signiert wurde.
Damit auf einem Chromebook auch ohne permanente Internetverbindung gearbeitet werden kann, hat Google für diese Art von Notebooks besondere „Offline“-Versionen seiner Software (z. B. Gmail) entwickelt.
Für den professionellen Einsatz sowie für Behörden und Bildungseinrichtungen werden Chromebooks als kombinierte Hardware und Software as a Service direkt von Google vertrieben.
Im Mai 2018 kündigte Google an, dass es Linux-Desktop-Anwendungen auf Chromebooks über eine virtuelle Maschine mit dem Codenamen "Crostini" verfügbar machen würde. ChromeOS, das auf Chromebooks läuft, basiert bereits auf dem Linux-Kernel, aber es bietet keine Standardunterstützung für Anwendungen, die ein GNU-basiertes System erwarten. Crostini verließ das Beta-Stadium im Mai 2021 als Teil von Release 91. Google führt eine Liste von Geräten, die vor 2019 auf den Markt kamen und Crostini unterstützen.
Vergleich mit herkömmlichen Notebooks
Chromebooks versprachen bei ihrer Einführung eine Bootzeit von unter acht Sekunden einschließlich der Verbindung zum Internet. (Obwohl dieses zu der Zeit schon auf jedem Laptop durch Ruhezustand-/Schlaf-Energiesparmodus und/oder Installation von Linux oder anderem schnellen Betriebssystem verfügbar war.) Die Akkus sollten eine Laufzeit von einem Tag bieten. In der Praxis booten Geräte des Jahres 2018 in rund zehn Sekunden, die Akkulaufzeit liegt zwischen zehn und vierzehn Stunden.
Der größte Unterschied besteht im Betriebssystem Chrome OS, das als System auf den Webbrowser Chrome reduziert ist. Anwendungen laufen als Webanwendung in Chrome, deswegen muss keine Software installiert werden. Updates für Betriebssystem und Browser werden automatisch über das Internet verteilt, Web-Apps anderer Anbieter als Google erfolgen auf deren Servern.
Deshalb ist auch das Aktualisieren auf eine neue Version oder das Installieren von Sicherheitskorrekturen durch den Benutzer unnötig.
Da auf den Chromebooks nur Webanwendungen zum Einsatz kommen, können trotz beschränkter Hardware auch aufwendige und rechenintensive Anwendungen wie das Schneiden von Videos durchgeführt werden, sofern ein geeigneter Webdienst das anbietet. Dafür müssen allerdings die Benutzerdaten, also zum Beispiel das Video, hochgeladen werden, was jedoch eine entsprechend leistungsfähige Internetverbindung bedingt.
Kritik
Datenschützer bemängeln, dass Chromebook-Nutzer nicht nur die Kontrolle über ihre Daten, sondern auch über die Programme verlieren. Bei einem Rückzug einer App und einem Sicherheitsleck seien sofort alle Nutzer betroffen. Außerdem werden in hohem Maße Nutzerdaten an Google übertragen. Dies ist auch bei von Google im Rahmen eines Service-Vertrages vertriebenen Geräten für Bildungseinrichtungen der Fall.
Ebenso können andere Betriebssysteme nicht ohne weiteres installiert werden, da der Bootvorgang der Geräte nicht modifiziert werden kann. Eine Modifikation des Betriebssystems, um Linux auf dem Chromebook zu installieren, funktioniert über die Entwicklereinstellungen des Betriebssystems. Dabei hilft die Tatsache, dass es sich bei Google Chrome OS um ein Gentoo-Linux-Derivat handelt.
Erfolg und Verkaufszahlen der Chromebooks
Bis Ende 2012 sah die Situation für Google und die Hersteller enttäuschend aus. Samsung und Acer verkauften weltweit deutlich weniger als 200.000 Chromebooks. Acer überlegte, die Produktion von Chromebooks zu beenden, und ursprüngliche Interessenten wie Asus und HTC wollten vorerst komplett auf das Betriebssystem verzichten.
2013 konnte das Geschäft mit Chromebooks in den USA deutlich zulegen. Insbesondere konnten Chromebooks bei den Firmenkäufen einen Anteil am Gesamtmarkt von 10 % erreichen. Im dritten Quartal 2014 überstiegen die Verkaufszahlen von Chromebooks an US-Bildungseinrichtungen mit 715.000 Stück erstmals diejenigen von iPads. Im Januar 2015 kündigte Acer erstmals ein Chromebook mit einem 15,6 Zoll großen Full-HD-Display an. 2016 verkündete Google, ChromeOS mit dem Google Play Store aufzuwerten. Mit einem Schlag standen Nutzern eines Chromebooks zehntausende Apps und ein Vielfaches von neuen Funktionen und Möglichkeiten zur Verfügung. So verwundert es auch nicht, dass ChromeOS seine Nutzerzahlen in den USA 2020 fast verdreifachte.
Weblinks
Offizielle Website
Introducing the Google Chrome OS. Offizielle Einführung des Google Chrome OS am 7. Juli 2009. Abgerufen am 26. April 2015.
Google Chrome Blog. Offizieller Blog von Google zum Thema Chrome OS und Chromebook. Abgerufen am 26. April 2015.
Developer Information for Chrome OS Devices. Offizielle Liste aller Chromebooks.
Einzelnachweise
Google Chrome
Tragbare Computer
Cloud Computing
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Q861508
| 110.929762 |
25802
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnozentrismus
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Ethnozentrismus
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Ethnozentrismus ist ein primär psychologischer, aber auch in unterschiedlichsten sozialwissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Untersuchungen gebrauchter Begriff, der die Voreingenommenheit eines Individuums gegenüber ihm fremden Gruppen bezeichnet. Das Phänomen basiert auf der Überzeugung, dass die eigenen Verhaltensmuster und die der ethnischen Gruppe, der man angehört, immer normal, natürlich, gut, schön oder wichtig sind. Vor diesem normativen Maßstab können Fremde – deren Kultur sich deutlich unterscheidet – als wild, unmenschlich, ekelhaft oder irrational bewertet werden. Man spricht daher auch von der „Selbstbezogenheit einer Gruppe“; die Merkmale der Eigengruppe werden dabei als Bewertungsgrundlage vorausgesetzt und gegenüber denen von Fremdgruppen für überlegen gehalten. Dies kann sich u. a. beziehen auf Kultur, Lebensweise, Lebensstil, Weltanschauung, Religion. Der Begriff „Ethnozentrismus“ bezieht sich zwar zunächst nicht etwa auf eine Nation oder Rasse im Sinne der obsoleten Rassentheorie, sondern das Verhältnis des Individuums zu seiner ethnischen Gruppe; Ethnozentrismus kann aber die Grundlage für ein Verhalten bilden, welches Nationalismus oder Rassismus zugrunde liegt.
Studien etwa in der Soziologie, Psychologie, Sozialpsychologie, Ethnologie oder Anthropologie, aber auch der Kulturgeschichte, z. B. auch bezüglich der Mythologie, analysieren, inwiefern Personen derartige Kategorien und Wertungen bilden und verwenden. In diesem Zusammenhang stehen auch vielfältige Untersuchungen der kulturvergleichenden Sozialforschung.
Herkunft des Begriffs
Der Begriff wird auf den US-Soziologen William Graham Sumner zurückgeführt, der in seinem Buch Folkways (1906) „Ethnozentrismus“ so definierte:
Schon Sumner hat die Anwendung des Begriffs „Ethnozentrismus“ nicht auf die Ebene von „Völkern“ begrenzt, sondern den Begriff sehr umfassend auf soziale Gruppen bezogen, denen sich ein Mensch selbst zuordnet: „Jede Gruppe denkt, ihre Lebensweisen [folkways] seien die richtigen.“
Er sprach dem Ethnozentrismus die Funktion zu, die Eigengruppe gegenüber der Fremdgruppe zu stabilisieren, weil er die besondere Eigentümlichkeit der Gebräuche und dadurch die Gruppenzugehörigkeit in der Abgrenzung zu anderen stärke. Diese Funktion bewertete er positiv, da er davon ausging, dass Gruppen in einem Wettbewerb im Sinne des Sozialdarwinismus stünden.
Auftreten
Die Tendenz zum Ethnozentrismus ist in den universellen Bedingungen menschlichen Wahrnehmungsverhaltens angelegt; das behaupten etwa Theorien der sozialen Kognition, wie speziell etwa die Theorie des sozialen Vergleichs (Bezugsgruppentheorie). In der Sozialbiologie und in der Evolutionstheorie werden positive (arterhaltende) Funktionen des Ethnozentrismus angenommen.
Die für die betreffende Person negativen Konsequenzen (etwa Wahrnehmungsverzerrungen oder Lernhindernisse) sowie sozial und/oder politisch unerwünschten Folgekosten werden vor allem im Bereich der sozialen Vorurteile, der selbsterfüllenden Prophezeiung sowie der sozialen Konflikte in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt, insbesondere wenn es um Probleme im Umgang mit interkulturellen Kontakten geht. Hier steht Ethnozentrismus in Verbindung mit Erscheinungen des Rassismus, Nationalismus, der Segregation oder der Fremdenfeindlichkeit.
Der Ethnozentrismus ist ein wesentlicher methodologischer Gesichtspunkt zur Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität in der ethnologischen Forschung. Kulturanthropologen sehen in ihm eine Quelle für mögliche Wahrnehmungsverzerrungen und Beurteilungsfehler des Forschungspersonals, vor allem bei der Feldforschung in fremden Kulturen. Franz Boas setzte dem Ethnozentrismus die These des Kulturrelativismus entgegen, Bronisław Malinowski die Perspektive des Funktionalismus.
Der Kriminalsoziologe Howard S. Becker beobachtete eine „duale Ethik“, die zwischen den Normen für die Eigengruppe und denjenigen für die Fremdgruppen scharf unterscheide.
Gegenkonzepte
In der amerikanischen wurde von ihrem Wegbereiter Franz Boas „interkulturelle Toleranz als Gegengewicht“ zum Ethnozentrismus propagiert.
In jüngster Zeit werden unter der Überschrift „Interkulturalität“ auf Grundlage der Theorien von Alfred Schütz und Thomas Luckmann, Erving Goffman, Jan Assmann u. a. Verfahrensweisen erarbeitet, die die Verständigung zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen erleichtern sollen. Die Interkulturelle Wirtschaftskommunikation wendet diese Techniken auf Unternehmensangelegenheiten an. Wesentlich sind dabei stets Konzepte zum interkulturellen Lernen. Auf der Umsetzung solcher Konzepte ruht die Hoffnung auf langfristige Konfliktvermeidung zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen, gerade an Schulen. Das kritische Erkennen und Akzeptieren des unvermeidlichen eigenen Ethnozentrismus („aufgeklärter Ethnozentrismus“) sowie das Erlernen interkultureller Kompetenz sollen helfen, das Miteinanderleben in einer multikulturellen Gesellschaft erträglich zu gestalten. Nach Milton Bennett durchläuft man beim Erwerb interkultureller Kompetenz zunächst die Phasen des Ethnozentrismus, der sich schließlich in Ethnorelativismus wandelt.
Literatur
Dieter Fuchs, Jürgen Gerhards und Edeltraud Roller: Wir und die Anderen. Ethnozentrismus in den zwölf Ländern der Europäischen Gemeinschaft. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1993, Nr. 45, S. 238–253.
David Theo Goldberg: Ethnocentrism. In: Maryanne Cline Horowitz (Hrsg.): New Dictionary of the History of Ideas. Thomson Gale, New York u. a. 2005, Band 2, 722–725.
Kien Nghi Ha: Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs. Überarb. und erw. Neuauflage, Westfälisches Dampfboot/WVB 1999/2004. ISBN 3-86573-009-4.
Georg Hansen: Ethnie, Ethnozentrismus, Ethnizität. In: Cornelia Schmalz-Jacobson, Georg Hansen (Hrsg.): Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Lexikon. München 1995.
V. Reynolds, V.S.E. Falger, I. Vine (Hrsg.): The Sociobiology of Ethnocentrism: Evolutionary Dimensions of Xenophobia, Discrimination, Racism, and Nationalism. Croom Helm, London 1987.
Ulrich Rosar: Ethnozentrismus in Deutschland. Eine komparative Analyse. 1980 bis 1996. (PDF; 55 k B) Westdeutscher Verlag 2001, ISBN 3-531-13654-2.
William Graham Sumner: Folkways. A Study of the Sociological Importance of Usages, Manners, Customs, Mores, and Morals. University of Michigan, 1906. Digitalisat
Weblinks
Peter Schmidt, Aribert Heyder: Wer neigt eher zu autoritärer Einstellung und Ethnozentrismus, die Ost- oder die Westdeutschen? Eine Analyse mit Strukturgleichungsmodellen. (PDF; 299 kB)
Hans Zeilhofer: Österreichischer Ethnozentrismus und Xenophobie (PDF; 13 kB)
Einzelnachweise
Ethnosoziologie
Volkskunde
Handlung und Verhalten (Soziologie)
Sozialpsychologie
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Q189049
| 111.222854 |
6383
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https://de.wikipedia.org/wiki/1810
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1810
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Europa
Im Jahr 1810 stand das Französische Kaiserreich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Weite Teile Europas wurden von der Familie Napoleon Bonapartes beherrscht. In Spanien saß Napoleons ältester Bruder Joseph auf dem Thron. Der jüngste Bruder Jerome regierte das Königreich Westphalen. Der mit der jüngsten Schwester Caroline Bonaparte verheiratete Offizier Joachim Murat war König von Neapel. Napoleons Adoptivsohn Eugène de Beauharnais fungierte als Vizekönig von Italien. Die älteste Schwester Elisa war Großherzogin der Toskana. Der Sohn von Louis Bonaparte, Napoléon Louis regierte das Großherzogtum Berg. Nur zwei Geschwister Napoleons trugen Ende des Jahres 1810 keine Titel oder Würden: Lucien war auf einer Reise in die USA in britische Gefangenschaft geraten. Louis, der sich in seiner Rolle als König von Holland mit Napoleon aufgrund der Kontinentalsperre überwarf, lebte im Exil in Rom. Wegen seiner Heiratspläne sah sich Napoleon im Jahr 1810 ermutigt, die territoriale Ordnung in seiner Einflusssphäre so weit zu reformieren, wie er sie seinem Thronfolger hinterlassen wollte: Am 12. Januar 1810 fielen große Teile des nördlichen ehemaligen Kurfürstentums Hannover dem Königreich Westphalen zu. Am 17. Februar 1810 annektierte Frankreich Rom. Das Königreich Bayern erhielt am 28. Februar 1810 im Tausch für Trentino, das an das Königreich Italien fiel, einen Teil Frankens zugesprochen. Am 9. Juli 1810 wurden auch Holland und die norddeutschen Hansestädte dem Kaiserreich einverleibt.
Ab 1810 distanzierte sich Napoleon zunehmend von seiner bisherigen Praxis, Staaten an Familienmitglieder zu verteilen. Statt die Interessen Frankreichs durchzusetzen, hatten seine Brüder und Schwestern Sympathien für die ihnen anvertrauten Völker entwickelt. Napoleon sah daher die Einheit seines Machtbereiches gefährdet. Louis Bonaparte bekam dies am härtesten zu spüren: Er hatte versucht, über den Bankier Gabriel-Julien Ouvrard Friedensverhandlungen mit England aufzunehmen. Auf diese Weise sollte der durch die napoleonische Kontinentalsperre zum Erliegen gebrachte Handel wieder belebt werden. Als Reaktion darauf besetzte Napoleon im März 1810 das Gebiet links der Waal. Louis dankte ab, woraufhin Napoleon das gesamte Königreich Holland annektierte. Schon am 13. Dezember 1810 verkleinerte Napoleon auch das Königreich Westphalen wieder. Der nördlich der Linie Minden-Ratzeburg gelegene Teil des Königreiches formte er in drei französische Départements um. Ebenso schränkte Napoleon den politischen Handlungsspielraum des spanischen Königs Joseph massiv ein. Am 8. Februar 1810 erließ er ein Dekret, in dem er die Bildung von Militärregierungen in den Provinzen Spaniens anregte.
6. Januar: Im Vertrag von Paris wird der Kriegszustand zwischen Frankreich und Schweden beendet. Schweden erhält nach den vertraglich getroffenen Vereinbarungen Schwedisch-Pommern und die Insel Rügen, beteiligt sich andererseits im Gegenzug an der gegen Großbritannien gerichteten Kontinentalsperre.
10. Januar: Die Ehe zwischen Napoleon I. und Joséphine wird vor Gericht annulliert.
28. Januar: Der Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer wird auf der Pfandleralm bei St. Martin in Passeier von den Franzosen festgenommen. Sein Versteck hat Franz Raffl verraten. Hofer wird am 20. Februar in Mantua erschossen.
6. Februar: Die Franzosen beginnen mit der Belagerung von Cádiz während der Napoleonischen Kriege. Die Einnahme der Stadt gelingt nicht und 1812 rücken die Truppen ab.
28. Februar: Bayern tritt im Vertrag von Paris das südliche Tirol an das zu Frankreich gehörende Italien ab.
16. März: In einem zu Paris zwischen Napoleon und seinem Bruder Louis (zu der Zeit König von Holland) wird das Gebiet der Rhein- und der Maasmündungen von Holland an Frankreich abgetreten.
11. März: Stellvertreterhochzeit von Marie-Louise mit Napoléon Bonaparte in Wien
1. April: Standesamtliche Trauung von Napoleon und Marie-Louise im Schloss von Saint-Cloud
2. April: Kirchliche Trauung von Napoleon und Marie-Louise in der Kapelle des Louvre
4. Juni: In Preußen wird Karl August Freiherr von Hardenberg an die Spitze der Regierung berufen. Er setzt die preußischen Reformen fort.
20. Juni: Der schwedische Staatsmann Hans Axel von Fersen wird in Stockholm von Einwohnern zu Tode getrampelt. Die Bevölkerung sieht in ihm einen Täter für den laut Gerüchten vergifteten und beliebten Thronfolger, dessen Trauerzug Fersen in prächtigem Gewand anführt. Anwesende Soldaten unternehmen nichts zum Schutz ihres Riksmarskalks vor der Volkswut.
30. Juni: Frankreich übergibt das besetzte Fürstentum Bayreuth zum Preis von 15 Millionen Franc an das Königreich Bayern.
1. Juli: Louis Bonaparte entschließt sich, als König von Holland abzudanken. Er reagiert damit auf unüberbrückbare Differenzen mit seinem Bruder Napoleon Bonaparte, den französischen Kaiser, über den Fortbestand des Königreichs.
9. Juli: Napoléon erklärt das Königreich Holland für aufgelöst und annektiert die Niederlande als französisches Staatsgebiet.
9. Juli: Die erste Belagerung von Ciudad Rodrigo endet in den Napoleonischen Kriegen auf der Iberischen Halbinsel mit der Einnahme der spanischen Stadt durch die belagernden Franzosen unter Marschall Michel Ney.
16. August: Höchstes Organisations-Patent der Verfassung des Großherzogtums Frankfurt
21. August: Der schwedische Reichstag wählt den französischen Marschall Jean-Baptiste Bernadotte zum Kronprinzen.
27. September: In der Schlacht von Busaco verlieren die napoleonischen Invasionstruppen in Portugal gegen ein britisch-portugiesisches Heer unter dem Befehl des Herzogs von Wellington
2. Oktober: Grenzvertrag zwischen Württemberg und Baden zwischen Württemberg und Baden
12. Oktober: In München heiraten Therese von Sachsen-Hildburghausen und der bayerische Kronprinz Ludwig. Die Hochzeitsfeier auf der Theresienwiese endet mit einem Pferderennen, aus dessen späteren jährlichen Folgeveranstaltungen das Oktoberfest erblüht.
17. November: Schweden erklärt auf Druck Napoleon Bonapartes Großbritannien den Krieg.
10. Dezember: Per Dekret annektiert Napoleon Bonaparte die Herzogtümer Arenberg und Oldenburg (vollzogen im Februar 1811)
13. Dezember: Durch ein Dekret Napoleon Bonapartes werden die norddeutschen Küstengebiete annektiert, um die Wirksamkeit der Kontinentalsperre zu erhöhen. Unter anderem werden das Herzogtum Oldenburg und die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck ein Teil des französischen Kaiserreichs. Per Dekret annektiert Napoleon Bonaparte das Fürstentum Salm.
Der Wolga-Ostsee-Kanal wird fertiggestellt
Durch den Wechsel der Hoheit Ulms von Bayern nach Württemberg mit Grenzziehung mitten in der Donau bleiben die Siedlungen rechts der Donau bei Bayern und bilden die neue Gemeinde „Ulm am rechten Donauufer“, das spätere Neu-Ulm
Unter Napoleon werden im „code pénal“ unter anderem die Anwendung des Halseisens (le carcan), des Brandmarkens und der Verstümmelung gesetzlich geregelt.
Vereinigte Staaten von Amerika
16. März: In der Entscheidung Fletcher v. Peck erklärt der Oberste Gerichtshofs der Vereinigten Staaten zum ersten Mal ein Gesetz eines Bundesstaates für verfassungswidrig.
April: Daniel D. Tompkins gewinnt die Gouverneurswahl in New York.
Lateinamerika
25. Mai: Im Vizekönigreich des Río de la Plata kommt es zur Mai-Revolution: In Buenos Aires zwingt das Bürgertum den Vizekönig, einen Kongress neben sich zu dulden, womit der Grundstein zur Unabhängigkeit Argentiniens von Spanien gelegt ist.
20. Juli: Die kolumbianische Unabhängigkeitsbewegung proklamiert in Bogotá die Erste Republik Kolumbien.
16. September: Der Mexikanische Unabhängigkeitskrieg beginnt mit einem Aufstand in Dolores unter Führung von Miguel Hidalgo (endgültige Unabhängigkeit nach Krieg 1821).
18. September: In Santiago de Chile ruft das Rathaus eine Verwaltungsjunta ins Leben. Beginn des chilenischen Unabhängigkeitprozesses.
Karibik
4. Februar: Die britische Marine nimmt das von Frankreich beherrschte Guadeloupe ein.
Afrika
6. bis 8. Juli: Mauritiusfeldzug: britische Einheiten erobern die Insel Réunion.
23./24. August: Die Seeschlacht von Grand Port im Indischen Ozean endet mit einem französischen Sieg, was jedoch die Eroberung von Mauritius durch die Briten letztlich nicht verhindern kann.
3. Dezember: Die Briten erobern von den Franzosen die Inseln Mauritius und Rodrigues
Das Emirat von Liptako, ein Reich der Fulbe im Norden des heutigen Burkina Faso, wird gegründet.
Wirtschaft
2. März: In London beginnt das erste Gaswerk mit der Energieversorgung. Mittels einer Kokerei wird Kohle vergast.
29. März: Friedrich Koenig erhält ein Patent auf seine Tiegeldruckmaschine. Das Modell wird von ihm einige Monate später zur Schnellpresse weiterentwickelt.
5. August: Ergänzend zur Kontinentalsperre lässt Napoleon Bonaparte in Frankreich im Dekret von Trianon 50 Prozent Zoll auf Importwaren ungeachtet ihres Ursprungs erheben.
25. August: Der Brite Peter Durand erhält ein Patent auf die Konservendose.
2. November: Mit dem Gewerbesteueredikt wird in Preußen eine Belebung der Marktwirtschaft angestrebt.
Wissenschaft und Technik
16. Mai: Von der Tübinger Cotta’schen Verlagsbuchhandlung werden die beiden Buchbände Zur Farbenlehre von Johann Wolfgang von Goethe publiziert.
24. Mai: Zur Vermeidung des Sundzolls am Öresund beginnt in Schweden der Bau des Göta-Kanals, um eine Schiffsverbindung zwischen Kattegat und Ostsee zu schaffen. Die Erlaubnis zum Bau des Kanals erhielt die Göta-Kanalgesellschaft unter Leitung von Baltzar von Platen am 11. April.
15. Oktober: Unter Gerhard von Scharnhorst beginnt in Preußen die Lehrtätigkeit an der neuen Akademie für junge Offiziere, aus der über Namensänderungen erst die Allgemeine Kriegsschule und dann die Preußische Kriegsakademie wird. Sie ist als militärische Hochschule für Stabsoffiziere konzipiert.
Die Humboldt-Universität zu Berlin wird als Friedrich-Wilhelm-Universität gegründet.
Mit seinem Hauptwerk Organon der Heilkunde begründet Samuel Hahnemann die Homöopathie.
Kultur und Gesellschaft
Architektur und Bildende Kunst
9. Februar: Per Dekret verfügt Napoléon Bonaparte die Errichtung eines monumentalen Brunnens in Form eines Bronzeelefanten auf dem Platz der im Zuge der Französischen Revolution abgerissenen Bastille.
Das Bildpaar Der Mönch am Meer und Abtei im Eichwald von Caspar David Friedrich wird auf der Berliner Akademieausstellung erstmals gezeigt und vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. erworben.
Der Architekt Nicolas Alexandre Salins de Montfort erbaut für den Verleger Marcus Johannes Nebbien das Nebbiensche Gartenhaus, einen klassizistischen Pavillon in den Wallanlagen in Frankfurt am Main.
Literatur
Walter Scott veröffentlicht The Lady of the Lake. Das Narrative Gedicht wird sofort zum Verkaufsschlager und trägt zur romantischen Verklärung Schottlands bei.
Musik und Theater
17. März: Das Drama Das Käthchen von Heilbronn von Heinrich von Kleist hat seine Uraufführung am Theater an der Wien und erreicht bald einen hohen Bekanntheitsgrad.
26. März: Die Uraufführung der Oper Mathilde von Guise von Johann Nepomuk Hummel findet am Theater am Kärntnertor in Wien statt.
24. Mai: Die Musik zu Goethes Trauerspiel Egmont von Ludwig van Beethoven wird am Wiener Burgtheater uraufgeführt.
1. September: Die Uraufführung der Oper Le Crescendo von Luigi Cherubini erfolgt an der Opéra-Comique in Paris.
20. September: In der Londoner Zeitung The Morning Post wird das öffentliche Auftreten der „Hottentot Venus“ Sarah Baartman angekündigt.
3. November: Die Oper La cambiale di matrimonio von Gioacchino Rossini wird am Teatro San Moisè in Venedig uraufgeführt.
Religion
16. September: Durch Jérôme Bonaparte wird das Kloster Wormeln im Königreich Westphalen aufgehoben.
Katastrophen
1. September: Bei der Schießpulverexplosion in Eisenach kommen 68 Menschen ums Leben, mehrere Hundert werden verletzt.
Geboren
Januar/Februar
??. Januar: Franz Sales Glänz, deutscher Schreiner und Holzbildhauer († 1855)
1. Januar: Karl Mager, deutscher Schulpädagoge und Schulpolitiker († 1858)
3. Januar: Antoine Thomson d’Abbadie, französischer Forschungsreisender († 1897)
10. Januar: Jeremiah S. Black, US-amerikanischer Jurist, Politiker und Außenminister († 1883)
11. Januar: Johann Ludwig Krapf, deutscher Missionar († 1881)
12. Januar: Ferdinand II., König beider Sizilien († 1859)
13. Januar: Thomas Jean Arbousset, französischer Missionar († 1877)
16. Januar: Karl Grunert, deutscher Schauspieler († 1869)
20. Januar: Ferdinand David, deutscher Komponist († 1873)
21. Januar: Pierre de Failly, französischer General († 1892)
29. Januar: Ernst Eduard Kummer, deutscher Mathematiker († 1893)
30. Januar: Karl Bernhard Hundeshagen, reformierter Theologe († 1872)
2. Februar: Heinrich Kümmel, deutscher Bildhauer († 1855)
3. Februar: Adolf Spieß, deutscher Sportpädagoge († 1858)
5. Februar: Ole Bull, norwegischer Violinist und Komponist († 1880)
8. Februar: Norbert Burgmüller, deutscher Komponist († 1836)
10. Februar: Miklós Barabás, ungarischer Maler († 1898)
14. Februar: Carmine Gori-Merosi, italienischer Kardinal († 1886)
15. Februar: Mary S. B. Dana, US-amerikanische Schriftstellerin († 1883)
17. Februar: Alois Hörbiger, österreichischer Orgelbauer († 1876)
20. Februar: Henri Martin, französischer Historiker und Politiker († 1883)
22. Februar: Holger Simon Paulli, dänischer Dirigent und Komponist († 1891)
22. Februar oder 1. März: Frédéric Chopin, polnischer Komponist und Pianist († 1849)
März/April
2. März: Leo XIII., Papst von 1878 bis 1903 († 1903)
6. März: George Robert Waterhouse, englischer Zoologe und Naturforscher († 1888)
9. März: Jean-Georges Kastner, französischer Komponist († 1867)
9. März: Johann Heinrich Gottlieb Luden, deutscher Rechtswissenschaftler († 1880)
10. März: Louis Gallait, belgischer Maler († 1887)
11. März: Eberhard zu Stolberg-Wernigerode, Politiker und preußischer Staatsbeamter († 1872)
14. März: Giovanni Antonio Vanoni, Maler († 1886)
15. März: Jakob Becker, deutscher Maler, Radierer und Lithograph († 1872)
21. März: Johann Anzengruber, österreichischer Schriftsteller († 1844)
27. März: Adolf Glaßbrenner, deutscher Humorist und Satiriker († 1876)
28. März: Jean Gaberel, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1889)
28. März: Nathan K. Hall, US-amerikanischer Politiker († 1874)
2. April: Friedrich Wilhelm Schoen, deutscher Maler und Lithograf († 1868)
4. April: James Freeman Clarke, US-amerikanischer Prediger und Autor († 1888)
11. April: Johann Rudolf Kutschker, österreichischer Erzbischof und Kardinal († 1881)
11. April: Henry Creswicke Rawlinson, britischer Assyriologe und Diplomat († 1895)
12. April: Heinrich von Rustige, deutscher Maler († 1900)
17. April: Johann Ulrich Wirth, deutscher protestantischer Theologe und Philosoph († 1879)
18. April: Neill S. Brown, amerikanischer Politiker, Gouverneur von Tennessee († 1886)
29. April: Franz Raveaux, deutscher Revolutionär der Märzrevolution († 1851)
Mai/Juni
2. Mai: Hans Christian Lumbye, dänischer Komponist († 1874)
3. Mai: Carl Wilhelm Otto Koch, deutscher Politiker († 1876)
4. Mai: Alexandre Colonna-Walewski, Sohn von Napoleon I. und seiner Geliebten Maria Walewska († 1868)
6. Mai: Friedrich August Eckstein, deutscher Altphilologe und Lexikograf († 1885)
8. Mai: Mathias Auinger, österreichischer Paläontologe († 1890)
8. Mai: James Cooper, US-amerikanischer Politiker († 1863)
9. Mai: Marianne von Oranien-Nassau, preußische Prinzessin († 1883)
10. Mai: Thomas Watkins Ligon, US-amerikanischer Politiker († 1881)
15. Mai: Jacob Thompson, US-amerikanischer Politiker († 1885)
18. Mai: Johann Peter Hasenclever, deutscher Maler der Genremalerei († 1853)
23. Mai: Margaret Fuller, US-amerikanische Schriftstellerin († 1850)
24. Mai: Abraham Geiger, Angehöriger der jüdischen Reformbewegung († 1874)
25. Mai: Pierre Edmond Boissier, Schweizer Botaniker († 1885)
28. Mai: Alexandre Calame, Schweizer Maler († 1864)
28. Mai: Peter Reichensperger, deutscher Politiker († 1892)
31. Mai: Horatio Seymour, US-amerikanischer Politiker († 1886)
6. Juni: Giuseppe Pioda, Schweizer Architekt und Ingenieur († 1856)
6. Juni: Friedrich Wilhelm Schneidewin, deutscher Altphilologe († 1856)
8. Juni: Robert Schumann, deutscher Komponist der Romantik († 1856)
9. Juni: Otto Nicolai, deutscher Komponist († 1849)
17. Juni: Ferdinand Freiligrath, deutscher Lyriker, Dichter und Übersetzer († 1876)
23. Juni: Fanny Elßler, österreichische Ballerina († 1884)
26. Juni: Rageth Christoffel, Schweizer Pfarrer und Pädagoge († 1875)
28. Juni: Thekla von Gumpert, deutsche Kinder- und Jugendschriftstellerin († 1897)
Juli/August
2. Juli: Eduard Jakob von Steinle, österreichischer Maler († 1886)
5. Juli: P. T. Barnum, US-amerikanischer Zirkuspionier († 1891)
6. Juli: Wilhelm von Urach, Herzog von Urach, Graf von Württemberg († 1869)
8. Juli: José María Achá Valiente, bolivianischer General und Politiker († 1868)
8. Juli: Gabriel Gustav Valentin, deutscher Arzt und Physiologe († 1883)
8. Juli: Johanna Kinkel, deutsche Komponistin und Schriftstellerin († 1858)
10. Juli: Agénor Étienne de Gasparin, französischer Publizist und Politiker († 1871)
11. Juli: Johann Heinrich Schäfer, deutscher Orgelbauer († 1887)
15. Juli: Johann Jacob Löwenthal, ungarisch-britischer Schachmeister († 1876)
16. Juli: Franz Xaver Schönwerth, deutscher Volkskundler († 1886)
20. Juli: Georg Jakob Friedrich Karl Aulenbach, deutscher Dichter († 1882)
21. Juli: Henri Victor Regnault, französischer Physiker und Chemiker († 1878)
24. Juli: Bernhard von Bismarck, preußischer Kammerherr, Landrat und Geheimer Regierungsrat († 1893)
25. Juli: Georg Eduard Steitz, deutscher evangelischer Theologe und Historiker († 1879)
30. Juli: Leonhard von Blumenthal, preußischer Generalfeldmarschall († 1900)
2. August: Amos Tuck, US-amerikanischer Politiker († 1879)
4. August: Johann Luzius Isler, Bündner Konditor und Vergnügungsparkbetreiber in St. Petersburg († 1877)
7. August: Karl Johann Formes, deutscher Opernsänger (Bass) († 1889)
11. August: Alfred von Henikstein, österreichischer Feldmarschallleutnant († 1882)
13. August: Christian Christoph Andreas Lange, norwegischer Archivar († 1861)
28. August: Carl August Haupt, deutscher Komponist († 1891)
28. August: Constant Troyon, französischer Maler († 1865)
29. August: Juan Bautista Alberdi, argentinischer Politiker, Diplomat, Schriftsteller und Journalist († 1884)
30. August: Onslow Stearns, US-amerikanischer Politiker († 1878)
September/Oktober
2. September: Friedrich von Hegnenberg-Dux, bayerischer Grundbesitzer und Politiker († 1872)
3. September: Paul Kane, kanadischer Maler († 1871)
6. September: Ludwig Rotter, österreichischer Organist und Komponist († 1895)
7. September: Claude Joseph Gaillardin, französischer Geschichtslehrer und -forscher († 1880)
7. September: Hermann Heinrich Gossen, preußischer Nationalökonom († 1858)
10. September: Albert Gallatin Blanchard, Brigadegeneral im konföderierten Heer im Sezessionskrieg († 1891)
12. September: Philip F. Thomas, US-amerikanischer Politiker († 1890)
18. September: Francisco Serrano Domínguez, spanischer General und Politiker († 1885)
19. September: Bernardo Pfiffer-Gagliardi, Schweizer Ingenieur und Politiker († 1867)
28. September: Giuseppe Berardi, italienischer Kardinal († 1878)
29. September: Elizabeth Gaskell, britische Schriftstellerin († 1865)
29. September: Hugh Allan, kanadischer Unternehmer († 1882)
3. Oktober: Johann Bartholome Arpagaus, schweizerischer Politiker und Arzt († 1882)
8. Oktober: James W. Marshall, Auslöser des Goldrausches († 1885)
10. Oktober: Carl Heinrich Wilhelm Hagen, deutscher Historiker († 1868)
11. Oktober: William Edwin Boardman, US-amerikanischer methodistischer und presbyterianischer Pastor, Sonntagschullehrer, Autor und Führer der Heiligungsbewegung († 1886)
11. Oktober: Anton Zwengauer, deutscher Maler († 1884)
15. Oktober: Henricus Christianus Millies, niederländischer lutherischer Theologe und Orientalist († 1868)
16. Oktober: Joseph Hoffmann, deutscher Baumeister und Bürgermeister von Ludwigshafen († 1881)
19. Oktober: Cassius Marcellus Clay, US-amerikanischer Abolitionist und Politiker († 1903)
24. Oktober: Thomas G. Turner, US-amerikanischer Politiker († 1875)
26. Oktober: Carl Ludwig Adolf Gamradt, preußischer Landrat, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und des Preußischen Abgeordnetenhauses († 1860)
29. Oktober: Eduard Dössekel, Schweizer Jurist und Dichter († 1890)
November/Dezember
1. November: Friedrich Ahlfeld, deutscher Theologe, Prediger und Autor († 1884)
5. November: Leopold Stein, deutscher Rabbiner († 1882)
7. November: Ferenc Erkel, ungarischer Komponist († 1893)
7. November: Fritz Reuter, deutscher Schriftsteller († 1874)
8. November: Pierre Bosquet, französischer General, Marschall von Frankreich († 1861)
9. November: Bernhard von Langenbeck, deutscher Chirurg († 1887)
10. November: Lazarus Levi Adler, Schriftsteller und Landesrabbiner von Hessen-Nassau († 1886)
10. November: Eduard von Simson, deutscher Jurist und Politiker († 1899)
14. November: Hector Lefuel, französischer Architekt († 1880)
16. November: Karel Hynek Mácha, tschechischer Dichter der Romantik († 1836)
16. November: Gustav Rée, badischer Politiker († 1869)
17. November: Alexander Cummings, US-amerikanischer Politiker († 1879)
18. November: Asa Gray, nordamerikanischer Botaniker († 1888)
19. November: Carl Gottlieb Weigle, deutscher Orgelbauer († 1882)
19. November: August Willich, badischer Revolutionär, General im amerikanischen Sezessionskrieg († 1878)
20. November: Christian Johann Heinrich Schmidt, deutscher Lokomotivführer († 1885)
21. November: Allen T. Caperton, US-amerikanischer Politiker († 1876)
24. November: Adolph Baedeker, deutscher Verleger und Buchhändler († 1906)
25. November: Charles E. Stuart, US-amerikanischer Politiker († 1887)
26. November: William George Armstrong, britischer Industrieller († 1900)
28. November: William Froude, englischer Schiffbauingenieur und Forscher († 1879)
30. November: Henry B. Payne, US-amerikanischer Politiker († 1896)
3. Dezember: Francisco Dueñas Díaz, Präsident von El Salvador († 1884)
7. Dezember: Josef Hyrtl, österreichischer Anatom († 1894)
7. Dezember: Theodor Schwann, deutscher Physiologe († 1882)
8. Dezember: Conrad Kreuzer, österreichischer Zeichner und Landschaftsmaler († 1861)
10. Dezember: Gozewijn Jan Loncq, niederländischer Mediziner († 1887)
11. Dezember: Alfred de Musset, französischer Schriftsteller († 1857)
14. Dezember: John Burton Thompson, US-amerikanischer Politiker († 1874)
15. Dezember: Peter Andreas Munch, norwegischer Historiker († 1863)
21. Dezember: Johann Christian Konrad von Hofmann, deutscher protestantischer Theologe († 1877)
21. Dezember: Anthony Kennedy, US-amerikanischer Politiker († 1892)
23. Dezember: Edward Blyth, englischer Zoologe und Ornithologe († 1873)
23. Dezember: Jakob Friedrich Reiff, deutscher Philosoph († 1879)
23. Dezember: Karl Richard Lepsius, deutscher Ägyptologe und Afrikaforscher († 1884)
24. Dezember: Vilhelm Marstrand, dänischer Maler († 1873)
27. Dezember: Ludwig Dessoir, deutscher Schauspieler († 1874)
29. Dezember: Christoph Hävernick, deutscher Theologe der Erweckungsbewegung († 1845)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Francisco de Aguilar, honduranischer Politiker
Johann Ludwig Aickelin, deutscher Skribent und Kopist († 1884)
Juan Bautista Alfonseca, dominikanischer Komponist und Kapellmeister († 1875)
George Alfred Arney, neuseeländischer Richter († 1883)
José Miguel Arroyo, mexikanischer Botschafter und Außenminister († 1867)
John Baptista Ashe, US-amerikanischer Politiker († 1857)
Julian Fontana, polnischer Pianist und Komponist († 1869)
John Hiles, englischer Organist und Musikpädagoge († 1882)
Gestorben
Erstes Halbjahr
4. Januar: Josef Achammer, Tiroler Freiheitskämpfer und Schützenhauptmann von Sillian (* 1762)
4. Januar: Clemens August von Merle, Weihbischof in Köln (* 1732)
7. Januar: Josef Lipavský, tschechischer Komponist (* 1772)
7. Januar: Johann Otto Thieß, deutscher lutherischer Theologe (* 1762)
16. Januar: Jekaterina Romanowna Woronzowa-Daschkowa, bedeutende Persönlichkeit der Aufklärung in Russland (* 1743)
23. Januar: Jürgen Hinrichsen Angel, deutscher Orgelbauer (* um 1732)
23. Januar: John Hoppner, englischer Maler (* 1758)
23. Januar: Johann Wilhelm Ritter, deutscher Physiker und Philosoph (* 1776)
4. Februar: Fjodor Gordejewitsch Gordejew, russischer Bildhauer und Hochschullehrer (* 1744)
9. Februar: Richard Chandler, britischer Archäologe (* 1737)
10. Februar: Karl Friedrich am Ende, österreichischer Feldmarschallleutnant (* 1756)
20. Februar: Andreas Hofer, Tiroler Freiheitskämpfer (* 1767)
20. Februar: Peter Mayr, Tiroler Freiheitskämpfer (* 1767)
24. Februar: Henry Cavendish, britischer Naturwissenschaftler (* 1731)
7. März: Cuthbert Collingwood, britischer Vizeadmiral (* 1750)
9. März: Ozias Humphry, englischer Maler (* 1742)
10. März: Auguste Dorothea von Braunschweig-Wolfenbüttel, deutsche Äbtissin (* 1749)
24. März: Mary Tighe, irische Schriftstellerin, (* 1772)
31. März: Luigi Lanzi, italienischer Historiker (* 1732)
8. April: Joseph Anton Felix von Balthasar, Schweizer Politiker (* 1737)
9. April: Alessandro Malaspina di Mulazzo, italienischer Adliger und Seefahrer in spanischen Diensten (* 1754)
25. April: Jacob Broom, US-amerikanischer Unternehmer und Politiker (* 1752)
9. Mai: Benjamin Lincoln, US-amerikanischer General im Unabhängigkeitskrieg (* 1733)
20. Mai: Dietrich Ludwig Gustav Karsten, deutscher Mineraloge (* 1768)
21. Mai: Charles Geneviève Louis Thimothée d’ Eon de Beaumont, französischer Diplomat, Soldat, Schriftsteller (* 1728)
24. Mai: Christoph Gottlob Heinrich, deutscher Historiker (* 1748)
31. Mai: Heinrich Sautier, deutscher Jesuit und Stifter (* 1746)
1. Juni: Johann Paul Wessely, tschechischer Komponist (* 1762)
4. Juni: William Windham, britischer Politiker (* 1750)
13. Juni: Johann Gottfried Seume, deutscher Schriftsteller und Dichter (* 1763)
15. Juni: Friedrich August Wilhelm Wenck, deutscher Historiker (* 1741)
18. Juni: Franz Anton Bagnato, Baumeister und Baudirektor der Deutschordensballei Schwaben-Elsass-Burgund (* 1731)
19. Juni: Richard Luke Concanen, erster römisch-katholischer Bischof von New York (* 1747)
21. Juni: Giovanni Battista Kardinal Caprara, Erzbischof von Mailand (* 1733)
26. Juni: Louis Auguste Philippe Frédéric François, 2ème Comte d’Affry, Schweizer Landammann (* 1743)
Zweites Halbjahr
19. Juli: Luise von Mecklenburg-Strelitz, preußische Königin (* 1776)
27. Juli: Eugen Johann Christoph Esper, deutscher Entomologe, Botaniker und Pathologe (* 1742)
27. Juli: Philipp von Hertling, deutscher Jurist (* 1756)
30. Juli: Johann Andreas Sixt, deutscher evangelischer Theologe und Philologe (* 1742)
8. August: Wilhelm, paragierter Landgraf von Hessen-Philippsthal (* 1726)
26. August: Santiago de Liniers, französischer Offizier in spanischen Diensten, Vizekönig des Río de la Plata (* 1753)
30. August: Philipp von Cobenzl, österreichischer Staatsmann (* 1741)
31. August: Melchior Ludolf Herold, deutscher Kirchenliedkomponist und Priester (* 1753)
August: Bernhard Vinzenz Adler, böhmischer Mediziner (* 1753)
14. September: Wilhelm Florentin von Salm-Salm, Erzbischof von Prag (* 1745)
16. September: Franz von Fürstenberg, deutscher Staatsmann und Theologe (* 1729)
19. September: Gabriel de Avilés, spanischer Offizier, Kolonialverwalter, Vizekönig des Río de la Plata und Vizekönig von Peru (* 1735)
26. September: Johann Michael Hesse, deutscher Orgelbauer (* 1734)
28. September: John Archer, US-amerikanischer Politiker (* 1741)
7. Oktober: Giuseppe Fossati, Tessiner Jurist und Übersetzer (* 1759)
16. Oktober: Christoph Daniel Prätorius, deutscher Jurist und Pädagoge (* 1733)
19. Oktober: Jean Georges Noverre, französischer Tänzer und Choreograph (* 1727)
1. November: Henricus Aeneae, niederländischer Wissenschaftler (* 1743)
2. November: Amalia Sophia Eleanor, Mitglied der britischen Königlichen Familie (* 1783)
2. November: Hermann, Fürst von Hohenzollern-Hechingen (* 1751)
11. November: John Laurance, US-amerikanischer Politiker (* 1750)
11. November: Johann Zoffany, britischer Maler deutscher Herkunft (* 1733)
17. November: Franz Ignaz Seuffert, deutscher Orgelbauer (* 1732)
26. November: Nicolas-Étienne Framery, französischer Schriftsteller und Komponist (* 1745)
1. Dezember: Jean-Baptiste Treilhard, französischer Politiker und Mitglied des Direktoriums (* 1742)
2. Dezember: Philipp Otto Runge, deutscher Maler (* 1777)
10. Dezember: Johann Christian von Schreber, deutscher Mediziner und Naturforscher (* 1739)
14. Dezember: Cyrus Griffin, US-amerikanischer Politiker (* 1749)
14. Dezember: François Péron, französischer Botaniker und Zoologe (* 1775)
18. Dezember: Johann Gabriel Arnauld de la Perière, preußischer Generalmajor (* 1731)
19. Dezember: Roman Anton Boos, deutscher Bildhauer (* 1733)
Genaues Todesdatum unbekannt
Andrianampoinimerina, König von Madagaskar (* um 1745)
Johann Georg Fellwöck, deutscher Mechaniker (* 1728)
Einzelnachweise
Weblinks
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Q6922
| 537.56554 |
20378
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https://de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCnn
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Brünn
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Brünn ( Brno ) ist mit über 395.000 Einwohnern nach Prag die zweitgrößte Stadt Tschechiens, in der Agglomeration leben etwa 695.000 Menschen. Die Stadt, seit dem 17. Jahrhundert das historische Zentrum Mährens, ist heute Verwaltungssitz der Südmährischen Region (Jihomoravský kraj). Brünn besitzt mehrere Universitäten, ist ein wichtiger Forschungsstandort und Sitz des Bistums Brünn der römisch-katholischen Kirche Tschechiens. Die Stadt hat weithin eine bedeutende Stellung als starkes Industrie-, Handels-, Kultur- und Verwaltungszentrum.
In Brünn sind alle Organe der höchsten tschechischen Gerichtsbarkeit angesiedelt. Dies sind das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik (Ústavní soud), der Oberste Gerichtshof (Nejvyšší soud), also die höchste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit, das Oberste Verwaltungsgericht und die Generalstaatsanwaltschaft. Weiter ist die Stadt Sitz des tschechischen Ombudsmanns und der höchsten Wettbewerbsbehörde.
Brünn ist mit 62.000 Studierenden ein bedeutender Bildungsstandort in Tschechien, in der Stadt gibt es 13 Hochschulen.
Zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt gehören die Festung Špilberk und die Kathedrale St. Peter und Paul, die gemeinsam die Silhouette des Stadtbilds dominieren. Eine Architekturikone der Moderne ist die Villa Tugendhat, die seit 2001 zum UNESCO-Welterbe gehört. Auch ist Brünn Mitglied des UNESCO Creative Cities Network und wurde 2017 zur „Stadt der Musik“ ernannt.
Auf dem Messegelände Brünn im Stadtteil Pisárky finden alljährlich mehrere für die tschechische Wirtschaft wichtige Messen statt. Die Messetraditon in Brünn begann 1928 mit einer Ausstellung zeitgenössischer Kultur der Tschechoslowakei. Das Automotodrom Brno hat den Masaryk-Ring als Motorsport-Rennstrecke in Brünn abgelöst und ist seither Austragungsort des Großen Preises von Tschechien.
Geographie
Lage
Brünn liegt am südöstlichen Rand der Böhmisch-Mährischen Höhe. Durch die Stadt fließen die Flüsse Svratka und die von der Stadt Svitavy kommende Svitava, die an der südlichen Stadtgrenze in die Svratka mündet. An der nordwestlichen Stadtgrenze ist die Svratka zu einem etwa 9,5 km langen und an der breitesten Stelle etwa 600 m breiten Stausee Brněnská přehrada aufgestaut.
Das Stadtgebiet befindet sich in einer Höhe von 190–479 m ü. M. Der höchste Punkt ist der Berg Kopeček (479 m ü. M.) am westlichen Rand des Stadtgebietes.
Klima
Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 9,4 °C, der durchschnittliche Jahresniederschlag um 505 mm. Die durchschnittliche jährliche Sonnenscheindauer ist 1771 Stunden und es gibt jährlich 150 Tage mit Niederschlag.
Geschichte
Auf dem heutigen Stadtgebiet befand sich wahrscheinlich die im Werk des Ptolemaios erwähnte frühgeschichtliche Siedlung Eburodunum.
Zwischen 1021 und 1034 wurde die Burg Brünn erbaut und gab später der anliegenden Siedlung den Namen. 1091 fand zum ersten Mal die Siedlung Brünn Erwähnung. Die Stadt wurde 1243 von Wenzel I. als Königsstadt (Böhmen) gegründet. 1277 ist zum ersten Mal die Festung Spielberg (Špilberk), damals als Burg, erwähnt. Ab 1349 war Brünn Sitz der Markgrafen von Mähren. Im Jahre 1641 löste Brünn Olmütz als Hauptstadt von Mähren ab.
Im Dreißigjährigen Krieg wurde Brünn 1643 und nochmals zwischen dem 4. Mai und 23. August 1645 erfolglos durch den schwedischen General Lennart Torstensson belagert. Etwa hundert Jahre später, am 29. März 1742, führte der Erste Schlesische Krieg preußische Truppen vor die Stadt.
19. Jahrhundert
1805 fand nahe der Stadt die Schlacht bei Austerlitz zwischen der österreichischen und russischen Armee einerseits und der Armee des französischen Kaisers Napoleon I. andererseits statt. Napoleon Bonaparte besuchte in diesem Jahr Brünn zweimal: Vom 20. November 1805 blieb er bis in die Nacht auf den 29. November, nach seinem Sieg nochmals vom 7. bis 12. Dezember. Im September 1809 kam er noch einmal in die Stadt, wo ihn seine Armee bereits seit dem 13. Juli erwartete. In dem 1786–1787 von Kaiser Joseph II. neu gegründeten französischen Park Lužánky (: Augarten) veranstalteten Napoleons Soldaten und die Brünner Honoratioren für den französischen Gast eine verspätete Geburtstagsfeier (Napoleon war am 15. August 1809 40 Jahre alt geworden). Auf Napoleons Anordnung verloren die Brünner Stadtbefestigungen ihre Funktion als Festungen, blieben aber als Bauwerke noch erhalten.
Am 7. Juli 1839 wurde die Eisenbahnverbindung nach Wien eröffnet, ein Abschnitt der ersten Fernbahn im Kaisertum Österreich. Kurz nach der Errichtung der Wiener Ringstraße als Vorbild wurden die längst nutzlos gewordenen Befestigungsanlagen abgerissen, anstelle der „Schanzen“ entstand ab 1860/61 nach Plänen von Ludwig Förster ebenfalls eine Ringstraße. Zum Teil blieben die Grünanlagen, zum Teil wurde sie von repräsentativen Gebäuden wie dem Hauptbahnhof oder dem heutigen Mahen-Theater (von Fellner und Helmer) eingefasst.
20. Jahrhundert
In Brünn lebte um 1900 eine überwiegend deutschsprachige Bevölkerung (63 %), während die Vororte außerhalb des Stadtkerns, die bis 1918 nicht zum Brünner Stadtgebiet zählten, überwiegend tschechischsprachig waren. Das Leben in Brünn war daher zweisprachig, und „Brünnerisch“ kann als Vermischung der beiden Sprachen verstanden werden.
Nach dem Ersten Weltkrieg lebten in Brünn knapp 55.000 deutschsprachige Bürger. Zu diesen zählten überwiegend die in der Stadt lebenden etwa 12.000 jüdischen Bürger, unter ihnen mehrere bekannte Persönlichkeiten, die sich wesentlich am Kulturleben der Stadt beteiligten. 1930 bekannten sich etwa 52.000 Bewohner zur deutschen und 200 000 zur tschechischen Nationalität, die jüdischen Bewohner beider Nationalitäten inbegriffen.
Nach der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren im März 1939 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs begann auch in Brünn die systematische Judenverfolgung. Bis zum Kriegsende wurden 9.064 Juden aus Brünn in verschiedene Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, es überlebten nur etwa 700 von ihnen. Seit 2010 werden in Brünn Stolpersteine und Gedenksteine in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt.
Während der deutschen Besetzung bestand in Brünn seit dem 14. April 1939 ein deutsches Landgericht und ab 1940 auch ein Sondergericht.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die deutschsprachige Bevölkerung von Brünn gewaltsam aus der Stadt vertrieben, soweit sie nicht in gemischten Ehen lebte. Ihr Vermögen wurde durch das Beneš-Dekret 108 konfisziert, das Vermögen der evangelischen Kirche durch das Beneš-Dekret 131 liquidiert und die katholischen Stadtkirchen enteignet. Im Brünner Todesmarsch (Beginn am 31. Mai 1945) mussten etwa 27.000 vor allem alte und jugendliche Bürger einen Fußmarsch zur 60 km entfernten österreichischen Grenze antreten. Nach den Schilderungen von Beteiligten kamen dabei ca. 5.200 Personen ums Leben, „amtlich“ belegt sind 2.000 Todesfälle. 2015 bedauerte die Brünner Stadtverwaltung die damalige Vertreibung und lud Vertreter von Vertriebenenvereinen zu gemeinsamem Gedenken ein.
1949 wurde das Land Mähren als Verwaltungseinheit aufgelöst und Brünn wurde von der Landeshauptstadt zu einer von mehreren Regionalhauptstädten in Mähren. In der Zeit des tschechoslowakischen Sozialismus behauptete Brünn seine Stellung als eine der führenden Industriestädte des Landes. Für die stetig wachsende Bevölkerung wurden Plattenbausiedlungen am Stadtrand gebaut.
Vom 9. bis 16. Juli 1973 wurden in Brünn die V. Internationalen Feuerwehrwettkämpfe des CTIF (kurz: Feuerwehrolympiade) veranstaltet. Im Programm waren traditionelle internationale Feuerwehrwettbewerbe und erstmals internationale Feuerwehrsportwettkämpfe.
1993 wurde ein Asteroid nach Brünn benannt: (2889) Brno. Im Jahr 1998 wurde in Brünn die erste Moschee Tschechiens (ohne Minarett und ohne Kuppeldach) erbaut.
Demographie
Mit 381.346 Einwohnern (Stand Januar 2020) ist Brünn die zweitgrößte Stadt Tschechiens.
Sprache
Neben dem Tschechischen mährischer Ausprägung wurde in Brünn bis ins 20. Jahrhundert die Stadtsprache Hantec verwendet, ein tschechischer Dialekt mit einem großen Anteil deutscher Lehnwörter, der sich ursprünglich als Argot entwickelte und Gemeinsamkeiten mit dem Wienerischen aufweist. Der Hantec geriet bis zur Jahrtausendwende immer mehr in Vergessenheit, tritt seither aber wiederum in der lokalen Kultur und im täglichen Umgang häufiger in Erscheinung.
Vor 1945 war Deutsch die Sprache größerer Teile des gehobenen Bürgertums und vieler Brünner Juden. Mit der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten und der Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ist die deutsche Sprache bei der Bevölkerung nahezu vollständig verschwunden.
Politik und Verwaltung
Brünn ist eine Statutarstadt. Das Stadtgebiet ist identisch mit dem Bezirk Brno-Stadt. Brünn ist außerdem der Verwaltungssitz des Jihomoravský kraj (Südmährische Region).
Stadtgliederung
Die Stadt Brünn gliedert sich in 29 Stadtbezirke, zu denen 58 Ortsteile gehören:
Bohunice (Bohonitz)
Bosonohy (Parfuß)
Bystrc (Bisterz)
Černovice (Tschernowitz)
Chrlice (Chirlitz)
Ivanovice (Eiwanowitz)
Jehnice (Jechnitz)
Brno-jih (Brünn-Süd), bestehend aus Dolní Heršpice (Unter Gerspitz), Horní Heršpice (Ober Gerspitz), Přízřenice (Priesenitz), Komárov (Kumrowitz) und Trnitá (anteilig)
Jundrov (Jundorf), bestehend aus Jundrov (anteilig) und Pisárky (anteilig, Schreibwald)
Kníničky (Klein Kinitz)
Kohoutovice, bestehend aus Kohoutovice (Kohoutowitz), Pisárky (anteilig, Schreibwald) und Jundrov (anteilig)
Komín (Komein)
Královo Pole, bestehend aus Černá Pole (anteilig, Schwarzfeld), Královo Pole (Königsfeld), Ponava und Sadová
Líšeň (Lösch)
Maloměřice a Obřany, bestehend aus Maloměřice (anteilig, Malmeritz) und Obřany (Oberseß)
Medlánky (Medlan)
Nový Lískovec (Neu Leskau)
Ořešín (Orscheschin)
Řečkovice a Mokrá Hora, bestehend aus Řečkovice (Retschkowitz) und Mokrá Hora (Mokrahora)
Brno-sever (Brünn-Nord), bestehend aus Černá Pole (anteilig, Schwarzfeld), Husovice (Hussowitz), Lesná, Soběšice (Obeschitz) und Zábrdovice (anteilig, Obrowitz)
Slatina (Latein)
Starý Lískovec (Alt Leskau)
Brno-střed (Brünn-Mitte), bestehend aus
Brno-město (Brünn-Stadt) mit der Altstadt,
Pisárky (anteilig),
Staré Brno (Altbrünn) westlich der Altstadt,
Stránice,
Štýřice,
Veveří (Eichhorn),
Trnitá (anteilig)
Tuřany, bestehend aus Brněnské Ivanovice (Nennowitz), Dvorska (Maxdorf), Holásky (Holasek) und Tuřany (Turas)
Útěchov (Autiechau, älter auch Dreihöfen)
Vinohrady (Weinberge), bestehend aus Židenice (anteilig, Schimitz) und Maloměřice (anteilig, Malmeritz)
Žabovřesky (Sebrowitz)
Žebětín (Schebetein)
Židenice, bestehend aus Zábrdovice (Obrowitz) und Židenice (anteilig, Schimitz)
Bürgermeister
Die gewählte Stadtvertretung (Zastupitelstvo města Brna) hat 55 Mitglieder. Sie wählen aus ihren Reihen die Stadtregierung (rada) sowie den Oberbürgermeister (primátor).
Städtepartnerschaften
Brünn unterhält Städtepartnerschaften mit folgenden Städten:
Die Stadt Schwäbisch Gmünd hat 1953 die Patenschaft für alle vertriebenen Deutschen aus der Stadt Brünn übernommen.
Religion
Die Mehrheit der Bevölkerung ist römisch-katholischen Glaubens oder konfessionsfrei. Die meisten Kirchenbauten in der Stadt sind katholisch. In der Zwischenkriegszeit wurden einige moderne Kirchen für die Tschechoslowakische Hussitische Kirche oder die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder gebaut.
Brünn ist Sitz des Brünner Bistums, in der Stadt wirken mehrere katholische Orden. Die Kirche führt auch ein Bischöfliches Gymnasium (Biskupské gymnázium). Im Altbrünner Kloster befindet sich das Gnadenbild Mutter Gottes „Schützerin Mährens“, auch „Gemma Moraviae“ oder „Perle Mährens“ genannt.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Das historische Stadtzentrum wurde 1989 zum städtischen Denkmalreservat erklärt.
Theater und Museen
Reduta-Theater
Nationaltheater Brünn: das seit 1965 nach Jiří Mahen benannte Mahen-Theater (das ehemalige deutsche Theater)
Nationaltheater Brünn: das nach Leoš Janáček benannte, 1965 eröffnete Janáček-Theater
Brünner Stadttheater (Městské divadlo Brno)
Theater an der Veveří-Straße
Theater Husa na provázku, Experimentaltheater
Hadivadlo
Das zweitgrößte nationale Museum, das Mährische Landesmuseum, besteht seit 1817 in Brünn. Die zweitgrößte nationale Bibliothek, die Mährische Landesbibliothek, existiert seit 1958. 2023 eröffnete die Milan-Kundera-Bibliothek.
Das Museum der Roma-Kultur wurde 1991 als erstes seiner Art weltweit in Brünn eröffnet; das Technische Museum im Stadtteil Královo Pole wurde 1997 wiedereröffnet.
Das Dům umění (Haus der Kunst) wurde zwischen 1908 und 1911 als Kaiser-Franz-Josephs-Jubiläums-Künstlerhaus errichtet.
Musik
Die Philharmonie Brünn hat ihren Konzertsaal im Besední dům.
Bauwerke
Wegen zahlreicher Bauten des mährischen Funktionalismus bezeichnete Bettina Hartz Brünn als „Tel Aviv des Nordens“.
Sakralbauten
Abtei St. Thomas in Alt Brünn mit Basilika Mariä Himmelfahrt
Hügel Petrov mit St.-Peter-und-Paul-Kathedrale
Bischofshof
St.-Thomas-Kirche
St.-Jakobs-Kirche mit Beinhaus
St.-Michael-Kirche, alte Dominikanenkirche
Minoritenkloster und die Kirche St. Johannen mit Lorettokapelle und Heiligen Treppen
St.-Josefs-Kirche, heutzutage von der griechisch-katholischen Pfarrgemeinde genutzt
Rote Kirche, ursprünglich evangelische Christuskirche
Kloster der Kreuzerhöhung und Gruft des Kapuzinerordens
Maria-Himmelfahrt-Kirche in der Stadtteil Zábrdovice, ehem. Prämonstratenser-Kirche
Hl. Augustin-Kirche, Bauhauskirche im Masarykviertel
Synagoge Agudas Achim
Jüdischer Friedhof
Profanbauten
Villa Tugendhat, UNESCO-Welterbe
Festung Špilberk
Altes Rathaus (Stará radnice)
Neues Rathaus (früher Ständehaus/Mährischer Landtag)
Palais Dietrichstein, Hauptgebäude des Mährischen Landesmuseums
Stadtpark Augarten (Lužánky) an der Ponávka gelegen
Parnasbrunnen am Krautmarkt (Zelný Trh)
ehemaliger Merkurbrunnen im Bischofshof
Burg Veveří, am nordwestlichen Stadtrand
Brünner Talsperre
Messegelände Brünn
ehemalige Werkbundsiedlung in Žabovřesky
Zderad-Säule, gotische Säule auf der Kröna-Straße (Křenova ulice) nahe der Svitava zum Gedenken an den Tod Zderads von Schwabenitz († 1091)
Labyrinth unter dem Krautmarkt
Brünner Uhr auf dem Freiheitsplatz
Villa Löw-Beer (eine Jugendstil-Villa)
Villa Stiassny (Regierungsvilla)
Villa Jurkovič
Grünflächen und Naherholung
Der Špilberkpark befindet sich auf der gleichnamigen Burg.
Der Denispark (Denisovy Sady) befindet sich unter dem Petersberg (Petrov).
Das Glacis, tsch. Koliště, ist Teil der Brünner Ringstrasse
Der Augarten, tsch. Lužánky, ist die älteste öffentliche Parkanlade in der Stadt
Der Zoo Brünn am Berg Mniší hora im Stadtteil Bystrc besteht seit 1953
Botanischer Garten der Mendeluniversität
Tyršův sad, ehem. Stadtfriedhof
Wilsonwald im Stadtteil Žabovřesky
Sport
Motorsport
Brünn hat eine lange Motorsporttradition. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es erste Rennveranstaltungen. Im Jahr 1930 wurde der ursprünglich knapp 30 km lange Masaryk-Ring am westlichen Stadtrand eröffnet. Auf dieser Strecke fand in den 1930er-Jahren sowie 1949 der Große Preis der Tschechoslowakei für Automobile statt. Besonders in der zweiten Hälfte der 1930er war das Rennen von hoher internationaler Bedeutung. So trugen sich z. B. Hans Stuck und Bernd Rosemeyer für die Auto Union und Rudolf Caracciola für Mercedes-Benz in die Siegerlisten ein.
Ab 1950 wurde in Brünn der Große Preis der Tschechoslowakei für Motorräder ausgetragen. Nach anfangs eher regionaler Bedeutung wurde der Grand Prix ab 1973 fester Bestandteil der Motorrad-Weltmeisterschaft und lockte die besten Fahrer der Welt an. 1975 wurde der Masaryk-Ring zum wiederholten Male verkürzt und dadurch die Sicherheit der Fahrer durch die Vermeidung der bis dahin zur Strecke gehörenden gefährlichen Ortsdurchfahrten erheblich gesteigert. Dennoch führte die Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen der FIM dazu, dass der Grand Prix in Brünn seinen WM-Status verlor und ab 1983 nur noch Lauf zur Europameisterschaft war.
Die Zeit des Masaryk-Rings endete mit der Eröffnung der neu errichteten, permanenten Rennstrecke Automotodrom Brno im Jahr 1987. Das neue, knapp 5,5 km lange Automotodrom liegt etwa 10 km von den Boxenanlagen des alten Rings entfernt und befindet sich innerhalb des alten Straßenkurses. Mit der Eröffnung der neuen Rennstrecke wurde der Große Preis der Tschechoslowakei (bzw. nach der Samtenen Revolution der Große Preis von Tschechien) ab 1987 wieder fester Bestandteil des Motorrad-WM-Kalenders. Außerdem finden bzw. fanden in Brünn u. a. regelmäßig Läufe zur Supersport- und Superbike-Weltmeisterschaft, zur Tourenwagen-Weltmeisterschaft, zur DTM und zu zahlreichen weiteren internationalen Motorrad- und Automobilrennserien statt.
Weitere Sportarten
Brünn verfügt u. a. über eine Radrennbahn, auf der 1981 die Bahn-Radweltmeisterschaften ausgetragen wurden. Die Bahn wurde 1974 eröffnet, ist offen und verfügt über eine 400 m lange Betonpiste.
Traditionell sind in Brünn auch bedeutende große Fußball- und Eishockeyvereine beheimatet: Zurzeit sind es der Fußballverein FC Zbrojovka Brünn und der Eishockeyverein HC Kometa Brno.
Regelmäßige Veranstaltungen
Automotodrom Brno – Große Preis von Tschechien für Motorräder
Ignis Brunensis – internationaler Wettbewerb der Pyrotechnik und Feuershow
Mährischer Herbst (Moravský podzim), Festival klassischer Musik
internationales Festival Theaterwelt (Divadelní svět)
Mezipatra, Queer Film Festival
Wirtschaft und Infrastruktur
Brünn entwickelte sich ab dem 19. Jahrhundert zur starken Industriestadt. Am Anfang war besonders die Textilbranche von großer Bedeutung. Zu den Traditionsunternehmen gehören oder gehörten die Waffen- und Maschinenbaufabrik Československá zbrojovka a.s. Brno (heute: Zbrojovka Brno a.s.), der Traktorenhersteller Zetor oder das Maschinenbauunternehmen Královopolská (1889 gegründet als Lederer-Porgess Königsfelder Maschinenfabrik). Im Sommer 2006 hinzugekommen, durch Übernahme der Zetor Gießerei, ist die Slévárna Heunisch Brno (Heunisch-Guss).
Heute ist Brünn ein Handelszentrum und bedeutende Messestadt. Es werden etwa 50 Fachmessen jährlich veranstaltet. Zahlreiche Forschungseinrichtungen und Hochschulen erheben die Stadt zu einem wichtigen Forschungszentrum. In Brünn steht der höchste Wolkenkratzer Tschechiens, der 2013 errichtete AZ Tower.
Die Arbeitslosigkeit betrug im Juni 2019 3,8 %.
Nahe der Stadt befindet sich das Automotodrom Brno (Masaryk-Ring), eine Motorsport-Rennstrecke.
Bildung
Brünn ist eine der wichtigsten tschechischen Universitätsstädte, hier befinden sich sechs Universitätseinrichtungen. Die größte ist die Masaryk-Universität (gegr. 1919) mit etwa 32.000 Studenten, es folgt die Technische Universität Brünn (gegr. 1899) mit über 18.000 Studenten, weiter die Mendel-Universität Brünn, die Veterinärmedizinische und Pharmazeutische Universität Brünn, die Janáček-Akademie für Musik und Darstellende Kunst Brünn (JAMU) und die militärische Universität für Verteidigung.
Verkehr
Öffentlicher Personennahverkehr
Der moderne flächendeckende Öffentliche Nahverkehr der Stadt besteht aus 11 Straßenbahnlinien, 13 Oberleitungsbuslinien, 35 Omnibuslinien, 11 Nachtbuslinien und einer Schiffslinie auf dem Stausee. Das Stadtumland ist im Verkehrsverbund Integrovaný dopravní systém Jihomoravského kraje (IDS) zusammengeschlossen. Als Brünner Besonderheit ist die stadtspezifische umgangssprachliche Bezeichnung Šalina (sprich Schallina) für Straßenbahn nennenswert.
Eisenbahn
Brünn ist ein wichtiger Eisenbahnknoten. 1839 wurde die Stadt an die Österreichische Nordbahn angeschlossen. Heute liegt die Stadt an einer europäischen Eisenbahnmagistrale. Es verkehren direkte Eurocity-Züge Budapest/Wien–Prag–Berlin–Hamburg. Auf der Strecke Prag–Brünn beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Züge 160 km/h, diese kann aber nur von Eurocity-Zügen erreicht werden. Die Strecke ist Teil des sogenannten „Ersten Eisenbahn-Korridors“, eines seit Mitte der 1990er-Jahre geplanten Modernisierungsprogramms.
Seit einiger Zeit wird der Neubau eines Bahnhofs anstatt des bisherigen verkehrstechnisch veralteten Hauptbahnhofs geplant, dessen Gebäude wie auch das benachbarte Postgebäude sind denkmalgeschützt. Der Neubau ist etwa 800 Meter südlich vom bisherigen Bahnhof vorgesehen.
Fernstraßen
Die Autobahn D1 führt von Prag über Brünn in Richtung Ostrava. Die Autobahn D2 verbindet die Stadt mit der slowakischen Grenze und führt weiter nach Bratislava. Das 140 km entfernte Wien ist über die Europastraße 461 in etwa zwei Stunden erreichbar.
In Brünn wird seit mehreren Jahren ein System innerstädtischer Autobahnen, der sogenannte Große Städtische Ring (Velký městský okruh), errichtet. Dazu gehören vier bereits befahrbare Tunnel. Der mit geschätzten Kosten von rund sieben Milliarden Kronen (rund 280 Mio. €) aufwändigste Královopolský tunel führt auf einer Länge von 831 m unter dem Stadtviertel Královo Pole hindurch. Noch vor der Eröffnung im Sommer 2012 musste der Lärmschutz nach Bürgerprotesten und gerichtlichen Urteilen nachgebessert werden.
Flugverkehr
Der internationale Flughafen Brünn (IATA-Flughafencode BRQ, ICAO-Code LKTB) befindet sich im Stadtteil Tuřany etwa zehn Kilometer östlich vom Stadtzentrum. Es werden von hier regelmäßig die Städte London, Mailand und Berlin angeflogen. 2018 wurden 500.000 Passagiere befördert.
Persönlichkeiten
Sonstiges
In den 1950er und 1960er Jahren sang der Wiener Conferencier Heinz Conrads gern das Lied Wie Böhmen noch bei Öst’reich war, / vor fünfzig Jahr, vor fünfzig Jahr / hat sich mein Vater g’holt aus Brünn / a echte Wienerin. Auch der im ganzen deutschsprachigen Raum bekannte Sänger und Entertainer Peter Alexander hatte dieses Lied in seinem Repertoire.
Im Norden Wiens besteht die Brünner Straße.
Literatur
Nach Erscheinen geordnet:
Christian d’Elvert: Versuch einer Geschichte Brünn’s. Traßler, Brünn 1828 (Digitalisat).
Gregor Wolny: Die königliche Hauptstadt Brünn und die Herrschaft Eisgrub, sammt der Umgebung der Letztern, topographisch, statistisch und historisch geschildert. Brünn 1836 (Digitalisat.)
Christian d’Elvert: Beiträge zu Geschichte der königlichen Städte Mährens, insbesondere der k. Landeshauptstadt Brünn. Band 1, Brünn 1860 (Digitalisat).
Dora Müller: Drehscheibe Brünn. Deutsche und österreichische Emigranten 1933–1939/Přestupní stanice Brno. Němečtí a rakouští emigranti. Deutsch und tschechisch, Begleitbuch zu einer gleichnamigen Ausstellung. Deutscher Kulturverband Region Brünn, Brno 1997 (Brünn als Zufluchtsort für deutsche und österreichische Exilanten nach der nationalsozialistischen Machtergreifung)
Leopold Masur: Sagen aus Brünn. Vitalis, Mitterfels 2008, ISBN 978-3-89919-121-9.
Irene Hanappi: Brünn. 5 Routen durch die Hauptstadt Mährens. Geschichte, Kultur, Sightseeing, Essen und Trinken. Falter 2007, ISBN 978-3-85439-396-2.
Beppo Beyerl / Thomas Kohlwein: Europa Erlesen Brno / Brünn. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2019, ISBN 978-3-99029-350-8.
Weblinks
Website der Stadt Brünn
Deutscher Kulturverein Region Brünn Begegnungszentrum Brünn
Deutscher Sprach- und Kulturverein Brünn
Einzelnachweise
Statutarstadt (Tschechien)
Tschechische Hochschul- oder Universitätsstadt
Ehemalige Hauptstadt (Tschechien)
Städtisches Denkmalreservat in Tschechien
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Stadtrechtsverleihung 1243
|
Q14960
| 286.785719 |
135793
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ascension
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Ascension
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Ascension (offiziell ) ist eine 88 km² große tropische Insel mit ca. 850 Einwohnern im Südatlantik zwischen Afrika und Südamerika. Die Insel bildet mit St. Helena und der Inselgruppe Tristan da Cunha das Britische Überseegebiet St. Helena, Ascension und Tristan da Cunha. Ihre Hauptstadt ist das etwa 500 Einwohner zählende Georgetown.
Geographie und Geologie
Lage etc.
Die Insel ist vulkanischen Ursprungs und liegt ca. 890 km südlich des Äquators bzw. ca. 80 km westlich des Mittelatlantischen Rückens; die Stadt Pernambuco im Osten Brasiliens ist ca. 2200 km entfernt, bis nach Monrovia in Liberia sind es ungefähr 1635 km. Die größte Ausdehnung der Insel beträgt etwa 12 Kilometer in Nord-Süd-Richtung und etwa 14 Kilometer in Ost-West-Richtung. Der höchste Punkt der Insel ist mit der Green Mountain (auch The Peak genannt). Große Teile der Insel sind aus erkalteter Lava bestehendes Ödland; insgesamt existieren 44 kleinere Vulkankrater.
Klima
Auf Ascension herrscht subtropisches Klima mit durchschnittlichen Temperaturen zwischen 20 und 31 °C. Regen fällt das ganze Jahr über nur wenig (ca. 200 mm/Jahr); nur zwischen Februar und April werden die Regenfälle deutlich stärker; im April 2023 wurde allerdings mit bis zu 31 mm/Tag die stärkste Regenmenge seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen.
Fauna
Im Osten ist der Insel die kleine und unbewohnte Boatswain Bird Island (Naturreservat) vorgelagert. Ascension ist ein wichtiger Paarungs- und Eiablageort derjenigen Suppenschildkröten (Chelonia mydas), die in der übrigen Zeit überwiegend in Seegraswiesen vor der brasilianischen Küste weiden.
Flora
War die Insel ursprünglich nur spärlich bewachsen, so existieren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts großflächig angepflanzte Wälder. Im Jahr 1854 legte der britische Biologe und Botaniker Joseph Dalton Hooker einen Plan zur Bepflanzung der Insel vor. Die Royal Navy begann in den folgenden Jahren damit, Pflanzen und Bäume aus England (Kew Gardens) und den britischen Kolonien wie Indien und Australien einzuschiffen und auf der Insel anzupflanzen. Schon Ende des Jahres 1870 hatte sich auf dem höchsten Gipfel der Insel (Green Mountain) eine reiche Flora an Eukalyptus, Pinien, Bambus und Bananenstauden entwickelt. Es war innerhalb kürzester Zeit ein voll funktionierendes Ökosystem entstanden. Heute bezeichnen Forscher dieses Experiment von Darwin und Hooker als erstes und erfolgreiches Terraforming-Experiment; es wurde künstlich ein sich selbst erhaltendes und selbstreproduzierendes Ökosystem geschaffen, jedoch auf Kosten der einheimischen Arten, die dem Untergang geweiht waren. Vor allem eingeschleppte Pflanzen wie Prosopis juliflora, eine Mesquitenart, haben sich weitläufig auf der Insel ausgebreitet.
Geschichte
Erstmals wurde die ursprünglich unbewohnte Insel vermutlich im Mai 1501 von João da Nova entdeckt und Ilha de Nossa Senhora da Conceição getauft, geriet aber schnell wieder in Vergessenheit. Am 20. Mai 1503 wurde sie von Afonso de Albuquerque ein zweites Mal „entdeckt“. Der Überlieferung nach gab er ihr den Namen Ascensão, weil er sie an Christi Himmelfahrt () gesichtet haben soll. Diese übliche Darstellung der Entdeckungsgeschichte und Namensgebung wird inzwischen jedoch angezweifelt, da die Insel bereits auf der im Jahr 1502 angefertigten Cantino-Weltkarte als ilha … ascenssani an richtiger Stelle eingezeichnet erscheint.
Im Jahr 1701 fuhr der Forschungsreisende William Dampier vor der Insel mit seinem Schiff Roebuck auf Grund und harrte mit seiner Besatzung sechs Wochen lang aus, ehe ein Ostindiensegler die Schiffbrüchigen aufnahm. Damit gelten der Freibeuter und seine Mannschaft als erste (unfreiwillige) Siedler auf der Insel.
Am 5. Mai 1725 wurde der wegen „Sodomie“ verurteilte holländische Seefahrer Leendert Hasenbosch auf der Insel ausgesetzt. Ausgehend von einem später auf der Insel gefundenen Tagebuch starb er vermutlich nach etwa sechs Monaten aufgrund von Nahrungsmangel.
Als Napoleon Bonaparte im Jahr 1815 auf die knapp 1300 Kilometer südöstlich gelegene Insel St. Helena verbannt wurde, besetzte die Royal Navy Ascension, um mögliche Befreiungsversuche durch Franzosen zu erschweren. Die Insel wurde zur Festung ausgebaut. Damit Ascension dem Kommando der Marine und nicht einer Kolonieverwaltung unterstand, wurde ein „Trick“ angewandt. Die Insel wurde zu einer „Steinfregatte“ („stone sloop of war of the smaller classes“) erklärt und bekam als HMS Ascension 65 Soldaten „Besatzung“. Nachdem Napoleon gestorben war, diente sie als Stützpunkt für das Westafrika-Geschwader, das Piraten und Sklavenhandel bekämpfen sollte. In Wirklichkeit wurde die Insel mehr als Krankenhaus benutzt, da in diesen Jahren viele Seuchen in Afrika grassierten.
Im November 1816 besichtigte Christian Ignatius Latrobe (1758–1836), ein Inspekteur der Herrnhuter Brüdergemeine, auf seiner Rückreise von der südafrikanischen Herrnhuterkolonie Gnadenthal die Inseln St. Helena und Ascension. Latrobe suchte nach weiteren Siedlungsplätzen für die Herrnhuter Mission und war zunächst von der Schönheit der Insel Ascension beeindruckt. Er musste jedoch anlässlich seines Besuchs zur Kenntnis nehmen, dass die kleine Ziegenherde der britischen Militärbasis und unzählige Ratten die Inselvegetation schon nach wenigen Jahren fast kahl gefressen hatten und die Selbstversorgung der wenigen Bewohner nicht mehr gewährleistet war. Auch berichtete er, dass die auf der Insel wachsenden Früchte meist ungenießbar oder giftig seien und sich die beiden Süßwasserquellen in einem schwer erreichbaren Teil der Insel befänden. Die Insel sei zudem von zahllosen Klippen umsäumt, sodass die Anlandung von Reisenden, Frachtgut und Proviant sehr gefährlich sei.
Im Jahr 1836 landete Charles Darwin von St. Helena kommend an Bord der HMS Beagle auf Ascension. Er war von der Insel und ihrem Erscheinungsbild so begeistert, dass er, gemeinsam mit dem britischen Naturforscher Hooker, begann, einen Plan zur Belebung dieser kargen Insel zu entwickeln. Es sollte eine Art Garten Eden oder vielmehr „Insel Eden“ entstehen.
Am 15. Dezember 1899 verlegten die Eastern Telegraph Company und andere Firmen die ersten Seekabel zur Insel, um London und das damals britische Kapstadt zu verbinden. Im Laufe der Zeit wurden weitere Kabel nach Sierra Leone, Kap Verde, Buenos Aires und Rio de Janeiro verlegt. Dies markiert den Beginn der Insel als Kommunikationsknotenpunkt des südlichen Atlantiks.
Die militärische Bedeutung der Insel wuchs. So wurden während des Ersten Weltkriegs erste große Funkanlagen gebaut. Im Zweiten Weltkrieg diente die Insel zur Überwachung der Handelsrouten im Südatlantik (U-Boot-Abwehr) und als Horchposten der Alliierten, der Funksprüche abfangen und entziffern konnte. Auch wurden Kreuzpeilungen vorgenommen, um die Position von Schiffen im Ozean zu ermitteln. Im September 1941 wurde von den United States Army Air Forces die Südatlantik-Luftbrücke in Betrieb genommen, die große Bedeutung für den europäischen und nordafrikanischen Kriegsschauplatz hatte. Von Florida ausgehend verlief die Luftbrücke über Militärflugplätze in
Puerto Rico (Borinquen Army Air Field)
Trinidad (Waller Air Force Base)
Britisch-Guayana (Atkinson Field, heute Cheddi Jagan International Airport)
Brasilien (Belém, heute Belém-Val de Cães Airport; Natal, heute Augusto Severo International Airport und Recife, heute Guararapes International Airport)
Liberia (Roberts Field, heute Roberts International Airport) oder Sierra Leone (Hastings Airfield)
Französisch-Westafrika, Marokko und Algerien
Kritisch war die Distanz der Atlantiküberquerung von Brasilien nach Westafrika (Liberia oder Sierra Leone), sie beträgt etwa 3000 Kilometer. Flugzeuge kürzerer Reichweite (jedoch mindestens 2000 Kilometer) hatten nur die Möglichkeit, den auf Ascension im Sommer 1942 angelegten Flugplatz Wideawake Field zum Auftanken zu nutzen. Im Verlauf des Krieges gelangten so mehr als 25.000 Bomber nach Nordafrika und Europa. Auch der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt nutzte die Südatlantik-Luftbrücke zum Besuch der Konferenzen von Casablanca (Januar 1943) und Teheran (November/Dezember 1943).
Im Kalten Krieg wurde die Insel als Testgelände für Interkontinentalraketen verwendet. Die Raketen starteten in Florida und flogen Ascension als Ziel an. Kurz vor dem Einschlag wurden sie von der örtlichen Bodenstation ins Meer umgeleitet. Unter anderem bauten daher die ESA und die NASA dort Bodenstationen. Auch für das Satellitennavigationssystem GPS wurde eine Station gebaut. Seit 1963 wurden von Ascension Höhenforschungsraketen (hauptsächlich vom Typ Arcas) bei gestartet.
Ascension Island ist Standort einer Kurzwellen-Sendeanlage des BBC World Service bei .
Im Jahr 1982 diente die Insel den Briten als eine Basis für ihre Rückeroberung der Falklandinseln im Falklandkrieg. Vom Flugplatz Wideawake aus starteten die Victor-Tankflugzeuge und die Avro-Vulcan-Bomber zu den Luftoperationen „Black Buck“.
Bevölkerung
Im Jahr 2016 lebten 806 Menschen auf der Insel, hauptsächlich Mitarbeiter jener Organisationen, die auf der Insel tätig sind, und deren Angehörige. 556 stammen von St. Helena, 250 sind Ausländer. Auf Ascension lebte nie eine indigene Bevölkerung, die Insel war immer frei von Menschen. Hauptort ist Georgetown mit 560 Einwohnern. Two Boats Village im östlichen Inselinneren hat 120 Einwohner. Die Anzahl des Militärpersonals in Cat Hill, der US-Basis und Traveller’s Hill, das zur Royal-Air-Force-Basis Wideawake gehört, variiert und wird in der Regel nicht veröffentlicht.
Politik
Der Gouverneur von St. Helena ist zugleich Gouverneur von Ascension. Die Regierung der Insel wird von einem Verwalter (englisch Administrator) angeführt, der direkt vom Mutterland entsandt und vom Gouverneur ernannt wird. Dieser steht dem Rat der Insel (Island Council) vor und hat das höchste Amt auf Ascension inne. Administratorin Justine Allan, die erste Frau in dieser Rolle, wurde am 26. März 2018 vereidigt. Sie ist die 23. Person, die mit diesem Amt betraut wurde.
Der Island Council (Inselrat) wird seit 2002 alle drei Jahre von der wahlberechtigten Bevölkerung der Insel gewählt und umfasst sieben Mitglieder. Hinzu kommen mit dem Administrator, dem Attorney General und dem Director of Resources (entspricht etwa einem Finanzminister) drei ex-officio-Mitglieder ohne Stimmrecht. Dem Inselrat steht der Gouverneur vor. Wenn weniger als acht Kandidaten zur Wahl stehen, werden lediglich fünf Ratsmitglieder gewählt; sollten weniger als sechs zur Wahl stehen, werden die Bestimmungen der Verordnung bezüglich der Funktion des Island Councils suspendiert, und der Gouverneur muss Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten ansetzen.
Es existieren weder politische Parteien noch Wahlkreise. Die letzten Wahlen fanden im Oktober 2022 statt.
Infrastruktur
Ascension verfügt mit dem Flugfeld Wideawake über einen Flugplatz. Im April 2017 wurde Reparaturbedarf an der Landebahn festgestellt und der Flugbetrieb für größere Maschinen bis zum Abschluss der Reparaturarbeiten eingestellt. In der Zwischenzeit wurde die Insel hauptsächlich von einigen Kreuzfahrt- und Postschiffen angesteuert. Seit Ende 2017 wird eine monatliche Flugverbindung nach St. Helena durch die Fluggesellschaft Airlink angeboten. Diese ist seit Anfang 2018 mit der im Zuge der Eröffnung des Flughafens auf St. Helena verbundenen Einstellung der Postschiffverbindung bis zur Wiederaufnahme der Direktflüge nach Großbritannien die hauptsächliche Verbindung von Ascension zur Außenwelt. Sie wurde im Rahmen der COVID-19-Pandemie eingestellt.
Hauptsächlich wird Strom durch Dieselgeneratoren erzeugt, seit 2010 aber teilweise auch mit Windenergie. Letztere wird vor allem für die Kurzwellensender der BBC genutzt.
Militärstützpunkt der USA
Die Vereinigten Staaten unterhalten eine Militärbasis auf Ascension, die zum Echelon-Spionagesystem der National Security Agency (NSA) gehört. Im Laufe der Überwachungs- und Spionageaffäre 2013 wurde bekannt, dass von hier aus die Telekommunikation in Brasilien, Argentinien, Uruguay, Kolumbien und Venezuela überwacht wird. Die in Ascension gesammelten Daten werden im Geheimdienstzentrum in Fort Meade in Maryland, USA, ausgewertet.
Sakralbauten
Diözese St Helena der Anglican Church of Southern Africa
St. Mary’s Church in Georgetown
Mission sui juris St. Helena, Ascension und Tristan da Cunha der Römisch-Katholischen Kirche
Grotto of Our Lady of Ascension in Cat Hill, vier Kilometer südöstlich von Georgetown
Literatur
Reginald Aldworth Daly: The Geology of Ascension Island. In: Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences, 1925 (60), S. 3–80.
Philip Ashmole, Myrtle J. Ashmole: St Helena and Ascension Island. A natural history. Nelson, Oswestry 2000, ISBN 978-0-904614-61-9.
Sergio Ghione: Die Insel der Schildkröten. Ein ungelöstes Rätsel im Atlantik. Aus dem Italienischen von Andreas Simon. Campus, Frankfurt/New York 2002, ISBN 3-593-36798-X.
Weblinks
Offizielle Website (englisch)
Ascension Island Heritage Society Website (englisch)
Lukas Grasberger: Die Insel der Experimente - Ascension, die Ratten und das Paradies Bayern 2 Radiowissen. Ausstrahlung am 17. August 2023. (Podcast)
Einzelnachweise
Insel (Südatlantik)
Insel (St. Helena, Ascension und Tristan da Cunha)
Schichtvulkan
Verwaltungseinheit
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Q46197
| 245.784498 |
6867
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https://de.wikipedia.org/wiki/1612
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1612
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Skandinavien
6. Januar: Axel Oxenstierna wird in Schweden durch König Gustav II. Adolf zum Reichskanzler ernannt. Er bleibt 42 Jahre lang, bis zu seinem Tod, Inhaber dieses Amtes, modernisiert in dieser Zeit die Administration und hat erheblichen innen- wie außenpolitischen Einfluss.
Im Mai gelingt es den überwiegend aus deutschen Söldnern bestehenden dänischen Truppen im Kalmarkrieg, die Festung Älvsborg am Göta älv und damit den einzigen Zugang Schwedens zum Kattegat einzunehmen. Im August wird Kalmar besetzt. Schwedische Truppen brennen im Gegenzug die zu diesem Zeitpunkt dänische Stadt Vä in Schonen nieder.
Heiliges Römisches Reich
Ferdinand von Bayern wird als Nachfolger seines am 17. Februar verstorbenen Onkels Ernst von Bayern Erzbischof und Kurfürst von Köln, außerdem Fürstbischof von Münster, Lüttich und Hildesheim. Die Priester- oder Bischofsweihe erhält er während seiner gesamten Amtszeit nicht.
Der Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau, der im Ochsenkrieg 1611 von bayerischen Soldaten gefangen genommen worden ist, wird am 7. März zur Abdankung gezwungen. Wolf Dietrichs Neffe Markus Sittikus von Hohenems wird noch unter der bayerischen Besatzung am 18. März vom Domkapitel zum neuen Erzbischof gewählt. Er stimmt im Gegenzug dem Abschluss eines neuen Salzvertrags zwischen Salzburg und Bayern zu und sagt die Bezahlung der Kriegskosten zu. Die Bischofsweihe spendet am 7. Oktober der Bischof von Chiemsee, Ehrenfried von Kuenburg. Erst wenige Tage zuvor hat Markus Sittikus die Priesterweihe empfangen. Seinen Onkel Wolf Dietrich hält er bis zu dessen Lebensende zuerst in der Festung Hohenwerfen und später in der Fürstenstube der Festung Hohensalzburg in strenger Einzelhaft gefangen.
13. Juni: Der Habsburger Matthias, König von Ungarn und Böhmen, wird Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Er folgt dem im Januar verstorbenen Rudolf II. auf den Thron.
Polnisch-Russischer Krieg
Das zweite russische Landwehraufgebot erreicht im Juli die Tore des in polnisch-litauischer Hand befindlichen Moskau. Es umfasst 25–30.000 Mann mit unterschiedlichster Bewaffnung und etwa 1000 Schützen. Zwischen dem 22. August und dem 24. August kämpft es im Polnisch-Russischen Krieg gegen ein eingetroffenes polnisches Entsatzheer. Nach anfänglichen Erfolgen der Polen gelingt es den Russen, die polnischen Angriffe abzuwehren und einen polnischen Entsatz der Festung zu verhindern. Die polnische Garnison unter Hetman Jan Karol Chodkiewicz, die der russischen Belagerung insgesamt 19 Monate lang widerstanden hat, muss aufgrund von Hunger und des gescheiterten polnischen Entsatzes am 25. Oktober vor dem von Kusma Minin und Dmitri Poscharski angeführten Landwehraufgebot kapitulieren und abziehen. Dennoch halten polnische Truppen weiterhin weite Gebiete im Westen des Moskauer Reiches besetzt.
12. September: Der 1610 abgesetzte russische Zar Wassili IV. stirbt in polnischer Gefangenschaft.
Weitere Ereignisse in Europa
18. Februar: Vincenzo I. Gonzaga, Herzog von Mantua und Montferrat, stirbt. Er hinterlässt seinem Sohn Francesco IV. Gonzaga, der ihm auf den Thron folgt, ein hochverschuldetes Land am Rande des Ruins. Bereits am 22. Dezember stirbt auch Francesco ohne Nachkommen, woraufhin sein jüngerer Bruder Ferdinando Gonzaga die für ihn geplante Kirchenkarriere aufgeben muss.
16. Juli: Der im Volk äußerst unbeliebte Doge Leonardo Donà stirbt überraschend, was von der Bevölkerung als Strafe Gottes gedeutet wird. Am 24. Juli wird im ersten Wahlgang der 75-jährige Marcantonio Memmo zu seinem Nachfolger als Doge von Venedig gewählt. Da er während seiner ganzen Regierung kränkelt, tritt er nur wenig öffentlich in Erscheinung.
Südamerika und Karibik
Eine französische Expedition gründet in einem noch nicht von Portugal kolonisierten Teil Brasiliens die Kolonie France Équinoxiale und das Fort Saint Louis.
Auf Bermuda wird die erste ständige Siedlung Saint George’s gegründet.
Indischer Ozean
29./30. November: Im Seegefecht vor Suvali an der Küste von Gujarat siegen vier Galeonen der Englischen Ostindien-Kompanie unter Kapitän Thomas Best über vier Naos der Portugiesischen Indien-Armada. Das ist der Anfang vom Ende der seit der Seeschlacht von Diu im Jahre 1509 andauernden portugiesischen Seeherrschaft im westlichen Indischen Ozean. Die Kompanie gründet im Anschluss eine erste Handelsniederlassung in Indien in Surat.
Wissenschaft und Technik
15. Oktober: In Helmstedt wird das Hörsaal- und Bibliotheksgebäude Juleum der Universität eingeweiht.
28. Dezember: Galileo Galilei sieht als erster Astronom den Planeten Neptun in seinem Teleskop, hält ihn aber für einen Fixstern.
Simon Marius entdeckt den ersten astronomischen Nebel, den Andromedanebel.
Kultur
Die Tragödie The White Devil von John Webster hat ihre Uraufführung.
um 1612: Artemisia Gentileschi fertigt eine erste Version des Sujets Judith und Holofernes.
Gesellschaft
10. Mai: Prinz Khurram, der spätere indische Großmogul Shah Jahan, heiratet die 19-jährige Tochter von Asaf Khan, Arjumand Banu Begum, die den Namen Mumtaz Mahal verliehen bekommt. Die dritte Frau des Prinzen wird in der Folge seine Lieblingsfrau.
Juli/August: Bei den Hexenprozessen von Pendle in England werden zehn Angeklagte schuldig gesprochen und am Strang hingerichtet, eine Person wird freigesprochen.
Religion
In Japan wird der christliche Glaube im direkt dem Tokugawa-Shogunat unterstellten Tenryō-Gebiet verboten.
Der Greifswalder Rechtsprofessor Joachim Stephani prägt die Redewendung Cuius regio, eius religio.
Historische Karten und Ansichten
Geboren
Geburtsdatum gesichert
7. Januar: Philipp Valentin Voit von Rieneck, Fürstbischof von Bamberg († 1672)
17. Januar: Thomas Fairfax, englischer General und Oberbefehlshaber der Parlamentsarmee († 1671)
31. Januar: Heinrich Casimir I., Graf von Nassau-Dietz, Statthalter von Friesland, Groningen und Drenthe († 1640)
5. Februar: Antoine Arnauld, französischer Philosoph, Linguist, Theologe, Logiker und Mathematiker († 1694)
8. Februar: Samuel Butler, englischer Dichter († 1680)
15. Februar: Paul Chomedey de Maisonneuve, französischer Offizier und Gründer von Montreal († 1676)
6. April: James Stewart, 4. Duke of Lennox, schottischer Adeliger († 1655)
8. April: Rudolph Wilhelm Krause der Ältere, deutscher Rechtswissenschaftler und Kanzler von Sachsen-Weimar († 1689)
16. April: Abraham Calov, deutscher lutherischer Theologe († 1686)
28. April: Odoardo I. Farnese, Herzog von Parma († 1646)
31. Mai: Margherita de’ Medici, Herzogin von Parma und Piacenza († 1679)
4. Juni: August Carpzov, deutscher Staatsmann († 1683)
23. Juni: Justus Georg Schottelius, deutscher Sprachgelehrter († 1676)
25. Juni: Johann Albert Wasa, Prinz von Polen-Litauen, Fürstbischof von Ermland und Krakau († 1634)
9. Juli: Johann Balthasar Schneider, Gesandter des elsässischen Zehnstädtebundes bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden († 1656)
12. Juli: Heinrich Siegel, deutscher frühkapitalistischer Unternehmer († 1669)
19. Juli: Louis Ferdinand Elle der Ältere, französischer Maler († 1689)
27. Juli: Murad IV., Sultan des Osmanischen Reiches († 1640)
2. August: Saskia van Uylenburgh, niederländische Patriziertochter und Gattin von Rembrandt van Rijn († 1642)
17. August: Jeremi Wiśniowiecki, polnischer Magnat und Feldherr († 1651)
27. August: Joachim Kunkler, Bürgermeister von St. Gallen († 1696)
28. September: Michel Anguier, französischer Bildhauer († 1686)
29. September: Michael Behm, deutscher evangelischer Theologe († 1650)
6. Oktober: Claudia von Lothringen, Herzogin von Lothringen († 1648)
13. Oktober: Gottfried Fibig, deutscher Rechtswissenschaftler († 1646)
20. Oktober: Wolf Helmhardt von Hohberg, deutscher Schriftsteller († 1688)
23. Oktober: Bernardino Mei, italienischer Maler († 1676)
1. November: Magdalena Sibylle von Brandenburg-Bayreuth, Ehefrau des Kurfürsten Johann Georg II. von Sachsen († 1687)
11. November: August Philipp, Herzog von Oldenburg und Schleswig-Holstein-Sonderburg-Beck († 1675)
17. November: Dorgon, chinesischer Regent († 1650)
17. November: Pierre Mignard, französischer Maler († 1695)
2. Dezember: David Ryckaert, flämischer Maler († 1661)
5. Dezember: Hans Caspar Waser, Schweizer evangelischer Geistlicher († 1677)
12. Dezember: Janusz Radziwiłł, litauischer Feldherr und Reichsfürst des Heiligen Römischen Reiches († 1655)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Niels Aagaard, dänischer Schriftsteller und Gelehrter († 1657)
Detlev von Ahlefeldt, Herr auf Haseldorf, Haselau und Kaden († 1686)
Kaspar Amort, bayrischer Hofmaler († 1675)
Wolfgang Ebner, deutscher Organist, Kapellmeister und Komponist († 1665)
Gestorben
Erstes Halbjahr
16. Januar: Charles III. de Croÿ, Statthalter in den Spanischen Niederlanden (* 1560)
20. Januar: Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (* 1552)
28. Januar: Thomas Bodley, englischer Staatsmann und Gelehrter (* 1544)
6. Februar: Christophorus Clavius, deutscher Jesuit, Mathematiker und Astronom (* 1538)
9. Februar: Vincenzo I. Gonzaga, Herzog von Mantua und Montferrat (* 1562)
12. Februar: Jodocus Hondius, flämischer Kartograph und Verleger von Atlanten und Karten (* 1563)
12. Februar: Johannes Neldel, deutscher Rhetoriker, Logiker, Rechtswissenschaftler und Philosoph (* 1554)
17. Februar: Ernst von Bayern, Erzbischof von Köln (* 1554)
20. Februar: Johannes Gottsleben, deutscher Magister, Professor und evangelischer Theologe (* um 1559/60)
22. Februar: García Guerra, spanischer Dominikaner, Erzbischof von Mexiko und Vizekönig von Neuspanien (* 1545)
Februar: John Gerard, englischer Chirurg und Botaniker (* 1545)
3. März: Joan Thynne, englische Adelige (* 1558)
23. März: Johann Siebmacher, deutscher Wappenmaler, Radierer, Kupferstecher und Verleger (* um 1561)
29. März: Anna Katharina von Brandenburg, Königin von Dänemark und Norwegen (* 1575)
März: Philipp Galle, niederländischer Zeichner und Kupferstecher (* 1537)
5. Mai: Leonhard I. von Taxis, Brüsseler Generalpostmeister (* um 1522)
24. Mai: Robert Cecil, 1. Earl of Salisbury, englischer Staatsmann und Minister unter Elisabeth I. und Jakob I. (* 1563)
29. Mai: Joachim Zehner, Geistlicher und Superintendent in Schleusingen (* 1566)
8. Juni: Hans Leo Haßler, deutscher Komponist (* 1564)
26. Juni: Roger Manners, 5. Earl of Rutland, englischer Adliger und Patron der Künste (* 1576)
Zweites Halbjahr
16. Juli: Leonardo Donà, 90. Doge von Venedig (* 1536)
16. Juli: Jakob Wolff der Ältere, deutscher Architekt und Bildhauer (* 1546)
20. Juli: Marija Fjodorowna Nagaja, Zarin von Russland (* 1553)
9. August: Philipp Ludwig II., Graf von Hanau-Münzenberg (* 1576)
12. August: Giovanni Gabrieli, italienischer Komponist (* 1557)
17. August: Alexander Colin, flämischer Bildhauer und Bildschnitzer (* 1527/29)
28. August: John Smyth, englischer baptistischer Priester (* um 1566)
12. September: Wassili IV., russischer Zar, 1610 zum Mönch geschoren (* 1552)
13. September: Karin Månsdotter, Ehefrau des schwedischen Königs Erik XIV. (* 1550)
15. September: Marek Bydžovský z Florentýna, tschechischer Historiker, Astronom, Mathematiker, Gelehrter und Humanist (* 1540)
28. September: Ernst Soner, deutscher Mediziner und Philosoph (* 1572)
30. September: Federico Barocci, italienischer Maler
1. Oktober: Elias Reusner, deutscher Historiker (* 1555)
4. Oktober: Cesare Aretusi, italienischer Maler (* 1549)
7. Oktober: Menso Alting, deutscher Prediger und Theologe der Reformationszeit (* 1541)
1. November: Charles de Bourbon, Graf von Soissons und Vizekönig von Neufrankreich (* 1566)
6. November: Henry Frederick Stuart, Prince of Wales, ältester Sohn von Jakob I. (* 1594)
9. November: Paul Jenisch, deutscher Pädagoge und lutherischer Theologe (* 1551)
10. November: Bernardino Poccetti, italienischer Maler (* 1548)
13. November: George Carew, englischer Diplomat (* um 1556)
5. Dezember: Ottavio Acquaviva d’Aragona, italienischer Kardinal (* 1560)
22. Dezember: Francesco IV. Gonzaga, Herzog von Mantua und Montferrat (* 1586)
Genaues Todesdatum unbekannt
Charles de Montmorency, duc de Damville, Admiral von Frankreich (* 1537)
Johann Rasch, österreichischer Kleriker, Schriftsteller, Organist, Mathematiker und Buchhändler (* um 1540)
Weblinks
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Q6771
| 166.132672 |
5902
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https://de.wikipedia.org/wiki/1995
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1995
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Jahreswidmungen
Internationales Jahr des Gedenkens an die Opfer des Zweiten Weltkriegs
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Januar
1. Januar: Kaspar Villiger wird Bundespräsident der Schweiz.
1. Januar: Bolivien. Die Reform des Erziehungswesens tritt in Kraft.
1. Januar: Die Freihandelszone zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay tritt in Kraft.
1. Januar: Österreich, Schweden und Finnland treten der EU bei.
1. Januar: Das Freihandelsabkommen zwischen Litauen und der EU tritt in Kraft.
1. Januar: In Deutschland wird die Pflegeversicherung eingeführt.
2. Januar: Durch die Privatisierung der Deutschen Bundespost entstehen die Aktiengesellschaften Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG sowie die Deutsche Telekom AG.
25. Januar: Der „norwegische Raketenzwischenfall“ führt dazu, dass der russische Präsident Boris Jelzin den Atomkoffer aktiviert, der erste und bislang einzige Vorfall dieser Art.
25. Januar: Albanien unterzeichnet mit der NATO ein individuelles Partnerschaftsabkommen.
25. Januar: Bulgarien. Schan Widenow wird Ministerpräsident.
31. Januar: Zur Bewältigung der Tequila-Krise bewilligt US-Präsident Bill Clinton für ein internationales Hilfspaket zu Gunsten Mexikos einen Anteil von zwanzig Milliarden US-Dollar.
Februar
1. Februar: Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Rumänien.
7. Februar: In Islamabad wird Ramzi Ahmed Yousef festgenommen. Er wird verdächtigt, einer der Drahtzieher beim Bombenanschlag auf das World Trade Center 1993 gewesen zu sein. Pakistan liefert ihn deshalb später an die Vereinigten Staaten aus, wo er zu 240 Jahren Haft verurteilt wird.
11. Februar: Eröffnung der Botschaft Kirgisistans in Bonn.
19. Februar: Bei der Landtagswahl in Hessen wird die rot-grüne Landesregierung von Hans Eichel im Amt bestätigt.
März
10. März: Griechenland. Konstantinos Stefanopoulos wird Staatspräsident.
20. März: Anschlag Ōmu Shinrikyōs mit Sarin in der U-Bahn von Tokio.
26. März: Islam Abduganijewitsch Karimow wird als Staatspräsident in Usbekistan in seinem Amt bestätigt.
26. März: Das Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 tritt in Kraft.
28. März: Kasachstan. Nursultan Nasarbajew löst das Parlament wegen Ungültigkeit der letzten Wahlen auf.
29. März: Tunesien wird Vollmitglied in der WTO (Welthandelsorganisation).
April
9. April: Kongress- und Präsidentschaftswahlen in Peru.
19. April: Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City: 168 Menschen kommen ums Leben.
25. April: Der erste Castor-Behälter erreicht Gorleben.
27. April: Der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus wird gegründet
29. April: Kasachstan. Verlängerung der Amtszeit des Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew.
30. April: Großbritannien. Besetzung der Ölplattform Brent Spar durch Greenpeace-Aktivisten.
Mai
1. Mai: Beitritt Liechtensteins zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).
6. Mai: Äthiopien. Erste freie demokratische Bundes- und Regionalwahlen.
7. Mai: Frankreich. Jacques Chirac wird zum französischen Staatspräsident gewählt.
12. Mai: Unterzeichnung des Assoziationsabkommens zwischen der EU und Lettland.
14. Mai: Bürgerschaftswahl in Bremen.
14. Mai: der sechsjährige Gendün Chökyi Nyima wird zum 11. tibetischen Penchen Lama erkoren. Drei Tage verschwindet er zusammen mit seinen Eltern. Die chinesischen Behörden erklären später, dass er an einen sicheren Ort verbracht worden sei.
14. Mai: in Nordrhein-Westfalen: Johannes Rau bleibt Ministerpräsident; er bildet später die erste rot-grüne Koalition in NRW.
21. Mai: Parlamentswahlen in Belgien
25. Mai: Tuzla-Massaker: Bei einem Granateneinschlag im Zentrum der zur UN-Schutzzone erklärten Stadt Tuzla in Nordostbosnien werden 71 Menschen getötet und 173 weitere verletzt.
Juni
14. Juni: Geiselnahme von Budjonnowsk
15. Juni: Der 21. Weltwirtschaftsgipfel wird im kanadischen Halifax eröffnet. An den Beratungen nimmt auch der russische Präsident Boris Jelzin teil.
20. Juni: Keith Claudius Mitchell wird Premierminister von Grenada.
27. Juni: Katar. Hamad bin Chalifa Al Thani wird Staatsoberhaupt. Er setzt seinen Vater ab und übernimmt die Amts- und Staatsgewalt.
30. Juni: Der Bundestag billigt einen Bosnien-Einsatz der Bundeswehr.
30. Juni: Die Marshallinseln werden Mitglied in der UNESCO.
Juli
4. Juli: Henning Scherf wird in der Bremischen Bürgerschaft zum Regierungschef einer Großen Koalition gewählt.
10. Juli: Heinz Eggert, Innenminister von Sachsen, tritt von seinem Amt nach Vorwürfen wegen sexueller Belästigung zurück.
10. Juli: Das Militärregime in Myanmar, dem früheren Birma, hebt einen fast sechs Jahre währenden Hausarrest gegen die Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi auf.
11. Juli: Massaker von Srebrenica: In Bosnien und Herzegowina erobert die Armee der Republika Srpska unter Ratko Mladić die UN-Schutzzone Srebrenica.
11. Juli: US-Präsident Bill Clinton beschließt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Hanoi (Vietnam).
12. Juli: Die ethnische Säuberung der Stadt Srebrenica beginnt einen Tag nach der Eroberung durch Truppen der bosnischen Serben, 40.000 Einwohner werden zunächst nach Geschlechtern getrennt.
21. Juli: Auf einer internationalen Krisenkonferenz über Bosnien und Herzegowina sprechen sich Frankreich, Großbritannien und die USA gegen den Widerstand Russlands für massive Luftangriffe auf Stellungen der bosnischen Serben aus.
24. Juli: In Tel Aviv zündet ein Selbstmordattentäter eine Bombe in einem Autobus und tötet fünf Israelis, 30 Menschen werden verletzt.
25. Juli: In einer Station der Pariser Metro wird eine Bombe gezündet. Es ist der Beginn der Anschlagsserie in Frankreich 1995.
25. Juli: Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić und sein Militärchef Ratko Mladić werden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag unter Anklage gestellt.
26. Juli: Die Mitgliedstaaten der EU unterzeichnen das Europol-Übereinkommen.
27. Juli: Tadeusz Mazowiecki, der UN-Menschenrechtsbeauftragte, kündigt seinen Rücktritt an und geißelt die Untätigkeit des Westens in Bosnien und Herzegowina.
28. Juli: Vietnam wird als siebter Mitgliedsstaat in die ASEAN aufgenommen.
28. Juli: Ein Geiselnehmer entführt in Köln einen Touristikbus. Bei der Geiselnahme, bei dessen Befreiungsaktion sich der Geiselnehmer erschießt, werden der Busfahrer und eine Geisel erschossen, zwei Geiseln und ein Polizist werden schwerst verletzt.
August
4. August: In Hannover beginnen die Chaostage, bei denen bis zum 6. August mehr als 2000 Teilnehmer randalieren, Geschäfte plündern und sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern.
8. August: Zwei Töchter von Saddam Hussein fliehen mit ihren Familien und 15 Offizieren nach Amman, wo sie von König Hussein Asyl erhalten.
10. August: Der Kruzifix-Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai wird veröffentlicht. Das in der Bayerischen Volksschulordnung verlangte Anbringen eines Kreuzes im Klassenzimmer wird als Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit bewertet. Die Entscheidung löst heftige politische Diskussionen aus.
24. August: Georgien gibt sich eine neue (demokratische) Verfassung.
24. August: Veröffentlichung von Windows 95.
29. August: In Georgien ereignet sich ein Attentat auf Eduard Schewardnadse.
30. August: Die NATO beginnt in der Operation Deliberate Force im Bosnienkrieg mit Luftschlägen gegen militärische Objekte und Stellungen der bosnischen Serben.
September
7. September: Der französische Kernwaffentest vom Vortag auf dem Mururoa-Atoll löst auf Tahiti schwere Unruhen aus.
12. September: Erste Koalitionsregierung in Nepal.
16. September: Griechenland hebt das Embargo gegen Mazedonien auf.
22. September: Einweihung des Denkmals Banner of Hope für den ehemaligen ANC-Hörfunksender Radio Freedom in Johannesburg.
24. September: Das Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen zwischen Israel und der PLO wird in Taba unterzeichnet.
28. September: Auf den Komoren ereignet sich der Putsch von Bob Denard.
Oktober
1. Oktober: Deutschland und San Marino nehmen diplomatische Beziehungen auf.
5. Oktober: Niederschlagung des Putsches von Bob Denard auf den Komoren durch französisches Militär. Eine Übergangsregierung wird gebildet.
8. Oktober: Neue Verfassung in Uganda.
16. Oktober: Millionen-Mann-Marsch farbiger Bürgerrechtler in Washington, D.C.
19. Oktober: Mazedonien wird in den Europarat aufgenommen.
20. Oktober: Die Agusta-Affäre führt zum Rücktritt des belgischen NATO-Generalsekretärs Willy Claes.
22. Oktober: In Berlin endet die Wahl zum Abgeordnetenhaus mit Gewinnen für PDS und Grüne; die FDP scheidet aus. Eberhard Diepgen wird die große Koalition fortsetzen.
23. Oktober: Bei ihrem Gipfeltreffen im Staat New York einigen sich US-Präsident Bill Clinton und sein russischer Amtskollege Boris Jelzin auf eine Beteiligung russischer Soldaten an einer Bosnien-Friedenstruppe.
25. Oktober: Lettland stellt Antrag auf Aufnahme in die EU.
25. Oktober: Macau wird assoziiertes Mitglied in der UNESCO.
26. Oktober: Der palästinensische Arzt und Mitbegründer des „Islamischen Dschihad“, Fathi Schakaki, wird in Malta ermordet.
28. Oktober: António Guterres wird neuer portugiesischer Ministerpräsident.
November
5. November: Eduard Schewardnadse wird erneut zum Staatspräsidenten von Georgien gewählt.
6. November: In Israel kommt es zur größten Trauerfeier des Landes für den ermordeten Regierungschef Jitzchak Rabin. Staatsoberhäupter und Politiker aus 40 Nationen erweisen dem Verstorbenen die letzte Ehre.
8. November: Die Ukraine wird in den Europarat aufgenommen.
12. November: Erste freie Parlamentswahlen in Aserbaidschan.
18. November: Parlamentswahlen in Nauru.
19. November: Zweiter Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Polen. Aleksander Kwaśniewski wird zum Staatspräsidenten gewählt.
22. November: Präsidentschaftswahlen in Nauru. Neuer Präsident wird Lagumot Harris.
23. November: Die Verfassung Aserbaidschans tritt in Kraft.
24. November: Estland stellt den Antrag auf Beitritt in die EU.
25. November: In Georgien tritt die neue Verfassung in Kraft.
Dezember
2. Dezember: Bei der Wahl des Legislativ-Yuans der Republik China (Taiwan) kann die regierende Kuomintang knapp ihre Parlamentsmehrheit behaupten.
11. Dezember: Antrag Litauens auf Aufnahme in die EU.
12. November: Beitritt Mosambiks zum Commonwealth of Nations als erster Staat ohne vorhergehende koloniale Beziehung zum Vereinigten Königreich.
14. Dezember: Kroatien unterzeichnet das Abkommen von Dayton.
15./16. Dezember: Die Staats- und Regierungschefs der EU einigen sich auf den Euro als gemeinsame Währung. Man vereinbart den 1. Januar 1999 als Einführungsdatum.
14. Dezember: Friedensabkommen von Dayton für Bosnien und Herzegowina, welches die polizeiliche Zusammenarbeit unter den Staaten regelt.
17. Dezember: Nationalratswahl in Österreich. Die SPÖ wird stimmenstärkste Partei.
17. Dezember: Parlamentswahl in Russland
Wirtschaft
17. Januar: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Papua-Neuguinea
26. Februar: Fehlspekulationen und Manipulationen ihres Wertpapierhändlers Nick Leeson in Singapur führen zum Bankrott der renommierten Investmentbank Barings. Sie kann Zahlungsverpflichtungen von 1,4 Milliarden US-Dollar aus Derivatgeschäften nicht erfüllen.
6. März: Die niederländische ING Bank übernimmt zum symbolischen Preis von einem Pfund Sterling die zahlungsunfähig gewordene britische Barings Bank.
9. April: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten
21. April: Die Bukarester Börse wird neuerlich gegründet. Mit der Machtübernahme der rumänischen Kommunisten im Jahr 1945 war seither das Bank- und Finanzwesen verstaatlicht.
29. April: In Cottbus wird die erste Bundesgartenschau im Gebiet der neuen Bundesländer für Besucher geöffnet.
Mai: Die erste Electronic Entertainment Expo findet in Los Angeles statt.
18. Mai: In Miami (Florida) wird der geflüchtete und mit Haftbefehl gesuchte deutsche Bauunternehmer Jürgen Schneider zusammen mit seiner Frau Claudia festgenommen. Durch geschönte Angaben hat er über fünf Milliarden D-Mark Bankschulden aufgehäuft.
20. Juni: Shell beschließt, die Ölplattform Brent Spar an Land zu entsorgen.
3. Juli: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Ukraine
3. September: Pierre Omidyar gründet in San José (Kalifornien) das Unternehmen AuctionWeb, aus dem das Internetauktionshaus eBay hervorgeht.
15. September: In Tokio einigen sich führende Elektronikhersteller auf einen gemeinsamen technischen Standard für DVDs.
21. September: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Mongolei
16. Oktober: Schottland und die Insel Skye sind über die für den Verkehr freigegebene Skye Bridge verbunden.
16. November: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Vietnam
8. Dezember: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Venezuela
15. Dezember: In der Bosman-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wird der ablösefreie Wechsel von Profifußballspielern zu einem anderen Sportverein bei Vertragsende bestätigt. Die Anzahl der Spieler aus anderen EU-Staaten in einer Mannschaft darf außerdem nicht begrenzt werden.
Die Metallindustrie führt die 35-Stunden-Woche (mit flexiblen Regelungen) ein. Diese Arbeitszeitverkürzung war das Ergebnis der Tarifrunde der IG Metall in Bayern, die nach 41 Jahren wieder erfolgreich zum Streik aufrief. Es wurde vom Freitag, 24. Februar 1995 bis 8. März 1995 gestreikt.
Wissenschaft und Technik
1. Januar: von der automatischen Wellenmessanlage der norwegischen Ölbohrplattform Draupner-E wird während eines Sturms in der Nordsee eine einzelne Welle mit 26 m Höhe verzeichnet, die erste sichere Dokumentation einer Monsterwelle
20. Januar: Zwischen Le Havre und Honfleur wird nahe der Seinemündung die Schrägseilbrücke Pont de Normandie eingeweiht, die Brücke mit der größten Spannweite in Europa.
2. März: Physiker am Fermi National Accelerator Laboratory geben den experimentellen Nachweis des Elementarteilchens Top-Quark bekannt.
14. März: Norman Earl Thagard wird als erster US-amerikanischer Astronaut an Bord eines russischen Raumschiffs mit der Mission Sojus TM-21 zur Raumstation Mir mitgenommen.
22. März: Der sowjetische Kosmonaut Waleri Wladimirowitsch Poljakow kehrt nach dem mit 417 Tagen bisher am längsten dauernden Aufenthalt in einem Raumschiff zur Erde zurück.
25. März: Mit dem Portland Pattern Repository stellt Ward Cunningham das erste Wiki online.
Vom 28. März bis 7. April findet in Berlin die 1. UN-Klimakonferenz (COP 1) statt
29. April: Ringförmige Sonnenfinsternis im nördlichen Südamerika
5. Juni: Veröffentlichung von PHP 1.0.0
23. Juli: Die US-amerikanischen Astronomen Alan Hale und Thomas Bopp entdecken unabhängig voneinander den Kometen C/1995 O1, der den Namen Hale-Bopp erhält.
28. Juli: Mit Haemophilus influenzae wurde zum ersten Mal ein Genom eines Organismus vollständig entschlüsselt.
24. August: Microsoft veröffentlicht sein neues Betriebssystem Windows 95.
25. August: Von Hamburg-Finkenwerder aus startet der Airbus A319 zu seinem Erstflug.
3. September: Vom russischen Raumfahrtzentrum Baikonur aus startet die Mission Sojus TM-22 mit den russischen Kosmonauten Juri Pawlowitsch Gidsenko und Sergei Wassiljewitsch Awdejew sowie dem Deutschen Thomas Reiter zur Raumstation Mir.
5. Oktober: Michel Mayor und sein Assistent Didier Queloz verkünden auf dem „9th Cambridge Workshop on Cool Stars, Stellar Systems and the Sun“ die Entdeckung des ersten extrasolaren Planeten im Sternensystem 51 Pegasi.
18. Oktober: Die Stromnetze Tschechiens, Ungarns, Polens und der Slowakei werden mit den westeuropäischen UCTE-Verbundnetz synchronisiert. Die HGÜ-Kurzkupplungen in Etzenricht, Dürnrohr und Wien-Südost werden hiermit überflüssig.
24. Oktober: Totale Sonnenfinsternis in Südostasien
2. Dezember: Start der Raumsonde SOHO (Solar and Heliospheric Observatory)
27. Dezember: Fünfter registrierter Kernwaffentest des Jahres 1995 Frankreichs auf Mururoa
30. Dezember: Start des Satelliten Rossi X-ray Timing Explorer
Kultur
Siehe auch: #Musik
25. Februar: In Los Angeles werden erstmals die Screen Actors Guild Awards vergeben.
Mai: Das zweite Europäische Jugendchor Festival findet in Basel statt.
15. Mai: In München organisierten Lokalpolitiker, Wirtschaftsverbände und Medien eine sog. Biergartenrevolution gegen vorgezogene Sperrstunden für Biergärten.
16. Mai: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Rumänien
24. Juni bis 7. Juli: Christo und Jeanne-Claude: Verhüllter Reichstag, Berlin, 1971–1995
22. August: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Tadschikistan. In Kraft seit dem 18. Juni 2003.
11. Oktober: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Republik Moldau
20. Oktober: Ein Kino in Mumbai führt zum ersten Mal den Hindi-Film Wer zuerst kommt, kriegt die Braut vor. Er wird dort ununterbrochen seither gezeigt.
28. November: Eröffnung des Museu d’Art Contemporani de Barcelona
5. Dezember: Die erste Folge der Harald Schmidt Show geht im Kölner Capitol live auf Sendung.
19. Dezember: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Albanien
21. Dezember: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Armenien
22. Dezember: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Aserbaidschan
Gründung des Deutschen Museums Bonn
BackRub wird entwickelt, der Vorläufer von Google.
Die Hamburger Kunsthalle wurde um eine „Galerie der Gegenwart“ erweitert.
Cinecittà Nürnberg, das besucherstärkste Kino Deutschlands wird eröffnet.
Religion
20. August: In London wird mit dem Neasden-Tempel der zu diesem Zeitpunkt größte hinduistische Tempel außerhalb Indiens eröffnet.
Gesellschaft
6. Januar: Ein Wohnungsbrand in Manila führt zur Entdeckung der geplanten terroristischen Operation Bojinka. al-Qaida-Anhänger beabsichtigen damit neben Flugzeugattentaten auch einen Mordanschlag auf Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch der Philippinen.
18. März: Hochzeit der spanischen Königstochter Elena von Spanien mit Jaime de Marichalar
24. Juni: Enthüllung des Mahnmals für die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus in Köln
1. Juli: Hochzeit des griechischen Kronprinzen im Exil Paul von Griechenland mit Marie-Chantal Miller
23. September: In München gehen 20.000 Menschen gegen den Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auf die Straße.
Sport
Einträge von Leichtathletik-Weltrekorden siehe unter der jeweiligen Disziplin unter Leichtathletik.
6. Februar: Mit Arantxa Sánchez Vicario rückt die erste Tennisspielerin aus Spanien an die Spitze der Tennisweltrangliste.
21. Februar: Dem Ballonfahrer Steve Fossett gelingt als Erstem die Überquerung des Pazifik in einem Ballon. Nach viertägiger Fahrt landet der in Südkorea gestartete Abenteurer und Milliardär in der kanadischen Provinz Saskatchewan.
15. März: ALBA Berlin gewinnt als erstes deutsches Team den Korać-Cup (europäischer Basketball-Pokal).
26. März bis 8. Oktober: Austragung der 47. FIM-Motorrad-Straßenweltmeisterschaft
26. März bis 12. November: Austragung der 46. Formel-1-Weltmeisterschaft
8. April: Oliver McCall gewinnt seinen Boxkampf und Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Larry Holmes im Caesars Palace, Las Vegas, durch Sieg nach Punkten.
9. April: Die Kölner Haie gewinnen die erste deutsche Meisterschaft der neu gegründeten Deutschen Eishockey Liga.
22. April: George Foreman gewinnt umstritten seinen Boxkampf und Titelverteidigung im Schwergewicht gegen Axel Schulz in Las Vegas durch Sieg nach Punkten.
28./29. April: Das Wrestlingevent „Collision in Korea“ wird in Pjöngjang ausgetragen.
28. Mai: Jacques Villeneuve gewinnt die 500 Meilen von Indianapolis, nachdem er zwei Runden Rückstand – die er sich durch eine Zeitstrafe eingefangen hatte – wieder aufgeholt hatte.
17. Juni: Borussia Dortmund ist nach 32 Jahren wieder Deutscher Meister. Mit einem 2:0 gegen den Hamburger Sportverein sichern sich die Westfalen den ersten Titel in der Fußball-Bundesliga. Die Saison 1994/95 war die letzte mit der alten Zwei-Punkte-Regel.
24. Juni: Südafrika gewinnt das Finale der Rugby-Union-Weltmeisterschaft in Johannesburg 15:12 gegen Neuseeland.
24. Juni: Borussia Mönchengladbach gewinnt zum dritten Mal den DFB-Pokal. Es war der erste „große“ Erfolg für den Verein seit Jahren.
23. Juli: Der Spanier Miguel Induráin gewinnt zum fünften und letzten Mal die Tour de France. Er ist der erste Sportler, welcher dieses Rennen fünfmal in Folge gewinnen kann.
2. September: Frank Bruno gewinnt seinen Boxkampf und Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Oliver McCall im Wembley-Stadion, London, durch Sieg nach Punkten
11. September: Auf dem World Trade Center in New York beginnt die Schachweltmeisterschaft zwischen Titelverteidiger Garri Kasparow und Herausforderer Viswanathan Anand.
22. Oktober: Michael Schumacher wird zum zweiten Mal Formel-1-Weltmeister mit Benetton.
15. Dezember: Vor dem Europäischen Gerichtshof ergeht die sogenannte „Bosman-Entscheidung“.
„Europäischer Fußballer des Jahres“ wird George Weah
In England wird Jürgen Klinsmann „Fußballer des Jahres“.
Die Bayer AG zieht sich aus dem FC Bayer 05 Uerdingen zurück. Der Nachfolger des 1905 als FC Uerdingen 05 gegründeten Vereins ist der KFC Uerdingen 05.
Katastrophen
17. Januar: Ein Erdbeben der Stärke 7,2 tritt nahe Kōbe, Japan auf, tötet 6.321 und verletzt über 32.000 Menschen sowie verursacht große Sachschäden. Siehe auch Erdbeben von Kōbe 1995.
28. Mai: Ein Erdbeben der Stärke 7,5 erschüttert die Stadt Neftegorsk auf Sachalin, Russland, ca. 2.000 Tote.
29. Juni: Einsturz des Sampoong-Gebäudes in Seoul, Südkorea. 501 Menschen sterben, 937 werden verletzt und sechs bleiben vermisst.
Im Juli kommt es in Chicago zu einer schweren Hitzewelle, an der 525 Menschen durch Hitzschlag sterben.
6. September Ein Hangrutsch in den Maughan-See, in der Gipfelcaldera des Mount Parker, löst eine 6 Meter hohe Flutwelle aus die das Tal des Gao-River auf der Insel Mindanao überrollt, es sterben ca. 100 Menschen.
1. Oktober: Die Stadt Dinar, Türkei wird durch ein Erdbeben zerstört, ca. 100 Tote.
28. Oktober: Die Metro Baku trifft die bislang weltweit schwerste U-Bahn-Katastrophe. Ein vollbesetzter Zug gerät in einem Tunnel in Brand. 289 Menschen sterben, 269 kommen mit Verletzungen davon.
18. Dezember: Angola. Nach dem Start in Jamba stürzt eine überladene Lockheed L-188 Electra der kongolesischen Trans Service Airlift mit 144 Menschen an Bord ab, wovon nur drei überleben.
20. Dezember: Cali, Kolumbien. Eine aus Miami, USA kommende Boeing 757 der American Airlines stürzt während des Landeanflugs wegen eines Navigationsfehlers ab. 159 Menschen sterben, vier können gerettet werden. Siehe American-Airlines-Flug 965
Geboren
Januar
1. Januar: Florijana Ismaili, Schweizer Fußballspielerin († 2019)
1. Januar: Gökhan Akkan, türkischer Fußballspieler
1. Januar: Juri Biordi, san-marinesischer Fußballspieler
1. Januar: Jessica Jarrell, US-amerikanische Sängerin und Model
1. Januar: Poppy, US-amerikanische Musikerin und Internetpersönlichkeit
1. Januar: Kelly Vollebregt, niederländische Handballspielerin
3. Januar: Victoria Duffield, kanadische Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin
3. Januar: Kim Seolhyun, südkoreanische Sängerin und Schauspielerin
3. Januar: Tonny Vilhena, niederländischer Fußballspieler
4. Januar: Maddie Hasson, US-amerikanische Schauspielerin
4. Januar: Miguel Oliveira, portugiesischer Motorradrennfahrer
4. Januar: Sertan Yegenoglu, deutsch-türkischer Fußballspieler
5. Januar: Meindert van Buuren jr., niederländischer Automobilrennfahrer
5. Januar: Maximilian Güll, deutscher Fußballspieler
5. Januar: Jordan Orr, US-amerikanischer Filmschauspieler
6. Januar: Christian Bunse, deutscher Dartspieler
7. Januar: Enric Mas, spanischer Radrennfahrer
8. Januar: Taylan Antalyalı, türkischer Fußballspieler
8. Januar: Matti Steinmann, deutscher Fußballspieler
9. Januar: Barış Atik, türkisch-deutscher Fußballspieler
9. Januar: Julién Davenport, US-amerikanischer American-Football-Spieler
9. Januar: Loiza Lamers, niederländisches Model
9. Januar: Dominik Livaković, kroatischer Fußballtorwart
9. Januar: Nicola Peltz, US-amerikanische Schauspielerin und Model
12. Januar: Mike McGlinchey, US-amerikanischer Footballspieler
12. Januar: Alessio Romagnoli, italienischer Fußballspieler
12. Januar: Maverick Viñales, spanischer Motorradrennfahrer
13. Januar: Natalia Dyer, US-amerikanische Schauspielerin
13. Januar: Eros Vlahos, britischer Schauspieler und Comedian
14. Januar: Christian Ortag, deutscher Fußballtorwart
18. Januar: José Francisco Cevallos jr., ecuadorianischer Fußballspieler
18. Januar: Jack Miller, australischer Motorradrennfahrer
19. Januar: Mathieu van der Poel, niederländischer Radrennfahrer
19. Januar: Madelaine Smith, britische Skeletonpilotin
20. Januar: Calum Chambers, englischer Fußballspieler
20. Januar: Ariane Rädler, österreichische Skirennläuferin
21. Januar: Jake Elliott, US-amerikanischer Footballspieler
21. Januar: Andrew Watson, britischer Autorennfahrer
22. Januar: Markus Eisenschmid, deutscher Eishockeyspieler
24. Januar: Tolcay Ciğerci, deutsch-türkischer Fußballspieler
24. Januar: Maresa Sedlmeir, deutsche Synchronsprecherin
26. Januar: Felix Lohkemper, deutscher Fußballspieler
27. Januar: Vedat Bora, türkischer Fußballspieler
27. Januar: Sascha Hellinger, deutscher Streamer und Webvideoproduzent
28. Januar: Marc Oliver Kempf, deutscher Fußballspieler
28. Januar: Valentina Rodini, italienische Ruderin
29. Januar: Kubilay Aktaş, französisch-türkischer Fußballspieler
29. Januar: Cynthia Cosima, deutsche Schauspielerin
30. Januar: Danielle Campbell, US-amerikanische Schauspielerin
30. Januar: Marcel Hilßner, deutscher Fußballspieler
30. Januar: Marian Sarr, deutscher Fußballspieler
Februar
1. Februar: Oliver Heldens, niederländischer DJ und Produzent
3. Februar: Miha Hrobat, slowenischer Skirennläufer
3. Februar: Marvin Stefaniak, deutscher Fußballspieler
4. Februar: Louisa Lagaris, deutsch-griechische Fußballspielerin
5. Februar: Adnan Januzaj, belgischer Fußballspieler
5. Februar: Trayvon Martin, afroamerikanischer Jugendlicher († 2012)
6. Februar: Nyck de Vries, niederländischer Automobilrennfahrer
6. Februar: Leon Goretzka, deutscher Fußballspieler
6. Februar: Jacqueline Lölling, deutsche Skeletonpilotin
7. Februar: Paul Drux, deutscher Handballspieler
7. Februar: Nicole Vuk, ehemalige kroatische Fußballnationalspielerin
8. Februar: Kasper Asgreen, dänischer Radrennfahrer
8. Februar: Aljaksandra Hisels, weißrussische Billardspielerin
8. Februar: Joshua Kimmich, deutscher Fußballspieler
9. Februar: Sheraldo Becker, niederländischer Fußballspieler
9. Februar: Mario Pašalić, kroatischer Fußballspieler
10. Februar: Florian Baumgärtner, deutscher Handballspieler
12. Februar: Juanjo Narváez, kolumbianischer Fußballspieler
13. Februar: Bård Finne, norwegischer Fußballspieler
13. Februar: Carolin von der Groeben, deutsche Schauspielerin
13. Februar: Tibor Linka, slowakischer Kanute
14. Februar: Michaela Dygruber, österreichische Skirennläuferin
15. Februar: Sara Däbritz, deutsche Fußballspielerin
15. Februar: Mike De Decker, belgischer Dartspieler
15. Februar: Carlotta Ferlito, italienische Turnerin
15. Februar: Megan Thee Stallion, US-amerikanische Rapperin
16. Februar: Giada Andreutti, italienische Leichtathletin und Bobfahrerin
16. Februar: Denzel Curry, US-amerikanischer Rapper und Sänger
17. Februar: Matt Campbell, australischer Autorennfahrer
18. Februar: Nathan Aké, niederländischer Fußballspieler
19. Februar: Marcus Monsen, norwegischer Skirennläufer
21. Februar: Tim Hölscher, deutscher Fußballspieler
21. Februar: Dongsu Kim, südkoreanischer Fußballspieler
22. Februar: Moritz Preuss, deutscher Handballspieler
23. Februar: Paula Beer, deutsche Schauspielerin
24. Februar: Luca Ghiotto, italienischer Automobilrennfahrer
24. Februar: Kevin Orendorz, deutscher Eishockeyspieler
24. Februar: Emanuel Taffertshofer, deutscher Fußballspieler
25. Februar: Francesca Michielin, italienische Popsängerin
März
1. März: Vincent Abril, französischer Autorennfahrer
1. März: Emil Ferrari, deutscher Comedian
1. März: Ida Jacobsen, dänische Ruderin
2. März: Fabian Bredlow, deutscher Fußballtorwart
2. März: Matthew Di Leo, kanadischer Automobilrennfahrer
2. März: Veronica Dunne, US-amerikanische Schauspielerin
2. März: Morgan Klimchuk, kanadischer Eishockeyspieler
3. März: Bryan Cristante, italienischer Fußballspieler
4. März: Diego Casas, uruguayischer Fußballspieler
4. März: Folorunso Fatukasi, US-amerikanischer American-Football-Spieler
5. März: Alba Gaïa Bellugi, französische Schauspielerin
5. März: Sage Karam, US-amerikanischer Automobilrennfahrer
5. März: Tobias Trautner, deutscher Fußballtorwart
6. März: Sonja Giraud, deutsche Fußballspielerin
7. März: Jekaterina Tkatschenko, russische Skirennläuferin
8. März: Luca Brecel, belgischer Snookerspieler
10. März: Tom Deman, belgischer Fußballspieler
10. März: Beitske Visser, niederländische Automobilrennfahrerin
12. März: Caro Daur, deutsche Bloggerin, Instagrammerin und Schauspielerin
13. März: Jasmin Huber, deutsche Grasskiläuferin
13. März: Mikaela Shiffrin, US-amerikanische Skirennläuferin
13. März: Anna Wiktorowna Wjachirewa, russische Handballspielerin
17. März: Kyle Lauletta, US-amerikanischer Footballspieler
18. März: Dino Dizdarevic, deutscher Basketballspieler
18. März: Joel Dufter, deutscher Eisschnellläufer
19. März: Héctor Bellerín, spanischer Fußballspieler
21. März: Helen Barke, deutsche Schauspielerin
22. März: Sharon Beck, deutsche Fußballspielerin
22. März: Ian Gut, Schweizer und liechtensteinischer Skirennfahrer
22. März: Lukas Karlsch, deutscher Schauspieler
22. März: Nick Robinson, US-amerikanischer Schauspieler
23. März: Will Owen, US-amerikanischer Automobilrennfahrer
23. März: Ozan Tufan, türkischer Fußballspieler
24. März: Andreas Kuen, österreichischer Fußballspieler
25. März: Elias Tollinger, österreichischer Skispringer
27. März: Taylor Marie Atelian, US-amerikanische Schauspielerin
29. März: Denys Nassyko, ukrainischer Biathlet
30. März: Ian Harkes, US-amerikanischer Fußballspieler
30. März: Tao Geoghegan Hart, britischer Radrennfahrer
April
1. April: Karim Gazzetta, Schweizer Fußballspieler († 2022)
2. April: Antti Aalto, finnischer Skispringer
2. April: Oğuzhan Kayar, türkischer Fußballspieler
3. April: Pascal Itter, deutscher Fußballspieler
3. April: Adrien Rabiot, französischer Fußballspieler
3. April: William, brasilianischer Fußballspieler
4. April: Dmitri Balandin, kasachischer Schwimmer
5. April: Clara Direz, französische Skirennläuferin
5. April: Nadine Kösters, deutsche Schauspielerin
7. April: Samuel Schneider, deutscher Schauspieler
8. April: Zach Garrett, US-amerikanischer Bogenschütze
8. April: Harald Johnas Riiber, norwegischer Nordischer Kombinierer
10. April: Matteo Fabbro, italienischer Radrennfahrer
10. April: Ross Stewart, schottischer Fußballspieler
11. April: Ryan Hanson Bradford, US-amerikanischer Schauspieler
11. April: Shirin David, deutsche Rapperin, Sängerin und Webvideoproduzentin
11. April: Hannes Zingerle, italienischer Skirennläufer
12. April: Eric Loughran, US-amerikanischer Freestyle-Skier
13. April: Uljana Podpalnaja, russische Badmintonspielerin
14. April: Julius Nitschkoff, deutscher Schauspieler
15. April: José Arnáiz, spanischer Fußballspieler
15. April: Anna Platen, deutsche Schauspielerin und Model
16. April: Jasmina Suter, Schweizer Skirennläuferin
17. April: Moritz Jahn, deutscher Schauspieler
19. April: Kevin Akpoguma, deutsch-nigerianischer Fußballspieler
24. April: Dominic Baumann, deutscher Fußballspieler
25. April: Carljohan Eriksson, finnischer Fußballtorhüter
25. April: Scott Galloway, australischer Fußballspieler
26. April: Christian M'Billi-Assomo, französischer Boxer
28. April: Melanie Martinez, US-amerikanische Sängerin
28. April: Derk Telnekes, niederländischer Dartspieler
Mai
3. Mai: Iwan Bukawschin, russischer Schachgroßmeister († 2016)
5. Mai: Raman Pratassewitsch, weißrussischer oppositioneller Blogger
6. Mai: Marko Pjaca, kroatischer Fußballspieler
8. Mai: Nicola Sutter, Schweizer Fußballspieler
10. Mai: Dries Van den Broecke, belgischer Skirennläufer
10. Mai: Mikaela Tommy, kanadische Skirennläuferin
11. Mai: Gelson Martins, portugiesischer Fußballspieler
11. Mai: Lorenzo Sonego, italienischer Tennisspieler
12. Mai: Luke Benward, US-amerikanischer Schauspieler und Sänger
14. Mai: Nicat Abbasov, aserbaidschanischer Schachmeister
14. Mai: Nadine Anstatt, deutsche Fußballspielerin
15. Mai: Joachim Sutton, dänischer Ruderer
16. Mai: Leevi Mutru, finnischer Nordischer Kombinierer
18. Mai: Martin Rasner, österreichischer Fußballspieler
19. Mai: Yahya Hassan, dänischer Dichter palästinensischer Herkunft († 2020)
19. Mai: Trent Sieg, US-amerikanischer American-Football-Spieler
21. Mai: Darja Gowor, russische Wasserspringerin
22. Mai: Gizem Emre, deutsche Schauspielerin
22. Mai: Vedran Kjosevski, bosnischer Fußballtorwart
23. Mai: Lorenzo Rota, italienischer Radrennfahrer
23. Mai: Young-Jae Seo, südkoreanischer Fußballspieler
24. Mai: Dario Del Fabro, italienischer Fußballspieler
24. Mai: Anna-Lena Grell, deutsche Handballspielerin
24. Mai: Joseph Wenzel von Liechtenstein, liechtensteinischer Thronerbe
27. Mai: Marius Wolf, deutscher Fußballspieler
29. Mai: Joss Advocaat, kanadischer Geschwindigkeitsskifahrer
29. Mai: Julián Figueroa, mexikanischer Sänger, Komponist und Schauspieler(† 2023)
31. Mai: Timothé Buret, französischer Automobilrennfahrer
31. Mai: Janina Fautz, deutsche Schauspielerin
Juni
1. Juni: Sarah Atcho, Schweizer Sprinterin
1. Juni: Tim Hronek, deutscher Freestyle-Skier
5. Juni: Linn-Ida Murud, norwegische Freestyle-Skierin
5. Juni: Troye Sivan, australisch-südafrikanischer Sänger
6. Juni: Julian Green, deutsch-amerikanischer Fußballspieler
6. Juni: Štefan Hadalin, slowenischer Skirennläufer
6. Juni: David Selberg, schwedischer Eishockeyspieler († 2018)
8. Juni: Sione Takitaki, US-amerikanischer American-Football-Spieler
9. Juni: Jimmy Duquennoy, belgischer Radrennfahrer († 2018)
11. Juni: Malte Abelmann-Brockmann, deutscher Handballspieler
12. Juni: Meril Beilmann, estnische Biathletin
14. Juni: Arran Fernandez, britischer Mathematiker
14. Juni: Laquon Treadwell, US-amerikanischer American-Football-Spieler
16. Juni: Enzo Guibbert, französischer Autorennfahrer
16. Juni: Joo Da-young, südkoreanische Schauspielerin
16. Juni: Kendra Sunderland, US-amerikanische Pornodarstellerin
17. Juni: Clément Lenglet, französischer Fußballspieler
19. Juni: Boris Cespedes, Schweizer Fußballspieler
19. Juni: Joseph Noteboom, US-amerikanischer American-Football-Spieler
20. Juni: Franck Bonnamour, französischer Radrennfahrer
20. Juni: Marius Gersbeck, deutscher Fußballspieler
22. Juni: Alessio Rovera, italienischer Autorennfahrer
23. Juni: Danna Paola, mexikanische Schauspielerin
21. Juni: Hannah Tapp, US-amerikanische Volleyballspielerin
26. Juni: Emre Akdağ, türkischer Fußballspieler
26. Juni: Paul Kohlhoff, deutscher Regattasegler
27. Juni: Dmitri Suranowitsch, russischer Automobilrennfahrer
28. Juni: Kaan Aşnaz, türkischer Fußballspieler
28. Juni: Matheus Biteco, brasilianischer Fußballspieler († 2016)
28. Juni: Kåre Hedebrant, schwedischer Schauspieler
28. Juni: Katharina Trost, deutsche Leichtathletin
29. Juni: Ben Berend, US-amerikanischer Nordischer Kombinierer
29. Juni: Nicholas Latifi, kanadischer Automobilrennfahrer
30. Juni: Pia Amofa-Antwi, deutsche Schauspielerin
30. Juni: Andrea Petagna, italienischer Fußballspieler
30. Juni: Dmitri Schamajew, russisch-rumänischer Biathlet
30. Juni: Andrzej Stękała, polnischer Skispringer
Juli
1. Juli: Charleen Deetz, deutsche Schauspielerin
1. Juli: Ebenezer Ofori, ghanaischer Fußballspieler
1. Juli: Krzysztof Piątek, polnischer Fußballspieler
1. Juli: Andrew Van Ginkel, US-amerikanischer American-Football-Spieler
2. Juli: Dominik Kahun, deutsch-tschechischer Eishockeyspieler
2. Juli: Paula Kroh, deutsche Schauspielerin
3. Juli: Felipe Fraga, brasilianischer Autorennfahrer
4. Juli: Johann André Forfang, norwegischer Skispringer
4. Juli: Post Malone, US-amerikanischer Sänger
5. Juli: Sandro Simonet, Schweizer Skirennfahrer
7. Juli: Alexander Brunst, deutscher Fußballspieler
7. Juli: Sondre Solholm Johansen, norwegischer Fußballspieler
8. Juli: Marc Cardona, spanischer Fußballspieler
8. Juli: Tamara Derbuschewa, russische Biathletin
9. Juli: Georgie Henley, britische Filmschauspielerin
9. Juli: Aaron McEneff, nordirischer Fußballspieler
10. Juli: Trayvon Bromell, US-amerikanischer Sprinter
10. Juli: Kaden Elliss, US-amerikanischer American-Football-Spieler
12. Juli: Luke Shaw, englischer Fußballspieler
12. Juli: Jordyn Wieber, US-amerikanische Gerätturnerin, Weltmeisterin und Olympiasiegerin
14. Juli: Serge Gnabry, deutscher Fußballspieler
14. Juli: Federico Mattiello, italienischer Fußballspieler
16. Juli: Torstein Træen, norwegischer Radrennfahrer
16. Juli: Hendrik Weydandt, deutscher Fußballspieler
17. Juli: Raffaele Buzzi, italienischer Nordischer Kombinierer
19. Juli: Jannik Kohlbacher, deutscher Handballspieler
25. Juli: Daniele Varesco, italienischer Skispringer
26. Juli: Jole Galli, italienische Skirennläuferin und Freestyle-Skierin
27. Juli: Cees Bol, niederländischer Radrennfahrer
30. Juli: Olivier Kwizera, ruandischer Fußballspieler
31. Juli: Daniele Negroni, deutscher Sänger
31. Juli: Lil Uzi Vert, US-amerikanischer Rapper
August
1. August: Jason Cummings, schottischer Fußballspieler
1. August: Garrett Gerloff, US-amerikanischer Motorradrennfahrer
2. August: Foyesade Oluokun, US-amerikanischer Footballspieler
2. August: Kristaps Porziņģis, lettischer Basketballspieler
3. August: David Hürten, deutscher Schauspieler
3. August: Vojtěch Štursa, tschechischer Skispringer
3. August: Kenta Yamashita, japanischer Autorennfahrer
4. August: Serena Lo Bue, italienische Ruderin
5. August: Pierre Emile Højbjerg, dänischer Fußballspieler
5. August: Stefano Sensi, italienischer Fußballspieler
6. August: Michaela Heider, österreichische Skirennläuferin
6. August: Jasper Smets, deutscher Schauspieler
7. August: Florian Grillitsch, österreichischer Fußballspieler
8. August: Lorena Aires, uruguayische Leichtathletin
8. August: Emre Taşdemir, türkischer Fußballspieler
9. August: Lena Lückel, deutsche Fußballspielerin
10. August: Oskar Brandt, schwedischer Biathlet
10. August: Rémi Cavagna, französischer Radrennfahrer
11. August: Brad Binder, südafrikanischer Motorradrennfahrer
11. August: Ben Davies, englischer Fußballspieler
11. August: Charlie Eastwood, irischer Autorennfahrer
11. August: Madeline Juno, deutsche Singer-Songwriterin
13. August: John Ruuka, kiribatischer Sprinter
14. August: Filippo Tagliani, italienischer Radrennfahrer
18. August: Max Reschke, deutscher Schauspieler
19. August: Annika Schrumpf, deutsche Schauspielerin
20. August: Zsá Zsá Inci Bürkle, deutsche Schauspielerin
20. August: Liana Liberato, US-amerikanische Schauspielerin
21. August: Shady Habash, ägyptischer Filmemacher († 2020)
21. August: Vanessa Wahlen, deutsche Fußballspielerin
21. August: Maximilian Wittek, deutscher Fußballspieler
22. August: Huang Wenpan, chinesischer Schwimmer († 2018)
22. August: Salih Yoluç, türkischer Autorennfahrer
22. August: Sinphet Kruaithong, thailändischer Gewichtheber
22. August: Dua Lipa, britische Sängerin
23. August: Sophia Schiller, österreichische Schauspielerin
25. August: Nadja Glenzke, deutsche Volleyballspielerin
27. August: David Nolden, deutscher Schauspieler
27. August: Sergei Sirotkin, russischer Automobilrennfahrer
28. August: Amina Merai, deutsche Schauspielerin
28. August: Andreas Wellinger, deutscher Skispringer
30. August: Dženis Ueh Avdić, serbischer Biathlet
31. August: Mobolade Ajomale, kanadischer Sprinter
31. August: Léo Roussel, französischer Automobilrennfahrer
September
1. September: Mavi Phoenix, österreichischer Musiker
2. September: Deimantas Petravičius, litauischer Fußballspieler
3. September: Niklas Süle, deutscher Fußballspieler
4. September: Pauline Angert, deutsche Schauspielerin
4. September: Laurens De Plus, belgischer Radrennfahrer
6. September: Tommaso Sala, italienischer Skirennläufer
6. September: Bertrand Traoré, burkinischer Fußballspieler
8. September: Fabian Arndt, deutscher Fußballspieler
8. September: Julian Weigl, deutscher Fußballspieler
9. September: André Rudersdorf, deutscher Automobilrennfahrer
10. September: Arda Arslan, türkischer Fußballspieler
10. September: Sophie Karbjinski, deutsche Schauspielerin
11. September: Francesco Yates, kanadischer Sänger
12. September: Leonie Tepe, deutsche Schauspielerin
12. September: Benjamin Thomas, französischer Radrennfahrer
14. September: Sander Sagosen, norwegischer Handballspieler
17. September: Patrick Mahomes, US-amerikanischer American-Football-Spieler
18. September: Max Meyer, deutscher Fußballspieler
20. September: Laura Dekker, niederländisch-deutsch-neuseeländische Seglerin
25. September: Jean-Philippe Gbamin, ivorisch-französischer Fußballspieler
27. September: Lena Beyerling, deutsche Schauspielerin
27. September: Lina Leandersson, schwedische Schauspielerin
29. September: Anastassija Tolmatschowa, russisch-rumänische Biathletin
30. September: Victor Andrade Santos, brasilianischer Fußballspieler
Oktober
3. Oktober: Mike Gesicki, US-amerikanischer Footballspieler
5. Oktober: Nickless, Schweizer Sänger
7. Oktober: Lina Bürger, deutsche Fußballspielerin
7. Oktober: Irina Kurbanova, deutsche Schauspielerin
11. Oktober: Nils Hohenhövel, deutscher Schauspieler
11. Oktober: Darja Alexandrowna Owtschinnikowa, russische Skirennläuferin
12. Oktober: Nathan Van Hooydonck, belgischer Radrennfahrer
13. Oktober: Jimin (Sänger), südkoreanischer Sänger
15. Oktober: Jakob Pöltl, österreichischer Basketballspieler
16. Oktober: Dinah Eckerle, deutsche Handballtorhüterin
16. Oktober: Harry Leask, britischer Ruderer
16. Oktober: Greta Small, australische Skirennläuferin
17. Oktober: Benoît Cosnefroy, französischer Radrennfahrer
17. Oktober: Natalja Gerbulowa, russische Biathletin
18. Oktober: Siri Wiedenbusch, deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin
21. Oktober: Doja Cat, US-amerikanische Rapperin und Sängerin
22. Oktober: Lee Jun-ho, südkoreanischer Turner
23. Oktober: Ireland Baldwin, US-amerikanisches Model
25. Oktober: Conchita Campbell, kanadische Schauspielerin
27. Oktober: Leon Draisaitl, deutscher Eishockeyspieler
27. Oktober: Alina Otto, deutsche Handballspielerin
28. Oktober: Maddy Cusack, englische Fußballspielerin († 2023)
29. Oktober: Emma Drogunova, deutsche Schauspielerin
31. Oktober: Maksim Anohhin, estnischer Eishockeyspieler
November
1. November: Michaela Wessely, deutsche Volleyballspielerin
2. November: Alwin Komolong, papua-neuiguineeischer Fußballspieler
3. November: Kelly Catlin, US-amerikanische Radsportlerin († 2019)
4. November: Gustav Malja, schwedischer Automobilrennfahrer
5. November: Tamara Horacek, kroatisch-französische Handballspielerin
8. November: Klengan, deutscher Webvideoproduzent, Buchautor und Schauspieler
10. November: Lewis Irving, kanadischer Freestyle-Skier
12. November: Philipp Aschenwald, österreichischer Skispringer
13. November: Denise Blöchlinger, Schweizer Grasskiläuferin
13. November: Theresa Panfil, deutsche Fußballspielerin
14. November: Sandra Eie, norwegische Freestyle-Skierin
14. November: Tristan Takats, österreichischer Freestyle-Skier
15. November: Anna Kljestowa, ukrainische Billardspielerin
16. November: Noah Gray-Cabey, US-amerikanischer Schauspieler und Pianist
16. November: Kurt Ipekkaya, deutscher Schauspieler
16. November: Jay Vine, australischer Radrennfahrer
23. November: Austin Majors, US-amerikanischer Schauspieler († 2023)
23. November: Erika Jänkä, finnische Biathletin
24. November: Kateryna Polowyntschuk, ukrainische Poolbillardspielerin
25. November: Ben O’Connor, australischer Radrennfahrer
27. November: Leonard Proxauf, österreichischer Schauspieler
28. November: Chase Elliott, US-amerikanischer Automobilrennfahrer
28. November: Tin Jedvaj, kroatischer Fußballspieler
29. November: Laura Marano, US-amerikanische Schauspielerin
30. November: Victoria Duval, US-amerikanische Tennisspielerin
30. November: Denis Myšák, slowakischer Kanute
Dezember
2. Dezember: Lukas T. Sperber, deutscher Schauspieler und Sprecher
2. Dezember: Simone Velasco, italienischer Radrennfahrer
3. Dezember: Timon Wellenreuther, deutscher Fußballtorwart
4. Dezember: Dina Asher-Smith, britische Sprinterin
4. Dezember: Vita Tepel, deutsche Schauspielerin
5. Dezember: Nicolas Jamin, französischer Automobilrennfahrer
5. Dezember: Anthony Martial, französischer Fußballspieler
6. Dezember: Joy Gruttmann, deutsche Sängerin
8. Dezember: Álex Rins, spanischer Motorradrennfahrer
8. Dezember: Rita Zeqiri, kosovarische Schwimmerin
9. Dezember: Andrew Fowler, guyanischer Schwimmer
9. Dezember: Maxim Makarow, russisch-moldawischer Biathlet
9. Dezember: McKayla Maroney, US-amerikanische Kunstturnerin
10. Dezember: Lorenzo Carter, US-amerikanischer American-Football-Spieler
10. Dezember: Tacko Fall, senegalesischer Basketballspieler
10. Dezember: Marc Stendera, deutscher Fußballspieler
11. Dezember: Martin Valjent, slowakischer Fußballspieler
13. Dezember: Emilee Anderson, US-amerikanische Skispringerin
13. Dezember: Marvin Friedrich, deutscher Fußballspieler
14. Dezember: Joacim Ødegård Bjøreng, norwegischer Skispringer
18. Dezember: Mads Pedersen, dänischer Radrennfahrer
19. Dezember: Annemarie Worst, niederländische Radrennfahrerin
20. Dezember: Feliks Zemdegs, australischer Speedcuber
22. Dezember: Kalen Ballage, US-amerikanischer American-Football-Spieler
24. Dezember: Phillip Sjøen, norwegischer Skispringer
28. Dezember: Mauricio Lemos, uruguayischer Fußballspieler
29. Dezember: Ross Lynch, US-amerikanischer Sänger, Schauspieler und Tänzer
30. Dezember: V (Sänger), südkoreanischer Sänger
Datum unbekannt
AVEC, österreichische Songwriterin und Musikerin
Julie Burkardt, Schweizer Schauspielerin und Produzentin
Justus Johanssen, deutscher Schauspieler
Sophie Jones (Pseudonym), deutsche Autorin und Aktivistin
Niklas Nißl, deutscher Schauspieler
Samuel Prost, deutscher Schauspieler
Tamara Romera Ginés, spanische Schauspielerin
Nellie Thalbach, deutsche Schauspielerin
Helen Woigk, deutsche Schauspielerin
Gestorben
Dies ist eine Liste der bedeutendsten Persönlichkeiten, die 1995 verstorben sind. Für eine ausführlichere Liste siehe Nekrolog 1995.
Januar
1. Januar: H. E. Erwin Walther, deutscher Komponist und Musikpädagoge (* 1920)
1. Januar: Eugene Paul Wigner, US-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger (* 1902)
2. Januar: Siad Barre, somalischer Präsident (* 1919)
3. Januar: Tadeáš Salva, tschechischer Komponist (* 1937)
4. Januar: Eduardo Mata, mexikanischer Komponist (* 1942)
5. Januar: Benjamin Robert Rich, US-amerikanischer Flugzeugkonstrukteur (* 1925)
6. Januar: Ernesto Soto venezolanischer Autorennfahrer (* 1943)
7. Januar: Harry Golombek, britischer Schachspieler (* 1911)
8. Januar: Carlos Monzón, argentinischer Boxer (* 1942)
9. Januar: Gisela Mauermayer, deutsche Leichtathletin (* 1913)
9. Januar: Prinz Souphanouvong, laotischer Politiker (* 1909)
10. Januar: Roy Ashton, britischer Maskenbildner (* 1909)
11. Januar: Heiner Pudelko, deutscher Rocksänger (* 1948)
12. Januar: Kay Aldridge, US-amerikanische Schauspielerin (* 1917)
12. Januar: Nicolas Hajj, libanesischer Erzbischof (* 1907)
13. Januar: Hermann Bachmann, deutscher Maler (* 1922)
13. Januar: Karl Junker, deutscher Schachproblemkomponist (* 1905)
16. Januar: Hans-Jürgen Nierentz, deutscher Schriftsteller und Fernsehintendant (* 1909)
17. Januar: Giovanni Lurani, italienischer Automobildesigner und Rennfahrer (* 1905)
17. Januar: Miguel Torga, portugiesischer Schriftsteller (* 1907)
18. Januar: Adolf Butenandt, deutscher Chemiker, Nobelpreisträger (* 1903)
18. Januar: Georg K. Glaser, deutschsprachiger französischer Schriftsteller (* 1910)
19. Januar: Hermann Henselmann, deutscher Architekt (* 1905)
20. Januar: Mehdi Bāzargān, iranischer Politiker und Ministerpräsident 1979 (* 1907)
21. Januar: Edward Hidalgo, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1912)
22. Januar: Rose Kennedy, Mutter von John F. Kennedy (* 1890)
24. Januar: Erhard Agricola, deutscher Sprachwissenschaftler und Schriftsteller (* 1921)
24. Januar: Edward Colman, US-amerikanischer Kameramann (* 1905)
25. Januar: Fritz Dorls, deutscher Politiker (* 1910)
26. Januar: Erwin Schliephake, deutscher Mediziner (* 1894)
27. Januar: Karl Kayser, deutscher Theaterintendant (* 1914)
27. Januar: Jean Tardieu, französischer Dichter und Dramatiker (* 1903)
28. Januar: Aldo Gordini, französischer Automobilrennfahrer (* 1921)
30. Januar: Antonio Brivio, italienischer Automobilrennfahrer, Bobfahrer und Motorsportfunktionär (* 1905)
30. Januar: Fritz Buri, Pfarrer und Professor für Theologie (* 1907)
31. Januar: George Abbott, US-amerikanischer Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler (* 1887)
Februar
1. Februar: Karl Gruber, österreichischer Politiker und Diplomat (* 1909)
2. Februar: Fred Perry, britischer Tischtennis- und Tennisspieler (* 1909)
2. Februar: Donald Pleasence, US-amerikanischer Schauspieler (* 1919)
3. Februar: Nicolás Lindley López, Chef einer peruanischen Militärjunta im Jahre 1963 (* 1908)
4. Februar: Godfrey Brown, britischer Leichtathlet und Olympiasieger (* 1915)
4. Februar: Patricia Highsmith, US-amerikanische Schriftstellerin (* 1921)
4. Februar: Walter Zeller, deutscher Motorradrennfahrer (* 1927)
5. Februar: Frank Costin, britischer Fahrzeugdesigner (* 1920)
5. Februar: Doug McClure, US-amerikanischer Schauspieler (* 1935)
6. Februar: Mira Lobe, österreichische Kinderbuchautorin (* 1913)
6. Februar: Art Taylor, US-amerikanischer Jazz-Schlagzeuger (* 1929)
7. Februar: Alfred Heuß, deutscher Althistoriker (* 1909)
7. Februar: Massimo Pallottino, italienischer Archäologe (* 1909)
8. Februar: Joseph Maria Bocheński, polnischer Philosoph und Logiker (* 1902)
9. Februar: James William Fulbright, US-amerikanischer Politiker (* 1905)
9. Februar: Eugen Loderer, deutscher Gewerkschaftsfunktionär (* 1920)
10. Februar: Heinrich Drerup, deutscher Archäologe (* 1908)
12. Februar: Nat Holman, US-amerikanischer Basketballspieler und -trainer (* 1896)
13. Februar: Edward Bury, polnischer Komponist, Dirigent, Pianist und Musikpädagoge (* 1919)
14. Februar: Maria Andergast, österreichische Schauspielerin (* 1912)
14. Februar: Ischa Meijer, niederländischer Journalist, Schriftsteller und Talkmaster (* 1943)
14. Februar: U Nu, myanmarischer Politiker (* 1907)
15. Februar: Lucio Agostini, kanadischer Komponist, Arrangeur und Dirigent (* 1913)
15. Februar: Sergio Bertoni, italienischer Fußballspieler und -trainer (* 1915)
15. Februar: Rachid Baba Ali Ahmed, algerischer Musiker und Musikproduzent (* 1946)
15. Februar: Arna Mer-Chamis, israelische Menschenrechtsaktivistin (* 1929)
17. Februar: Werner Bruschke, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt (* 1898)
19. Februar: Schlomo Salman Auerbach, israelischer Rabbiner, Posek und Schulhaupt (* 1910)
19. Februar: John Howard, US-amerikanischer Schauspieler (* 1913)
23. Februar: James Herriot, englischer Tierarzt und Schriftsteller (* 1916)
24. Februar: René Ahlberg, deutscher Soziologe (* 1930)
24. Februar: Hans Hessling, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1903)
24. Februar: Roberto Ago, italienischer Jurist, Mitglied der UN-Völkerrechtskommission, Richter am Internationalen Gerichtshof (* 1907)
25. Februar: Rudolf Hausner, österreichischer Maler und Graphiker (* 1914)
26. Februar: Willie Johnson, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1923)
27. Februar: Ann Ayars, US-amerikanische Schauspielerin und Opernsängerin (Sopran) (* 1918)
28. Februar: Bill Richards, kanadischer Geiger und Komponist (* 1923)
28. Februar: Max Rudolf, deutsch-amerikanischer Dirigent (* 1902)
März
1. März: Eugenio Corecco, römisch-katholischer Bischof im Bistum Lugano (* 1931)
1. März: Jackie Holmes, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1920)
1. März: Georges J. F. Köhler, deutscher Biologe und Nobelpreisträger (* 1946)
4. März: Eden Ahbez, US-amerikanischer Komponist (* 1908)
4. März: Kurt E. Ludwig, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1924)
6. März: Barbara Lass, Filmschauspielerin (* 1940)
6. März: Friedrich Salomon Rothschild, deutsch-jüdischer Neurologe und Psychoanalytiker (* 1899)
6. März: Yakov Soroker, israelischer Geiger und Musikwissenschaftler (* 1920)
7. März: Jean Meckert, französischer Schriftsteller (* 1910)
7. März: Norman Rosten, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1913)
7. März: Imogen Seger, deutsch-amerikanische Soziologin (* 1915)
7. März: Kazimierz Wiłkomirski, polnischer Komponist, Dirigent, Cellist und Musikpädagoge (* 1900)
8. März: Gomikawa Jumpei, japanischer Schriftsteller (* 1916)
8. März: Stephan László, österreichischer Bischof (* 1913)
8. März: Ingo Schwichtenberg, Schlagzeuger der Band Helloween (* 1965)
9. März: Edward Bernays, prägte für seinen Beruf die Bezeichnung PR-Berater (* 1891)
11. März: Rein Aun, sowjetischer Leichtathlet (* 1940)
11. März: Lotte Rausch, deutsche Schauspielerin (* 1911)
12. März: Vytautas Kasiulis, litauischer Maler und Kunsthändler (* 1918)
12. März: Rick Muther, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1935)
13. März: Juliette Pétrie, kanadische Schauspielerin, Komikerin, Sängerin und Tänzerin (* 1900)
14. März: William Alfred Fowler, US-amerikanischer Physiker (* 1911)
15. März: Wolfgang Harich, Philosoph und Journalist in der DDR (* 1923)
16. März: Simon Fraser, 15. Lord Lovat, schottischer General und Kommandoführer im Zweiten Weltkrieg (* 1911)
16. März: Heinrich Sutermeister, Schweizer Komponist (* 1910)
17. März: Rick Aviles, US-amerikanischer Stand-up-Comedian und Schauspieler (* 1952)
17. März: Flor Contemplacion, philippinische Doppelmörderin (* 1953)
17. März: Sunnyland Slim, US-amerikanischer Blues-Pianist (* 1907)
18. März: Jacques Labrecque, kanadischer Folksänger und Musikproduzent (* 1917)
18. März: Tun Datuk Pengiran Haji Ahmad Raffae, 2. zeremonielles Staatsoberhaupt des malaysischen Bundesstaats Sabah (* 1907)
19. März: Trevor Blokdyk, südafrikanischer Speedway- und Automobilrennfahrer (* 1935)
19. März: Max Braithwaite, kanadischer Schriftsteller (* 1911)
20. März: Michael Arneth, deutscher Theologe und Lehrer (* 1905)
20. März: Werner Liebrich, deutscher Fußballspieler und Trainer (* 1927)
21. März: Bernard Martin, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1905)
22. März: Henri Xhonneux, belgischer Filmemacher (* 1945)
24. März: Chet Mutryn, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1921)
24. März: Joseph Needham, britischer Sinologe und Biochemiker (* 1900)
25. März: James Samuel Coleman, US-amerikanischer Soziologe (* 1926)
25. März: Philip Stuart Milner-Barry, britischer Schachmeister (* 1906)
26. März: Eazy-E, US-amerikanischer Rapper (* 1964)
27. März: Albert Drach, österreichischer Jurist und Schriftsteller (* 1902)
28. März: Hanns Joachim Friedrichs, deutscher Fernsehmoderator (* 1927)
28. März: Albert Pratz, kanadischer Geiger, Dirigent, Komponist und Musikpädagoge (* 1914)
29. März: Antony Hamilton, britischer Filmschauspieler (* 1952)
31. März: Roberto Juarroz, argentinischer Schriftsteller (* 1925)
31. März: Selena Quintanilla-Pérez, US-Musikstar; Grammy-Gewinnerin; ermordet von der Präsidentin ihres Fan-Clubs (* 1971)
April
2. April: Julius Arthur Hemphill, US-amerikanischer Jazzmusiker (* 1938)
3. April: Ilsemarie Schnering, deutsche Schauspielerin (* 1916)
4. April: Hubert F. Armbruster, deutscher Jurist und Professor (* 1911)
4. April: Gorg Braun, deutscher Motorradrennfahrer (* 1918)
5. April: Bill Lange, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1928)
5. April: Claire Pratt, kanadische Grafikerin, Lyrikerin und Herausgeberin (* 1921)
8. April: Hans Bodensteiner, deutscher Politiker (* 1912)
8. April: Karl Terheyden, Kapitän und Hochschullehrer für Nautik (* 1916)
9. April: Oscar Heiler, deutscher Schauspieler (* 1906)
10. April: Anja Ignatius, finnische Geigerin und Musikpädagogin (* 1911)
13. April: John Austrheim, norwegischer Wirtschaftsmanager und Politiker (* 1912)
16. April: Cheyenne Brando, tahitianisches Model (* 1970)
16. April: Iqbal Masih, pakistanischer Ex-Kindersklave und Menschenrechtsaktivist (* 1982)
18. April: Arturo Frondizi Ercoli, argentinischer Politiker und Präsident (* 1908)
21. April: Gerhard Scholten, österreichischer Autor (* 1923)
22. April: Carlo Ceresoli, italienischer Fußballspieler und -trainer (* 1910)
23. April: Paul Bürks, deutscher Schauspieler, Synchron- und Hörspielsprecher (* 1916)
24. April: Hideyuki Ashihara, japanischer Karateka (* 1944)
25. April: Lou Ambers, US-amerikanischer Boxer (* 1913)
25. April: Andrea Fortunato, italienischer Fußballspieler (* 1971)
27. April: Willem Frederik Hermans, niederländischer Schriftsteller (* 1921)
Mai
2. Mai: Agnes Kraus, deutsche Schauspielerin (* 1911)
2. Mai: Werner Veigel, Chefsprecher der Tagesschau der ARD (* 1928)
5. Mai: Michail Moissejewitsch Botwinnik, russischer Schachspieler (* 1911)
7. Mai: María Luisa Bemberg, argentinische Drehbuchautorin, Film- und Theaterregisseurin (* 1922)
8. Mai: Arwed Blomeyer, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1906)
10. Mai: Joe Vetrano, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1918)
11. Mai: David Avidan, israelischer Schriftsteller (* 1934)
11. Mai: Hans-Joachim Böhme, Minister für Hoch- und Fachschulwesen der DDR (* 1931)
11. Mai: Tibor Sárai, ungarischer Komponist (* 1919)
12. Mai: Rodrigo Arenas Betancur, kolumbianischer Schriftsteller und Bildhauer (* 1919)
12. Mai: Mia Martini, italienische Sängerin (* 1947)
12. Mai: Adolfo Alfredo Pedernera, argentinischer Fußballspieler und -trainer (* 1918)
13. Mai: Alan Maley, britischer Maler und Spezialeffektkünstler (* 1931)
13. Mai: Wolfgang von Zeynek, deutscher Jurist (* 1908)
16. Mai: Red Amick, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1929)
18. Mai: Francis Judd Cooke, US-amerikanischer Komponist, Organist, Pianist, Cellist, Dirigent und Musikpädagoge (* 1910)
18. Mai: Alexander Borissowitsch Godunow, russischer Tänzer und Schauspieler (* 1949)
18. Mai: Gustav Lübbe, deutscher Verleger (* 1918)
18. Mai: Elizabeth Montgomery, US-amerikanische Filmschauspielerin (* 1933)
19. Mai: Irma Brandes, deutsche Journalistin und Schriftstellerin (* 1905)
19. Mai: Hans Patze, deutscher Historiker und Archivar (* 1919)
20. Mai: Ulysses Kay, US-amerikanischer Komponist (* 1917)
21. Mai: Les Aspin, US-amerikanischer Politiker (* 1938)
21. Mai: Nora Minor, österreichische Schauspielerin (* 1910)
21. Mai: Agnelo Rossi, Erzbischof von São Paulo und Kardinal (* 1913)
21. Mai: Annie M. G. Schmidt, niederländische Schriftstellerin (* 1911)
24. Mai: Jürgen Horlemann, deutscher Politiker und Verleger (* 1941)
24. Mai: Harold Wilson, britischer Politiker und Premierminister (* 1916)
25. Mai: Élie Bayol, französischer Automobilrennfahrer (* 1914)
25. Mai: Krešimir Ćosić, kroatischer Basketballspieler (* 1948)
25. Mai: Herbert A. Frenzel, deutscher Skandinavist, Journalist, Übersetzer und Theaterwissenschaftler (* 1908)
26. Mai: Friz Freleng, US-amerikanischer Cartoonist und Filmproduzent (* 1906)
31. Mai: Pavel Šivic, slowenischer Komponist (* 1908)
Juni
3. Juni: John Presper Eckert, US-amerikanischer Computerpionier (* 1919)
3. Juni: Paul Wandel, Minister für Volksbildung und Jugend der DDR (* 1905)
4. Juni: Alfred Beni, österreichischer Schachspieler (* 1923)
4. Juni: Ernst Wilhelm Julius Bornemann, deutscher Sexualforscher (* 1915)
5. Juni: Johana Harris, kanadische Pianistin, Komponistin und Musikpädagogin (* 1912)
7. Juni: Josef Brinkhues, Bischof der Alt-katholischen Kirche in Deutschland (* 1913)
8. Juni: Heinz Lehmann, deutscher Schachspieler (* 1921)
8. Juni: Juan Carlos Onganía, argentinischer Militär und Politiker (* 1914)
8. Juni: Abdul Rahman Pazhwak, afghanischer Diplomat und Präsident der UN-Generalversammlung (* 1919)
10. Juni: Néophytos Edelby, syrischer Erzbischof (* 1920)
10. Juni: Bruno Lawrence, Musiker und Schauspieler (* 1941)
11. Juni: Giorgos Savvidis, griechischer Literaturwissenschaftler (* 1929)
12. Juni: Eva Bernoulli, Schweizer Logopädin und Pädagogin (* 1903)
12. Juni: Maitland Farmer, kanadischer Organist, Cembalist und Musikpädagoge (* 1904)
12. Juni: Arturo Benedetti Michelangeli, italienischer Pianist (* 1920)
14. Juni: Els Aarne, estnische Komponistin (* 1917)
14. Juni: Jack Chertok, US-amerikanischer Film- und Fernsehproduzent (* 1906)
14. Juni: Rory Gallagher, irischer Gitarrist (* 1948)
14. Juni: Bobby Grim, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1924)
14. Juni: Paul Steg, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge (* 1919)
14. Juni: Roger Zelazny, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1937)
15. Juni: John Atanasoff, US-amerikanischer Computerpionier (* 1903)
18. Juni: Karl Atzenroth, deutscher Politiker (* 1895)
18. Juni: Robert Schlienz, deutscher Fußballspieler (* 1924)
18. Juni: Harry Tisch, Mitglied des Politbüros des ZK der SED und Vorsitzender des FDGB in der DDR (* 1927)
19. Juni: Maria Wiłkomirska, polnische Pianistin, Kammermusikerin und Musikpädagogin (* 1904)
20. Juni: Emil Cioran, rumänischer Philosoph (* 1911)
21. Juni: Al Adamson, US-amerikanischer Regisseur und Produzent von B-Filmen (* 1929)
22. Juni: Yves Congar, Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1904)
23. Juni: Jonas Salk, US-amerikanischer Arzt und Immunologe (* 1914)
23. Juni: Paul Scholz, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates und Minister für Land- und Forstwirtschaft der DDR (* 1902)
23. Juni: Anatoli Wladimirowitsch Tarassow, sowjetischer Eishockeyspieler und -trainer (* 1918)
25. Juni: Warren E. Burger, US-amerikanischer Jurist und Vorsitzender Richter des Supreme Courts (* 1907)
25. Juni: Ernest Walton, irischer Physiker (* 1903)
29. Juni: Sicco Mansholt, niederländischer Landwirt und Politiker (* 1908)
30. Juni: Georgi Timofejewitsch Beregowoi, sowjetischer Kosmonaut (* 1921)
30. Juni: Gale Gordon, US-amerikanischer Schauspieler (* 1906)
Juli
1. Juli: Wolfman Jack, US-amerikanischer DJ (* 1938)
2. Juli: Alex Jordan, US-amerikanische Pornodarstellerin (* 1963)
3. Juli: Ricardo González, US-amerikanischer Tennisspieler (* 1928)
3. Juli: Georg Richter, deutscher Sportler (* 1905)
4. Juli: Bob Ross, US-amerikanischer Maler und Fernsehstar (* 1942)
5. Juli: Foster Furcolo, US-amerikanischer Politiker (* 1911)
8. Juli: Günter Bialas, deutscher Komponist (* 1907)
8. Juli: Edmondo Fabbri, italienischer Fußballspieler und -trainer (* 1921)
12. Juli: Ikai Tane, japanische Supercentenarian (* 1879)
13. Juli: Aimé Barelli, französischer Jazztrompeter und Bandleader (* 1917)
13. Juli: Matti Pellonpää, finnischer Schauspieler (* 1951)
15. Juli: Robert Coffy, Erzbischof von Marseille und Kardinal (* 1920)
16. Juli: May Sarton, US-amerikanische Schriftstellerin, Lyrikerin und Tagebuchautorin (* 1912)
17. Juli: Juan Manuel Fangio argentinischer Automobilrennfahrer (* 1911)
17. Juli: Rainer Kunad, deutscher Komponist (* 1936)
18. Juli: Fabio Casartelli, italienischer Radrennfahrer (* 1970)
18. Juli: Srinagarindra, Mutter des thailändischen Königs Bhumibol Adulyadej (* 1900)
19. Juli: Michael James Andrews, britischer Maler (* 1928)
20. Juli: Ernest Mandel, marxistischer Ökonom, Theoretiker (* 1923)
20. Juli: Alexander Iwanowitsch Pirumow, armenisch-russischer Komponist und Musikpädagoge (* 1930)
24. Juli: Sadık Ahmet, griechischer Politiker und Chirurg (* 1947)
24. Juli: George Rodger, Fotograf (* 1908)
25. Juli: Osvaldo Pugliese, argentinischer Musiker (* 1905)
25. Juli: Charlie Rich, US-amerikanischer Country-Sänger (* 1932)
26. Juli: Laurindo Almeida, brasilianischer Jazz-Musiker (* 1917)
26. Juli: Heinrich Heesch, deutscher Mathematiker (* 1906)
26. Juli: Boy Lornsen, deutscher Bildhauer und Schriftsteller (* 1922)
27. Juli: Miklós Rózsa, ungarisch-amerikanischer Filmkomponist (* 1907)
29. Juli: Leo Kofler, deutscher Philosoph (* 1907)
29. Juli: Gerhard Schumann, deutscher Schriftsteller (* 1911)
29. Juli: Severino Varela, uruguayischer Fußballspieler (* 1913)
30. Juli: Nikolai Dmitrijewitsch Kusnezow, sowjetischer Triebwerkskonstrukteur (* 1911)
August
4. August: Said Ramadan, islamischer Fundamentalist (* 1926)
5. August: Agha Hasan Abedi, pakistanischer Bankier (* 1922)
5. August: Georg Buch, deutscher Politiker (* 1903)
6. August: André Fleury, französischer Komponist, Pianist, Organist und Musikpädagoge (* 1903)
6. August: George Svendsen, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1913)
7. August: Brigid Brophy, britische Autorin (* 1929)
8. August: František Nepil, tschechischer Schriftsteller, Rundfunkmoderator und Erzähler (* 1929)
9. August: Jerry García, Musiker und Bandleader der Grateful Dead (* 1942)
10. August: Leo Apostel, belgischer Philosoph (* 1925)
10. August: Willi Kobe, Schweizer evangelischer Geistlicher und Friedensaktivist (* 1899)
11. August: Karel Berman, tschechischer Komponist und Opernsänger (* 1919)
11. August: Alonzo Church, US-amerikanischer Mathematiker (* 1903)
13. August: Mickey Mantle, US-amerikanischer Baseballspieler (* 1931)
14. August: Helmut Beumann, deutscher Historiker (* 1912)
16. August: Ljubiša Broćić, jugoslawischer Fußballtrainer (* 1911)
17. August: Howard Koch, US-amerikanischer Drehbuchautor (* 1901)
19. August: Silvio Amadio, italienischer Filmregisseur und Drehbuchautor (* 1926)
19. August: John Gilmore, US-amerikanischer Jazzmusiker (* 1931)
19. August: Pierre Schaeffer, französischer Komponist (* 1910)
20. August: Hugo Pratt, italienischer Comic-Autor (* 1927)
21. August: Subrahmanyan Chandrasekhar, US-amerikanischer Astro-Physiker (* 1910)
21. August: Manfred Donike, deutscher Radsportler und Chemiker (* 1933)
21. August: Chuck Stevenson, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1919)
22. August: Werner Kukelski, deutscher Geheimdienstler (* 1920)
24. August: Alfred Eisenstaedt, Fotoreporter (* 1898)
25. August: John Brunner, britischer Science-Fiction-Autor (* 1934)
25. August: Edith Kristan-Tollmann, österreichische Geologin und Paläontologin (* 1934)
27. August: Mary Beth Hughes, US-amerikanische Schauspielerin (* 1919)
28. August: Michael Ende, deutscher Schriftsteller (* 1929)
29. August: Pierre-Max Dubois, französischer Komponist (* 1930)
29. August: Thomas Strittmatter, deutscher Autor (* 1961)
30. August: Fischer Black, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler (* 1938)
30. August: Kurt Friedrich, deutscher Motorradrennfahrer (* 1901)
30. August: Yamaguchi Hitomi, japanischer Schriftsteller (* 1923)
30. August: Sterling Morrison, britischer Musiker und Gitarrist (* 1942)
30. August: Lew Abramowitsch Polugajewski, russisch-sowjetischer Schachspieler (* 1934)
31. August: Hendrik Leendert Heijkoop, niederländischer Steuerberater, Prediger, Bibellehrer und Autor der Brüderbewegung (* 1906)
31. August: Horst Henning, deutscher Politiker und Oberbürgermeister von Leverkusen (* 1937)
31. August: Horst Janssen, deutscher Grafiker und Autor (* 1929)
31. August: Gertrud Luckner, christliche Widerstandskämpferin, Pazifistin (* 1900)
September
2. September: Václav Neumann, tschechischer Dirigent, Violine- und Viola-Spieler (* 1920)
3. September: Günter Ammon, deutscher Psychoanalytiker (* 1918)
9. September: Reinhard Furrer, deutscher Astronaut, Physiker, Pilot (* 1940)
10. September: Derek Meddings, US-amerikanischer Spezialist für Spezialeffekte und Modelle (* 1931)
11. September: Ralph Kent-Cooke, US-amerikanischer Automobilrennfahrer und Rennstallbesitzer (* 1937)
12. September: Malvin Russell Goode, erster afroamerikanische TV-Journalist und Nachrichten-Korrespondent der American Broadcasting Company (* 1908)
12. September: Yasutomo Nagai, japanischer Motorradrennfahrer (* 1965)
13. September: Fritz Bennewitz, deutscher Theaterregisseur (* 1926)
14. September: Eiji Okada, japanischer Schauspieler (* 1920)
14. September: Hans-Gerd Fröhlich, deutscher Vertriebenenpolitiker (* 1914)
15. September: Rien Poortvliet, niederländischer Maler und Zeichner (* 1932)
15. September: Gunnar Nordahl, schwedischer Fußballspieler (* 1921)
17. September: Astrid Krebsbach, deutsche Tischtennisspielerin (* 1913)
18. September: Erwin Waldschütz, österreichischer Philosoph (* 1948)
19. September: Rudolf Peierls, deutsch-britischer Physiker (* 1907)
19. September: Hilda Horak, slowenische Pianistin, Musikpädagogin und Komponistin (* 1914)
19. September: Rodney Turner, britischer Autorennfahrer (* 1909)
20. September: José Sabre Marroquín, mexikanischer Komponist und Dirigent (* 1909)
21. September: Donald Johan Kuenen, niederländischer Biologe (* 1912)
22. September: Konrad Siebach, deutscher Kontrabassist und Kontrabass-Lehrer (* 1912)
23. September: Albrecht Unsöld, deutscher Astronom und Physiker (* 1905)
24. September: Elizabeth A. H. Green, US-amerikanische Musikpädagogin, Dirigentin und Komponistin (* 1906)
25. September: Rudolf Olgiati, Schweizer Architekt (* 1910)
29. September: Gerd Bucerius, deutscher Verleger und Politiker (* 1906)
30. September: Theo Balden, deutscher Bildhauer und Graphiker (* 1904)
Oktober
4. Oktober: Else Brems, dänische Sängerin und Musikpädagogin (* 1908)
4. Oktober: Chen Yun, chinesischer Politiker (* 1905)
5. Oktober: Leonid Wiktorowitsch Afanassjew, sowjetischer Komponist (* 1921)
5. Oktober: Walter Edwin Arnoldi, US-amerikanischer Maschinenbau-Ingenieur (* 1917)
5. Oktober: Lillian Fuchs, US-amerikanische Bratschistin, Musikpädagogin und Komponistin (* 1902)
6. Oktober: Johnny Bruck, deutscher Zeichner und Photolithograph (* 1921)
7. Oktober: Gabriele Kröcher-Tiedemann, deutsche Terroristin (* 1951)
7. Oktober: Gérard-Henri de Vaucouleurs, französisch-amerikanischer Astronom (* 1918)
8. Oktober: John Cairncross, britischer Spion (* 1913)
9. Oktober: Alec Douglas-Home, britischer Premierminister (* 1903)
9. Oktober: Kukrit Pramoj, zwischen 1975 und 1976 Premierminister von Thailand (* 1911)
10. Oktober: Robert Finch, US-amerikanischer Politiker (* 1925)
10. Oktober: Alarich Weiss, deutscher Physikochemiker (* 1925)
11. Oktober: Isolde Ahlgrimm, österreichische Cembalistin (* 1914)
12. Oktober: Pierre Doukan, französischer Geiger, Komponist und Musikpädagoge (* 1927)
13. Oktober: Henry Roth, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1906)
13. Oktober: Gerhard Schwarz, deutscher Kirchenmusiker und Organist (* 1902)
15. Oktober: Marco Campos, brasilianischer Automobilrennfahrer (* 1976)
15. Oktober: Alfredo Torres Romero, mexikanischer Geistlicher (* 1922)
19. Oktober: Don Cherry, Jazzmusiker (* 1936)
19. Oktober: George Little, kanadischer Musikpädagoge, Chordirigent und Organist (* 1920)
19. Oktober: Jürgen Wohlrabe, deutscher Politiker, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses (* 1936)
20. Oktober: Riccardo Carapellese, italienischer Fußballspieler und -trainer (* 1922)
21. Oktober: Maxene Angelyn Andrews, US-amerikanische Sängerin (* 1916)
21. Oktober: Nancy Graves, US-amerikanische Bildhauerin, Malerin und Filmemacherin (* 1939)
21. Oktober: Hans Helfritz, deutscher Komponist, Musikwissenschaftler und Schriftsteller (* 1902)
21. Oktober: Shannon Hoon, US-amerikanischer Rockmusiker (* 1967)
22. Oktober: Kingsley William Amis, englischer Schriftsteller und Dichter (* 1922)
22. Oktober: Mary Wickes, US-amerikanische Schauspielerin (* 1910)
24. Oktober: Andrés Aguilar Mawdsley, venezolanischer Jurist und Diplomat (* 1924)
24. Oktober: Hermann Langbein, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Internationalen Brigaden (* 1912)
25. Oktober: Bernhard Heiliger, deutscher Bildhauer (* 1915)
25. Oktober: Jan Hoffman, polnischer Pianist und Musikpädagoge (* 1906)
25. Oktober: Robert Riggs, US-amerikanischer Tennisspieler (* 1918)
27. Oktober: Leo Bardischewski, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1914)
28. Oktober: Gisela Schlüter, deutsche Kabarettistin und Schauspielerin (* 1914)
30. Oktober: Hyman Bress, kanadischer Geiger und Komponist (* 1931)
30. Oktober: Frank Souffront, puerto-ricanischer Sänger
31. Oktober: Joel Mason, US-amerikanischer American-Football-Spieler, Basketballtrainer (* 1912)
31. Oktober: Erika Morini, österreichisch-amerikanische Violinistin (* 1904)
31. Oktober: Anton Pashku, albanischer Schriftsteller und Verlagslektor (* 1937)
November
1. November: Reinhardt Abraham, deutscher Manager der Lufthansa (* 1929)
1. November: Charles Richard Ashcraft, US-amerikanischer Politikwissenschaftler (* 1938)
1. November: Lex Hixon, US-amerikanischer Poet, Philosoph und spiritueller Lehrer (* 1941)
3. November: Bojan Adamič, slowenischer Komponist und Dirigent (* 1912)
3. November: Mario Revollo Bravo, Erzbischof von Bogotá und Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1919)
3. November: Otto Rösch, österreichischer Politiker und Jurist (* 1917)
3. November: Yun I-sang, koreanischer Komponist (* 1917)
3. November: Werner Gräber, deutscher Fußballspieler (* 1939)
4. November: Gilles Deleuze, französischer Philosoph der Postmoderne (* 1925)
4. November: Jitzchak Rabin, israelischer General und Politiker, Friedensnobelpreisträger (* 1922)
5. November: Ernest Gellner, Anthropologe, Soziologe und Philosoph (* 1925)
6. November: Bill Cheesbourg, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1927)
8. November: Francesca Schinzinger, deutsche Historikerin (* 1931)
9. November: Alessandro Cicognini, italienischer Filmkomponist (* 1906)
10. November: Ken Saro-Wiwa, nigerianischer Bürgerrechtler und Schriftsteller (* 1941)
16. November: Jack Finney, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1911)
17. November: Salvatore Martirano, US-amerikanischer Komponist (* 1927)
17. November: Jean-Pierre Rivière, französischer Komponist (* 1929)
20. November: Sergei Michailowitsch Grinkow, russischer Eiskunstläufer (* 1967)
21. November: Leila Mourad, ägyptische Filmschauspielerin und Sängerin (* 1918)
22. November: Elinborg Lützen, erste färöische Grafikerin (* 1919)
23. November: Louis Malle, französischer Regisseur (* 1932)
23. November: Peter Surava, Chefredakteur der Zeitung „Die Nation“, Kritiker von Nazi-Deutschland (* 1912)
23. November: Jr. Walker, US-amerikanischen Tenorsaxophonist (* 1931)
24. November: Dominic Ignatius Ekandem, Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1917)
24. November: Theodor Wieland, deutscher Chemiker (* 1913)
26. November: Wim Thoelke, deutscher Fernsehmoderator (* 1927)
27. November: Giancarlo Baghetti, italienischer Automobilrennfahrer (* 1934)
28. November: Lydia Roppolt, österreichische Malerin (* 1922)
29. November: Tanaka Chikao, japanischer Dramatiker und Theaterleiter (* 1905)
30. November: Til Kiwe, deutscher Schauspieler (* 1915)
Dezember
1. Dezember: Elisa Huezo Paredes, salvadorianische Schriftstellerin und Malerin (* 1913)
4. Dezember: Warren Arthur Ambrose, US-amerikanischer Mathematiker (* 1914)
5. Dezember: Reiner Bredemeyer, deutscher Komponist (* 1929)
5. Dezember: Gwen Harwood, australische Dichterin und Librettistin (* 1920)
5. Dezember: Clair Cameron Patterson, US-amerikanischer Geochemiker (* 1922)
8. Dezember: Arthur Birch, australischer Chemiker (* 1915)
8. Dezember: Maino Neri, italienischer Fußballspieler und -trainer (* 1924)
10. Dezember: Udo Aschenbeck, deutscher Schriftsteller, Buchhändler und Sozialpädagoge (* 1939)
12. Dezember: Herbert Schneider, deutscher Politiker (* 1915)
12. Dezember: Roberto Agramonte, kubanischer Philosoph, Soziologe und Politiker (* 1904)
13. Dezember: Klaus Enderlein, deutscher Motorradrennfahrer (* 1936)
15. Dezember: Mano Dayak, einer der Führer und Unterhändler während des Tuareg-Aufstandes in Niger (* 1950)
16. Dezember: Anthony Ingrassia, US-amerikanischer Dramatiker, Theaterproduzent und -regisseur (* 1944)
18. Dezember: Josef Aschauer, deutscher Bergsteiger, Bergretter, Skifahrer und Skispringer (* 1902)
18. Dezember: Konrad Zuse, deutscher Erfinder des ersten funktionstüchtigen Computers, Bauingenieur und Unternehmer der Zuse KG (* 1910)
22. Dezember: Alois Ammerschläger, deutscher Unternehmer und Mäzen (* 1913)
22. Dezember: James Edward Meade, britischer Ökonom (* 1907)
22. Dezember: Rafael Villanueva, dominikanischer Dirigent (* 1947)
24. Dezember: Martin Achter, deutscher Priester und Prälat (* 1905)
24. Dezember: Margaret Harrison, britische Violinistin (* 1899)
25. Dezember: Ferdinand Eckhardt, kanadischer Kunsthistoriker (* 1902)
25. Dezember: Annelies Kammenhuber, deutsche Hethitologin (* 1922)
25. Dezember: Emmanuel Levinas, französischer Philosoph (* 1906)
25. Dezember: Marijan Lipovšek, slowenischer Komponist (* 1910)
25. Dezember: Dean Martin, US-amerikanischer Sänger, Schauspieler und Entertainer (* 1917)
27. Dezember: Ferdinand Auth,deutscher Politiker (* 1914)
27. Dezember: Genrich Gasparjan, sowjetischer Schachspieler und Komponist von Endspielstudien (* 1910)
28. Dezember: Walther Killy, deutscher Literaturwissenschaftler (* 1917)
29. Dezember: Nello Celio, Schweizer Politiker (FDP) (* 1914)
29. Dezember: Shura Cherkassky, russisch-amerikanischer Pianist (* 1909)
29. Dezember: Richard Langeheine, deutscher Politiker (* 1900)
29. Dezember: Wolfgang Pietzsch, deutscher Schachspieler (* 1930)
30. Dezember: Heiner Müller, deutscher Dramatiker, Schriftsteller, Regisseur und Intendant (* 1929)
31. Dezember: Fritz Eckhardt, österreichischer Schauspieler, Autor und Regisseur (* 1907)
31. Dezember: Wilfried Joest, deutscher Theologe und Professor (* 1914)
31. Dezember: Eduardo Hernández Moncada, mexikanischer Komponist, Pianist und Dirigent (* 1899)
31. Dezember: Aleksi Matschawariani, georgischer Komponist (* 1913)
Datum unbekannt
František Čech, tschechischer Geochemiker und Mineraloge (* 1929)
Magnus Henning, deutscher Komponist und Pianist (* 1904)
Chombo Silva, kubanischer Geiger und Saxophonist (* 1913)
Wissenschaftspreise
Nobelpreise
Physik: Martin Lewis Perl und Frederick Reines
Chemie: Paul J. Crutzen, Mario J. Molina und Frank Sherwood Rowland
Medizin: Edward B. Lewis, Christiane Nüsslein-Volhard und Eric F. Wieschaus
Literatur: Seamus Heaney
Friedensnobelpreis: Józef Rotblat und die Pugwash Conferences on Science and World Affairs
Wirtschaftswissenschaft: Robert E. Lucas
Turing Award
Manuel Blum, für die die Komplexitätstheorie und deren Anwendung in der Kryptographie und Programmprüfung.
Musik
3. Mai: Uraufführung der Oper I Was Looking at the Ceiling and Then I Saw the Sky von John Adams an der University of California, Berkeley.
13. Mai: Secret Garden gewinnen in Dublin mit dem Lied Nocturne für Norwegen die 40. Auflage des Eurovision Song Contest.
Die Rockgruppe Böhse Onkelz veröffentlicht Hier sind die Onkelz, ihr erstes Album bei dem Major-Label Virgin Records. Handelsketten wie WOM oder Media Markt reagieren mit Verkaufsboykott.
2. September: Eröffnung des Museums der Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland, Ohio.
Die MTV Europe Music Awards finden in Paris (Frankreich) statt.
Siehe auch: :Kategorie:Musik 1995
Bandgründungen
Air
Die Apokalyptischen Reiter
Beatsteaks
Bright Eyes
Foo Fighters
Godsmack
In Extremo
Madrugada
Morcheeba
Nickelback
System of a Down
Slipknot
Soilwork
Strapping Young Lad
Wilco
Album-Veröffentlichungen
AC/DC – Ballbreaker
Die Ärzte – Planet Punk
Alice in Chains – Alice in Chains
Atrocity feat. Das Ich – Die Liebe
Blind Melon – Soup
The Chemical Brothers – Exit Planet Dust
Popa Chubby – Booty and the Beast
Deftones – Adrenaline
Die Doofen (Wigald Boning & Olli Dittrich) – Lieder, die die Welt nicht braucht
Faith No More – King for a Day, Fool for a Lifetime
Die Fantastischen Vier – Lauschgift
Garbage – Garbage
Green Day – Insomniac
Haemorrhage – Emetic Cult
Incubus – Fungus Amongus
Jawbreaker – Dear You
Elton John – Made in England
Kyuss – ...And the Circus Leaves Town
Lagwagon – Hoss
Life of Agony – Ugly
Madonna – Something to Remember
Marusha – Wir
Matthias Reim – Alles Klar
Michael Jackson – HIStory – Past, Present and Future Book I
Moonspell – Wolfheart
Alanis Morissette – Jagged Little Pill
Mr. Bungle – Disco Volante
No Use for a Name – Leche Con Carne
Oasis – (What’s the Story) Morning Glory? (mit bisher 22 Millionen verkauften Tonträgern die erfolgreichste Veröffentlichung der Band)
Paradise Lost – Draconian Times
Pennywise – About Time
Pulp – Different Class
Pur – Abenteuerland
Queen – Made in Heaven (das letzte Studioalbum der Band)
Radiohead – The Bends
Rammstein – Herzeleid
Red Hot Chili Peppers – One Hot Minute
The Rolling Stones – Stripped (Live)
Sick of It All – Spreading the Hardcore Reality und Live in a World Full of Hate (Live)
The Smashing Pumpkins – Mellon Collie and the Infinite Sadness
Sonic Youth – Washing Machine
Spermbirds – Family Values
Strapping Young Lad – Heavy as a Really Heavy Thing
Van Halen – Balance
Wolfgang Petry – Egal
The Verve – A Northern Soul
Wilco – A.M.
Weblinks
Jahresrückblick von tagesschau.de
Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD
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Q2068
| 3,260.522937 |
8987900
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https://de.wikipedia.org/wiki/Weltraum
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Weltraum
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Der Weltraum bezeichnet den Raum zwischen Himmelskörpern. Die Atmosphären von festen und gasförmigen Himmelskörpern (wie Sternen und Planeten) haben keine feste Grenze nach oben, sondern werden mit zunehmendem Abstand zum Himmelskörper allmählich immer dünner. Ab einer bestimmten Höhe spricht man vom Beginn des Weltraums.
Im Weltraum herrscht ein Hochvakuum mit niedriger Teilchendichte. Er ist aber kein leerer Raum, sondern enthält Gase, kosmischen Staub und Elementarteilchen (Neutrinos, kosmische Strahlung, Partikel), außerdem elektrische und magnetische Felder, Gravitationsfelder und elektromagnetische Wellen (Photonen). Das fast vollständige Vakuum im Weltraum macht ihn außerordentlich durchsichtig und erlaubt die Beobachtung extrem entfernter Objekte, etwa anderer Galaxien. Jedoch können Nebel aus interstellarer Materie die Sicht auf dahinterliegende Objekte auch stark behindern.
Der Begriff des Weltraums ist nicht gleichzusetzen mit dem Weltall, welches eine eingedeutschte Bezeichnung für das Universum insgesamt ist und somit alles, also auch die Sterne und Planeten selbst, mit einschließt. Dennoch wird das deutsche Wort „Weltall“ oder „All“ umgangssprachlich mit der Bedeutung „Weltraum“ verwendet.
Die Erforschung des Weltraums wird Weltraumforschung genannt. Reisen oder Transporte in oder durch den Weltraum werden als Raumfahrt bezeichnet.
Übergang zum Weltraum
Der Übergang zwischen der Erdatmosphäre und dem Weltraum ist fließend. Die Fédération Aéronautique Internationale (FAI) definiert die Grenze zum Weltraum bei 100 Kilometern Höhe über dem Meeresspiegel, der Kármán-Linie. In dieser Höhe ist die Geschwindigkeit, die benötigt wird, um Auftrieb zum Fliegen zu erhalten, gleich hoch wie die Umlaufgeschwindigkeit eines Satelliten, so dass man oberhalb dieser Linie nicht mehr sinnvoll von Luftfahrt sprechen kann. Davon abweichend definieren die US-amerikanische NASA und die US Air Force bereits die Höhe von 50 Meilen (circa 80 km) als Beginn des Weltraums. Beide als Grenzen vorgeschlagenen Höhen liegen in der Hochatmosphäre.
Eine andere Höhendefinition, die diskutiert wird, ist die niedrigstmögliche Perigäumshöhe eines Erdsatelliten, da die dünne Atmosphäre auch oberhalb von 100 Kilometern noch eine nicht zu vernachlässigende Bremswirkung hat. Bei einem die Erde elliptisch umkreisenden Raumflugkörper mit Antrieb liegt die niedrigstmögliche Perigäumshöhe bei etwa 130 Kilometern. Bei einem Raumflugkörper ohne Antrieb liegt sie bei ungefähr 150 Kilometern. Aber selbst in 400 Kilometern, der Flughöhe der Internationalen Raumstation, ist noch eine Bremswirkung der Atmosphäre spürbar, durch die die ISS ständig leicht an Höhe verliert und immer wieder von angedockten Raumschiffen auf eine höhere Umlaufbahn zurückgeschoben werden muss.
Die Kármán-Linie der Venus befindet sich bei ungefähr 250 Kilometern Höhe, die des Mars bei etwa 80 Kilometern. Bei Himmelskörpern, die keine oder fast keine Atmosphäre haben, wie etwa dem Merkur, dem Erdmond oder Asteroiden, beginnt der Weltraum direkt an der Oberfläche des Körpers.
Beim Wiedereintritt von Raumflugkörpern in die Atmosphäre wird für die Berechnung der Flugbahn eine Wiedereintrittshöhe so festgelegt, dass bis zum Wiedereintrittspunkt der Einfluss der Atmosphäre praktisch vernachlässigbar ist; ab diesem Punkt muss er einkalkuliert werden. Üblicherweise ist die Wiedereintrittshöhe gleich oder höher der Kármán-Linie. Die NASA verwendet bei der Erde als Wiedereintrittshöhe den Wert von 400.000 Fuß (ca. 122 Kilometer).
In der bemannten Raumfahrt wird die Grenze physikalisch durch das Erreichen der für eine Erdumlaufbahn nötigen ersten kosmischen Geschwindigkeit definiert, welche erforderlich ist, um die Erde wirklich verlassen zu können.
Bereiche
Es gibt im Weltraum große Unterschiede zwischen dem erdnahen Weltraum, dem interplanetaren Raum, dem interstellaren Raum, dem intergalaktischen Raum und den Voids.
Erdnaher Weltraum
Der erdnahe Weltraum, englisch Geospace genannt, wird vom Erdmagnetfeld (und nicht vom Magnetfeld der Sonne) dominiert. Er reicht von den oberen Regionen der Atmosphäre bis an die Grenze der irdischen Magnetosphäre. Diese misst auf der Sonnenseite etwa zehn Erdradien (etwa 60.000 km), auf der Nachtseite in Form eines langen Schweifs etwa hundert Erdradien (600.000 km). Die irdische Magnetosphäre lenkt den von der Sonne abströmenden Sonnenwind um die Erde herum ab und schützt sie so vor dem größten Teil des für Lebewesen gefährlichen Teilchenstroms. Nur ein kleiner Teil des Sonnenwinds gelangt in Polnähe in die Erdatmosphäre und wird dort als Polarlicht sichtbar.
Veränderungen des interplanetaren Mediums im erdnahen Raum werden als Weltraumwetter bezeichnet. Hauptsächliche Ursachen sind Veränderungen im Sonnenwind und der kosmischen Strahlung der Milchstraße. Durch diese Einflüsse gelangen in unregelmäßigen Abständen verstärkt Materie, Teilchen- und Strahlungsströme in das Umfeld der Erde.
Nicht alle Himmelskörper haben solche Magnetfelder. So ist zum Beispiel der Mond dem Sonnenwind schutzlos ausgesetzt.
Der innere Bereich der irdischen Magnetosphäre ist die von relativ kühlem Plasma erfüllte torusförmige Plasmasphäre (in der nebenstehenden Grafik rot eingezeichnet). Ebenfalls befindet sich in der irdischen Magnetosphäre ein torusförmiger Strahlungsgürtel, der Van-Allen-Gürtel. In diesem Teil des erdnahen Weltraums herrscht eine harte ionisierende Strahlung.
Interplanetarer Raum
Der interplanetare Raum ist der vom interplanetaren Staub, vom Sonnenwind und dem Magnetfeld der Sonne erfüllte Raum im Sonnensystem. Das Magnetfeld der Sonne interagiert mit dem Sonnenwind und bestimmt maßgeblich seinen Fluss. Umgekehrt leitet und verstärkt aber auch der Sonnenwind als elektrisch leitendes Plasma das Magnetfeld der Sonne.
Der interplanetare Raum ist der Raum innerhalb der Heliosphäre bis zur Grenzschicht der Heliopause. Die Heliosphäre hat einen geschätzten Radius von etwa 110 bis 150 AE und schützt das Sonnensystem und die Planeten wiederum vor sehr energiereichen Teilchen der kosmischen Strahlung.
Interstellarer Raum
Der interstellare Raum bezeichnet den Raum zwischen den Astropausen der Sterne innerhalb einer Galaxie. Er ist von der interstellaren Materie und vom galaktischen Magnetfeld erfüllt. Die interstellare Materie spielt eine wesentliche Rolle in der Astrophysik, da aus ihr Sterne entstehen, die mit Sternwinden und Supernovae auch wieder Materie in den interstellaren Raum abgeben.
Es gibt im interstellaren Raum Regionen mit höherer Teilchendichte, die interstellare Wolken genannt werden. Man unterscheidet nach ihrer Dichte, Größe und Temperatur verschiedene Typen solcher Wolken: in H-I-Gebieten liegt der Wasserstoff neutral atomar vor, in H-II-Gebieten ionisiert atomar (ein Plasmazustand aus einzelnen Protonen), und in Molekülwolken als molekularer Wasserstoff (H2). Durch gravitative Zusammenziehung entstehen aus Molekülwolken neue Sternensysteme. Auch das Sonnensystem ist aus einer solchen Wolke entstanden, der Urwolke.
Die Materiedichte im interstellaren Medium kann stark variieren. Im Durchschnitt beträgt sie etwa 106 Teilchen pro Kubikmeter, aber in kalten Molekülwolken kann sie 108 bis 1012 Teilchen pro Kubikmeter betragen. Riesenmolekülwolken können die millionenfache Masse der Sonne haben und machen einen erheblichen Anteil der Masse im interstellaren Medium aus.
An den Grenzen der Astropausen können, wenn die Geschwindigkeit des Sterns relativ zum interstellaren Medium groß genug ist, Stoßfronten (englisch bow shocks) auftreten. Im Fall der Sonne ist die Geschwindigkeit hierfür vermutlich zu gering, so dass statt einer Bugstoßwelle nur eine relativ sanfte Bugwelle angenommen wird.
Am 12. September 2013 verkündete die NASA, dass die Raumsonde Voyager 1 am 25. August 2012 die Heliosphäre verlassen habe, als sie einen plötzlichen Anstieg der Plasmadichte registrierte. Voyager 1 hat demnach als erstes menschengeschaffenes Objekt den interstellaren Raum erreicht. Die Schwestersonde Voyager 2 verließ die Heliosphäre als zweites Objekt am 5. November 2018.
Die Sonne durchquert seit ca. 100.000 Jahren die Lokale Flocke, eine Region im interstellaren Raum mit höherer Dichte als ihre Umgebung, und wird diese voraussichtlich in 10.000 bis 20.000 Jahren wieder verlassen. Die Lokale Flocke befindet sich innerhalb der Lokalen Blase, einer Region der Milchstraße mit niedrigerer Dichte.
Intergalaktischer Raum
Der intergalaktische Raum ist der Raum zwischen Galaxien. Der größte Teil des Universums ist intergalaktischer Raum. Das intergalaktische Medium besteht hauptsächlich aus ionisiertem Wasserstoff-Gas/-Plasma (HII), also gleichen Mengen freier Protonen und Elektronen.
Das intergalaktische Medium zwischen den Galaxien ist nicht gleichförmig verteilt, sondern liegt in fadenförmigen Verbindungen, den Filamenten, vor. In deren Knotenpunkten befinden sich Galaxienhaufen und Superhaufen. Zwischen den Filamenten gibt es riesige Leerräume mit sehr viel geringerer Materiedichte, genannt Voids. Die Voids enthalten nur wenige Galaxien. Die Filamente und Voids sind die größten zurzeit bekannten Strukturen im Universum.
Das intergalaktische Medium wird in zwei Arten eingeteilt. Das Gas, das aus den Voids in den Bereich der Filamente strömt, heizt sich dabei auf Temperaturen von 105 K bis 107 K auf. Dies ist heiß genug, dass bei Kollisionen von Atomen die Elektronen von den Wasserstoffkernen getrennt werden, weshalb es als ionisiertes Plasma vorliegt. Dieses wird das Warm-Hot Intergalactic Medium (warm-heiße intergalaktische Medium, WHIM) genannt. (Obwohl das Plasma nach irdischen Standards sehr heiß ist, wird in der Astrophysik 105 K oft als „warm“ bezeichnet.) Computersimulationen und Beobachtungen deuten an, dass bis zur Hälfte aller atomaren Masse im Universum in diesem verdünnten, warm-heißen Plasmazustand existiert.
Dort, wo Gas von den Filamentenstrukturen des WHIM in die Knotenpunkte der kosmischen Filamente strömt, heizt es sich noch weiter auf und erreicht Temperaturen von 107 K bis 108 K, manchmal auch darüber. Dieses intergalaktische Medium wird Intracluster-Medium (ICM) genannt. Es ist durch seine starke Emission von Röntgenstrahlung beobachtbar.
Temperatur des Weltraums
Dem Raum selbst lässt sich keine Temperatur zuordnen, sondern nur seiner Materie und den in ihm wirkenden Strahlungen. Die (sehr dünn verteilte) Materie im Weltraum kann sehr hohe Temperaturen aufweisen. Die irdische Hochatmosphäre erreicht Temperaturen von ca. 1400 Kelvin. Das intergalaktische Plasma mit einer Dichte von weniger als einem Wasserstoffatom pro Kubikmeter kann Temperaturen von mehreren Millionen Kelvin erreichen; in einem Galaxienhaufen wie dem Perseushaufen auch 100 Millionen Kelvin. Die hohe Temperatur resultiert aus der hohen Geschwindigkeit der Teilchen. Sie zeigt sich beispielsweise in einer starken Röntgenstrahlung, die von so heißem intergalaktischen Plasma ausgeht. Ein gewöhnliches Thermometer würde allerdings Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt anzeigen, da die Teilchendichte viel zu gering ist, um einen messbaren Wärmetransport zu bewirken. Im Weltraum ist es also gewissermaßen gleichzeitig „extrem heiß“ und „extrem kalt“.
Die in alle Richtungen gemessene Mikrowellen-Hintergrundstrahlung beträgt 2,725 Kelvin (−270,425 °C) und ist die theoretische Gleichgewichtstemperatur von Materie, wenn diese keine eigene Wärmestrahlung durch Energieumwandlung erzeugt. Wegen des Joule-Thomson-Effekts gibt es aber auch kältere Regionen. Im Bumerangnebel herrscht die kälteste natürliche Temperatur mit minus 272 Grad Celsius – nur ein Grad über dem absoluten Nullpunkt.
Festkörper im erdnahen oder interplanetaren Weltraum erfahren auf ihrer sonnenzugewandten Seite große Strahlungswärme, auf ihrer sonnenabgewandten Seite dagegen große Kälte, weil sie dort ihre Wärmeenergie selbst in den Weltraum abstrahlen. Beispielsweise wird die Oberfläche des Erdmonds auf der sonnenzugewandten Seite bis zu 130 °C heiß, auf der sonnenabgewandten Seite fällt sie auf etwa −160 °C. Ebenso wird auch beispielsweise der Raumanzug eines Astronauten, der bei der Internationalen Raumstation einen Außenbordeinsatz unternimmt, auf der sonnenzugewandten Seite etwa 100 °C heiß. Auf der Nachtseite der Erde ist die Sonnenstrahlung abgeschattet, und die schwache Infrarotstrahlung der Erde lässt den Raumanzug auf etwa −100 °C abkühlen.
Schall im Weltraum
Schall benötigt zur Ausbreitung ein materielles (festes, flüssiges, gasförmiges) Medium. Daher kann sich im Weltraum kein hörbarer Schall ausbreiten; es herrscht die sprichwörtliche Lautlosigkeit.
Der Weltraum ist aber kein absolutes Vakuum, sondern enthält extrem verdünntes Gas. Die Schallgeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit, mit der sich Störungen der Dichte bzw. des Druckes im Gas fortbewegen, ist dabei – wie allgemein bei Gasen – von der Dichte und Temperatur abhängig. Im interplanetaren Medium beträgt sie auf Höhe der Erdbahn 60 km/s. Schallphänomene lassen sich astronomisch beobachten: Innerhalb der Heliosphäre tritt eine Schockwelle auf, wenn der Plasma des Sonnenwinds auf Unterschallgeschwindigkeit abgebremst wird (Randstoßwelle). Vor Sternen, die sich mit Überschallgeschwindigkeit durch das interstellare Medium bewegen, entsteht eine Bugstoßwelle.
Weltraum und Schwerelosigkeit
Entgegen einer häufigen Laienvorstellung herrscht im Weltraum keinesfalls pauschal Schwerelosigkeit. Die Gravitationskraft der gegenseitigen Anziehung von Massen wirkt überall und über weiteste Distanzen. Schwerelosigkeit tritt im Weltall immer dann auf, wenn ein Körper ausschließlich gravitative Beschleunigungen erfährt, so dass er im freien Fall ist. Gegebenenfalls führt der freie Fall den Körper auf einer Umlaufbahn um einen Himmelskörper herum.
Immer dann, wenn ein Raumflugkörper aus eigenem Antrieb beschleunigt oder bremst, ist er nicht mehr im freien Fall und es wird eine Beschleunigungskraft (g-Kraft) spürbar. Ein rotierender Körper erfährt außerdem eine seiner Größe und Rotationsgeschwindigkeit entsprechende Zentrifugalkraft. Beide Kräfte werden durch die Trägheit des Körpers verursacht.
Auch immer dann, wenn ein Körper in seinem Fall gehemmt wird, erfährt er durch eine Gegenkraft Schwere. Bei einem Planeten oder Mond ohne Atmosphäre (etwa dem Erdmond) reicht der Weltraum bis zum Boden. Alle Objekte auf der Oberfläche des Himmelskörpers befinden sich somit auch zugleich im Weltraum. Da ihr Fall durch den Boden gehemmt wird, erfahren sie keine Schwerelosigkeit, sondern die normale Schwerkraft des Himmelskörpers.
Der Mensch im Weltraum
Raumfahrt
Die Geschichte der Raumfahrt beginnt mit der Entwicklung der Rakete und der Raketentechnik, insbesondere von Raketentriebwerken. Siehe Liste der Listen von Trägerraketenstarts.
Unbemannte Raumfahrt
Die ersten von Menschen geschaffenen Objekte, die die Grenze zum Weltraum durchstießen, waren ballistische Artillerie-Raketenwaffen vom Typ Aggregat 4 (kurz „A4“), die im Zweiten Weltkrieg vom Deutschen Reich unter der Leitung von Wernher von Braun entwickelt und ab 1942 kriegerisch eingesetzt wurden. Die NS-Propaganda taufte dieses Raketenmodell im Jahr 1944 „Vergeltungswaffe 2“, kurz „V2“.
Mit der Operation Overcast und nachfolgender Programme wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die führenden deutschen Raketentechniker einschließlich Wernher von Braun in die USA übersiedelt. Mit der erbeuteten Technik des A4 und den deutschen Ingenieuren begannen die US-amerikanischen Raumfahrtentwicklungen.
Die sowjetische Raumfahrt nahm ebenfalls ihren Beginn in der deutschen A4-Rakete, die nach 1945, begleitet von einer Reihe von Raketen-Ingenieuren, als Kriegsbeute in die Sowjetunion kam. Unter Sergei Pawlowitsch Koroljow wurde zunächst das A4 nachgebaut, dann ab 1950 die weltweit erste Interkontinentalrakete und Trägerrakete R-7 entwickelt und diese ab 1953 eingesetzt. Mit einer R-7 startete auch 1957 der erste künstliche Erdsatellit Sputnik 1. Dieser machte klar, dass die Sowjetunion in der Entwicklung ihrer Raumfahrt technologisch den USA mindestens ebenbürtig war („Sputnikschock“).
In der unbemannten Raumfahrt werden als Raumflugkörper unter anderem Trägerraketen, künstliche Satelliten, Raumsonden und Weltraumteleskope eingesetzt.
Bemannte Raumfahrt
Die bemannte Raumfahrt begann im Zeitalter des Kalten Krieges während des „Wettlaufs ins All“ zwischen den verfeindeten Supermächten USA und Sowjetunion. Der erste Mensch im Weltraum war am 12. April 1961 der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin. Der erste US-Astronaut im All wenige Wochen später am 5. Mai 1961 war Alan Shepard; die erste (und für lange Zeit die einzige) Frau im Weltraum war 1963 Walentina Wladimirowna Tereschkowa. 1965 war Alexei Leonow der erste Mensch, der in einem Raumanzug sein Raumschiff verließ und bei einem Außenbordeinsatz frei im Weltraum schwebte. Der erste Deutsche 1978 Sigmund Jähn; der erste Österreicher 1991 Franz Viehböck, und der erste (und bisher einzige) Schweizer 1992 Claude Nicollier.
Unter der Leitung Wernher von Brauns wurde für die zivile US-Bundesbehörde NASA im Rahmen des US-amerikanischen Apollo-Programms die Familie der Saturn-Raketen entwickelt. Mit diesen leistungsstarken Trägerraketen, deren Einsatz 1961 begann und 1975 endete, wurden zum ersten und bisher einzigen Mal Menschen weiter als in eine niedrige Erdumlaufbahn gebracht. Insgesamt wurden mit Saturn-Raketen 24 Astronauten zum Mond geflogen, von denen 12 die Mondoberfläche betraten. Das sowjetische bemannte Mondprogramm wurde nach 4 Fehlstarts der großen N1-Rakete eingestellt, ohne dass ein Kosmonaut den Mond betreten hat.
In der bemannten Raumfahrt kommen Trägerraketen, Raumschiffe, Raumfähren, Raumflugzeuge und Raumstationen zum Einsatz.
Weltraumrecht
Der Teilbereich des Rechts, der einen Bezug zu nationalen und internationalen Aktivitäten im Weltraum hat, wird Weltraumrecht genannt.
Der von den Vereinten Nationen 1967 verabschiedete Weltraumvertrag (Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper – Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and Other Celestial Bodies) ist das grundlegende Vertragswerk des Weltraumrechts.
Erschließung von Rohstoffen
Es wird davon ausgegangen, dass auf bzw. in Himmelskörpern im Weltraum Rohstoffe wie Gesteine, Edelmetalle oder seltene Erden in großem Ausmaß und mit großem wirtschaftlichen Wert zu finden sind. Erdnahe Asteroiden beispielsweise bestehen zu 30 % aus Metallen wie Eisen und Nickel, in kleineren Anteilen auch Kobalt, Gold oder Platin.
Noch ist Bergbau im Weltraum nicht mehr als ein Sammelbegriff für entsprechende Zukunftsvisionen und Konzepte.
2014 stellten ESA-Forscher auf der ESOF-Wissenschaftskonferenz in Kopenhagen Ideen zur wirtschaftlichen Erschließung des Mondes vor.
Die USA beschlossen 2015 ein Gesetz zur kommerziellen Nutzung von Gesteinen im Weltraum für ihre Bürger. Das US-Unternehmen Deep Space Industries (DSI), das diesen potenziellen Sektor erschließen möchte, zog im Jahr 2016 Parallelen zur historischen Landnahme im Wilden Westen und dem kalifornischen Goldrausch im 19. Jahrhundert, um Investoren anzuziehen.
Der EU-Kleinstaat Luxemburg legte im November 2016 einen Gesetzentwurf zur Förderung von Rohstoffen im Weltraum vor, der Forschern und Investoren Rechtssicherheit über etwaiges Eigentum an Material aus dem Weltall geben soll. Die von Luxemburg gegründete Initiative Space Resources soll Rohstoffe wie Metalle und Mineralien, aber auch Wasser von erdnahen Himmelskörpern abbauen. Diese sollen vor allem im Weltraum für die Raumfahrt genutzt werden und eine neue Weltraumindustrie ermöglichen: Wasser- und Sauerstoff könnten als Treibstoff für Raumfahrzeuge genutzt oder Astronauten mit auf Asteroiden gefundenem Wasser versorgt werden. US-Unternehmen wie DSI und Planetary Resources (PR) haben in Luxemburg bereits Europa-Niederlassungen etabliert. Luxemburgs Regierung selbst fördert den „Weltraumbergbau“ zunächst mit 200 Millionen Euro.
Siehe auch
Raumfahrtnation
Weltraumkolonisierung
Weltraumtourismus
Weltraumtruppen
Weltraumwaffe
Weltraumzeitalter
Einzelnachweise
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Q4169
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zeus
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Zeus
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Zeus (, klassische Aussprache ungefähr „“; bzw. ; ) ist der oberste olympische Gott der griechischen Mythologie und mächtiger als alle anderen griechischen Götter zusammen. Über ihm stand nur das personifizierte Schicksal – seine Töchter, die Moiren. Auch er hatte sich ihnen zu fügen. Zeus entspricht in der römischen Mythologie dem Jupiter.
Etymologie
Der Name entspringt derselben indogermanischen Wortwurzel *diu („hell“, „Tag“), die im lateinischen Iuppiter und dem vedisch-altindischen Dyaúh pitá „Himmel Vater“ enthalten ist. Sie zeigt sich deutlicher in flektierten Formen (Genitiv: ; Dativ: ; Akkusativ: ; aber Vokativ ) und ist Ausdruck eines gemeinsamen indogermanischen Gottesbildes und mit den jeweiligen Wörtern für „Gott“ verwandt; z. B. lateinisch (von indogermanisch *di̯ēus), germanisch *Tīwaz (älter Teiwaz, altnordisch Tȳr, althochdeutsch Zīu) und vedisch-altindisch devá.
Mythos
Geburt und Kindheit
Zeus ist ein Sohn des Titanenpaares Kronos und Rhea (daher auch der Beiname bzw. Patronym: Kronion – , Kronides – ) und Bruder von Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon. Nach Hesiod verschlingt Kronos alle seine Kinder gleich nach der Geburt, da er fürchtete, diese könnten ihn entmachten, so wie er selbst seinen Vater Uranos entmachtet hatte. Als Zeus geboren werden sollte, beschließt Rhea auf den Rat von Gaia und Uranos hin, ihn im Verborgenen auf die Welt zu bringen. Sie geht dazu in eine Höhle bei der Stadt Lyktos auf Kreta, woraufhin der neugeborene Zeus von Gaia versteckt wird. Kronos gibt sie anstatt Zeus einen in eine Windel gewickelten Stein, den er verschlingt. Nach anderen Überlieferungen liegt der Geburtsort des Zeus in einer Höhle des Berges Dikti oder des Ida, wo er von den Nymphen Adrasteia und Ide aufgezogen, von der Ziege Amaltheia versorgt und von den Kureten beschützt wird. Diese dämonischen Krieger übertönen durch Gebrüll und Waffenklirren das Geschrei des Säuglings, damit Kronos nicht auf ihn aufmerksam wird. Seinen Beinamen Idaios verdankt er dieser Variante des Mythos (Siehe auch Ammen des Zeus).
Er wächst nach Hesiod schnell heran und bringt mit List und unter Mithilfe Gaias den Kronos dazu, zuerst den Stein und dann alle seine verschluckten Kinder wieder auszuwürgen. In der Bibliotheke des Apollodor wendet Zeus sich an Metis, die Kronos eine Droge verabreicht, welche ihn zum Speien bringt.
Kampf gegen die Titanen
Als Herrscher der Götterversammlung wird Zeus bereits bei Homer dargestellt, jedoch ohne einen erläuternden Mythos. Nach Hesiod müssen Zeus und seine Geschwister ihren Vater Kronos sowie die riesigen Titanen bekämpfen, um die Herrschaft über die Welt zu erringen. Sie kämpfen vom Olymp aus gegen die Titanen, die sich auf dem Othrys verschanzt haben. Als der Kampf nach zehn Jahren noch nicht entschieden ist, rät Gaia ihm, die im Tartaros gefangen gehaltenen Geschwister der Titanen, die Kyklopen und Hekatoncheiren, zu befreien. Von den Kyklopen erhält er Blitz, Zündkeil und Donner als Waffen, die Hekatoncheiren stehen ihm kämpfend zur Seite. Die Titanen werden von den Göttern besiegt und in den Tartaros verbannt, die Hekatoncheiren werden zu deren Wächtern. Den Göttern wird von Gaia geraten, Zeus zu ihrem Herrscher zu machen. Dieser teilt die Welt in drei Reiche ein: Zeus selbst beherrscht den Himmel, Poseidon das Meer und Hades die Unterwelt.
In der Bibliotheke muss Zeus zuerst die Kampe erschlagen, um die Kyklopen und Hekatoncheiren zu befreien. Zudem erhalten auch Hades und Poseidon Waffen von den Kyklopen, die sich auch aktiv am Kampf beteiligen.
Über das Schicksal von Kronos gibt es viele verschiedene Versionen. Homer und andere Texte berichten davon, dass er mit den anderen Titanen im Tartaros gefangen wird. Orpheus beschreibt in seinen Geschichten, dass Kronos bis zur Unendlichkeit in der Höhle von Nyx gefangen gehalten wird. Pindar berichtet von der Entlassung Kronos’ aus dem Tartaros und dass Zeus ihn zum Herrscher des Elysion machte.
Kampf gegen die Giganten
Die Herrschaft der olympischen Götter unter Zeus wurde durch einen Angriff der Giganten bedroht. In der Gigantomachie aber besiegten die Götter die Giganten.
Der Schild des Zeus heißt Aigis oder Ägis (griech. Ziegenfell). Dieser wurde von Hephaistos geschmiedet und wird meist als schuppen- und schlangenbewehrter Halskragen dargestellt. Die Aigis ist Sinnbild der schirmenden Obhut (Ägide) der Götter.
Kinder des Zeus
Verheiratet war Zeus mit seiner Schwester Hera, mit der er vier Kinder hatte, Ares, Hebe, Eileithya und Hephaistos. Aber er hatte auch viele Liebschaften, unter anderem mit der Göttin Leto, einer Tochter des Titanen Koios, die ihm Apollon, den Gott des Lichts und der Musik, und Artemis, heilbringende Göttin der Natur und der Jagd, gebar, oder Leda, von der er die Dioskuren Kastor (Castor) und Polydeukes (Pollux) bekam. Daneben war er auch Vater vieler Nymphen, Halbgöttinnen und Sterblicher. Diese Liebschaften waren nie von Dauer, vor allem wegen Heras maßloser Eifersucht. Um die Kinder, die aus diesen Seitensprüngen entstanden waren (unter anderem Herakles und die schöne Helena), kümmerte er sich aber. Die einzige Liebschaft von Dauer war wahrscheinlich die zum Königssohn Ganymed. Dieser war so schön, dass Zeus ihn in Gestalt eines Adlers auf den Olymp entführte. Dort diente er ihm als Mundschenk. Auch die Göttin Aphrodite soll nach Homer eine Tochter von Zeus und der Dione gewesen sein. Geläufiger ist jedoch die Version des Hesiod, nach der sie aus dem Schaum (daher ihr Name, von griech.: aphros=Schaum) entstand, der sich um die abgeschnittenen Genitalien des Uranos im Meer vor Kythera gebildet hatte. Seine Lieblingstochter Athene, die Göttin der Weisheit, entsprang seinem Kopf, obwohl da möglicherweise von Hephaistos nachgeholfen wurde. Doch auch andere Götter stammen von ihm ab, wie Dionysos, der Gott des Weines (siehe Schenkelgeburt), die Göttin Iris, die als Botschafterin die Kommunikation zwischen Menschen und Göttern sicherstellte, oder Hermes, der Götterbote und Schutzgott.
Um Frauen zu verführen, nahm Zeus oft eine andere Gestalt an:
Kult
Das älteste und erste in der Antike berühmte Zeus-Orakel befand sich im Eichenhain von Dodona (die Eiche ist ebenfalls der heilige Baum des Zeus). Auch in Olympia gab es ein Zeus-Orakel; hier wurde der Zeus Olympios verehrt. Auf Kreta nahmen Kulte Bezug auf seine Geburt und Kindheit mit Höhlen- und Geburtskulten. Siehe auch Höhle von Psychro, Idäische Grotte.
Verehrt wurde Zeus als Allgott, als denkendes Feuer, das alles durchdringt, als Vater der Götter und Menschen, als Gott des Wetters, als Schicksalsgott usw. Die Epiphanie des Zeus ist stets der Blitz, etwa bei Homer.
Da Zeus als Götterherrscher galt, war sein Kult oft mit Monarchen verbunden. So ist bezeichnend, dass der große Zeustempel in Athen, das Olympieion, während der Tyrannis des Peisistratos begonnen, durch König Antiochos IV. fortgeführt und erst unter Kaiser Hadrian vollendet wurde, während man die Bauarbeiten zur Zeit der attischen Demokratie ruhen ließ.
Die Zeusverehrung erlosch erst am Ende der Spätantike um das Jahr 600 n. Chr.
Beinamen
Je nach Art der Verehrung erhielt Zeus verschiedene Beinamen, etwa:
, diesem durch Sühne gütig gestimmten Gott zu Ehren feierte man in Athen das Fest Diasia.
als Schützer des Gastrechts
als Urheber von Freundschaft und Genossenschaft
, in ganz Kleinasien verbreiter Kult
, als Gott und Schützer der Hochzeitsnacht
, als Schützer der Stadt
Zeus in der griechisch-römischen Philosophie
Zeus spielt auch eine wichtige Rolle in der Philosophie der Antike. Die Orphiker sahen Zeus als den Weltgrund an, der Platoniker Xenokrates identifizierte Zeus mit dem kosmischen Nous, in der Philosophie der Stoa wurde Zeus als die Urkraft oder kosmische Vernunft aufgefasst.
Zeus in den bildenden Künsten
Die wohl bekannteste Darstellung des Zeus ist die heute nicht mehr erhaltene Kolossalstatue des Phidias in Olympia. Weiterhin gibt es zahlreiche Darstellungen von Zeus als Krieger mit dem Attribut des Blitzbündels oder des Zepters, thronend als Göttervater.
Oft wurden auch die zahlreichen Mädchen- und Frauenraube des Zeus dargestellt, wie zum Beispiel der Raub der Europa und ähnliche, aber auch der des Knaben Ganymed. Seine Attribute sind Zepter, Adler, Blitzbündel, Helm, bisweilen auch der Eichenkranz, seine Begleiterin manchmal die Siegesgöttin Nike.
Literatur
Karim W. Arafat: Classical Zeus. A study in art and literature. Clarendon, Oxford 1990, ISBN 0-19-814912-3.
Annika Backe: Die Stiere des Zeus. Stier und Mythos im antiken Griechenland. KulturKommunikation, Uplengen/Remels 2006.
Lotte Motz: The Sky God of the Indo-Europeans. In: Indogermanische Forschungen. Bd. 103, 1998, S. 28ff.
Weblinks
Zeus im Theoi Project (engl.)
Einzelnachweise
Griechische Gottheit
Kult des Zeus
Männliche Gottheit
Wettergottheit
Griechische Gottheit als Namensgeber für einen Asteroiden
Rechtsgottheit
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Q34201
| 319.935784 |
5079
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tokio
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Tokio
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Tokio (auch Tokyo, , auf Chinesisch 東京 Dōngjīng, 'östliche Hauptstadt') ist eine Weltstadt in der Kantō-Region im Osten der japanischen Hauptinsel Honshū. Mit Einwohnern (Stand: 2021) ist die bevölkerungsreichste Metropole des Landes Sitz der japanischen Regierung und des Tennō als Teil des Hauptstadtgebietes Japans. Sie umfasst die 23 Bezirke auf dem Gebiet der 1943 als Verwaltungseinheit abgeschafften Stadt Tokio und ist damit keine eigene Gebietskörperschaft mehr; stattdessen bilden die Bezirke zusammen mit den Städten und Gemeinden der westlich gelegenen Tama-Region und den südlichen Izu- und Ogasawara-Inseln die Präfektur Tokio. Diese bildet wiederum das Zentrum der Metropolregion Tokio-Yokohama, in der mehr als 38,5 Millionen Menschen leben (Stand 2019), was die Region zum größten Ballungsraum der Welt macht.
Die Stadtgeschichte beginnt im Jahr 1446, als Ōta Dōkan in einem Sumpfgebiet am Nordufer der heutigen Bucht von Tokio mit dem Bau der Burg Edo begann, umgeben von einigen Fischerdörfern. 1590 ging diese Burg an Tokugawa Ieyasu, der hier nach seinem Sieg in der Schlacht von Sekigahara sein neues Shōgunat und damit die Edo-Zeit begründete. Edo wurde neben Kyōto zum politischen und kulturellen Zentrum des Landes. Mit der Meiji-Restauration 1868 wurde das Shōgunat abgeschafft und der Sitz des Tennō nach Edo verlegt, die Burg wurde zum Kaiserpalast und Edo bekam seinen neuen Namen Tokio, der „Östliche Hauptstadt“ bedeutet. Von da an wuchs auch die Bevölkerung der Stadt, die bereits um 1910 mit rund zwei Millionen Einwohnern zu den größten der Welt zählte. Im Zweiten Weltkrieg war Tokio zahlreichen Luftangriffen durch die USA ausgesetzt, bei denen rund die Hälfte der Stadtfläche zerstört wurde. Nach dem Ende der amerikanischen Besatzungszeit folgte ein rascher wirtschaftlicher Aufschwung, einhergehend mit einem erneuten Bevölkerungszuwachs.
Tokio ist heute das Industrie-, Handels-, Bildungs- und Kulturzentrum Japans mit zahlreichen Universitäten, Hochschulen, Forschungsinstituten, Theatern und Museen. Mit den Flughäfen Narita und Haneda und als Ausgangspunkt der meisten Shinkansen-Linien ist es auch das Verkehrszentrum des Landes. Der Finanzplatz Tokio ist nicht nur der größte Japans, sondern zählt neben London, New York und Hongkong auch zu den fünf größten der Welt. Zudem weist die Stadt ein hohes Preisniveau auf und lag in einer Studie 2014 auf Platz 9 der teuersten Städte weltweit. Neben modernen Sehenswürdigkeiten wie dem Tokyo Tower oder Tokyo Skytree bietet sie auch historische Anlagen wie die Kaiserlichen Gärten in Chiyoda, den Ueno-Park oder den Asakusa-Kannon-Tempel. In den vergangenen Jahren wurde Tokio zu einem zunehmend beliebten Tourismusziel und befindet sich mit jährlich bis zu acht Millionen Besuchern aus dem Ausland unter den 20 meistbesuchten Städten. In einer Rangliste der Städte nach ihrer Lebensqualität belegte Tokio im Jahre 2018 den 50. Platz unter 231 untersuchten Städten weltweit.
Geographie
Geographische Lage
Tokio liegt an der Bucht von Tokio auf der Insel Honshū, der größten der vier Hauptinseln des japanischen Archipels, in der Kantō-Ebene (Kantō-heiya) durchschnittlich sechs Meter über dem Meeresspiegel. Kantō ist das Gebiet, das in weitem Bogen um die Tokiobucht liegt. Der Name Kantō bedeutet „östlich der Barriere“ – eine historische Bezeichnung. (Kansai, also „westlich der Barriere“, ist das Gebiet um Osaka.) Mit „Barriere“ ist die alte Zollgrenze gemeint, die Westjapan von Ostjapan trennte, westlich der Stadt Hakone.
Die Kantō-Ebene ist die größte Ebene in Japan. Durch frühere, gewaltige Vulkanausbrüche des in den letzten Jahrhunderten eher ruhigen Fujisan wurde fast die komplette Ebene mit fruchtbarer, vulkanischer Asche eingedeckt – dem sogenannten kantō rōmu sō. Dazu kommt die große Tokiobucht, die tief genug ist, um als Hafen zu fungieren, und flach genug, um dem Meer größere Flächen abzuringen.
Definition und Größe von Tokio
Im administrativen Sinn existiert keine Stadt Tokio. Stadtgebiet im Sinne dieses Artikels sind die 23 Bezirke Tokios. Ihre Fläche beträgt 621,98 Quadratkilometer. Sie bilden den städtischen Kernbereich des Ballungsraums und befinden sich auf dem Gebiet der ehemaligen Stadt Tokio, die als politische Einheit 1943 aufgelöst wurde. Jeder Bezirk () ist administrativ eine eigenständige Kommune. Offiziell bezeichnen sich die Bezirke auf Englisch als City (z. B. Shinjuku City, Shibuya City).
Die Präfektur Tokio (; engl. Tokyo Metropolis) umfasst neben den 23 Bezirken auch den westlichen Teil des Ballungsraumes, bis zu den Ausläufern der Japanischen Alpen, die Tama-Region. Außerdem gehören die südlich im Pazifik gelegenen Izu-Inseln und Ogasawara-Inseln sowie Okinotorishima zur Präfektur. Die Präfektur hat über 13 Millionen Einwohner und erstreckt sich bis zum nördlichen Wendekreis.
Obwohl Tokio (im Sinne der 23 Bezirke) allein bereits über neun Millionen Einwohner beherbergt, ist die Stadt selbst umgeben von Millionenstädten, Saitama im Norden, Chiba im Osten sowie Yokohama und Kawasaki (Präfektur Kanagawa) im Süden. Im Westen schließt sich die Tama-Region mit vier Millionen Einwohnern an.
Zusammen bilden diese Städte mit ihrem Umland die Metropolregion Tokio. In Japan wird das Gebiet als Tokiobereich (, Tōkyō-ken), Hauptstadtbereich (, Shuto-ken) oder Südkantō (, Minami-Kantō) bezeichnet. Die unterschiedlichen Namen bezeichnen unterschiedliche Definitionen für die Grenzen der Metropolregion, die im Allgemeinen die Präfektur Tokio selbst, allerdings ohne Pazifikinseln, und komplett oder teilweise die Nachbarpräfekturen Chiba, Kanagawa und Saitama umfasst, sowie kleinere Teile von Gunma, Ibaraki und Tochigi, und sogar Yamanashi. Die Metropolregion umfasst 13.572 km² und besitzt rund 37,555 Millionen Einwohner (2014). Das Ballungsgebiet um Tokio bildet die größte Metropolregion der Welt.
Die 23 Bezirke Tokios
Das Gebiet der früheren Stadt Tokio mit ihren 35 Stadtbezirken, also den urbanen Kernbereich Tokios, füllen seit 1947 die 23 Bezirke ( -ku) aus, die weitgehend als eigenständige Kommunen fungieren:
Klima
Die Stadt befindet sich im Bereich des subtropischen Ostseitenklimas (nach Neef). Laut Köppenscher Klimaklassifikation ist die Stadt dem warmgemäßigten Seeklima zuzurechnen. Die Sommer sind heiß und feucht (30 °C tagsüber und 20 °C nachts), die Winter trocken und sonnig (10 °C tagsüber und um 0 °C nachts); manchmal fällt auch Schnee. Die Regenzeit (Tsuyu) mit täglichen Regenschauern dauert von Ende Juni bis Mitte Juli. Sie wird von feuchten Passatwinden aus dem Westpazifik hervorgerufen. Anschließend – von Mitte Juli bis Ende August – ist es anhaltend heiß mit hoher Luftfeuchtigkeit.
Taifune drohen im September oder Oktober, dauern aber selten länger als einen Tag. Sie entstehen meist im Sommer oder Frühherbst im Nordpazifik westlich der Datumsgrenze und nördlich des 5. nördlichen Breitengrades am Rand des Kalmengürtels und wandern dann meistens zuerst nordwestlich in Richtung Vietnam, Philippinen und China. Wenn sie das Festland nicht erreichen, drehen sie in nordöstliche Richtung ab und suchen Korea und Japan heim. In Tokio bringen Taifune starke Windböen und Regenfälle, schwächen sich dann aber allmählich ab, je weiter sie ins Inland vordringen, da sie kein Wasser mehr aufnehmen.
Die durchschnittliche Jahrestemperatur in Tokio beträgt 15,6 °C, die jährliche Niederschlagsmenge im Mittel 1466,8 Millimeter. Der wärmste Monat ist der August mit durchschnittlich 27,1 °C, der kälteste der Januar mit 5,2 °C im Mittel. Der meiste Niederschlag fällt im September mit durchschnittlich 208,5 Millimeter, der wenigste im Dezember mit 39,6 Millimeter im Mittel.
Erdbeben
Tokio liegt in einer der aktivsten Erdbebenzonen der Welt. Kleine Erdbeben sind in der Stadt nichts Außergewöhnliches. Während der sehr aktiven Phasen können kleine, bemerkbare Erdbeben fast täglich auftreten. Trotz aller Anstrengungen ist den Wissenschaftlern eine wirksame Erdbebenvorhersage noch nicht gelungen.
Eine der bekanntesten Theorien stammt von Kawasumi Hiroshi, dem Präsidenten des Instituts für Erdbebenforschung der Universität von Tokio. Er hat alle Erdbeben in Tokio seit dem Jahre 818 mit einer Magnitude von über 5 auf der Richterskala analysiert und festgestellt, dass sich durchschnittlich alle 69 Jahre ein größeres Erdbeben ereignet. Demnach hätte das nächste große Beben im Jahre 1992 kommen müssen. Allerdings ist dies eine rein statistische Berechnung, die keine geologischen Gegebenheiten berücksichtigt und deshalb zur kurzfristigen Vorhersage völlig ungeeignet ist. Eine erheblich differenziertere Betrachtung nahm Ishibashi Katsuhiko von der Universität in Kōbe vor. Nach seiner Feststellung ereignen sich die Erdbeben immer in einem gewissen Zyklus. Am Anfang kommen mehrere kleinere Beben; ein großes Beben bildet dann immer den Abschluss dieses Zyklus.
Eines der schwersten Erdbeben war das Große Kantō-Erdbeben mit einer Magnitude von 7,9, bei dem am 1. September 1923 in Tokyo und Yokohama rund 140.000 Menschen starben und etwa 380.000 Häuser zerstört wurden. Weitere schwere Beben ereigneten sich in den Jahren 1615 (Magnitude 6,4), 1649 (7,1), 1703 (8,2), 1855 (6,9) und 1894 (7,0). Bei dem Genroku-Erdbeben am 31. Dezember 1703 wurden Tokio (damals: Edo) und andere Städte in der Umgebung zerstört. Über 10.000 Menschen kamen in der Region ums Leben.
Geschichte
Ursprung
Wie archäologische Funde belegen, war das Stadtgebiet schon in der Steinzeit besiedelt. Ursprünglich war Tokio unter seinem früheren Namen Edo ein kleiner Fischereihafen. Um das Jahr 1457 ließ der damalige Daimyō Ōta Dōkan nahe dem Dorf eine Burg bauen. Die Siedlung erlangte erst 1590 Bedeutung, als sie in den Besitz des Shōgun Tokugawa Ieyasu (1543–1616) überging.
Edo-Zeit
Tokugawa Ieyasu bestimmte Edo 1603 zur Hauptstadt des Shōgunats, der wahren Macht in Japan, während der machtlose Tennō (Kaiser) weiterhin in der offiziellen Hauptstadt Kyōto residierte. Die Edo-Burg wurde während seiner Regierungszeit restauriert und erweitert. Das Gebiet um die Edo-Burg wurde als Yamanote bezeichnet.
Tokio wurde häufig von verheerenden Erdbeben und großen Bränden heimgesucht. So forderte etwa 1657 ein Großbrand mehrere Tausend Menschenleben und zerstörte mehr als 60 Prozent des damaligen Stadtgebietes. Das Shōgunat nutzte diese Gelegenheit für eine Neuordnung der Stadtstrukturen, die hauptsächlich der Brandverhütung und der Verstärkung der Verteidigungsanlagen der Edo-Burg diente. In dieser Phase wurden systematisch Schreine und Tempel in Außenbezirke transportiert und Stadtbewohner in neu gebaute Außenbezirke umgesiedelt.
Zu einem schnelleren Wachstum der Stadt führte der Befehl Tokugawa Ieyasus an seine Daimyō, in Edo eigene Residenzen zu errichten, wo ihre Familien praktisch als Geiseln gehalten wurden (Sankin-kōtai-Verfügung). Zahlreiche Handwerker und Kaufleute, die zur Versorgung des Hofes gebraucht wurden, ließen sich Anfang des 18. Jahrhunderts in Edo nieder.
Meiji-Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg
Im Jahre 1868 wurde auf Veranlassung des Meiji-Tennō (Mutsuhito, 1852–1912) der kaiserliche Hof nach Edo verlegt und die Stadt in für „östliche Hauptstadt“ oder genauer „kaiserliche Residenzstadt im Osten“ umbenannt. Die Schriftzeichen wurden damals teils in der Han-Lautung Tōkei, teils auch schon in der Wu-Lautung Tōkyō (Tokio) gelesen.
1872 zerstörte ein Großbrand die Bezirke Ginza und Marunouchi. Der Wiederaufbau und die damit verbundene Modernisierung des Stadtbildes erfolgten nach westlichem Vorbild. Die Planung hierfür wurde einem englischen Architekten übertragen, der das Stadtbild mit einer Mischung europäischer Stile prägen wollte (Straßen nach Pariser und Bauweise der Häuser nach Londoner Vorbild). Trotz einer gewissen Ambivalenz in der Bevölkerung ob der vollkommen neuen, westlichen Bauten, die ein geschlosseneres Wohngefühl vermittelten, ließ der damalige Gouverneur der Präfektur Tokio Yuri Kimimasa Handwerker und Bauleute nach Tokio kommen, um mit den Arbeiten zu beginnen. Gerade im Stadtteil Ginza sollte der Wiederaufbau so schnell wie möglich beginnen, da dort eine Bahnlinie zwischen Yokohama und Shimbashi eingeweiht werden sollte. Indem man traditionelle Wohn- und Lagerhäuser in Nebenstraßen versetzte, machte man Platz für die neue Architektur.
Die schwerste Naturkatastrophe in der neueren Geschichte Tokios war das Große Kantō-Erdbeben und Feuer vom 1. September 1923, bei dem ein Großteil der Stadt zerstört wurde. Beim im Jahre 1930 beendeten Wiederaufbau entstanden über 200.000 neue Gebäude, darunter viele nach westlichem Muster, sowie sieben Stahlbetonbrücken über den Fluss Sumida und einige Parks.
1943 wurde mit Erlass des Tōkyō-tosei die Stadt Tokio als administrative Einheit aufgelöst. Im Zweiten Weltkrieg begannen die Vereinigten Staaten am 24. November 1944 mit der Bombardierung Tokios, und auch am 25. Februar und am 10. März 1945 flogen amerikanische Bomber schwere Luftangriffe. Mehr als 100.000 Menschen starben, als ganze Stadtteile mit Gebäuden in traditioneller Holzbauweise ein Raub der Flammen wurden. Auf einer Fläche von 15 Quadratmeilen (ca. 39 Quadratkilometer) waren sämtliche Häuser zerstört, auch der historische Kaiserpalast wurde vernichtet.
Nachkriegszeit bis heute
Während der Besatzungszeit war Tokio von September 1945 bis April 1952 von amerikanischen Truppen besetzt. Die damit einhergehenden Spannungen entluden sich in den blutig niedergeschlagenen Demonstrationen am 1. Mai 1952. Gegenüber dem Kaiserpalast residierte General Douglas MacArthur, der als Supreme Commander for the Allied Powers die Besatzungsbehörden leitete. Besonders ab dem Beginn des Koreakriegs erlebte die Stadt eine Phase raschen Wiederaufbaus und wirtschaftlichen Wachstums.
Vom 10. Oktober bis 24. Oktober 1964 fanden in Tokio die XVIII. Olympischen Sommerspiele statt.
Am 20. März 1995 verübten Mitglieder der Ōmu Shinrikyō (Aum-Sekte) einen Sarin-Anschlag auf die Tokioter U-Bahn. Dabei starben dreizehn Menschen, und 6.252 wurden verletzt.
Laut der Forbes-Liste der World’s Most Expensive Cities To Live von 2009 galt Tokio als teuerste Stadt der Welt. Im März 2013 benannte die Forbes-Liste Tokio auf Platz zwei (hinter Hongkong).
Am 7. September 2013 wurde Tokio vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als Gastgeber für die Olympischen Sommerspiele 2020 ausgewählt, die wegen der COVID-19-Pandemie auf 2021 verschoben werden mussten.
Ausblick in die Zukunft
Für die nähere Zukunft sagen Seismologen für Tokio ein verheerendes Erdbeben in der Größenordnung des Großen Kantō-Erdbebens von 1923 vorher. Dies und die exorbitanten Grundstückspreise sind die Gründe, weshalb seit den 1990er Jahren eine Verlegung der Hauptstadt weg von Tokio diskutiert und geplant wird – Hauptstadtverlegungen gab es aus religiösen und politischen Gründen in der japanischen Geschichte schon oft. Auf Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 1992 wurden bis 1999 drei Kandidatenregionen ermittelt: Tochigi-Fukushima im Nordosten, Gifu-Aichi in Tōkai und Mie-Kiō. Bisher sind noch keine Aktivitäten erfolgt.
Bevölkerungsentwicklung
Seit den 1880er-Jahren leben in Tokio mehr als eine Million Einwohner. Seit den späten 1940er Jahren ist die Metropolregion Tokio erneut rasch gewachsen, sowohl nach Fläche als auch nach Einwohnerzahl. In ihr lebt ungefähr ein Viertel der Gesamtbevölkerung Japans. Ihre äußere Grenze liegt zwischen 40 und 70 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Nach einem Zwischenhoch 1965 hatte sich die Bevölkerung der 23 Bezirke verringert, steigt aber momentan durch Reurbanisierung wieder an und hat mittlerweile auch den Stand von 1965 übertroffen.
Die 23 Bezirke haben zusammen Einwohner (Stand: ). Der Großraum Tokio bildet gemeinsam mit den angrenzenden Präfekturen Kanagawa, Saitama und Chiba das größte zusammenhängende urbane Gebiet der Erde mit 37,4 Millionen Einwohnern (2017). Die Metropolregion beherbergt 27 Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern, 17 Städte mit einer Bevölkerung von über 300.000, und acht mit einer Einwohnerzahl von mehr als 500.000.
Tokio hat drei weitere Millionenstädte als Vororte: Yokohama, Saitama und Kawasaki. Im östlichen Vorort Chiba leben etwa 900.000 Menschen. Yokohama im Süden Tokios hat mit 3,6 Millionen Einwohnern etwa ebenso viele Einwohner wie Berlin oder Madrid.
Die folgende Übersicht zeigt die Einwohnerzahlen der früheren Stadt Tokio, also des Gebiets der heute 23 Bezirke, nach dem jeweiligen Gebietsstand. Bis 1914 handelt es sich um Schätzungen, von 1920 bis 2005 um Volkszählungsergebnisse.
Bevölkerungsentwicklung der Metropolregion
Laut Zahlen der Vereinten Nationen wuchs die Bevölkerung der Metropolregion von 11,3 Millionen im Jahre 1950 auf über 37,4 Millionen im Jahre 2017 an. Die Metropolregion Tokio ist damit die größte der Welt. Es wurde noch bis 2020 mit einem Ansteigen der Bevölkerung gerechnet. Für 2050 wird mit einer Bevölkerung von 32,6 Millionen Einwohnern ausgegangen, womit Tokio seinen Status als bevölkerungsreichste Agglomeration der Welt verlieren würde. Für 2100 wird mit einer Bevölkerung von 25,6 Millionen gerechnet.
Bevölkerungsentwicklung der Agglomeration laut UN
Politik
Eine gemeinsame politische Struktur ausschließlich für Tokio existiert nicht. Gemeinsame Verwaltungsaufgaben für Tokio werden direkt von der übergeordneten Präfektur Tokio (Tōkyō-to, engl. Tokyo Metropolis) mit Sitz im Tokyo Metropolitan Government Building in Shinjuku wahrgenommen. Die 23 Bezirke haben deshalb als tokubetsu-ku („Sonder-“ oder „Spezial-Bezirke“) einen einzigartigen Status unter den Kommunen Japans. Sie arbeiten durch einige gemeinsame Institutionen wie der „Sonderbezirksbürgermeisterkonferenz“ in verschiedenen Bereichen wie der Organisation von Pferderennen oder bei der Rekrutierung kommunaler Beamten zusammen; eine Reihe dieser stadtweiten Institutionen haben ihren Sitz im Tōkyō kusei kaikan (etwa „Haus der Tokioter Bezirkspolitik“) in Iidabashi im Bezirk Chiyoda.
Versuche einiger Politiker, z. B. in den 2000er Jahren ein Vorstoß von Shigefumi Matsuzawa und Kiyoshi Ueda, den damaligen Gouverneuren der Nachbarpräfekturen Kanagawa und Saitama, zusätzlich eine enge, gemeinsame Verwaltungsstruktur für die Metropolregion Tokio aufzubauen, sind bisher ohne konkretes Ergebnis. Existierende Kooperationsforen sind die regionale Gouverneurskonferenz Kantō (Kantō chihō chijikai) aus zehn Gouverneuren der Region sowie die kyū-tokenshi-shunō-kaigi (etwa „Konferenz der Verwaltungschefs von neun Präfekturen und Städten“, manchmal auch shutoken summit), die die Gouverneure der Präfekturen Saitama, Chiba, Tokio und Kanagawa sowie die Bürgermeister der Städte Yokohama, Kawasaki, Chiba, Saitama und Sagamihara versammelt.
Auf Landkarten auch von staatlichen Stellen wird Tokio häufig nach wie vor als ganzes als Hauptstadt der Präfektur Tokio gekennzeichnet, auch wenn sie es rein technisch betrachtet seit der Auflösung der Stadt als Verwaltungseinheit 1943 nicht mehr sein kann; formal ist seit dem Umzug der Präfekturverwaltung 1991 der „Sonderbezirk“ Shinjuku Sitz der Präfekturverwaltung. Betrachtet man Tokio als Präfekturhauptstadt, ist sie unter allen 47 Präfekturhauptstädten diejenige mit dem höchsten Anteil an der Präfekturbevölkerung – in den 23 Bezirken leben mehr als zwei Drittel der Einwohner der Präfektur Tokio; damit läge sie noch deutlich vor der Stadt Kyōto, wo rund 56 % der Einwohner der Präfektur Kyōto leben. Berücksichtigt man dagegen nur existierende Gemeinden, so ist Shinjuku mit weniger als 3 % die Präfekturhauptstadt mit dem niedrigsten Anteil an der Präfekturbevölkerung.
Wahlen und Stimmgewicht
Elf der 23 Tokioter Bezirksbürgermeister und 20 der 23 Kommunalparlamente werden bei den „einheitlichen Regionalwahlen“ in Jahren vor Schaltjahren gewählt (zuletzt 2019). Bei Wahlen zum Parlament der Präfektur Tokio stellen die Bezirke Tokios nach der Wahl 2017 noch 87 der insgesamt 127 Abgeordneten, wobei die 23 Bezirke als SNTV-Wahlkreise dienen, aber ein sehr unterschiedliches Stimmgewicht haben: Bei der Wahl 2009 wählten die knapp 40.000 Wahlberechtigten des Bezirks Chiyoda einen Abgeordneten, das präfekturweit zweithöchste Stimmgewicht hinter den Izu- und Ogasawara-Inseln. Dagegen wählten im Bezirk Edogawa über 500.000 Wahlberechtigte fünf Abgeordnete, mit über 100.000 Wahlberechtigten pro Abgeordneter das viertniedrigste Stimmgewicht vor drei Wahlkreisen westlich von Tokio.
Im nationalen Unterhaus umfassen die Bezirke Tokios 17 der insgesamt 25 Einzelwahlkreise der Präfektur Tokio, wobei einer davon auch die zur Präfektur Tokio gehörigen Pazifikinseln enthält. Auch dabei ist das Stimmgewicht unterschiedlich, ist aber im landesweiten Vergleich generell niedrig: So gab es 2009 in den meisten Wahlkreisen in Tokio über 400.000 Wahlberechtigte pro Abgeordneter, während der eher ländliche, westlichste Wahlkreis der Präfektur Tokio nur rund 320.000 Wahlberechtigte verzeichnete – zum Vergleich: in sieben Wahlkreisen in Shikoku lebten 2009 jeweils weniger als 250.000 Wahlberechtigte.
Nur bei Gouverneurs- und nationalen Oberhauswahlen unterscheidet sich das Stimmgewicht der Bewohner der Bezirke Tokios nicht vom Rest der Präfektur Tokio, da dabei die gesamte Präfektur einen Wahlkreis bildet.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Theater
Tokio besitzt viele Theater, in denen sowohl traditionelle Formen des Theaters – wie zum Beispiel Nō und Kabuki – als auch moderne Stücke aufgeführt werden. Mehrere Sinfonieorchester und viele kleinere Orchester haben westliche und traditionelle japanische Musik in ihrem Repertoire.
Nahe dem Tokyo Opera City Tower liegt im Bezirk Shibuya das Neue Nationaltheater (Shin kokuritsu gekijō), das in den Theatern Opera Gekijō („Opernhaus“; engl. Opera Palace), Chū-gekijō („Mittleres Theater“, Play House) und Shō-gekijō („Kleines Theater“, The Pit) Opern, Ballett und zeitgenössischen Tanz zeigt. Auch in der Opera City befindet sich das Konzerthaus von Tokio mit sinfonischer Musik im Spielprogramm. Die Suntory Hall ist ein Konzerthaus im Stadtteil Akasaka, es zählt zu den weltweit renommiertesten Konzerthäusern. In Partnerschaft mit mehreren europäischen Theaterhäusern zeigt das Panasonic Globe Theatre westliche Dramen. Das Takarazuka Grand Theatre ist ein Theater für Revuen und Musicals und Heimstätte der Musiktheatergruppe Takarazuka Revue. Nō und Kabuki werden in zahlreichen kleineren Theaterhäusern der Stadt aufgeführt.
Im Nationaltheater in Hayabusachō werden überwiegend Aufführungen traditioneller japanischer Theaterformen gegeben.
Museen
Im Ueno-Park im Bezirk Taitō befinden sich das Nationalmuseum Tokio, das größte und älteste Museum Japans. Es werden rund 110.000 Exponate der japanischen Kunst und Archäologie gezeigt. Weitere wichtige Kunstmuseen sind das Nationalmuseum für westliche Kunst, das Tokyo Metropolitan Teien Art Museum, das Artizon Museum und das Nationalmuseum für moderne Kunst.
Das 1871 gegründete Nationalmuseum der Naturwissenschaften zeigt eine Auswahl der 3,5 Millionen Einzelstücke, darunter eine Sammlung zur Wissenschaft vor der Öffnung Japans. Das Edo-Tokyo-Museum und Fukagawa-Edo-Museum befassen sich mit der Stadtgeschichte Tokios. Dort wurde das alte Tokio in Miniatur nachgebaut, einzelne historische Häuser werden auch in Originalgröße gezeigt.
Das U-Bahn-Museum Tokio besteht seit 1986.
Bauwerke
Der historische Stadtkern Tokios im Bezirk Chiyoda wird vom Kaiserpalast Kōkyo dominiert. Die kaiserliche Residenz liegt auf dem ehemaligen Gelände der Burg Edo und ist von einer weitläufigen Parkanlage umgeben. Im südlich und westlich der Palastanlage gelegenen Stadtteil Nagatachō liegt das Regierungsviertel mit dem Amtssitz des Premierministers (Kantei), das Gebäude des japanischen Parlaments und dem Obersten Gerichtshof.
Östlich des kaiserlichen Palastes liegt der Stadtteil Marunouchi, das bedeutendste Geschäftsviertel des Landes. Viele der großen Konzerne Japans und eine große Anzahl an Einrichtungen des Finanzwesens haben hier ihre Hauptgeschäftsstelle. Im Jahre 1914 erlangte dieser Bezirk nach der Eröffnung des Hauptbahnhofs große Bedeutung. Im Osten von Marunouchi liegt das größte Einkaufsviertel Tokios. Es erstreckt sich vom nördlich gelegenen Stadtteil Nihombashi bis nach Ginza im Süden. Viele Kaufhäuser, internationale Mode-Marken, traditionelle Spezialitätengeschäfte, Vergnügungslokale und Restaurants haben sich entlang der Straßen dieser Bezirke angesiedelt.
Im Stadtbezirk Minato befindet sich der 333 Meter hohe Tokyo Tower, eines der Wahrzeichen der Stadt, und der Hochhauskomplex Tokyo Midtown. Ein weiteres Einzelhandels- und Geschäftszentrum ist der Bezirk Shinjuku um den Bahnhof Shinjuku, wo ebenfalls bedeutende Firmenzentralen und die Präfekturregierung angesiedelt sind. Weitere bedeutende Stadtzentren und Sehenswürdigkeiten sind Akihabara, auch als Electric City (, denki-machi) bekannt, ein großes Elektronik- und Computereinkaufsviertel und Treffpunkt der Otaku, der Tsukiji-Fischmarkt (größter Fischmarkt der Welt), der Tokyo Dome, der Ueno-Park mit der Einschienenbahn Ueno-Zoo, das Kaufhaus Mitsukoshi und die Rainbow Bridge. Im Bezirk Sumida wurde am 18. März 2011 der Tokyo Sky Tree fertiggestellt, obwohl in der Woche zuvor das Tohoku-Erdbeben auch Tokio erreichte. Die Eröffnung erfolgte am 22. Mai 2012. Mit 634 Metern ist der Turm der höchste Fernsehturm der Welt sowie das zweithöchste freistehende Bauwerk nach dem Burj Khalifa im arabischen Dubai.
Bedeutende Sakralbauten sind der Meiji-Schrein und der Sensō-ji in Taitō, der älteste Tempel in Tokio.
Parks
Auch wenn in Tokio der Eindruck von dichter Stadtlandschaft mit wenig Grün überwiegt, gibt es im Stadtgebiet über hundert öffentliche Parks, wobei allerdings schon ein Spielplatz mit ein paar Bäumen als Park gilt. Die größten innerstädtischen Parks Tokios sind der Ueno-Park in Taitō, der Yoyogi-Park und der Shinjuku Gyoen, gefolgt vom Shinjuku-Chūō-Park, dem Hibiya-Park und den Grünanlagen rund um den Kaiserpalast (namentlich Ni-no-Maru-Park, Kita-no-Maru-Park, Chidori-ga-Fuchi-Park und Soto-Bori-Park).
Weitere Parks sind der Inokashira-Park zwischen den Städten Musashino und Mitaka, der Koishikawa-Kōrakuen, ein Landschaftsgarten auf dem Grundstück eines ehemaligen Daimyō-Anwesens direkt neben dem Tokyo Dome, und der Odaiba-Kaihin-Park, ein beliebter Pärchentreff mit Blick auf die Bucht von Tokio. Die bekanntesten Vergnügungsparks in Tokio sind der Tokyo Sea Life Park, Hanayashiki, Toshimaen, Tokyo Disney Resort, der Tama-Zoo und der Ueno-Zoo.
Der Tama-Zoo ist der größte Zoo von Tokio. Er wurde am 5. Mai 1958 eröffnet und umfasst ein Gelände von 52,3 Hektar. Der Zoo ist in drei ökologische Areale eingeteilt, den asiatischen Garten, den afrikanischen Garten und den australischen Garten. Dazu besitzt er ein Insektarium. In den jeweiligen Gärten werden typische Tiere des jeweiligen Erdteils gezeigt. Er liegt vor dem Bahnhof Tama Dōbutsu Kōen der Keiō-Dōbutsuen-Linie und der Einschienenbahn Tama.
Der Ueno-Zoo ist der älteste Tierpark Japans. Er ist kleiner als der Tama-Zoo und befindet sich im Ueno-Park mitten in der Tokioter Innenstadt. Der Zoo ist durch eine in einem Einschnitt liegende Straße in zwei Teile geteilt, die mit einer Brücke und der Ueno-Zoo Monorail verbunden sind.
Der „Hama-Rikyū-Garten“ an der Mündung des Sumida, ursprünglich der Garten der kaiserlichen Villa, ist bekannt für seinen Meerwasserteich, der auch Ebbe und Flut hat sowie seine mit Wisteria bewachsenen Brücken. Der „Kiyosumi-Garten“ bekam seine gegenwärtige Gestalt von Baron Iwasaki im Jahre 1878. Ein kleiner Teich mit circa 10.000 Karpfen ist umgeben von großen Felsen, die aus ganz Japan stammen. 1924 wurde er der Stadt Tokio geschenkt. Sehenswert sind auch die weiter im Westen, hinter den Vororten, gelegenen Teile der schönen Gebirgslandschaft des Chichibu-Tama-Kai-Nationalparks.
Sport
Neben der Sportart Sumō, dessen Turniere in Tokio im Januar, Mai und September im Ryōgoku Kokugikan stattfinden, sind Baseball und Fußball in Japan sehr populär. Tokio ist die Heimat der „New York Yankees von Japan“, dem Rekordmeister Yomiuri Giants, sowie der Tōkyō Yakult Swallows – beide aus der Central League. Im Großraum spielen außerdem die Yokohama DeNA BayStars und in der Pacific League die Chiba Lotte Marines und die Saitama Seibu Lions. J1-League-Fußballmannschaften aus Tokio sind der FC Tokyo und Tokyo Verdy, aus der Region kommen außerdem der Rekordmeister Kashima Antlers, JEF United Ichihara Chiba, die Yokohama F. Marinos, die Urawa Red Diamonds, Kawasaki Frontale, Ōmiya Ardija und Kashiwa Reysol.
Die traditionellen Sportarten wie Aikidō, Judo, Karate, Kyūdō und Kendō sind überwiegend nur in den jeweiligen Schulen zu bestimmten Zeiten zu besichtigen. Wer in Tokio joggen möchte, findet am Wassergraben um dem Kaiserpalast viele Gleichgesinnte.
Mehrere olympische Bauten, unter anderen das Olympiastadion und die Yoyogi Arena befinden sich in der Nähe des Meiji-Schreins. Die Sportstätten wurden anlässlich der Olympischen Spiele im Jahre 1964 nach Plänen des Architekten Kenzō Tange (1913–2005) erbaut. Die Olympischen Spiele 2020 fanden in Tokio statt.
Regelmäßige Veranstaltungen
Jährlich Anfang April öffnen sich in Tokio die Kirschblüten (sakura no hana). Sie symbolisieren Schönheit, Perfektion, aber auch Vergänglichkeit auf der Höhe des Ruhmes. Die Menschen in Japan verehren die blassrosa Pracht deshalb als Sinnbild für ein kurzes, aber erfülltes Leben. Die Kirschblüte ist auch die offizielle Pflanze von Tokio.
In den etwa zwei Wochen, in denen die Kirschen in der Stadt blühen, treffen sich Japaner zum Picknick (Hanami, wörtlich Blütenschau) in den Parks mit Freunden, Kollegen und Familie. Die Kirschblüte ist auch ein Anlass, zu für ihre Kirschblüte besonders berühmten Parks und Gegenden zu reisen oder bekannte Sehenswürdigkeiten neu zu erleben. Berühmt für ihre Kirschblüten sind der Ueno-Park und der Park des Kaiserpalasts.
Kulinarische Spezialitäten
In Tokio hat man die Auswahl unter mehr als 50.000 Restaurants. Diese bieten eine überraschend große Auswahl von preiswerten Nudelsuppen bis zum aristokratischen Kaiseki. Die Hauptrolle in der traditionellen japanischen Küche spielen Fisch, Reis, Sojabohnen und Gemüse. Am bekanntesten ist Sashimi (roher Fisch). Eine lokale Spezialität ist Monjayaki – insbesondere auf der Tsukishima Monja Street gibt es über 70 Monjayaki-Lokale.
Für die Haute Cuisine in Japan steht Kaiseki. Dieses aufwändige Gericht verkörpert die drei Ideale der einheimischen Küche: aufwändige Zubereitung, dekoratives Anrichten und erlesenes Ambiente. Es gilt als Krönung der japanischen Kochkunst und es werden nur absolut frische und möglichst naturbelassene Lebensmittel verwendet. Kaiseki, das sich aus einer Zwischenmahlzeit zur Teezeremonie entwickelte, wird heute in noblen Restaurants und Hotels serviert.
Die Japaner haben aber auch mit Rind, Geflügel und Schwein experimentiert und Gerichte wie Teppanyaki, Shabu shabu und Sukiyaki entwickelt. Bekannt ist das marmorierte einheimische Rindfleisch, dessen teuerste Marke das Kobe-Rind ist. Ein einfaches Mittag- oder Abendessen für jeden Tag bieten die zahlreichen Nudelrestaurants, die preiswerte Udon, Soba oder Ramen offerieren. Viele der kleinen Nudellokale in Tokio sind selbst nachts geöffnet und es gibt sie in fast jeder Straße.
Genauso beliebt sind nationale Spezialitätenrestaurants, „ethnic food“ genannt. Unter diesem Begriff verstehen Japaner alles, was nicht japanische oder westliche Küche ist. Vorrangig finden sich hier chinesische, koreanische (Yakiniku), indische (Curry), thailändische und vietnamesische Restaurants. Auch gibt es in Tokio eine signifikante Anzahl deutscher Restaurants. Modewellen bringen alle paar Jahre neues ethnic food nach Japan. Tokio als Weltstadt versammelt auch eine große Anzahl nationaler und internationaler Fastfood-Restaurant- und Café-Ketten, darunter MOS Burger, Royal Host, Yoshinoya, Kentucky Fried Chicken, McDonald’s und Starbucks.
Wirtschaft und Infrastruktur
Laut einer Studie aus dem Jahr 2014 erwirtschafte die Metropolregion Tokio ein Bruttoinlandsprodukt von 1.617 Milliarden US-Dollar (Kaufkraftparität). In der Rangliste der wirtschaftsstärksten Metropolregionen belegte sie damit den 1. Platz. Als ein unabhängiges Land gezählt wäre sie damit unter den 10 größten Volkswirtschaften der Welt. Das BIP pro Kopf liegt bei 43.664 US-Dollar. Zwischen 2009 und 2014 wuchs das BIP pro Kopf mit 1,6 % jährlich. In der Metropolregion Tokio sind 19,3 Millionen Arbeitskräfte beschäftigt.
Wirtschaft
Viele Fabriken, Universitäten, Krankenhäuser und andere Einrichtungen haben seit den 1930er Jahren ihren Standort in die Außenbezirke Tokios verlagert. Ab Mitte der 1950er Jahre beschleunigte sich dieser Prozess, als Japan einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Aufgrund des Bevölkerungswachstums entstanden Subzentren in den (damaligen) Randgebieten wie Ikebukuro, Shinjuku und Shibuya. Dort haben sich verschiedene Dienstleistungsbetriebe – unter anderem des Einzelhandels und des Finanzwesens – angesiedelt. Mittlerweile ist die Großstadt Tokio (, shutoken; wörtlich: Hauptstadt-Gebiet) in die umliegenden Präfekturen Ibaraki, Tochigi, Gunma, Saitama, Chiba, Kanagawa und Yamanashi hineingewachsen.
Am Ufer der Tokiobucht konzentrieren sich die modernen Großindustrien der Stadt. Dort liegt zwischen Tokio und Yokohama das größte Industriegebiet Japans. Der dominierende Wirtschaftszweig ist die Schwerindustrie, die mehr als zwei Drittel des Gesamtproduktionswertes erwirtschaftet. Die Leichtindustrie ist breit gefächert: Hergestellt werden chemische Produkte, Kameras, Maschinen, Metallwaren, Nahrungsmittel, optische Geräte und Textilien sowie eine große Vielfalt an Konsumgütern.
Die Wirtschaft der Stadt ist hoch effizient, ihre Stärken liegen besonders im internationalen Handel und in der forschungsintensiven Hochtechnologie. Aufgrund des hohen Lohnniveaus haben Tokioter Firmen schon in den 1970er Jahren begonnen, ihre Produktion besonders nach Südostasien auszulagern. Die in diesen Ländern geschaffene Infrastruktur hat es aber in den letzten Jahren auch dortigen einheimischen Unternehmen erlaubt, zu ausgewachsenen Konkurrenten für die Tokioter Industrie heranzuwachsen.
In den 1980er Jahren stiegen in Tokio die Grundstückspreise stark an. Es kam zu einem Immobilien-Boom (Bubble Economy), wobei die Grundstücke von Unternehmen als Sicherheiten für immer höhere Kredite benutzt wurden. Gleichzeitig stieg der Wert der Aktien und der Wert des Yen gegenüber dem US-Dollar, aber auch die Staatsverschuldung des Landes. Die Unternehmen hatten sehr viel Kapital zur Verfügung, das teilweise zur Akquirierung von Unternehmen außerhalb Japans, vor allem in den USA, verwendet wurde, aber auch zu großer Geldverschwendung führte.
Die Situation wurde riskant, als die Banken begannen, durch die überbewerteten Immobilien gegenfinanzierte Kredite auszugeben. Im Jahre 1990 platzte die Blase. Die Grundstückspreise sanken auf ein Viertel zurück, der Wert der Aktien kollabierte, und die Banken saßen auf ihren „faulen Krediten“. Seitdem befand sich die Tokioter Wirtschaft in einer Phase der Wirtschaftsflaute und Deflation, auch die Asienkrise 1997/1998 verhinderte eine Erholung.
Das Kabinett um Premierminister Jun’ichirō Koizumi hat am Anfang dieses Jahrtausends teilweise vergeblich Anstrengungen zur Privatisierung von Staatsunternehmen und zur Deregulierung der japanischen Wirtschaft unternommen. Hinweise auf eine Besserung der Lage geben der China-Boom, der in den letzten Jahren eingesetzt hat, und Fortschritte in der Robotik-Forschung. Auch ist es den Banken seit Anfang der 1990er Jahre gelungen, eine Vielzahl der „faulen Kredite“ abzuschreiben und durch Fusionen den Sektor zu stabilisieren. Tokio ist heute neben New York und London einer der bedeutendsten globalen Finanzplätze.
Verkehr
Fernverkehr
In der Meiji-Zeit zwischen 1868 und 1912 wurde in Japan ein Eisenbahnnetz errichtet, in dessen Zentrum Tokio liegt. Die Stadt ist über Hauptlinien mit allen Teilen des Landes verbunden und ein gut ausgebautes Nebenliniennetz durchzieht das nahe Hinterland. Von den wichtigsten Bahnhöfen der Stadt – Ikebukuro, Shibuya, Shinagawa, Shinjuku, Tokio (Hauptbahnhof) und Ueno – werden täglich mehrere Millionen Pendler befördert. Da die existierenden Hauptverbindungen bald überlastet waren, sind ab den 1960er Jahren mehrere Shinkansen-Strecken eröffnet worden.
Der Flughafen Haneda an der Tokiobucht südlich des Stadtzentrums diente lange Zeit sowohl dem internationalen als auch dem inländischen Flugverkehr, bis im Jahre 1978 der neue Flughafen Tokio-Narita 55 Kilometer östlich des Stadtzentrums in der Präfektur Chiba eröffnet wurde. Auf diesem ist im April 2002 eine zweite Start- und Landebahn in Betrieb genommen worden, die dem Kurz- und Mittelstreckenbetrieb innerhalb Asiens dienen soll. Über den Flughafen Haneda wurden zwischenzeitlich vorwiegend Inlandsflüge abgewickelt. Der zentraler gelegene Flughafen Haneda übernimmt seit 2010 wieder internationalen Flugverkehr.
Der Flughafen Narita wird von fast allen internationalen und nationalen Fluggesellschaften angeflogen. Er kann über zwei Bahnlinien erreicht werden. Dies sind der Narita Express mit den Haltestellen in Tokio, Shinjuku, Ikebukuro und Yokohama und die private Keisei-Linie mit den Zügen Skyliner und Limited Express, die den Bahnhof Ueno mit dem Flughafen Narita verbinden. Der Flughafen Haneda ist durch die Tōkyō Monorail an die Yamanote-Linie angebunden.
Der Hafen von Tokio bildet in der Bucht von Tokio zusammen mit dem Westen von Yokohama und dem Osten von Chiba eine Einheit. 25 Prozent aller Industriegüter werden hier weltweit verschifft. Der jährliche Güterumschlag beträgt damit über 360 Millionen Tonnen. Die meisten Industrien sind am Hafen angesiedelt, was die rasche Expansion der baulichen Maßnahmen erklärt.
Nahverkehr
Der Aufbau eines modernen Straßennetzes gestaltete sich besonders schwierig, da die Straßen der alten Hauptstadt Japans sehr eng und gewunden und für den Autoverkehr völlig ungeeignet waren. Vor den Olympischen Sommerspielen 1964 wurden jedoch strahlenförmig vom Stadtzentrum ausgehende Hauptverkehrsstraßen und Stadtautobahnen gebaut. Sie verbinden das Zentrum Tokios mit einem System von acht breiten Ringstraßen.
Seit den 1960er Jahren ist der private Autoverkehr allmählich zugunsten des öffentlichen Busverkehrs reduziert worden. Der Straßenverkehr wird auch heute noch durch die meist engen Straßen und die fehlenden Parkplätze eingeschränkt. Die rund 300 Kilometer der kostenpflichtigen Tokioter Autobahnen werden heute von der privatrechtlichen Shuto Kōsokudōro K.K. („Hauptstadt-Autobahnen“ AG; engl. Metropolitan Expressway Co., Ltd.) betrieben.
Seit der Eröffnung des ersten Streckenabschnitts der Tokioter U-Bahn am 30. Dezember 1927 entstand ein Netz mit zwölf Linien und einer Gesamtlänge von über 300 Kilometern, eines der größten der Welt. Die U-Bahn von Tokio ist eine der am stärksten in Anspruch genommenen U-Bahnen weltweit. Im Unterschied zu vielen Metros anderer Städte werden auf den verschiedenen Linien der Tokioter U-Bahn Fahrzeuge mit verschiedenen Spurweiten, Stromabnehmersystemen und Spannungen eingesetzt, sodass diese Fahrzeuge jeweils nur auf ihren Linien verkehren können. Die U-Bahn wird von zwei Betrieben geleitet, der Tōkyō Metro und der Toei (Verkehrsamt der Präfektur Tokio).
Die Stadt ist auch von einem dichten Netz von S-Bahnen der JR East und privaten Vorortbahnen durchzogen. Wichtigste S-Bahnen sind die Yamanote-Linie und die Chūō-Hauptlinie. Der öffentliche Verkehr wird außerdem von städtischen und privaten Bussen sowie der Toden-Arakawa-Linie, der letzten verbliebenen Straßenbahn, und diversen alternativen Schienensystemen wie dem Nippori-Toneri Liner bewältigt. Über 80 Prozent der beförderten Personen werden in Tokio mit dem Bahnnetz befördert. Trotzdem gibt es in Tokio aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens noch große Kapazitätsprobleme.
Weil der Platz knapp ist, arbeiten einige Fahrschulen auf Flachdächern. Die älteste Fahrschule liegt im Norden Tokios, arbeitet seit 1966 auf dem Dach eines Supermarktes („Ito-Yokado“) und unterhält dort 35 Autos mit Fahrlehrern, die ein Verkehrswegenetz mit nachgebauten Kreuzungen und Zebrastreifen nutzen. Der Motorrad-Unterricht wurde wegen der Absturzgefahr gestrichen. Diese Idee haben längst auch andere japanische Städte aufgegriffen.
Bildung
Tokio ist der Mittelpunkt des Bildungswesens in Japan. Die zahlreichen staatlichen und privaten Universitäten der Metropolregion machen ein Viertel aller Universitäten des Landes aus, an denen ungefähr ein Drittel aller Studenten Japans eingeschrieben sind.
Die Universität Tokio (Tōkyō daigaku, bekannt unter der Abkürzung Tōdai) ist die älteste und renommierteste staatliche Universität Japans. Sie besitzt fünf Campus – vier in den Tokioter Stadtbereichen Hongo, Komaba, Shirokane und Nakano, und einen in Kashiwa in der Präfektur Chiba – sowie zehn Fakultäten mit insgesamt circa 28.000 Studenten, von denen 2100 Ausländer sind.
Die Keiō-Universität ist Japans älteste Institution für höhere Bildung. Sie wurde 1858 von Fukuzawa Yukichi als Privatschule für westliche Studien gegründet und richtete 1890 ihre erste Fakultät ein.
Die Waseda-Universität liegt im Norden des Stadtbezirks Shinjuku. Die Schule wurde von dem gelehrten Samurai Ōkuma Shigenobu im Jahre 1882 gegründet und 1902 zu einer vollwertigen Universität erklärt.
Weitere Universitäten sind die Technische Hochschule Tokio, die Hōsei-Universität, die Rikkyō-Universität, die Sophia-Universität, die Tōkyō Joshi Daigaku (englisch Tokyo Woman’s Christian University) und die Landwirtschaftsuniversität Tokio. Einige der über 100 Universitäten mit Sitz in der Präfektur Tokio, die einen Campus oder Außenstellen in Tokio unterhalten, sind die Hitotsubashi-Universität, die Chūō-Universität, die Tōkyō Geijutsu Daigaku (englisch Tokyo University of the Arts) und die Kunsthochschule Musashino. Tokio ist außerdem Sitz der Universität der Vereinten Nationen (UNU).
Nahe dem Kaiserpalast befinden sich die Nationale Parlamentsbibliothek und das Staatsarchiv.
Persönlichkeiten
In Tokio sind zahlreiche bekannte Persönlichkeiten geboren. Dazu gehören unter anderem die US-amerikanische Sängerin Nikka Costa, die US-amerikanischen Filmschauspielerinnen und Schwestern Joan Fontaine und Olivia de Havilland, der Maler Takashi Murakami, der US-amerikanische Japanologe Edwin O. Reischauer, die japanische Prinzessin Takamatsu, die norwegische Schauspielerin und Regisseurin Liv Ullmann, der deutsche Fernsehjournalist und Moderator Ulrich Wickert sowie der deutsche Künstler Jonathan Meese.
Panorama
Siehe auch
Literatur
Elke Hayashi-Mähner: Tagelöhner und Obdachlose in Tōkyō. Iudicium, München 2005, ISBN 3-89129-181-7.
Matthias Eichhorn: Pendlerverkehr in Tokyo. Probleme und Perspektiven. Holos, 1997, ISBN 3-86097-426-2.
Jürgen Krusche und Frank Roost: Tokyo. Die Straße als gelebter Raum. Lars Müller Publishers, Baden (Schweiz) 2010, ISBN 978-3-03778-212-5.
Martin Lutterjohann: Tokyo mit Yokohama und Kyōto. Reise Know-How Verlag Rump, 2004, ISBN 3-8317-1251-4.
Evelyn Schulz: Stadt-Diskurse in den Aufzeichnungen über das Prosperieren von Tokyo (Tokyo hano ki). Iudicium, 2004, ISBN 3-89129-775-0.
Dusan Simko: Einwohner und Umweltbelastung in Tokyo. Fallstudie: Die Nachbarschaft Ojima in Koto-ku. Birkhäuser-Verlag, 1990, ISBN 3-7643-2539-9.
Gottfried Wohlmannstetter: Finanzplatz Tokio. Knapp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-7819-1167-5.
Michael Wolf: Tokyo Compression. Peperoni Books, Hongkong 2010, ISBN 978-3-941825-08-6.
Benedikt Huber (Hrsg.): Watakushi no Tōkyō : 1953/2013 = Mein Tokio. Texte verschiedener Autorinnen und Autoren, Photos von Martha Villiger-Huber und Naomi Hanakata, edition esefeld & traub, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-9809887-7-3.
Loui Rain: Tokyo-Tokio-Tag und Nacht. Independently published, 2019, ISBN 978-1090105219.
Weblinks
Tokio in Google Maps
mit Karte von Tokio 1947
Einzelnachweise
Ort in der Präfektur Tokio
Japanische Präfekturhauptstadt
Hauptstadt in Asien
Millionenstadt
Hochschul- oder Universitätsstadt
Ort mit Seehafen
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
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Q7473516
| 308.403674 |
3656510
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https://de.wikipedia.org/wiki/Rosen
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Rosen
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Die Rosen (Rosa) sind die namensgebende Pflanzengattung der Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Die Gattung umfasst je nach Auffassung des Autors 100 bis 250 Arten. Diese bilden durch ihre typischen Merkmale Stacheln, Hagebutten und unpaarig gefiederte Blätter eine sehr gut abgegrenzte Gattung. Es sind Sträucher mit meist auffälligen, fünfzähligen Blüten. Die meisten Arten sind nur in der Holarktis verbreitet. Die Wissenschaft von den Rosen wird als Rhodologie bezeichnet.
Gärtnerisch wird zwischen Wildrosen und Kulturrosen unterschieden. Die Rose wird seit der griechischen Antike als „Königin der Blumen“ bezeichnet. Rosen werden seit mehr als 2000 Jahren als Zierpflanzen gezüchtet. Das aus den Kronblättern gewonnene Rosenöl ist ein wichtiger Grundstoff der Parfumindustrie.
Beschreibung
Erscheinungsbild
Die Rosen-Arten sind sommergrüne, selten immergrüne Sträucher. Ihre selbständig aufrechten oder kletternden Sprossachsen sind bis zu 4 Meter hoch. Am Boden aufliegende Sprossachsen werden länger, manche sind niederliegend oder kriechend. Viele Arten entwickeln verholzte Bodenausläufer und bilden dann Kolonien. Die Sprossachsen können mit Drüsen oder Haaren besetzt sein, beides kann auch fehlen. Das Vorhandensein von Drüsen ist mit mehr oder weniger starkem Duft gekoppelt. Die Behaarung (Indument) kann alle oberirdischen Organe (mit Ausnahme der Hagebutten und Staubblätter) betreffen, die Form, Zahl und Verteilung der Haare ist charakteristisch für bestimmte Sippen, wobei die Behaarung ein ontogenetisch konstantes Merkmal ist (Verkahlen im Alter ist sehr selten).
Stacheln
Stamm, Äste und Zweige sind mit Stacheln besetzt, die im Volksmund häufig als Dornen bezeichnet werden. Die Stacheln dienen zum einen als Schutz gegen Tierfraß, zum anderen bei Spreizklimmern zum Festhalten an den Stützen. Die Stacheln können bei einer Pflanze gleichartig (homoeacanth) oder verschiedenartig (heteracanth) sein. Dabei ist häufig die Form an Kurztrieben anders als an Langtrieben. Die bodennahen Bereiche sind oft besonders reich an Stacheln. Die Grundtypen werden als hakig, sichelig, leicht gekrümmt, gerade, Nadelstachel und Stachelborste bezeichnet; es kommen Zwischenformen vor.
Blätter
Die wechselständig und in 2/5-Stellung stehenden Laubblätter sind mehr oder weniger lang gestielt. Die unpaarig gefiederte Blattspreite besteht aus meist fünf bis neun Fiederblättchen, es können drei bis neunzehn sein. Lediglich bei Rosa persica sind die Laubblätter einfach und die Nebenblätter fehlen. Auch bei den Blättern können Drüsen und Haare vorkommen oder auch fehlen. An der Blattspindel (Rhachis) sitzen manchmal kleine Stacheln oder Stachelborsten. Die Fiederblättchen sind sehr unterschiedlich gestaltet, meist sind sie elliptisch bis eiförmig, verkehrt-eiförmig oder rundlich. Der Blättchenrand ist – regelmäßig oder unregelmäßig – einfach oder mehrfach gesägt, seltener gekerbt oder annähernd ganzrandig. Nebenblätter sind meist vorhanden und sind oft ± lang mit dem Blattstiel verwachsen.
Blütenstände und Blüten
Die Blüten stehen end- oder seitenständig in traubigen, rispigen, manchmal doldig verkürzten Blütenständen. Der Blütenstand kann auch auf eine einzelne Blüte reduziert sein. Hochblätter werden gebildet, selten sind sie hinfällig oder fehlen. Ein Außenkelch wird nicht gebildet.
Die gestielten bis sitzenden Blüten sind meist ansehnlich und häufig duftend. Die zwittrigen Blüten sind radiärsymmetrisch und meist fünfzählig mit doppelter Blütenhülle.
Es gibt fünf Kelchblätter, nur bei Rosa sericea vier. Die Kelchblätter sind meist lanzettlich, laubblattartig, ungeteilt oder es sind die beiden äußeren auf beiden Seiten und das mittlere auf einer Seite geteilt: fiederteilig, -schnittig oder -spaltig. Auch der Kelch kann behaart oder mit Drüsen besetzt sein. Er ist nach der Blüte zurückgeschlagen, abstehend oder aufgerichtet; zur Fruchtreife ist er bereits abgefallen, abfallend (fällt etwa zur Fruchtreife ab) oder krönt die Frucht.
Der Durchmesser der Blütenkrone beträgt meist 3 bis 7 Zentimeter, kann aber auch zwischen 1 und 10 Zentimeter liegen. Die fünf (bei einer Art vier) Kronblätter sind hinfällig, ihre Farbe ist meist rosa bis rot, oder weiß, seltener gelb, etwa bei nicht-mitteleuropäischen Arten und Kulturrosen. Bei vielen Kulturformen ist die Blüte durch Umwandlung von Staubblättern in Kronblätter gefüllt.
Der je nach Art unterschiedlich geformte Blütenbecher ist mehr oder weniger urnenförmig, drüsig oder drüsenlos, manchmal stachelborstig. Der obere Bereich des Blütenbechers ist verengt und als Diskus ausgebildet: er ist dem nektarbildenden Drüsenring anderer Gattungen homolog, bildet jedoch nur bei wenigen Rosenarten Nektar. In der Mitte des Diskus öffnet sich der Griffelkanal: Durch ihn treten die Griffelbündel ins Freie, die Narbenköpfe stehen hier halbkugelig bis straußförmig. Sie können dem Diskus aufliegen oder deutlich über ihn hinausragen.
Die Anzahl der Staubblätter ist bei den Rosen wie bei vielen Rosengewächsen durch sekundäre Polyandrie erhöht, es sind meist 50 bis 200, selten 20 bis 265 vorhanden. Sie stehen vor den Kronblättern (epipetal) und setzen am Rande des Blütenbechers an. Die Staubbeutel sind nach innen gerichtet, von gelber bis oranger oder brauner Farbe. Die Staubfäden haben meist eine davon abweichende Färbung und sind meist weiß oder strohgelb. Der Pollen ähnelt im Aufbau stark dem Pollen von Rubus: Das Pollenkorn hat drei Furchen (tricolpat), seine Oberfläche ist rugulat-striat (hat kürzere bis längere, mehr oder weniger parallel laufende Rippen), im Gegensatz zu Rubus jedoch ein Operculum. Der Rosenpollen ist bei vielen Arten größer als 25 Mikrometer. Nur ein Teil des Pollen ist fertil, besonders in der Sektion Caninae sind verformte, geschrumpfte Pollenkörner häufig.
Es gibt zahlreiche, nicht verwachsene Fruchtblätter. Ihre Zahl liegt meist zwischen 10 und 50, kann aber auch 4 bis 140 betragen. Sie sitzen am Grund oder an der Wand des Blütenbechers, oder sind kurz gestielt. Jedes Fruchtblatt trägt ein bis zwei Samenanlagen. Der Griffel setzt seitlich oder selten endständig an. Die Griffel sind frei, bei wenigen Arten sind sie miteinander verwachsen. Die Narbe ist kopfig, behaart oder kahl.
Früchte
Die Frucht der Rosen ist die Hagebutte, sie ist eine Sammelnussfrucht. Die Einzelfrüchte sind einsamige Nüsschen von gelber bis brauner Farbe. Sie sind vom mehr oder weniger fleischigen, vergrößerten Blütenbecher umgeben, der innen oft behaart ist. In reifem Zustand ist die Hagebutte fleischig bis ledrig, weich bis hart. Sie kann sich lange an der Pflanze halten oder früh abfallen. Zur Fruchtreife ist sie häufig rot bis orange, in seltenen Fällen braun bis schwarz.
Die Einzelfrucht – das Nüsschen, oft als „Kern“ bezeichnet – ist meist 3 bis 6 (2,5 und 8) Millimeter lang, meist 2,5 bis 3,5 (2 bis 6) Millimeter breit, stark behaart bis annähernd kahl. Die Anzahl der Nüsschen liegt bei mitteleuropäischen Arten meist zwischen 10 und 30 pro Hagebutte, selten zwischen 1 und 45. Bei Rosa rugosa sind es über 100, bei Rosa clinophylla bis 150. Die Anzahl hängt auch von der Art der Samenbildung ab: Die Zahl sinkt von echter Fremdbefruchtung, Nachbarbefruchtung über Selbstbefruchtung bis zur Apomixis, bei der die wenigsten Samen gebildet werden. Die Nüsschen werden durch Zerfall der Hagebutte im Winter bis Sommer des Folgejahres frei oder durch die Zerstörung der Hagebutte durch Tiere verbreitet.
Zellbiologie
Die Chromosomengrundzahl der Rosen beträgt x = 7. Davon ausgehend gibt es eine Ploidiereihe mit 2n = 14, (21), 28, 35, 42 und 56. In Mitteleuropa sind diploide Arten selten: von den 33 Arten sind vier diploid, fünf tetraploid, acht pentaploid, elf haben mehr als eine Ploidiestufe und von drei Arten ist die Ploidiestufe nicht bekannt. Die einzige oktoploide Art in Europa ist Rosa acicularis, die außerdem noch di-, tetra- und hexaploid sein kann. Die oktoploiden Formen sind auf den hohen Norden beschränkt (Jakutien). Mehrere Ploidiestufen sind besonders in der Sektion Caninae verbreitet. Triploid sind nur Hybride.
Abweichungen von den artüblichen Chromosomenzahlen (Aneuploidie) sind bei den Wildformen selten, werden aber bei kultivierten Pflanzen regelmäßig beobachtet. In der Sektion Caninae kommt eine spezielle Form der Meiose vor, die Canina-Meiose.
Ökologie
Blütenökologie
Die Rosen sind trotz ihrer großen, farblich wie geruchlich auffallenden Blüten nur eingeschränkt insektenblütig (entomogam): Es wird nur in Einzelfällen Nektar produziert. Blütenbesucher sind vorwiegend pollensammelnde Insekten. Zu ihnen zählen Vertreter aus verschiedenen Insektengruppen:
Käfer aus den Familien Weichkäfer (Cantharidae), Glanzkäfer (Nitidulidae), Stachelkäfer (Mordellidae), Speckkäfer (Dermestidae), Blattkäfer (Chrysomelidae), Bockkäfer (Cerambycidae), Prachtkäfer (Buprestidae) und der Unterfamilie Rosenkäfer (Cetoniinae)
Zweiflügler aus den Familien Echte Fliegen (Muscidae) und Schwebfliegen (Syrphidae)
Hautflügler aus den Familien Echte Bienen (Apidae) und Sandbienen (Andrenidae)
Ohrwürmer (Dermaptera)
Blasenfüße (Thripidae)
Als wichtigste Bestäuber werden die Fliegen und Schwebfliegen betrachtet.
Anpassungen an die Selbstbestäubung (Autogamie) sind die Bildung eines weiten Griffelkanals und große, wollige Griffelköpfchen. Auch Apomixis kommt in der Gattung vor.
Ausbreitung
Die Hagebutten werden von vielen Tieren gefressen. Die Kerne passieren den Verdauungskanal unbeschadet (Endozoochorie). Besonders Vögel, aber auch Mäuse und Füchse sind wichtige Ausbreiter. Kleine Säugetiere und Vögel verschleppen auch ganze Hagebutten, was dann zu ganzen Strauchgruppen führen kann. Am Strauch überwinterte Hagebutten können im Frühling durch Hochwasser ausgebreitet werden.
Krankheiten und Schädlinge
Bei Rosen gibt es eine Vielzahl von Krankheiten. Virenerkrankungen sind häufig, ebenso durch Agrobacterium tumefaciens ausgelöste Krebserkrankungen. Wichtige Pilzerkrankungen sind Grauschimmelfäule (Botrytis cinerea), Echter Rosentaupilz (Podosphaera pannosa) und Falscher Rosentaupilz (Peronospora sparsa). An Verletzungen bewirkt der Obstbaumkrebs (Nectria galligena) Krebswucherungen. Von der Unzahl weiterer Pilze werden als die für Wildrosen in Mitteleuropa wichtigsten Arten Phragmidium mucronatum, Phragmidium tuberculatum und Sphaerotheca pannosa angesehen.
Unter den Insekten gibt es eine Vielzahl von gattungs- und artspezifischen Arten. Auffällig sind die verschiedenen Rosengallen, etwa der Rosengallwespe (Diplolepis rosae), aber auch anderer Vertreter der Gattung Diplolepis. Ebenfalls Gallenbildner sind die Rosenblattgallmücke (Wachtliella rosarum) und die Gallmilbe Aceria rhodites. Vertreter der Echten Blattwespen (Tenthredinidae) höhlen Knospen, Gipfeltriebe und Zweige aus und lösen ebenfalls Gallen aus. Saugende Insekten und Milben können massenhaft auftreten: Große Rosenblattlaus (Macrosiphum rosae), Weiße Rosenschildlaus (Aulacaspis rosae) und die Rosenzikade (Edwardsiana rosae). Das Laub fressen etliche Käferarten aus den Gattungen Melolontha, Rhizotrogus, Phyllopertha und Hoplia. Wurzelfresser sind die Schnellkäfer Agriotes, Holzbohrer die Gattung Otiohrynchus.
Schmetterlingsraupen, die größere Schäden anrichten können, sind Bürstenbinder (Orgyia antiqua), Weißbindiger Rosenwickler (Croesia bergmanniana), Goldgelber Rosenwickler (Acleris roborana), sowie die Zwergminiermotten-Gattung Nepticula. Rund 10 Arten von Schmetterlingen sind ausschließlich auf Rosen anzutreffen, darunter der Rosenspanner (Cidaria fulvata) und die Rosenfedermotte (Cnaemidophorus rhododactyla). Äußerst selten ist die Weiße Mistel (Viscum album) auf Rosen anzutreffen.
Standorte
Die meisten Wildrosen sind lichtbedürftig und gedeihen nur auf eher offenen Standorten. Nur wenige Arten gedeihen auch im Halbschatten oder Schatten. Die Temperatur ist für viele Arten von untergeordneter Bedeutung. Einige Arten (Rosa gallica, Rosa jundzillii, Rosa stylosa) gedeihen in wärmeren Lagen besser, Rosa pendulina eher in kühlen Gebirgslagen. Die meisten Arten bevorzugen frische Böden, einige auch trockene. Vernässte und sehr trockene Standorte werden gemieden. Die meisten Arten bevorzugen schwach saure bis schwach basische, meist kalkhaltige Böden, ohne als Basen- oder Kalkzeiger gelten zu können. Die Wildrosen meiden meist sehr stickstoffreiche Standorte.
Zumindest die mitteleuropäischen Arten sind charakteristische Vertreter von Hecken, Waldsäumen und Strandwällen. Häufig treten sie in den Sukzessionsstadien bei der Wiederbewaldung auf, etwa als Gebüsche in Weiden. Die meisten rosenreichen Pflanzengesellschaften sind anthropogen entstanden. Gepflanzte Hecken enthalten häufig Neophyten wie die Kartoffel-Rose (Rosa rugosa) und nordamerikanische Arten der Sektion Carolinae.
Systematik, botanische Geschichte und Verbreitung
Taxonomie
Die Gattung Rosa wurde 1753 durch Carl von Linné in Species Plantarum, 1, Seite 491 aufgestellt. Typusart ist Rosa cinnamomea Der Gattungsname Rosa ist der lateinische Name für die Rose. Beide Bezeichnungen gehen auf die rekonstruierte indogermanische Wurzel *vrod oder *vard" zurück.
Äußere Systematik
Die Gattung Rosa wurde traditionell als einzige Gattung der Tribus Roseae geführt. D. Potter et al. haben sie 2007 bei ihrer Revision der Familie Rosaceae zusammen mit Rubus in die neue Supertribus Rosodae gestellt.
Verbreitung
Die Gattung Rosa war ursprünglich auf die Nordhalbkugel beschränkt, ist also ein holarktisches Florenelement. Sie kommt hier in allen drei gemäßigten Zonen vor: in der borealen, in der nemoralen und in der meridionalen Zone. Nach Süden hin reichen nur wenige Arten bis in die tropischen Gebirge: Rosa montezumae in Mexiko, Rosa abyssinica in Abessinien und Arabien, Rosa leschenaultiana im Südwesten Indiens, sowie Rosa transmorrisonensis und Rosa philippinensis auf Luzon. Im Norden reichen einige Arten bis an die arktische Waldgrenze und sogar bis über den Polarkreis: Nadel-Rose (Rosa acicularis), Zimt-Rose (Rosa majalis) und Weiche Rose (Rosa mollis). In Europa reichen die Rosen bis Island und Nordskandinavien. In China kommen etwa 95 Arten vor, 65 davon nur dort.
Es gibt nur eine Art, Rosa acicularis, die von Natur aus sowohl in Europa als auch in Nordamerika vorkommt. Nordamerikanische und asiatische Arten kommen in Europa als Neophyten vor, europäische in Nordamerika. Das Entfaltungszentrum sind die Gebirge Mittel- und Südwestasiens, dort haben auch die Stammarten der meisten Kulturrosen ihren Ursprung. Rosenartenreiche Gebiete in Mitteleuropa sind kalkreiche Gebirge in wärmeren Gebieten wie der Schweizer Jura oder den thüringischen Kalkhügelländern, aber auch die klimatisch günstigen Alpentäler wie Veltlin und Unterengadin.
Innere Systematik
Die Gattung Rosa enthält je nach Autor etwa 100 bis 200 oder sogar 250 Arten.
Die Gattung Rosa wird in vier Untergattungen untergliedert, wovon eine weiter in Sektionen unterteilt ist. Angeführt werden die europäischen Arten nach Henker 2003 (eine Auswahl, Ergänzungen sind einzeln gekennzeichnet).
Untergattung Hulthemia. Sie wird manchmal als eigenständige Gattung Hulthemia abgetrennt, ist aber nach molekulargenetischen Untersuchungen eindeutig Teil der Gattung Rosa. Sie enthält nur die eine Art
Persische Rose (Rosa persica ): Sie ist in Zentralasien, Iran, Afghanistan und Westsibirien weitverbreitet.
Untergattung Rosa (Syn.: Eurosa ):
Sektion Banksianae : Sie enthält zwei Arten:
Banks-Rose (Rosa banksiae ): Sie gedeiht mit zwei Varietäten in Höhenlagen von 500 bis 2200 Metern in den chinesischen Provinzen Gansu, Guizhou, Henan, Hubei, Jiangsu, Sichuan sowie Yunnan.
Rosa cymosa , taxonomischer Status ist jedoch umstritten.: Sie kommt in China, Taiwan, Laos und Vietnam vor.
Sektion Bracteatae : Sie enthält zwei Arten
Macartney-Rose (Rosa bracteata ): Sie kommt mit zwei Varietäten im südlichen Japan, Taiwan und in den chinesischen Provinzen Fujian, Guizhou, Hunan, Jiangsu, Jiangxi, Yunnan sowie Zhejiang vor.
Rosa clinophylla , taxonomischer Status unklar
Sektion Caninae: Es gibt etwa 60 Arten (siehe Hundsrosen).
Sektion Carolinae: Sie enthält sechs Arten in Nordamerika, bei manchen Autoren in die Sektion Cinnamomeae überführt.
Eschen-Rose, Wiesen-Rose, Prärie-Rose, Dünen-Rose oder Carolina-Rose (Rosa carolina ): Sie ist im östlichen und mittleren Nordamerika verbreitet.
Glanz-Rose (Rosa nitida ): Sie ist im östlichen Kanada und in Neu-England verbreitet.
Sumpf-Rose (Rosa palustris ): Sie ist im östlichen Nordamerika verbreitet.
Virginische Rose (Rosa virginiana ): Sie ist im östlichen Kanada und in den nördlich-zentralen bis östlichen USA verbreitet.
Sektion Cinnamomeae : Sie ist mit rund 85 Arten in Nordamerika, Asien und Europa (hier vier Arten) die größte Sektion:
Nadel-Rose (Rosa acicularis ): Diese boreale Art ist in Kanada, Alaska, USA, Asien, Nord- und Osteuropa weitverbreitet.
Prärie-Rose (Rosa arkansana ): Sie ist in Kanada und den USA weitverbreitet.
Rosa beggeriana : Sie ist im Iran, in Afghanistan, Kasachstan, in der Mongolei und in den chinesischen Provinzen Gansu sowie Xinjiang weitverbreitet.
Rosa bella : Sie kommt in China vor.
Eschen-Rose oder Labrador-Rose (Rosa blanda ): Sie ist in Nordamerika verbreitet.
Rosa caudata : Sie kommt in der chinesischen Provinz Hubei vor.
Rosa davidii (auch Davids Rose) : Sie gedeiht in Höhenlagen von 1600 bis 3000 Metern in den zentralen und westlichen chinesischen Provinzen Gansu, Ningxia, Shaanxi, Sichuan sowie Yunnan.
Rosa davurica : Sie ist mit drei Varietäten in China, Japan, Korea, in der Mongolei und im östlichen Sibirien weitverbreitet.
Rosa laxa : Sie ist im autonomen Gebiet Xinjiang, in der Mongolei, in Zentralsibirien und Zentralasien weitverbreitet.
Zimt-Rose (Rosa majalis ): Sie ist in Eurasien weitverbreitet.
Blut-Rose oder Mandarin-Rose (Rosa moyesii ): Sie gedeiht in Höhenlagen von 2700 bis 3800 Metern nur in den chinesischen Provinzen Sichuan sowie Yunnan.
Kragen-Rose (Rosa multibracteata ): Sie gedeiht in Höhenlagen von 2100 bis 2500 Metern nur in den chinesischen Provinzen Sichuan sowie Yunnan.
Alpen-Rose (Rosa pendulina ): Sie kommt in Europa vor.
Kartoffel-Rose (Rosa rugosa ): Sie stammt aus Ostasien und ist in Europa eingebürgert.
Rosa sertata : Sie kommt mit zwei Varietäten in Höhenlagen von 1400 bis 2200 Metern in den chinesischen Provinzen Anhui, Gansu, Henan, Hubei, Jiangsu, Jiangxi, Shaanxi, Shanxi, Sichuan, Yunnan sowie Zhejiang vor.
Rosa suffulta
Willmotts Rose (Rosa willmottiae ): Sie kommt mit zwei Varietäten in Höhenlagen von 1300 bis 3800 Metern in den westlichen chinesischen Provinzen Gansu, Qinghai, Shaanxi sowie Sichuan vor.
Rosa woodsii : Sie ist von Alaska bis Mexiko verbreitet.
Sektion Indicae (Syn.: Rosa sect. Chinenses ): Sie enthält zwei oder drei Arten:
Chinesische Rose (Rosa chinensis ): Sie kommt in den chinesischen Provinzen Guizhou, Hubei sowie Sichuan vor.
Tee-Rose (Rosa odorata ): Sie in Myanmar, im nördlichen Thailand, nördlichen Vietnam und in der chinesischen Provinz Yunnan verbreitet.
Großblütige Rose (Rosa gigantea ): Sie ist im nordöstlichen Indien, Myanmar und in der chinesischen Provinz Yunnan verbreitet.
Sektion Laevigatae : Sie enthält nur eine Art:
Cherokee-Rose (Rosa laevigata ): Sie kommt in China und Taiwan vor. In Nordamerika ist sie ein Neophyt.
Sektion Pimpinellifoliae : Sie enthält etwa 15 Arten in Eurasien:
Rosa altaica (Syn.: Rosa spinosissima var. altaica ): Sie kommt in Sibirien und in Xinjiang vor.
Rosa ecae : Sie kommt in Zentralasien, Afghanistan und Pakistan vor.
Fuchs-Rose (Rosa foetida ): Diese Kulturrose stammt aus Kleinasien bis nordwestlichen Himalaja.
Chinesische Dukatenrose (Rosa hugonis ): Sie gedeiht in Höhenlagen von 600 bis 2300 Metern in den chinesischen Provinzen Gansu, Qinghai, Shaanxi, Shanxi sowie Sichuan.
Rosa primula : Sie gedeiht in Höhenlagen von 800 bis 2500 Metern in den chinesischen Provinzen Gansu, Hebei, Henan, Shaanxi, Shanxi sowie Sichuan.
Seiden-Rose (Rosa sericea ): Sie ist in Indien, Bhutan, Sikkim, Myanmar, Tibet und in den chinesischen Provinzen Guizhou, Sichuan sowie Yunnan verbreitet. Zu dieser Art gehört auch die Varietät:
Omei-Rose (Rosa sericea var. omeiensis )
Bibernell-Rose (Rosa spinosissima ): Sie ist in Eurasien verbreitet und in Nordamerika ein Neophyt.
Sektion Synstylae : Sie enthält 30 bis 35 Arten in Asien, Nordamerika, Afrika und Europa (zwei Arten in Deutschland):
Abessinische Rose (Rosa abyssinica ): Sie ist die einzige auf Afrika beschränkte Rosen-Art.
Rosa anemoniflora : Dieser Endemit gedeiht in Höhenlagen von 400 bis 1000 Metern nur in der chinesischen Provinz Fujian.
Kriechende Rose (Rosa arvensis ): Sie kommt in Europa und der Türkei vor.
Rosa brunonii : Sie kommt in Sichuan, Tibet, Yunnan, Bhutan, im nördlichen Indien, in Kaschmir, Myanmar, Nepal und Pakistan vor.
Rosa daishanensis : Dieser Endemit kommt nur im Daishan Xian im nordöstlichen Zhejiang vor.
Rosa deqenensis : Sie kommt nur im nordwestlichen Yunnan vor.
Rosa derongensis : Sie kommt im westlichen Sichuan vor.
Rosa duplicata : Sie kommt in Tibet vor.
Rosa filipes : Sie gedeiht in Höhenlagen von 1300 bis 2300 Metern in Tibet und in den chinesischen Provinzen Gansu, Shaanxi, Sichuan sowie Yunnan.
Rosa glomerata : Sie kommt in Guizhou, Hubei, Sichuan und Yunnan vor.
Rosa helenae : Sie ist in Thailand, Vietnam und in den chinesischen Provinzen Gansu, Guizhou, Hubei, Shaanxi, Sichuan sowie Yunnan verbreitet.
Rosa henryi : Sie kommt in den Provinzen Anhui, Fujian, Guangdong, Guangxi, Guizhou, Henan, Hubei, Hunan, Jiangsu, Jiangxi, Shaanxi, Sichuan, Yunnan und Zhejiang vor.
Rosa kunmingensis : Sie kommt in Yunnan vor.
Rosa kwangtungensis : Sie kommt in drei Varietäten in Fujian, Guangdong und Guangxi vor.
Rosa langyashanica : Sie kommt nur im östlichen Anhui vor.
Rosa lasiosepala : Sie kommt in Guangxi vor.
Rosa lichiangensis : Sie kommt nur im nordwestlichen Yunnan vor.
Rosa longicuspis : Sie kommt in zwei Varietäten in Guizhou, Sichuan, Yunnan und im nördlichen Indien vor.
Rosa luciae : Sie kommt in zwei Varietäten in China, Japan, Korea und auf den Philippinen vor.
Rosa ludingensis : Sie kommt im zentralen Sichuan vor.
Rosa maximowicziana : Sie kommt in Liaoning, Shandong, Korea und in Russlands fernem Osten vor.
Rosa miyiensis : Sie kommt im südlichen Sichuan vor.
Vielblütige Rose (Rosa multiflora ): Sie kommt in China, Taiwan, Japan und Korea vor.
Orientalische Kletter-Rose (Rosa phoenicia ): Sie ist im östlichen Mittelmeergebiet verbreitet.
Rosa pricei : Sie gedeiht in Höhenlagen von 1500 bis 2000 Metern in Taiwan.
Rosa rubus : Sie kommt in den chinesischen Provinzen Fujian, Gansu, Guangdong, Guangxi, Guizhou, Hubei, Jiangxi, Shaanxi, Sichuan, Yunnan und Zhejiang vor.
Rosa sambucina : Sie kommt in Japan und in Taiwan vor.
Immergrüne Rose (Rosa sempervirens ): Sie kommt in Südeuropa, Nordafrika, Türkei und Syrien vor.
Prärie-Rose (Rosa setigera ): Sie stammt aus Nordamerika.
Rosa shangchengensis : Sie kommt nur im südöstlichen Henan vor.
Rosa soulieana : Die vier Varietäten gedeihen in Höhenlagen von 2500 bis 3700 Metern in Tibet und in den chinesischen Provinzen Anhui, Chongqing, Sichuan sowie Yunnan.
Rosa taiwanensis : Sie gedeiht unterhalb von 2500 Metern nur in Taiwan.
Rosa transmorrisonensis : Sie ist in Taiwan und auf den Philippinen verbreitet.
Rosa uniflorella : Die Zwei Unterarten kommen nur im nordöstlichen Zhejiang vor.
Rosa weisiensis : Sie kommt nur im nordwestlichen Yunnan vor.
Halbimmergrüne Kletter-Rose (Rosa wichuraiana ): Sie stammt aus Ostasien.
Sektion Rosa (früher Rosa sect. Gallicanae ): Sie enthält nur eine Art:
Essig-Rose (Rosa gallica ): Sie kommt in Europa und Vorderasien vor.
Untergattung Hesperhodos: Sie enthält nur folgende zwei Arten aus Nordamerika:
Sacramento-Rose oder Sternförmige Rose (Rosa stellata ): Es gibt drei Unterarten in den südwestlichen bis südlichzentralen USA:
Rosa stellata subsp. abyssa : Dieser Endemit gedeiht in Höhenlagen von 1400 bis 2300 Metern Arizona nur in Coconino County sowie Mohave County.
Rosa stellata subsp. mirifica : Sie gedeiht in Kalksteingebieten in New Mexico nur in den Sacramento Mountains und White Mountains in Otero County und in Culberson County sowie Hudspeth County in the Guadalupe Mountains und Eagle Mountains im westlichen Texas.
Rosa stellata subsp. stellata: Dieser Endemit gedeiht in Höhenlagen von 500 bis 700 Metern nur in den Organ Mountains und San Andres Mountains im Doña Ana County im südlichen-zentralen New Mexico.
Rosa minutifolia : Sie kommt in Kalifornien und in Baja California vor.
Untergattung Platyrhodon : Sie enthält nur eine Art:
Igel-Rose (Rosa roxburghii ): Sie ist in weiten Teilen Chinas und in Japan beheimatet.
Die Arten sind sich sowohl in ihren morphologischen wie auch in molekulargenetischen Merkmalen sehr ähnlich. Viele Arten dürften erst im Holozän entstanden sein. Auch das häufige Vorkommen von Hybriden ist ein Zeichen für eine noch nicht abgeschlossene Artbildung. Kladistische Studien auf molekulargenetischer Grundlage ergeben keine gute Auflösung der Verwandtschaftsverhältnisse. Von den artenreicheren Sektionen dürfte nur die Caninae monophyletisch sein. Die Sektionen Carolinae und Cinnamomeae, sowie die Sektionen Synstylae und Indicae sind kladistisch nicht getrennt und werden neuerdings als jeweils eine Sektion geführt.
Der Großteil der Sippen wird heute von allen Forschern anerkannt. Unterschiedlich gehandhabt wird jedoch die Einordnung in eine Rangstufe. Die gleiche Sippe wird von unterschiedlichen Autoren oft als Unterart, Art, Sammelart oder Sammelart im weitesten Sinne eingestuft.
Ein Problem bei vielen Rosensippen ist, den gültigen wissenschaftlichen Namen zu eruieren. Zum einen wurde im 19. Jahrhundert eine Riesenzahl von Arten beschrieben, zum anderen sind die Originaldiagnosen häufig sehr kurz und unzureichend.
. Es werden daher die „seit langem verwendeten Namen“ (names in current use) benutzt, die jedoch vielfach noch nicht durch Auswahl von Neotypen oder durch die Erklärung zu nomina conservanda nomenklatorisch abgesichert sind.
Florengeschichte
Es gibt relativ wenige Fossilfunde, die eindeutig der Gattung Rosa zugeordnet werden können. Das gilt besonders für die frühesten Funde aus dem Paläozän-Eozän. In Europa sind Funde aus dem mittleren Oligozän bis Pliozän bekannt. Nüsschen sind ab dem unteren Oligozän bekannt. Wichtige europäische fossile Arten sind Rosa lignitum, Rosa bohemica und Rosa bergaensis.
Als Lichtpflanzen waren die Rosen im dicht bewaldeten Mitteleuropa auf Felshänge, Schotterfelder, Kliffe, Küstendünen und Strandwälle beschränkt, später wuchsen sie auch in Siedlungsgebieten und auf Waldweiden. Der Mensch förderte durch die ausgedehnten Rodungen demnach indirekt die Rosen. In den letzten Jahrzehnten ist diese positive Entwicklung durch Intensivierung der Landwirtschaft, Bodenversiegelung und die Aufgabe extensiver Nutzungen umgekehrt worden. Viele Rosenarten sind inzwischen gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Verwilderte und angesalbte Kulturrosen drohen die Rosenflora Europas nachhaltig zu verändern. Das bis dato einzige Beispiel einer dauerhaften Einbürgerung ist die Kartoffel-Rose (Rosa rugosa). Etliche mitteleuropäische Wildrosen wurden in anderen Gebieten eingebürgert; am weitesten verbreitet ist davon Rosa rubiginosa, die inzwischen in Australien, Neuseeland, Nord- und Südamerika sowie Südafrika vorkommt.
Forschungsgeschichte
Bereits Theophrastos von Eresos unterschied zwischen rhódon, den Rosen mit gefüllten Blüten, und kynosbatos, wilden Rosen. Aus dem antiken Rom und Ägypten gibt es eine große Zahl von Berichten über Rosen, meist über die Nutzung und ihre Kultur in Gärten. Die Abbildungen in den frühneuzeitlichen Kräuterbüchern sind meist nicht bestimmten Arten zuordenbar. Verbreitete und in Europa bekannte Rosenarten waren die Feldrose (Rosa arvensis), die Hundsrose (Rosa canina), die Zentifolie (Rosa centifolia) und die Essigrose (Rosa gallica).
Carl von Linné veröffentlichte zwölf Rosenarten. Seine Artdiagnosen sind allerdings so kurz, dass unklar ist, ob sie sich tatsächlich auf die heute mit diesen Namen bezeichneten Arten beziehen. Verkomplizierend ist die Tatsache, dass Linné manchmal dieselbe Art mehrfach unter verschiedenen Namen beschrieb, zum anderen auch einen bereits verwendeten Namen auf eine andere Art übertrug. Dies führt zum Teil heute noch zu nomenklatorischen Problemen.
Ab dem Ende des 18. und besonders im 19. Jahrhundert wurde eine Unzahl von Rosenarten beschrieben, die großteils auf geringen morphologischen Unterschieden beruhten. François Crépin (1869) verzeichnete 283 europäische Arten, Déséglise (1876) bereits 417 und Michel Gandoger über 4000.
Diese „analytische Periode“ der Rhodologie wurde ab 1873 durch die „synthetische“ Betrachtungsweise abgelöst, als das klassische Werk von Hermann Christ, Die Rosen der Schweiz mit Berücksichtigung der umliegenden Gebiete Mittel- und Süd-Europas. Ein monographischer Versuch erschien. Christ beschränkte die Artenzahlen darin auf 34 und ordnete diese in Sektionen und Subsektionen.
R. Kellers Mammutwerk Synopsis Rosarum spontanearum Europaea Mediae von 1931 führte auf 795 Seiten die von Keller anerkannten 24 europäischen Rosenarten mit einer Unzahl von Varietäten und Formen auf.
Die nächste wichtige Bearbeitung der Gattung war die von I. Klášterský 1968 im Rahmen der Flora Europaea und verfolgte ein sehr enges Artkonzept. Moderne Nationalfloren folgen dabei entweder dem engen Konzept der Flora Europaea, dem weiteren von Christ und Keller oder noch weiteren. Aus diesem Grund sind nationale Forschungs- und Kartierungsergebnisse kaum miteinander vergleichbar.
Kulturgeschichte und Heilkunde
Rosen spielen in vielen Kulturen eine bedeutende Rolle. In Persien gibt es seit Jahrtausenden Rosengärten (gulistane), in denen besonders Rosen mit gefüllten und stark duftenden Blüten wie Rosa gallica und Rosa damascena gezogen wurden. Die Rosen von Schiras sind durch Hafis in die Weltliteratur eingegangen. In Persien hat wahrscheinlich auch die Rosenölgewinnung ihren Ursprung. In China wird der Beginn der Rosenkultur in die Zeit des legendären Herrschers Shennong (2737–2697 v. Chr.) verlegt, entsprechende Aufzeichnungen sind allerdings sehr viel jüngeren Datums. Herodot schilderte im 5. Jahrhundert Rosengärten in Babylonien und in Thrakien die des Königs Midas. Aus Ägypten stammen erste Zeugnisse aus der Zeit Ramses II. († 1224 v. Chr.). Nach Griechenland kam die Rosenkultur wohl über Kleinasien und Thrakien. Homer erzählt in der Ilias von rosenbekränzten Waffen und der rosenfingrigen Morgenröte. Außerdem beschreibt er, wie Aphrodite den Leichnam Hektors mit Rosenöl salbt. Viele griechische Dichter nach ihm verherrlichten die Rose, Sappho war die erste, die die Rose „Königin der Blumen“ nannte. Im Römischen Reich erreichte der Rosenkult eine weitere Hochblüte. In der Kaiserzeit wurden Rosen in Glashäusern gezogen und aus Ägypten importiert.
In Mitteleuropa wurden die heimischen Wildrosen von Kelten und Germanen genutzt, wie Hagebuttenfunde in Siedlungen zeigen.
Im Mittelalter wurde die Rose zunächst nur in Klostergärten als Heilpflanze gezogen. Dabei handelte es sich um die Apothekerrose Rosa gallica „officinalis“. Das Capitulare de villis Karls des Großen nennt die Rosen als anzubauende Heilpflanze, auch Hildegard von Bingen kennt sie als Heilpflanze. Im System der Humoralpathologie galt die Rose als kalt und trocken. Verwendet wurden die Rosenblüten bzw. Rosenblütenblätter – sogar deren Asche. Ab dem 11. Jahrhundert verbreiteten sich auch gefüllte Sorten, vornehmlich der Rosa gallica. Die orientalischen Gartenrosen gelangten vor allem durch die Araber, Osmanen und Kreuzfahrer nach West- und Nordeuropa. In den Kräuterbüchern finden sich viele Abbildungen von Rosen, die jedoch häufig nicht einzelnen Arten zuzuordnen sind.
Erst in der Renaissance und nach der Reformation wurden in Europa verstärkt die neuen Kulturrosen kultiviert, sie waren der Grundstock der europäischen Gartenkultur. Der Anbau in Bulgarien zur Rosenölgewinnung in großem Maßstab geht auf die Zeit um 1700 zurück. In Barock und Rokoko setzte sich die Rose in Europa als Königin der Blumen durch und hielt auch in Stadt- und Bauerngärten Einzug. Zu den bekanntesten Rosenliebhaberinnen zählt Kaiserin Joséphine, deren Garten in Malmaison durch die Gemälde von Pierre Joseph Redouté weltbekannt wurde.
Mythologie, Religion und Symbolik
Rote Rosen gelten seit dem Altertum als Symbol von Liebe, Freude und Jugendfrische. Die (rote) Rose (lateinisch Rosa rubra) war der Aphrodite, dem Eros und Dionysos geweiht, später der Isis und der Flora. Bei den Germanen war sie die Blume der Freya. Antike Sagen beschreiben die Entstehung der Rosen als Überbleibsel der Morgenröte auf Erden, als zusammen mit Aphrodite dem Meerschaum entstiegen, oder aus dem Blut des Adonis entstanden. Mit der Rose war auch die Vorstellung des Schmerzes verbunden („Keine Rose ohne Dornen“) und wegen ihrer hinfälligen Kronblätter auch mit Vergänglichkeit und Tod. Die rote Farbe wurde auf das Blut der Aphrodite, die sich an den Stacheln verletzte, zurückgeführt, oder auf das Blut der Nachtigall, die die ursprünglich weiße Rose mit ihrem Herzblut rot färbte.
Die Römer feierten im Frühling den dies rosae. Diese Rosalia waren eine Art Totengedenken, bei einigen slawischen Völkern wurden sie zum Naturfest Rusalija und zu den weiblichen Dämonen Russalki. Bei den Germanen wurden die Rosen mit dem Tod in Verbindung gebracht. Sie wurden auf Opferplätzen und Gräbern gepflanzt. In der Ostschweiz und im Allgäu werden heute noch abgelegene Friedhöfe als Rosengarten bezeichnet.
Die Rose, besonders die weiße, gilt seit dem Altertum auch als Zeichen der Verschwiegenheit. Seit dem Mittelalter enthält das Schnitzwerk vieler Beichtstühle auch Rosen als Symbol der Verschwiegenheit: Dem Priester wurde das Gesprochene sub rosa („unter der Rose“), also streng vertraulich, mitgeteilt.
Im Christentum entwickelte sich bereits früh eine Rosen-Symbolik. Die christliche Kunst kennt in den Grabnischen von Katakomben Rosenranken als Sinnbilder eines aus dem Tod erblühenden ewigen Lebens. Maria, die Mutter Jesu, wird schon im 5. Jahrhundert in einem Vers des Dichters Sedulius mit der stachellosen Rose verglichen. Im Mittelalter entstand eine Rosen-Mystik um Jesus Christus und Maria. Das bekannte Weihnachtslied Es ist ein Ros entsprungen bezieht sich auf die Wurzel Jesse und verweist auf die Herkunft Mariens und Jesu. Verbreitet sind Darstellungen Marias, die in der christlichen Ikonographie durch Rosengewächse symbolisiert wird. Die Madonna im Rosenhag ist ein bekannter Typus des Paradiesgärtleins (Hortus conclusus) und symbolisiert die Jungfräulichkeit der Gottesmutter. Maria wird in Gebeten und Liedern unter Attributen wie Rose ohne Dornen oder Rosa mystica (geheimnisvolle Rose) angerufen. Das am weitesten verbreitete katholische Volksgebet und die dazugehörende Gebetsschnur heißen Rosenkranz. In einer Vision der mittelalterlichen christlichen Mystikerin Mechthild von Hackeborn (1241–1299) erscheint eine Rose, die aus der Brust Jesu Christi herauswächst. Dieselbe Vision schildert Christina von Retters (1269–1292). Aus der mittelalterlichen Mystik wurde das Symbol der roten Rose in die Alchemie übernommen, wo sie für den mächtigen roten Stein steht, auch Stein der Weisen genannt, der unedle Metalle in Gold verwandeln und Menschen erleuchten kann. Anfang des 17. Jahrhunderts gelangte die magisch-mystische Symbolik der Rose in die Gedankenwelt der Rosenkreuzer.
Seit dem 11. Jahrhundert verleiht der Papst die goldene Rose, und zwar am 4. Fastensonntag, dem Sonntag Laetare, der daher auch den Namen „Rosensonntag“ trägt. Die goldene Rose ist ein Christussymbol: Die goldene Farbe steht für die Auferstehung Jesu Christi und die Dornen für seine Passion.
Im Islam und in der persisch-arabischen Literatur ist die Rose ein heiliges Symbol und steht für eine den Glanz der Schöpfung enthaltende Manifestation des Göttlichen. So ließ Saladin nach der Eroberung Jerusalems 1187 den Felsendom mit Rosenwasser vom vergossenen Blut der christlichen Kreuzritter säubern.
Namen und Wappen
Unzählige Orts- und Flurnamen beziehen sich auf die Rose (von mittelhochdeutsch rōse als Blüte verschiedener Rosenarten), ebenso Familien- und Vornamen. Sie ziert auch viele Wappen. Besonders bekannt sind die beiden Häuser York und Lancaster in England, die sich in den Rosenkriegen gegenüberstanden – siehe Tudor-Rose. Das Wappen Nordrhein-Westfalens führt die Lippische Rose, die Stadt Rosenheim trägt eine Rose in ihrem Wappen. Martin Luther führte als Wappen die Lutherrose, die in vielen Ortswappen enthalten ist und von lutherischen Organisationen verwendet wird.
Die Rose ist auch ein häufiges Bauhüttensymbol und findet sich an vielen Bauwerken aus dem Mittelalter, so an der Alhambra in Granada. Erhalten hat sich diese Symbolik bei den Freimaurern.
Literatur
Die Rose ist die am häufigsten besungene oder in Lyrik und Prosa verherrlichte Blume. Heidenröslein von Goethe wurde über 50-mal vertont. Rosen spielen auch in einer Vielzahl von Sagen, Legenden, Märchen und Liedern eine Rolle. Sehr große Bekanntheit haben Dornröschen und Schneeweißchen und Rosenrot. Der Hagebutte gilt Ein Männlein steht im Walde.
Architektur
Als Rosette oder Fensterrose wird ein kreisrundes, häufig recht großes Fenster bezeichnet, das vorzugsweise in der Gotik über dem Portal an der Westfront von Kirchen angeordnet ist. Es nimmt die Rosenform auf; in leuchtenden Farben an die Westfront, die Richtung der sinkenden Sonne, gesetzt, symbolisiert es die Todesgrenze, die durch die Strahlen der untergehenden Sonne erhellt wird.
Nutzung
Die wichtigste Nutzung der Rosen ist die Verwendung als Zierpflanze, sowohl als Gartenpflanze als auch als Schnittblume. Das Rosenöl (Rosae aetheroleum) wird in der Parfumindustrie verwendet. Das bei der Gewinnung von Rosenöl anfallende Rosenwasser wird unter anderem bei der Herstellung von Marzipan und Lebkuchen verwendet. Besonders im Orient sind auch Rosenmarmelade oder Desserts mit Rosen oder Rosenwasser beliebt.
In der Heilkunde werden ganze Hagebutten (Cynosbati fructus cum semine), Hagebuttenschalen (Rosae pseudofructus) und die Hagebuttenkerne (Cynosbati semen) genutzt. Verwendet werden verschiedene Arten, vorwiegend Rosa canina und Rosa pendulina. Die Hagebutten enthalten getrocknet zwischen 0,2 und 2 % Ascorbinsäure, reichlich Pektine (rund 15 %), Zucker, Fruchtsäuren, Gerbstoffe und geringe Mengen ätherisches Öl. Verwendet werden Hagebutten gegen Erkältungskrankheiten, Darmerkrankungen, Gallenleiden, als Diuretikum, bei Gicht und Rheuma. Die Wirksamkeit ist in allen Fällen nicht bzw. nicht ausreichend belegt. Für die diuretische Wirkung könnten der Pektin- und Fruchtsäuregehalt verantwortlich sein. Verwendet werden die Hagebutten besonders als Tee oder in Teemischungen. Frische Hagebutten werden zu Marmeladen verarbeitet. Zum Kochen mit Heilwirkungen hat man bspw. in einem Kochbuch von 1547 gesprochen: „Rosenhonig sterket und reinigt den magen/von böser feuchtigkeit/reiniget und heilet gschwer/Feul und Schaden des Munds/Zahnfleisch/Hals und Gurgeln“.
Die Rosenblätter werden zu Konfitüre oder getrocknet zu Gulkand verarbeitet.
Auch in der Aromatherapie wird der Rosenduft aufgrund seiner entspannenden Wirkung zu therapeutischen Zwecken eingesetzt.
In Asien werden in der Volksmedizin auch getrocknete Blüten, Blätter und Wurzeln verwendet. Das Holz wird in der Kunsttischlerei für Drechsel- und Einlegearbeiten verwendet.
Belege
Der Artikel beruht auf folgenden Unterlagen, sofern der Inhalt nicht über Einzelnachweise belegt ist:
Literatur
Heinz Henker: Rosa. In: Hans. J. Conert et al. (Hrsg.): Gustav Hegi. Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Band IV, Teil 2C. Spermatophyta: Angiospermae: Dicotyledones 2 (4). Rosaceae (Rosengewächse). 2. Auflage, Parey, Berlin 2003, S. 1–109, ISBN 3-8263-3065-X.
Heinz Henker: Rosa L., S. 351–360. In: Eckehart J. Jäger, Klaus Werner (Hrsg.): Exkursionsflora von Deutschland. Begründet von Werner Rothmaler. 18., bearbeitete Auflage. Band 2. Gefäßpflanzen: Grundband, Spektrum, Heidelberg u. a. 2002, ISBN 3-8274-1359-1.
Gu Cuizhi, Kenneth R. Robertson: Rosa, S. 339–355 – textgleich online wie gedrucktes Werk, PDF; 4,6 MB, In: Wu Zheng-yi & Peter H. Raven (Hrsg.): Flora of China, Volume 9 – Pittosporaceae through Connaraceae, Science Press und Missouri Botanical Garden Press, Peking/ St. Louis 2003, ISBN 1-930723-14-8. (Abschnitte Beschreibung und Systematik)
Hella Brumme, Thomas Gladis: Vorarbeiten zur Inventarisierung pflanzengenetischer Ressourcen in Deutschland – Die Wildrosen (Gattung Rosa L.) im Europa-Rosarium Sangerhausen, nach ihrer Verwandtschaft geordnet. Volltext-PDF.
Einzelnachweise
Weblinks
Datenblatt in Den virtuella floran mit den Verbreitungskarten auf der Nordhalbkugel, von den Arten, die in Schweden vorkommen.
Weiterführende Literatur
Marie Fougère-Danezan Simon Joly Anne Bruneau Xin-Fen Gao Li-Bing Zhang: Phylogeny and biogeography of wild roses with specific attention to polyploids. In: Annals of Botany, Volume 115, Issue 2, Februar 2015, S. 275–291. doi:10.1093/aob/mcu245
A. V. Roberts, Th. Gladis, H. Brumme: DNA amounts of roses (Rosa L.) and their use in attributing ploidy levels. In: Plant Cell Reports, Volume 28, Issue 1, 2009, S. 61–71. doi:10.1007/s00299-008-0615-9
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Q34687
| 200.190111 |
1688
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fermion
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Fermion
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Fermionen (benannt nach Enrico Fermi) sind im physikalischen Sinne alle Teilchen, die der Fermi-Dirac-Statistik genügen. Nach dem Spin-Statistik-Theorem besitzen sie einen halbzahligen Spin, also , etc. Anschaulich gesprochen sind Fermionen diejenigen Teilchen, aus denen die Materie besteht.
Einteilung
Fermionen unterscheiden sich von den Bosonen, die der Bose-Einstein-Statistik genügen und nach dem Spin-Statistik-Theorem einen ganzzahligen Spin besitzen. Ein Elementarteilchen in drei Raumdimensionen ist immer entweder ein Fermion oder ein Boson. In sehr dünnen Schichten, also zweidimensionalen Systemen, gibt es außer Bosonen und Fermionen die sogenannten Anyonen, die einer eigenen Quantenstatistik mit beliebigem (englisch ‘any’) Spin genügen.
Von der mathematischen Theorie her sind drei Typen von Fermionen möglich:
Dirac-Fermionen: massiv, die „gewöhnlichen“ Fermionen
Weyl-Fermionen: masselos, hypothetisch bzw. als Quasiteilchen, siehe auch Weyl-Gleichung.
Majorana-Fermionen sind identisch mit ihren Antiteilchen (wie bei den Bosonen die Photonen) und daher auch elektrisch neutral, hypothetisch (eventuell die Neutrinos)
Zu den Fermionen gehören:
unter den Elementarteilchen: die Leptonen (z. B. das Elektron und das Neutrino) und die Quarks (alle – bis eventuell auf die Neutrinos – Dirac-Fermionen).
unter den zusammengesetzten Teilchen: unter anderem alle, die aus einer ungeraden Anzahl von Quarks aufgebaut sind, wie beispielsweise alle Baryonen, zu denen auch das Proton und das Neutron zählen, sowie die Pentaquarks.
Eigenschaften
Fermionen gehorchen dem Pauli’schen Ausschlussprinzip, welches besagt, dass zwei Fermionen nicht gleichzeitig an demselben Ort einen identischen Quantenzustand annehmen können. Allgemein gilt, dass die quantenmechanische Wellenfunktion zweier oder mehrerer gleichartiger Fermionen bei Vertauschung zweier Fermionen vollkommen antisymmetrisch sein muss, das heißt, das Vorzeichen ändert sich (Phasenfaktor −1).
Auf die Elektronen in einem Atom angewendet erklärt das Pauli-Prinzip, dass nicht alle Elektronen in denselben Grundzustand fallen können, sondern paarweise die verschiedenen Atomorbitale eines Atoms auffüllen. Erst durch diese Eigenschaft erklärt sich der systematische Aufbau des Periodensystems der chemischen Elemente.
Im Standardmodell der Teilchenphysik gibt es keine elementaren Fermionen mit einem Spin größer als 1/2. Eine Eigenschaft von Fermionen mit dem Spin 1/2 ist, dass ihre quantenmechanische Wellenfunktion nach einer Rotation um 360° das Vorzeichen ändert; erst nach einer Rotation um 720° (also zweimal komplett gedreht) ist der Ausgangszustand wiederhergestellt. Das lässt sich anschaulich mit einer Uhr vergleichen: erst nach einer Drehung des Stundenzeigers um 720° hat man wieder die gleiche Tageszeit.
Supersymmetrische Fermionen
In einem um die Supersymmetrie erweiterten Modell der Elementarteilchen existieren weitere elementare Fermionen. Auf jedes Boson kommt rechnerisch ein Fermion als supersymmetrisches Partnerteilchen, ein so genanntes Bosino, so dass sich der Spin jeweils um ±1/2 unterscheidet. Die Superpartner der Bosonen werden durch die Endung -ino im Namen gekennzeichnet, so heißt z. B. das entsprechende Fermion zum (hypothetischen) Graviton dann Gravitino.
Genau genommen wird zunächst im Wechselwirkungsbild jedem bosonischen Feld ein fermionisches Feld als Superpartner zugeordnet. Im Massebild ergeben sich die beobachtbaren oder vorhergesagten Teilchen jeweils als Linearkombinationen dieser Felder. Dabei muss die Zahl und der relative Anteil der zu den Mischungen beitragenden Komponenten auf der Seite der fermionischen Superpartner nicht mit den Verhältnissen auf der ursprünglichen bosonischen Seite übereinstimmen. Im einfachsten Fall (ohne oder mit nur geringer Mischung) kann jedoch einem Boson (wie dem oben erwähnten Graviton) ein bestimmtes Fermion oder Bosino (wie das Gravitino) zugeordnet werden.
Bisher wurde keines der postulierten supersymmetrischen Partnerteilchen experimentell nachgewiesen. Sie müssen demnach eine so hohe Masse haben, dass sie unter normalen Bedingungen nicht entstehen. Man hofft, dass die neue Generation der Teilchenbeschleuniger zumindest einige dieser Fermionen direkt oder indirekt nachweisen kann. Mit dem leichtesten supersymmetrischen Teilchen (LSP) hofft man, einen Kandidaten für die Dunkle Materie des Universums zu finden.
Siehe auch
Cooper-Paar – unter bestimmten Bedingungen können sich zwei Fermionen zu einem Boson zusammenschließen
Fermionenalgebra
Fermigas
Fermionen-Kondensat
Weblinks
Einzelnachweise
Quantenphysik
Enrico Fermi als Namensgeber
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Q44363
| 176.863923 |
5835
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https://de.wikipedia.org/wiki/2002
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2002
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Januar
1. Januar: Kaspar Villiger wird erneut Bundespräsident der Schweiz.
1. Januar: Der Euro wird als neue Währung in Umlauf gebracht.
1. Januar: Afghanistan. Hamid Karzai übernimmt die Übergangsregierung.
1. Januar: Die EU hebt die Visumpflicht für Rumänien auf.
1. Januar: Inkrafttreten des bilateralen Abkommens zwischen der EU und der Schweiz
2. Januar: Levy Mwanawasa wird Staatspräsident von Sambia.
2. Januar: Argentinien. Eduardo Duhalde wird neuer Staatspräsident.
11. Januar: Argentinien beendete die Konvertibilität seiner Währung gegenüber dem US-Dollar (Argentinien-Krise).
11. Januar: Guantanamo/Kuba. Die USA richten ein Gefangenenlager ein, das zur Aufnahme von „Feinden ohne Kombattantenstatus“ bestimmt ist.
12. Januar: Pakistan. In einer Grundsatzrede verurteilt Präsident Pervez Musharraf Terror und Intoleranz.
17. Januar: Die 1992 verabschiedete Helsinki-Konvention tritt in Kraft und löst die Helsinki-Konvention von 1974 ab.
20. Januar: Republik Kongo. Ein Referendum in der Republik Kongo bestätigt die Verfassungsreform zur Umwandlung in eine präsidiale Republik.
Februar
10. Februar: Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Staatsbesuch in Mexiko
11. Februar: Parlamentswahlen in Liechtenstein
13. Februar: Deutschland übernimmt führende Rolle beim Aufbau der Polizei in Afghanistan.
14. Februar: Bundeskanzler Gerhard Schröder besuchte Argentinien
14. Februar: Bahrain wird Königreich. Erster König ist Scheich Hamad bin Isa Al Chalifa.
14. Februar: Auf dem Flughafen von Kabul wird der afghanische Minister für Luftfahrt und Tourismus, Abdul Rahman, von Pilgern erschlagen, weil er mit der einzigen afghanischen Maschine nach Indien fliegen will. Die Pilger warten seit Tagen auf einen Flug nach Mekka.
19. Februar: Amoklauf an der Wirtschaftsschule Freising
22. Februar: Tod von UNITA-Führer Jonas Savimbi (Angola)
24. Februar: Parlamentswahlen in Laos
März
3. März: Volksabstimmung in der Schweiz über Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen
10. März: Parlamentswahlen in Kolumbien
15. März: Erneute Waffenstillstandsverhandlungen in Angola
17. März: Parlamentswahlen in Portugal
19. März: Bundespräsident Johannes Rau besucht Rumänien
19. März: Der italienische Regierungsberater Marco Biagi wird in Bologna von einer Splittergruppe der Roten Brigaden ermordet
21. März: In Liaoyang in Nordchina protestieren Tausende von entlassenen Arbeitern und fordern die Freilassung eines inhaftierten Arbeiterführers
21. März: Eine Autobombe in der Nähe der US-Botschaft in Lima tötet neun Menschen und verletzt mindestens 25 weitere. Der Anschlag erfolgt wenige Tage vor dem Eintreffen des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush
22. März: Bei der Bundesratsabstimmung über das Zuwanderungsgesetz kommt es im Bundesrat zum Eklat, als das Land Brandenburg uneinheitlich abstimmt und der Bundesratspräsident dieses Votum dann als Ja-Stimme wertet. Mit seiner Entscheidung vom 18. Dezember 2002 hebt das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung auf
25. März: Abdullah Tarmugi wird Parlamentspräsident in Singapur
April
4. April: Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen der militärischen UNITA und Regierungsstreitkräften in Angola
6. April: José Manuel Barroso wird Ministerpräsident in Portugal
8. April: Der Staatspräsident der Volksrepublik China, Jiang Zemin, stattet Deutschland einen Staatsbesuch ab
11. April: Tunesien. Anschlag auf die Synagoge „Al Ghriba“ auf Djerba
11. April: Caracas, Venezuela. Putsch gegen die Chavez-Regierung nach einer Massendemonstration in den Straßen der Hauptstadt; ca. 15 Tote, Bildung einer Übergangsregierung
13. April: Caracas, Venezuela. Nach weiteren Massendemonstrationen Rückkehr Hugo Chávez an die Macht
14. April: Komoren. Präsidentschaftswahlen
16. April: Einen Monat vor den Wahlen tritt in den Niederlanden die Regierung unter Wim Kok wegen der Vorkommnisse in Srebrenica 1995 zurück.
20. April: Parlamentswahlen auf Niue
22. April: Algerien. Assoziierungsabkommen mit der EU
26. April: Amoklauf von Erfurt. Robert Steinhäuser tötet 16 Menschen am Gutenberg-Gymnasium mit einer Handfeuerwaffe und begeht Suizid.
30. April: Algerien und Deutschland treffen Rahmenabkommen zur technischen Zusammenarbeit
30. April: Parlamentswahlen in Albanien. Präsident wird Servet Pëllumbi
Mai
1. Mai: Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Jordanien tritt in Kraft
2. Mai: Bahamas. Perry Christie wird Premierminister
2. Mai: Young Vivian wird Premierminister von Niue
5. Mai: Frankreich. Jacques Chirac wird als Staatspräsident wiedergewählt
6. Mai: Frankreich. Staatspräsident Jacques Chirac ernennt Jean-Pierre Raffarin zum Ministerpräsidenten
6. Mai: Marc Ravalomanana wird Staatspräsident in Madagaskar
6. Mai: Niederlande. Ermordung des Politikers Pim Fortuyn
8. Mai: Abel Pacheco de la Espriella wird Staatspräsident in Costa Rica
12. Mai: Amadou Toumani Touré wird Staatspräsident von Mali
14. Mai: Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Sierra Leone; Ahmad Tejan Kabbah wird als Staatspräsident in seinem Amt bestätigt
16. Mai: Parlamentswahlen in der Dominikanischen Republik.
20. Mai: Nach fast drei Jahren entlassen die Vereinten Nationen Osttimor in die Unabhängigkeit
22. Mai: Das Unterhaus in Nepal wird aufgelöst
24. Mai: Der Vertrag zur Reduzierung strategischer Offensivwaffen wird von Russland und den USA unterzeichnet
25. Mai: Parlamentswahlen in Lesotho.
29. Mai: Bundespräsident Johannes Rau besucht Slowenien
30. Mai: Parlamentswahlen in Algerien
Juni
9./16. Juni: Parlamentswahlen in Frankreich
13. Juni: Die USA treten einseitig vom ABM-Vertrag zurück
13. Juni: Erste Ratsversammlung aller afghanischen Stammesführer in Kabul, Afghanistan
14. Juni: Regierungsabkommen über filmwirtschaftliche Beziehungen zwischen Luxemburg und Deutschland
17. Juni: Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und dem Libanon wird unterzeichnet
24. Juni: Albanien. Das Parlament wählt den ehemaligen Verteidigungsminister Alfred Moisiu zum Präsidenten
30. Juni: Parlamentswahlen in Kamerun
Juli
1. Juli: Ein russisches Passagierflugzeug vom Typ Tupolew Tu-154 und eine Frachtmaschine der DHL vom Typ Boeing 757 stoßen in 11.000 m Höhe über dem Bodensee bei Überlingen zusammen und stürzen ab. Es gibt 71 Tote. Als Ursache wurde ein Fehler der zuständigen schweizerischen Luftüberwachung Skyguide angegeben. Die Flugzeugkollision von Überlingen ist das schwerste Flugzeugunglück über Deutschland in neuerer Zeit
5. Juli: Angola ratifiziert das Ottawa-Abkommen über die Ächtung von Anti-Personen-Minen
7. Juli: Algerien lässt 101 marokkanische Kriegsgefangene nach über 20 Jahren Gefangenschaft frei
14. Juli: Drei Zuschauer überwältigen in Paris den Franzosen Maxime Brunerie, als dieser bei der Parade zum Nationalfeiertag mit einem Karabiner den Staatspräsidenten Jacques Chirac töten will.
15. Juli: Präsidentschaftswahl in Indien
16. Juli: Die republikanische Untergrundorganisation Nordirlands IRA entschuldigt sich erstmals für die zivilen Opfer der eigenen Terroraktionen
25. Juli: A. P. J. Abdul Kalam wird als Staatspräsident in Indien vereidigt
27. Juli: Fatos Nano wird Regierungschef in Albanien
30. Juli: Demokratische Republik Kongo. Unterzeichnung des Friedensabkommens in Pretoria, Südafrika mit Ruanda
30. Juli: 5. Besuch von Papst Johannes Paul II. in Mexiko
August
3. August: Bolivien. Gonzalo Sánchez de Lozada Bustamante wurde zum Präsidenten gewählt
7. August: Álvaro Uribe Vélez wird Staatspräsident in Kolumbien
15. August: Michael Somare wird Regierungschef in Papua-Neuguinea
22. August: Einweihung der Polizeiakademie in Kabul, Afghanistan durch Präsident Hamid Karzai und Innenminister Taj Mohammad Wardak
23. August: Angola. Übereinkommen zwischen Regierung und UNITA, das Lusaka-Protokoll innerhalb von 45 Tagen umzusetzen
24. August: Regierungsneubildung in Kamerun
26. August: Beginn des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg
September
5. September: Eröffnung der deutsch-rumänischen Handelskammer in Bukarest, Rumänien
6. September: Iajuddin Ahmed wird Präsident von Bangladesch
10. September: Die Schweiz wird das 190. Mitglied der Vereinten Nationen
15. September: Parlamentswahl und Regierungsumbildung in Mazedonien
15. September: Reichstagswahlen in Schweden
16. September: Ibrahim Boubacar Keïta wird Ministerpräsident von Mali
19. September: Erneuter Putschversuch in der Elfenbeinküste
22. September: Bundestagswahl 2002. SPD und Grüne können ihre Regierungsmehrheit knapp behaupten, SPD = 251 Mandate, CDU/CSU = 248, Grüne = 55, FDP = 47. Die PDS scheitert an der Fünf-Prozent-Klausel, erringt aber in Berlin zwei Direktmandate.
24. September: In Bahrain wird ein Gesetz zur Gründung von freien Gewerkschaften erlassen
27. September:
Parlamentswahl in Marokko
der Staatspräsident von São Tomé und Príncipe entlässt die Regierung
Oktober
4. Oktober: Maria das Neves Ceita Baptista de Sousa wird Staatsoberhaupt in São Tomé und Príncipe
5. Oktober: Parlamentswahlen in Lettland
5. Oktober: Ruanda. Alle militärischen Truppen aus dem Kongo sind zurück
8. Oktober: Senatswahlen in Kasachstan
8. Oktober: Der Außenminister von Israel, Schimon Peres, besucht Mauretanien
10. Oktober: Kommunalwahlen in Algerien, aus denen die FLN erneut siegreich hervorgeht
10. Oktober: Parlamentswahlen in Pakistan
11. Oktober: Lokendra Bahadur Chand wird neuer Premierminister in Nepal
12. Oktober: Bei einem Bombenanschlag auf Bali werden 202 Menschen getötet und 209 verletzt
16. Oktober: Eröffnung der „Bibliotheca Alexandrina“ in Alexandria, Ägypten
21. Oktober: König Abdullah II. von Jordanien auf Staatsbesuch in Deutschland
21. Oktober: Mexiko. Beginn des APEC-Gipfels
23. Oktober: Russland. Bei einer Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater bringen tschetschenische Rebellen 850 Menschen in ihre Gewalt. Die Geiselnahme, bei der 130 Geiseln sowie alle Entführer starben, konnte drei Tage später beendet werden.
24. Oktober: Bahrain. Erster Wahlgang für Parlamentswahlen seit fast 30 Jahren. Zweiter Wahlgang: 31. Oktober
November
1. November: Branko Crvenkovski wird Ministerpräsident in Mazedonien
7. November: Idrissa Seck wird Premierminister von Senegal
11. November: Bundespräsident Johannes Rau zum Staatsbesuch in Spanien
12. November: Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Brandenburg
15. November: Kabinettsumbildung in Ruanda.
17. November: Kommunalwahlen in Peru
18. November: Chile unterzeichnet das Assoziationsabkommen mit der EU in Brüssel
20. November: Angola. Offizieller Abschluss der Umsetzung des Lusaka-Protokolls
21. November: Estland wird zu Beitrittsverhandlungen in die NATO eingeladen
21. November: Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Bremen
21. November: Zafarullah Khan Jamali wird Regierungschef in Pakistan
21. November: Wiktor Janukowytsch wird Ministerpräsident in der Ukraine
24. November: Nationalratswahlen in Österreich, ÖVP stimmenstärkste Partei
27. November: Dänemark. Anders Fogh Rasmussen wird Ministerpräsident
29. November: Bundespräsident Johannes Rau besucht Budapest, Ungarn
Dezember
13. Dezember: Der EU-Gipfel in Kopenhagen beschließt die Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern am 1. Mai 2004 („Osterweiterung“)
15. Dezember: Äquatorialguinea: Präsident Teodoro Obiang Nguema Mbasogo wird für weitere sieben Jahre in seinem Amt bestätigt
15. Dezember: Parlamentswahlen in Madagaskar
22. Dezember: Janez Drnovšek wird Staatspräsident in Slowenien
30. Dezember: Mwai Kibaki wird Staatspräsident in Kenia
30. Dezember: Verfassungsänderung in Togo
Wirtschaft
1. Januar: Der Euro wird in zwölf Staaten der Europäischen Union sowie in Andorra, Monaco, Montenegro, San Marino und dem Vatikan als gemeinsame Währung eingeführt. Das Euro-Bargeld ist seitdem gesetzliches Zahlungsmittel. Die allerersten, die mit dem Euro bezahlen können, sind die Einwohner des französischen Übersee-Départements Réunion
8. April: Mit dem Insolvenzantrag der Kirch Media wird die Pleite des Medienimperiums Leo Kirchs offiziell.
12. April: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Oman
14. April: Das Investitionsförderungs- und -schutzabkommen zwischen Deutschland und Kambodscha tritt in Kraft
24. Juni: Neuer Investitionsförderungs- und -schutzvertrag zwischen Deutschland und Thailand
21. Juli: Das Telefonunternehmen WorldCom beantragt beim Insolvenzgericht in New York Süd Gläubigerschutz nach Chapter 11 des US-Insolvenzrechts und verursacht einen der größten Börsenskandale.
20. September: Der DAX (Deutscher Aktienindex) sinkt erstmals seit 1996 wieder unter 3000 Punkte
19. Dezember: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Mazedonien
30. Dezember: Der Verlag der New York Times übernimmt den 50-Prozent-Anteil des Verlages der Washington Post an der global erscheinenden Tageszeitung International Herald Tribune und wird deren Alleineigentümer.
Das US-amerikanische Unternehmen Compaq wird von Hewlett-Packard übernommen.
Wissenschaft und Technik
23. Februar: Bei einer Polizeiaktion kann die Himmelsscheibe von Nebra sichergestellt werden.
6. April: Der Meteorit Neuschwanstein geht in deutsch-österreichischem Grenzgebiet nieder.
4. Mai: Start des Forschungssatelliten Aqua der US-amerikanischen NASA zur Erforschung der Rolle des Wassers im komplexen Ökosystem unserer Erde
12. Mai: Die Buran 1.01, der einzige aus dem Buran-Programm jemals in den Weltraum geflogene Orbiter, wird auf dem Weltraumbahnhof Baikonur zerstört, als die Decke des aufgegebenen Hangars einbricht.
21. Mai: Der zweite Rundbrief der ISO erscheint.
3. Juli: Steve Fossett gelingt in dreizehneinhalb Tagen eine erfolgreiche Weltumrundung mit einem Ballon.
5. Juni: Osttimor wird Mitglied in der UNESCO.
10. Juni: Ringförmige Sonnenfinsternis im Nordpazifik
20. September: In Bangkok wird die Rama-VIII-Brücke über den Mae Nam Chao Phraya offiziell eröffnet.
1. Oktober: Wiedereintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in die UNESCO
3. Oktober: Die Genome der Malariaerreger Plasmodium yoelii yoelii und Plasmodium falciparum sowie am 4. Oktober des Überträgers, der Stechmückenart Anopheles gambiae, wurden vollständig entschlüsselt.
19. November: Eröffnung des Mathematikums in Gießen
4. Dezember: Totale Sonnenfinsternis im südlichen Afrika und in Australien
Erstmalige Vergabe des Hansen-Preises
Beginn des Pilot-Schulprojekts MODUS21
Kultur
15. Mai – 20. Oktober: Die Schweizerische Landesausstellung Expo.02 ist zu besichtigen.
8. Juni – 15. September: Die Documenta11-Weltausstellung der Kunst findet in Kassel statt.
27. Juni: Die „Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal“ zwischen Bingen/Rüdesheim und Koblenz wird von der UNESCO zum „Weltkulturerbe der Menschheit“ erklärt.
22. Juli: Das Kulturabkommen zwischen Deutschland und Kirgisistan tritt in Kraft.
20. August: In Rovereto eröffnet das Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto (MART), das unter anderem eine Sammlung futuristischer Kunst beherbergt.
September: Die Pinakothek der Moderne wird in München eingeweiht.
16. November: Das Escher-Museum wird in Den Haag eröffnet, das sich dem Œuvre des niederländischen Künstlers und Grafikers M. C. Escher widmet.
Günter Grass veröffentlicht Im Krebsgang.
Martin Walser veröffentlicht Tod eines Kritikers.
Die belgische Stadt Brügge und die spanische Stadt Salamanca sind gemeinsam Europäische Kulturhauptstadt.
Erstmalige Vergabe des Kunstpreis der Sachsen LB
Eröffnung des Kunstmuseum Walter
Eröffnung der Pinacoteca Giovanni e Marella Agnelli
Carl Zuckmayers Geheimreport erscheint im Wallstein-Verlag.
Einweihung der größten Statue, dem Spring Temple Buddha in China
Musik
Marie N gewinnt am 25. Mai in Tallinn mit dem Lied I Wanna für Lettland die 47. Auflage des Eurovision Song Contest.
Eröffnung des neuen Konzerthauses (Philharmonie für Westfalen) in Dortmund.
Siehe auch: :Kategorie:Musik 2002
Film und Fernsehen
Nach zehn Jahren kommt am 28. April 2002 Tele 5 zurück ins deutsche Fernsehen.
Gesellschaft
5. Januar: Aus Sympathie zum Terroristen Osama bin Laden fliegt in Tampa im US-Bundesstaat Florida ein Fünfzehnjähriger mit einem Kleinflugzeug in ein 42-stöckiges Bankgebäude. Er ist einziges Opfer des Selbstmordattentats.
2. Februar: In Amsterdam heiraten der niederländische Kronprinz Willem-Alexander und Máxima Zorreguieta.
26. April: Der 19-jährige ehemalige Schüler Robert Steinhäuser tötet während eines zehnminütigen Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und anschließend sich selbst (siehe Amoklauf von Erfurt)
2. Mai: Gründung der Krzysztof-Nowak-Stiftung.
18. Juni: Am dritten „Sozialen Tag“ von Schüler Helfen Leben tauschen 210.000 Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen ihre Schulbank gegen einen bezahlten Job: und spenden über 3,8 Millionen Euro für mildtätige Zwecke
15. September: Gründung des European Inter-University Centre for Human Rights and Democratisation in Venedig.
Sport
Einträge von Leichtathletik-Weltrekorden siehe unter der jeweiligen Disziplin unter Leichtathletik.
Deutscher Fußballmeister: Männer: Borussia Dortmund, Frauen: 1. FFC Frankfurt
DFB-Pokalsieger: Männer: FC Schalke 04, Frauen: 1. FFC Frankfurt
5. Januar: Luan Krasniqi wird Schwergewichts-Europameister im Boxen; er besiegt René Monse nach Punkten.
6. Januar: Sven Hannawald gewinnt als erster Skispringer alle vier Einzelspringen der Vierschanzentournee.
8. bis 24. Februar: XIX. Olympische Winterspiele in Salt Lake City, USA.
8. Februar: Vitali Klitschko gewinnt seinen Boxkampf gegen Vaughn Bean in der Volkswagen Halle, Braunschweig, Deutschland, durch technischen K.o.
3. März bis 13. Oktober: Austragung der 53. Formel-1-Weltmeisterschaft
16. März: Wladimir Klitschko gewinnt seinen Boxkampf gegen Francois Botha in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart, Deutschland, durch technischen K.o.
7. April bis 3. November: Austragung der 54. FIM-Motorrad-Straßenweltmeisterschaft
27. April: Der SC Magdeburg gewinnt als erste deutsche Handball-Bundesligamnnschaft die EHF Champions League.
5. Mai: Im Finale der Basketball-Euroleague besiegt Panathinaikos Athen Kinder Bologna mit 89:83 und wird zum dritten Mal Europameister.
31. Mai bis 30. Juni: 17. Fußball-WM in Japan und Südkorea; Brasilien gewinnt das Endspiel gegen Deutschland mit 2:0 Toren und wird zum fünften Mal Weltmeister. Ein Großteil der Favoriten wie Frankreich und Argentinien kommen nicht über die Vorrunde hinaus.
Juli: Tour-de-France-Sieger wird Lance Armstrong.
21. Juli: Michael Schumacher gewinnt seinen fünften Formel-1-Weltmeistertitel
23. November: Vitali Klitschko gewinnt seinen Boxkampf gegen Larry Donald in der Westfalenhalle, Dortmund, durch technischen K.o.
7. Dezember: Wladimir Klitschko gewinnt seinen Boxkampf gegen Jameel McCline in Mandalay Bay, Las Vegas, Nevada, USA, durch technischen K.o.
12. Dezember: Mit Oak Hill gegen St.Vincent-St.Mary (siehe LeBron James) wird erstmals ein High-School-Basketball-Spiel live im US-Fernsehen übertragen.
22. Dezember: Zu Sportlern des Jahres in Deutschland werden gewählt: Franziska van Almsick, Sven Hannawald, deutsche Fußballnationalmannschaft.
Katastrophen
27. Januar: In Lagos ereignen sich etwa 30 Explosionen in einem brennenden Munitionsdepot der nigerianischen Armee. Sie zerstören angrenzende Gebäude und lösen eine panische Flucht Tausender Menschen aus, die weitere Tote verursacht. Etwa 1000 Opfer sind die Bilanz.
12. Februar: Chorramabad, Iran. Eine Tupolew Tu-154 der Iran Airtour prallt während des Landeanfluges in dichtem Nebel gegen einen Berg in der Sefid-Kouh-Bergkette. Alle 117 Passagiere an Bord sterben.
3. März: Erdbeben der Stärke 7,4 in der Region Hindukusch, Afghanistan, 166 Tote
25. März: Erdbeben der Stärke 6,1 in der Region Hindukusch, Afghanistan, ca. 1000 Tote
15. April: Busan, Südkorea. Eine Boeing 767 der Air China, aus Peking kommend, stürzt beim letzten Landeanflugversuch in ein Waldgebiet. 128 Menschen sterben, 39 können gerettet werden.
3. Mai: Die überladene Fähre Salahuddin 2 sinkt in einem Sturm auf dem Fluss Meghna in Bangladesch südlich von Dhaka. Mindestens 450 Menschen ertrinken.
7. Mai: Dalian, Liaoning, Volksrepublik China. Eine MD-82 der China Northern Airlines (Flug 6136) stürzt kurz vor der Küste ins Meer. Alle 112 Menschen an Bord sterben.
25. Mai: Nahe der Insel Penghu, Taiwan verschwindet eine Boeing 747-209B der China Airlines 20 Minuten nach dem Start vom Flughafen Taipeh plötzlich vom Radar. Die Maschine stürzt aus etwa 12.000 Metern ins Meer und reißt alle 225 Menschen an Bord in den Tod. Die Ursache war eine nie erfolgte endgültige Reparatur des Hecks nach einer Bodenberührung im Jahr 1980.
4. Juni: Die Zeyzoun-Talsperre in Syrien bricht. Durch die Flutwelle gibt es bis zu 100 Todesopfer.
22. Juni: Erdbeben der Stärke 6,5 im Iran, 261 Tote
1. Juli: Flugzeugabsturz über Owingen nahe Überlingen am Bodensee, es sterben 71 Menschen, darunter 45 Kinder bzw. Jugendliche.
27. Juli: Beim Flugtagunglück von Lemberg sterben 85 Menschen, über 100 werden verletzt. Es ist die bislang schwerste Katastrophe bei einer Kunstflugvorführung.
August: Elbhochwasser 2002: Jahrhundertflut an der Elbe und einigen ihrer Nebenflüsse, Nieder- und Oberösterreich, in der Obersteiermark und in Wien sowie in Tschechien durch die Donau und ihre Zuflüsse
26. September: Untergang der senegalesischen Fähre Le Joola, der einzigen Fähre zwischen Casamance und Dakar, mit über 1.800 Todesopfern
12. Oktober: Bali. Bei Sprengstoffattentaten auf zwei Diskotheken in Kuta werden 202 Menschen, vor allem australische Touristen, getötet.
23. Oktober: Moskau, Russland. Geiselnahme durch tschetschenische Terroristen während einer Aufführung des Musicals „Nord-Ost“ im Dubrowka-Theater. Etwa 120 der ca. 800 Geiseln sterben bei der Befreiung durch russische Sicherheitskräfte.
15. November: Das Kriegsschiff Destroyer sinkt östlich von Sable Island in 1.500 Meter Tiefe.
Geboren
Januar
1. Januar: Amona Aßmann, deutsche Schauspielerin
2. Januar: Fany Bertrand, französische Biathletin
3. Januar: Anna Schpynjowa, russische Skispringerin
6. Januar: Owen Moffat, schottischer Fußballspieler
8. Januar: Maya Cloetens, französisch-belgische Biathletin
10. Januar: Ansgar Knauff, deutscher Fußballspieler
13. Januar: Alexandra Föster, deutsche Ruderin
13. Januar: Frederik Vesti, dänischer Automobilrennfahrer
18. Januar: Karim Adeyemi, deutscher Fußballspieler
18. Januar: Lewis Williams, walisischer Dartspieler
19. Januar: Jonas Schmidt-Foß, deutscher Synchronsprecher
21. Januar: Daniella Rosas, peruanische Surferin
22. Januar: Daniel Moroder, italienischer Skispringer
26. Januar: Jomaine Consbruch, deutscher Fußballspieler
27. Januar: Scott McGill, schottischer Fußballspieler
27. Januar: Lin Pin-chun, taiwanesische Handballspielerin
Februar
2. Februar: Soni Bringas, US-amerikanische Schauspielerin und Tänzerin
3. Februar: Radu Drăgușin, rumänischer Fußballspieler
4. Februar: Troy Parrott, irischer Fußballspieler
4. Februar: Jackie R. Jacobson, US-amerikanische Schauspielerin
5. Februar: Davis Cleveland, US-amerikanischer Schauspieler
5. Februar: Tim Lemperle, deutscher Fußballspieler
7. Februar: Hayden Muller, englischer Fußballspieler
10. Februar: Kyle McClelland, nordirisch-schottischer Fußballspieler
11. Februar: Liam Lawson, neuseeländischer Automobilrennfahrer
12. Februar: Matteo Cancellieri, italienischer Fußballspieler
12. Februar: Lukas Dunner, österreichischer Automobilrennfahrer
12. Februar: Mohamed Ihattaren, niederländisch-marokkanischer Fußballspieler
12. Februar: Yannis Fischer, deutscher Leichtathlet
14. Februar: Alessandro Schuster, deutscher Schauspieler
14. Februar: Nick Woltemade, deutscher Fußballspieler
18. Februar: Adam Gawlas, tschechischer Dartspieler
22. Februar: Celina Borko, deutsche Synchronsprecherin
22. Februar: Erik Shuranov, ukrainisch-deutscher Fußballspieler
23. Februar: Emilia Jones, britische Schauspielerin
24. Februar: Oscar Brose, deutscher Schauspieler
März
1. März: Dion Beljo, kroatischer Fußballspieler
1. März: Dalia Mya Schmidt-Foß, deutsche Synchronsprecherin und Schauspielerin
3. März: Allan Delferrière, belgischer Fußballspieler
3. März: Lorenzo Germani, italienischer Radrennfahrer
3. März: Lorenzo Musetti, italienischer Tennisspieler
8. März: Lorenzo Colombo, italienischer Fußballspieler
12. März: Teddy Jenks, englischer Fußballspieler
15. März: Belen Gettwart, deutsche Handballspielerin
16. März: Isabelle Allen, britische Schauspielerin
16. März: Arnaud De Lie, belgischer Radrennfahrer
17. März: Manlio Moro, italienischer Radrennfahrer
19. März: Lorenzo Milesi, italienischer Radrennfahrer
22. März: Andrei Jessipenko, russischer Schachmeister
29. März: Cem Türkmen, türkisch-deutscher Fußballspieler
30. März: Ella Zirzow, deutsche Schauspielerin
April
2. April: Emma Myers, US-amerikanische Schauspielerin
4. April: Daniel Grassl, italienischer Eiskunstläufer
11. April: Mark Hafnar, slowenischer Skispringer
12. April: Max Krauthausen, deutscher Kinderdarsteller
14. April: Jan Guńka, polnischer Biathlet
16. April: Sadie Sink, US-amerikanische Schauspielerin
18. April: Xiye Bastida, mexikanisch-chilenische Klimaaktivistin
19. April: Magnus Sheffield, US-amerikanischer Radrennfahrer
20. April: Irina Alexejewa, russische Kunstturnerin
23. April: Craig Galliano, gibraltarischer Dart- und Fußballspieler
23. April: Tim Prica, schwedischer Fußballspieler
24. April: Charlie McCann, nordirischer Fußballspieler
25. April: Johanna Bassani, österreichische Nordische Kombiniererin († 2020)
28. April: Adrianna Di Liello, kanadische Schauspielerin und Tänzerin
Mai
3. Mai: Charlotte Lorenzen, deutsche Schauspielerin
4. Mai: Archie Meekison, schottischer Fußballspieler
9. Mai: Cree Cicchino, US-amerikanische Schauspielerin und Tänzerin
9. Mai: Isabel Marie Gose, deutsche Schwimmmeisterin
12. Mai: Moritz Kretschy, deutscher Radsportler
16. Mai: Ryan Gravenberch, niederländisch-surinamischer Fußballspieler
16. Mai: Ali Skovbye, kanadische Schauspielerin
18. Mai: Alina Sagitowa, russische Eiskunstläuferin und Olympiasiegerin
21. Mai: Elena Huelva, spanische Aktivistin für den Kampf gegen Krebs († 2023)
25. Mai: Noah Atubolu, deutscher Fußballspieler
Juni
1. Juni: Mohamed Khalil Jendoubi, tunesischer Taekwondoin
2. Juni: Madison Hu, US-amerikanische Schauspielerin
4. Juni: Joséphine Pagnier, französische Skispringerin
6. Juni: Juan Alegría, kolumbianischer Fußballspieler
6. Juni: Moritz Schirdewahn, deutscher Schauspieler und Webvideoproduzent
8. Juni: Quinn Dehlinger, US-amerikanischer Freestyle-Skier
8. Juni: Yang Longxiao, chinesischer Freestyle-Skier
11. Juni: Olli Caldwell, britischer Automobilrennfahrer
12. Juni: Charles Crombez, belgischer Schauspieler
12. Juni: Koni De Winter, belgischer Fußballspieler
17. Juni: Lisa und Lena, deutsche Webvideoproduzentinnen
17. Juni: Sean Negrette, gibraltarischer Dartspieler
19. Juni: Efraín Álvarez, US-amerikanisch-mexikanischer Fußballspieler
20. Juni: Ava Sunshine, US-amerikanische Skirennläuferin
25. Juni: Keane Barry, irischer Dartspieler
25. Juni: Mason Vale Cotton, US-amerikanischer Schauspieler
28. Juni: Marta Kostjuk, ukrainische Tennisspielerin
Juli
2. Juli: Sebastiano Esposito, italienischer Fußballspieler
4. Juli: Dirk Geiger, deutscher Motorradrennfahrer
7. Juli: Hasbulla, russischer Videoblogger
9. Juli: Amaury Cordeel, belgischer Automobilrennfahrer
14. Juli: Daniel Adamczyk, deutscher Fußballspieler
15. Juli: Samed Onur, türkisch-deutscher Fußballspieler
18. Juli: Larissa Iapichino, italienische Leichtathletin
21. Juli: Rika Kihira, japanische Eiskunstläuferin
23. Juli: Benjamin Flores, Jr., amerikanischer Schauspieler und Rapper
26. Juli: Michael Campion, US-amerikanischer Schauspieler
30. Juli: Alex Gufler, italienischer Rennrodler
30. Juli: Sofja Samodurowa, russische Eiskunstläuferin
. Juli: Jack Owen Berglund US-amerikanisch-deutscher Schauspieler
August
3. August: Patrícia Tajcnárová, slowakische Bobfahrerin und Fußballspielerin
8. August: Mustafa Kapı, türkischer Fußballspieler
9. August: Elina Michailowna Nagula, russische Billardspielerin
18. August: Luna Kuse, deutsche Schauspielerin
19. August: Albert Rosas, andorranischer Fußballspieler
26. August: Angelina Alexejewna Simakowa, russische Kunstturnerin
27. August: Marco Brenner, deutscher Radrennfahrer
29. August: Connor Barron, schottischer Fußballspieler
30. August: Paige Jones, US-amerikanische Skispringerin
31. August: Anastassija Andrejewna Smirnowa, russische Freestyle-Skierin
September
1. September: Romeo Beckham, englischer Fußballspieler
2. September: Jasmine Liu, amerikanisch-samoanische Handballspielerin
5. September: Einár, schwedischer Rapper († 2021)
5. September: Alessandra Mele, italienisch-norwegische Sängerin
8. September: Gaten Matarazzo, US-amerikanischer Schauspieler
12. September: Filip Ugran, rumänischer Automobilrennfahrer
14. September: Linda Zingerle, italienische Biathletin
16. September: Juan Ayuso, spanischer Radrennfahrer
18. September: Stuart McKinstry, schottischer Fußballspieler
19. September: Jason und Kristopher Simmons, US-amerikanische Schauspieler
22. September: Cody Veith, US-amerikanischer Schauspieler
25. September: Kieran Ngwenya, malawischer Fußballspieler
27. September: Jenna Ortega, US-amerikanische Schauspielerin
27. September: Jillian Shea Spaeder, US-amerikanische Schauspielerin
30. September: Maddie Ziegler, US-amerikanische Tänzerin, Schauspielerin und Model
Oktober
2. Oktober: Jacob Sartorius, US-amerikanischer Popsänger und Influencer
6. Oktober: Rio Mangini, US-amerikanischer Schauspieler, Pianist und Synchronsprecher
6. Oktober: Cleopatra Stratan, moldawische Sängerin
10. Oktober: Thomas Kuc, brasilianischer Schauspieler
14. Oktober: Luis Engel, deutscher Schachgroßmeister
17. Oktober: Maximilian Beier, deutscher Fußballspieler
17. Oktober: Momo Cissé, guineisch-französischer Fußballspieler
23. Oktober: Shin Eun-soo, südkoreanische Schauspielerin
26. Oktober: Emma Schweiger, deutsche Schauspielerin
30. Oktober: Lilly Liefers, deutsche Schauspielerin
31. Oktober: Ansu Fati, spanisch-guinea-bissauischer Fußballspieler
November
6. November: Mya-Lecia Naylor, britische Schauspielerin († 2019)
8. November: Laurids Schürmann, deutscher Schauspieler
10. November: Eduardo Camavinga, französisch-kongolesischer Fußballspieler
13. November: Giovanni Reyna, amerikanisch-portugiesischer Fußballspieler
14. November: Gianluca Petecof, brasilianischer Automobilrennfahrer
19. November: Dylan Slevin, irischer Dartspieler
20. November: Madisyn Shipman, US-amerikanische Schauspielerin
21. November: Aminata Camara, gambische Fußballspielerin
25. November: Pedri, spanischer Fußballspieler
Dezember
4. Dezember: Jurjen van der Velde, niederländischer Dartspieler
8. Dezember: Hana Mazi Jamnik, slowenische Skilangläuferin († 2022)
9. Dezember: Sam Bolton, britischer Skispringer
11. Dezember: Jamie Gerstenberg, deutsche Fußballtorhüterin
12. Dezember: Owen Bates, englischer Dartspieler
29. Dezember: Hanna Aronsson Elfman, schwedische Skirennläuferin
30. Dezember: Josefa Schellmoser, deutsche Skeletonpilotin
31. Dezember: Casar, deutscher Rapper
31. Dezember: Elias Hoff Melkersen, norwegischer Fußballspieler
Tag unbekannt
Riccardo Campione, deutsch-italienischer Schauspieler
Elias Eisold, deutscher Schauspieler
Sarina Hutter, Schweizer Unihockeyspielerin
Charlotte Krause, deutsche Schauspielerin
Isabelle Ottmann, deutsche Schauspielerin
Emma Preisendanz, deutsche Schauspielerin
Alice Prosser, österreichische Schauspielerin
Budhia Singh, indischer Marathonläufer
Lucy Ella von Scheele, deutsche Schauspielerin
Yuri Völsch, deutscher Schauspieler
Zoe Wees, deutsche Sängerin
Gestorben
Dies ist eine Liste der bedeutendsten Persönlichkeiten, die 2002 verstorben sind. Für eine ausführlichere Liste siehe Nekrolog 2002.
Januar
1. Januar: Matthias Fuchs, deutscher Schauspieler (* 1939)
1. Januar: Paul Hubschmid, Schweizer Film- und Theaterschauspieler (* 1917)
7. Januar: Geoffrey Crossley, britischer Automobilrennfahrer (* 1921)
8. Januar: Alexander Michailowitsch Prochorow, russischer Physiker (* 1916)
8. Januar: Pascal Rywalski, Schweizer Kapuziner und Generalminister (* 1911)
9. Januar: Eddie Zack, US-amerikanischer Country-Musiker (* 1922)
12. Januar: John Stephen Hales, australischer Geschäftsmann (* 1922)
12. Januar: Cyrus Vance, US-amerikanischer Politiker (* 1917)
13. Januar: Samuel Dolin, kanadischer Komponist und Musikpädagoge (* 1917)
13. Januar: Amparo Montes, mexikanische Sängerin (* 1925)
14. Januar: Ebenezer Ako-Adjei, ghanaischer Politiker, Rechtsanwälte, Verleger und Journalisten (* 1916)
16. Januar: Hilde Adolf, deutsche Politikerin (* 1953)
17. Januar: Camilo José Cela, spanischer Schriftsteller (* 1916)
17. Januar: Héctor Tosar, uruguayischer Komponist (* 1923)
18. Januar: Cövdət Hacıyev, aserbaidschanischer Komponist (* 1917)
19. Januar: Jeffrey Astle, englischer Fußballspieler (* 1942)
19. Januar: Franz Innerhofer, österreichischer Schriftsteller (* 1944)
21. Januar: Peggy Lee, US-amerikanische Jazzsängerin (* 1920)
22. Januar: Kenneth Armitage, britischer Bildhauer (* 1916)
23. Januar: Pierre Bourdieu, französischer Soziologe (* 1930)
23. Januar: Robert Nozick, US-amerikanischer Philosoph (* 1938)
24. Januar: Elie Hobeika, libanesischer Milizionär und Politiker (* 1956)
24. Januar: Igor Kipnis, US-amerikanischer Cembalist (* 1930)
27. Januar: Franz Meyers, deutscher Politiker (* 1908)
27. Januar: Alain Vanzo, französischer Opernsänger (* 1928)
28. Januar: Astrid Lindgren, schwedische Kinderbuchautorin (* 1907)
30. Januar: Carlo Karges, deutscher Musiker (* 1951)
30. Januar: Inge Morath, US-amerikanische Fotografin (* 1923)
Februar
1. Februar: Raimund Gensel, deutscher Schauspieler (* 1940)
1. Februar: Hildegard Knef, deutsche Schauspielerin (* 1925)
3. Februar: Aglaja Veteranyi, Schweizer Schauspielerin und Schriftstellerin (* 1962)
4. Februar: Boogaloo Ames, US-amerikanischer Jazz-, Blues- und Boogie-Woogiepianist (* 1918)
4. Februar: Inge Konradi, österreichische Schauspielerin (* 1924)
6. Februar: Max Ferdinand Perutz, britischer Chemiker (* 1914)
7. Februar: Carlos Díaz, kubanischer Sänger (* 1930)
7. Februar: Dennis Herrold, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker (* 1927)
8. Februar: Elisabeth Mann Borgese, deutsche Meeresbiologin und Tochter von Thomas Mann (* 1918)
8. Februar: Ong Teng Cheong, singapurischer Politiker (* 1936)
8. Februar: Joachim Hoffmann, deutscher Historiker (* 1930)
8. Februar: Vesta M. Roy, US-amerikanische Politikerin (* 1925)
9. Februar: Prinzessin Margaret, Schwester von Queen Elisabeth II. (* 1930)
10. Februar: Dave Van Ronk, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1936)
11. Februar: Barry Foster, britischer Schauspieler (* 1931)
11. Februar: Traudl Junge, Sekretärin von Adolf Hitler (* 1920)
13. Februar: Waylon Jennings, US-amerikanischer Country-Sänger (* 1937)
14. Februar: Abdul Rahman, afghanischer Politiker (* 1953)
14. Februar: Mick Tucker, englischer Schlagzeuger, The Sweet (* 1947)
14. Februar: Günter Wand, deutscher Dirigent (* 1912)
16. Februar: Moisés Moleiro, venezolanischer Politiker und Historiker (* 1937)
17. Februar: Heinz Kaminski, deutscher Chemie-Ingenieur und Weltraumforscher (* 1921)
19. Februar: Albert Alin, französischer Autorennfahrer (* 1907)
20. Februar: Stephen Longstreet, US-amerikanischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Illustrator (* 1907)
21. Februar: Hamlet Lima Quintana, argentinischer Schriftsteller und Musiker (* 1923)
22. Februar: Chuck Jones, US-amerikanischer Comiczeichner und Filmregisseur (* 1912)
22. Februar: Jonas Savimbi, angolanischer Politiker und Rebellenführer (* 1934)
22. Februar: Barbara Valentin, deutsche Schauspielerin (* 1940)
22. Februar: Ronnie Verrell, englischer Jazzschlagzeuger (* 1926)
24. Februar: Eva Hoffmann-Aleith, deutsche Pastorin und Schriftstellerin (* 1910)
24. Februar: Leo Ornstein, russischer Pianist und Komponist (* 1892)
24. Februar: Gregorio Walerstein, mexikanischer Filmproduzent und Drehbuchautor (* 1913)
25. Februar: Henrik Oskarsson, schwedischer Freestyle-Skier (* 1960)
26. Februar: Oskar Sala, deutscher Komponist und Physiker (* 1910)
28. Februar: Helmut Zacharias, deutscher Violinist (* 1920)
Februar: Camille Andréa, kanadische Songwriterin (* 1909)
März
1. März: Donnie Bowshier, US-amerikanischer Country- und Rockabilly-Musiker (* 1937)
1. März: Cecil Farris Bryant, US-amerikanischer Politiker (* 1914)
2. März: Thomas Owen, belgischer Schriftsteller (* 1910)
3. März: Everhardus Jacobus Ariëns, niederländischer Pharmakologe (* 1918)
3. März: Earl Bernard Murray, US-amerikanischer Trompeter und Dirigent (* 1926)
4. März: Margarete Neumann, deutsche Schriftstellerin (* 1917)
9. März: Normand Lockwood, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge (* 1906)
10. März: Sleiman Hajjar, libanesischer Bischof in Kanada (* 1950)
11. März: James Tobin, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler (* 1918)
11. März: Marion Gräfin Dönhoff, deutsche Journalistin und Publizistin (* 1909)
12. März: Friedrich Falch, österreichischer Politiker (* 1918)
12. März: Jean-Paul Riopelle, frankokanadischer Maler und Bildhauer (* 1923)
13. März: Ivano Blason, italienischer Fußballspieler (* 1923)
13. März: Hans-Georg Gadamer, deutscher Philosoph (* 1900)
13. März: Bayliss Levrett, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1913)
14. März: Furuyama Komao, japanischer Schriftsteller (* 1920)
16. März: Ray Doggett, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker, Songschreiber und Produzent (* 1936)
17. März: Christian Graf von Krockow, deutscher Politikwissenschaftler (* 1927)
19. März: Marco Biagi, italienischer Politiker, Wissenschaftler und Publizist (* 1950)
19. März: Erkki Salmenhaara, finnischer Komponist und Musikwissenschaftler (* 1941)
20. März: Giulio Alfieri, italienischer Automobil- und Zweiradingenieur (* 1924)
21. März: Herman Talmadge, amerikanischer Politiker (* 1913)
22. März: Boris Sichkin, russisch-amerikanischer Schauspieler, Tänzer und Choreograph (* 1922)
23. März: Jan Kotík, tschechischer Maler (* 1916)
24. März: César Milstein, britischer Molekularbiologe und Nobelpreisträger (* 1927)
24. März: Bob Said, US-amerikanischer Automobilrennfahrer und Filmproduzent (* 1932)
27. März: Matthias Beltz, deutscher Kabarettist (* 1945)
27. März: Lotte Ulbricht, deutsche Politikerin, Ehefrau von Walter Ulbricht (* 1903)
27. März: Billy Wilder, US-amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor und Produzent (* 1906)
29. März: Petermax Müller, deutscher Automobilrennfahrer und -händler (* 1912)
30. März: Elizabeth Bowes-Lyon, Mutter von Queen Elisabeth II. (* 1900)
30. März: Benjamin Harkarvy, US-amerikanischer Tanzlehrer, Ballettmeister und Choreograph (* 1930)
März: Elgudscha Dawitis dse Amaschukeli, georgischer Bildhauer und Maler (* 1928)
April
1. April: Simo Häyhä, finnischer Scharfschütze (* 1905)
1. April: Heinrich Popitz, deutscher Soziologe (* 1925)
2. April: Jack Kruschen, kanadischer Schauspieler (* 1922)
3. April: Heinz Drache, deutscher Schauspieler (* 1923)
3. April: Frank Tovey, britischer Musiker (* 1956)
5. April: Layne Staley, US-amerikanischer Rocksänger und Gitarrist der Band Alice in Chains (* 1967)
6. April: Martin Sperr, deutscher Schriftsteller und Schauspieler (* 1944)
7. April: John Agar, US-amerikanischer Schauspieler (* 1921)
8. April: Franz Liebl, sudetendeutscher Autor der egerländischen und oberpfälzischen Mundart (* 1923)
9. April: Jean Estager, französischer Automobilrennfahrer (* 1919)
9. April: Jürgen Hart, deutscher Kabarettist (* 1942)
9. April: Stefan Kaminsky, deutscher Bankmanager (* 1926)
10. April: Manfred Köhnlechner, deutscher Heilpraktiker (* 1925)
10. April: Yūji Hyakutake, japanischer Amateurastronom (* 1950)
11. April: Elmer Angsman, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1925)
13. April: Ivan Desny, französisch-deutscher Schauspieler (* 1922)
16. April: Herbert Wernicke, deutscher Regisseur und Bühnenbildner (* 1946)
18. April: Thor Heyerdahl, norwegischer Völkerkundler, Anthropologe und Abenteurer (* 1914)
20. April: Pierre Rapsat, belgischer Sänger (* 1948)
21. April: Desmond Titterington, britischer Automobilrennfahrer (* 1928)
22. April: Victor Weisskopf, österreichischer Physiker und Mitbegründer der Pugwash-Bewegung (* 1908)
23. April: Manfred Bieler, deutscher Schriftsteller (* 1934)
24. April: Hans Ferdinand Bürki, Schweizer Pädagoge, Psychologe und Theologe (* 1925)
24. April: Emil Friedman, tschechischer Musikpädagoge, Geiger und Dirigent (* 1908)
25. April: Lisa Lopes, US-amerikanische Sängerin (* 1971)
27. April: Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza de Kászon, deutsche Industrieller (* 1921)
28. April: Alexander Iwanowitsch Lebed, russischer General und Politiker (* 1950)
29. April: Sune Andersson, schwedischer Fußballnationalspieler und -trainer (* 1921)
30. April: Karel Milota, tschechischer Dichter, Schriftsteller und Übersetzer (* 1937)
30. April: Charlotte von Mahlsdorf, bekennender Transvestit, Museumsgründerin (* 1928)
Mai
1. Mai: Karel Ptáčník, tschechischer Schriftsteller (* 1921)
1. Mai: Willi Dungl, österreichischer Gesundheitsexperte (* 1937)
1. Mai: Ursula von Wiese, deutsch-schweizerische Schauspielerin, Verlagslektorin, Übersetzerin und Schriftstellerin (* 1905)
2. Mai: Heinz Jankofsky, deutscher Karikaturist (* 1935)
2. Mai: Richard Stücklen, deutscher Politiker (* 1916)
5. Mai: Hugo Banzer Suárez, bolivianischer Politiker und Staatspräsident (* 1926)
5. Mai: Čestmír Vycpálek, tschechischer Fußballspieler und -trainer (* 1921)
6. Mai: Murray Adaskin, kanadischer Komponist und Dirigent (* 1906)
6. Mai: Pim Fortuyn, niederländischer Politiker (* 1948)
6. Mai: Samuel Dresden, niederländischer Romanist und Literaturwissenschaftler (* 1914)
6. Mai: Mariana Sansón Argüello, nicaraguanische Lyrikerin und Malerin (* 1918)
9. Mai: Philippe Verellen, belgischer Automobilrennfahrer (* 1962)
9. Mai: Leon Stein, US-amerikanischer Komponist (* 1910)
10. Mai: Gabriele Mucchi, italienischer Maler (* 1899)
10. Mai: David Riesman, US-amerikanischer Soziologe und Erziehungswissenschaftler (* 1909)
13. Mai: Walerij Lobanowskyj, ukrainischer Fußballtrainer (* 1939)
18. Mai: Wolfgang Eduard Schneiderhan, österreichischer Musiker (* 1915)
19. Mai: John Grey Gorton, australischer Premierminister (* 1911)
19. Mai: Hans Posegga, deutscher Komponist, Pianist und Dirigent (* 1917)
20. Mai: Stephen Jay Gould, US-amerikanischer Paläontologe, Geologe und Evolutionsforscher (* 1941)
20. Mai: Bob Grossman, US-amerikanischer Autorennfahrer (* 1922)
21. Mai: Niki de Saint Phalle, französische Bildhauerin und Malerin (* 1930)
24. Mai: Johannes Overath, deutscher katholischer Theologe und Priester (* 1913)
29. Mai: Friedrich Kempf, deutscher Jesuit und Historiker (* 1908)
30. Mai: Walter Laird, britischer Tänzer (* 1920)
Juni
2. Juni: Günther Schubert, deutscher Fußballtorwart (* 1955)
3. Juni: Sam Whipple, US-amerikanischer Schauspieler (* 1960)
4. Juni: Cliff Gleaves, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker und DJ (* 1929)
5. Juni: Curtis Amy, US-amerikanischer Saxophonist und Flötist (* 1929)
5. Juni: Dee Dee Ramone, Bassist der Ramones (* 1951)
9. Juni: Lito Peña, puerto-ricanischer Saxophonist, Bandleader, Komponist und Arrangeur (* 1921)
10. Juni: Louis Jeannin, französischer Motorradrennfahrer (* 1907)
13. Juni: Ralph Shapey, US-amerikanischer Dirigent und Komponist (* 1921)
13. Juni: Johann Herberger, deutscher Fußballspieler (* 1919)
15. Juni: Choi Hong-hi, Begründer der modernen koreanischen Kampfsportart Taekwondo (* 1918)
17. Juni: Fritz Walter, deutscher Fußballspieler und Ehrenspielführer der deutschen Fußballnationalmannschaft (* 1920)
18. Juni: Walter Villa, italienischer Motorradrennfahrer (* 1943)
20. Juni: Erwin Chargaff, US-amerikanischer Biochemiker und Schriftsteller (* 1905)
20. Juni: Martinus Osendarp, niederländischer Leichtathlet und Olympiateilnehmer (* 1916)
24. Juni: Frank Ripploh, deutscher Filmregisseur (* 1949)
25. Juni: Karl-Heinz Klostermeier, deutscher Volkswirt und Rundfunk-Intendant (* 1936)
26. Juni: Barbara Georgina Adams, britische Ägyptologin (* 1945)
26. Juni: Alfred Lorenzer, deutscher Psychoanalytiker und Soziologe (* 1922)
27. Juni: John Entwistle, englischer Rockmusiker (Bassist), The Who (* 1944)
27. Juni: Russ Freeman, US-amerikanischer Jazzpianist (* 1926)
29. Juni: Ole-Johan Dahl, norwegischer Informatiker (* 1931)
29. Juni: Alfred Dregger, deutscher Politiker (* 1920)
29. Juni: Rosemary Clooney, US-amerikanische Pop- und Jazzsängerin sowie Schauspielerin (* 1928)
30. Juni: Richard Allen, US-amerikanischer Sessionmusiker (* 1932)
Juli
1. Juli: David Clarke, britischer Automobilrennfahrer (* 1929)
2. Juli: Ray Brown, US-amerikanischer Jazz-Bassist (* 1926)
2. Juli: Jean-Yves Daniel-Lesur, französischer Komponist und Organist (* 1908)
3. Juli: Josef Haiböck, österreichischer General (* 1917)
4. Juli: Gerald Bales, kanadischer Organist, Pianist, Komponist, Chorleiter und Musikpädagoge (* 1919)
4. Juli: Lutz Moik, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1930)
6. Juli: Dhirajlal Hirachand Ambani, indischer Unternehmer (* 1932)
6. Juli: John Frankenheimer, US-amerikanischer Filmregisseur (* 1930)
9. Juli: Rod Steiger, US-amerikanischer Filmschauspieler (* 1925)
10. Juli: Frieda Grafe, deutsche Filmkritikerin (* 1934)
10. Juli: Alan Shulman, US-amerikanischer Komponist und Cellist (* 1915)
11. Juli: Erni Bieler, österreichische Jazz- und Schlagersängerin (* 1925)
11. Juli: Rosco Gordon, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1928)
12. Juli: Ellen Callmann, US-amerikanische Kunsthistorikerin (* 1926)
13. Juli: Robert Schwan, deutscher Fußballmanager (* 1921)
14. Juli: Harry Igor Ansoff, US-amerikanischer Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler (* 1918)
14. Juli: Joaquín Balaguer, Präsident der Dominikanischen Republik (* 1906)
16. Juli: John Cocke, amerikanischer Informatiker (* 1925)
17. Juli: Joseph Luns, niederländischer Politiker (* 1911)
17. Juli: Walentina Winogradowa, sowjetisch-russische Volleyballnationalspielerin (* 1943)
18. Juli: Hermann Appel, deutscher Ingenieur (* 1932)
21. Juli: Eduardo Cabrera, kubanischer Pianist, Arrangeur und Bandleader (* 1936)
24. Juli: Gaynell Tinsley, US-amerikanischer American-Football-Spieler und -Trainer (* 1913)
25. Juli: Johannes Joachim Degenhardt, deutscher Kardinal (* 1926)
25. Juli: Tilemann Grimm, deutscher Sinologe (* 1922)
26. Juli: Jutta Hecker, deutsche Schriftstellerin (* 1904)
28. Juli: Archer John Porter Martin, britischer Chemiker und Nobelpreisträger (* 1910)
29. Juli: Renato Pirocchi, italienischer Automobilrennfahrer (* 1933)
29. Juli: Tesfamariam Bedho, eritreischer Bischof (* 1934)
30. Juli: Josef Arthold, österreichischer Politiker (* 1934)
30. Juli: Willy Mattes, österreichischer Komponist (* 1916)
August
4. August: Robert Noehren, US-amerikanischer Organist, Orgelbauer und Musikpädagoge (* 1910)
6. August: Jim Crawford, britischer Automobilrennfahrer (* 1948)
6. August: Edsger W. Dijkstra, niederländischer Informatiker (* 1930)
10. August: Kristen Nygaard, norwegischer Informatiker (* 1926)
11. August: Jiří Kolář, tschechischer Dichter und bildender Künstler (* 1914)
13. August: Hermann Haller (Komponist), Schweizer Komponist (* 1914)
15. August: Heinz-Josef Adamski, deutscher Historiker, Volkskundler und Gymnasiallehrer (* 1911)
15. August: Alberto Bertuccelli, italienischer Fußballspieler (* 1924)
15. August: Jesse Brown, US-amerikanischer Politiker (* 1944)
18. August: Helmut Körschgen, deutscher Schauspieler (* 1923)
19. August: Eduardo Chillida, baskischer Bildhauer (* 1924)
19. August: Otto Wüst, Bischof von Basel (* 1926)
21. August: Adelina Domingues, kap-verdisch-amerikanische Altersrekordlerin (* 1888)
25. August: William Warfield, US-amerikanischer Sänger (Bassbariton) (* 1920)
27. August: Justus Ahlheim, deutscher Politiker (* 1925)
27. August: Jane Tilden, deutsche Schauspielerin (* 1910)
29. August: Lance Macklin, englischer Rennfahrer (* 1919)
31. August: Lionel Hampton, US-amerikanischer Jazzmusiker (* 1908)
September
2. September: Jerry Boyd, US-amerikanischer Boxtrainer und Cut Man (* 1930)
6. September: Edna Roxanne Atkins, kanadische Hürdenläuferin (* 1912)
7. September: Eugenio Coseriu, rumänischer Sprachwissenschaftler (* 1921)
7. September: Uzi Gal, israelischer Waffenkonstrukteur (* 1923)
8. September: Georges-André Chevallaz, Schweizer Politiker (* 1915)
8. September: Marco Siffredi, französischer Extrem-Snowboarder (* 1979)
12. September: Ludwig Koch, deutscher Gewerkschafter (* 1909)
15. September: Kay Espenhayn, deutsche Schwimmerin im Behindertensport (* 1968)
15. September: Heinz Seiler, deutscher Handballtrainer und -spieler (* 1920)
16. September: Rika Unger, deutsche Bildhauerin (* 1917)
17. September: Dodo Marmarosa, US-amerikanischer Jazzpianist (* 1925)
18. September: Hazel Brooks, US-amerikanische Schauspielerin (* 1924)
19. September: John O’Gorman Arundel, kanadischer Eishockeyspieler (* 1927)
19. September: Yohannes Woldegiorgis, äthiopischer Bischof (* 1921)
22. September: Julio Pérez, uruguayischer Fußballspieler (* 1926)
22. September: Marga Petersen, deutsche Leichtathletin und Olympiateilnehmerin (* 1919)
23. September: Eberhard Werner, deutscher Künstler und Landschaftsmaler (* 1924)
26. September: Vincenzo Andronico, italienischer Schauspieler (* 1924)
28. September: Werner Gutmann, Schweizer Prokurist, Schriftsteller und Hörspiel-Autor in Berndeutsch (* 1914)
30. September: Hans-Peter Tschudi, Schweizer Politiker (* 1913)
September: Dieter Aschenborn, namibischer Maler (* 1915)
Oktober
2. Oktober: Heinz von Foerster, österreichischer Kybernetiker und Begründer des Konstruktivismus (* 1911)
3. Oktober: Willi Paul Adams, deutscher Amerikanist und Historiker (* 1940)
3. Oktober: Victor Maag, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer (* 1910)
5. Oktober: Jay R. Smith, US-amerikanischer Kinderschauspieler (* 1915)
6. Oktober: Wolfgang Mischnick, deutscher Politiker (* 1921)
6. Oktober: Viola Mitchell, US-amerikanische Geigerin (* 1911)
6. Oktober: Prinz Claus von Amsberg, Ehemann von Königin Beatrix (* 1926)
8. Oktober: Philippe Boutros Chebaya, libanesischer Bischof (* 1920)
9. Oktober: Randy Atcher, US-amerikanischer Country-Sänger und -Musiker (* 1918)
9. Oktober: Aileen Wuornos, US-amerikanische Serienmörderin (* 1956)
11. Oktober: Werner Eberlein, Mitglied des Politbüros des ZK der SED (* 1919)
13. Oktober: Stephen Edward Ambrose, US-amerikanischer Historiker und Biograf (* 1936)
14. Oktober: Keizō Hino, japanischer Schriftsteller (* 1929)
16. Oktober: Karl-Heinz Kreienbaum, deutscher Schauspieler (* 1915)
19. Oktober: Manuel Álvarez Bravo, mexikanischer Fotograf (* 1902)
21. Oktober: Jesse Leonard Greenstein, US-amerikanischer Astronom (* 1909)
21. Oktober: Manfred Ewald, Sportfunktionär der DDR (* 1926)
22. Oktober: Geraldine Gräfin Apponyi de Nagy-Appony, albanische Königin (* 1915)
23. Oktober: Marianne Hoppe, deutsche Schauspielerin (* 1909)
24. Oktober: Harry Hay, US-amerikanischer Bürgerrechtler (* 1912)
25. Oktober: Annemie Fontana, schweizerische Künstlerin (* 1925)
25. Oktober: Richard Harris, irischer Schauspieler (* 1930)
25. Oktober: René Thom, französischer Professor für Mathematik (* 1923)
26. Oktober: Siegfried Unseld, deutscher Verleger (* 1924)
30. Oktober: Pierre Aigrain, französischer Physiker und Staatssekretär für Forschung (* 1924)
30. Oktober: Jam Master Jay, US-amerikanischer Rapper (* 1965)
November
1. November: Ekrem Akurgal, türkischer Klassischer Archäologe (* 1911)
3. November: Lonnie Donegan, britischer Musiker (* 1931)
3. November: Hildegard Grube-Loy, deutsche Aquarellmalerin (* 1916)
3. November: Dirk Schneider, deutscher Politiker und DDR-Agent (* 1939)
7. November: Rudolf Augstein, deutscher Journalist, Verleger und Publizist (* 1923)
9. November: Adrian Aeschbacher, Schweizer Pianist (* 1912)
9. November: Heinrich Schiemann, deutscher Wissenschaftsjournalist (* 1916)
10. November: Gert Westphal, deutscher Schauspieler, „Vorleser der Nation“ (* 1920)
13. November: Roland Hanna, US-amerikanischer Jazzpianist (* 1932)
13. November: Juan Schiaffino, uruguayisch-italienischer Fußballspieler (* 1925)
17. November: Abba Eban, israelischer Politiker und Diplomat (* 1915)
18. November: James Coburn, US-amerikanischer Filmschauspieler (* 1928)
20. November: Florian Dąbrowski, polnischer Komponist und Musikpädagoge (* 1913)
20. November: Gaby von Schönthan (geb. Gabriele Philipp, verh. Gabriele Frischauer), österreichische Schauspielerin und Schriftstellerin (* 1926)
24. November: John Rawls, US-amerikanischer Philosoph (* 1921)
25. November: Karel Reisz, britischer Filmregisseur (* 1926)
27. November: Gérard Laureau, französischer Automobilrennfahrer und Unternehmer (* 1920)
27. November: Edwin L. Mechem, US-amerikanischer Politiker (* 1912)
29. November: Daniel Gélin, französischer Schauspieler (* 1921)
30. November: Erdmut Bramke, deutsche Malerin (* 1940)
30. November: Hans Hartz, deutscher Musiker und Liedermacher (* 1943)
November: Rómulo Aguerre, uruguayischer Fotograf (* 1919)
November: Antonín Šponar, tschechoslowakischer Skirennläufer (* 1920)
Dezember
2. Dezember: Leslie Elizabeth Bullock Andrews, US-amerikanische Politikerin (* 1911)
2. Dezember: Ivan Illich, österreichischer Autor, Philosoph und Theologe (* 1926)
2. Dezember: Mehmet Emin Toprak, türkischer Schauspieler (* 1974)
3. Dezember: Klaus Löwitsch, deutscher Schauspieler (* 1936)
5. Dezember: Heinrich Wilhelm Ahrens, deutscher Jurist, Kaufmann und Manager (* 1903)
5. Dezember: Bob Berg, US-amerikanischer Jazzmusiker (* 1951)
6. Dezember: Jerzy Adamski, polnischer Federgewicht-Boxer (* 1937)
6. Dezember: Gerhard Löwenthal, deutscher Journalist und Fernseh-Moderator (* 1922)
9. Dezember: Jesús Torres Tejeda, dominikanischer Hörfunksprecher, -produzent und -direktor (Geburtsjahr unbekannt)
10. Dezember: Hans Eisen, deutscher General (* 1922)
10. Dezember: Ian MacNaughton, britischer Regisseur (* 1925)
12. Dezember: Nikolai Michailowitsch Amossow, russisch-ukrainischer Herzchirurg, Konstrukteur und Buchautor (* 1913)
12. Dezember: Dee Brown, US-amerikanischer Schriftsteller und Historiker (* 1908)
12. Dezember: Mary Siragusa, dominikanische Pianistin und Musikpädagogin (* 1920)
19. Dezember: Will Hoy, britischer Automobilrennfahrer (* 1953)
22. Dezember: Kurt Aepli, Schweizer Silberschmied, Schmuck- und Gerätegestalter sowie Berufspädagoge (* 1914)
22. Dezember: Mario Ruiz Armengol, mexikanischer Komponist, Pianist und Dirigent (* 1914)
22. Dezember: Joe Strummer, britischer Rockmusiker, Frontmann der Band The Clash (* 1952)
22. Dezember: Gabrielle Wittkop, französische Schriftstellerin, Künstlerin, Essayistin und Journalistin (* 1920)
23. Dezember: Tatamkhulu Afrika, südafrikanischer Schriftsteller und Dichter (* 1920)
24. Dezember: Mohammed Al-Fassi, saudi-arabisch-marokkanischer Geschäftsmann (* 1952)
26. Dezember: Horst Heinrich, bayerischer Politiker (* 1938)
26. Dezember: Herb Ritts, US-amerikanischer Fotograf (* 1952)
27. Dezember: George Roy Hill, amerikanischer Filmregisseur (* 1921)
27. Dezember: Hans Joachim Stoebe, deutscher evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer (* 1909)
28. Dezember: Maria Carbone, italienische Opernsängerin und Gesangspädagogin (* 1908)
28. Dezember: Koreyoshi Kurahara, japanischer Filmregisseur und Drehbuchautor (* 1927)
31. Dezember: Jürgen Dethloff, deutscher Erfinder (* 1924)
Datum unbekannt
Beverley Harper, australische Autorin (* 1941)
Jan Kucharski, polnischer Organist und Musikpädagoge (* 1908)
Wissenschaftspreise
Nobelpreise
Physik: Raymond Davis junior, Masatoshi Koshiba und Riccardo Giacconi
Chemie: Kurt Wüthrich, John B. Fenn und Kōichi Tanaka
Medizin: Sydney Brenner, H. Robert Horvitz und John E. Sulston
Literatur: Imre Kertész
Friedensnobelpreis: Jimmy Carter
Wirtschaftswissenschaft: Daniel Kahneman und Vernon L. Smith
Fields-Preis
Laurent Lafforgue, für Beiträge zum Langlands-Programm (Zahlentheorie).
Wladimir Wojewodski, für den Beweis der Milnor-Vermutung, neue Kohomologie-Theorien für algebraische Varietäten (K-Theorie, Algebraische Geometrie, Topologie)
Turing Award
Ronald L. Rivest, Adi Shamir und Leonard Adleman für Asymmetrische Verschlüsselungsalgorithmen, speziell RSA, und deren praktische Einsetzbarkeit.
Weblinks
Jahresrückblick von tagesschau.de
Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD
Einzelnachweise
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Q1987
| 4,460.684653 |
37102
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https://de.wikipedia.org/wiki/Einschlagkrater
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Einschlagkrater
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Ein Einschlagkrater (auch: Einschlagskrater) oder Impaktkrater ist eine zumeist annähernd kreisförmige Senke auf der Oberfläche eines erdähnlichen Planeten oder eines ähnlich festen Himmelskörpers, die durch den Einschlag – den Impakt – eines anderen Körpers wie eines Asteroiden oder eines hinreichend großen Meteoroiden entsteht. Nach den gefundenen Resten solcher Impaktoren, den Meteoriten, spricht man auch von einem Meteoritenkrater.
Für Einschlagskrater auf der Erde schlug der US-amerikanische Geophysiker Robert S. Dietz 1960 die Bezeichnung Astroblem („Sternwunde“) vor, die sich im Deutschen, teilweise auch im Französischen – beispielsweise Astroblème de Rochechouart-Chassenon – eingebürgert hat.
Allgemeines
Alle Himmelskörper des Sonnensystems mit fester Oberfläche besitzen solche Krater. Der Mond ist von Einschlagskratern übersät. Auf der Erde, deren Oberfläche laufend durch morphodynamische Prozesse wie Denudation, Erosion, Sedimentation und zudem geologische Aktivität geformt wird, lassen sich Einschlagskrater nicht so leicht erkennen wie auf davon nicht oder weniger betroffenen Himmelskörpern. Ein extremes Beispiel dafür ist Io, ein erdmondgroßer Satellit des Jupiter, dessen Oberfläche durch große Gezeitenkräfte und sehr aktiven Vulkanismus geprägt ist und dadurch fast keine Einschlagskrater besitzt.
Entstehung
Kleinere Meteoroide, die sich auf einem Kollisionskurs mit der Erde befinden, verglühen oder zerplatzen in der Erdatmosphäre und fallen als kleine Bruchstücke zu Boden. Größere Objekte, ab einem Durchmesser von etwa 50 m, können die Erdatmosphäre durchdringen und den Boden mit Geschwindigkeiten von 12 bis 70 km in der Sekunde erreichen. Daher werden solche Einschläge als Hochgeschwindigkeitseinschläge bezeichnet. Da die kinetische Energie dabei durch starke Kompression des Materials beider Körper in Sekundenbruchteilen in thermische Energie umgewandelt wird, kommt es zu einer Explosion. Das umliegende Material wird weggesprengt und es entsteht, unabhängig vom Einschlagwinkel, gleich einem Explosionskrater eine kreisrunde Senke, an deren Rändern das ausgeworfene Material einen Wall bildet. Um den Krater herum findet sich ausgeworfenes Material, die sogenannten Ejekta. Diese Ejekta können Sekundärkrater um den primären Krater hervorrufen.
Einfache und komplexe Krater
Kleinere Krater haben im Allgemeinen eine einfache, schüsselartige Form und werden in dieser Form als einfache Krater bezeichnet. Ab einer bestimmten Größe, die umgekehrt proportional zur Schwerkraft am jeweiligen Himmelskörper abnimmt und außerdem vom Zielgestein abhängt, entstehen komplexe Krater. Auf dem Mond liegt dieser Grenzdurchmesser bei 15 bis 20 km, auf der Erde bei 2 bis 4 km.
Mit zunehmendem Durchmesser des Kraters kommt es zunächst zur Ausbildung eines Zentralbergs. Bei noch größerem Durchmesser wird daraus eine zentrale Ringstruktur, im Weiteren kann eine Multiringstruktur entstehen. Diese kann dann im innersten Ring im Grenzfall auch einen Zentralberg enthalten. Ursache für diese Strukturen eines komplexen Kraters ist das Rückfedern des Kraterbodens nach dem Aufprall des Impaktors, womit zunächst ein Zentralberg in der Kratermitte aufgeworfen wird, und das anschließende Kollabieren des instabilen tiefen Primärkraters. Diese Vorgänge finden im Bereich der bereits von der Stoßwelle zertrümmerten Kraterumgebung innerhalb weniger Minuten nach dem Einschlag statt. Während des Ablaufs vergrößert sich der Kraterdurchmesser erheblich.
Manche Mondkrater zeigen auch terrassenartige Absenkungen, die wie bei einem Einbruchsbecken durch allmähliches Nachgeben der Gesteinskruste entstehen.
Kraterentstehungsphasen
Kontakt und Kompression
Beim Aufprall beginnt die Kontakt- und Kompressionsphase, bei der sich eine Stoßwelle mit Überschallgeschwindigkeit vom Auftreffpunkt in zwei Richtungen, nämlich in den Impaktor und in den Zielkörper, durch das Gestein ausbreitet, dabei das Material stark verdichtet und dadurch teilweise verflüssigt oder verdampft. An der Stoßwellenfront können kristalline Minerale durch die hohen Drücke in Phasen höherer Dichte umgewandelt werden. Zum Beispiel kann das gewöhnliche Mineral Quarz in die Hochdruckmodifikation Coesit oder Stishovit umgewandelt werden. Viele weitere stoßwelleninduzierte Veränderungen treten beim Durchlauf der Stoßwelle im Impaktor als auch im Zielkörper auf. Einige dieser Veränderungen können als Diagnosemittel verwendet werden, um nachzuweisen, ob eine bestimmte geologische Struktur durch einen Impakt entstanden ist oder nicht.
Exkavation
Anschließend folgt die sogenannte Exkavationsphase (Aushöhlungsphase), bei der das zertrümmerte, flüssige und gasförmige Material aus dem Krater geschleudert wird. Ein Großteil dieser Ejekta (Auswurfmasse) wird in Form eines kegelförmigen Auswurfvorhangs aus dem Krater befördert und bildet eine ringförmige Schicht um den Krater. Über dem Krater bildet sich eine zunächst sehr heiße Rauch- und Staubwolke, deren kondensierende Bestandteile später teilweise wieder in den Krater regnen können.
Modifikation und Kollaps
In den meisten Fällen ist der transiente Krater (Übergangskrater), der das Ende der Exkavationsphase markiert, nicht stabil. Es beginnt die Modifikationsphase, die den transienten Krater kollabieren lässt.
In einfachen Kratern wird die ursprüngliche Aushöhlung durch Brekzie, Ejekta und Gesteinsschmelze überlagert.
Ab einer bestimmten Kratergröße, die von der planetaren Gravitation abhängt, ist die Modifikation und der Kollaps des Übergangskraters weitaus stärker. Die dabei entstehende Kraterform wird komplexer Krater genannt. Der Kollaps des transienten Kraters wird durch die Gravitation getrieben und bewirkt sowohl den Anstieg des Zentrums des Kraters als auch das nach innen gerichtete Zusammenrutschen des Kraterrandes.
Die zentrale Anhebung entsteht nicht durch elastisches Rückfedern, sondern durch das Bestreben eines Materials mit wenig oder keiner Festigkeit in einen Gleichgewichtszustand der Gravitation zurückzukehren. Dies ist der gleiche Prozess, der auch das Wasser nach oben schießen lässt, nachdem ein Gegenstand ins Wasser gefallen ist.
In dieser Phase vergrößert sich der Krater erheblich. Daher wird der transiente und nicht der finale Krater als Maß für die Energie und Größe des Impaktereignisses verwendet.
Große und bekannte Einschlagskrater
Krater der Erde
Auf der Erde sind außer zahlreichen kleineren Einschlagskratern über hundert mit einem Durchmesser von mehr als 5 km entdeckt worden. Allerdings sind viele der aufgefundenen Impaktstrukturen nicht unmittelbar als Krater zu erkennen, da der Kraterrand durch Erosion längst abgetragen wurde (Beispiel Vredefort-Krater), oder die entstandene Vertiefung inzwischen von jüngeren Sedimenten überdeckt wurde (Beispiel Chicxulub-Krater). Auch die auf bis zu 70 km Durchmesser geschätzte Struktur des Yarrabubba-Kraters in Westaustralien ist an der Oberfläche weitgehend eingeebnet. Auf Basis von Uran-Blei-Datierungen gelang eine Bestimmung ihres Alters auf etwa 2,23 Milliarden Jahre (2229 ± 5 Ma). Damit ist Yarrabubba die älteste anerkannte Impaktstruktur der Erde.
Der größte verifizierte Einschlagskrater der Erde ist der Vredefort-Krater nahe dem Witwatersrand-Gebirge bei Vredefort in Südafrika. Der Einschlag eines Himmelskörpers bildete dort verschiedenen Angaben zufolge vor 2 bis 3,4 Milliarden Jahren einen bis 320 km langen und 180 km breiten Krater, von dem allerdings nur noch ein bis zu 50 km großer Rest vorhanden ist.
Ein weiterer großer Einschlagskrater ist das Sudbury-Becken in Ontario (Kanada), das etwa 200 bis 250 km Durchmesser hat und geschätzte 1,85 Milliarden Jahre alt ist.
Der Chicxulub-Krater in Yucatán (Mexiko) hat einen Durchmesser von etwa 180 km. Der Einschlag eines Himmelskörpers vor etwa 66 Millionen Jahren im heutigen Golf von Mexiko verursachte unter anderem einen Megatsunami sowie weltweit auftretende Wald- und Flächenbrände. Durch die Auswurfmasse von mehreren tausend Kubikkilometern in Verbindung mit erheblichen Mengen an Staub, Ruß und Aerosolen, die sich in der Atmosphäre verteilten, kam es zu einem Temperatursturz, eventuell in Form eines globalen Dauerfrostklimas über einige Jahre, dem neben den Dinosauriern etwa 70 bis 75 Prozent aller Arten zum Opfer fielen.
Der Manicouagan-Krater in Québec (Kanada) entstand durch den Einschlag eines Himmelskörpers in der Obertrias vor etwa 214 Millionen Jahren. Von den ursprünglich rund 100 km Durchmesser sind durch Sedimentablagerungen und Erosion nur noch 72 km vorhanden.
Ähnlich groß wie der Manicouagan-Krater ist der Popigai-Krater in Nordsibirien, der bei einem Alter von rund 35 Millionen Jahren ebenfalls einen Durchmesser von rund 100 km aufweist.
Der Siljan-Krater in Schweden, der vor rund 360 Millionen Jahren entstand, ist mit mindestens 50 km Durchmesser der größte Einschlagskrater Europas.
Der unter der Gröndländischen Eisdecke liegende Hiawatha-Krater hat einen Durchmesser von 31 Kilometern und wurde vor 58 Millionen Jahren gebildet.
Zwei Einschlagskrater in Deutschland sind das Nördlinger Ries in Bayern, das etwa 24 km Durchmesser aufweist und vor ca. 14,6 Millionen Jahren entstand, und das 40 km entfernte Steinheimer Becken in Baden-Württemberg mit einem mittleren Durchmesser von 3,8 km. Beide Krater besitzen einen Zentralberg. Man geht davon aus, dass die Krater durch das gleiche Ereignis (Ries-Ereignis) entstanden sind (vermutlich durch einen Doppelasteroiden). Hierbei formte der kleinere Asteroid das Steinheimer Becken, der größere (Durchmesser: 1,5 km) das Nördlinger Ries. Neuere Fachliteratur zieht allerdings die Möglichkeit in Betracht, dass das Steinheimer Becken ungefähr 500.000 Jahre nach dem Nördlinger Ries entstanden sein könnte.
Der sehr bekannte Barringer-Krater (auch einfach nur Meteor Crater genannt), der vor nur etwa 50.000 Jahren entstand, nur etwa 1,5 km Durchmesser aufweist und bis 170 m tief ist, befindet sich in der Wüste von Arizona (USA). Aufgrund der geringen Erosion befindet er sich in einem gut erhaltenen Zustand. Er ist ein typisches Beispiel für einen einfachen Krater ohne Zentralberg. Er war 1960 die erste wissenschaftlich untersuchte und als Einschlagskrater beschriebene Struktur.
Der Silverpit-Krater wurde 2001 in der Nordsee entdeckt und weist – obschon nur 2,4 km durchmessend – eine den Krater umgebende Struktur aus konzentrischen Ringen auf, die sich in bis zu 10 km Entfernung erstrecken. Der Ursprung des hierdurch sehr unüblichen Kraters ist nicht hinreichend geklärt, jedoch wird ein Einschlag vor etwa 65 Millionen Jahren angenommen.
2006 wurde der Wilkeslandkrater unter der Antarktischen Eisdecke entdeckt. Der Krater hat einen Durchmesser von fast 480 km und ist vermutlich vor ca. 250 Millionen Jahren entstanden. Noch ist aber nicht verifiziert, dass es sich um einen Einschlagskrater handelt.
Vor weniger als 5000 Jahren entstand im südwestlichen Ägypten beim Einschlag des nickelreichen Eisenmeteoriten „Gebel Kamil“ vom Typ Ataxit der sehr gut erhaltene Krater Kamil mit 45 m Durchmesser und ausgeprägter Strahlenstruktur.
Weitere Impaktstrukturen der Erde
Bosumtwi in Ghana
Chesapeake Bay in den USA
Elgygytgyn in Nordostsibirien
Roter Kamm in Namibia
Tswaing in Südafrika
Krater anderer Himmelskörper
Auf der erdzugewandten Seite des Mondes kennt man etwa 300.000 Krater mit über 1 km Durchmesser. Die größeren bis etwa 100 km bzw. 300 km werden Ringgebirge bzw. Wallebenen genannt. Noch größere werden schon den Mondbecken zugeordnet. Der größte Mondkrater Hertzsprung misst im Durchmesser 536 km (siehe auch: Liste der Krater des Erdmondes).
Das Südpol-Aitken-Becken ist mit 2240 km Durchmesser das größte Einschlagbecken auf dem Mond und nimmt einen beachtlichen Teil seines Durchmessers ein.
Die nördliche Tiefebene auf dem Mars ist mit 10000 km × 8000 km die größte bekannte Impaktstruktur des Sonnensystems.
Hellas Planitia ist mit 2100 km × 1600 km Durchmesser eines der größten Einschlagbecken auf dem Mars und ist über 8 km tief (siehe auch: Liste der Marskrater).
Caloris Planitia ist mit 1550 km Durchmesser das größte Einschlagbecken auf dem Merkur (siehe auch: Liste der Merkurkrater).
Valhalla ist die größte Impaktstruktur auf dem Jupitermond Kallisto. Sie hat 600 km Durchmesser und ist von konzentrisch verlaufenden Ringen bis in eine Entfernung von fast 3000 km umgeben.
Abisme ist mit 767 km Durchmesser der größte Krater auf dem Saturnmond Iapetus
Rheasilvia ist mit 505 km Durchmesser der größte Krater auf dem Asteroiden Vesta.
Mamaldi ist mit 480 km Durchmesser der größte Krater auf dem Saturnmond Rhea.
Odysseus ist mit 445 km Durchmesser der größte Krater auf dem Saturnmond Tethys.
Menrva ist mit 392 km Durchmesser der größte Krater auf dem Saturnmond Titan.
Evander ist mit 350 km Durchmesser der größte Krater auf dem Saturnmond Dione.
Epigeus ist mit 343 km Durchmesser der größte Krater auf dem Jupitermond Ganymed.
Gertrude ist mit 326 km Durchmesser der größte bekannte Krater auf dem Uranusmond Titania.
Kerwan ist mit 280 km Durchmesser der größte Krater auf dem Zwergplaneten Ceres.
Mead ist mit 270 km Durchmesser der größte Krater auf der Venus (siehe auch: Liste der Venuskrater).
Wokolo ist mit 208 km Durchmesser der größte bekannte Krater auf dem Uranusmond Umbriel.
Hamlet ist mit 206 km Durchmesser der größte bekannte Krater auf dem Uranusmond Oberon.
Pharos ist mit 255 × 230 km Durchmesser der größte Krater auf dem Neptunmond Proteus.
Herschel ist mit etwa 130 km Durchmesser der größte Krater auf dem Saturnmond Mimas. Er ist bis 10 km tief. Der Einschlag hätte den nur 400 km großen Mond fast zerstört.
Jason ist mit 101 km Durchmesser der größte Krater auf dem Saturnmond Phoebe.
Pan ist mit etwa 100 km Durchmesser der größte Krater auf dem Jupitermond Amalthea.
Lob ist mit 45 km Durchmesser der größte bekannte Krater auf dem Uranusmond Puck.
Zethus ist mit etwa 40 km Durchmesser der größte Krater auf dem Jupitermond Thebe.
Himeros ist mit 10 km Durchmesser der größte Krater auf dem nur 11 × 34 km messenden Asteroiden Eros, der wahrscheinlich kein Monolith ist.
Stickney ist mit 9 km Durchmesser der größte Krater auf dem Marsmond Phobos.
Siehe auch
Datenbanken irdischer Impaktstrukturen
Regentropfeneinschlagkrater
Literatur
Erwin Rutte: Land der neuen Steine – auf den Spuren einstiger Meteoriteneinschläge in Mittel- und Ostbayern. Univ.Verl., Regensburg 2003, ISBN 3-930480-77-8.
Julius Kavasch: Meteoritenkrater Ries – ein geologischer Führer. Auer, Donauwörth 2005, ISBN 3-403-00663-8.
Christian Köberl, Francisca C. Martínez-Ruis: Impact markers in the stratigraphic record. Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-00630-3.
Christian Köberl, Wolf U. Reimold: Meteorite Impact Structures – An Introduction to Impact Crater Studies. Springer Berlin 2006, ISBN 3-540-23209-5.
C. Wylie Poag, (et al.): The Chesapeake Bay crater – geology and geophysics of a Late Eocene submarine impact structure. Springer Berlin 2004, ISBN 3-540-40441-4.
Paul Hodge: Meteorite craters and impact structures of the earth. Cambridge Univ. Press, Cambridge 1994, ISBN 0-521-36092-7.
Kevin Evans: The sedimentary record of meteorite impacts. Geol. Soc. of America, Boulder 2008, ISBN 978-0-8137-2437-9.
O. Richard Norton, Lawrence A. Chitwood: Field guide to meteors and meteorites. Springer, London 2008, ISBN 978-1-84800-156-5.
Isidore Adler: The analysis of extraterrestrial materials. Wiley New York 1986, ISBN 0-471-87880-4.
Roald A. Tagle-Berdan: Platingruppenelemente in Meteoriten und Gesteinen irdischer Impaktkrater – Identifizierung der Einschlagskörper. Diss. Humboldt-Univ., Berlin 2004.
André J. Dunford: Discovery and investigation of possible meteorite impact structures in North Africa – applications of remote sensing and numerical modeling. Dipl. Arb., Univ. Wien, Wien 2008.
Weblinks
Mineralienatlas: Impakt – Geologie, Auswirkungen, bekannte Krater etc.
Ein Streufeld aus Impaktkratern aus "Abenteuer Astronomie"
Datenbank des Planetary and Space Science Centre at the University of New Brunswick, Canada The Earth Impact Database (englisch)
Die größten Meteoritenkrater – mit Bildern und Kartendarstellung (Bayerischer Rundfunk)
Onlineprogramm zur Berechnung der Auswirkungen von Einschlägen (englisch)
Impact Craters The Lunar and Planetary Institute
Einzelnachweise
Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/Cache
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Cache
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Cache ([], auch []) bezeichnet in der Informationstechnik einen schnellen Pufferspeicher, der (wiederholte) Zugriffe auf ein langsames Hintergrundmedium oder aufwendige Neuberechnungen zu vermeiden hilft. Daten, die bereits einmal geladen oder generiert wurden, verbleiben im Cache, so dass sie bei späterem Bedarf schneller aus diesem abgerufen werden können. Auch können Daten, die vermutlich bald benötigt werden, vorab vom Hintergrundmedium abgerufen und vorerst im Cache bereitgestellt werden ().
Caches können als Hardwarestruktur (beispielsweise als Hauptspeicherchips) oder Softwarestruktur (beispielsweise als temporäre Dateien oder reservierter Speicherplatz) ausgebildet sein.
Geschichte
Das Konzept eines schnellen Zwischenspeichers, wie es hier beschrieben ist, wurde erstmals im April 1965 von M. V. Wilkes vorgestellt.
Cache ist ein Lehnwort, das in diesem Zusammenhang vermutlich erstmals bei IBM in Amerika aus dem Französischen entnommen wurde. Zumindest wird es bereits 1973 in einem Aufsatz von K. R. Kaplan, einem Mitarbeiter des Department of Computer Science am Livingston College der Rutgers University in New Jersey, verwendet. Seinen Ursprung hat es im französischen cache, das eigentlich die Bedeutung Versteck hat. Der Name verdeutlicht den Umstand, dass dem Verwender in der Regel der Cache und seine Ersatzfunktion für das angesprochene Hintergrundmedium verborgen bleibt. Wer das Hintergrundmedium verwendet, muss Größe oder Funktionsweise des Caches prinzipiell nicht kennen, denn der Cache wird nicht direkt angesprochen. Der Verwender „spricht das Hintergrundmedium an“, stattdessen „antwortet“ jedoch der Cache – genau auf die Art und Weise, wie auch das Hintergrundmedium geantwortet, also Daten geliefert hätte. Wegen der Unsichtbarkeit dieser zwischengeschalteten Einheit spricht man auch von Transparenz. Praktisch ist er eine gespiegelte Ressource, die stellvertretend für das Original sehr schnell reagiert.
Randbedingungen
Greifen außer dem den Cache verwendenden Gerät noch weitere auf das Hintergrundmedium zu, so kann es zu Inkonsistenzen kommen. Um auf ein identisches Datenabbild zugreifen zu können, ist es notwendig, vor dem Zugriff die Änderungen des Caches in das Hintergrundmedium zu übernehmen. Cachestrategien wie Write-Through oder Write-Back sind hier praktikabel. Im Extremfall muss ein kompletter „Cache Flush“ erfolgen.
Außerdem muss ggf. der Cache informiert werden, dass sich Daten auf dem Hintergrundmedium geändert haben und sein Inhalt nicht mehr gültig ist. Stellt die Cachelogik das nicht sicher, so ergibt sich als Nachteil, dass inzwischen im Hintergrundmedium oder im Rechenprogramm erfolgte Änderungen nicht erkannt werden. Bei Verdacht auf Änderungen, oder um sicherzugehen, dass der aktuelle Stand berücksichtigt wird, muss der Benutzer explizit eine Cache-Aktualisierung veranlassen.
Nutzen
Die Ziele beim Einsatz eines Caches sind eine Verringerung der Zugriffszeit und/oder eine Verringerung der Anzahl der Zugriffe auf ein langsames Hintergrundmedium. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Einsatz von Caches nur dort lohnt, wo die Zugriffszeit auch signifikanten Einfluss auf die Gesamtleistung hat. Während das z. B. beim Prozessorcache der meisten (skalaren) Mikroprozessoren der Fall ist, trifft es nicht auf Vektorrechner zu, wo die Zugriffszeit eine untergeordnete Rolle spielt. Deswegen wird dort üblicherweise auf Caches verzichtet, weil diese keinen oder nur wenig Nutzen bringen.
Ein weiterer wichtiger Effekt beim Einsatz von Caches ist die Verringerung der notwendigen Datenübertragungsrate an die Anbindung des Hintergrundmediums (siehe z. B. Speicherhierarchie); das Hintergrundmedium kann also „langsamer angebunden“ werden, was z. B. geringere Kosten ergeben kann. Weil oft der Großteil der Anfragen vom Cache beantwortet werden kann („Cache Hit“, s. u.), sinkt die Anzahl der Zugriffe und damit die notwendige Datenübertragungsrate. Zum Beispiel würde ein moderner Mikroprozessor ohne Cache selbst mit sehr kleiner Zugriffszeit des Hauptspeichers dadurch ausgebremst, dass nicht genügend Speicherbandbreite zur Verfügung steht, weil durch den Wegfall des Caches die Anzahl der Zugriffe auf den Hauptspeicher und damit die Anforderung an die Speicherbandbreite stark zunehmen würde.
Bei CPUs kann der Einsatz von Caches somit zum Verringern des Von-Neumann-Flaschenhalses der Von-Neumann-Architektur beitragen. Die Ausführungsgeschwindigkeit von Programmen kann dadurch im Mittel enorm gesteigert werden.
Ein Nachteil von Caches ist das schlecht vorhersagbare Zeitverhalten, da die Ausführungszeit eines Zugriffs aufgrund von Cache-Misses nicht immer konstant ist. Sind die Daten nicht im Cache, muss der Zugreifende warten, bis sie von dem langsamen Hintergrundmedium geladen wurden. Bei Prozessoren geschieht das oft bei Zugriffen auf bisher noch nicht verwendete Daten oder beim Laden des nächsten Programmbefehls bei (weiten) Sprüngen.
Cachehierarchie
Da es technisch aufwändig und damit meist wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, einen Cache zu bauen, der sowohl groß als auch schnell ist, kann man mehrere Caches verwenden – z. B. einen kleinen schnellen und einen deutlich größeren, jedoch etwas langsameren Cache (der aber immer noch viel schneller ist als der zu cachende Hintergrundspeicher). Damit kann man die konkurrierenden Ziele von geringer Zugriffszeit und großem Cacheumfang gemeinsam realisieren. Das ist wichtig für die Hit Rate.
Existieren mehrere Caches, so bilden diese eine Cachehierarchie, die Teil der Speicherhierarchie ist. Die einzelnen Caches werden nach ihrer Hierarchieebene (engl. ) durchnummeriert, also Level‑1 bis Level‑n oder kurz L1, L2 usw. Je niedriger die Nummer, desto näher liegt der Cache am schnellen „Benutzer“; die niedrigste Nummer bezeichnet daher den Cache mit der schnellsten Zugriffszeit, dieser wird als erstes durchsucht. Enthält der L1-Cache die benötigten Daten nicht, wird der (meist etwas langsamere, aber größere) L2-Cache durchsucht usw. Das geschieht solange, bis die Daten entweder in einer Cacheebene gefunden (ein „Cache Hit“, s. u.) oder alle Caches ohne Erfolg durchsucht wurden (ein „Cache Miss“, s. u.). In letzterem Fall muss auf den langsamen Hintergrundspeicher zugegriffen werden.
Tritt ein Cache Hit z. B. im L3-Cache auf, so werden die angeforderten Daten dem Zugreifer geliefert und zugleich in den L1-Cache übernommen; dafür muss dort eine Cache-Line weichen, die in den L2-Cache „absinkt“.
Bei einem inklusiven Cache ist jeder Cache-Level für sich transparent, d. h. eine Cache-Line, die im L1-Cache ist, ist auch im L2- und L3-Cache vorhanden. Wird die Cache-Line aus dem L1-Cache „verdrängt“ (überschrieben mit Daten einer anderen Adresse), so muss sonst nichts unternommen werden – sie ist im L2-Cache ja immer noch vorhanden (sofern kein Write-Back o. ä. notwendig ist).
Bei einem exklusiven Cache ist eine Cache-Line einer Adresse nur einmal in allen Cache-Levels vorhanden. Eine Cache-Line zu Adresse A im L1-Cache ist nicht zusätzlich im L2- oder L3-Cache vorhanden. Wird sie aus dem L1-Cache verdrängt, so kann sie entweder gänzlich verworfen werden, oder muss explizit in den L2-Cache kopiert werden. Dort wird somit ebenfalls eine (andere) Cache-Line verdrängt, um Platz zu machen für die absinkende. Diese andere sinkt nun ihrerseits in den L3-Cache, wo somit eine dritte Cache-Line weichen muss.
Exklusive Cache-Hierarchien erzeugen deutlich mehr Datenverkehr zwischen den Caches. Dafür können so viele Cache-Lines bereitgehalten werden wie die Summe von L1-, L2- und L3-Cache-Größe, während beim inklusiven Cache nur die L3-Cache-Größe maßgebend ist.
Im Hardwarebereich weisen vor allem moderne CPUs zwei oder drei Cacheebenen auf; sonstige Geräte besitzen meist nur eine Cacheebene. Im Softwarebereich wird meist nur eine Cacheebene benutzt, eine prominente Ausnahme bilden Webbrowser, die zwei Ebenen nutzen (Arbeitsspeicher und Festplattenlaufwerk).
Strategien
Cachegröße
Um den Nutzen des meist um mehrere Zehnerpotenzen kleineren Caches im Vergleich zum Hintergrundspeicher zu maximieren, werden bei der Funktionsweise und Organisation eines Caches die Lokalitätseigenschaften der Zugriffsmuster ausgenutzt. Beobachtet man beispielsweise die Aktivität eines laufenden Programms auf einem Prozessor über ein kurzes Zeitintervall, so stellt man fest, dass wiederholt auf wenige und „immer dieselben“ kleinen Speicherbereiche (z. B. Code innerhalb von Schleifen, Steuervariablen, lokale Variablen und Prozedurparameter) zugegriffen wird. Deshalb können bereits kleine Caches mit einigen Kibibytes sehr wirksam sein.
Verarbeitet ein Algorithmus jedoch ständig neue Daten (z. B. Streaming-Daten), kann ein Cache keine Beschleunigung durch Mehrfach-Zugriffe bewirken, allenfalls geringfügig durch .
Lokalitätsausnutzung
Da Caches schnell sein sollen, verwendet man für sie meist eine andere (schnellere) Speichertechnologie als für den zu cachenden Speicher (zum Beispiel SRAM gegenüber DRAM, DRAM gegenüber Magnetscheibe usw.). Daher sind Caches meist wesentlich teurer in Bezug auf das Preis-Bit-Verhältnis, weshalb sie deutlich kleiner ausgelegt werden. Das führt dazu, dass ein Cache nicht alle Daten gleichzeitig vorrätig haben kann. Um das Problem zu lösen, welche Daten im Cache gehalten werden sollen, werden die Lokalitätseigenschaften der Zugriffe ausgenutzt:
Zeitliche (temporale) Lokalität
Da sich Zugriffe auf Daten wiederholen (z. B. beim Abarbeiten einer Programmschleife), ist es eher wahrscheinlich, dass auf Daten, auf die schon einmal zugegriffen wurde, auch noch ein weiteres Mal zugegriffen wird. Diese Daten sollten also bevorzugt im Cache gehalten werden. Dadurch ergibt sich auch die Notwendigkeit, alte Daten, die lange nicht benutzt wurden, aus dem Cache zu entfernen, um Platz für neuere zu machen. Diesen Vorgang nennt man „Verdrängung“.
Räumliche (spatiale) Lokalität
Da Programmcode und -daten nicht zufällig verstreut im Adressraum herumliegen, sondern „hintereinander“ und teilweise auch nur in bestimmten Adressbereichen angeordnet sind (Code-, Daten-, Stack-Segment, Heap usw.), ist es nach einem Zugriff auf eine bestimmte Adresse wahrscheinlich, dass auch auf eine „nahegelegene“ Adresse (sprich: Betrag der Differenz der beiden Adressen sehr klein) zugegriffen wird. Bei der Abarbeitung eines Programms wird z. B. ein Befehl nach dem anderen abgearbeitet, wobei diese „nacheinander“ im Speicher liegen (wenn kein Sprungbefehl dabei ist). Viele Datenstrukturen wie Arrays liegen ebenfalls „hintereinander“ im Speicher.
Wegen der räumlichen Lokalität speichern Caches nicht einzelne Bytes, sondern Datenblöcke („Cacheblock“ oder manchmal auch „Cache-Line“ genannt). Zusätzlich erleichtert das die Implementierung und verringert Speicheroverhead, da man nicht pro Datenbyte eine Adresse speichern muss, sondern nur für jeden Cacheblock. Die Wahl der Blockgröße ist ein wichtiger Designparameter für einen Cache, der die Leistung stark beeinflussen kann.
Organisation
Ein Cache besteht aus einer (meist) festen Anzahl Einträgen, jeder Eintrag besteht aus:
Cache-Line
Die eigentlichen gecacheten Daten (64 bis 128 Byte bei aktuellen PC-Prozessoren)
Address-Tag
höherwerte Adressbits, die sich nicht aus der Position in der Cache-Line und nicht aus dem Mapping im Cache ergeben.
Dirty-Tags
Welche Daten wurden modifiziert und müssen zurückgeschrieben werden? (außer Write-Through-Caches)
Valid-Tags
Welche Daten sind in dieser Cache-Line gültig?
LRU-Tags
Welche Daten wurden am häufigsten oder vor kurzem benutzt oder auch nicht? (außer Direct Mapped-Cache)
Siehe auch unten #Einträge im Cache.
Cache-Line/Cache-Zeile
Eine Cache-Line ist die kleinste Verwaltungseinheit innerhalb des Caches von Prozessoren. Es handelt sich dabei um eine Kopie eines Speicherbereichs. Die Zugriffe vom Cache-Speicher zur CPU oder zum Hauptspeicher erfolgen somit in einem einzigen, blockweisen Transfer. Die Größe einer Cache-Line beträgt 16 Byte (Intel 80486), 32 Byte (Pentium P5 bis Pentium III) und 64 Byte (Pentium 4 bis aktuelle Core-i-/AMD ZEN-Prozessoren im Jahr 2018). Die Minimallänge ergibt sich aus der Speicher-Busbreite multipliziert mit der Prefetch-Tiefe des Hauptspeichers (RAM) und liegt heutzutage bei 64 Byte oder 128 Byte.
Blocknummer-Tags statt Adress-Tags
Im Nachfolgenden wird davon ausgegangen, dass Cache-Lines immer nur von Adressen gelesen und geschrieben werden, deren Adresse durch die (Byte-)Länge der Cache-Line teilbar ist.
Beispiel
Eine Cache-Line sei 64 Bytes groß. Es sei festgelegt, dass Daten nur gelesen und geschrieben werden können mit Startadressen z. B. 0, 64, 128, 192, 256, … Das Hintergrundmedium ist also aufgeteilt in Blöcke, die gerade so groß wie eine Cache-Line sind.
Dann muss in den Adress-Tags nicht mehr die gesamte (Start-)Adresse der Daten gespeichert werden, sondern nur noch, der wievielte Datenblock auf dem Hintergrundmedium gecachet ist. Durch die Wahl passender Zahlen (Zweierpotenzen) im Binärsystem lassen sich so die Tags platzsparender speichern; das beschleunigt das Prüfen, ob eine angefragte Adresse im Cache enthalten ist.
Block/Satz-Aufteilung der Tags
Die Blöcke (Cache-Lines) eines Caches können in so genannte Sätze zusammengefasst werden. Für eine bestimmte Adresse ist dann immer nur einer der Sätze zuständig. Innerhalb eines Satzes bedienen alle Blöcke also nur einen Teil aller vorhandenen Adressen. Im Folgenden stehe die Variable für die Gesamtanzahl der Cacheblöcke und für die Anzahl der Blöcke pro Satz, die so genannte Assoziativität. Dann besteht der Cache also aus Sätzen.
Je nachdem, wie stark man diese Aufteilung vornimmt, spricht man von einer der drei Cache-Organisationsarten:
Direkt abgebildet (engl. , kurz DM)
, d. h., jeder Block repräsentiert einen eigenen Satz, es gibt also so viele Sätze wie Blöcke. Somit ist für eine gegebene Adresse exakt ein Cacheblock zuständig. Es existiert also eine direkte Abbildung zwischen Hintergrundspeicheradresse und Cacheblöcken, daher der Name. Bei einer Anfrage an einen solchen Cache muss man nur einen einzelnen Cacheblock auslesen (genauer gesagt den zugehörigen Tag überprüfen, s. u.), was den Hardwareaufwand für die Tag-Vergleicher minimiert. Im Gegenzug ist die Effizienz des Caches eingeschränkt, da möglicherweise freie Cacheblöcke vorhanden sind, die nicht genutzt werden, siehe Conflict Miss unten.
Vollassoziativ (engl. fully associative, kurz FA)
, d. h., es gibt nur einen Satz, der alle Blöcke beinhaltet. Somit kann jede Adresse in jedem Cacheblock gecachet werden. Bei einer Anfrage an den Cache ist es daher notwendig, alle Cache-Tags zu überprüfen. Da Caches möglichst schnell sein müssen, wird das parallel ausgeführt, was den notwendigen Hardwareaufwand an Tag-Vergleichern vergrößert. Der Vorteil ist aber, dass der Cache stets Daten aufnehmen kann, solange noch ein beliebiger Cacheblock frei ist.
Satzassoziativ bzw. mengenassoziativ (engl. set associative, kurz SA)
wird zwischen 2 und gewählt, d. h., die Cacheblöcke sind in Sätzen zu je Blöcken angeordnet. Hier werden also direkt abgebildete Caches vollassoziativ (also frei) angewählt. Diesen Cache nennt man dann n-fach satzassoziativ oder kurz n-fach assoziativ. Diese Cacheform stellt einen Kompromiss aus Hardwareaufwand und Effizienz des Caches dar: Gegenüber einem DM-Cache gewinnt man Effizienz, gegenüber einem FA-Cache spart man Hardware.
Die ersten beiden sind ein Spezialfall des satzassoziativen Caches. Der direkt abgebildete und der vollassoziative Cache lassen sich somit vom satzassoziativen Cache ableiten: n=1 führt zu einem direkt abgebildeten Cache, n=m zu einem vollassoziativen Cache.
Erklärung anhand eines Beispiels
Die wesentlichen Größen eines Caches sind:
Die Größe der gespeicherten Daten (d. h. Größe des Caches): hier im Beispiel 64 KiB
Die Größe des abzudeckenden Adressraumes: hier im Beispiel 4 GiB
Die Länge einer Cache-Zeile: hier im Beispiel 64 Byte
Die Granularität der Daten: hier im Beispiel 1 Byte
Vorhandensein von Dirty- und Valid-Tags.
Der Cache besteht, unabhängig vom Aufbau, aus 64 KiB/64 Byte = 1024 Cache-Zeilen
Vollassoziativer Cache
Es gibt eine Cache-Gruppe, die alle 1024 Cache-Zeilen umfasst.
Jedes Hauptspeicher-Datenwort kann in jeder beliebigen der 1024 Cache-Zeilen der einen Cache-Gruppe gespeichert werden.
Es sind 1024 Komparatoren erforderlich, die log2(4 GiB/64 Byte) = log2(4 GiB)-log2(64 Byte) bits = 32-6 = 26 bits vergleichen müssen.
An jeder Cache-Zeile hängen diese 26 Bit als Adress-Tag.
Hardware-Aufwand:
1024 Komparatoren
1024 × 64 × 8 bit eigentlicher Cache
1024 × 26 bit Adress-Tag
1024 × 64 bit Valid-Tags
1024 × 64 bit Dirty-Tags
1024 × ? bit für die LRU-Tags
Direct Mapped-Cache / Einfach- oder nicht assoziativer Cache
Es gibt 1024 Cache-Gruppen mit je einer Cache-Zeile.
Jedes Hauptspeicher-Datenwort kann nur in dieser zu seiner Adresse gehörenden Cache-Zeile gespeichert werden.
Die Cache-Gruppe ergibt sich aus den Bit 15 bis 6 der Adresse.
Es ist nur ein Komparator erforderlich, der log2(4 GiB)-log2(64 KiB) bits = 16 bits vergleichen muss.
An jeder Cache-Zeile hängen diese 16 Bit als Adress-Tag.
Hardware-Aufwand:
Ein Komparator
1024 × 64 × 8 bit eigentlicher Cache
1024 × 16 bit Adress-Tag
1024 × 64 bit Valid-Tags
1024 × 64 bit Dirty-Tags
Keine LRU-Tags
Zweifach assoziativer Cache
Es gibt 512 Cache-Gruppen mit je zwei Cache-Zeilen.
Jedes Hauptspeicher-Datenwort kann in einer der beiden zu seiner Adresse gehörenden Cache-Zeilen gespeichert werden.
Die Cache-Gruppe ergibt sich aus den Bit 14 bis 6 der Adresse.
Es sind zwei Komparatoren erforderlich, die log2(4 GiB)-log2(64 KiB)+1 bits = 17 bits vergleichen müssen.
An jeder Cache-Zeile hängen diese 17 Bit als Adress-Tag.
Hardware-Aufwand:
Zwei Komparatoren
1024 × 64 × 8 bit eigentlicher Cache
1024 × 17 bit Adress-Tag
1024 × 64 bit Valid-Tags
1024 × 64 bit Dirty-Tags
1024 × 1 bit LRU-Tags
2^n-fach assoziativer Cache
Es gibt 1024/2^n Cache-Gruppen mit je 2^n Cache-Zeilen.
Jedes Hauptspeicher-Datenwort kann in einer der 2^n zu seiner Adresse gehörenden Cache-Zeilen gespeichert werden.
Die Cache-Gruppe ergibt sich aus den Bit 15-(n-1) bis 6 der Adresse.
Es sind 2^n Komparatoren erforderlich, die log2(4 GiB)-log2(64 KiB)+n bits = 16+(n-1) bits vergleichen müssen.
An jeder Cache-Zeile hängen diese 16+(n-1) Bit als Adress-Tag.
Hardware-Aufwand:
2^n Komparatoren
1024 × 64 × 8 bit eigentlicher Cache
1024 × (16+n-1) bit Adress-Tag
1024 × 64 bit Valid-Tags
1024 × 64 bit Dirty-Tags
1024 × mehrere bit LRU-Tags
Cache Hits und Misses
Den Vorgang, dass die Daten einer Anfrage an einen Cache in selbigem vorrätig sind, bezeichnet man als „Cache Hit“ (dt. Cachetreffer), den umgekehrten Fall als „Cache Miss“ (dt. „Cache-Verfehlen“).
Um quantitative Maßzahlen für die Bewertung der Effizienz eines Caches zu erhalten, definiert man zwei Größen:
Hit Rate
Die Anzahl der Anfragen, bei denen ein Cache Hit auftrat, geteilt durch die Anzahl der insgesamt an diesen Cache gestellten Anfragen. Wie man aus der Definition leicht sehen kann, liegt diese Größe zwischen Null und Eins. Eine Hit Rate von z. B. 0,7 (=70 %) bedeutet, dass bei 70 % aller Anfragen an den Cache dieser die Daten sofort liefern konnte und bei 30 % aller Anfragen passen musste.
Miss Rate
Diese ist analog zur Hit Rate als die Anzahl der Anfragen definiert, bei denen die Daten nicht im Cache vorhanden waren geteilt durch die Anzahl der gesamten Anfragen. Es gilt: Miss Rate = 1 − Hit Rate.
Drei Arten von Cache Misses werden unterschieden:
Capacity
Der Cache ist zu klein. Daten waren im Cache vorrätig, wurden aber wieder aus ihm entfernt. Erfolgt dann ein erneuter Zugriff auf diese Adresse, so wird dieser Miss als „Capacity Miss“ bezeichnet. Abhilfe schafft nur ein größerer Cache.
Conflict
Durch die satzassoziative Organisation (gilt somit auch für DM-Caches) ist es möglich, dass in einem Satz nicht mehr genug Platz ist, während in anderen Sätzen noch freie Cacheblöcke vorhanden sind. Dann muss in dem überfüllten Satz ein Block entfernt werden, obwohl der Cache eigentlich noch Platz hat. Wird auf diesen entfernten Block erneut zugegriffen, so bezeichnet man diesen Cache Miss als „Conflict Miss“. Abhilfe schafft eine Erhöhung der Cacheblocks pro Satz – also eine Erhöhung der Assoziativität. Bei vollassoziativen Caches (welche nur einen Satz haben) gibt es prinzipbedingt keine Conflict Misses.
Compulsory
Als „Compulsory Miss“ oder auch „Cold Start Miss“ bezeichnet man den erstmaligen Zugriff auf eine Adresse, deren Daten sich noch nicht im Cache befinden, und zugleich hat der Cache noch freien Platz. Der Unterschied zu den anderen beides Misses ist der, dass hier keine Verdrängung stattfindet, sondern ein Block zum ersten Mal/neu beschrieben wird. Er ist nicht oder nur schwer zu verhindern. Moderne Prozessoren besitzen „Prefetcher“-Einheiten, die selbständig spekulativ Daten in die Caches laden, wenn dort noch Platz ist. Damit soll die Anzahl der Compulsory Misses verringert werden.
Diese drei Typen bezeichnet man auch kurz als „Die drei C“. In Multiprozessorsystemen kann beim Einsatz eines Cache-Kohärenz-Protokolls vom Typ Write-Invalidate noch ein viertes „C“ hinzukommen, nämlich ein „Coherency Miss“: Wenn durch das Schreiben eines Prozessors in einen Cacheblock der gleiche Block im Cache eines zweiten Prozessors hinausgeworfen werden muss, so führt der Zugriff des zweiten Prozessors auf eine Adresse, die durch diesen entfernten Cacheblock abgedeckt war, zu einem Coherency Miss.
Arbeitsweise
Bei der Verwaltung des Caches ist es sinnvoll, immer nur die Blöcke im Cache zu halten, auf die auch häufig zugegriffen wird. Zu diesem Zweck gibt es verschiedene Ersetzungsstrategien. Eine häufig verwendete Variante ist dabei die LRU-Strategie (engl. ), bei welcher immer der Block ausgetauscht wird, auf den am längsten nicht mehr zugegriffen wurde. Moderne Prozessoren (z. B. der AMD Athlon) implementieren meist eine Pseudo-LRU-Ersetzungsstrategie, die fast wie echtes LRU arbeitet, aber leichter in Hardware zu implementieren ist.
Verdrängungsstrategien
FIFO (First In First Out)
Der jeweils älteste Eintrag wird verdrängt.
LRU (Least Recently Used)
Der Eintrag, auf den am längsten nicht zugegriffen wurde, wird verdrängt.
LFU (Least Frequently Used)
Der am seltensten gelesene Eintrag wird verdrängt. Dabei werden jedoch keine vollständigen Zeitstempel gespeichert, die eine relativ lange Integer-Zahl erfordern würden. Vielmehr werden wenige Bits verwendet (zwei sind häufig, aber auch nur eines ist möglich), um einen Cacheeintrag als mehr oder weniger häufig benutzt zu markieren. Die Aktualisierung der Bits erfolgt parallel zu einer Verdrängung.
Random
Ein zufälliger Eintrag wird verdrängt.
CLOCK
Daten werden im Cache in der Reihenfolge des Zugriffs abgelegt. Wenn auf ein Datum zugegriffen wird, wird für diesen Cacheblock ein Bit gesetzt. Bei einem Miss wird von vorne nach hinten nach dem ersten Datum ohne gesetztes Bit gesucht, dieses wird ersetzt. Bei allen dabei durchgegangenen Daten wird das Bit gelöscht. Es wird ebenfalls markiert, welches Datum zuletzt in den Cache geladen wurde. Von dort beginnt die Suche nach einem Datum, welches ersetzt werden kann.
Optimal
Das Verfahren von Laszlo Belady, bei dem derjenige Speicherbereich verdrängt wird, auf den am längsten nicht zugegriffen werden wird, ist optimal. Es ist allerdings nur dann anwendbar, wenn der komplette Programmablauf im Voraus bekannt ist (d. h., er ist ein so genanntes Offline-Verfahren, im Gegensatz zu FIFO und LRU, die Online-Verfahren sind). Der Programmablauf ist aber fast nie im Voraus bekannt; deshalb kann das optimale Verfahren in der Praxis nicht eingesetzt werden. Allerdings kann der optimale Algorithmus als Vergleich für andere Verfahren dienen.
Schreibstrategie
Bei einem Schreibzugriff auf einen Block, der im Cache vorhanden ist, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten:
Zurückkopieren (write-back)
Beim Schreiben wird der zu schreibende Block nicht sofort in der nächsthöheren Speicherebene abgelegt, sondern zunächst im Cache. Dabei entsteht eine Inkonsistenz zwischen Cache und zu cachendem Speicher. Letzterer enthält somit veraltete Information. Erst wenn das Wort aus dem Cache verdrängt wird, wird es auch in die nächsthöhere Speicherebene geschrieben. Dazu bekommt jeder Cacheblock ein sogenanntes Dirty Bit, das anzeigt, ob der Block beim Ersetzen zurückkopiert werden muss. Das führt bei Speicherzugriff durch andere Prozessoren oder DMA-Geräte zu Problemen, weil diese veraltete Informationen lesen würden. Abhilfe schaffen hier Cache-Kohärenz-Protokolle wie z. B. MESI für UMA-Systeme.
Durchgängiges Schreiben (write-through)
Der zu schreibende Block wird sofort in der nächsthöheren Speicherebene abgelegt. Damit ist die Konsistenz gesichert. Damit der Prozessor nicht jedes Mal warten muss, bis der Block in der nächsthöheren Speicherebene (die ja langsamer als der Cache ist) abgelegt ist, benutzt man einen Pufferspeicher (write buffer). Wenn dieser voll läuft, muss der Prozessor jedoch anhalten und warten.
Analog zu Obigem gibt es bei einem Schreibzugriff auf einen Block, der nicht im Cache vorhanden ist, prinzipiell ebenso zwei Möglichkeiten:
write-allocate
Wie bei einem normalen Cache Miss wird der Block aus der nächsthöheren Speicherebene geholt. Die entsprechenden Bytes, die durch den Schreibzugriff geändert wurden, werden danach im gerade frisch eingetroffenen Block überschrieben.
non-write-allocate
Es wird am Cache vorbei in die nächsthöhere Speicherebene geschrieben, ohne dass der dazugehörige Block in den Cache geladen wird. Das kann für manche Anwendungen Vorteile bringen, bei denen viele geschriebene Daten nie wieder gelesen werden. Durch die Verwendung von non-write-allocate verhindert man das Verdrängen von anderen, möglicherweise wichtigen Blöcken und reduziert somit die Miss Rate.
Einige Befehlssätze enthalten Befehle, die es dem Programmierer ermöglichen, explizit anzugeben, ob zu schreibende Daten am Cache vorbeizuschreiben sind.
Normalerweise wird entweder die Kombination write-back mit write-allocate oder write-through mit non-write-allocate verwendet. Die erste Kombination hat den Vorteil, dass aufeinander folgende Schreibzugriffe auf denselben Block (Lokalitätsprinzip) komplett im Cache abgewickelt werden (bis auf den ersten Miss). Dies gibt im zweiten Fall keinen Vorteil, da sowieso jeder Schreibzugriff zum Hauptspeicher muss, weshalb die Kombination write-through mit write-allocate eher unüblich ist.
Cache Flush
Ein Cache Flush („Pufferspeicher-Leerung“) bewirkt das komplette Zurückschreiben des Cacheinhaltes in den Hintergrundspeicher. Dabei bleibt der Cacheinhalt meist unangetastet. Ein solches Vorgehen ist nötig, um die Konsistenz zwischen Cache und Hintergrundspeicher wiederherzustellen. Notwendig ist das zum Beispiel immer dann, wenn Daten aus dem Hauptspeicher von externen Geräten benötigt werden, unter anderem bei Multiprozessor-Kommunikation oder bei der Übergabe eines als Ausgabepuffer benutzten Teils des Hauptspeichers an den DMA-Controller.
Sonstiges
Einträge im Cache
Für jeden Cacheblock wird im Cache folgendes gespeichert:
Die eigentlichen Daten
Der Tag (ein Teil der Adresse)
Mehrere Statusbits, wie:
modified bzw. dirty
Gibt an, ob dieser Cacheblock geändert wurde (nur beim Write-Back-Cache).
diverse Statusbits je nach Cache-Kohärenz-Protokoll, z. B. je ein Bit für:
owner
Äquivalent zu „modified & shared“. Gibt an, dass der Block geändert wurde und in anderen Caches vorhanden ist. Der Owner ist dafür verantwortlich, den Hauptspeicher zu aktualisieren, wenn er den Block aus seinem Cache entfernt. Derjenige Prozessor, der zuletzt auf den Cacheblock schreibt, wird neuer Owner.
exclusive
Gibt an, dass der Block nicht geändert wurde und in keinem anderen Cache vorhanden ist.
shared
Hat teilweise unterschiedliche Bedeutungen: Bei MESI gibt das an, dass der Block nicht geändert wurde, aber auch in Caches anderer Prozessoren vorhanden ist (dort ebenso unverändert). Bei MOESI bedeutet es nur, dass der Block in anderen Prozessorcaches vorhanden ist. Hier ist auch erlaubt, dass der Block verändert wurde, also inkonsistent zum Hauptspeicher ist. In diesem Fall gibt es aber einen „Owner“ (s. o.), der für das Aktualisieren des Hauptspeichers verantwortlich ist.
invalid
Zeigt an, ob der Block frei (also mit ungültigen Daten befüllt) oder belegt (also mit gültigen Daten befüllt) ist.
Heiße und kalte Caches
Ein Cache ist „heiß“, wenn er optimal arbeitet, also gefüllt ist und nur wenige Cache Misses hat; ist das nicht der Fall, gilt der Cache als „kalt“. Nach Inbetriebnahme ist ein Cache zunächst kalt, da er noch keine Daten enthält und häufig zeitraubend Daten nachladen muss, und wärmt sich dann zunehmend auf, da die zwischengelagerten Daten immer mehr den angeforderten entsprechen und weniger Nachladen erforderlich ist. Im Idealzustand werden Datenzugriffe fast ausschließlich aus dem Cache bedient und das Nachladen kann vernachlässigt werden.
Beispiele
Prozessor-Cache
Bei CPUs kann der Cache direkt im Prozessor integriert oder extern auf der Hauptplatine (früher weiter verbreitet, heute eher untypisch) platziert sein. Oft gibt es mehrere Ebenen (Levels), die aufeinander aufbauen. Kleinere Level sind dabei typischerweise schneller, haben aber aus Kostengründen eine geringere Größe. Je nach Ort des Caches arbeitet dieser mit unterschiedlichen Taktfrequenzen: Der L1 (Level 1, am nächsten an der CPU) ist fast immer direkt im Prozessor (d. h. auf dem Die) integriert und arbeitet daher mit dem vollen Prozessortakt – also u. U. mehreren Gigahertz. Ein externer Cache hingegen wird oft nur mit einigen hundert Megahertz getaktet.
Aktuelle Prozessoren (z. B. AMD Ryzen, Intel-Core-i-Serie, IBM Power 9) besitzen überwiegend drei Cache-Level: L1, L2 und L3. Gängige Größen für L1-Caches sind 4 bis 320 KiB pro Prozessorkern (meist gibt es einen für Daten und einen für Befehle), der L2-Cache ist 64 KiB bis 32768 KiB (meist ebenfalls pro Kern), der L3-Cache 2 bis 768 MiB (für alle Kerne gemeinsam). Prozessorcache als Extra-Chip auf dem Mainboard wird heute nicht mehr gebaut, als Extra-Die im selben Chip-Gehäuse (siehe Multi Chip Package) nur noch selten.
In jedem Fall ist eine Protokollierung erforderlich, um die Kohärenz der Daten (z. B. zwischen Caches und Hauptspeicher) sicherzustellen. Dazu dienen Flags, die einen Speicherbereich (typischerweise eine ganze line von 64 Byte) als „dirty“, also geändert, markieren (s. o. bei Schreibstrategie). Das Problem verschärft sich bei mehreren Cache-Levels und mehreren Prozessoren oder Prozessorkernen.
Die Cachekonsistenz ist sowohl bei mehreren aktiven Geräten auf dem Datenbus, als auch bei mehreren zusammengeschalteten Prozessoren (Multiprozessorsysteme) zu beachten.
Bei Mehrprozessorsystemen unterscheidet man u. a. zwischen SIMD- und MIMD-Strukturen (Single/Multiple Instruction – Multiple Data). Bei MIMD-Systemen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass verschiedene Prozessoren auf verschiedene Speicherbereiche zugreifen, bei SIMD dagegen kleiner. Danach lässt sich die Cache-Konfiguration einstellen.
Moderne Prozessoren haben getrennte L1-Caches für Programme und Daten (Lese- und Schreibcache), teilweise ist das auch noch beim L2 der Fall (Montecito). Man spricht hier von einer Harvard-Cachearchitektur. Das hat den Vorteil, dass man für die unterschiedlichen Zugriffsmuster für das Laden von Programmcode und Daten unterschiedliche Cachedesigns verwenden kann. Außerdem kann man bei getrennten Caches diese räumlich besser zu den jeweiligen Einheiten auf dem Prozessor-Die platzieren und damit die kritischen Pfade beim Prozessorlayout verkürzen. Des Weiteren können Instruktionen und Daten gleichzeitig gelesen/geschrieben werden, wodurch der Von-Neumann-Flaschenhals weiter verringert werden kann. Ein Nachteil ist, dass selbstmodifizierender Code gesondert behandelt werden muss, was seine Ausführung stark verlangsamt. Allerdings wird diese Technik aus Sicherheitsgründen und weil sie oft schwer verständlich, schwer prüfbar und daher nur schlecht zu warten ist, heute ohnehin nur noch sehr selten verwendet.
Laufwerks-Cache
Bei Festplatten befindet sich der Cache auf der Steuerplatine (siehe Festplattencache) oder einer separaten Platine, dem Festplattenkontroller.
Die Größe beträgt bei aktuellen Festplatten – je nach vom Hersteller vorgesehenen Einsatzzweck der Festplatte – zwischen 8 und 64 MiB (Stand 2012).
Die meisten optischen Laufwerke besitzen Caches, um die oft im dreistelligen Millisekundenbereich liegenden Zugriffszeiten und Schwankungen im Datenstrom (z. B. durch Synchronisierungsprobleme) aufzufangen.
Software-Caches
Caches können auch bei Software genutzt werden, dabei ist dasselbe Prinzip wie bei der Hardwareimplementierung gemeint: Daten werden für einen schnelleren Zugriff auf ein schnelleres Medium zwischengespeichert.
Beispiele:
Festplattencache (vom Betriebssystem verwaltet)
Festplatte → Hauptspeicher
Anwendungsdaten (Memoisation)
Berechnung → Hauptspeicher
Browser-Cache
Netz → (Festplatte / Arbeitsspeicher)
Webserver
Datenbank → HTML-Datei (HTTP Caching)
Software-Caches, welche die Festplatte als schnelleres Medium verwenden, werden meist in Form von temporären Dateien angelegt.
Man spricht auch von Caching, wenn ein Betriebssystem gewisse Ressourcen – wie z. B. Funktionsbibliotheken oder Schriftarten – vorerst im Arbeitsspeicher belässt, obwohl sie nach Ende ihrer Benutzung nicht mehr gebraucht werden. Solange kein Speichermangel herrscht, können sie im Arbeitsspeicher verbleiben, um dann ohne Nachladen von der Festplatte sofort zur Verfügung zu stehen, wenn sie wieder gebraucht werden. Wenn allerdings die Speicherverwaltung des Betriebssystems einen Speichermangel feststellt, werden diese Ressourcen als erste gelöscht.
Suchmaschinen-Cache
Der Suchmaschinen-Cache ist der Lesecache einer Suchmaschine. Eine Suchmaschine besitzt drei Kernkomponenten:
Ein Webcrawler durchsucht das WWW nach neuen oder veränderten Webseiten und lädt sie (zusätzlich) in
den Suchmaschinen-Cache, über den regelmäßig verschiedene Indizes erstellt werden. Über diese Indizes sucht
ein Suchalgorithmus, der gemäß einer Benutzeranfrage passende Webseiten finden soll.
Die Inhalte aller Webseiten, die die Suchmaschine als Basisdaten für Benutzeranfragen berücksichtigt, werden im Suchmaschinen-Cache zwischengespeichert. Die Server einer Suchmaschine können nicht für jede Abfrage jede Webseite in Echtzeit auf die aktuellsten Inhalte durchsuchen; stattdessen wird in einem Index über dem Cache gesucht.
Im Allgemeinen kann ein Webseiten-Betreiber Änderungen seiner Webseiten an die Suchmaschine melden, dann fragt der Webcrawler die Seite baldmöglichst erneut ab; ansonsten prüft der Webcrawler jede Webseite in regelmäßigen Abständen – die Cache-Inhalte können also veraltet sein. Eine Webseite kann dem Crawler einen Hinweis geben, wie häufig sie sich im Allgemeinen ändert. Suchmaschinen gehen mit dieser Information mitunter verschieden um.
Die in Deutschland verbreitetste Suchmaschine ist Google; deren Cache-, Indizier- und Suchstrategien wird daher besonders hohes Interesse zuteil. Die Webcrawler-Frequenz, mit der Webseiten geprüft werden, liegt bei Google bei den meisten Webseiten zwischen einer und vier Wochen („[…] Inhalt wird in der Regel alle 7 Tage aktualisiert“). Gemeldete Webseiten untersucht der sogenannte Googlebot.
Weblinks
Artikel über CPU-Cache bei arstechnica.com (englisch)
Cache und Hauptspeicher Online-Seminar
Kurzüberblick Cache im Elektronik-Kompendium
Einzelnachweise
Rechnerarchitektur
Speicherverwaltung
|
Q165596
| 280.937353 |
11199
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Eukaryoten
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Eukaryoten
|
Eukaryoten oder Eukaryonten (Eukaryota) (von altgriechisch eu = ‚richtig‘, ‚gut‘ und karyon = ‚Nuss‘, ‚Kern‘) sind eine Domäne der Lebewesen, deren Zellen (Eucyten) einen echten Kern und eine reiche Kompartimentierung haben (Tiere, Pflanzen und Pilze). Hierin unterscheiden sie sich von den beiden übrigen Domänen im System der Lebewesen, den prokaryotischen Bakterien und Archaeen (letztere früher auch Urbakterien genannt), beide mit procytischen Zellen.
Merkmale
Die Zellen der Eukaryoten haben meistens einen Durchmesser von 10 bis 30 µm. Sie sind in der Regel wesentlich größer als die von Prokaryoten, ihr Volumen beträgt etwa das 100- bis 10.000-Fache. Für ein reibungsloses Funktionieren der zellulären Abläufe über größere Entfernungen innerhalb der Zelle sind ein höherer Organisationsgrad und eine Aufteilung des Zellraums in Kompartimente (abgegrenzte Räume) sowie Transport zwischen diesen Kompartimenten günstig. Aus diesem Grund sind eukaryotische Zellen mittels Zellorganellen strukturiert, welche wie die Organe eines Körpers verschiedene Funktionen ausüben. Das namensgebende Organell ist der Zellkern mit dem Hauptanteil des genetischen Materials der eukaryotischen Zellen. Weitere Gene kommen je nach Art in Mitochondrien (Organellen, die durch chemische Reaktionen Energie zur Verfügung stellen), in Einzelfällen auch in den ihnen verwandten Hydrogenosomen sowie in fast allen Plastiden (unter anderem in den Photosynthese betreibenden Chloroplasten) vor. Dem intrazellulären Transport dienen die Organellen des Endomembransystems.
Struktur und Form wird den eukaryotischen Zellen durch das Cytoskelett verliehen, das auch der Fortbewegung dient. Es ist aus Mikrotubuli, Intermediärfilamenten und Mikrofilamenten aufgebaut. Einige Eukaryoten, beispielsweise Pflanzen und Pilze, haben auch Zellwände, die die Zellen außerhalb der Cytoplasmamembran einschließen und ihre Form bestimmen.
Eine weitere Besonderheit der Eukaryoten liegt in der Proteinbiosynthese: Anders als Prokaryoten sind Eukaryoten in der Lage, mittels derselben DNA-Information durch alternatives Spleißen unterschiedliche Proteine herzustellen.
Mehrzelligkeit
Eukaryoten können Einzeller oder mehrzellige Lebewesen sein. Diese bestehen aus einer größeren Zahl von Zellen mit gemeinsamem Stoffwechsel, wobei spezielle Zelltypen bestimmte Aufgaben übernehmen. Die meisten bekannten Mehrzeller sind Eukaryoten, darunter die Pflanzen, Tiere und mehrzelligen Pilze.
Systematik
Der Name verweist auf das Vorhandensein eines Zellkerns (Eukaryota/Eukaryonta/Eucarya/Eukarya; zu altgriechisch ‚gut, echt‘ und ‚Nuss‘).
In der biologischen Systematik bilden die Eukaryoten eine der drei Domänen, also der höchsten Kategorien zur Klassifizierung von Lebewesen. Die aktuelle Systematik der Eukaryoten wurde von Adl et al. 2019 aufgestellt. Sie gliedert die Eukaryoten wie folgt:
Amorphea
super-group Amoebozoa, einzellige Organismen mit im Regelfall amöboider Gestalt, inkl. Schleimpilze und manche Amöben
super-group Obazoa, bestehend aus Opisthokonta, inkl. Tiere und Pilze, Breviatea und Apusomonadida
Diaphoretickes
super-group Archaeplastida, inkl. Pflanzen
super-group Sar, inkl. Stramenopile (auch als Stramenopiles, Chromista oder Heterokonta bezeichnet)
einige Taxa unsicherer Stellung, darunter Cryptista (inkl. Cryptophyceae), Haptista (inkl. Haptophyta), Picozoa (neulich betrachtet als Schwestergruppe der Rotalgen), Rappemonads, Telonemia
Daneben existieren zahlreiche Taxa mit unsicherer Stellung (incertae sedis), darunter unter anderem:
„CRuMs“
Hemimastigophora
Meteora
Weitere Taxa incertae sedis sind die Formgruppe der „Excavates“, früher betrachtet als super-group Excavata, einzellige Organismen, die mehrheitlich begeißelt sind; darunter:
Discoba
Metamonada
Malawimonadidae
Ancyromonadida mit Ancyromonas und Nutomonas
Systematik nach Cavalier-Smith
Thomas Cavalier-Smith gliedert die Eukaryoten wie folgt:
*) syn. Ancyromonadida
Entwicklungsgeschichte
Mikrofossilien
Die ältesten makroskopischen, mehrzelligen, möglicherweise eukaryotischen Fossilien sind 1,5 Milliarden Jahre alt. Es ist nicht bekannt, ob die hypothetischen evolutionären Vorläufer der Eukaryoten – die sogenannten Urkaryoten – bereits Organellen besaßen (diese wären aufgrund des nachteiligen Oberflächen-Volumen-Verhältnisses nötig gewesen) oder sie erst im Laufe ihrer Evolution hin zu den eigentlichen Eukaryoten erwarben. Die bekannteste Theorie zur Entstehung der Organellen ist die Endosymbiontentheorie, die besagt, dass Mitochondrien und Chloroplasten auf Bakterien zurückgehen, die von den zellbiologisch „primitiven“, räuberisch lebenden Urkaryoten ursprünglich als Nahrung aufgenommen und von denen einige durch Zufall nicht verdaut wurden, sondern eine Symbiose mit dem Urkaryoten eingingen.
LECA
Der letzte gemeinsame Vorfahr aller heutigen Eukaryoten – in der meist englischen Fachliteratur auch als (LECA), bezeichnet – sollte sowohl einen abgegrenzten Zellkern als auch Mitochondrien besessen haben, da alle bisher untersuchten Eukaryoten Mitochondrien, mitochondrienartige Organellen oder zumindest Kern-DNA von mitochondrialem Ursprung (übertragen durch lateralen Gentransfer) besitzen. Zwar führte Thomas Cavalier-Smith für rezente amitochondriale Einzeller mit Zellkern, die er für evolutionäre Relikte aus der Zeit vor LECA hielt, die Bezeichnung Archezoa ein, jedoch mehrten sich nachfolgend Hinweise darauf, dass es sich bei den Archezoen um sekundär amitochondriale echte Eukaryoten handelt, das heißt um Abkömmlinge von LECA.
Mitochondrienerwerb
Als Alternative zur Urkaryoten-Hypothese wurde 1998 von Bill Martin und Miklós Müller mit der sog. Wasserstoff-Hypothese (en. ) der Erwerb von Mitochondrien durch Archaeen vorgeschlagen.
Es hat sich nämlich gezeigt, dass die DNA rezenter (heutiger) Asgard-Archaeen enger mit der DNA in den eukaryotischen Zellkernen verwandt ist, als mit der DNA anderer Archaeen. Die Asgard-Archaeen leben in anoxischen Sedimenten der Ozeane und können mit Bakterien in Symbiose leben. Dies entspricht den Voraussetzungen der Wasserstoff-Hypothese, wonach die ersten eukaryotischen Zellen (Eucyten) durch Erwerb der Mitochondrien unter anoxischen Bedingungen entstanden sind.
Nach 12 Jahren Forschungsarbeit berichteten Mikrobiologen 2019, erfolgreich ein sich nur sehr langsam vermehrendes Lokiarchaeon aus Tiefseeschlamm isoliert und kultiviert zu haben. Candidatus Prometheoarchaeum syntrophicum ist ein, nach Vergleich seines Genoms nahe mit den Eukaryoten verwandtes, extrem langsam wachsendes heterotrophes Archaeon, das Energie aus dem Abbau von Peptiden und Aminosäuren gewinnt und dabei Wasserstoff produziert und abgibt. Das Archaeon gedeiht nur in obligater Syntrophie mit Wasserstoff-metabolierenden Organismen, einer davon ein sulfatreduzierendes Delta-Proeobakterium der Desulfovibrionales. Die Autoren nehmen an, dass treibende Kraft der Endosymbiose, die zu den Eukaryoten führte, ein zweites, in ihrem Modellsystem nicht vorhandenes Bakterium, das künftige Mitochondrium, gewesen wäre, dessen Aufgabe zunächst primär die Beseitigung von für das obligat anaerobe Archaeon giftigen Sauerstoffs gewesen sei. Die Rolle des Mitochondriums im Energiestoffwechsel wäre demnach erst sekundär entstanden. Die Autoren halten eine Schlüsselrolle des Wasserstoff-Metabolismus selbst, wie in alternativen Szenarien der Endosymbiontentheorie vorgeschlagen, für unplausibel. Dementsprechend wäre das Wasserstoff-verwertende Bakterium selbst nicht zum Endosymbionten geworden. Die Hypothese setzt einen frühen Ursprung des Mitochondriums in einer noch primitiven, Archaeen-artigen Wirtszelle voraus und unterscheidet sich darin von alternativen Szenarien wie der „Archezoa“-Hypothese von Thomas Cavalier-Smith, nach denen ein fast fertiger Pro-Eukaryot erst spät ein Mitochondrium erworben hätte. Dementsprechend wäre ein „Einfangen“ des künftigen Mitochondriums über Phagocytose unplausibel, da es an den nötigen internen Strukturen wie einem Cytoskelett gefehlt hätte. Interessanterweise verfügt Prometheoarchaeum aber über tentakel-artige Zellfortsätze, mit denen ein ähnlicher Organismus im Archaikum den hypothetischen Endosymbionten alternativ quasi umschlungen haben könnte.
Im Jahr 2023 identifizierten Laura Eme, Daniel Tamarit et al. auf Basis einer vergleichenden Analyse von Asgard-Genomen die Ordnung Hodarchaeales innerhalb der Heimdallarchaeia als Schwesterklade der Eukaryoten unter den zu diesem Zeitpunkt bekannten Archaeen.
Asgardviren
Dieser Erwerb könnte vor oder gleichzeitig mit dem des Zellkerns stattgefunden haben und könnte eventuell viralen Ursprung sein (Virale Eukaryogenese, „“, ein Teil der „-Hypothese“).
Als Kandidaten werden DNA-Viren beispielsweise unter Riesenviren der Nucleocytoviricota (alias , NCLDVs), wie etwa die vorgeschlagenen „Medusaviridae“ gehandelt. Aber auch der „Pseudomonas Phage 201phi2-1“ aus der Gattung Phikzvirus, ein Riesen-Bakteriophage (Caudoviricetes, Morphotyp Myoviren), bildet bei der Infektion einer Bakterienzelle eine kernähnliche Struktur, die Proteine abhängig von ihrer Funktion trennt. Diese kernartige Struktur und ihre Schlüsseleigenschaften wurden auch in verwandten Phagen gefunden. Auftrieb bekam diese Hypothese 2021/22 durch die Entdeckung verschiedener Viren der Asgard-Archaeen (kurz Asgardviren genannt). Diese zeigen Merkmale prokaryotischer Viren (z. B. mit Kopf-Schwanz-Aufbau – Klasse Caudoviricetes, oder ellipsoid- bis spindelförmiger Aufbau – Familien Ovaliviridae, Bicaudaviridae und Fuselloviridae) als auch eukaryotischer Viren (wie der NCLDVs).
Reihenfolge
Eine im Herbst 2020 veröffentlichte Studie legt anhand von umfangreichen Genomanalysen tatsächlich nahe, dass – obwohl bisher noch keine primär amitochondrialen Eukaryoten gefunden wurden – die Vorfahren der Eukaryonten zuerst ihr komplexes Genom mit den zugehörigen Strukturen, und danach die Mitochondrien (oder Vorläufer davon) erworben haben.
Eine Zusammenfassung dieser Diskussion auf dem Stand von 2019 findet sich bei Traci Watson;
zu den unterschiedlichen Standpunkten siehe Guglielmini et al. (2019) und Koonin und Yutin (2018).
Die Entstehung der Chloroplasten der Photosynthese betreibenden Eukaryoten durch Endosymbiose stellt einen zeitlich späteren Vorgang dar. Zunächst wurden Cyanobakterien von nicht-phototrophen Eukaryoten aufgenommen, was möglicherweise in dieser Form (primäre Endosymbiose) nur einmal geschah. Die anderen Plastiden (Leukoplasten etc.) leiten sich von diesen ab.
Später entstanden komplexe Plastiden (mit mehr als doppelter Membran und ggf. Nukleosom) durch eine sekundäre Endosymbiose, d. h. (weitere) nicht-phototrophe Eukaryoten nahmen (aus der primären Endosymbiose entstandene) phototrophe Eukaryoten durch Endosymbiose auf (so etwa bei den Apicomplexa).
Forschungsgeschichte
Die Einteilung von Lebewesen in Prokaryoten und Eukaryoten wurde erstmals von Edouard Chatton für Protisten deutlich herausgestellt und 1925 veröffentlicht.
Diese Einteilung trat zunächst mit der Einführung des Drei-Domänen-Systems durch Carl Woese 1977 in den Hintergrund, eines Ansatzes, der das zelluläre Leben in die drei Domänen Bakterien, Archaeen und Eukaryoten aufteilt.
Im Jahr 1984 wurde von James A. Lake und Kollegen die Eozyten-Hypothese vorgeschlagen: Man hatte entdeckt, dass bei der Form der Ribosomen in der Archaeen-Gruppe der Crenarchaeota (mit der ursprünglichen Bezeichnung Eozyten) und der Eukaryoten eine erstaunliche Ähnlichkeit besteht, dass aber die Form der Ribosomen sowohl bei den Bakterien als auch bei den Euryarchaeota, einer anderen Archaeen-Gruppe, deutlich davon abweicht. Es wurde daher vermutet, dass die Eukaryoten aus den Crenarchaeota hervorgegangen sind.
Trotz weiterer Hinweise in den 1980er Jahren bekam die Eozyten-Hypothese erst in den 2000er Jahren mit dem Fortschritt der Genom-Analyse neuen Auftrieb. In einer ganzen Reihe von Archaeen wurden Gene entdeckt, die man in ähnlicher Form auch in Eukaryoten findet. Entsprechend den Ergebnissen einiger Studien wurde in einer Abwandlung statt der Crenarchaeota die diesen nahestehende Gruppe der Thaumarchaeota als Ursprung der Eukaryoten vorgeschlagen. (Die Crenarchaeota und Thaumarchaeota werden zusammen mit einigen anderen Archaeen-Gruppen in der Supergruppe „TACK“ zusammengefasst).
Mit dem Aufkommen der Metagenomanalyse ließen sich seit 2015 in Proben aus der Nähe von Hydrothermalquellen Kandidaten für Archaeen-Gruppen identifizieren, die den Eukaryoten noch viel näher stehen müssen, als alle zuvor betrachteten Gruppen. Die erste Gruppe war die der „Lokiarchaeota“, gefunden bei einem hydrothermalen Vent Namens „Loki's Schloss“ im Arktischen Ozean zwischen Mohns- und Knipovitsch-Kamm. Da diese Erkenntnisse lediglich aus einer Metagenom-Analyse stammen und man die betreffenden Mikroben noch bis auf weiteres nicht kultivieren kann, kommt allen fraglichen Taxa lediglich ein 'Kandidatenstatus' zu, gekennzeichnet durch die Anführungszeichen.
Die „Lokiarchaeota“ werden aufgrund von Ähnlichkeit im Genom mit einigen ebenfalls in diesem Zusammenhang jüngst vorgeschlagenen Gruppen („Thorarchaeota“, „Odinarchaeota“ und „Heimdallarchaeota“) zu einer Kandidaten-Gruppe
„Asgard“ zusammengefasst, die unter den Archaeen den Eukaryoten somit am nächsten steht und ein Schwester-Taxon zur Supergruppe „TACK“ darstellt.
Um der engen Verwandtschaft der Archaeen mit den Eukaryoten Rechnung zu tragen, hat Thomas Cavalier-Smith sie bereits 2002 in ein gemeinsames Taxon Neomura gestellt, das damit eine Schwestergruppe zu den Bakterien darstellt – allerdings hatte er ursprünglich angenommen, dass die Trennung von Eukaryoten und Archaeen frühzeitig erfolgte, nicht dass die Eukaryoten aus der „Mitte“ der Archaeen entspringen.
Diese neue Einteilung wird unterstützt durch neuere Erkenntnisse, wonach die Verwendung des DNA-Genoms als Träger der Erbinformationen bei Bakterien einerseits und Archaeen und Eukaryoten andererseits unterschiedlichen (möglicherweise viralen: anderer Teil der „Out-of-Virus-Hypothese“) Ursprungs zu sein scheint. Der letzte gemeinsame Vorfahr aller heute bekannten Lebewesen wäre dann ein archaischer zellulärer Organismus der RNA-Welt (mit Ribosomen, d. h. Protein-Synthese) gewesen.
Weitere Unterstützung bekommt die Theorie durch Untersuchung des Aufbaus der membranständigen F- und V-/A-Typ-ATPasen. Die F-Typ-ATPasen der Mitochondrien und Chloroplasten sind mit denen der Bakterien homolog (wie nach der Endosymbiosetheorie zu erwarten). Die V-Typ-ATPasen an Zytoplasma-Membranen (Vakuolen) der Eukaryoten sind zu denen der Archaeen homolog, was eine Abstammung der Eukaryoten aus einem Zweig der Archaeen stützt. Vereinzelte Ausnahmen (F-Typ-ATPasen bei einigen Archaeen-Species und V-Typ-ATPasen bei einigen Bakteriengruppen) werden auf horizontalen Gentransfer zurückgeführt. Zentrale Untereinheiten der ATPasen sind über alle Lebewesen homolog, was für einen LUCA mit einer zumindest primitiven Membranhülle spricht.
Einzelnachweise
Weblinks
Eukaryonten Zellaufbau
Eukaryoten (Tree of Life Web Project) (englisch)
Botanik online, Universität Hamburg
Wilfried Probst: Frühe Evolution und Symbiose, Europa-Universität Flensburg, Institut für Biologie und Sachunterricht und ihre Didaktik: §LECA und Mitochondrien, abgerufen am 19. April 2019
Masaharu Takemura: Medusavirus Ancestor in a Proto-Eukaryotic Cell: Updating the Hypothesis for the Viral Origin of the Nucleus. In: Front. Microbiol., Band 11, 571831, 3. September 2020. doi:10.3389/fmicb.2020.571831. Dazu:<br
/>Tessa Koumoundouros: Giant Viruses Could Explain The Mysterious Evolution of a Key Part of Our Cells, auf: sciencealert vom 10. September 2020<br
/>In Ancient Giant Viruses Lies the Truth: Medusavirus Key to Deciphering Evolutionary Mystery, auf: SciTechDaily vom 11. September 2020
Ancestors of Legionella Bacteria – Which Causes Legionnaires’ Disease – Infected Cells Two Billion Years Ago. Auf SciTechDaily vom 15. Februar 2022. Quelle: Universität Uppsala.
Lenka Horváthová et al.: Analysis of diverse eukaryotes suggests the existence of an ancestral mitochondrial apparatus derived from the bacterial type II secretion system. In: Nature Communications, Band 12, Nr. 2947, 19. Mai 2021; doi:10.1038/s41467-021-2304. Siehe Sec-System und Bakterielle Proteinsekretion §Typ II.
Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/Estland
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Estland
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Estland [] (estnisch Eesti , amtlich Republik Estland, estnisch Eesti Vabariik) ist ein Staat im Baltikum. Als nördlichster der drei baltischen Staaten grenzt es im Süden an Lettland, im Osten an Russland und im Norden und Westen an die Ostsee. Über den Finnischen Meerbusen hinweg bestehen enge, unter anderem sprachlich-kulturell begründete Bindungen an Finnland. Durch die jahrhundertelange Präsenz von Deutsch-Balten in Estland gibt es zudem historische Verbindungen zu Deutschland.
Der erstmals von 1918 bis 1940 und erneut seit 1991 unabhängige Staat ist Mitglied der Vereinten Nationen und seit 2004 der EU. Estland ist zudem Mitglied des Europarats, der NATO sowie der OSZE, seit 2010 der OECD und seit 2011 der Eurozone.
Estland hat rund 1,3 Millionen Einwohner (2022), die meist Esten, seltener Estländer genannt werden. Die Bevölkerungsmehrheit bilden ethnische Esten (rund 70 Prozent), ein finno-ugrisches Volk; daneben gibt es eine bedeutende russische Minderheit (25 Prozent). Die Hauptstadt und größte Stadt Estlands ist Tallinn, das frühere Reval; die zweitgrößte Stadt ist Tartu.
Geographie
Estland befindet sich im Norden des Baltikums. Die Zuordnung der Gesamtregion wiederum ist umstritten und wird neben geographischen Faktoren auch von historisch-kulturellen und politischen Aspekten beeinflusst. So wird das Baltikum sowohl Nordeuropa als auch Mitteleuropa, Osteuropa und Nordosteuropa zugeordnet.
Estland liegt an der östlichen Küste der Ostsee. Flächenmäßig ist es etwas kleiner als Niedersachsen und etwas größer als die Schweiz. Das seenreiche Wald- und Hügelland mit vielen Mooren (teilweise Gewinnung von Torf) hat eine durchschnittliche Höhe von nur . Im südöstlichen Moränengebiet steigt es zum livländischen Hügelland bis zur höchsten Erhebung, dem Suur Munamägi (318 Meter), an. Der größte See ist der Peipsi järv (Peipussee), die größten Inseln sind Saaremaa und Hiiumaa.
Die gesamte Küstenlinie hat eine Länge von 3.794 Kilometern. Sie ist durch mehrere Golfe (wie die Rigaer Bucht), Meerengen und Einbuchtungen gekennzeichnet.
Klima
Das Klima Estlands ist im Allgemeinen kühl-gemäßigt bis rau mit kalten, frostigen Wintern und mäßig warmen Sommern auf nordeuropäischem Niveau. Das Jahresmittel der Temperatur liegt in der Hauptstadt Tallinn bei 4,5 °C, es fallen 650 Millimeter Niederschlag mit einem Maximum im Spätsommer. Im Juli werden durchschnittlich 16,5 °C und im Januar −6,0 °C erreicht. Trotz des kalten Winters bleiben die Küsten meist eisfrei. Wobei es im Landesinneren im Winter zur selben Zeit bis zu 30 °C kälter sein kann als an der Küste (der Kälterekord liegt bei −45 °C in Jõgeva im Jahr 1945, s. a. Liste der Länder nach Temperatur#Staaten nach Extremtemperatur).
Flora und Fauna
Mehr als 50 % der estnischen Landesfläche sind bewaldet. Der häufigste Laubbaum in den estnischen Wäldern ist die Birke. Sie ist ein vielbesungenes Motiv in Liedern und Volksdichtung und ein nationales Symbol des Landes. Vor allem auf sandigen Böden in Meeresnähe kommt die Waldkiefer häufig vor. Sie nimmt einen Anteil von etwa 35 % der estnischen Waldflächen ein. Am größten ist ihre Bedeutung auf den vorgelagerten Inseln Saaremaa und Hiiumaa sowie im Landkreis Harjumaa. Auch Fichte, Tanne und Lärche zählen zu den in Estland heimischen Nadelbaumarten.
In Estland sind als große Säugetierarten Elche (ca. 12.000), Rothirsche (ca. 2.800), Rehe (ca. 50.000) sowie Braunbären (etwa 600), Luchse (etwa 800), Wölfe
(etwa 150) und Wildschweine (etwa 20.000) heimisch und bejagbar. Ferner kommen Rotfüchse, Biber (etwa 20.000), Marder (u. a. der Europäische Nerz mit ca. 25 Exemplaren auf Hiiumaa) und die seltener gewordenen Schneehasen (etwa 12.000) vor.
Das größte Naturreservat des Landes ist Otepää looduspark (Naturpark Otepää) mit ca. 222 km².
Estland hat u. a. als Brutgebiet der Doppelschnepfe und als Durchzugsgebiet zahlreicher Zugvögel internationale Bedeutung. Des Weiteren brüten acht der neun europäischen Spechtarten im Landesgebiet.
Bevölkerung
Demografie
Estland hatte 2020 1,3 Millionen Einwohner. Das jährliche Bevölkerungswachstum betrug +0,2 %. Dieses wurde negativ durch einen Sterbeüberschuss und positiv durch Immigration beeinflusst.
2020 stand einer Geburtenziffer von 9,9 pro 1000 Einwohner eine Sterbeziffer von 11,9 pro 1000 Einwohner gegenüber. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 1,6.
Die Lebenserwartung der Einwohner Estlands ab der Geburt lag 2020 bei 78,3 Jahren (Frauen: 82,7, Männer: 74,2). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2020 bei 42,4 Jahren und damit unter dem europäischen Wert von 42,5.
Ethnien
Neben der estnischen Mehrheit (68,95 %) gibt es eine große russische Minderheit (25,48 %) sowie kleinere Gruppen von Ukrainern (2,05 %), Belarussen (1,14 %) und Finnen (0,78 %). In Tallinn sind 45 % der Einwohner keine ethnischen Esten.
Sprachkenntnisse
Nach der Volkszählung von Ende 2021 sprachen 76 % der Bewohner Estlands mindestens eine weitere Sprache. Von den Einwohnern mit Fremdsprachenkenntnissen sprachen 48 % eine weitere Sprache, 35 % zwei, 13 % drei und 3 % vier weitere Sprachen. 84 % der Bevölkerung sprachen Estnisch, davon 67 % als Muttersprache und 17 % als Fremdsprache. Russisch wurde von 67 % der Bevölkerung gesprochen, davon 29 % als Muttersprache und 39 % als Fremdsprache. Englisch wurde als Fremdsprache von 48 % gesprochen und hat damit Russisch, das bei der Volkszählung 2011 noch den Platz der häufigsten Fremdsprache einnahm, abgelöst. Die nächsthäufigen Fremdsprachen waren Finnisch mit 11 % und Deutsch mit 7 % (alle Zahlen gerundet).
Russische Minderheit
Ein Viertel der Menschen in Estland gehört der russischen Minderheit an. Etwa ein Drittel dieser Gruppe hat keinen estnischen Pass, sondern einen russischen. Nur ein kleiner Anteil der Minderheit ist staatenlos. Jedoch haben alle Angehörigen der russischen Minderheit eine Visumfreiheit in der Europäischen Union. Eine Mehrheit der in Estland lebenden Russen hat die estnische Sprache gelernt. Die Stadt mit den meisten Angehörigen der estnischen Russen ist Narva, wo mehr als 95 Prozent der Bewohner Russisch sprechen.
Zu Zeiten der Zugehörigkeit zur Sowjetunion wurden Estnischkenntnisse vom Staat nicht verlangt. Das Einbürgerungsverfahren ist jedoch mit einem Sprachtest verbunden, den viele, vor allem ältere Russischsprachige, als unüberwindbare Hürde empfinden, da sie die estnische Sprache nie in genügendem Umfang gelernt haben. Viele jüngere Russischsprachige beherrschen Estnisch und haben deshalb geringere Schwierigkeiten mit dem Einbürgerungsverfahren. In letzter Zeit bringen Russischsprachige vermehrt ihre Kinder in estnischsprachige Kindergärten und Schulen, um ihnen eine bessere Integration zu ermöglichen. Im Durchschnitt verfügen die Esten im Vergleich zu der russischsprachigen Minderheit über ein höheres Einkommen. Esten sind in Leitungspositionen überproportional vertreten, Russischsprachige sind eher im Dienstleistungs- und Produktionsbereich beschäftigt. Andererseits sprechen die Esten weniger Russisch, was die Kommunikation mit Geschäftspartnern aus Russland erschwert und so den russischsprachigen Einwohnern Estlands Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet.
Estland bietet Sprachkurse und weitere Integrationsprogramme an, um vorhandene Qualitätsunterschiede zwischen den estnischen und russischen Schulen einzuebnen.
Es gibt auch Russischsprachige, die ihre Familiennamen geändert haben, in der Hoffnung, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Von insgesamt etwa 100.000 Auslandsesten leben knapp 40.000 in Russland, 35.000 in Kanada und 15.000 in Schweden. Andere größere Gruppen gibt es in Finnland, Südafrika und in Australien. In Deutschland lebten 2010 etwa 4.040 Esten.
Religion
Mit der Eroberung durch Schweden im 17. Jahrhundert zog in Estland der lutherische Glaube ein. Heute bekennen sich allerdings nur noch weniger als 30 Prozent der Bevölkerung zum Christentum. 13,6 Prozent der Bevölkerung sind evangelisch-lutherisch und 12,8 Prozent orthodox. 0,5 % der Bevölkerung sind Baptisten und 0,5 % römisch-katholisch. Die zehn bedeutendsten christlichen Kirchen und Gemeinschaften haben sich im Rat Christlicher Kirchen Estlands zusammengeschlossen.
Die Mehrheit der Esten gehört keiner Konfession an. Traditionelle Religion der Esten ist der christliche Glaube in der Form des Luthertums, wie er in Skandinavien weit verbreitet ist. Die Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche (EELK) ist eine quasi-offizielle Kirche (üblich ist beispielsweise die Abhaltung von Gottesdiensten zu Parlamentseröffnungen), und ihr Erzbischof ist die Zentralfigur der estnischen öffentlichen Religion. Die EELK dominiert auch die relativ umfassende Theologenausbildung in Estland (in Tartu an der Universität und in Tallinn an der Kirchlichen Hochschule).
Die orthodoxen Christen gehören größtenteils der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche oder Estnisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats an. Eine Besonderheit bilden die etwa 5000 Altorthodoxen, die seit dem 18. Jahrhundert vor der Verfolgung im russischen Kernland in die Randgebiete des Russischen Reiches flohen. Am estnischen Ufer des Peipussees gibt es zahlreiche von Altorthodoxen bewohnte Dörfer. Kleinere Gemeinden gibt es auch in Tallinn und Tartu.
Zudem sind etwa 4000 Personen Mitglied der Zeugen Jehovas.
Zum jüdischen Glauben bekennen sich nur noch etwa 0,1 % der estnischen Bevölkerung.
Daneben gibt es kleinere Gemeinden sonstiger protestantischer, jüdischer und islamischer Gemeinschaften, außerdem neopagane Gruppen.
Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Europäischen Kommission im Rahmen des Eurobarometers ergab 2020, dass für 22 Prozent der Menschen in Estland Religion wichtig ist, für 21 Prozent ist sie weder wichtig noch unwichtig und für 57 Prozent ist sie unwichtig.
Bildungswesen
In Estland gibt es zwölf anerkannte Universitäten, davon sieben staatliche und fünf private Universitäten, sowie 26 weitere Hochschulen.
In vielen Schulen Tallinns gibt es elektronische Klassenbücher. Das ermöglicht Lehrern wie auch den Eltern, von zu Hause aus Einsicht in die Einträge über die Schüler zu erhalten. Das erforderliche Computer-Programm wird den Eltern vom Staat kostenlos zur Verfügung gestellt.
Bereits Ende der 1990er-Jahre hatte jede Schule einen Internetzugang.
Im PISA-Ranking von 2018 erreichen Estlands Schüler Platz 8 von 72 Staaten in Mathematik, Platz 5 in Naturwissenschaften und Platz 5 beim Leseverständnis. Estnische Schüler gehörten damit zu den besten von allen teilnehmenden Staaten und erreichten zusammen mit Finnland den Spitzenwert unter den europäischen Nationen.
Nach der Unabhängigkeit wurde Russisch als erste Fremdsprache durch Englisch ersetzt. Zum Teil beginnt der Englischunterricht bereits im Kindergarten. Nicht synchronisierte englischsprachige Fernsehsendungen fördern das Erlernen des Englischen erheblich.
Gesundheitswesen
Im Jahr 2018 praktizierten in Estland 34,8 Ärzte je 1000 Einwohner.
Laut WHO hat Estland mit geschätzt 10.000 Infizierten die höchste HIV-Infektionsrate in der WHO-Region Europa: 0,58 % der Bevölkerung (1,3 % der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren). Am meisten betroffen sind Strafgefangene sowie Angehörige der russischsprachigen Minderheit in Kohtla-Järve, Narva und Tallinn. Allerdings werden in Estland vergleichsweise viel mehr HIV-Tests durchgeführt als in den anderen europäischen Staaten, auch werden ausnahmslos alle schwangeren Frauen per Gesetz auf HIV getestet.
Geschichte
Das heutige Estland besteht aus der ehemaligen, von 1710 bis 1918 zum Russischen Reich gehörigen Ostseeprovinz Gouvernement Estland und dem nördlichen Teil Livlands, zu dem auch die Insel Saaremaa (Ösel) gehörte.
Deutscher Einfluss
Die mit dem Deutschen Orden ins Land gekommenen Vasallen hatten sich 1252 erstmals zu einer autonomen Landesverwaltung zusammengeschlossen, die durch das bis 1346 dänische Nordestland bestätigt wurde. Nach dem Ende der Herrschaft des Ordens 1561 nahmen die hanseatischen Städte und die Ritterschaften auf dem Land die öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungsaufgaben wahr. Diese Landesprivilegien, eine Art Autonomiestatut, wurden von der schwedischen Oberherrschaft bestätigt und blieben auch nach der russischen Eroberung Estlands im Großen Nordischen Krieg (1710) unberührt.
Die Oberschicht der Stadtbürger und Gutsbesitzer war deutschsprachig, bis 1885 war Deutsch Unterrichts- und Behördensprache. Aufgrund einer Russifizierungskampagne der russisch-zaristischen Regierung löste Russisch Deutsch in dieser Funktion ab.
Erste Unabhängigkeit
Eine zentrale Rolle spielte bei der Entwicklung zur eigenen kulturellen und politischen Identität die Universität Tartu (Dorpat), auf der seit den 1870er-Jahren die studierenden Esten sich bewusst nicht mehr über die Mitgliedschaft in den Korporationen assimilieren wollten, sondern vor allem im Verein Studierender Esten eine eigene Identität förderten. Während des Zerfalls des Russischen Reiches im Verlauf der Oktoberrevolution erlangte Estland am 24. Februar 1918 seine Unabhängigkeit. Frauen und Männern wurde im Wahlgesetz der konstituierenden Versammlung vom 24. November 1918 das allgemeine aktive und passive Wahlrecht zuerkannt, sodass das Frauenwahlrecht gleichzeitig mit dem Männerwahlrecht eingeführt wurde. Die Verfassung von 1920 bestätigte dieses Recht.
1921 wurde Estland Mitglied des Völkerbundes.
In den Jahren 1939 bis 1940 wurden die Deutschbalten von den Nationalsozialisten aus Estland und Lettland unter dem Motto Heim ins Reich im Rahmen einer Umsiedlung ins Deutsche Reich geholt. Grund war die im Geheimabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt geschlossene Vereinbarung, das Baltikum der sowjetischen Interessensphäre zuzuschlagen.
Sowjetrepublik
Unter massiver Gewaltandrohung wurde Estland zusammen mit Lettland und Litauen 1940 von der Sowjetunion gemäß der im deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt festgelegten Bestimmungen annektiert. Nach sowjetischer Lesart traten die baltischen Staaten der UdSSR bei, allerdings bestand über die ganze Periode der Zugehörigkeit Estlands zur UdSSR eine estnische Exilregierung, deren Kontinuität auch in der heutigen offiziellen Interpretation der Geschichte Estlands anerkannt wird. Auch international wurde die Annexion bis zur erneuten Unabhängigkeit überwiegend nicht anerkannt. Die Estnische Sozialistische Sowjetrepublik wurde mit Unterstützung von sowjetischen Emissären proklamiert, nachdem Estland zuvor bereits sowjetische Truppen auf seinem Territorium hatte dulden müssen. Das Frauenwahlrecht blieb bestehen, auch wenn der demokratische Charakter von Wahlen unter dem sowjetischen Regime nicht gegeben war.
1940/41 erfolgten Ermordungen und Massendeportationen von Esten, besonders aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum, in das Innere der Sowjetunion. Viele von ihnen kamen in den Straflagern des Gulag ums Leben. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 war das Land bis 1944 von deutschen Truppen besetzt und wurde verwaltungstechnisch dem Reichskommissariat Ostland zugeordnet. In dieser Zeit wurde der NS-Völkermord an den Juden auch in Estland, teilweise unter Mitwirkung Einheimischer, durchgesetzt. Etwa 1.000 estnische und 10.000 Juden ost- und mitteleuropäischer Herkunft wurden getötet.
Aufgrund der Erfahrungen mit den sowjetischen Besatzern schlossen sich viele Esten den deutschen Truppen an, ebenso kämpften Esten auf sowjetischer Seite. Zehntausende Esten flüchteten 1944 nach Deutschland (von dort aus später nach Amerika und Australien), nicht wenige auch nach Schweden und Finnland. Nach der erneuten Besetzung durch die Rote Armee im Herbst 1944 wurde das Land unter Wiederherstellung der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik von 1940/41 in die Sowjetunion eingegliedert. Es folgten erneut Deportationen von vermeintlich oder tatsächlich das sowjetische System ablehnenden Esten und Repressalien gegen sogenannte Volksfeinde. Auch einfache Menschen wurden deportiert, da die Sowjets das estnische Nationalbewusstsein und darum auch die traditionellen Strukturen vernichten wollten.
Während des Zweiten Weltkrieges verließ die schwedischsprachige estnische Bevölkerung, die vor allem auf den Inseln Hiiumaa (Dagö), Vormsi (Worms) und Ruhnu (Runö) lebte, das Land. Bis dahin hatte sich ihr Estlandschwedisch, das mit dem Finnlandschwedischen zu den ostschwedischen Dialekten zählt, bewahrt.
In der Zeit von 1945 bis 1990 wurde durch die staatlich dirigierte Ansiedlung nichtestnischer Sowjetbürger, insbesondere von Russen, die Zusammensetzung der Bevölkerung zu Ungunsten des Anteils ethnischer Esten verändert.
Erneute Unabhängigkeit 1990
Im Rahmen der Perestroika fanden in den sowjetischen Republiken im Frühjahr 1990 Parlamentswahlen statt, zu denen eine Vielzahl von Kandidaten antreten durften, in Estland am 18. März 1990. Am 30. März 1990 erklärte Estland sich zur Republik. Am 18. Dezember 1990 verzichtete Estland auf eine weitere Mitarbeit im Obersten Sowjet der UdSSR. In einer Volksabstimmung über den künftigen Status der Republik stimmten 78 % der Wahlberechtigten am 3. März 1991 für die Unabhängigkeit. Der Vorsitzende des Obersten Rates der Republik Estland, Arnold Rüütel, erklärte, dass ein Referendum keine rechtlich bindende Wirkung habe. Nach dem Augustputsch in Moskau am 20. August 1991 erklärte der Oberste Rat die volle Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Am 23. August 1991 wurde der sowjetische Geheimdienst KGB verboten und am 25. August alle Organe der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Die Sowjetunion erkannte die Unabhängigkeit Estlands am 6. September 1991 an.
Estland stellte damit nach einem mehrjährigen Prozess der Loslösung von der Sowjetunion – im Zuge von Glasnost und Perestroika, insbesondere seit 1988 – seine Souveränität wieder her. Diese Entwicklung verlief überwiegend friedlich; sie wurde als „singende Revolution“ bekannt. Das Frauenwahlrecht wurde erneut bestätigt.
Estland wurde am 29. März 2004 NATO-Mitglied. Die estnische Bevölkerung befürwortete am 14. September 2003 in einem Referendum den Beitritt zur Europäischen Union. Am 1. Mai 2004 wurde daraufhin Estland in die EU aufgenommen. Am 9. Dezember 2010 erfolgte der Beitritt zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Am 1. Januar 2011 führte Estland als erster der baltischen Staaten den Euro ein (siehe auch Estnische Euromünzen).
Ein großes Problem für Estland stellte die Auswanderung junger qualifizierter Einwohner (meist ethnische Esten) nach Skandinavien und Westeuropa dar, bei einer konstant niedrigen Geburtenrate in Estland.
Politik
Staatsaufbau
Estland ist eine parlamentarische Republik. Die gesetzgebende Gewalt gehört dem Riigikogu (Staatsversammlung/Parlament), der laut dem estnischen Grundgesetz 101 Abgeordnete hat. Der Riigikogu wird von allen estnischen Staatsbürgern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gewählt; das passive Wahlrecht haben estnische Staatsbürger mit der Vollendung des 21. Lebensjahres.
Das Staatsoberhaupt ist der Präsident der Republik Estland, der ein abstammungsgemäßer Staatsbürger Estlands und mindestens 40 Jahre alt sein muss. Das Amt des Präsidenten ist hauptsächlich zeremonieller Natur. Er oder sie vertritt Estland völkerrechtlich, ernennt die estnischen Botschafter, beglaubigt die ausländischen Gesandten in Estland und verleiht Orden sowie militärische und diplomatische Titel.
Die Regierung der Republik besteht aus den Ministern und dem Premierminister (Regierungschef). Der Premierminister wird von Präsidenten und Parlament mit der Regierungsbildung beauftragt. Die daraufhin vom designierten Premierminister nominierten Minister legen ihrem Amtseid im Parlament ab und werden anschließend zusammen mit dem Regierungschef vom Präsidenten ernannt.
Die Trennung zwischen Staatsoberhaupt und Regierungschef wird in Estland so konsequent erst seit der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit in den 1990er-Jahren praktiziert.
Bei der Parlamentswahl in Estland am 3. März 2019 lag die Wahlbeteiligung bei 63,7 %.
Politische Indizes
Wahlen per Internet
Gewählt wird in Estland in Wahlkabinen oder über das Internet. Bei den Internetwahlen können die Wähler sich bis zum Vorwahlschluss umentscheiden. Am Wahltag kann die Internetwahl, falls gewünscht, dann zum letzten Mal noch korrigiert werden.
Koalitionen ab 1992
Seit das Kabinett Laar I 1992 die Regierung übernahm, wurden alle estnischen Regierungen durch Koalitionen getragen.
Außenpolitik
EU-Mitgliedschaft
Am 14. September 2003 stimmten die Esten über den Beitritt zur Europäischen Union ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 64 %. Mit einer Mehrheit von 66,9 % Ja-Stimmen zu 33,1 % Nein-Stimmen votierten die Bürger für die Mitgliedschaft in der EU. Dies war die niedrigste Zustimmungsrate aller zentral- und osteuropäischen EU-Neumitglieder.
Zum 1. Juli 2017 übernahm Estland zum ersten Mal seit seinem Beitritt die EU-Ratspräsidentschaft. Nachdem Großbritannien aufgrund des Brexit-Votums darauf verzichtet hatte, hatte Estland angeboten, seine sonst am 1. Januar 2018 beginnende Ratspräsidentschaft schon ein halbes Jahr eher zu beginnen.
Grenzvertrag mit Russland
Am 18. Mai 2005 wurde in Moskau der seit 1999 verhandelte Grenzvertrag mit Russland unterzeichnet. Die Verzögerung hing mit der Weigerung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen, die estnische Sicht der Annexion 1940 und des Vertrags von Dorpat 1920 zu akzeptieren.
Am 27. Juni 2005 zog Russland die geleistete Unterschrift allerdings zurück, da es mit dem Entwurf der Präambel der estnischen Seite nicht einverstanden war, den diese dem Vertrag voranstellen wollte und in dem auf die „Jahrzehnte der Besatzung“ sowie die vergangenen „Aggressionen der Sowjetunion gegen Estland“ hingewiesen wird. 2011 wurde ein neuer Grenzvertrag von beiden Seiten ratifiziert.
Im Zuge der Einführung der estnischen Euromünzen kam es auf Grund der Darstellung der Grenzen Estlands auf der Rückseite der Münzen zu diplomatischen Verstimmungen mit Russland.
Militär
Estland verfügt über eigene Streitkräfte mit insgesamt etwa 25.000 Personen; im aktiven Dienst stehen etwa 6.500 Personen. Die Streitkräfte sind gegliedert in Heer, Marine, Luftwaffe und Estnischer Verteidigungsbund. Es besteht eine gesetzliche Wehrpflicht für Männer. Estland ist Mitglied der NATO.
Estland gab 2022 knapp 2,31 % seiner Wirtschaftsleistung oder 865,45 Millionen US-Dollar für seine Streitkräfte aus.
Justiz
Das dreistufige Gerichtssystem Estlands besteht aus
4 Landgerichten (maakohus) und 2 Verwaltungsgerichten (halduskohus) als Eingangsinstanz
2 Bezirksgerichten (ringkonnakohus) als Rechtsmittelinstanz
dem Staatsgerichtshof (Riigikohus) als Kassationsinstanz und Verfassungsgericht.
Menschenrechte
Amnesty International weist in seinem Jahresbericht 2010 darauf hin, dass es in Estland immer wieder zu Diskriminierung von Minderheiten kommt. Am 15. Oktober 2010 verabschiedete das Parlament eine Reihe von Gesetzen, die auch gewaltlose Aktionen und symbolische Handlungen mit Flaggen anderer Staaten als der estnischen unter Strafe stellt.
Ein Konflikt zwischen russischsprachigen Nichtbürgern und Esten entzündete sich 2007 an dem sogenannten Bronzesoldaten von Tallinn. Dieses Kriegerdenkmal aus Sowjetzeiten wurde im April 2007 auf Veranlassung der estnischen Behörden von seinem ursprünglichen Platz in der Innenstadt der estnischen Hauptstadt auf einen Militärfriedhof in einem Randbezirk verlagert. Dies führte zu Protesten und blutigen Unruhen vor allem seitens der russischsprachigen Bevölkerung. Die Proteste gegen die Verlegung des Denkmals wurden durch estnische Sicherheitskräfte niedergeschlagen; ein Demonstrant kam zu Tode, viele wurden verletzt und ca. 1100 Personen wurden festgenommen. Es handelte sich um die schwersten Ausschreitungen in Estland seit der Unabhängigkeit 1991. Auch in Russland gab es massive Proteste gegen die Umsetzung des Denkmals mit Demonstrationen in mehreren russischen Städten, einer mehrtägigen Belagerung der estnischen Botschaft in Moskau, Boykottaufrufen gegen estnische Waren und Cyberattacken gegen die estnische Regierung.
Der Europarat drängte Estland wiederholt, Maßnahmen zu ergreifen, die einer Benachteiligung von Minderheiten entgegenwirkten.
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 9.559 Millionen US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 9.489 Millionen US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein marginales Haushaltsdefizit von circa 0,1 % der Wirtschaftsleistung. Die Staatsverschuldung betrug 2016 9,5 % der Wirtschaftsleistung, womit Estland das am wenigsten verschuldete Land der gesamten Europäischen Union war.
Der Anteil der Staatsausgaben betrug (als Prozent des Bruttoinlandsprodukts) in folgenden Bereiche:
Gesundheit: 13,4 % (2014)
Bildung: 6,4 % (2012)
Militär: 2,0 % (2014)
Entgegen der landläufigen Ansicht, ein Haushaltsdefizit sei in der Verfassung des Landes verboten, ist der Umgang der Regierung mit dem Staatshaushalt zwar nicht gesetzlich festgeschrieben, folgt aber stets klaren Richtlinien. Ein ausgeglichenes Budget ist Prinzip, den Gemeinden des Landes ist es nicht erlaubt, ihr budgetiertes Defizit um 60 % der erwarteten Jahreseinkünfte überschreiten zu lassen (75 % bis 2004), und die Begleichung von Staatsschulden darf 20 % der für das jeweilige Abschlussjahr erwarteten Einnahmen nicht übersteigen. Zwischen 1993 und 2007 wurde in fast jedem Jahr ein Haushaltsüberschuss verzeichnet.
Diese Vorgaben sind in der Konsequenz auch bei der Aufnahme neuer Kredite zu beachten. Banknoten und Münzen im Umlauf ebenso wie die Guthaben der Geschäftsbanken bei der Estnischen Bank müssen stets voll durch Gold und Fremdwährungsguthaben gedeckt sein. Faktisch wird damit ein ausgeglichenes Budget erzwungen.
Steuersystem
Nach der Unabhängigkeit 1991 galt in Estland für Personen eine progressive Besteuerung mit 16 %, 24 % und 33 %. Das Steuersystem wurde 1994 reformiert, und als erstes europäisches Land führte Estland im selben Jahr eine Einheitssteuer ein, deren Satz damals bei 26 % lag. Im Januar 2005 wurde dieser Satz auf 24 % reduziert und eine weitere Senkung in jährlichen 1-%-Punkt-Schritten beschlossen. Seit dem 1. Januar 2008 liegt der Einkommenssteuersatz dieser Einheitssteuer bei 21 %; seit 1. Januar 2015 bei 20 %. Unternehmen zahlen für nicht entnommene Gewinne keine Steuern. Nur die entnommenen Gewinne werden mit der Flat Tax von 20 % besteuert (Berechnung 20/80 %) und gelten bei den Gesellschaftern bereits als endbesteuert und müssen nicht nochmals einer Besteuerung unterworfen werden.
E-Residency
Dank eines starken IT-Sektors (s. E-Residency) ist Estland einer der fortgeschrittensten Staaten im Bereich E-Government. So bietet Estland seit Ende Januar 2015 Bürgern vieler Staaten eine sogenannte e-Residency an. Die e-Residenten werden allerdings keine Bürger oder Bewohner Estlands und erhalten dadurch auch keine Aufenthaltserlaubnis, EU-Visa oder das Recht zu wählen, sondern lediglich eine digitale Identität.
Für eine e-Residency kann man sich online bewerben. Nach einer Bearbeitungszeit von wenigen Wochen, einer Prüfung durch das estnische Grenzschutzamt und der Zahlung einer Bearbeitungsgebühr (100 Euro im März 2019) kann dann eine Karte mit Chip und Lesegerät in Estland oder in vielen estnischen Botschaften abgeholt werden.
Diese ermöglicht Folgendes:
Erstellen von digitalen Signaturen
Verschlüsseln von Dokumenten
Benutzung des offiziellen Portals eesti.ee
Gründung von Unternehmen in Estland
Einreichung einer estnischen Steuererklärung online
Erstellung von Bankkonten
All dies ist den Bürgern und dauerhaften Bewohnern von Estland schon länger online möglich. Geleitet wird das Projekt E-Estonia von Taavi Kotka, dem stellvertretenden Kanzler der Kommunikations- und Informationssysteme des Wirtschaftsministeriums und einem der Gründer von Skype, ebenfalls ein ursprünglich estnisches Produkt.
Zu bekannten e-Residenten gehören u. a. Edward Lucas (Journalist bei The Economist) und Shinzō Abe (ehemaliger Ministerpräsident Japans) sowie Papst Franziskus. Nach dem ursprünglichen Vorschlag von Taavi Kotka beim Wettbewerb der Estonian Development Foundation soll es bis 2025 ganze zehn Millionen e-Residenten geben. Vor allem Unternehmer sollen Internetunternehmen gründen und somit Steuern in Estland zahlen können, wobei es komplizierte Fälle von Doppelbesteuerung geben könnte, wie der Ex-Finanzminister Estlands, Jürgen Ligi, zu bedenken gab. Anfang 2015 gab es vor allem Bewerbungen aus Finnland, Russland, Lettland, den USA und dem Vereinigten Königreich.
Verwaltungsgliederung
Das Gebiet der Republik Estland gliedert sich in 15 Landkreise, 34 Städte, 11 Minderstädte sowie zahlreiche Siedlungen und Dörfer. Die estnische Verwaltungsgliederung unterliegt folgender hierarchischen Einteilung:
Republik Estland (Eesti Vabariik)
Landkreis (maakond)
Gemeinde (omavalitsus): Stadtgemeinde (linn) oder Landgemeinde (vald)
Gemeinden sind weiter in Städte, Minderstädte (alev), Siedlungen (alevik) und Dörfer (küla) untergliedert (Siedlungsgliederung).
Landkreise
Estland gliedert sich in 15 Landkreise (estnisch pl. maakonnad, sing. maakond):
1 Code nach ISO 3166-2
Bis 2017 besaßen alle Kreise eine Kreisverwaltung (maakonnavalitsus) und einen Gouverneur (maavanem). Der Gouverneur wurde in Abstimmung mit der Kommunalverwaltung auf Vorschlag des Ministerpräsidenten für fünf Jahre ernannt. Kreisverwaltungen wurden mit der Verwaltungsreform von 2017 abgeschafft. Gemeinden eines Kreises sind jedoch zur Zusammenarbeit verpflichtet und haben oft auf Kreisebene gemeinsame Entwicklungszentren (arenduskeskus).
Für die Vergleichbarkeit von Daten innerhalb der EU wurde Estland auf der Ebene NUTS 3 in fünf Regionen (Statistikeinheiten) unterteilt, zu deren Bildung die obigen Landkreise wie folgt zusammengestellt wurden:
Größte Städte
Wirtschaft
Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit organisierte Estland sein Gemeinwesen nach skandinavischem Vorbild völlig um: wenig Hierarchien, viel Transparenz der staatlichen Organe, moderne Kommunikationstechnik. Jedoch zeigt das Wirtschaftsmodell des Landes im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarn, die eher auf Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft setzen, marktliberale Züge.
Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt Estland Platz 22 von 137 Staaten (Stand: 2022–2023). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegte Estland 2017 Platz 6 von 180 Staaten.
Bruttoinlandsprodukt
Nach der Überwindung der Russlandkrise (ab 2000) wies die Wirtschaft aller drei baltischen Staaten ein hohes Wachstum auf, allerdings ausgehend von einem niedrigen Ausgangszustand nach der Krise. 2006 war Estland mit einem Zuwachs der Wirtschaftsleistung von 10,8 % der Spitzenreiter der Europäischen Union.
Die Weltfinanzkrise machte sich in Estland bereits zum Jahresbeginn 2008 bemerkbar, ab dem zweiten Quartal lagen die BIP-Werte inflationsbereinigt unter denen des Vorjahres. Für das Gesamtjahr war ein Rückgang um 2 % zu erwarten. Hauptgrund war vor allem die stark zurückgegangene Inlandsnachfrage (Bausektor, Einzelhandel).
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) belief sich für 2008 auf gut 250 Milliarden Estnische Kronen (EEK), gut 16 Milliarden Euro. Pro Kopf der Bevölkerung waren das 12.000 Euro (zum Vergleich: Deutschland 27.200 Euro). Vergleicht man das BIP nach Kaufkraftstandards (also nach der Kaufkraft eines Euros) mit dem Durchschnitt der EU (EU-27: 100) erreichte Estland 2008 bereits einen Wert von knapp 68 (Deutschland: 116). Verglichen mit dem Jahr 2000 steigerte sich dieser Wert inflationsbereinigt um fast die Hälfte (+45 %; damals: 44,6). 2018 erreichte Estland einen Indexwert von 81 (EU-28: 100, Deutschland: 123).
Das Bruttoinlandsprodukt Estlands betrug 2015 nunmehr 20,5 Mrd. Euro. Das Pro-Kopf-BIP betrug im selben Jahr 15.598 Euro. Das Wirtschaftswachstum lag 2015 bei 1,1 % und 2016 bei 1,6 %. Die COVID-19-Pandemie führte im Jahr 2020 zu einen Rückgang des BIP um 3 %. Im darauf folgenden Jahr wuchs das Bruttoinlandsprodukt dank einer raschen wirtschaftlichen Erholung um 8,3 %.
Das hohe Wachstum der baltischen Staaten in der Vergangenheit hat ihnen die Bezeichnung Baltische Tiger eingebracht.
Entwicklung
Alle BIP-Werte sind in Internationalen US-Dollar angegeben. In der folgenden Tabelle kennzeichnen die Farben:
Arbeitsmarkt
Die Arbeitslosenquote betrug im Mai 2018 4,9 % und liegt damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt. 2017 betrug die Jugendarbeitslosigkeit 13,9 %. Im selben Jahr arbeiteten 2,7 % aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, 20,5 % in der Industrie und 76,8 % im Dienstleistungssektor. Die Gesamtzahl der Beschäftigten wird für 2017 auf 670.000 geschätzt; davon sind 48,5 % Frauen. Aufgrund von Auswanderung und Alterung der Bevölkerung herrscht ein zunehmender Mangel an Arbeitskräften.
Geografische Verteilung
Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Aktivitäten konzentriert sich auf die Region rund um die Hauptstadt Tallinn (Kreis Harju), die knapp 40 % der Bevölkerung Estlands beherbergt. Gut 60 % des Bruttoinlandsprodukts werden hier erwirtschaftet (2006), in der Branche ‚Handel‘ über 70 %. Zentrum der Landwirtschaft sind die Regionen Zentral- und Südostestland, die bei einem Anteil von 35 % an der estnischen Gesamtbevölkerung 63 % der landwirtschaftlichen Produktion erzeugen (inklusive Forstwirtschaft). In Nordostestland (Ida-Virumaa) dominiert dagegen aufgrund der Verarbeitung der lokalen Ölschiefer-Vorkommen die Energiewirtschaft (30 % des nationalen Produkts dieser Branche bei einem Bevölkerungsanteil von 13 %).
Währungssystem
Am 27. Juni 2004 traten Estland und weitere zwei der zehn neuen EU-Staaten dem Wechselkursmechanismus II im Rahmen des EWS II bei, der erste Schritt, um den Euro einzuführen. Estland, Litauen und Slowenien legten die Leitkurse ihrer Währungen zum Euro fest und verpflichteten sich ab sofort, die Schwankungen unter ±15 % zu halten. Bis zum Beitritt des Landes zum Euro am 1. Januar 2011 lag der Leitkurs für die estnische Krone bei 15,6466 pro Euro, was eine maximale Schwankungsbreite von (gerundet) 13,30 bis 17,99 Kronen bedeutete. Der Kurs ergab sich durch die seit 1993 festgelegte Kopplung der Krone zur Deutschen Mark im Verhältnis 1 DEM = 8 EEK. Estland verpflichtete sich (wie auch Litauen) zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik.
Das Design der estnischen Euromünzen wurde 2004 in einer öffentlichen Wahl bestimmt. Die Einführung des Euro musste jedoch mehrfach verschoben werden und fand am 1. Januar 2011 statt. Am 12. Mai 2010 bescheinigten die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank Estland die Erfüllung aller EU-Konvergenzkriterien. Im Juni 2010 stimmten die EU-Finanzminister sowie die Staats- und Regierungschefs der EU der Aufnahme Estlands in die Eurozone zu. Einen Monat später legten die Finanzminister den offiziellen Wechselkurs von 15,6466 estnischen Kronen für einen Euro fest.
Preise und Löhne
Bis 2003 gab es eine deutliche Verlangsamung der Teuerung, seit dem EU-Beitritt 2004 steigt die Teuerungsrate aber wieder an (1,3 %). Die vergleichsweise hohen Preissteigerungen der Vorjahre (im Schnitt bei 5 %) hatten – bei stabiler Währung – in Estland zu deutlich höheren Lebenshaltungskosten als in den Nachbarstaaten Lettland und Litauen geführt. Entsprechend sind die vergleichsweise hohen Durchschnittslöhne von 1'775 Euro (1. Quartal 2023) (zum Vergleich: Lettland 1'117 Euro (März 2023)) nicht automatisch mit einem höheren Lebensstandard gleichzusetzen.
Produktion
Vorherrschende Industriezweige sind (2002) die Holz-, Papier- und Möbelindustrie (25 %) und die Nahrungsmittelindustrie (28 %). Große Zuwächse gab es in der Elektroindustrie / Maschinen- und Fahrzeugteilebau (18 %), wo Estland mit Norma einen der weltweit größten Hersteller für Sicherheitsgurte beherbergt.
Bedeutende Unternehmen des produzierenden Gewerbes in Estland:
Holz- und Möbelindustrie: Horizon in Kehra
Fahrzeugteile: Norma in Tallinn (Sicherheitsgurte)
Elektronik: Elcoteq in Tallinn
Baustoffe: Nordic Tsement in Kunda
Bauindustrie: Merko Ehitus in Tallinn
Textilindustrie: Kreenholm (Küchentextilien) in Narva, Baltex 2000 (Stoffe und Garne) in Tallinn
Nahrungsmittel: Rakvere Lihakombinaat in Rakvere (Fleisch), A. Le Coq in Tartu (Bier & Getränke), Saku in Saku/Harjumaa (Bier & Getränke), Kalev in Rae bei Tallinn (Süßigkeiten)
Energie: Eesti Põlevkivi in Jõhvi (Ölschieferabbau)
Tourismus
Estland wurde 2019 von 3,8 Millionen ausländischen Touristen besucht, die dem Land Einnahmen in Höhe von 2,06 Milliarden US-Dollar brachten. Die meisten Touristen kamen 2019 aus Finnland (36 %), Russland (12 %), Lettland (8 %) und Deutschland (6,3 %). Im Land gibt es zwei UNESCO-Welterbestätten.
Außenhandel
Haupthandelspartner Estlands sind die Nachbarstaaten Schweden, Finnland, Lettland und Litauen. Aber auch Deutschland ist ein wichtiger Partner: 8 % der Exporte gehen nach Deutschland und sogar 13 % der Importe kommen aus Deutschland (jeweils Rang 3).
Hauptexportprodukte sind Maschinen und Maschinenteile (27 % der Ausfuhrgüter), gefolgt von Holz und Holzprodukten / Möbeln (13 %). Erst dann folgen Textilien (9 %), Metalle und Metallprodukte (8 %) und Nahrungsmittel (7 %). Trotz der im Vergleich zu den baltischen Nachbarstaaten etwas höherwertigen Ausfuhrprodukte ist die Handelsbilanz anhaltend deutlich negativ (mit sogar steigender Tendenz): Exporten im Wert von 4,7 Milliarden Euro stehen Importe im Wert von 6,7 Milliarden Euro (2004) gegenüber. Dadurch bleibt auch die Zahlungsbilanz (inkl. Finanztransfers/Direktinvestitionen, Dienstleistungen) negativ, das Defizit erreichte 2004 13 % des BIP-Wertes.
Infrastruktur
Im Verkehrswesen spielen die Straße und die Schifffahrt auf der Ostsee die wichtigste Rolle, im Güterverkehr auch die Eisenbahn.
Digitalisierung
In Estland garantiert der Staat seit dem Jahr 2000 per Gesetz seinen Bürgern einen Zugriff auf das Internet. Im ganzen Land gibt es WLAN-Zugangspunkte zum Internet, mit denen die bewohnten Flächen abgedeckt werden. Rund 99 % des Landes sind mit diesem kostenlosen Hot-Spot-Netz abgedeckt. Wer keinen eigenen Rechner hat, darf gratis an einem von 700 öffentlichen Terminals in Postämtern, Bibliotheken oder Dorfläden ins Netz. Alle Schulen sind online. Estland verfügt über die meisten Internetanschlüsse pro Kopf weltweit.
Estland gibt an, das weltweit technologisch modernste Verwaltungssystem zu haben. Jeder Bürger besitzt eine ID-Nummer. Seit 2007 können Esten über das Internet an Wahlen teilnehmen, ihre Steuern abrechnen und Rezepte vom Arzt empfangen. Wegen der damit verbundenen Verwundbarkeit durch Cyberattacken wurden Backupserver in Luxemburg eingerichtet. Sie enthalten die digitale Verwaltungssoftware Estlands und die Datensätze der Bürger. Am 26. April 2007 begann ein massiver digitaler Angriff von gekaperten Computernetzwerken, der die Server der Behörden, Medien und Banken kollabieren ließ. Er war Anlass für die Einrichtung von Cyberkriegsforschungszentren, an denen auch die NATO beteiligt ist.
Feuerwehr
In der Feuerwehr in Estland waren im Jahr 2019 landesweit 1.561 Berufsfeuerwehrleute, Teilzeit-Feuerwehrleute und 2.059 freiwillige Feuerwehrleute organisiert, die in 189 Feuerwachen und Feuerwehrhäuser, in denen 105 Löschfahrzeuge und 11 Drehleitern bzw. Teleskopmasten bereitstehen, tätig sind. Der Frauenanteil beträgt 9 %. Die estnischen Feuerwehren wurden im selben Jahr zu 26.076 Einsätzen alarmiert, dabei waren 4.675 Brände zu löschen. Hierbei wurden 43 Tote bei Bränden von den Feuerwehren geborgen und 113 Verletzte gerettet. Die nationale Feuerwehrorganisation Päästeamet Estonian Rescue Board repräsentiert die estnischen Feuerwehren mit ihren Feuerwehrangehörigen im Weltfeuerwehrverband CTIF.
Straßen
Das gesamte Straßennetz umfasste 2011 etwa 58.412 km, wovon 10.427 km asphaltiert sind. Von Tallinn aus führen sternförmig autobahnähnlich ausgebaute Schnellstraßen in die Richtungen Pärnu (Via Baltica), Tartu und Narva.
Die längste Schnellstraße ist die Nationalstraße 1 nach Narva. Die Nationalstraße 2 nach Tartu wird sukzessive immer weiter ausgebaut. Der estnische Teil der Via Baltica (Nationalstraße 4 / E 67) nach Pärnu ist dagegen nur auf den ersten 20 Kilometern autobahnähnlich ausgebaut und führt anschließend als Landstraße weiter nach Pärnu und zur lettischen Grenze bei Ikla. Zur Schnellstraße ausgebaut wurde auch die Umfahrung von Tallinn (Nationalstraße 11) (Stand: 2015).
2008 waren überwiegend nur Straßen von überbezirklicher Bedeutung asphaltiert. Viele kleine Ortschaften werden aus nur einer Richtung von einer asphaltierten Stichstraße erschlossen. Die übrigen Straßen sind unbefestigt. Im Land erhältliche Karten im Maßstab 1:200.000 weisen sehr genau aus, welche Straßen asphaltiert sind und welche nicht; von Jahr zu Jahr sind deutliche Fortschritte zu verzeichnen.
Es gab bis in die jüngere Gegenwart keine separaten Radwege; wenn eine überörtliche Straße, wie die Via Baltica, abschnittsweise als Schnellstraße mit zweimal zwei Fahrspuren ausgebaut ist, wird sie zwangsläufig von Radfahrern mitbenutzt. In den letzten Jahren wurden jedoch erhebliche Anstrengungen unternommen, hochwertige und teilweise sogar beleuchtete Radwege zu bauen, insbesondere in Ortsnähe entlang der Landstraßen. Wegen der Konzentration des Verkehrs auf die asphaltierten Straßen ist der Verkehr dort in manchen Gegenden nicht weniger dicht als auf Straßen ähnlichen Ausbauzustands im eng besiedelten Mitteleuropa.
Estland hat als erster Staat der EU und der Welt ein staatsweites, öffentlich getragenes Ladesystem für das Aufladen der Batterien von Elektroautos. Estland weist eine Rate von einem Elektroauto pro 1000 Einwohner auf.
In den größeren Städten (insbesondere Tallinn, Tartu, Narva, Pärnu) gibt es ein Netz von Buslinien, in Tallinn zusätzlich 4 Straßenbahnlinien und Obusse. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind modern und in gutem Zustand. In großen Teilen Estlands ist der Busverkehr für Bewohner der jeweiligen Stadt bzw. des jeweiligen Kreises kostenlos. Jedoch wird der kostenfreie Nahverkehr in den Landkreisen ab Januar 2024 weitgehend wieder abgeschafft, bleibt aber für Personen bis 19 Jahren und ab 63 Jahren erhalten. Auch der kostenlose Nahverkehr in Tallinn bleibt erhalten.
Eisenbahn
Geschichte
Eisenbahnprojekte für Estland – damals Teil des Russischen Reichs – gab es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie zielten auf eine Verbindung estnischer Hafenstädte mit Sankt Petersburg, scheiterten aber zunächst alle daran, dass das Investitionskapital nicht aufgebracht werden konnte. So dauerte es bis zum , bevor die Baltische Eisenbahn die Bahnstrecke Paldiski–Tosno über Reval, Narva nach Tosno, die erste Eisenbahn in Estland, eröffnen konnte. Dabei wurden die russischen Parameter zugrunde gelegt, insbesondere in russischer Breitspur gebaut. Gattschina war ein Bahnhof an der Petersburg-Warschauer Eisenbahn, Tosno liegt an der Bahnstrecke Sankt Petersburg–Moskau. Zwar entwickelte sich Tallinn Dank der Eisenbahn zu einem der wichtigsten Häfen des Russischen Reichs, aber von dem durch militärstrategische Interessen bestimmten weitere Ausbau des russischen Netzes profitierte Estland kaum, der weitere Ausbau verlief schleppend. Nebenbahnen entstanden so oft als Schmalspurbahnen. Mit der Unabhängigkeit 1918 wurde eine eigene Staatsbahn gegründet. Daneben betrieb eine private Gesellschaft die Bahnstrecke Tallinn–Pärnu. Die ersten elektrisch betriebenen Züge verkehrten 1924 auf dem 11 km langen Abschnitt Tallinn–Paeskula.
Nach der Besetzung Estlands durch die Sowjetunion 1940 ging die Estnische Eisenbahn an die Staatsbahn der Sowjetunion über. Sie bestand damals aus 772 km Breitspur-Strecken und 675 km Schmalspurstrecken. Während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg wurden die Breitspurstrecken auf Normalspur umgenagelt, anschließend wurde das wieder rückgängig gemacht. 1957–1959 wurden Dampf- durch Diesellokomotiven ersetzt. Ab 1966 wurden die Schmalspurstrecken überwiegend stillgelegt, einige in Breitspur konvertiert. Das Netz hatte anschließend eine Länge von 956 km. 1963 bis 1991 wurden die Bahnen von Estland, Lettland und Litauen als „Baltische Eisenbahnen“ betrieben, die estnischen Strecken als „Estnische Abteilung“.
Die Unabhängigkeit Estlands 1991 brachte wieder eine eigene Staatsbahn und massive Umstrukturierungen. Segmente, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, etwa Sozialeinrichtungen, wurden abgegeben und 1997 die Bahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt (Eesti Raudtee JSC). Im Folgenden wurden weitere Gesellschaften für Teilaufgaben ausgegliedert. 1999 entschloss sich der Staat 66 % der Aktien zu verkaufen. Statt der erhofften privaten Investitionen führte das zu einem drastischen Einbruch der Leistungsfähigkeit der Bahn. 2007 kaufte der Staat die Aktien zurück und bildete zwei Gesellschaften, eine für die Infrastruktur, eine zweite für den Güterverkehr. Seit 2011 beteiligt sich die Bahn an dem Rail-Baltica-Projekt, das Tallinn über Pärnu mit den benachbarten Hauptstädten Riga, Vilnius und Warschau mit einer Bahnstrecke in Normalspur verbinden soll. Das Projekt wird von der EU finanziell unterstützt und soll 2025 abgeschlossen werden.
Netz
Das estnische Eisenbahnnetz hat eine Länge von 800 Kilometern. Davon sind 94 km zweigleisig und 225 km elektrifiziert (3 kV Gleichspannung). Das Netz ist in Narva, in Koidula (beide zu RŽD) und in Valga (zu LDz) mit den Netzen der Nachbarländer verbunden. Die Spurweite beträgt 1520 mm bzw. 1524 mm.
Verkehr
Der Schienenverkehr in Estland wird heute von den Eisenbahnverkehrsunternehmen Operail (Güterverkehr) und Elron (Personenverkehr im Inland) und den Infrastrukturbetreibern Eesti Raudtee und Edelaraudtee betrieben.
Im innerestnischen Personenverkehr spielte die Eisenbahn nach der gescheiterten Privatisierung fast keine Rolle mehr. Der überörtliche öffentliche Verkehr wird noch immer großenteils durch Überlandbusse abgewickelt, jedoch macht die Eisenbahn dank niedrigerer Preise vor allem auf den Strecken Tallinn–Tapa–Narva, (Tallinn–)Tapa–Tartu und Tallinn–Pärnu Boden gut. Von Mitte 2013 bis Anfang 2014 wurde die gesamte veraltete innerestnische Zugflotte gegen moderne elektrische sowie dieselelektrisch betriebene Züge vom Typ Stadler Flirt ausgetauscht. Mittlerweile ist auch in den Zügen drahtloses Internet verfügbar, wenn auch nur in der 1. Klasse.
Der internationale Personenverkehr beschränkt sich heute zum einen auf Verbindungen nach Moskau und Sankt Petersburg, immer wieder durch Betriebsprobleme unterbrochen, die vor allem auf die anhaltenden Spannungen mit Russland zurückgehen. Auch benötigen sowohl Esten als auch estnische Russen zur Einreise nach Russland ein Visum, das im Voraus bezogen werden muss, vergleichsweise teuer ist und nicht immer rechtzeitig ausgestellt wird.
Zum anderen besteht von Valga im südlichen Estland eine Verbindung nach Riga in Lettland, welche von Regionalzügen der lettischen Bahn betrieben wird. Eine direkte Zugverbindung von Tallinn nach Riga über Pärnu existiert nicht; die Gleise südlich von Pärnu wurden sogar entfernt.
Schiffsverkehr
Estland unterhält zu seinen Nachbarstaaten (insbesondere in Skandinavien) zahlreiche Fährverbindungen. Zwischen dem estnischen Festland und den größten Inseln (insbes. Saaremaa, Hiiumaa, Vormsi) herrscht ein sehr reger und routinierter Fährverkehr. Die heutzutage eingesetzten Autofähren sind erst wenige Jahre alt.
Am 28. September 1994 sank die estnische Fähre Estonia vor der Küste Finnlands auf der Überfahrt nach Stockholm. Bei dem Unglück starben 852 Menschen.
Flugverkehr
Der wichtigste Flughafen Estlands ist der internationale Flughafen Tallinn; er ist Heimatflughafen der estnischen Fluggesellschaften Nordica (bedient von Tallinn aus internationale Ziele in Europa) und SmartLynx Airlines Estonia (Charterfluggesellschaft). Daneben existieren ein weiterer internationaler Flughafen in Tartu sowie kleinere Flughäfen in Pärnu, Kuressaare und Kärdla sowie auf Kihnu und Ruhnu.
Kultur
Estland war durch seine politische Entwicklung und Besiedlungsgeschichte immer ein interkulturelles Land. Die Oberherrschaft hatte zunächst Dänemark, 1252–1561 der Deutsche Orden, danach Schweden und im 18. bis 19. Jahrhundert Russland. Die estnische Kultur und Architektur wurde über einen Zeitraum von etwa 800 Jahren stark durch die ortsansässige deutschbaltische Oberschicht geprägt. Die großen Städte, insbesondere Tallinn (unter dem alten Namen Reval) waren stark von der Kultur der Hanse geprägt. Vom Mittelalter bis weit ins 19. Jahrhundert bildeten die deutschen Kaufleute das tonangebende Element in Tallinn. Ab 1850 setzte eine verstärkte Russifizierung unter den Zaren ein. Ein Gegengewicht dazu bildeten baltische Studentenverbindungen und ab den 1870er-Jahren vor allem die Universität Tartu (Dorpat).
In der Wissenschaft blieb der westliche Einfluss – wie auch im zaristischen Russland – stark, allein schon durch die bis 1870 deutschsprachige Universität. So erhielt sie 1811 durch Initiative deutscher Wissenschaftler die Sternwarte Dorpat, und auch die folgenden sieben Direktoren bis 1900 kamen aus Deutschland. Der berühmteste, Friedrich Georg Wilhelm Struve, wechselte allerdings 1839 an die neu errichtete Sternwarte Pulkowo bei Sankt Petersburg.
Einen kulturellen Umbruch erfuhr Estlands Kultur durch den Verlust deutscher und schwedischer Bevölkerungsanteile infolge des Zweiten Weltkriegs und den Zuzug von Russen und anderer Volksgruppen während der sowjetischen Zeit.
Seit dem Ende der Sowjetzeit orientiert sich die estnische Kultur wegen der Verwandtschaft des Estnischen zum Finnischen stark am nördlichen Nachbarn Finnland. Sie ist weitgehend westlich ausgerichtet und unterhält zahlreiche Kooperationen mit deutschen Gesellschaften, evangelischen Kirchen (Nordelbische Kirche) und Universitäten (Göttingen, Greifswald, Kiel, Konstanz, München und Münster).
Die estnische Literatur spiegelt diese vielfältigen Einflüsse wider – in Estland wurde neben Deutsch und Estnisch auch in Lettisch, Ostschwedisch und Finnisch, Russisch, Latein, Griechisch und Französisch geschrieben. Das literarische Forschungsprojekt EEVA der Universität Tartu und des Estnischen Literaturmuseums ist bestrebt, diesen multilingualen Kulturraum des Baltikums ab dem 13. Jahrhundert digital zu dokumentieren.
Das estnische Nationalepos ist der Kalevipoeg.
Medienlandschaft
Neben den vier estnischsprachigen Fernsehsendern ETV Eesti Televisioon, ETV2 (öffentlich-rechtlich), Kanal 2 (vom norwegischen Unternehmen Schibsted) und TV3 Eesti (von der schwedischen Modern Times Group) empfängt man in Estland zahlreiche fremdsprachige Sender über Terrestrik, Satellit und Kabel (mit vier Kabelnetzbetreibern). So ist es üblich, dass man noch finnische, schwedische, russische, englische und deutsche Sender empfängt. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Eesti Rahvusringhääling hat als drittes Programm einen eigenen russischsprachigen Sender namens ETV+. Das Staatsfernsehen Russlands startete einen Ableger für Estland namens Perwyj Baltijskij Kanal Estonia (Der erste baltische Kanal Estland).
Estnisches Fernsehen über Satellit gibt es im Pay-TV-Paket des skandinavischen Anbieters „Viasat“ auf der Satellitenposition 5° Ost (Astra 4A), die auch in Mitteleuropa empfangbar ist. Wer das Viasat-Paket abonniert, erhält neben TV3 und TV3+ russische, finnische, schwedische, norwegische, dänische und englischsprachige Sender. Auf dem gleichen Satelliten sind die baltischen MTV-Ableger MTV Eesti, MTV Latvija und MTV Lietuva im Abonnement erhältlich.
Spartenprogramme sind aufgrund des kleinen Marktes in Estland nicht vertreten. Wie auch in Skandinavien ist es im Baltikum wegen der hohen Übersetzungskosten weitgehend üblich, dass die Sender ausländische Fernsehproduktionen im Original mit estnischen Untertitel-Einblendungen senden, also ohne Synchronübersetzung wie in Deutschland.
Es gibt fünf öffentlich-rechtliche Radioprogramme. Vikerraadio ist das informationsorientierte Hauptprogramm. Raadio 2 bedient das jüngere Publikum. Raadio 4 sendet auf russisch. Klassikaraadio bringt Klassik, Folklore, Jazz und Weltmusik. Raadio Tallinn sendet von 9:00 bis 19:00 Uhr ohne Unterbrechung Musik und übernimmt in der übrigen Zeit Programme der BBC, der DW und von RFI.
Etwa 97 % der estnischen Bevölkerung besitzen ein Fernsehgerät.
Mit einer Gesamtauflage von 523 Tageszeitungen pro 1000 Einwohnern hat Estland eine der höchsten Zeitungsleseraten der Welt.
Im Jahr 2021 nutzten 91 Prozent der Einwohner Estlands das Internet.
Musik
Weltweit bekannt ist Arvo Pärt, ein zeitgenössischer Komponist moderner Klassik. Rudolf Tobias, ausgangs des 19. Jahrhunderts der erste estnische Komponist, ist Kennern der Chormusik durch seine Motetten auch außerhalb Estlands ein Begriff. Eduard Tubin machte im 20. Jahrhundert durch seine romantischen bis atonalen Sinfonien auf Estland aufmerksam, was 2005 durch ein großes Festival gewürdigt wurde. Neeme Järvi ist Dirigent von Weltruf, ebenso sein Sohn Paavo Järvi, der von 2001 bis 2011 Chefdirigent beim Cincinnati Symphony Orchestra und bis 2016 beim hr-Sinfonieorchester Frankfurt war. Im Populärbereich kommt dem Pianisten Olav Ehala eine große Bedeutung zu, der zahlreiche Filmmusiken schrieb und bei Theaterproduktionen mitwirkt. Ester Mägi schreibt ähnlich wie Veljo Tormis viele Kompositionen und Volkslieder für Chor um, die während der Besatzungszeit der Sowjetunion in Vergessenheit zu geraten drohten und seit der Unabhängigkeit sehr populär geworden sind. Zu erwähnen ist das alle fünf Jahre stattfindende Liederfest, wo Zehntausende, vereint zu einem Chor, nationales Liedgut singen.
Estland ist momentan auch sehr erfolgreich mit Acts wie Eda-Ines Etti, J.M.K.E., Tanel Padar, Malcolm Lincoln, Vaiko Eplik, Kerli und Vanilla Ninja in die europäische Pop-Kultur integriert.
Estland konnte beachtliche Erfolge beim Eurovision Song Contest erreichen, den Dave Benton gemeinsam mit Tanel Padar 2001 für das Land gewann. Der Eurovision Song Contest 2002 fand daraufhin in Tallinn statt.
Architektur
Die estnischen Städte werden immer noch von den Holzhäusern geprägt, auch wenn die sowjetischen Plattenbauten dazwischen ragen. Heutzutage wird viel mit Schiefer gebaut. Das höchste Bauwerk Estlands ist der Fernsehturm in Tallinn (314 Meter), der in den Jahren 1975–1980 anlässlich der Olympischen Spiele in Moskau erbaut wurde.
In den Tagen des Staatsstreiches in Moskau (August 1991) sollte er von russischen Truppen besetzt werden, was durch die estnische Polizei und Demonstranten verhindert wurde. Der Turm gehört trotzdem nicht zu den besonderen nationalen Symbolen des neuen Estland. Ein möglicher Grund ist seine Lage – der Fernsehturm liegt weitab von der Innenstadt am stadtnahen Wald.
Das vierthöchste Bauwerk Estlands mit einer Höhe von 254 Metern ist der Mast des Senders Kohtla.
Sport
Der Sport hat in Estland einen hohen Stellenwert. Bereits 1920 nahm das Land erstmals an den Olympischen Sommerspielen teil und setzten diese eigenständige Teilnahme auch bis zur Besetzung durch die UdSSR 1940 fort. Nach deren Ende und der estnischen Unabhängigkeit formierten sich die nationalen Sportverbände erneut. Olympische Medaillen konnte das Land vor allem im Gewichtheben, Ringen und Skisport gewinnen. Der sowjetische Schach-Großmeister Paul Keres kommt aus Estland. Auch bei der Ästhetischen Gruppengymnastik ist Estland eine Hochburg.
Während Fußball in Estland vor dem Zweiten Weltkrieg noch zu den beliebtesten Sportarten zählte, änderte sich das mit der sowjetischen Besatzung. Von nun an wurde Fußball als Machtinstrument missbraucht, und es folgten die Auflösung des estnischen Fußballverbandes, die Umbenennung der Vereine und die Eingliederung der Nationalmannschaft in das sowjetische Team. Als russische Sportart verpönt, wurde Fußball immer unbeliebter und erlangte erst nach der Unabhängigkeit wieder zunehmende Popularität. 2011 ist Fußball mit 20.000 Aktiven wieder beliebteste Sportart in Estland.
Special Olympics Estland wurde 1988 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Gütersloh betreut.
Küche
Feiertage
Siehe auch
Literatur
Weblinks
Landesinformationen des deutschen Auswärtigen Amtes zu Estland
Eesti Instituut – Estnisches Kulturinstitut (estnisch, englisch)
Virtuelle Fachbibliothek Nordeuropa und Ostseeraum (Vifanord)
Einzelnachweise
Staat in Europa
Mitgliedstaat der Europäischen Union
Mitglied des Europarats
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
Mitgliedstaat der NATO
Mitgliedstaat der OECD
Verwaltungseinheit als Namensgeber für einen Asteroiden
Wikipedia:Artikel mit Video
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Q191
| 4,535.215211 |
13687
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Regenbogen
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Regenbogen
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Der Regenbogen ist ein atmosphärisch-optisches Phänomen, das als kreisbogenförmiges farbiges Lichtband in einem von der Sonne beschienenen Regenschauer erscheint. Die Erscheinung kommt durch das von Regentropfen gebrochene und zurückgeworfene Sonnenlicht zustande. Der Farbverlauf umfasst die Spektralfarben des mit dem Auge sichtbaren Bereichs des Sonnenspektrums. Im Unterschied zum Prisma sind die aus dem Regentropfen austretenden farbigen Strahlen außer den roten nicht gesättigt, am wenigsten die blauen.
Sowohl beim Eintritt in als auch beim Austritt aus einem Regentropfen wird das Sonnenlicht gebrochen, die kurzwelligen (blauen) stärker als die langwelligen (roten) Anteile des Sonnenlichts. Das Sonnenlicht wird auf diese Weise in verschieden stark abgelenkte Strahlen unterschiedlicher Farben zerlegt. Zwischen Eintritt und Austritt werden diese Strahlen an der Tropfeninnenwand teilweise reflektiert und somit zum zwischen Sonne und Regenwand sich befindenden Beobachter zurückgeworfen. In dessen Augen gelangt Licht gleicher Farbe konzentriert aus Regentropfen, die sich auf einem schmalen Kreisbogen am Himmel befinden. Das wahrgenommene Licht verschiedener Farben kommt aus verschiedenen Tropfen, die sich jeweils auf verschiedenen, untereinander konzentrischen Kreisbögen befinden. Jeden einzelnen Regentropfen verlässt aber Licht aller Regenbogenfarben. Die Strahlen jeder Farbe sind in ihm in je einem schmalen Kegelmantel, die untereinander konzentrisch sind, angeordnet. Diese Anordnung wiederholt sich im beobachteten Regenbogen. Der Beobachter befindet sich in der Spitze solcher Kegelmäntel, und die Winkel („Regenbogenwinkel“) sind hier wie dort gleich groß.
Bei sehr hellem Himmel vor der Regenwolke ist über dem kräftigen Hauptregenbogen ein Nebenregenbogen sichtbar. Dieser stammt aus Regentropfen, in denen das Sonnenlicht zweimal an der Tropfeninnenwand reflektiert wurde. Der Nebenregenbogen ist wegen der zweimaligen, jeweils nur teilweisen Reflexion lichtschwächer als der Hauptregenbogen und hat wegen der doppelten Reflexion bzw. Spiegelung die umgekehrte Farbfolge.
Charakter des Sonnenlichts und Zusammenfassung der Regenbogenentstehung (Hauptregenbogen)
Die sichtbare Sonnenstrahlung ist ein kleiner Ausschnitt aus dem Spektrum elektromagnetischer Wellen. Die hochstehende Sonne erscheint nahezu weiß, ihr Licht ist eine Mischung verschiedener Anteile des Lichtspektrums. Eine tiefstehende Sonne erscheint rötlicher, da der kurzwellige (blaue) Anteil durch die Erdatmosphäre stärker gestreut wird als der langwellige rote, was zum Beispiel auch zu Abendrot und Morgenrot führt.
Die Farben des Regenbogens entstehen durch Brechung des Sonnenlichts in den Wassertropfen, wobei dieses wie in einem Prisma wellenlängenabhängig unterschiedlich stark abgelenkt wird. Im Regenbogen kommt eine innere Reflexion hinzu. Die Farben des Regenbogens (außer dem Blau-Violett) sind weniger rein und weniger deutlich voneinander getrennt zu beobachten als im mit Hilfe eines Prismenspektroskops erzeugten Lichtspektrum. Dort wird mithilfe einer Schlitzblende ein sehr schmaler Lichtstreifen zerlegt. Beim zwar selbst relativ „schmalen“ Wassertropfen fehlt diese Blende, sodass sich isolierte farbige Strahlen teilweise wieder überlagern. Farbig gleiche Strahlen aus benachbarten Eingangsstrahlen werden vereinigt, wobei sie sich durch Interferenz verstärken oder auslöschen können.
Der Beobachter sieht als spektralfarbig abgestuften Regenbogen nur jenen Anteil des durch die Regentropfen tretenden Lichts, der inwendig an der Tropfenrückseite reflektiert wurde. Dieses die Wassertropfen verlassende Licht beschränkt sich für den zwischen Sonne und Regenwand stehenden Beobachter jeweils auf schmale Bereiche, die als kreisbogenförmige farbige Streifen eines leuchtenden Bandes am Himmel erscheinen. Vom Beobachter her betrachtet bilden die kegelmantelförmig einfallenden Lichtstrahlen eine der Sonne gegenüberliegende charakteristische Figur, die nur unter einem bestimmten Winkel zu sehen ist. Sie setzt sich aus unzählig vielen Lichtstrahlen zusammen, die jeweils aus einem der Tropfen im Kegelmantel stammen und beim Beobachter ankommen. Bei einem durchwandernden Regengebiet lässt sich beobachten, wie der Regenbogen von Sonnenschein und Regenfall abhängt und mit nachlassendem Regen verblasst.
Der Hauptregenbogen kommt durch einmalige Reflexion in den Tropfen zustande. Blickt der Beobachter auf sonnenbeschienene Wassertropfen, so nimmt er rotes Licht aus Tropfen wahr, die auf einem Kegelmantel mit einem Winkelabstand von rund 42° um den gedachten Sonnengegenpunkt liegen. Das stärker abgelenkte blaue Licht stammt aus Regentropfen, die auf einem spitzeren (rund 40°) Kegelmantel liegen. Die Spitzen der Licht-Kegelmäntel befinden sich im Auge des Beobachters. Ihre Achsen führen zum Sonnengegenpunkt.
Strahlengang im Regentropfen
Der Hauptregenbogen entsteht durch Sonnenlicht, das in einen kugelförmigen Wassertropfen eindringt, im Innern einmal reflektiert wird und dann wieder aus dem Tropfen austritt.
Wenn der Eintrittswinkel (Winkel zur Senkrechten) ist und der Winkel zur Senkrechten im Wassertropfen, dann gilt nach dem Brechungsgesetz
Dabei ist der von der Wellenlänge des Lichts abhängige Brechungsindex des Wassers.
Der Winkel zur Senkrechten beim Eintritt innerhalb des Tropfens, der entsprechende Winkel bei der Reflexion und auch beim Austritt aus dem Tropfen tritt in gleichschenkligen Dreiecken mit zwei Seitenlängen gleich dem Radius des Tropfens auf. Diese Winkel sind daher alle identisch.
Die gesamte Winkeländerung beim Durchgang durch den Tropfen ergibt sich damit als
Maximale Intensität tritt auf, wenn der Winkel der gesamten Ablenkung sich bei Variation des Einfallswinkels nicht ändert. Dies geschieht, wenn die Ableitung nach dem Eintrittswinkel null wird, also für
Diese Bedingung ist für den Winkel erfüllt.
Mehrere Reflexionen
Der Nebenbogen entsteht bei zwei Reflexionen innerhalb des Tropfens. Die Winkeländerung kann völlig analog für eine beliebige Zahl an Reflexionen k = 1, 2, 3, … berechnet werden:
Maximale Intensität tritt beim Eintrittswinkel
auf, bei dem die Ableitung der Gesamtablenkung nach dem Einfallswinkel gleich null ist.
Reflexion, Brechung, Streuung und Überlagerung an einem Regentropfen
Ein Regentropfen ist transparent und während des Falls in guter Näherung kugelförmig. Die Abbildung links zeigt den Weg eines Sonnenstrahls durch einen Regentropfen. Beim Ein- und Austritt sind die am Tropfenrand reflektierten Teile und bei der inneren Reflexion die austretenden Teile des Strahls nicht gezeichnet. Diese Strahlteile sind an der Entstehung des Regenbogens nicht beteiligt, sie reduzieren lediglich dessen Intensität.
Beim Eintritt werden die verschiedenen farblichen Anteile des Sonnenstrahls nach dem farbabhängigen Brechungsgesetz verschieden stark abgelenkt, rot am wenigsten, violett am stärksten. Innerhalb des Tropfens werden die entstandenen Farbstrahlen an nicht genau gleichen Stellen der kugelförmigen Rückwand reflektiert. Ihr Austritt erfolgt ebenfalls nicht an einer einzigen, genau gleichen Stelle am Tropfenrand. Die erneute Ablenkung durch Brechung ist zudem noch von der Farbe jedes Teilstrahls abhängig.
In der Abbildung rechts ist gezeigt, wie das meiste einen Tropfen passierende rote Licht an der Mantelfläche eines Kegels konzentriert von diesem zurückgeworfen wird. Je flacher das Licht auf den Tropfen trifft, desto mehr wird es gestreut. Bei den anderen Farben ist das Bild prinzipiell gleich, nur wird das Licht gemäß Brechungsgesetz etwas stärker abgelenkt, blau am stärksten. Die Strahlenbüschel (konzentriertes und Streulicht) der unterschiedlichen Farben überlagern sich, weshalb wegen des jeweiligen Streulichts die Sättigung der Farben geschwächt wird. Am roten Rand ist die Sättigung maximal (reine Farbe, da dem konzentrierten Licht kein Streulicht überlagert wird), an der blauen Seite ist sie minimal (hier wird dem konzentrierten Licht Streulicht aller Farben überlagert).
Zur Förderung der Übersichtlichkeit ist in der Abbildung der Vorgang nur für rotes Licht, d. h. nur für eine der im Sonnenlicht enthaltenen Farben dargestellt. Typischer Unterschied für die Farben ist der Kegelwinkel an der scharfen Seite des konzentrierten Lichts (2 mal 42° für Rot; 2 mal 40,2° für Blau). Die Darstellung ist ein Schnitt durch die Mitte des kugelförmigen Tropfens. Um die Mittenachse besteht Rotationssymmetrie für das den Tropfen passierende Licht.
Farbige Strahlen aus vielen Regentropfen werden als Regenbogen gesehen
Die Abbildung rechts zeigt die Winkelbeziehungen zwischen Beobachter, Regentropfen und Sonne. Da der in den Tropfen eintretende und der den Beobachter passierende Sonnenstrahl parallel sind, schneidet ein Strahl zwischen Regenbogen und Beobachter beide Sonnenstrahlen unter gleichen Wechselwinkeln. Im Bild sieht der Beobachter einen aus einem Tropfen austretenden roten Strahl (Wechselwinkel 42°). Um die Linie zwischen Beobachter und Sonnen-Gegenpunkt besteht bezüglich Licht aus weiteren Regentropfen Rotationssymmetrie. Die ihn aus vielen Tropfen erreichenden Lichtstrahlen befinden sich auf einem Kegelmantel mit gleichem Öffnungswinkel wie der Öffnungswinkel der Kegelmantel-Spots der Regentropfen.
In der Abbildung links sind im unteren Teil zwei am Hauptregenbogen beteiligte Regentropfen markiert (einmalige innerer Reflexion; die markierten Tropfen darüber betreffen den Nebenregenbogen, siehe folgenden Abschnitt). Vom Licht aus dem blauen Kegelmantel-Spot (unterer Tropfen) und aus dem roten Kegelmantel-Spot (Tropfen darüber) erreichen kleine Ausschnitte den Beobachter. Die Wassertropfen sind übertrieben groß gezeichnet. In Realität wird jede Lichtfarbe aus vielen kleinen eng beieinander und hintereinander liegenden Tropfen und von nahezu unendlich vielen auf einem kreisförmigen Band liegenden Tropfen gesehen. Die Helligkeit ist beschränkt, weil trotz Lichtkonzentration in Kegelmänteln nur kleine Ausschnitte von ihnen gesehen werden.
Die Vorstellung, dass gemäß Abbildung links oben eigentlich Blau die oberste Farbe im Hauptbogen sein müsste, ist irrig. Da Blau auf einem spitzeren Kegelmantel-Spot austritt, sind die Tropfen, die für einen Beobachter das Blau liefern, dem Zentrum des Regenbogens näher.
Die Auffächerung des Hauptregenbogens durch Dispersion beträgt zwischen Rot und Blau etwa 1,8°. Wegen der räumlichen Ausdehnung der Sonne von etwa 0,5° beträgt die Breite jeder Farbe ebenfalls etwa 0,5°. Diese Unschärfe liegt deutlich unter der Auffächerung, weshalb der Beobachter noch eine relativ reine rote äußere Farbe sieht. Die anderen Farben sind durch Mischung weniger gesättigt beziehungsweise rein. Die Addition der endlichen Sonnenausdehnung und der Auffächerung ergibt die Gesamtbreite des Hauptregenbogens von etwa 2,2°. Bei einer Entfernung des Regenschauers von 1 km sind Regentropfen über eine radiale Strecke von etwa 35 m am Regenbogen beteiligt.
Von der Erdoberfläche aus gesehen kann der Regenbogen im Maximum nur ein Halbkreis sein. Er tritt bei im Horizont stehender Sonne auf. Der Mittelpunkt des Halbkreises befindet sich auf dem Gegen-Horizont. Bei höher stehender Sonne wird der Regenbogen kleiner. Da sich jetzt sein Mittelpunkt unter dem Horizont befindet, wird der Scheitel zum Orientierungspunkt. Wenn die Sonne höher als 42° steht, liegt auch der Scheitelpunkt des Bogens unter dem Horizont und kann so nur noch von einem erhöhten Beobachtungsort aus gesehen werden, zum Beispiel beim Blick von der Spitze eines Berges oder Turmes auf eine tiefer liegende Regenwand (siehe Bild links).
Ein zum Kreis geschlossener Regenbogen kann i. A. nur von einem Flugzeug oder einem Ballon aus gesehen werden (siehe Bild rechts), denn die Strahlen aus bodennahen Tropfen (tiefster Punkt eines geschl. Regenbogens) verlaufen schräg nach oben (je weiter die Regenwand entfernt ist, umso höher muss sich der Beobachter befinden).
Nebenregenbögen und Sonderformen
Nebenregenbogen
Bisher wurden Sonnenstrahlen betrachtet, die einmal im Inneren der Regentropfen reflektiert werden. Der oberhalb des Hauptbogens sichtbare Nebenregenbogen entsteht aus dem kleineren Lichtanteil, der erst nach zwei inneren Reflexionen die Tropfen verlässt. Er ist entsprechend schwächer als der Hauptregenbogen. Eine weitere Schwächung entsteht durch die größere Auffächerung des Lichtstrahls in farbige Teilstrahlen infolge flacheren Ein- und Austritts am Tropfenrand (siehe Abbildung links). Der Nebenregenbogen kann daher nur bei günstigen Lichtverhältnissen beobachtet werden.
Das nach zweimaliger innerer Reflexion austretende Licht ist im Gegensatz zu einmaliger Reflexion in einem zum Sonnengegenpunkt gerichteten Kegelmantel-Spot konzentriert. Der doppelte Kegelwinkel ist aber größer als 180° (der Kegelmantel ähnelt einem vom Wind umgestülpten Regenschirm), sodass Spot-Licht auch rückwärts zum Beobachter fällt. Die halben Kegelwinkel sind 129° (51° von rückwärts gesehen) für rotes Licht (siehe Abbildung rechts, oben und unten) und 126° (54°) für blaues Licht. Wegen der doppelten Reflexion im Tropfeninneren hat der Nebenregenbogen die umgekehrte Farbreihenfolge im Vergleich zum Hauptregenbogen (vergl. Abbildung hier links mit Abbildung oben links). Der Nebenregenbogen ist innen rot und außen blau.
Alexanders dunkles Band
Im Bild rechts mit einem Haupt- und Nebenregenbogen fällt auf, dass der Himmel im Innern des Hauptbogens deutlich heller als außerhalb erscheint, und dass der Bereich zwischen Haupt- und Nebenregenbogen deutlich dunkler als seine Umgebung ist. Dieser Helligkeitskontrast entsteht, weil sich die Farben im Inneren der Kegelmantel-Spots überlagern und schließlich jenseits des blauen weißes Licht von den Regentropfen zum Beobachter reflektiert wird. Haupt- und Nebenregenbogen sind einander mit ihrer roten Seite zugekehrt. Hier fehlt das zusätzliche weiße Licht. Der Raum zwischen ihnen wird dunkler gesehen. Dieses dunkle Band wird zu Ehren seines Entdeckers Alexander von Aphrodisias als Alexanders dunkles Band bezeichnet. Beim Nebenregenbogen enthalten die Kegelmantel-Spots im Inneren auch weniger Licht (vergleiche die Abbildung oben rechts mit der Abbildung weiter oben), sodass die Aufhellung über ihm weniger stark als unter dem Hauptregenbogen ist.
Tertiäre und quartäre Regenbögen
Nebenregenbögen höherer Ordnung, also mit mehr als zwei Reflexionen innerhalb eines Regentropfens, sind wegen der oben beschriebenen Abschwächung mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar; sie wurden erstmals von Félix Billet (1808–1882) beschrieben, der auch die zugehörigen Winkelabstände vom Sonnengegenpunkt dafür berechnete. Nachdem deren Existenz jedoch theoretisch begründet wurde, ist in jüngeren Jahren auch der Nachweis mit fotografischen Mitteln gelungen.
Es handelt sich um den tertiären Regenbogen unter einem Winkel von etwa 40° gegen die Sonne und den quartären Regenbogen unter etwa 45°. Diese Bögen entstehen durch Licht, das drei- oder viermal innerhalb der Regentropfen reflektiert wurde.
Sonderformen
Mondregenbogen
Mondregenbogen heißt ein Regenbogen bei Nacht, der das Mondlicht als Grundlage hat. Er ist naturgemäß wesentlich seltener als ein Regenbogen und erscheint dem Beobachter aufgrund seiner Lichtschwäche weiß. Zu sehen ist er, weil das menschliche Auge Helligkeitsunterschiede viel empfindlicher wahrnimmt als Farben (siehe Nachtsehen). Bei klarer Luft und ausgeprägtem Vollmond können die Regenbogenfarben sichtbar werden. Außerdem sieht man sie prinzipbedingt immer bei farbfotografischen Aufnahmen, wenn das Verfahren lichtempfindlich genug ist, sodass die Abbildung des Mondregenbogens gelingt.
Nebelbogen
Tropfen mit Durchmessern kleiner als 50 Mikrometer sind für die Zerlegung des Sonnenlichtes in seine farbigen Bestandteile zu klein. Nebel besteht aus solch kleinen Wassertröpfchen, weshalb dieser weiß erscheinende Regenbogen Nebelbogen genannt wird.
Taubogen
Beim Taubogen findet die Lichtbrechung an Tautropfen statt, beispielsweise dem Tau auf einer Wiese oder an Spinnweben, selten dem Tau an kleinen auf einem See schwimmenden Partikeln. Der Taubogen erscheint aber dem Beobachter nicht als Kreis, sondern elliptisch oder hyperbelförmig, je nach Sonnenstand und Neigung der Ebene in der sich die Tautropfen befinden. Der Effekt ergibt sich dadurch, dass sich der 42-Grad-Kegel des zurückgeworfenen Lichts an der Oberfläche des Bodens in einer Hyperbel oder Ellipse schneidet. Durch den schräg verlaufenden Kegelschnitt ergibt sich die Vorstellung, die Lichterscheinung erstrecke sich in horizontaler Ebene, was nur scheinbar richtig ist. Tatsächlich ist der Bogen im Auge des Betrachters immer in einem 42-Grad-Winkel vom Sonnengegenpunkt entfernt.
Spiegelbogen
Wenn das Sonnenlicht an einer Wasserfläche gespiegelt wird, bevor es auf die Regentropfen trifft, kann ein zweiter Bogen entstehen, der am Horizont mit dem Hauptbogen zusammentrifft, weiter oben aber wie ein zweiter, den Hauptbogen kreuzender Bogen erscheint. Darüber hinaus gibt es Beobachtungen von seitlich versetzten, sich überschneidenden Regenbögen, deren Entstehung bislang unklar ist.
Zwillingsregenbogen
Die sehr seltenen gespaltenen Regenbögen oder Zwillingsregenbögen unterscheiden sich von doppelten Regenbögen aus Haupt- und Nebenregenbogen dadurch, dass sie einen gemeinsamen Ursprung haben, sich dann aber (zumindest teilweise) in zwei Regenbögen aufspalten, und dass die Farbabfolge der beiden Bögen sich nicht umkehrt. Im Gegensatz zum doppelten Regenbogen, der ein zusammenhängendes Phänomen darstellt, das durch unterschiedliche Brechung innerhalb derselben Menge an Wassertropfen entsteht, handelt es sich bei einem Zwillingsregenbogen tatsächlich um zwei „unabhängige“ Regenbögen, die zur selben Zeit an unterschiedlichen Mengen von Wassertropfen entstehen. In besonders seltenen Fällen kann jeder der Zwillingsbögen auch selbst wieder einen Nebenregenbogen zeigen.
Zwillingsregenbögen können entstehen, wenn unterschiedlich große Wassertropfen gleichzeitig vom Himmel fallen, etwa, wenn zwei Regenschauer sich vereinen. Die Wassertropfen flachen durch den Luftwiderstand umso mehr ab, je größer sie sind und brechen somit das Licht in leicht unterschiedliche Richtungen, was dazu führt, dass auch die sich je nach Wassertropfenform ergebenden Regenbögen leicht deformiert erscheinen und somit einen Zwillingsregenbogen bilden können.
Interferenz, Tropfengröße und Polarisation
Interferenzbögen
Beim Austritt des Lichtes aus den Tropfen fallen nicht nur Strahlen unterschiedlicher Farbe zusammen, wobei durch additive Mischung die Farbreinheit des Regenbogens geschwächt wird. Es fallen auch Strahlen derselben Wellenlänge zusammen, die durch unterschiedlich lange Laufwege im Tropfen gegenseitig phasenverschoben sind. Bei ihrer Überlagerung findet Interferenz statt, sie löschen sich gegenseitig aus oder verstärken sich. Die für Interferenzerscheinungen typischen Muster begleiten vor allem den Hauptregenbogen an dessen blauer Seite als helle gegenüber dunklen abgesetzte Streifen, die als Interferenz- oder überzählige Bögen bezeichnet werden.
Der Unterschied zwischen den Laufwegen ist eine Funktion der Tropfengröße. Überzählige Regenbögen treten erst bei Regentropfen in Erscheinung, deren Durchmesser kleiner als ein halber Millimeter ist.
Einfluss der Tropfengröße und der Tropfenform
Die Tropfengröße und die Tropfenform haben generell Einfluss auf die farbliche Erscheinung des Regenbogens.
Häufig sind die Enden des Bogens besonders hell. Dieser Effekt wird ebenfalls durch Interferenz verursacht, die außer von der Tropfengröße auch von Abweichungen von der Kugelform abhängt. Generell lässt sich feststellen, dass große Tropfen mit Durchmessern von mehreren Millimetern besonders helle Regenbögen mit wohldefinierten Farben erzeugen. Bei Größen von weniger als 1,5 mm wird zunächst die Rotfärbung immer schwächer. Sehr kleine Tropfen, wie beispielsweise in Nebelschwaden, in denen der Durchmesser oft nur etwa ein Hundertstel Millimeter beträgt, liefern nur noch verwaschene Farben.
Polarisation
Das von einem Regenbogen reflektierte Licht hat einen sehr hohen Polarisationsgrad. Mit Hilfe eines Polarisationsfilters kann ein Regenbogen, je nach Drehwinkel des Filters vor dem Beobachterauge oder der Kamera, entweder weitgehend gelöscht oder im Kontrast gesteigert werden.
Andere dispersionsbedingte Himmelserscheinungen
Der optische Effekt der Dispersion des Sonnenlichts lässt sich auch bei anderen optischen Phänomenen als dem Regenbogen beobachten. Bekannt sind vor allem die Haloerscheinungen.
Ein 22°-Halo bildet einen kreisrunden Kranz um die Sonne, ein Regenbogen jedoch meist nur einen Bogen mit der Sonne im Rücken. Besondere Haloerscheinungen sind:
Zirkumzenitalbögen bilden nur sehr kleine Ausschnitte aus einem konkaven, also nach oben gewölbten Bogen.
Zirkumhorizontalbögen entstehen, wenn die Sonne in einem Winkel von mindestens 57,8° über dem Horizont steht und sich in sehr hoch schwebenden sechseckigen Eiskristallen bricht.
Nebensonnen sind ein weiteres Halophänomen, sie stehen neben der Sonne waagerecht vom Beobachter aus. Sie sind klein und haben keine Bogenform.
Einige Erscheinungen sind anders als beim Regenbogen durch Beugung des Sonnenlichtes verursacht.
Glorien treten meist nur auf, wenn man von oben auf eine Wolke blickt. Sie sind vergleichsweise klein und kreisförmig, sind definitionsgemäß keine Regenbögen, die in diesem Falle viel größer und geschlossen wären.
Irisierende Wolken besitzen zwar mitunter die Farbgebung eines Regenbogens, bilden jedoch keinen Bogen.
Vorkommen
Natürliche Regenbögen entstehen meist dann, wenn nach einem Regenschauer der Himmel schnell aufklart und die tief stehende Sonne das abziehende Niederschlagsgebiet beleuchtet. In gemäßigten Klimazonen mit einer westlichen Vorzugswindrichtung wie in Mitteleuropa sind diese Bedingungen häufig am späten Nachmittag im Anschluss an ein Wärmegewitter erfüllt. Zu diesen kommt es meist bei Kaltfrontaufzügen, wobei am Vormittag im Mittel weniger Regen fällt als am Nachmittag, was dann auch zur höheren Wahrscheinlichkeit führt, auf einen Regenbogen zu treffen.
Im Sommer ist um die Mittagszeit herum kein Regenbogen zu beobachten, da die Sonne hierfür zu hoch steht. Im Winter besteht aber auch zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, einen flachen Regenbogen zu erkennen. Unabhängig davon kann ein Regenbogen recht häufig in einem Sprühnebel beobachtet werden, vor allem bei Springbrunnen, Sprinklern und Wasserfällen. Da solche Regenbögen nicht auf ein Niederschlagsereignis angewiesen sind, beobachtet man sie viel einfacher und häufiger. Bei entsprechendem Sonnenstand ist die Beobachtung von Regenbogenfragmenten auch in der Gischt von größeren Wellen möglich.
Bei Wetter ohne bewölkten Himmel mit strahlendem Sonnenlicht kann der „Regenbogen“ so selbst erzeugt werden. Ein solcher künstlicher Regenbogen beruht auf den gleichen beschriebenen physikalischen Prinzipien. Der einzige Unterschied mag die Größe der Reflexionsfläche sein. Um den Scheitelpunkt des Regenbogens zu finden, muss man dabei seinen Blick in Richtung des eigenen Schattens richten.
Entfernung und Ort des Regenbogens
Der Regenbogen ist ein vielfaches Spiegelbild der Sonne, erzeugt von einem aus einer Unzahl von Wassertropfen bestehenden Spiegel. Diese Tatsache ist aber nicht „sonnenklar“, da das Original Sonne nicht wirklichkeitsnahe als kleine Scheibe (Sichtwinkel ≈ ½° für ihren Durchmesser), sondern als relativ großer Ring (Hauptregenbogen: Sichtwinkel ≈ 42° für seinen Durchmesser) abgebildet wird. Deshalb fragen wir uns, in welcher Distanz sich der Regenbogen vor dem landschaftlichen Hintergrund befindet, und wundern uns, dass er mit uns zur Seite „mitläuft“ und sich vor dem Hintergrund bewegt. Ein gleichzeitiger Blick in einen üblichen ebenen Spiegel (z. B. eine breite Fensterfront) kann das Wunder erklären: Der Regenbogen ist gleich riesig weit von uns entfernt wie die Sonne (er bzw. das Bild der Sonne in einem ebenen Spiegel sind dem Hintergrund überlagert, denn der Tropfen-Spiegel bzw. die Fensterscheibe sind halbdurchlässig), und er ist immer in gleicher Himmelsrichtung zu sehen (egal welchen Ort wir quer zum Regenbogen bzw. zur aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung scheinenden Sonne einnehmen).
Von den Wassertropfen wird ein Sonnenstrahl nicht nur gebrochen, sondern auch reflektiert (an der Rückseite). Die zu uns kommenden Strahlen sind nicht untereinander parallel, denn sie stammen aus denjenigen Tropfen, die mit dem Sonnengegenpunkt den Regenbogenwinkel bilden. Somit sehen wir die Sonne nicht als kleine Scheibe, sondern als ziemlich großen, aber schmalen Ring. Dieser ist in nochmals schmälere, verschiedenfarbige Ringe unterteilt, weil die Farbanteile des Sonnenlicht beim Eintritt in die und beim Austritt aus den Tropfen unterschiedlich gebrochen werden.
Chronologie der physikalischen Erklärung
Der Regenbogen beflügelt nicht nur die Fantasie des Menschen, verschiedene Erklärungsversuche haben auch den Erkenntnisprozess in der Physik und dort speziell in der Optik wesentlich vorangetrieben.
Die oben angeführte physikalische Erklärung des Regenbogens beruht in ihrem grundlegenden strahlenoptischen Teil auf 1637 veröffentlichten Arbeiten von René Descartes. Sie sind unter der Überschrift DE L’ARC-EN-CIEL im Anhang Les Météores seiner philosophischen Schrift Discours de la méthode beschrieben. Er griff darin die bereits um 1300 von Dietrich von Freiberg in seinem Werk De iride et de radialibus impressionibus entwickelte Idee auf, wonach ein Regenbogen durch die Brechung und Reflexion von Sonnenstrahlen innerhalb einzelner Tröpfchen erklärt werden kann. Seine „mysteriöse“ Erklärung der Regenbogenfarben war unzutreffend. Er wandte das kurz vorher von Willebrord Snell entdeckte Brechungsgesetz an, ohne die Dispersion (die wellenlängenabhängige Brechung des Lichts) zu kennen.
Aus dem Jahre 1700 stammt eine den Regenbogen betreffende Arbeit von Edmond Halley, und 1704 brachte Isaac Newtons Theorie des Lichtes die Dispersion ins Spiel und machte so die Farbenpracht verständlich.
War es zu Newtons Zeiten noch Thema kontroverser Diskussionen, ob Licht nun korpuskularen oder wellenartigen Charakter besitze, so war auch hier der Regenbogen ein wichtiger Ideengeber. Das Rätsel der überzähligen Bögen veranlasste 1801 Thomas Young zur Durchführung seines berühmten Doppelspaltexperimentes. Er wies damit die Wellennatur des Lichtes nach und konnte anschließend das Rätsel durch die Betrachtung von Interferenzerscheinungen lösen (1804).
Youngs Theorie wurde 1849 von George Biddell Airy weiter verfeinert. Er erklärte die Abhängigkeit des exakten Farbverlaufs von der Tröpfchengröße. Die eigens entwickelten mathematischen Verfahren spielen im Rahmen der WKB-Näherung noch heute eine wichtige Rolle für die moderne Quantenmechanik.
Moderne physikalische Beschreibungen des Regenbogens und ähnlich gearteter Probleme basieren im Wesentlichen auf der von Gustav Mie 1908 entwickelten und als Mie-Streuung nach ihm benannten Theorie.
Im Schulunterricht kann seit den 1980er Jahren zur Veranschaulichung des Regenbogens und der Auswirkung der Beobachtungssposition ein Glasperlenbogen verwendet werden, bei dem auf einer schwarzen Oberfläche aufgebrachtes Glasperlen-Strahlmittel die Lichtbrechung übernimmt.
Anwendung in der optischen Messtechnik
Der Regenbogenwinkel hängt – wie oben beschrieben – bei kugeligen Flüssigkeitströpfchen nicht von der Tropfengröße ab, sondern lediglich vom Brechungsindex. Diese wiederum ist bei einer bestimmten Wellenlänge eine temperaturabhängige Materialkonstante der tropfenbildenden Flüssigkeit. Deshalb kann durch Messung des Regenbogenwinkels, unter dem monochromatische Laserstrahlung von einem Nebel reflektiert wird, die Temperaturverteilung innerhalb des Nebels berührungslos bestimmt werden, falls – wie in technischen Anlagen meist der Fall – bekannt ist, welche Flüssigkeit den Nebel bildet.
Kulturelle Bedeutungen
Als ein nicht alltägliches und beeindruckendes Naturschauspiel haben Regenbögen ihre Spuren in der Kulturgeschichte der Menschheit hinterlassen und sind zudem ein in unzähligen Kunstwerken dargestelltes Bildmotiv. Da der Regenbogen weltweit bekannt und mit zahlreichen positiven Attributen versehen ist, hat er auch immer wieder Einzug in die Symbolik gehalten.
Religion und Mythologie
Der Regenbogen ist von jeher ein wichtiges Element zahlreicher Mythologien und Religionen über alle Kulturen und Kontinente hinweg. Die Mythen sprechen ihm dabei oft die Rolle eines Mittlers oder einer Brücke zwischen Götter- und Menschenwelt zu. Mythologien ohne Regenbogen sind selten. Der Regenbogen als Mythos findet sich auch in den Erzählungen relativ isolierter Kulturen; daraus lässt sich schließen, dass dieser Mythos auf der Erde an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten eigenständig erdacht und überliefert worden ist. Es geht nicht allein auf den Verkehr und den Austausch unter den großen Kulturen der Menschheit zurück, wenn der Regenbogen-Mythos heute überall auf der Erde aufgefunden werden kann.
Die australischen Ureinwohner, die Aborigines, verehren in ihrer Schöpfungsgeschichte eine Regenbogenschlange als den Schöpfer der Welt und aller Lebewesen.
Die griechische Mythologie sah ihn als Verbindungsweg, auf dem die Göttin Iris zwischen Himmel und Erde reist.
Nach der irischen Mythologie hat der Leprechaun seinen Goldschatz am Ende des Regenbogens vergraben. Vergleichbar ist die osttimoresische Legende um einen Kussi, einen steinernen Krug, voller Gold und Edelsteine. Der Ursprung dieser Goldschatz-Legenden hat einen archäologischen Hintergrund. Was heute Sondengänger freilegen, erledigte in früheren Jahrhunderten das Wetter. Folgt auf einen starken Regen Sonnenschein, glitzern vom Regenwasser aus dem Acker freigespülte historische Goldmünzen oder goldene Gegenstände auffällig im dunklen Boden. Dies gilt besonders, wenn die Sonne hinter dem Betrachter steht. Da diese Konstellation das Auge auch den von den Wassertropfen in der Luft reflektierten Regenbogen sehen lässt, schien für einen Bauern, der nach dem Regenguss seine Arbeit fortführte, der Goldfund auf dem nassen, dunklen Ackerboden vor ihm unter dem Regenbogen zu funkeln und aus diesem gefallen zu sein. Erzählungen über einen dem Regenbogen zu verdankenden Goldfund gab es wohl ebenso häufig wie heutige Sensationsmeldungen über Goldfunde. Eine schüsselartig geformte keltische Münze, die wegen ihrer halbkugeligen Form das Licht zum Betrachter reflektiert, trägt daher sogar den Namen Regenbogenschüsselchen.
In der germanischen Mythologie war der Regenbogen die Brücke Bifröst, die Midgard, die Welt der Menschen, und Asgard, den Sitz der Götter, miteinander verband. Während des Ragnarök, des Weltuntergangs der nordischen Mythologie, wird der Regenbogen zerstört. Regenbogen tauchen auch in der Schöpfungsgeschichte der Diné auf. Bei den Inka vertrat der Regenbogen die Erhabenheit der Sonne. Bei den Hawaiianern ist er der Sitz des höchsten Gottes Kāne.
Babylonien
In der babylonischen Schöpfungsgeschichte Enuma Elisch („Als oben …“, im Folgenden Ee) wird davon erzählt, dass der Schöpfergott Marduk das Leben auf der Erde ermöglichte, indem er die Urflut, die Göttin Tiamat, tötete. Dieser Kampf geschah mit einem Bogen (Ee IV,35–40). Um das dauerhafte Bestehen der Schöpfung zu gewährleisten, nahm der höchste Gott, der Himmelsgott Anu, den Bogen Marduks und setzte ihn als „Bogenstern“ an den Himmel. Im babylonischen Mythos wird der Bogen vergöttlicht: Er darf in der Versammlung der Götter Platz nehmen und wird ewig erfolgreich sein (Ee VI,87–94). Der Bogen am Himmel ist in der altorientalischen Vorstellungswelt also ein kriegerisches Symbol für die göttliche Macht, Störungen auf der Erde zu bekämpfen und zu besiegen und so das Leben zu sichern. Assyrisches Rollsiegel: Eine Gottheit bekämpft mit dem Bogenstern eine dämonische Macht (1. Jahrtausend v. Chr.).
Judentum und Altes Testament
Im Tanach ist der Regenbogen ein Zeichen des Bundes, den Gott mit Noach und den Menschen schloss. Laut biblischer Erzählung versprach Gott nach dem Ende der Sintflut: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen, denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Der Regenbogen als Zeichen des Friedens zwischen Mensch und Gott nimmt damit eine altorientalische Tradition auf, nach der das Phänomen als abgesenkter, also nicht schussbereiter Bogen Gottes interpretiert wurde. Aufgrund dieser Stelle ist der Regenbogen im Judentum bis heute ein wichtiges religiöses Symbol.
Christentum und Neues Testament
Die Erzählung Gen 9 bleibt auch im Christentum von besonderer Bedeutung; in der evangelischen Perikopenordnung ist sie am 20. Sonntag nach Trinitatis Lesungstext.
Zudem wird auch ein anderer Traditionsstrang wichtig. In Ezechiel 1 sieht der Prophet einen gewaltigen Thronwagen. Oben auf dem Thron ist ein heller Schein .
Im griechisch verfassten Neuen Testament kommt der Regenbogen nur ein einziges Mal vor. In der Offenbarung des Johannes erscheint ein Engel mit einem Buch vom Himmel herab, er ist in eine Wolke gehüllt und über seinem Kopf ist ein Regenbogen. Dieses Bild basiert auf Ezechiel 1,28. Das griechische Wort für diese Erscheinung heißt „iris“, und hier wird deutlich, dass die antike Vorstellung des Kriegsbogens vergessen ist. Wichtig an der Erscheinung ist die schillernde Farbenpracht, die Himmel und Erde verbindet. Das griechische Wort bezeichnet neben dem Regenbogen auch ganz allgemein einen farbigen Ring (oder Halbring). In steht in vielen deutschen Übersetzungen zwar Regenbogen, aber hier heißt es ausdrücklich, dass es sich um einen grünlich schimmernden Lichtkranz handelt – also einen Heiligenschein, der Gottes Gegenwart anzeigt. In der folgenden christlichen Tradition lebt das Symbol auf Ikonen und in der mittelalterlichen Malerei und Bildhauerei. Auf Altären und auf den Darstellungen des Jüngsten Gerichts über dem Eingangsportal einer Kirche wird Christus manchmal als der auf (oder in) einem Regenbogen sitzende Richter dargestellt werden – eine freie Aufnahme der Stellen in der Offenbarung vermischt mit Ezechiel. Der Regenbogen symbolisiert hier die Göttlichkeit Christi. Seit dem 12. Jahrhundert wird auch Maria in einem Regenbogen oder auf einem Regenbogen sitzend dargestellt und dadurch ihre Heiligkeit zum Ausdruck gebracht.
In erscheint der Regenbogen mit „seinem Glanz“ als prächtiger Ausdruck der Schöpfung und als Grund, Gott als Schöpfer zu preisen.
Bildende Kunst
Der Regenbogen ist nicht allein ein Motiv in Gemälden von Landschaftsmalern, beispielsweise im 19. Jahrhundert sowohl klassizistischer wie Joseph Anton Koch als auch romantischer wie Caspar David Friedrich. Die mit einem Regenbogen verbundenen Naturphänomene, etwa Alexanders dunkles Band (siehe oben), sind in der Naturfotografie ebenfalls ein beliebtes Bildmotiv.
Musik
Auch in der Musik wird oft auf den Regenbogen Bezug genommen. So besingt Judy Garland 1939 in dem Pop-Lied Over the Rainbow eine Gegend „irgendwo über dem Regenbogen“, wo „Träume wahr werden“. Dieses Lied von Harold Arlen und E. Y. Harburg wurde 1994 als Coverversion von Marusha zu einer Techno-Hymne. Zum gleichen Genre zählt auch Rainbow To The Stars von Dune.
Der französische Komponist Olivier Messiaen, ein Synästhetiker, komponierte in seinem 1944 entstandenen „Quartett auf das Ende der Zeit“ (Quatuor pour la fin du temps) einen Satz mit dem Titel „Wirbel der Regenbögen für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet“ (Fouillis d’arcs-en-ciel, pour l’Ange qui annonce la fin du temps). György Ligeti überschrieb 1985 eine seiner Etüden für Klavier mit Arc-en-ciel („Regenbogen“).
Die Rock-Band The Rolling Stones schilderte 1967 in ihrem Song She’s a Rainbow („Sie ist ein Regenbogen“) diverse Drogenerfahrungen und bediente sich dabei der Farbenpracht des Regenbogens als Metapher für die Weiblichkeit.
Die deutsche Hardrock-Band Scorpions nannte ihr zweites Studioalbum von 1974 Fly to the Rainbow, worauf sich am Ende das gleichnamige Stück befindet.
Rainbow war eine Hardrock-Band, die 1975 vom Gitarristen Ritchie Blackmore gegründet wurde. Das Debütalbum der Gruppe, Ritchie Blackmore’s Rainbow, enthält den Song Catch the Rainbow von Blackmore und dem Sänger der Band Ronnie James Dio.
Bezugnehmend auf den sprichwörtlichen Topf mit Gold am Ende des Regenbogens heißt es in dem Lied All of my Heart (1982) der Pop-Band ABC: „No I won’t be told there’s a crock of gold at the end of the rainbow.“
Im Bereich des Metal ist der Song At the End of the Rainbow der schwedischen Band Hammerfall zu nennen, wo man am „Ende des Regenbogens mit Gold in den Händen“ stehen will (auf ihrem 1998 erschienenen Studioalbum Legacy of Kings). Und die deutsche Band Axxis singt Touch the Rainbow (auf ihrem 1990 erschienenen Studio-Album Axxis II).
Heraldik
In der Heraldik kann ein Abbild eines Regenbogens eine gemeine Figur oder auch ein Heroldsbild sein. Die Darstellung im Wappen mit der Berührung der Schildränder macht ihn zum Heroldsbild. In den meisten Wappen wird er als solches gestaltet.
Rezeption
Am 7. Februar 2019 gab die Deutsche Post AG in der Serie Himmelsereignisse ein Postwertzeichen im Nennwert von 70 Eurocent mit der Bezeichnung Regenbogenfragment heraus. Der Entwurf stammt von Bettina Walter.
Weitere symbolische Verwendungen
In der New-Age-Bewegung erschien der Regenbogen als Logo für deren Buchreihe „New Age, Modelle für morgen“. Er ziert seitdem zahlreiche esoterische Publikationen und Produkte, in denen er aber seine Symbolik verloren hat, und lediglich zur Erzeugung positiver Gefühle, Harmonie und Ganzheit dient.
Teile der Hamburger Grün-Alternativen Liste, die nach der Bielefelder Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Anfang 1999 aus der Partei ausgetreten waren, nannten sich in der Folgezeit Regenbogen – Für eine neue Linke. Ihre Abgeordneten im Landesparlament, der Bürgerschaft, wurden als Regenbogenfraktion bezeichnet.
Andere Sprach-Kombinationen mit Regenbogen sind z. B. Regenbogenpresse und Regenbogenforelle. Ein baden-württembergischer privater Radiosender nennt sich Radio Regenbogen. Auch der Name der Hilfsorganisation AIDA e.V. setzt sich aus den jeweiligen Anfangsbuchstaben aus dem portugiesischen Arco Iris do Amor (zu Deutsch: Regenbogen der Liebe) zusammen.
In Anlehnung an eine indianische Prophezeiung, der zufolge nach der Verwüstung der Erde Krieger des Regenbogens („Menschen vieler Farben, Klassen und Glaubensrichtungen“) die Welt bevölkern werden, erkor Greenpeace den Regenbogen zu seinem Erkennungszeichen und taufte sein Flaggschiff auf den Namen Rainbow Warrior.
RegenbogenfahnenDie Regenbogenfahne ist ein in der Geschichte vielfach und in verschiedenem Sinne verwendetes Symbol:
Sie war die Flagge der alten südamerikanischen Hochkultur der Inkas.
Während der Bauernkriege symbolisierte sie den Anspruch auf eine Wiederherstellung des Bundes mit Gott, entsprechend der christlichen Begründung ihrer Forderungen sowohl in den Zwölf Artikeln wie auch bei Thomas Müntzer.
„World Peace Flag“ wurde 1913 offizielle Fahne des Weltfriedenskongresses.
Homosexuelle des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts sehen die von Gilbert Baker 1977 entworfene Regenbogenfahne mit sechs Farben als Zeichen für Toleranz und sexuelle Freiheit. Sie wird neben anderen Pride-Flaggen (siehe LGBT-Symbole) auch als häufigstes Symbol der LGBT-Community verwendet.
Bei den Demonstrationen gegen den Irak-Krieg 2003 führte die italienische Friedensbewegung eine Regenbogenfahne mit sieben Farben mit dem Aufdruck Pace, italienisch für Frieden, ein. Die Reihenfolge der Farben ist zu der der LGBT-Regenbogenfahne umgekehrt (oben Rot, unten Violett). Sie dient auch der internationalen Friedensbewegung als Symbol.
Die offizielle Flagge des Jüdischen Autonomen Gebiets in Russland zeigt vor weißem Hintergrund einen ebenfalls siebenfarbigen Regenbogen. Die Farbreihenfolge ist gegenüber der italienischen Friedensfahne wiederum umgekehrt und entspricht damit der Farbfolge im natürlichen Haupt-Regenbogen.
Literatur
Marcel G. Minnaert: Licht und Farbe in der Natur. Birkhäuser, Basel 1992, ISBN 3-7643-2496-1.
Herch Moysés Nussenzveig: The theory of the rainbow. In: Scientific American. Vol. 236, No. 4, April 1977, S. 116–127.
Kristian Schlegel: Vom Regenbogen zum Polarlicht. Leuchterscheinungen in der Atmosphäre. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2001, ISBN 3-8274-1174-2.
Michael Vollmer: Lichtspiele in der Luft. Atmosphärische Optik für Einsteiger. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2005, ISBN 3-8274-1361-3.
Weblinks
Eugen Willerding: Zur Theorie des Regenbogens, der Glorie und Halos. (PDF; 2,7 MB).
Dietrich Zawischa: Über den Regenbogen. (PDF; 319 kB).
Siegfried Wetzel: Wie entsteht eine Regenbogen? Die Geschichte seiner Erklärung seit Descartes.
Zur Deutung der inneren Regenbögen. (PDF; 405 kB).
Rainbows. Optik und erklärende Bilder (englisch).
What are “all the colors of the rainbow”? Überzählige Regenbögen, Interferenzregenbögen (englisch).
Das Zeichen in den Wolken. Die bunte Geschichte eines farbigen Symbols.
. Simulationen von Regenbögen abhängig von Form und Größe der Wassertropfen (englisch).
Einzelnachweise
Photometeor
Himmelsbeobachtung
Regen
|
Q1052
| 183.542041 |
6023
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https://de.wikipedia.org/wiki/1972
|
1972
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Im Jahr 1972 verschiebt sich das Machtgefüge zwischen den Blöcken im Kalten Krieg: Die Volksrepublik China, die im Vorjahr in die UNO aufgenommen wurde, nähert sich durch Richard Nixons Besuch in China den USA an. Währenddessen normalisieren sich die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR durch das Transitabkommen und den Grundlagenvertrag.
Die Olympischen Sommerspiele in München werden von der Geiselnahme der israelischen Athleten überschattet.
Das Jahr 1972 war das längste Jahr des gregorianischen Kalenders. Es war als Schaltjahr um einen Tag und zwei Schaltsekunden länger als üblich.
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Internationale Beziehungen
Vor dem Hintergrund des chinesisch-sowjetischen Zerwürfnisses stattet Richard Nixon der VR China einen offiziellen Besuch ab.
Mit dem ABM-Vertrag zwischen den USA und der UdSSR wird der erste SALT-Vertrag zur Eindämmung des nuklearen Wettrüstens geschlossen.
USA
Die Watergate-Affäre und Proteste gegen den Vietnamkrieg bestimmen die amerikanische Innenpolitik.
Bundesrepublik Deutschland und DDR
Bundesrepublik und DDR schließen zwei entscheidende Abkommen, um ihre Beziehungen zu normalisieren: das Transitabkommen und den Grundlagenvertrag. Es sind die beiden wichtigsten Verträge der Neuen Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt.
Schwerin überschreitet die 100.000-Einwohner-Grenze und wird damit zur Großstadt.
Nordirland
Am 30. Januar werden in der nordirischen Stadt Derry bei einer Demonstration für Bürgerrechte und gegen die Internment-Politik der britischen Regierung 13 unbewaffnete Zivilisten von britischen Fallschirmjägern erschossen und 13 weitere angeschossen (von denen einer an den Spätfolgen stirbt). Dieser später als Bloody Sunday bezeichnete Tag führt zur Eskalation des Nordirlandkonfliktes.
Japan
Die USA geben zum 15. Mai die Kontrolle über Ryūkyū- und Daitō-Inseln (Präfektur Okinawa) an Japan zurück.
Januar
1. Januar: Nello Celio wird Bundespräsident der Schweiz.
1. Januar: Der indonesische Präsident Hadji Mohamed Suharto erlässt eine Teil-Amnestie für die Putschisten von 1965.
1. Januar: Polen und die DDR führen den pass- und visafreien Grenzverkehr ein.
1. Januar: Kurt Waldheim wird Generalsekretär der Vereinten Nationen.
10. Januar: Scheich Mujibur Rahman verkündet in Dhaka die Loslösung des formell bereits unabhängigen Bangladeschs von West-Pakistan und übernimmt die Regierungsbildung.
15. Januar: Margrethe II. wird Königin von Dänemark.
17. Januar: Bangladesch erhält seine endgültige Staatsflagge.
18. Januar: Bahrain wird Mitglied in der UNESCO.
27. Januar: Katar wird Mitglied in der UNESCO.
28. Januar: Regierungschefs des Bundes und der Länder beschließen den so genannten Radikalenerlass
30. Januar: Nordirischer Blutsonntag
30. Januar: Pakistan tritt aus dem Commonwealth aus.
Februar
10. Februar: Oman wird Mitglied der UNESCO.
11. Februar: Ra’s al-Chaima tritt als siebtes und letztes Emirat der ehemaligen Trucial States den im Dezember 1971 entstandenen Vereinigten Arabischen Emiraten bei.
11. Februar: Der Deutsche Fernsehfunk wird in Fernsehen der DDR umbenannt.
15. Februar: In der Oslo-Konvention einigen sich zwölf europäische Atlantik-Anrainerstaaten auf Maßnahmen zur Verhütung weiterer Meeresverschmutzung.
19. Februar: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Singapur
22. Februar: Chalifa bin Hamad Al Thani übernimmt die Staats- und Regierungsgewalt in Katar.
23. Februar: Ein Lufthansa-Flugzeug wird nach Aden entführt; arabische Terroristen fordern ein Lösegeld von umgerechnet 16 Millionen D-Mark.
25. Februar: Die deutsche Bundesregierung beendet durch Zahlung eines Lösegeldes von fünf Millionen US-Dollar die Flugzeugentführung eines Jumbo-Jets durch arabische Terroristen nach Aden (Südjemen).
27. Februar: Die Regierung des Sudan und südsudanesische Rebellen unterzeichnen das Addis-Abeba-Abkommen, welches den ersten Bürgerkrieg im Südsudan beendet.
März
1. März: Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome erscheint
9. März: In der Abstimmung über das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft gibt es in der Volkskammer der DDR bis zur späteren Wende die ersten und einzigen Gegenstimmen. Neben 14 religiös motivierten Neinstimmen aus den Reihen der Ost-CDU werden noch acht Enthaltungen gezählt.
April
20. April: Die Vereinigten Arabischen Emirate werden Mitglied in der UNESCO
23. April: In einem Referendum in Frankreich stimmen 68,3 Prozent der Wähler der geplanten Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Beitritt des Vereinigten Königreichs, Irlands, Dänemarks und Norwegens – letzterer aber dann nicht realisiert) zu.
27. April: Ein Konstruktives Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt, das Rainer Barzel als Nachfolger vorschlägt, schlägt fehl.
29. April: Erste deutsche Schwulendemo in Münster
Mai
10. Mai: In einem Referendum in Irland stimmt eine Mehrheit für den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
20. Mai: Volksabstimmung zur Vereinigten Republik Kamerun
22. Mai: Ceylon gibt sich eine neue Verfassung und wird eine Republik unter dem Namen Sri Lanka
26. Mai: Richard Nixon und Leonid Breschnew unterzeichnen die SALT I Verträge.
30. Mai: Beim Massaker am Flughafen Lod töten japanische Terroristen 26 Menschen.
Juni
1. Juni: Irak (unter Ahmad Hasan al-Bakr) verstaatlicht die gesamte Erdölindustrie.
1. Juni: Andreas Baader und andere Mitglieder der Rote Armee Fraktion werden in Frankfurt am Main nach einer Schießerei verhaftet.
3. Juni: Das Transitabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten Bundesrepublik Deutschland und DDR tritt in Kraft.
5. Juni: Eröffnungstag der ersten Weltumweltkonferenz in Stockholm, wird seitdem alljährlich als Weltumwelttag gefeiert.
7. Juni: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Marokko
8. Juni: Ägypten. Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland
9. Juni: Der Bundestag beschließt die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 18 Jahre
15. Juni: Ulrike Meinhof und Gerhard Müller von der Rote Armee Fraktion werden in der Wohnung eines Lehrers bei Hannover verhaftet (siehe hier)
16. Juni: In Stockholm endet die erste Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen. Sie wird als Beginn einer internationalen Umweltpolitik angesehen.
17. Juni: Einbruch ins Watergate-Gebäude in Washington D.C., Auslöser der Watergate-Affäre
Juli
1. Juli In Bayern tritt das Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung in Kraft. Die Anzahl der Landkreise und kreisfreien Städte verringert sich dadurch von 143 auf 71; 23 von zuvor 48 kreisfreien Städten verlieren ihre Kreisfreiheit. In der Folge verringert sich bis 1978 noch die Anzahl der kreisangehörigen Gemeinden von 6962 auf 2031.
August
10. August: Über dem amerikanischen Bundesstaat Utah tritt der Meteorit US19720810 in die Erdatmosphäre ein, nähert sich der Erde bis auf minimal 53 Kilometer und verlässt die Erdatmosphäre nach etwa 1 ½ Minuten wieder. Der als leuchtender „Feuerball“ sichtbare Himmelskörper ist das erste, eindeutig dokumentierte Ereignis dieser Art.
16. August: In Rabat putschen Offiziere gegen König Hassan II. und rufen die Republik Marokko aus. Der Aufstand scheitert, Innenminister Mohammed Oufkir begeht nach offizieller Darstellung Suizid.
September
5. September: München. Geiselnahme von München: Acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ nehmen elf Athleten des Israelischen Olympia-Teams als Geiseln und fordern die Freilassung von 232 Palästinensern. Die Geiselnahme endet mit einer gescheiterten Geiselbefreiung auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck, bei der alle Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist sterben.
14. September: Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen
20. September: Willy Brandt stellt im Bundestag die Vertrauensfrage, die von diesem abschlägig beantwortet wird: Es finden vorgezogene Neuwahlen statt.
20. September: Die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln im österreichischen Bundesland Kärnten fördert den Ortstafelstreit. Noch in der Nacht setzt der Ortstafelsturm ein.
25. September: Die Norweger lehnen mit 54 % bei der Volksabstimmung den Beitritt zur EWG ab.
Oktober
2. Oktober: Bei einer Volksabstimmung in Dänemark stimmt eine Mehrheit von 63,3 Prozent für den EWG-Beitritt des Landes.
5. Oktober: Die Partei „Front National“ wird im Salle des Horticulteurs in Paris gegründet.
7. Oktober: Der erste Uganda-Tansania-Krieg endet nach somalischer Vermittlung mit einem Waffenstillstand.
10. Oktober: Watergate-Affäre: FBI-Agenten teilen mit, dass der Einbruch ins Hauptquartier der Demokraten Teil einer politischen Sabotageaktion des Weißen Hauses sei
27. Oktober: Bangladesch wird Mitglied in der UNESCO
29. Oktober: Das Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz wird eingeweiht
November
7. November: Richard Nixon besiegt George McGovern in den US-Präsidentschaftswahlen mit großem Stimmenvorsprung
Am 14. November wird Johannes-Leo Hoffmann (1941–1972) als erste Person bei einem Fluchtversuch aus der DDR über die innerdeutsche Grenze in Richtung Bundesrepublik durch eine von der DDR dort installierte Selbstschussanlage getötet.
19. November: Die erste vorgezogene Bundestagswahl der Bundesrepublik findet statt; die SPD unter Willy Brandt erhält erstmals mehr Wählerstimmen als die CDU mit Kanzlerkandidat Rainer Barzel; Brandt bleibt Bundeskanzler (Kabinett Brandt II).
24. November: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien
Dezember
14. Dezember: Willy Brandt wird vom Deutschen Bundestag ein zweites Mal zum Bundeskanzler gewählt.
18. Dezember: Abkommen über gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Schweden
18. Dezember: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen
21. Dezember: Unterzeichnung des Grundlagenvertrags zwischen der DDR und der Bundesrepublik
28. Dezember: Die sterblichen Überreste von Martin Bormann werden in Berlin identifiziert
31. Dezember: Portugal tritt aus der UNESCO aus
Tag unbekannt
Kim Il-sung wird Präsident Nordkoreas
Wissenschaft und Technik
29. Januar: Das Kernkraftwerk Stade geht ans Netz.
4. Februar: Die Raumsonde Mariner 9 sendet Bilder vom Mars.
3. März: Start der Raumsonde Pioneer 10
16. April: Start der Apollo-16-Mission
30. Juni Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig fügt erstmals in Deutschland nach 23:59:59 eine Schaltsekunde ein.
1. August: Das mit 100 m Durchmesser bis dahin größte frei bewegliche Radioteleskop der Welt wird bei Effelsberg in Betrieb genommen.
18. August: Die Universität Málaga nimmt ihren Lehrbetrieb auf.
30. September: Die Ölandsbron wird in Schweden eröffnet, eine der längsten europäischen Brücken.
7. Dezember: Start der Apollo-17-Mission, der letzten Mond-Mission
14. Dezember: Eugene Andrew Cernan verlässt als vorläufig letzter Mensch den Mond.
Die Magnavox Odyssey, die erste Spielkonsole, kommt auf den Markt.
Magirus-Deutz baut das erste Feuerwehrfahrzeug der Welt, das sowohl schienen- als auch straßentauglich ist. Es wurde z. B. von der Frankfurter Feuerwehr für Einsätze in U-Bahn-Tunneln beschafft.
Das Sozialexperiment Abecedarian Early Intervention Project beginnt in North Carolina, USA.
Kultur
28. Januar: Uraufführung der Oper Treemonisha von Scott Joplin in Atlanta, Georgia
9. Februar: Wings spielen ihr erstes Konzert (Universität Nottingham)
10. März: Der US-amerikanische Science-Fiction-Film Lautlos im Weltraum kommt in die amerikanischen Kinos.
13. April: Mit der Nummer 17/72 erscheint die erste Ausgabe des Comicmagazins Zack.
16. April: Uraufführung der Oper Noch einen Löffel Gift, Liebling von Siegfried Matthus an der Komischen Oper Berlin
21. Mai: Ein verwirrter Mann beschädigt in einem Akt von Vandalismus Michelangelos Pietà im Petersdom. Der Täter schlägt mit einem Hammer auf die Skulptur ein.
27. Mai: Die erste Folge von Star Trek (Raumschiff Enterprise) wird im Deutschen Fernsehen gezeigt.
Die Documenta 5 – Weltausstellung der Kunst findet vom 30. Juni bis 8. Oktober in Kassel statt,
7. August: Eröffnung der Universität-Gesamthochschule Duisburg
23. Oktober: Uraufführung der Oper Elisabeth Tudor von Wolfgang Fortner in Berlin
13. Dezember: Radio Bremen zeigt im Deutschen Fernsehen die erste Folge der für jüngeres Publikum gedachten Musikshow Musikladen.
Gründung der Universität Tromsø
Gründung der Universität-Gesamthochschule Duisburg
Gründung der Universität-Gesamthochschule Essen
Gründung des Musée alsacien de Haguenau
Musik
Siehe auch: :Kategorie:Musik 1972
Vicky Leandros gewinnt am 25. März in Edinburgh mit dem Lied Après toi für Luxemburg die 17. Auflage des Eurovision Song Contest
Am 29. März nehmen die vier Künstler Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad zusammen als „Björn und Benny, Agnetha und Anni-Frid“ ihre erste Single People Need Love auf; ab 1974 sollte die Band unter dem Namen ABBA weltweit bekannt werden
In Ost-Berlin wird die ostdeutsche Rockgruppe City gegründet
Die amerikanische Rockband Creedence Clearwater Revival trennt sich nach nur 5 Jahren
Die US-amerikanische Hard-Rock-Band Van Halen wird gegründet
Gesellschaft
4. Januar: Die Richterin Rose Heilbron wird als erste Frau am Londoner Strafgerichtshof Old Bailey eingesetzt.
16. Januar: Das bundesdeutsche Bundesinnenministerium verfügt, dass der Gebrauch der Bezeichnung „Fräulein“ in Bundesbehörden zu unterlassen sei. Für jede weibliche Erwachsene ist die Anrede „Frau“ zu verwenden.
Religion
15. August: Das Motu proprio „Ministeria quaedam“ von Papst Paul VI. wird veröffentlicht. In ihm werden sämtliche Weiheämter neu geregelt, unter anderem wird das seit dem 3. Jahrhundert bestehende Subdiakonat der römisch-katholischen Kirche gestrichen.
23. September: In der Schweiz wird die Synode 72 eröffnet. Die römisch-katholischen Bischöfe wollen die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in einer Reihe von Veranstaltungen mit Betroffenen und interessierten Laien umsetzen.
30. November: Papst Paul VI. genehmigt mit der Apostolischen Konstitution Sacram Unctionem Infirmorum den ab 1. Januar 1974 anzuwendenden, modifizierten Ritus der Krankensalbung, bekannt als Letzte Ölung.
Wirtschaft
1. Februar: Die Firma Hewlett-Packard bringt mit dem HP-35 den ersten wissenschaftlichen Taschenrechner auf den Markt.
1. März: Die U-Bahn Nürnberg nimmt den Betrieb auf dem ersten Abschnitt zwischen Langwasser Süd und Bauernfeindstraße auf.
20. März: Der Internationale Flughafen der Seychellen wird von der britischen Königin Elisabeth II. eröffnet.
10. April: In Basel einigen sich sechs Länder der Europäischen Gemeinschaft auf den Europäischen Wechselkursverbund. Das multilaterale Interventionssystem hat stabile Wechselkurse der Währungen der Teilnehmerländer zum Ziel. Ihre Bindung an den US-Dollar hat die Zentralbanken zu unerwünschten Aktionen am Devisenmarkt gezwungen.
27. Juni: Gründung der Bayerischen Landesbank.
27. Juni: Nolan Bushnell und Ted Dabney gründen in Kalifornien den Automatenhersteller und späteren Videospielproduzenten Atari.
1. August: Die Bauer-Verlagsgruppe bringt die deutsche Ausgabe des Männermagazins Playboy auf den Markt.
Fünf ehemalige Mitarbeiter von IBM (Claus Wellenreuther, Hans-Werner Hector, Klaus Tschira, Dietmar Hopp und Hasso Plattner) gründen das Unternehmen Systemanalyse und Programmentwicklung – die heutige SAP AG – in Weinheim
Das Mineralöl-Handelsunternehmen Adolf Präg eröffnet in Lagerlechfeld bei Augsburg unter der Marke Texaco die erste Selbstbedienungs-Tankstelle Europas
Sport
Einträge von Leichtathletik-Weltrekorden siehe unter der jeweiligen Disziplin unter Leichtathletik.
Ingolf Mork aus Norwegen gewinnt die Vierschanzentournee 1971/1972
15. Januar: Joe Frazier gewann seinen Boxkampf und Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Terry Daniels im Rivergate Auditorium, New Orleans, USA, durch technischen KO
23. Januar bis 8. Oktober: Austragung der 23. Formel-1-Weltmeisterschaft
3. bis 13. Februar: XI. Olympischen Winterspiele in Sapporo (Japan)
25. Mai: Joe Frazier gewann seinen Boxkampf und Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Ron Stander im Civic Auditorium, Omaha, Nebraska, USA, durch technischen KO
10. August: Gründung des Eishockeyvereins Kölner Haie
26. August bis 11. September: XX. Olympische Sommerspiele in München
1. September: Bobby Fischer wird durch den Sieg über Boris Spasski im sogenannten Match des Jahrhunderts elfter Schachweltmeister
3. September: Am Goldenen Sonntag siegen bei den Olympischen Spielen in München Klaus Wolfermann im Speerwurf, Hildegard Falck im 800-Meter-Lauf und Bernd Kannenberg im 50-km-Gehen.
10. September: Emerson Fittipaldi wird Formel-1-Weltmeister
11. September: Die Spiele der XX. Olympiade gehen in München einen Tag später als geplant mit der Schlussfeier zu Ende. Die Anwesenden erheben sich bei der Veranstaltung, um der Opfer beim Olympia-Attentat auf israelische Athleten zu gedenken.
21. Dezember: Klaus Wolfermann, Heide Rosendahl und die Hockeynationalmannschaft der Herren werden in Baden-Baden als Sportler des Jahres ausgezeichnet.
Die deutsche Nationalelf gewinnt die Fußball-Europameisterschaft in Belgien
Eddy Merckx gewinnt zum 4. Mal die Tour de France
FC Schalke 04 gewinnt den DFB-Pokal
FC Bayern München wird Deutscher Fußballmeister
Erstmaliges Stattfinden des Hermannslaufs
Der Eishockeyverein Atlanta Flames (heute Calgary Flames) wird gegründet
Katastrophen
7. Januar: Beim Landeanflug auf Ibiza stürzt eine Sud Aviation Caravelle der spanischen Fluggesellschaft Iberia ab. Es gibt 104 Tote.
26. Januar: Absturz Jugoslovenski-Aerotransport-Flug JU 367 JAT von Stockholm über Kopenhagen nach Zagreb und Belgrad über dem Dorf Srbská Kamenice (CSSR) endete bis auf die Stewardess Vesna Vulović für alle weiteren 26 Insassen tödlich.
3. Februar: Im Iran setzt ein Schneesturm ein, der bis zum 9. Februar mehrere tausend Menschen das Leben kostet.
26. Februar: Der Buffalo-Creek-Dammbruch in West Virginia, USA verursacht bis zu 125 Todesopfer.
14. März: Al Fujayrah, Vereinigte Arabische Emirate. Eine Caravelle der Sterling Airways Aerospatiale stürzt ab. Alle 112 Menschen an Bord sterben.
10./12. April: Erdbeben der Stärke 7,1 im südlichen Iran mit 5.054 Toten.
5. Mai: Palermo, Italien. Eine Douglas DC-8 der Alitalia prallt während des Landeanflugs gegen einen Berg. Alle 115 Personen an Bord sterben.
9. Juni: Der Damm des Canyon Lake in Rapid City (South Dakota) bricht und verursacht eine Flutwelle.
18. Juni: London, Großbritannien. Absturz einer Hawker Siddeley Trident der BEA kurz nach dem Start. Alle 118 Menschen an Bord sterben.
14. August: Königs Wusterhausen, DDR. Interflug-Flug 450/742: Absturz einer Iljuschin Il-62 der Interflug, ausgelöst durch einen konstruktionsbedingten Brand einer Heißluftleitung. Alle 148 Passagiere sowie acht Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.
13. Oktober: Moskau, UdSSR. Absturz einer Iljuschin Il-62 der russischen Aeroflot. Alle 176 Menschen sterben.
13. Oktober: Anden, Uruguay. Absturz der Fuerza-Aérea-Uruguaya-Flug 571. Von den 45 Menschen an Bord überleben 16 die 72 Tage in den schneebedeckten Bergen auf über 4.000 m, indem sie die Verstorbenen verspeisen (Kannibalismus).
13. November: Der Orkan Quimburga, auch Niedersachsen-Orkan genannt und bis dahin der schwerste Orkan der Region seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, vernichtet durch Böen bis zu 170 km/h innerhalb weniger Stunden von der Nordseeküste bis nach Brandenburg große Teile der Forstbestände. Insgesamt kommen 47 Menschen ums Leben.
3. Dezember: Teneriffa, Spanien, ein Charterflugzeug vom Typ Convair Coronado der Spantax Airlines verunglückt beim Start. 165 Tote, davon 144 Deutsche.
23. Dezember: Erdbeben der Stärke 6,2 in Nicaragua, etwa 5.000 Tote.
29. Dezember: Eastern-Air-Lines-Flug 401 mit 176 Menschen an Bord stürzt etwa 20 km vor dem Miami International Airport in die Everglades. 75 Menschen überleben, 60 davon mit schweren Verletzungen, 101 Personen kommen ums Leben.
Preisverleihungen
Nobelpreise:
Physik: John Bardeen, Leon Neil Cooper und John Robert Schrieffer
Chemie: Christian B. Anfinsen, Stanford Moore und William H. Stein
Medizin: Gerald M. Edelman und Rodney R. Porter
Literatur: Heinrich Böll
Friedensnobelpreis: (nicht verliehen)
Wirtschaftswissenschaft: John R. Hicks und Kenneth Arrow
Edsger W. Dijkstra erhält den Turing-Preis
Roy Jenkins erhält den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen
Charles Chaplin erhält den Ehrenoscar für seine „unschätzbaren Verdienste um die Filmkunst“
John Berger erhält den Booker Prize
Geboren
Januar
1. Januar: Marou Amadou, nigrischer Jurist und Politiker
1. Januar: Micaela Nevárez, puerto-ricanische Schauspielerin
1. Januar: Giovanni Pretorius, südafrikanischer Boxer († 2021)
1. Januar: Lilian Thuram, französischer Fußballspieler
2. Januar: Hanno Girke, deutscher Spielerfinder
2. Januar: Luís Pérez Companc, argentinischer Automobilrennfahrer und Unternehmer
2. Januar: René Ifrah, deutsch-amerikanischer Schauspieler
2. Januar: Britt Reinecke, deutsche Fernsehmoderatorin
3. Januar: Alisha Klass, US-amerikanische Pornodarstellerin
5. Januar: Ulrik Kirkely Hansen, dänischer Handballtrainer und Handballspieler
5. Januar: Nikki Nova, US-amerikanische Pornodarstellerin
5. Januar: Sakis Rouvas, griechischer Sänger
5. Januar: Sasha, deutscher Popsänger
5. Januar: Dmitri Torgowanow, russischer Handballspieler
5. Januar: Vincent Vosse, belgischer Automobilrennfahrer
6. Januar: Mina Agossi, französische Jazzsängerin und Songwriterin
6. Januar: Filippo Neviani, italienischer Rockmusiker
8. Januar: Giuseppe Favalli, italienischer Fußballspieler
8. Januar: Dieter Tappert, deutscher Comedian (Paul Panzer)
9. Januar: Alessandro Corona, italienischer Ruderer
10. Januar: Shuntarō Furukawa, japanischer Manager
11. Januar: Kåre Conradi, norwegischer Schauspieler
11. Januar: Mathias Énard, französischer Arabist, Schriftsteller und Übersetzer
11. Januar: Thomas Hoersen, deutscher Fußballspieler
11. Januar: Amanda Peet, US-amerikanische Schauspielerin
12. Januar: Toto Wolff, österreichischer Automobilrennfahrer, Investor und Motorsportchef
13. Januar: Stefan Beinlich, deutscher Fußballspieler
13. Januar: Nicole Eggert, US-amerikanische Schauspielerin
13. Januar: Alexei Wassiljew, russischer Automobilrennfahrer
15. Januar: Murat Aslanoğlu, Vorsitzender des Koordinierungsrates des christlich-islamischen Dialogs
15. Januar: Shelia Burrell, US-amerikanische Leichtathletin
17. Januar: Benno Fürmann, deutscher Schauspieler
17. Januar: Matt Hales, britischer Musiker
17. Januar: Rafał Trzaskowski, polnischer Politiker
17. Januar: Nina Vorbrodt, deutsche Schauspielerin
17. Januar: Mark Fawcett, kanadischer Snowboarder
18. Januar: Conny Mayer-Bonde, deutsche Politikerin
18. Januar: Kjersti Plätzer, norwegische Leichtathletin und Olympionikin
19. Januar: Drea de Matteo, US-amerikanische Schauspielerin
20. Januar: Oscar Fredrick Dronjak, schwedischer Gitarrist
21. Januar: Michael Ludwig Heryanto Arbi, indonesischer Badmintonspieler
21. Januar: Sead Kapetanović, bosnisch-herzegowinischer Fußballspieler
21. Januar: Sabina Valbusa, italienische Skilangläuferin
21. Januar: Javier Yubero, spanischer Fußballspieler († 2005)
22. Januar: Roland Kipke, deutscher Philosoph und Bioethiker
23. Januar: Ewen Bremner, schottischer Schauspieler
24. Januar: Muriel Baumeister, österreichische Schauspielerin
24. Januar: Beth Hart, US-amerikanische Sängerin, Rockmusikerin
25. Januar: Pauli Jaks, Schweizer Eishockeyspieler
25. Januar: Silke Rottenberg, deutsche Fußballspielerin
27. Januar: Demba Nabé, deutscher Musiker († 2018)
27. Januar: Mirjam Ott, Schweizer Curlerin
27. Januar: Tobias Steinhauser, deutscher Radrennfahrer
27. Januar: Mark Owen, englischer Sänger
28. Januar: Lars Funke, deutscher Eisschnellläufer
29. Januar: Olga Wiktorowna Anissimowa, russische Biathletin
30. Januar: Brent Moss, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2022)
31. Januar: Manfred Kainz, österreichischer Motorradrennfahrer und -teambesitzer
Februar
1. Februar: Hamed Abdel-Samad, deutsch-ägyptischer Politologe, Historiker und Autor
1. Februar: Bernhard Aichner, österreichischer Schriftsteller und Fotograf
1. Februar: Johan Walem, belgischer Fußballnationalspieler
1. Februar: Christian Ziege, deutscher Fußballspieler
1. Februar: Aaron Ziercke, deutscher Handballspieler und Handballtrainer
3. Februar: Franny Armstrong, britische Dokumentarfilmerin und Umweltschutzaktivistin
3. Februar: Georg Koch, deutscher Fußballspieler
5. Februar: Marc Bernhard, deutscher Jurist und Politiker
5. Februar: Mary, Kronprinzessin von Dänemark
5. Februar: Reto Finger, Schweizer Dramatiker
6. Februar: Gisela Aderhold, deutsche Schauspielerin
6. Februar: Greger Artursson, schwedischer Eishockeyspieler
6. Februar: Tomas Andersson Wij, schwedischer Sänger und Liedschreiber
7. Februar: Essence Uhura Atkins, US-amerikanische Schauspielerin
7. Februar: Dagmar Pohlmann, deutsche Fußballspielerin
8. Februar: Piotr Gładki, polnischer Marathonläufer († 2005)
8. Februar: Big Show, US-amerikanischer Wrestler
9. Februar: Crispin Freeman, US-amerikanischer Synchronsprecher
11. Februar: Ralf Ewen, deutscher Fußballspieler und -trainer
11. Februar: Lisa Martinek, deutsche Schauspielerin († 2019)
11. Februar: Kelly Slater, US-amerikanischer Surfer
11. Februar: Geert Van der Stricht, belgischer Schachspieler
12. Februar: Andrea Loose, deutsche Juristin und Richterin am Bundessozialgericht
12. Februar: Markus Steiner, österreichischer Sänger
12. Februar: Sophie Zelmani, schwedische Musikerin
13. Februar: Virgilijus Alekna, litauischer Leichtathlet
13. Februar: Anne Brendler, deutsche Schauspielerin
14. Februar: Adam Fenton, englischer Jungle- und Drum-and-Bass-DJ und -Produzent
14. Februar: Andrée Jeglertz, schwedischer Fußballspieler und -trainer
14. Februar: Rob Thomas, Rockmusiker
15. Februar: Michelle, deutsche Schlagersängerin
15. Februar: Stephen Arigbabu, deutscher Basketballspieler
15. Februar: Jaromír Jágr, tschechischer Eishockeyspieler
16. Februar: Wiebke Lorenz, deutsche Journalistin und Romanautorin
16. Februar: Grit Breuer, deutsche Leichtathletin
17. Februar: Eugenio Amore, italienischer Beachvolleyballspieler
17. Februar: Billie Joe Armstrong, Frontsänger und Gitarrist der Punkrockband Green Day
17. Februar: Jennifer Maria Ehnert, deutsche Schauspielerin und Model
17. Februar: Moishe Friedman, US-amerikanischer jüdischer Antizionist
17. Februar: Johnny Jensen, norwegischer Handballspieler
17. Februar: Nani Roma, spanischer Motorradrennfahrer
18. Februar: Khalid Al-Qassimi, arabischer Rallyefahrer
18. Februar: Christine Aufderhaar, Schweizer Komponistin und Pianistin
18. Februar: Oxana Kuschtschenko, russische Freestyle-Skierin
19. Februar: Allan Bo Andresen, dänischer Straßenradrennfahrer
19. Februar: Nicole Johannhanwahr, deutsche Schauspielerin
19. Februar: Paul McMullen, US-amerikanischer Leichtathlet († 2021)
20. Februar: Laith Al-Deen, deutscher Pop-Musiker
20. Februar: Uroš Pavlovčič, slowenischer Skirennläufer
21. Februar: Alan Norris, englischer Dartspieler
22. Februar: Haim Revivo, israelischer Fußballspieler
22. Februar: Markus Rühl, deutscher Bodybuilder
22. Februar: Claudia Pechstein, deutsche Eisschnellläuferin
22. Februar: Kari Eisenhut, Schweizer Gleitschirmpilot
22. Februar: Michael Chang, US-amerikanischer Tennisspieler
22. Februar: Rolando Villazón, mexikanisch-französischer Opernsänger
23. Februar: Ina Dietz, deutsche Journalistin und TV-Moderatorin
24. Februar: Delilah Asiago, kenianische Langstreckenläuferin
24. Februar: Manon Rhéaume, kanadische Eishockeyspielerin
25. Februar: Anneke Kim Sarnau, deutsche Schauspielerin
26. Februar: Dino Cerimagić, bosnisch-herzegowinischer Poolbillardspieler
27. Februar: Michaël Paquay, belgischer Motorradrennfahrer († 1998)
27. Februar: Susan Yeagley, US-amerikanische Schauspielerin
29. Februar: Rui Águas, portugiesischer Automobilrennfahrer
29. Februar: Artemis Chalkidou, deutsche Schauspielerin
März
1. März: Marina Tscherkassowa, russische Freestyle-Skierin
1. März: Andraž Vehovar, slowenischer Kanute
2. März: Tim Bergmann, deutscher Schauspieler
2. März: Mauricio Pochettino, argentinischer Fußballnationalspieler
3. März: Darren Robert Anderton, englischer Fußballspieler
3. März: Kola Boof, US-amerikanische Schriftstellerin und Feministin
3. März: Thomas M. Held, deutsch-österreichischer Schauspieler
4. März: Dirk Lottner, deutscher Fußballspieler
4. März: Yann Bonato, französischer Basketballspieler
4. März: Jos Verstappen, niederländischer Automobilrennfahrer
5. März: Maik Solbach, deutscher Schauspieler
5. März: Luca Turilli, Musiker
6. März: Chris Taylor, kanadischer Eishockeyspieler
6. März: Peter Sendel, deutscher Biathlet
6. März: Shaquille O’Neal, US-amerikanischer Basketballspieler
6. März: Marianne Thieme, niederländische Tierschützerin, Publizistin und Politikerin
7. März: Alexandra Reimer, deutsche Theater- und Fernsehschauspielerin
8. März: Fergal O’Brien, irischer Snookerspieler
9. März: Jean Louisa Kelly, US-amerikanische Schauspielerin
10. März: Michl Müller, fränkischer Kabarettist
10. März: Timbaland, US-amerikanischer Hip-Hop- und R'n'B-Musiker, -Produzent und Rapper
11. März: Martin Braxenthaler, deutscher Monoskifahrer
11. März: Timo Brunke, deutscher Wortkünstler, Dichter und Autor
12. März: Christian Möllmann, deutscher Schauspieler und Sänger
12. März: Andreas Tzermiadianos, griechischer Schachspieler
13. März: Cleisson, brasilianischer Fußballspieler und -trainer
14. März: Jens Harzer, deutscher Schauspieler, Träger des Iffland-Rings
15. März: Elio Aggiano, italienischer Radrennfahrer
15. März: Mark Hoppus, Bassist und Sänger
15. März: Michael Wherley, US-amerikanischer Ruderer
16. März: Uldis Augulis, lettischer Politiker
16. März: Katja Bornschein, deutsche Fußballspielerin
16. März: Sander Germanus, niederländischer Saxophonist und Komponist
16. März: Simon Jäger, deutscher Synchronsprecher, Synchronregisseur, Synchronautor, Hörspielsprecher und Rezitator
17. März: Phillip Archer, englischer Golfer
17. März: Melissa Auf der Maur, kanadische Rockmusikerin und Fotomodell
17. März: Oxana Grischtschuk, russische Eiskunstläuferin
17. März: Mia Hamm, US-amerikanische Fußballspielerin
18. März: Mike Krack, luxemburgischer Motorsport-Ingenieur und Manager
18. März: Henrik Jansson, schwedischer Snowboarder
19. März: Julie Lunde Hansen, norwegische Skirennläuferin
19. März: Alexander Spreng, deutscher Sänger und Frontmann der Band ASP
19. März: Daniel Vogt, liechtensteinischer Skirennläufer
20. März: Pedro Lamy, portugiesischer Automobilrennfahrer
20. März: Shannon Nobis, US-amerikanische Skirennläuferin
21. März: Piotr Adamczyk, polnischer Schauspieler und Synchronsprecher
21. März: Francesco Lollobrigida, italienischer Anwalt und Politiker
21. März: Derartu Tulu, äthiopische Leichtathletin
21. März: Large Professor, US-amerikanischer Produzent
21. März: Chris Candito, US-amerikanischer Wrestler († 2005)
23. März: Joe Calzaghe, walisischer Boxer
23. März: Erwin Vervecken, belgischer Radrennfahrer
25. März: Roberto Miguel Acuña Cabello, paraguayischer Fußballspieler
25. März: Giniel de Villiers, südafrikanischer Automobilrennfahrer
25. März: Ralf Witzel, deutscher Politiker
26. März: Tor Graves, thailändischer Automobilrennfahrer
26. März: Trevor Kidd, Eishockeyspieler
26. März: Thilo Michler, deutscher Kommunalpolitiker
26. März: Christoph Ulrich, Schweizer Automobilrennfahrer
27. März: Bel-Aziz Acharki, deutscher Taekwondotrainer
28. März: Olga Nikolajewna Jegorowa, russische Langstreckenläuferin
29. März: Michel Ancel, französischer Designer
29. März: Rui Costa, portugiesischer Fußballer
29. März: Christian Scheffler, deutscher Handballspieler
30. März: Keirut Wenzel, deutscher Comedian, Schauspieler, Moderator
31. März: Alejandro Amenábar, chilenisch-spanischer Filmregisseur
31. März: Christian Aflenzer, österreichischer Fußballspieler und -trainer
April
1. April: Malik Beširević, deutscher Handballspieler
1. April: Björn Höcke, deutscher Lehrer und Politiker (AfD)
2. April: Gwen Giabbani, französischer Motorradrennfahrer
2. April: Samir Ibrahim, ägyptischer Fußballspieler
2. April: Peter Rosenberger, deutscher Politiker
3. April: Jennie Garth, US-amerikanische Schauspielerin
4. April: Bastian Pastewka, deutscher Comedian und Schauspieler
5. April: Nima Arkani-Hamed, US-amerikanisch-kanadischer theoretischer Physiker
5. April: Tom Coronel, niederländischer Automobilrennfahrer
5. April: Paul Okon, australischer Fußballspieler
6. April: Ralf Bucher, Fußballspieler
6. April: Constantinos Stylianou, griechisch zypriotischer Komponist
7. April: Elke Zauner, deutsche Malerin
8. April: Paul Gray, US-amerikanischer Rockmusiker, Bassist von Slipknot († 2010)
9. April: Ali Aslan, deutscher Fernsehmoderator, Journalist, und Politikwissenschaftler
9. April: Alain Berset, Schweizer Politiker
10. April: Sami Yli-Sirniö, finnischer Musiker
11. April: Tomaž Knafelj, slowenischer Snowboarder
12. April: René Cattarinussi, italienischer Biathlet
12. April: Şebnem Ferah, Künstlerin der türkischen Pop- und Rockmusik
12. April: Judith Klein, deutsche Schauspielerin
13. April: John van Buskirk, US-amerikanischer Fußballspieler und -trainer
13. April: Qurban Qurbanov, aserbaidschanischer Fußballspieler
14. April: Christian Decker, deutscher Musiker
14. April: Saša Živulović, griechisch-serbischer Handballspieler († 2023)
15. April: Giuseppe Reina, deutscher Fußballspieler
15. April: Viva Seifert, britische Turnerin und Musikerin
16. April: Andreas Dittmer, deutscher Kanute
16. April: Conchita Martínez, spanische Tennisspielerin
16. April: John McGuinness, britischer Motorradrennfahrer
16. April. Paolo Negro, italienischer Fußballspieler
16. April: Christof Spörk, österreichischer Klarinettist und Kabarettist
17. April: Jennifer Garner, US-amerikanische Schauspielerin
17. April: Minna Suoniemi, finnische Videokünstlerin
17. April: Yūichi Nishimura, japanischer Fußballschiedsrichter
18. April: Lars Christiansen, dänischer Handballspieler
18. April: Garry McCoy, australischer Motorradrennfahrer
18. April: Tetje Mierendorf, deutscher Schauspieler, Musicalsänger und Synchronsprecher
18. April: Michael Rutter, britischer Motorradrennfahrer
18. April: Gerhard Schick, deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen)
18. April: Stefanie Schmid, deutsche Schauspielerin
19. April: Django Asül, türkisch-deutscher niederbayrischer Kabarettist
19. April: Sonja Nef, Schweizer Skirennläuferin
19. April: Rivaldo, brasilianischer Fußballspieler
20. April: Giga Bokeria, georgischer Politiker
20. April: Carmen Electra, US-amerikanisches Modell, Schauspielerin, Sängerin
20. April: Swetlana Irekowna Ischmuratowa, russische Biathletin
20. April: Željko Joksimović, serbischer Komponist und Sänger
20. April: Stephen Marley, jamaikanische Roots Reggae-Musiker
21. April: Kitty Hoff, deutsche Sängerin, Musikerin, Komponistin
21. April: Horst Meierhofer, deutscher Politiker und MdB
21. April: Petra van de Voort, schwedische Schauspielerin
22. April: Sabine Appelmans, belgische Tennisspielerin
22. April: Anna Falchi, italienische Filmschauspielerin und Fotomodell
22. April: Radwan Yasser, ägyptischer Fußballspieler
23. April: Demet Akalın, türkische Sängerin und Model
23. April: Nicolas Aithadi, französischer Filmtechniker
24. April: Adhemar, brasilianischer Fußballspieler
24. April: Zuill Bailey, US-amerikanischer Cellist
24. April: Anne Dorthe Tanderup, dänische Handballspielerin
25. April: Jaak Sooäär, estnischer Jazzgitarrist
25. April: Silke Wittkopp, deutsche Juristin
26. April: Eva Löbau, österreichische Schauspielerin
25. April: Thomas Hanreich, deutscher Sänger und Songwriter
27. April: Caspar Arnhold, deutscher Schauspieler und Regisseur
27. April: Murat Gözay, deutscher Politiker
27. April: Mehmet Kurtuluş, türkischstämmiger Schauspieler aus Deutschland
28. April: Vincent Sebastian Andreas, deutscher Komponist und Autor
29. April: Derek Mears, US-amerikanischer Stuntman und Schauspieler
29. April: Marko Rehmer, deutscher Fußballspieler
29. April: Anthony Rother, deutscher Electro-Musiker
Mai
1. Mai: Roland Braun, deutscher Nordischer Kombinierer
1. Mai: Ilja Simin, russischer Journalist († 2006)
2. Mai: Steffen Ziesche, deutscher Eishockeyspieler
2. Mai: Alec Empire, deutscher Musiker
2. Mai: Dwayne Douglas Johnson, US-amerikanischer Schauspieler und Wrestler
2. Mai: Paultheo von Zezschwitz, deutscher Chemiker und Unternehmer
3. Mai: Reza Aslan, iranisch-US-amerikanischer Religionswissenschaftler
3. Mai: Kristin Lehman, kanadische Schauspielerin
4. Mai: Mike Dirnt, US-amerikanischer Musiker, Bassist der Punk-Rock-Band Green Day
5. Mai: Armin Arslanagić, bosnisch-deutscher Eishockeyspieler
5. Mai: Katja Hessel, bayerische Politikerin
5. Mai: Marian Sandu, rumänischer Ringer
5. Mai: Devin Townsend, kanadischer Sänger und Gitarrist
5. Mai: Žigmund Pálffy, slowakischer Eishockeyspieler
6. Mai: Sébastien Amiez, französischer Skirennläufer
6. Mai: Martin Brodeur, kanadischer Eishockeyspieler
6. Mai: Peter Friedrich, deutscher Politiker
6. Mai: Naoko Takahashi, japanische Leichtathletin und Olympiasiegerin
8. Mai: Xavier Amigo, spanischer Rallye-Copilot
8. Mai: Darren Hayes, australischer Popsänger
8. Mai: Max Rauffer, deutscher Skirennfahrer
9. Mai: Lisa Ann, US-amerikanische Pornodarstellerin
9. Mai: Tommy Krappweis, deutscher Autor und Regisseur
10. Mai: Katja Seizinger, deutsche Skirennläuferin
10. Mai: Christian Wörns, deutscher Fußballspieler
11. Mai: Tomáš Dvořák, tschechischer Leichtathlet
11. Mai: Jenny Elvers, deutsche Schauspielerin
12. Mai: Damian McDonald, australischer Radrennfahrer († 2007)
13. Mai: Sergio Assisi, italienischer Film- und Theaterschauspieler
13. Mai: Erika Raum, kanadische Geigerin, Musikpädagogin und Komponistin
15. Mai: Isidre Esteve Pujol, spanischer Endurorennfahrer
15. Mai: Ulrike C. Tscharre, deutsche Schauspielerin
16. Mai: Andrzej Duda, polnischer Politiker
17. Mai: Marta Andrade, spanische Eiskunstläuferin
18. Mai: Ingo Pohlmann, deutscher Popmusiker
18. Mai: Nordin ben Salah, niederländischer Boxer († 2004)
19. Mai: Jenny Berggren, schwedische Sängerin
19. Mai: Rohan Anthony Marley, jamaikanischer Musiker
20. Mai: Busta Rhymes, US-amerikanischer Rapper
20. Mai: André Wiersig, deutscher Extremschwimmer
21. Mai: Christoph Hartmann, deutscher Politiker
21. Mai: The Notorious B.I.G., US-amerikanischer Rapper († 1997)
22. Mai: Andrus Aug, estnischer Radrennfahrer
22. Mai: Anna Belknap, US-amerikanische Schauspielerin
22. Mai: Morten Bjerre, dänischer Handballspieler
22. Mai: Annabel Chong, chinesische Webdesignerin und ehemalige Pornodarstellerin
22. Mai: Aurelijus Gutauskas, litauischer Strafrechtler und Richter
23. Mai: Rubens Barrichello, brasilianischer Automobilsportler und Formel-1-Rennfahrer
23. Mai: Michael Bezold, deutscher Schachgroßmeister
23. Mai: Wowo Habdank, deutscher Schauspieler und Sprecher
23. Mai: Stephanie Japp, Schweizer Schauspielerin
24. Mai: Laure Sainclair, französische Pornodarstellerin
27. Mai: Agueda Fatima Amaral, osttimorische Marathonläuferin
27. Mai: Ivete Sangalo, brasilianische Sängerin
28. Mai: Kate Ashfield, britische Schauspielerin
28. Mai: Boris Palmer, deutscher Politiker
28. Mai: Chiara Mastroianni, französische Schauspielerin
28. Mai: Michael Boogerd, niederländischer Radrennfahrer
29. Mai: Simon Jones, britischer Musiker
30. Mai: Zoran Lerchbacher, österreichischer Dartspieler
31. Mai: Heidi Astrup, dänische Handballspielerin
31. Mai: Frode Estil, norwegischer Skilangläufer
31. Mai: Sébastien Barberis, Schweizer Fußballspieler
31. Mai: John Godina, US-amerikanischer Kugelstoßer
31. Mai: Christian McBride, US-amerikanischer Jazzbassist
31. Mai: Doris Schretzmayer, österreichische Schauspielerin, Autorin und Moderatorin
Juni
1. Juni: Stine Stengade, dänische Schauspielerin
2. Juni: Francesc Xavier Soria Gómez, andorranischer Fußballspieler
3. Juni: Mara Bizzotto, italienische Politikerin
4. Juni: Nikka Costa, US-amerikanische Sängerin
5. Juni: Soulaiman Raissouni, marokkanischer Journalist und Menschenrechtsaktivist
7. Juni: Fiona Coors, deutsche Schauspielerin
7. Juni: Karl Urban, neuseeländischer Schauspieler
7. Juni: Natascha Pfeiffer, deutsche Soap-Darstellerin
8. Juni: Tron, deutscher Hacker und Phreaker († 1998)
8. Juni: Roosevelt Skerrit, dominikanischer Politiker und Ministerpräsident
8. Juni: Jaroslav Rudiš, tschechischer Schriftsteller und Journalist
9. Juni: Sandro Cois, italienischer Fußballspieler
9. Juni: Matthew „Matt“ Horsley, australischer Fußballspieler
9. Juni: Beat Marti, Schweizer Schauspieler
9. Juni: Robert Mitchell, britischer Shorttracker und Eisschnellläufer († 2022)
10. Juni: Denis Amici, san-marinesischer Politiker
10. Juni: Sundar Pichai, US-amerikanischer Manager
10. Juni: Stephan Lucas, deutscher Rechtsanwalt und Fernsehdarsteller
12. Juni: Arthur Farh, liberianischer Fußballspieler
12. Juni: Bounty Killer, Dancehall-Deejay
12. Juni: Inger Miller, US-amerikanische Leichtathletin
13. Juni: Meelis Aasmäe, Skilangläufer, Skilanglauf- und Biathlontrainer
14. Juni: Moritz Anton, deutscher Kameramann
14. Juni: Elisabeth Rauchenberger, Schweizer Gleitschirmpilotin
14. Juni: Matthias Ettrich, deutscher Informatiker, Initiator des KDE Projekts
15. Juni: Jean-François Labbé, kanadischer Eishockeyspieler
15. Juni: Stefan Malz, deutscher Fußballspieler und -trainer
16. Juni: Olena Antonowa, ukrainische Diskuswerferin
17. Juni: Iztok Čop, slowenischer Ruderer
18. Juni: Katja Primel, deutsche Sprecherin in Hörspielen und Filmen
18. Juni: Anu Tali, estnische Dirigentin
19. Juni: Nicola Celio, Schweizer Eishockeyspieler
19. Juni: Jean Dujardin, französischer Schauspieler und Oscar-Preisträger
19. Juni: Christian Kahrmann, deutscher Schauspieler und Gastronom
19. Juni: Ilja Markow, russischer Leichtathlet
19. Juni: Robin Tunney, US-amerikanische Schauspielerin
21. Juni: Nobuharu Asahara, japanischer Leichtathlet
21. Juni: Dorkas Kiefer, deutsche Schauspielerin
21. Juni: Johann König, deutscher Kabarettist
21. Juni: Åsa Mogensen, schwedische Handballspielerin
22. Juni: Dariusz Baranowski, polnischer Radrennfahrer
22. Juni: Zakaria Asidah, dänischer Taekwondoin
22. Juni: Michael Wendler, deutscher Popschlagersänger und Songwriter
23. Juni: Selma Blair, US-amerikanische Schauspielerin
23. Juni: Monika Meyer, deutsche Fußballspielerin
23. Juni: Zinédine Zidane, französischer Fußballspieler
24. Juni: Mitch Berger, US-amerikanischer American-Football-Spieler
24. Juni: Robbie McEwen, australischer Radrennfahrer
25. Juni: Peter Möller, schwedischer Handballspieler
25. Juni: Thorsten Schoen, deutscher Beachvolleyballspieler
25. Juni: Saif al-Islam al-Gaddafi, Sohn von Muammar al-Gaddafi
26. Juni: Alexander Marcus, deutscher Musiker
27. Juni: Xavier Pompidou, französischer Automobilrennfahrer
28. Juni: Marija Wiktorowna Butyrskaja, russische Eiskunstläuferin
Juli
1. Juli: Bruno Kernen, Schweizer Skirennläufer
1. Juli: Steffi Nerius, deutsche Leichtathletin
1. Juli: Jörn Schläger, deutscher Handballtrainer und -spieler
2. Juli: Clemens Bratzler, deutscher Fernsehmoderator und Journalist
2. Juli: Paulo Flores, angolanischer Sänger
2. Juli: Darren Shan, britischer Kinderbuchautor
4. Juli: William Goldsmith, US-amerikanischer Schlagzeuger
4. Juli: Tomio Okamura, tschechischer Unternehmer und Politiker
4. Juli: Alexei Schirow, lettischer Schachspieler
4. Juli: Karin Thürig, Schweizer Radsportlerin und Duathletin
5. Juli: Niki Aebersold, Schweizer Profi-Radrennfahrer
6. Juli: Isabelle Boulay, frankokanadische Pop- und Chanson-Sängerin
6. Juli: Schanna Block, ukrainische Sprinterin
6. Juli: Georgios Souleidis, griechischer Schachspieler
7. Juli: Leonard Diepenbrock, deutscher Fernsehmoderator
7. Juli: Manfred Stohl, österreichischer Rallyefahrer
9. Juli: Simon Tong, britischer Musiker
10. Juli: Daniel Rudolf Anrig, Oberst der Schweizer Armee
10. Juli: Dimitra Asilian, griechische Wasserballspielerin
10. Juli: Peter Serafinowicz, britischer Schauspieler
10. Juli: Sofía Vergara, kolumbianisch-US-amerikanische Schauspielerin
10. Juli: Tilo Wolff, deutscher Musiker, Mitglied von Lacrimosa und Snakeskin
11. Juli: Volker Büdts, deutscher Schauspieler
12. Juli: Andrea Ballschuh, deutsche Fernseh- und Radiomoderatorin
12. Juli: Lady Saw, Dancehall- und Reggae-Deejay/Singjay
14. Juli: Aron Kristjánsson, isländischer Handballspieler und -trainer
14. Juli: Andreas Urs Sommer, Schweizer Philosoph
14. Juli: Manfred Weber, deutscher Europaabgeordneter
16. Juli: Mie Andreasen, dänische Filmproduzentin
17. Juli: Jaap Stam, niederländischer Fußballspieler
17. Juli: Erik Wudtke, deutscher Handballspieler und -trainer
18. Juli: Olaf Jacobs, deutscher Regisseur, Film- und Fernsehproduzent
19. Juli: Ebbe Sand, dänischer Fußballspieler
21. Juli: Paul Brandt, kanadischer Country-Sänger
21. Juli: Catherine Ndereba, kenianische Marathonläuferin und Olympionikin
22. Juli: Colin Ferguson, kanadischer Schauspieler
22. Juli: Enid Tahirović, bosnischer Handballspieler
23. Juli: Giovane Élber, brasilianischer Fußballspieler
23. Juli: Anja Harteros, deutsche Sopranistin
24. Juli: Kaiō Hiroyuki, japanischer Sumo-Ringer
25. Juli: Roberto Guerra, Schweizer Schauspieler
25. Juli: Artjom Jurjewitsch Kopot, russischer Eishockeyspieler († 1992)
26. Juli: Max Hopp, deutscher Schauspieler und Regisseur
27. Juli: Elisângela Maria Adriano, brasilianische Leichtathletin
27. Juli: Candice Gilg, französische Freestyle-Skierin
28. Juli: Walter Bénéteau, französischer Radrennfahrer († 2022)
29. Juli: Juichi Wakisaka, japanischer Automobilrennfahrer
29. Juli: Wil Wheaton, US-amerikanischer Schauspieler und Schriftsteller
30. Juli: Edith Wolf-Hunkeler, Schweizer Sportlerin
August
1. August: Anders Niklas Andersson, schwedischer Sänger, Songwriter und Gitarrist
2. August: Mohammad ad-Daʿayyaʿ, saudi-arabischer Fußballtorwart
2. August: Daniele Nardello, italienischer Radrennfahrer
2. August: Jacinda Barrett, australische Schauspielerin und Fotomodell
2. August: Justyna Steczkowska, polnische Popmusikerin
2. August: Corinne Rey-Bellet, Schweizer Skirennläuferin († 2006)
3. August: Erika Marozsán, ungarische Schauspielerin
5. August: Marja Elfman, schwedische Freestyle-Skierin
5. August: J-Ax, italienischer Rapper und Rockmusiker
6. August: Christoph Simon, Schweizer Schriftsteller
6. August: Jason O’Mara, US-amerikanischer Schauspieler
6. August: Geri Halliwell, britische Popsängerin
7. August: Sorin Anca, rumänischer Künstler
7. August: Anneliese Anglberger, österreichische Judoka
8. August: Terje Aune, norwegischer Biathlet
8. August: Axel Merckx, belgischer Radrennfahrer
9. August: Juanes, kolumbianischer Sänger, Songschreiber und Gitarrist
9. August: Marcos Serrano, spanischer Radrennfahrer
10. August: Peter Scott Adamson, US-amerikanischer Historiker
10. August: Angie Harmon, US-amerikanische Schauspielerin
10. August: Stefano Sacchetti, italienischer Fußballspieler und -trainer
12. August: Takanohana Kōji, japanischer Sumo-Ringer und 65. Yokozuna
12. August: Demir Demirkan, türkischer Musiker und Schauspieler
12. August: Del Tha Funkee Homosapien, US-amerikanischer Rapper
12. August: Paolo Vanoli, italienischer Fußballspieler und -trainer
14. August: Nicole Ernst, deutsche Schauspielerin
14. August: Cristian Zorzi, italienischer Skilangläufer
15. August: Mikey Graham, irischer Sänger
15. August: Ben Affleck, US-amerikanischer Schauspieler
16. August: Stan „Skippy“ Lazaridis, australischer Fußballspieler
16. August: Nicole Werner, deutsche Fußballspielerin und -trainerin
17. August: Andreas Schlütter, deutscher Skilangläufer
17. August: Ty, britischer Rapper und Musikproduzent († 2020)
19. August: Roberto Abbondanzieri, argentinischer Fußballtorwart
19. August: Nobuyuki Anzai, japanischer Manga-Zeichner
19. August: Stefan Keuter, deutscher Politiker
20. August: Scott Quinnell, walisischer Rugbyspieler
21. August: al-Hassan al-Yami, saudi-arabischer Fußballspieler
22. August: Marliece Andrada, US-amerikanisches Model und Schauspielerin
22. August: Paul Doucette, US-amerikanischer Musiker
22. August: Marisa Growaldt, deutsche Schauspielerin
22. August: Ri Yong-sam, nordkoreanischer Ringer
24. August: Jean-Luc Brassard, kanadischer Freestyle-Skier
24. August: Xaver Fischer, deutscher Keyboarder und Jazzmusiker
24. August: Fritz Strobl, österreichischer Skirennläufer
24. August: Olga Sawjalowa, russische Skilangläuferin
25. August: Nikolaj Arcel, dänischer Regisseur und Drehbuchautor
25. August: Aino Johanna Asklöf, finnische Orientierungsläuferin
27. August: Chris Armas, US-amerikanischer Fußballspieler
27. August: Heinz Dieter Arzberger, österreichischer Fußballspieler
27. August: The Great Khali, indischer Bodybuilder, Wrestler und Schauspieler
27. August: Denise Lewis, britische Leichtathletin
27. August: Roland Garber, österreichischer Radrennfahrer
27. August: Jimmy Pop, US-amerikanischer Musiker
28. August: Tim Reeves, britischer Motorradrennfahrer
28. August: Dmitri Sawadski, weißrussischer Kameramann († 2000)
28. August: Eike Hagen Schweikhardt, deutscher Schauspieler und Kameramann
29. August: Amanda Marshall, kanadische Popmusikerin
30. August: Marco Antoniazzi, italienischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Kameramann
30. August: Cameron Diaz, US-amerikanische Schauspielerin und Fotomodell
30. August: Pavel Nedvěd, Fußballspieler
31. August: Konstantinos Konstantinidis, griechischer Fußballspieler
September
1. September: Peter Adolphsen, dänischer Schriftsteller
1. September: Margherita Parini, italienische Snowboarderin
2. September: Nicolette Krebitz, deutsche Schauspielerin
3. September: Tim Lobinger, deutscher Leichtathlet († 2023)
3. September: Neil Martin, britischer Mathematiker und Rennstratege
5. September: Jan Malte Andresen, deutscher Hörfunkmoderator und Journalist
7. September: Weranika Zepkala, belarussische Bürgerrechtlerin
8. September: Markus Babbel, deutscher Fußballspieler der Nationalmannschaft
8. September: Os du Randt, südafrikanischer Rugby-Union-Spieler
9. September: Miriam Oremans, niederländische Tennisspielerin
9. September: Goran Višnjić, kroatischer Schauspieler
10. September: Olivier Cotte, französischer Freestyle-Skier
10. September: Mehmet Haxhosaj, albanischer Autor
10. September: Ghada Shouaa, syrische Leichtathletin und Siebenkämpferin
10. September: Bente Skari, norwegische Ski-Langläuferin
10. September: Steffen Wöller, deutscher Rennrodler
11. September: Harry Luck, deutscher Autor und Journalist
12. September: Anders Aukland, norwegischer Skilangläufer
14. September: Peter Németh, slowakischer Fußballspieler
15. September: Timothy Mack, US-amerikanischer Leichtathlet
15. September: Letizia Ortiz Rocasolano, Frau des spanischen Thronfolgers
15. September: Mandakranta Sen, indische Schriftstellerin
15. September: Alois Vogl, deutscher Skifahrer
15. September: Kai Wegner, deutscher Politiker und MdB
16. September: Vebjørn Rodal, norwegischer Leichtathlet und Olympiasieger
17. September: Sunrise Coigney, französisch-amerikanische Schauspielerin
18. September: Julia Cencig, österreichische Schauspielerin
18. September: Christian Ehring, deutscher Kabarettist, Autor und Musiker
19. September: Tom Wax, deutscher DJ, Produzent und Remixer
20. September: Henning Baum, deutscher Schauspieler
21. September: Liam Gallagher, britischer Sänger der Rockband Oasis
23. September: Sarah Bettens, belgische Musikerin
24. September: Finty Williams, britische Schauspielerin
25. September: Steven Gätjen, deutsch-amerikanischer Fernsehmoderator, Schauspieler, Reporter und Filmkritiker
25. September: Lars Koltermann, deutscher Rudertrainer, Sportfunktionär und Rechtsanwalt
26. September: Maik Stief, deutscher Motorradrennfahrer
27. September: Aljaksej Fjodarau, weißrussischer Schachspieler
27. September: Steffen Henssler, deutscher Koch, Kochbuchautor und Moderator
27. September: Gwyneth Paltrow, US-amerikanische Schauspielerin
27. September: Melanie Wiegmann, deutsche Schauspielerin, Synchronsprecherin und Sängerin
28. September: Alexander Baumgärtel, deutscher Eisschnellläufer
28. September: Kevin MacLeod, US-amerikanischer Musikproduzent
28. September: Werner Schlager, österreichischer Tischtennisspieler
28. September: Dita Von Teese, US-amerikanisches Nacktmodell
29. September: Arnold Ilagan Atienza, philippinischer Sportler, Politiker und Nachrichtensprecher
29. September: Oliver Gavin, britischer Automobilrennfahrer
30. September: Gonçalo Amorim, portugiesischer Radrennfahrer († 2012)
30. September: Ari Behn, norwegischer Schriftsteller († 2019)
30. September: Yū Nagashima, japanischer Schriftsteller
Oktober
1. Oktober: Abdulrahman Mohammed Abdou, katarischer Fußballschiedsrichter
1. Oktober: Mantas Adomėnas, litauischer Philosoph und Politiker
1. Oktober: Ahn Jae-chang, südkoreanischer Badmintonspieler
1. Oktober: Aleksandra Bechtel, deutsche Fernsehmoderatorin
3. Oktober: Anna Gourari, Konzertpianistin
5. Oktober: Annely Akkermann, estnische Politikerin
5. Oktober: Aljaksej Mjadswedseu, weißrussischer Ringer
5. Oktober: Warwara Wladimirowna Selenskaja, russische Skirennläuferin
6. Oktober: Dominic Andres, Schweizer Curler
6. Oktober: Mark Schwarzer, australischer Fußballtorhüter
6. Oktober: Alexa Loo, kanadische Snowboarderin
7. Oktober: Giorgio Di Centa, italienischer Skilangläufer
7. Oktober: Sidney Polak, polnischer Rockmusiker und Schlagzeuger
7. Oktober: Anja Reschke, deutsche Journalistin und Moderatorin
7. Oktober: Loek van Wely, niederländischer Schachgroßmeister und Politiker
8. Oktober: Hicham Hamdouchi, marokkanisch-französischer Schachgroßmeister
10. Oktober: Oh Seong-ok, südkoreanische Handballspielerin
11. Oktober: Claudia Black, australische Schauspielerin
12. Oktober: Indika Dodangoda, sri-lankischer Snookerspieler
12. Oktober: Sönke Möhring, deutscher Schauspieler
13. Oktober: Filiberto Ascuy Aguilera, kubanischer Ringer
13. Oktober: Danny Lloyd, US-amerikanischer Kinderschauspieler
14. Oktober: Johann Grégoire, französischer Freestyle-Skier
15. Oktober: Carlos Checa, spanischer Motorradrennfahrer
15. Oktober: Axel Geerken, deutscher Handballspieler
16. Oktober: Benjamin Mikfeld, deutscher Politiker
16. Oktober: Tomasz Hajto, polnischer Fußballspieler
16. Oktober: Sebastián Modarelli, argentinischer Komponist und Organist
17. Oktober: Jorge Arreola, mexikanischer Fußballspieler
17. Oktober: Eminem, US-amerikanischer Hip-Hop-Musiker
17. Oktober: Tarkan, türkischer Musiker, Songwriter und Produzent
18. Oktober: Helge Braun, deutscher Politiker und MdB
18. Oktober: Wojciech Kuczok, polnischer Schriftsteller
18. Oktober: Alex Tagliani, kanadischer Rennfahrer
19. Oktober: Stephan Hanke, deutscher Fußballspieler
19. Oktober: Pras Michel, US-amerikanischer Rapper und Songschreiber
20. Oktober: Will Greenwood, englischer Rugbyspieler
22. Oktober: Jacek Będzikowski, polnischer Handballspieler und -trainer
24. Oktober: Matt Hemingway, US-amerikanischer Leichtathlet
24. Oktober: Tino Mogensen, dänischer Handballspieler
25. Oktober: Dario Andriotto, italienischer Radrennfahrer
26. Oktober: Daniel Elena, monegassischer Rallyebeifahrer
26. Oktober: Rasmus Larsen, grönländischer Handballspieler
26. Oktober: Shan Sa, chinesisch-französische Schriftstellerin
27. Oktober: Sebastian Ratjen, deutscher Politiker († 2018)
27. Oktober: Santiago Botero, kolumbianischer Radrennfahrer
27. Oktober: Maria de Lurdes Mutola, mosambikanische Mittelstreckenläuferin und Olympiasiegerin
28. Oktober: Mirco Reseg, deutscher Schauspieler
29. Oktober: Constanze Blum, deutsche Skilangläuferin
29. Oktober: Thomas Douglas, deutsch-britischer Schauspieler
30. Oktober: Daniela Knor, deutsche Autorin von Fantasyromanen
30. Oktober: Jason Lowe, englischer Dartspieler
30. Oktober: Elşən Qəmbərov, aserbaidschanischer Fußballspieler
30. Oktober: Carsten Stahl, deutscher Gewaltpräventionsberater und ehemaliger Personenschützer sowie Laienschauspieler
31. Oktober: Harald Berger, österreichischer Bergsteiger († 2006)
31. Oktober: Eugene Hütz, ukrainischer Musiker und Schauspieler
November
1. November: Mario Barth, deutscher Comedian
1. November: Toni Collette, australische Schauspielerin
1. November: Katrin Ellermann, deutsche Ingenieurwissenschaftlerin
2. November: Sargis Howsepjan, armenischer Fußballspieler
2. November: Marion Posch, italienische Snowboarderin
2. November: Alfred Schreuder, niederländischer Fußballtrainer
2. November: Janko Tietz, deutscher Journalist
3. November: Hubertus Heil, deutscher Politiker
3. November: Michael Hofmann, deutscher Fußballtorwart
4. November: Luís Figo, portugiesischer Fußballspieler
4. November: Takeshi Tsuchiya, japanischer Autorennfahrer
5. November: Sven Mislintat, deutscher Fußballfunktionär und Spielerbeobachter
6. November: Thandiwe Newton, britische Schauspielerin
6. November: Rebecca Romijn, US-amerikanische Schauspielerin
7. November: Christopher Daniel Barnes, US-amerikanischer Schauspieler
7. November: Jason London, US-amerikanischer Filmschauspieler und Filmproduzent
7. November: Nils Wogram, deutscher Jazzposaunist und Komponist
9. November: Eric Dane, US-amerikanischer Schauspieler
9. November: Alexander Mazza, deutscher Fernsehmoderator und Schauspieler
10. November: DJ Ashba, US-amerikanischer Musiker und Gitarrist von Guns n’ Roses
11. November: Siegfried Baumegger, österreichischer Schachspieler und -trainer
11. November: Adam Beach, kanadischer Schauspieler
11. November: Dirk Elbrächter, deutscher Fernsehmoderator
12. November: Wolf Edwards, kanadischer Komponist
12. November: Vasilios Tsiartas, griechischer Fußballspieler
13. November: Rachel Nergård, norwegische Pädagogin und Sprachaktivistin
14. November: Peter Brugger, deutscher Sänger und Gitarrist
14. November: Josh Duhamel, US-amerikanischer Schauspieler
14. November: Edyta Górniak, polnische Sängerin
14. November: Sanne Schnapp, deutsche Schauspielerin
14. November: Dariusz Żuraw, polnischer Fußballspieler
15. November: Jonny Lee Miller, britischer Schauspieler
16. November: Annette Kahl, deutsche Behindertensportlerin
16. November: Steffen Weber, deutscher Handballspieler
17. November: Kimya Dawson, US-amerikanische Sängerin
17. November: Julian Gillesberger, österreichischer Bratschist
17. November: Andreas Kalbitz, deutscher Politiker
18. November: Darren Penhall, englischer Dartspieler
18. November: Andrea Zinsli, Schweizer Skirennfahrer
18. November: Chris Klug, US-amerikanischer Snowboarder
20. November: Johan Åkerman, schwedischer Eishockeyspieler
20. November: Jérôme Alonzo, französischer Fußballspieler
21. November: Franziska Heinz, deutsche Handballspielerin und -trainerin
21. November: Galina Alexejewna Kuklewa, russische Biathletin
21. November: Eyal Ran, israelischer Tennisspieler
21. November: Thomas Schleicher, österreichischer Judoka († 2001)
22. November: Franz Bazzani, italienischer Komponist und Pianist
22. November: Thony Hemery, französischer Freestyle-Skier
23. November: Kurupt, US-amerikanischer Rapper
25. November: Kenny Håkansson, schwedischer Rockmusiker
26. November: Arjun Rampal, indischer Schauspieler
26. November: Shannon Dunn, US-amerikanische Snowboarderin
27. November: Yōichi Ui, japanischer Motorradrennfahrer
27. November: Åsa Windahl, schwedische Snowboarderin
28. November: Paulo José Lopes Figueiredo, angolanischer Fußballspieler
28. November: Lei Liang, chinesisch-amerikanischer Komponist, Pianist, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge
28. November: Natalja Igorewna Orechowa, russische Freestyle-Skierin
29. November: Oscar Ackeström, schwedischer Eishockeyspieler
29. November: Andreas Goldberger, österreichischer Skispringer
29. November: Shin’ya Tanaka, japanischer Schriftsteller
30. November: Petr Bystron, deutscher Politiker
30. November: Kriemhild Siegel, deutsche Sängerin
Dezember
2. Dezember: Trond Fausa Aurvåg, norwegischer Schauspieler
2. Dezember: Roman Rossa, deutscher Schauspieler
2. Dezember: Sergejs Žoltoks, lettischer Eishockeyspieler († 2004)
4. Dezember: Sebastian Karpiniuk, polnischer Politiker († 2010)
4. Dezember: Marc Bator, deutscher Journalist
5. Dezember: Amir Muhammad, malaysischer Journalist und Filmemacher
5. Dezember: Linus Sandgren, schwedischer Kameramann
6. Dezember: Kevin Brockmeier, US-amerikanischer Schriftsteller
7. Dezember: Roman Bichler, deutscher Musikproduzent
7. Dezember: Hermann Maier, Skirennläufer, Olympiasieger
7. Dezember: Patrick Scheuß, deutscher Jurist
7. Dezember: Arianna Zukerman, US-amerikanische Sängerin und Musikpädagogin
9. Dezember: Reiko Aylesworth, US-amerikanische Schauspielerin
9. Dezember: Tré Cool, US-amerikanischer Rockmusiker, Drummer der US-Punk-Rock-Band Green Day
9. Dezember: Markus Frank, deutscher Schauspieler
9. Dezember: Marcus Rominger, deutscher Handballtorwart
10. Dezember: Brian Molko, britisch-amerikanischer Musiker
11. Dezember: J. D. Allen III, US-amerikanischer Jazzsaxophonist
11. Dezember: Andrij Hussin, ukrainischer Fußballspieler († 2014)
12. Dezember: Tim Akers, US-amerikanischer Autor
12. Dezember: Melissa Francis, US-amerikanische Schauspielerin
12. Dezember: Wilson Kipketer, dänischer Leichtathlet
12. Dezember: Brandon Teena, Mordopfer auf Grund seiner Transgender-Identität († 1993)
13. Dezember: Peter Luttenberger, österreichischer Radrennfahrer
13. Dezember: American McGee, US-amerikanischer Designer für Spiele und Filme
15. Dezember: Tony Särkkä, schwedischer Metal-Musiker († 2017)
15. Dezember: Lars Woldt, deutscher Musiker
15. Dezember: Sete Gibernau, spanischer Motorrad-Rennfahrer
16. Dezember: Julia Klöckner, deutsche Politikerin
16. Dezember: Jason Young, kanadischer Eishockeyspieler
17. Dezember: John Abraham, indischer Schauspieler und ein Model
17. Dezember: Anton Ehmann, österreichischer Profifußballspieler
18. Dezember: Daniel Andersson, schwedischer Fußballspieler
18. Dezember: Ásgeir Ásgeirsson, isländischer Snookerspieler
19. Dezember: Alyssa Milano, US-amerikanische Schauspielerin, Produzentin und Sängerin
19. Dezember: Corinna Milborn, österreichische Politikwissenschaftlerin und Journalistin
20. Dezember: Anja Rücker, deutsche Leichtathletin
20. Dezember: Joey Kelly, amerikanisch-irischer Pop-Rock-Folk Sänger und Sportler
22. Dezember: Hilke Altefrohne, deutsche Schauspielerin
22. Dezember: Franck Cammas, französischer Profisegler
22. Dezember: Steffi Jones, deutsche Fußballspielerin
22. Dezember: Ali Al Badwawi, Fußballschiedsrichter (Vereinigte Arabische Emirate)
22. Dezember: Vanessa Paradis, französische Schauspielerin und Sängerin
22. Dezember: Alexandre Moos, Schweizer Radrennfahrer
23. Dezember: Lukas Loules, deutscher Komponist, Texter, Musikproduzent und Sänger
24. Dezember: Matt Passmore, australischer Schauspieler
25. Dezember: Josh Freese, US-amerikanischer Schlagzeuger
25. Dezember: Sophie Heathcote, australische Schauspielerin († 2006)
25. Dezember: Qu Yunxia, chinesische Leichtathletin und Olympionikin
26. Dezember: Ralf Adam, deutscher Jurist und Richter am Bundesfinanzhof
27. Dezember: Thomas Grandi, kanadischer Skirennfahrer
27. Dezember: Malin Schwerdtfeger, deutsche Schriftstellerin
28. Dezember: Patrick Rafter, australischer Tennisspieler
28. Dezember: Florian Pronold, deutscher Politiker und MdB
29. Dezember: Barry Atsma, niederländischer Schauspieler
29. Dezember: Jude Law, britischer Schauspieler
29. Dezember: Eva Hassmann, deutsche Schauspielerin
29. Dezember: Leonor Varela, chilenische Schauspielerin
30. Dezember: Daniel Owefin Amokachi, nigerianischer Fußballspieler
30. Dezember: Stefan Liebich, deutscher Politiker
31. Dezember: Mathias Hain, deutscher Fußballspieler
Tag unbekannt
Tom Abbs, US-amerikanischer Jazz-Musiker, Filmemacher und Musikmanager
Etienne Abelin, Schweizer Violinist und Kulturmanager
Don Abi, nigerianischer Jazz-, Soul- und Reggaesänger
Miguel Abrantes-Ostrowski, deutscher Schauspieler und Autor
Tarik Abtout, algerischer Skirennläufer
Abdul Sattar Abu Rischa, Vorsitzender und Mitbegründer einer Allianz sunnitischer Klanführer († 2007)
Shimon Adaf, israelischer Schriftsteller
Christopher Adler, US-amerikanischer Komponist, Pianist und Improvisationsmusiker
Ashim Ahluwalia, indischer Regisseur und Filmemacher
Annette Ahrens, österreichische Kulturexpertin
Alessio Allegrini, italienischer Hornist
Alessandra Ammara, italienische Pianistin
Sven Amtsberg, deutscher Schriftsteller und Verlegern
Geraint Anderson, englischer Investmentbanker und Kolumnist
Scott G. Anderson, britischer Schauspieler
Claudia Angelmaier, deutsche Fotografin
Nourig Apfeld, deutsche Autorin
Gunter Arentzen, deutscher Schriftsteller
Mustafa Türker Ari, türkischer Diplomat
Mikail Aslan, kurdischer Sänger und Musiker
Vahram Atayan, deutscher Sprach- und Übersetzungswissenschaftler
Stefan Atzenhofer, deutscher Comiczeichner und Illustrator
Marietta Auer, deutsche Rechtswissenschaftlerin
Knut Aufermann, deutscher Radiokünstler, Musiker, Komponist und Kurator
Sonja Augart, deutsche Künstlerin, Choreographin, Tänzerin, Performerin und Kuratorin
Gerald Blanchard, kanadischer Dieb
Cristina Branco, portugiesische Fado-Sängerin
Elisabeth Brück, deutsche Schauspielerin
Stefan Bühling, deutscher Regisseur
Murat Coşkun, deutscher Perkussionist
Jenny Deimling, deutsche Schauspielerin
Daniel Drewes, deutscher Schauspieler
Karin de Fleyt, belgische Flötistin
Gabriela Lena Frank, US-amerikanische Komponistin und Pianistin
Marie-Therese Futterknecht, österreichische Schauspielerin
Martin Glade, deutscher Schauspieler
Gerhard Greiner, österreichischer Schauspieler
Larry Keigwin, US-amerikanischer Tänzer, Choreograph und Tanzpädagoge
Sebastian Kleiner, deutscher Skilangläufer
Dieter Kraus, deutscher Saxophonist
Oliver Kuhn, deutscher Journalist, Karikaturist und Buchautor
Steve Lawson, britischer Musiker
Hai-Ye Ni, chinesische Cellistin und Musikpädagogin
Normen Odenthal, deutscher Journalist und Fernsehmoderator
Miguel Abrantes Ostrowski, deutscher Schauspieler
Sharon Dodua Otoo, britisch-deutsche Schriftstellerin, Publizistin und Aktivistin
Jazze Pha, US-amerikanischer Rapper und Musikproduzent
Katharina Pichler, österreichische Schauspielerin
David Puderbaugh, US-amerikanischer Chordirigent, Musikpädagoge und -wissenschaftler
Arndt Reuning, deutscher Chemiker, Hörfunk- und Wissenschaftsjournalist
Nele Rosetz, deutsche Schauspielerin
Heiko Ruprecht, deutscher Schauspieler
Arianna Savall, spanische Harfenistin und Sopranistin
Christoph Schnee, deutscher Musiker, Schauspieler und Regisseur
Shane Shanahan, US-amerikanischer Perkussionist
Ulf Sölter, deutscher Museumsdirektor, Ethnologe und Kunsthistoriker
Jannis Spengler, griechisch-deutscher Schauspieler
Philipp von Steinaecker, deutscher Cellist und Dirigent
Korbinian Strimmer, deutscher Mathematiker
Ann-Cathrin Sudhoff, deutsche Schauspielerin
Lhakpa Tsamchoe, indische Schauspielerin
Julia Urban, deutsche Schauspielerin
Cristian Vogel, britischer DJ, Komponist und Musikproduzent
Sabine Waibel, österreichische Schauspielerin und Sprecherin
Klaus Wannemacher, deutscher Germanist, Theologe und Hochschullehrer
Christian Weber, Schweizer Kontrabassist
Petra Winter, deutsche Archivarin und Historikerin
Gestorben
Januar
1. Januar: Rosario Arcidiacono, italienischer Schauspieler (* 1886)
1. Januar: Eberhard Wolfgang Möller, deutscher Schriftsteller und Dramatiker (* 1906)
3. Januar: Elisabeth Schiemann, deutsche Botanikerin (* 1881)
6. Januar: Chen Yi, chinesischer Armeeführer und Politiker (* 1901)
7. Januar: Paul Humbert, Schweizer evangelischer Theologe, Hochschullehrer und Bibliothekar (* 1885)
7. Januar: Jacob Mangers, Oberhirte der katholischen Kirche in Norwegen (* 1889)
10. Januar: Sverre Jordan, norwegischer Komponist (* 1889)
13. Januar: Jack Ensley, US-amerikanischer Unternehmer und Automobilrennfahrer (* 1910)
14. Januar: Anna Maria Achenrainer, österreichische Schriftstellerin (* 1909)
14. Januar: Friedrich IX., König von Dänemark (* 1899)
14. Januar: Horst Assmy, deutscher Fußballspieler (* 1933)
16. Januar: David Seville, US-amerikanischer Sänger und Songschreiber (* 1919)
16. Januar: Teller Ammons, US-amerikanischer Politiker (* 1895)
17. Januar: Karl Gaul, deutscher Politiker (* 1889)
18. Januar: Bohumil Turek; tschechoslowakischer Motorrad- und Automobilrennfahrer (* 1901)
21. Januar: Wilhelm Armbrecht, deutscher Politiker (* 1898)
24. Januar: Gene Austin, US-amerikanischer Sänger und Songwriter (* 1900)
24. Januar: Robert Neufang, deutscher Politiker und Fußballfunktionär (* 1901)
25. Januar: Sophie Antoniadis, griechische Neogräzistin (* 1895)
25. Januar: Erhard Milch, Generalfeldmarschall im Dritten Reich (* 1892)
27. Januar: Richard Courant, deutscher Mathematiker (* 1888)
27. Januar: Georg Köhler, deutscher Fußballspieler und -trainer (* 1900)
27. Januar: Mahalia Jackson, US-amerikanische Gospelsängerin (* 1911)
28. Januar: Fritz Apelt, deutscher Politiker (* 1893)
28. Januar: Dino Buzzati, italienischer Schriftsteller (* 1906)
30. Januar: Karel Boleslav Jirák, tschechischer Komponist (* 1891)
31. Januar: Hans Breitensträter, Schwergewichtsboxer (* 1897)
Februar
1. Februar: Karl Grünberg, deutscher Journalist und Schriftsteller (* 1891)
2. Februar: Natalie Clifford Barney, Begründerin eines Literarischen Salons (* 1876)
2. Februar: Arnold Hartig, sudetendeutscher Medailleur (* 1878)
3. Februar: Fritz Harkort, deutscher Volkskundler und Erzählforscher (* 1927)
5. Februar: Link Davis, US-amerikanischer Musiker (* 1914)
5. Februar: Marianne Moore, US-amerikanische Schriftstellerin (* 1887)
6. Februar: Boris Gawrilowitsch Schpitalny, sowjetischer Waffenkonstrukteur (* 1902)
7. Februar: Walter Lang, US-amerikanischer Filmregisseur (* 1896)
7. Februar: Walter von Sanden-Guja, deutscher Schriftsteller, Naturforscher, Dichter (* 1888)
8. Februar: Markos Vamvakaris, griechischer Sänger, Komponist und Bouzouki-Interpret (* 1905)
9. Februar: Artur Wypochowicz, Antifaschist und Kommunalpolitiker (* 1893)
11. Februar: Marian Hemar, polnischer Dichter (* 1901)
15. Februar: Edgar Snow, US-amerikanischer Journalist und Chinakenner (* 1905)
16. Februar: Jakob Fischbacher, deutscher Politiker (* 1886)
18. Februar: Erwin Hinze, deutscher Politiker, Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) (* 1909)
19. Februar: Lee Morgan, Jazz-Trompeter, erschossen von seiner eifersüchtigen Ehefrau (* 1938)
20. Februar: Maria Goeppert-Mayer, deutsch-US-amerikanische Physikerin (* 1906)
20. Februar: Herbert Menges, englischer Komponist und Dirigent (* 1902)
21. Februar: Bronislava Nijinska, polnisch-russische Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin (* 1891)
25. Februar: Gottfried Fuchs, deutscher Fußballspieler (* 1889)
27. Februar: Ivar Rooth, schwedischer Bankier (* 1888)
28. Februar: Victor Barna, ungarischer Tischtennisspieler (* 1911)
29. Februar: Violet Trefusis, britische Schriftstellerin (* 1894)
März
1. März: Richard Epple, von der Polizei erschossener vermeintlicher RAF-Terrorist (* 1954)
1. März: Marianne Kneisel, US-amerikanische Geigerin und Musikpädagogin (* 1897)
2. März: Clifford Coffin, US-amerikanischer Fotograf (* 1913)
2. März: Robert Meyn, deutscher Schauspieler, Theaterintendant (* 1896)
2. März: Léo-Ernest Ouimet, kanadischer Kinodirektor, Filmverleiher und -produzent (* 1877)
2. März: Elmer Raguse, US-amerikanischer Tontechniker (* 1901)
2. März: Erna Sack, deutsche Sängerin (Sopran) (* 1898)
2. März: Thomas Weisbecker, Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ (* 1949)
4. März: Georg Bergler, Professor für Betriebswirtschaftslehre (* 1900)
5. März: Helmut Körnig, deutscher Leichtathlet (* 1905)
7. März: Otto Griebel, deutscher Maler (* 1895)
8. März: Erich von dem Bach-Zelewski, SS-Obergruppenführer (* 1899)
11. März: Ferdinand Friedensburg, deutscher Politiker (* 1886)
11. März: Martin Blank, deutscher Politiker (* 1897)
14. März: Linda Jones, US-amerikanische Soulsängerin (* 1944)
15. März: Philipp Lersch, deutscher Psychologe (* 1898)
16. März: Heinz Hanus, österreichischer Filmpionier (* 1882)
17. März: Francisco Javier Aguilar González, mexikanischer Botschafter (* 1895)
19. März: Paul Braess, deutscher Hochschullehrer (* 1904)
20. März: Gerhard Heid, deutscher Fußballtrainer (* um 1936)
20. März: Marilyn Maxwell, US-amerikanische Schauspielerin (* 1921)
20. März: Curt Proskauer, deutschamerikanischer Zahnarzt und Medizinhistoriker (* 1887)
23. März: Cristóbal Balenciaga, spanischer Modedesigner (* 1895)
27. März: M. C. Escher, niederländischer Künstler und Grafiker (* 1898)
27. März: Ricco Wassmer, Schweizer Maler (* 1915)
29. März: J. Arthur Rank, englischer Industrieller und Filmproduzent (* 1888)
30. März: Mahir Çayan, türkischer Revolutionär (* 1946)
30. März: Otto Stampfli, Schweizer Politiker (* 1894)
31. März: Ramon Iglésias Navarri, Bischof von Urgell und Co-Fürst von Andorra (* 1889)
April
1. April: Josef Ecker-Stadlmayr, österreichischer Politiker (* 1898)
1. April: Dora Puelma, chilenische Malerin (* 1898)
2. April: Franz Halder, deutscher General der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg (* 1884)
3. April: Ferde Grofé, US-amerikanischer Komponist, Arrangeur und Dirigent (* 1892)
3. April: Buford Ellington, amerikanischer Politiker, Gouverneur von Tennessee (* 1907)
4. April: Stefan Wolpe, deutscher Komponist (* 1902)
6. April: August Annist, estnischer Literaturwissenschaftler, Übersetzer, Folklorist und Lyriker (* 1899)
6. April: Heinrich Lübke, deutscher Politiker (* 1894)
7. April: Woodrow Stanley Lloyd, kanadischer Politiker (* 1913)
7. April: Günther Klotz, Oberbürgermeister von Karlsruhe (1952 bis 1970) (* 1911)
11. April: Solomon Aaron Berson, US-amerikanischer Mediziner (* 1918)
11. April: Iver Callø, Politiker der dänischen Minderheit in Südschleswig (* 1888)
11. April: Lucien Erb, französischer Automobilrennfahrer (* 1887)
12. April: C. W. Ceram, deutscher Journalist und Wissenschaftsautor (* 1915)
13. April: Alina de Silva, peruanische Sängerin und Schauspielerin (* 1898)
13. April: Jóhannes Sveinsson Kjarval, isländischer Maler (* 1885)
13. April: Elsie Wisdom, britische Automobilrennfahrerin (* 1904)
15. April: Frank Knight, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler (* 1885)
15. April: Otto Brenner, deutscher Gewerkschafter und ehemaliger Vorsitzender der IG Metall (* 1907)
16. April: Kawabata Yasunari, japanischer Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger (* 1899)
16. April: Karl Lugmayer, österreichischer Volksbildner, Philosoph und Politiker (* 1892)
18. April: Gabriel Cusson, kanadischer Komponist und Musikpädagoge (* 1903)
18. April: Louis Kukenheim, niederländischer Romanist (* 1905)
18. April: Willi Lausen, deutscher Politiker (* 1901)
19. April: Adolf Bach, deutscher Germanist (* 1890)
23. April: Walter Czollek, Leiter des Verlages Volk und Welt in der DDR (* 1907)
23. April: Robert Nünighoff, Vorstandsmitglied der Hessischen Berg- und Hüttenwerke AG (* 1908)
24. April: Pem, deutsch-britischer Journalist und Schriftsteller (* 1901)
24. April: Rudolf Sang, deutscher Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant (* 1900)
25. April: George Sanders, britischer Schauspieler und Oscarpreisträger (* 1906)
26. April: Johann Reichhart, letzter Scharfrichter Deutschlands (* 1893)
26. April: Arthur E. Summerfield, US-amerikanischer Politiker (* 1899)
26. April: Heinrich Vedder, deutscher evangelischer Missionar, Sprachforscher und Ethnologe (* 1876)
27. April: Kwame Nkrumah, ghanaischer Denker und Politiker, 1960–1966 Präsident Ghanas (* 1909)
27. April: Jóhannes úr Kötlum, isländischer Schriftsteller (* 1899)
28. April: Paulus af Uhr, schwedischer Generalmajor und Leichtathlet (* 1892)
28. April: Robert W. Upton, US-amerikanischer Politiker (* 1884)
29. April: Manfred Gurlitt, deutscher Autor und Komponist (* 1890)
29. April: Gotthard Neumann, deutscher Prähistoriker (* 1902)
Mai
1. Mai: Andor Mészáros, ungarisch-australischer Architekt, Bildhauer und Medailleur (* 1900)
2. Mai: Hugo Hartung, deutscher Schriftsteller (* 1902)
2. Mai: J. Edgar Hoover, Begründer und Direktor des Federal Bureau of Investigation (FBI) (* 1895)
3. Mai: Leslie Harvey, schottischer Rock-Gitarrist (* 1944)
4. Mai: Edward Calvin Kendall, US-amerikanischer Biochemiker (* 1886)
5. Mai: Gary Davis, einflussreicher Blues-Gitarrist (* 1896)
5. Mai: Hans Pemmer, österreichischer Heimatforscher und Lehrer (* 1886)
5. Mai: Fulbert Youlou, Präsident der Republik Kongo (* 1917)
6. Mai: Deniz Gezmiş, Mitglied der türkischen 68er-Bewegung (* 1947)
7. Mai: Lino Fayen, venezolanischer Unternehmer und Automobilrennfahrer (* 1925)
7. Mai: Ralph Eugene Meatyard, US-amerikanischer Fotograf (* 1925)
8. Mai: Alexander Graf Stenbock-Fermor, Autor und Widerstandskämpfer in der NS-Zeit (* 1902)
9. Mai: Michael Laßleben, deutscher Verleger (* 1899)
10. Mai: Giovanni Bertone, italienischer Karosseriebauer (* 1884)
12. Mai: Steve Ihnat, US-amerikanischer Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur (* 1934)
12. Mai: Marcel Mongin, französischer Automobilrennfahrer (* 1897)
13. Mai: Dan Blocker, US-amerikanischer Schauspieler (* 1928)
13. Mai: Werner Burri, Schweizer Keramiker (* 1898)
14. Mai: Theodor Blank, deutscher Politiker (* 1905)
18. Mai: Sidney Franklin, US-amerikanischer Regisseur und Filmproduzent (* 1893)
19. Mai: Eftimios Youakim, libanesischer Erzbischof (* 1886)
21. Mai: Camilio Mayer, deutscher Hochseilartist (* 1890)
22. Mai: Cecil Day-Lewis, Schriftsteller und Dichter (* 1904)
22. Mai: Fred Forbát, ungarisch-schwedischer Architekt, Stadtplaner und Maler (* 1897)
22. Mai: Margaret Rutherford, englische Schauspielerin (* 1892)
23. Mai: Paul Atzler, deutscher Jurist (* 1889)
25. Mai: Asta Nielsen, dänische Schauspielerin (* 1881)
27. Mai: José Garibi y Rivera, Erzbischof von Guadalajara und Kardinal (* 1889)
28. Mai: Eduard VIII., britischer König (* 1894)
29. Mai: Margaret Ruthven Lang, US-amerikanische Komponistin (* 1867)
30. Mai: Roberto Rey, chilenischer Schauspieler (* 1905)
Juni
2. Juni: Ulvi Cemal Erkin, türkischer Komponist (* 1906)
7. Juni: Kurt Müller, deutscher Archäologe (* 1880)
8. Juni: Jimmy Rushing, US-amerikanischer Blues- und Jazzsänger (* 1903)
11. Juni: Joakim Bonnier, schwedischer Sportwagen- und Formel-1-Rennfahrer (* 1930)
12. Juni: Ludwig von Bertalanffy, österreichischer Biologe und Naturforscher (* 1901)
12. Juni: Regina Kägi-Fuchsmann, Schweizer Frauenrechtlerin, Flüchtlingshelferin (* 1889)
13. Juni: Georg von Békésy, ungarisch-US-amerikanischer Physiker und Physiologe (* 1899)
14. Juni: Germaine Lebel, kanadische Sängerin (* 1894)
16. Juni: Pedro Biava Ramponi, kolumbianischer Komponist (* 1902)
19. Juni: Helge Rosvaenge, dänischer Tenor (* 1897)
22. Juni: Elton Britt, US-amerikanischer Country-Musiker (* 1913)
22. Juni: Paul Czinner, Autor, Filmregisseur und -produzent (* 1890)
23. Juni: Carl Theodor Auen, deutscher Filmschauspieler (* 1892)
23. Juni: Werner Klingler, deutscher Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor (* 1903)
24. Juni: Hans Heyck, deutscher Dichter und Schriftsteller (* 1891)
25. Juni: Günther Simon, Filmschauspieler der DDR (* 1925)
26. Juni: Gertrud Kurz, Gründerin und Leiterin eines Schweizer Flüchtlingshilfswerkes (* 1890)
26. Juni: Wilhelm Schubert, deutscher Offizier (* 1879)
27. Juni: Cédia Brault, kanadische Sängerin (* 1894)
28. Juni: Eberhard Arlt, deutscher Funktionär (* 1905)
28. Juni: Prasanta Chandra Mahalanobis, indischer Physiker und Statistiker (* 1893)
29. Juni: Boby Lapointe, französischer Sänger (* 1922)
30. Juni: Erwin Anders, deutscher Kameramann (* 1908)
Juli
2. Juli: Edmond Apéti, togoischer Fußballspieler (* 1946 oder 1947)
2. Juli: Felipe Pirela, venezolanischer Sänger (* 1941)
3. Juli: Gustav Hillard, deutscher Schriftsteller, Dramaturg und Kritiker (* 1881)
3. Juli: Fred McDowell, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1904)
7. Juli: Athenagoras, Patriarch von Konstantinopel von 1948 bis 1972 (* 1886)
7. Juli: Talal, König von Jordanien (* 1909)
7. Juli: John Montgomery Dalton, US-amerikanischer Politiker (* 1900)
9. Juli: Willy Minz, Professor (* 1901)
9. Juli: Franz Pfender, deutscher Politiker (* 1899)
10. Juli: Lovie Austin; US-amerikanische Blues und Jazz-Pianistin, Arrangeurin und Komponistin (* 1887)
11. Juli: August Tiedtke, deutscher Karambolagespieler, 2-facher Weltmeister, Europameister und 31-facher Deutscher Meister (* 1913)
11. Juli: Georg Wagner, deutscher Geologe und Hochschullehrer (* 1885)
12. Juli: Konrad Grebe, deutscher Steiger und Erfinder (* 1907)
20. Juli: Friedrich Flick, deutscher Unternehmer (* 1883)
20. Juli: Geeta Dutt, indische Sängerin (* 1930)
21. Juli: Ralph Craig, US-amerikanischer Leichtathlet (* 1889)
22. Juli: Max Aub, spanischer Schriftsteller (* 1903)
23. Juli: George Alan Thomas, britischer Schach-, Badminton- und Tennisspieler (* 1881)
24. Juli: Cecil Wingfield Fiennes, britischer Peer und Autorennfahrer (* 1897)
24. Juli: Franz Schuster, österreichischer Architekt (* 1892)
25. Juli: Thomas Andresen, deutscher Politiker (* 1897)
26. Juli: Joop Boutmy, niederländischer Fußballspieler (* 1894)
27. Juli: Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi, deutscher Schriftsteller, Politiker, Gründer der Paneuropa-Union (* 1894)
31. Juli: Paul-Henri Spaak, belgischer Politiker und Staatsmann (* 1899)
31. Juli: Ernst Fischer, österreichischer Schriftsteller und Kommunist (* 1899)
August
1. August: Pietro Ghersi, italienischer Automobil- und Motorradrennfahrer (* 1899)
2. August: Rudolph Ganz, Schweizer Komponist, Pianist und Dirigent (* 1877)
2. August: Ralph Maria Siegel, deutscher Komponist und Texter (* 1911)
2. August: Paul Goodman, US-amerikanischer Sozialphilosoph und Poet (* 1911)
9. August: Ernst von Salomon, deutscher Schriftsteller (* 1902)
11. August: Albrecht Aschoff, deutscher Politiker (* 1899)
11. August: Max Theiler, US-amerikanischer Biologe (* 1899)
13. August: Hans von Benda, deutscher Dirigent, Musikredakteur und Offizier (* 1888)
13. August: Ralph Tyler Smith, US-amerikanischer Politiker (* 1915)
14. August: Pierre Brasseur, französischer Schauspieler (* 1905)
14. August: Paolo Giobbe, Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1880)
16. August: John Barnes Chance, US-amerikanischer Komponist (* 1932)
19. August: Leopold Reitz, deutscher Schriftsteller (* 1889)
19. August: Tony Taylor, australischer Vulkanologe (* 1917)
24. August: Don Byas, Jazz-Tenorsaxophon-Spieler (* 1912)
24. August: Georg Draheim, Professor für Wirtschaftswissenschaft (* 1903)
25. August: Juan Carlos Paz, argentinischer Komponist (* 1897)
25. August: Helmut Sündermann, deutscher Publizist (* 1911)
26. August: Francis Chichester, britischer Weltumsegler und Luftfahrer (* 1901)
26. August: Albert Hoffmann (Gauleiter), deutscher Kaufmann und NS-Gauleiter (* 1907)
26. August: Dieter Spoerry, Schweizer Autorennfahrer (* 1937)
26. August: Oskar Wacker, deutscher Politiker (* 1898)
26. August: Wilhelm Webels, deutscher Arzt, Maler und Bildhauer (* 1896)
28. August: Wilhelm von Gloucester, Enkel von König Georg V. (* 1941)
29. August: Lale Andersen, deutsche Sängerin und Schauspielerin (* 1905)
29. August: Herta Ilk, deutsche Politikerin (* 1902)
30. August: Joseph Maria Lutz, deutscher Schriftsteller (* 1893)
31. August: Andrés Pardo Tovar, kolumbianischer Soziologe, Musikethnologe und Folklorist (* 1911)
September
1. September: May Frances Aufderheide Kaufman, US-amerikanische Ragtimekomponistin (* 1888)
2. September: John Hutchinson, britischer Botaniker (* 1884)
3. September: Hans Georg Calmeyer, Rechtsanwalt, Retter vieler Juden in der NS-Zeit (* 1903)
4. September: Stanisław Milski, polnischer Schauspieler und Regisseur (* 1897)
5. September: Anton Fliegerbauer, deutscher Polizist und Attentatsopfer (* 1940)
5. September: Josef Romano, israelischer Gewichtheber und Attentatsopfer (* 1940)
5. September: Mosche Weinberg, israelischer Ringertrainer und Attentatsopfer (* 1939)
6. September: David Mark Berger, US-amerikanisch-israelischer Gewichtheber und Attentatsopfer (* 1944)
6. September: Ze'ev Friedman, israelischer Gewichtheber und Attentatsopfer (* 1944)
6. September: Yossef Gutfreund, israelischer Kampfrichter und Attentatsopfer (* 1931)
6. September: Eliezer Halfin, israelischer Ringer und Attentatsopfer (* 1948)
6. September: Amitzur Schapira, israelischer Leichtathletiktrainer und Attentatsopfer (* 1932)
6. September: Kehat Shorr, israelischer Sportschützentrainer und Attentatsopfer (* 1919)
6. September: Mark Slavin, israelischer Ringer und Attentatsopfer (* 1954)
6. September: André Spitzer, israelischer Fechttrainer und Attentatsopfer (* 1945)
6. September: Yakov Springer, israelischer Kampfrichter und Attentatsopfer (* 1921)
8. September: Isidor Alfred Amreich, österreichischer Gynäkologe (* 1885)
12. September: William Boyd, US-amerikanischer Schauspieler (* 1895)
15. September: Ásgeir Ásgeirsson, zweiter Präsident von Island (* 1894)
17. September: Lloyd Stark, US-amerikanischer Politiker (* 1886)
19. September: Robert Casadesus, französischer Pianist (* 1899)
21. September: Henry de Montherlant, französischer Schriftsteller (* 1895)
22. September: Benedicto Kiwanuka, ugandischer Politiker (* 1922)
23. September: Theodor M. Auer, deutscher Diplomat (* 1899)
23. September: Emilio Azcárraga Vidaurreta, mexikanischer Medienunternehme (* 1895)
23. September: Gerard Boedijn, niederländischer Komponist und Lehrer (* 1893)
24. September: Karl Ledersteger, Geodät (* 1900)
25. September: Alejandra Pizarnik, argentinische Dichterin (* 1936)
27. September: Rory Storm, britischer Rockmusiker, Sänger (* 1938)
27. September: S. R. Ranganathan, indischer Mathematiker und Bibliothekar (* 1892)
28. September: Erich Przywara, Theologe und Religionsphilosoph (* 1889)
28. September: Paul Richter, deutscher Kunstmaler und Illustrator (* 1874)
29. September: Armand Schulthess, Schweizer Objekt- und Textkünstler (* 1901)
30. September: Edgar G. Ulmer, US-amerikanischer Filmregisseur (* 1904)
Oktober
1. Oktober: Kurt Hiller, deutscher Schriftsteller und Publizist (* 1885)
1. Oktober: Louis Leakey, Paläoanthropologe (* 1903)
2. Oktober: Gert Andreae, deutscher Schauspieler (* 1927)
7. Oktober: Roland Pièce, Schweizer Funk- und Radiopionier (* 1897)
7. Oktober: Josef Schüttler, deutscher Politiker (* 1902)
8. Oktober: Prescott Bush, US-amerikanischer Senator von Connecticut (* 1895)
9. Oktober: Inger Karén, erste Altistin an der Staatsoper Dresden (* 1908)
10. Oktober: Kenneth Essex Edgeworth, irischer Astronom (* 1880)
10. Oktober: Tom Stewart, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1892)
13. Oktober: Herman Andrew Affel, US-amerikanischer Elektrotechniker, Miterfinder des Koaxialkabels (* 1893)
14. Oktober: Maria Elisabeth Ammann, deutsche Wohlfahrtspflegerin (* 1900)
16. Oktober: Hale Boggs, US-amerikanischer Politiker und Mitglied der Warren-Kommission (* 1914)
16. Oktober: Leo G. Carroll, britischer Schauspieler (* 1886)
16. Oktober: Henri Stoffel, französischer Automobilrennfahrer (* 1883)
16. Oktober: Abdel Wael Zwaiter, Übersetzer, Repräsentant der PLO in Rom (* 1934)
17. Oktober: Günter Neumann, deutscher Komponist, Autor und Kabarettist (* 1913)
19. Oktober: Said ibn Taimur, Sultan von Maskat und Oman (* 1910)
20. Oktober: Harlow Shapley, US-amerikanischer Astronom (* 1885)
20. Oktober: Max Ziervogel, deutscher General (* 1893)
23. Oktober: Dave Simmonds, britischer Motorradrennfahrer (* 1939)
25. Oktober: Doyle Carlton, US-amerikanischer Politiker (* 1885)
25. Oktober: Johnny Mantz, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1918)
26. Oktober: Igor Sikorski, ukrainisch-amerikanischer Luftfahrtpionier (* 1889)
28. Oktober: Mitchell Leisen, US-amerikanischer Regisseur, Schauspieler, Produzent und Kostümdesigner (* 1898)
29. Oktober: Laura Rodig, chilenische Malerin und Bildhauerin (* 1901)
30. Oktober: Silvio Sganzini, Schweizer Sprachwissenschaftler und Kulturhistoriker (* 1898)
31. Oktober: Lee Bartlett, US-amerikanischer Speerwerfer (* 1907)
November
5. November: Lubor Bárta, tschechischer Komponist (* 1928)
6. November: Edward V. Long, US-amerikanischer Politiker (* 1908)
6. November: Heinz Spundflasche, deutscher Fußballspieler (* 1919)
9. November: Max Hommel, Präsident der Eidgenössischen Bankenkommission (* 1902)
11. November: Erich Kaufmann, Staatsrechtler (* 1880)
11. November: Paul Schmitthenner, deutscher Architekt und Hochschullehrer (* 1884)
12. November: Tommy Wisdom, britischer Automobilrennfahrer und Journalist (* 1906)
13. November: Arnold Jackson, britischer Leichtathlet und Olympiasieger (* 1891)
14. November: Martin Dies junior, US-amerikanischer Politiker (* 1900)
15. November: William Ross Ashby, britischer Psychiater und Pionier in der Kybernetik (* 1903)
16. November: Ulysse Paquin, kanadischer Sänger (* 1885)
16. November: Andrei Paschtschenko, russischer Komponist (* 1885)
17. November: Pierre Apestéguy, französischer Schriftsteller (* 1902)
17. November: Eugène Minkowski, russisch-französischer Psychiater (* 1885)
18. November: Stanislaus Kobierski, deutscher Fußballspieler (* 1910)
18. November: Segundo Luis Moreno, ecuadorianischer Komponist (* 1882)
20. November: Erwin Stresemann, deutscher Ornithologe (* 1889)
20. November: Ennio Flaiano, italienischer Schriftsteller (* 1910)
21. November: Karel Hába, tschechischer Komponist (* 1898)
23. November: Juan Pulido, spanischer Sänger und Schauspieler (* 1891)
24. November: Mani Matter, Schweizer Mundart-Liedermacher und Jurist (* 1936)
25. November: Hans Scharoun, deutscher Architekt (* 1893)
25. November: Henri Marie Coandă, Physiker und Aerodynamiker (* 1886)
27. November: Victor Eftimiu, rumänischer Schriftsteller (* 1889)
27. November: Paul Haefelin, Schweizer Jurist und Politiker (* 1889)
27. November: Willi Richter, deutscher Politiker (* 1894)
28. November: Havergal Brian, englischer Komponist (* 1876)
30. November: Hans Erich Apostel, Komponist und Vertreter der Zweiten Wiener Schule (* 1901)
30. November: Johann Josef Demmel, Bischof der Alt-katholischen Kirche in Deutschland (* 1890)
30. November: Neil H. McElroy, US-amerikanischer Politiker (* 1904)
Dezember
1. Dezember: Antonio Segni, italienischer Politiker (* 1891)
2. Dezember: Wassili Luckhardt, deutscher Architekt (* 1889)
2. Dezember: Yip Man, Wing-Chun-Großmeister (* 1893)
3. Dezember: Frederick Lee Hisaw, US-amerikanischer Zoologe und Endokrinologe (* 1891)
4. Dezember: Mikalaj Aladau, weißrussischer Komponist (* 1890)
4. Dezember: Arnold Fischer, deutscher Politiker (* 1898)
6. Dezember: Paul Weyland, deutscher Hochstapler und nationalistischer Agitator (* 1888)
7. Dezember: Humberto Mariles Cortés, mexikanischer Oberst und Spring- und Vielseitigkeitsreiter (* 1913)
9. Dezember: William Dieterle, deutscher Filmregisseur und Schauspieler (* 1893)
12. Dezember: Johanna Magerfleisch, deutsche Malerin (* 1883)
13. Dezember: Robert Laly, französischer Automobilrennfahrer (* 1887)
15. Dezember: Wolfgang Jacobi, deutscher Komponist und Musikpädagoge jüdischer Herkunft (* 1894)
17. Dezember: Peter Tobaben, deutscher Politiker (* 1905)
18. Dezember: Neilia Hunter Biden, US-amerikanische Lehrerin und erste Ehefrau Joe Bidens (* 1942)
18. Dezember: Elise Aylen Scott, kanadische Schriftstellerin (* 1904)
20. Dezember: Günter Eich, deutschen Lyriker und Hörspielautor (* 1907)
20. Dezember: René del Risco Bermúdez, dominikanischer Schriftsteller (* 1937)
21. Dezember: Paul Hausser, Schöpfer und Initiator der Waffen-SS (* 1880)
23. Dezember: Adolf Armbruster, deutscher Landwirt (* 1890)
23. Dezember: Charles Atlas, italoamerikanischer Bodybuilder (* 1892)
23. Dezember: Andrei Tupolew, russischer Flugzeugkonstrukteur (* 1888)
24. Dezember: César Geoffray, französischer Komponist und Chorleiter (* 1901)
24. Dezember: Ernst Kreuder, deutscher Schriftsteller (* 1903)
26. Dezember: Frank Curtis, britischer Autorennfahrer (* 1912)
26. Dezember: Harry S. Truman, US-amerikanischer Politiker, 33. Präsident der USA (* 1884)
27. Dezember: Lester Pearson, kanadischer Politiker (* 1897)
29. Dezember: Joseph Cornell, US-amerikanischer Bildhauer, Maler und Experimentalfilmer (* 1903)
29. Dezember: Henri Armand, französischer Autorennfahrer (* 1894)
29. Dezember: Curth Georg Becker, deutscher Maler und Graphiker (* 1904)
Tag unbekannt
Guiscardo Améndola, uruguayischer bildender Künstler und Maler (* 1906)
Betty Astor, deutsche Filmschauspielerin (* 1902)
Douglas Cameron, englischer Cellist und Musikpädagoge (* 1902)
Auguste Le Guennant, französischer Organist, Komponist und Musikpädagoge (* 1881)
Arthur Kolnik, galizisch-jüdischer Illustrator und Maler (* 1890)
Juan López Sánchez, spanischer Syndikalist und Politiker (* 1900)
Earl Songer, US-amerikanischer Country-Musiker (* 1916)
Willy Zick, deutscher Jagdflieger, Motorradrennfahrer und Unternehmer (* 1895)
Weblinks
Jahresrückblick von tagesschau.de
Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD
Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung (1972) im Bundesarchiv
Zeitzeugnisse zur Alltagskultur des Jahres 1972 im Wirtschaftswundermuseum
Jahr 1972 von Frank Rübertus
Einzelnachweise
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Q2476
| 2,446.883513 |
64572
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https://de.wikipedia.org/wiki/Subvention
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Subvention
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Eine Subvention (von , Unterstützung) ist eine Leistung aus öffentlichen Mitteln an Betriebe, Unternehmen oder auch private Haushalte, die nicht an eine direkte Gegenleistung gebunden ist. Dabei können Produktion von Gütern, deren Export oder Konsum oder auch Investitionen gefördert werden.
Subventionen sind wirtschaftspolitische Eingriffe in das Marktgeschehen, mit denen ein bestimmtes Verhalten der Marktteilnehmer gefördert werden soll. Sie gehören somit zum Instrumentarium der Wirtschaftspolitik.
In manchen Zusammenhängen werden Subventionen auch als Beihilfen bezeichnet. Siehe etwa: Beihilfe (EU)
Zum Begriff
Der Begriff Subvention wird von Juristen und Ökonomen unterschiedlich verwendet. In der Volkswirtschaftslehre wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch werden auch Steuervergünstigungen, Gebührenermäßigungen oder -befreiungen und auch staatlich garantierte Abnahmepreise oder Aufpreise zu den Subventionen gezählt. Es zählt hier die volkswirtschaftliche Wirkung der Maßnahme. In diesem Sinne erfolgt auch die Berichterstattung der EU zu Subventionen im Energiesektor.
Formaljuristisch ist der Begriff enger gefasst. Viele Fördermaßnahmen beinhalten eine staatlich veranlasste Zuwendung zu einer Industrie, wobei die Kosten auf die Allgemeinheit umgelegt werden, sind aber formaljuristisch je nach zuständigem Gesetzgeber keine Subventionen. So ist die Einspeisevergütung für Erneuerbare Energien nach deutschem Recht keine Subvention, wird aber nach EU-Recht als genehmigungspflichtige Beihilfe bewertet. Diese Unterschiede werden im Kapitel Rechtliche Einordnung diskutiert. Eine international gültige Definition des Subventionsbegriffes gibt es nicht.
Sozialstaatliche Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II, BAföG oder Rentenzuschüsse sind nach allgemeiner Auffassung keine Subventionen.
Volkswirtschaftliche Zielsetzungen
Subventionen (auch Förderung genannt) werden gezahlt, um ein politisches und gesellschaftliches Ziel zu erreichen. Mögliche Ziele sind:
einer heimischen Industrie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Importen desselben Produktes zu verschaffen (z. B. Landwirtschaftssubventionen),
die Wettbewerbsfähigkeit eines politisch gewünschtes Produktes gegenüber einem unerwünschten aber billigerem Substitutionsprodukt herzustellen (z. B. Bahn versus LKW),
die Stützung inländischer Produzenten über die Gewährung von Garantiepreisen oder die Stabilisierung inländischer Preise über sogenannte Exportsubventionen (Ein Beispiel sind die ins Ausland geschobene Überproduktion der über Direktzahlungen und Garantiepreise hoch subventionierten europäischen Landwirtschaft wie auch die Hermesbürgschaften),
die Preissenkung für gewisse Produkte aus sozialen oder gesellschaftlichen Gründen (zum Beispiel öffentlicher Nahverkehr, Sozialwohnungsbau),
die direkte Förderung gewünschter Produkte. Hier geht es zum Beispiel um Kultur oder Forschung und Entwicklung,
Standortförderung, Arbeitsplatzerhaltung oder -schaffung, Rettung notleidender Unternehmen,
sanfte Eingriffe in das Investitions- und Konsumverhalten des privaten Sektors zur Umsetzung staatlicher Ziele (Abwrackprämie, Förderungen im Rahmen des Energieeffizienzgesetzes).
Einige dieser Ziele werden im Folgenden genauer ausgeführt.
Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Importen
Know-how-intensive heimische Industrien werden gefördert und somit gegen ausländische Konkurrenz geschützt, weil ein positiver gesamtwirtschaftlicher Effekt aus dem Know-how-Aufbau in diesem Bereich erwartet wird und der Markt diese externen positiven Effekte nicht widerspiegelt. In diesem Fall kann die Regierung entweder Zölle auf konkurrierende Importe erheben oder die inländische Industrie subventionieren. Im ersten Fall erhöht sich der Preis des Produktes und die Konsumenten zahlen die Kosten der Förderung. Im zweiten Fall bleibt der Preis auf dem durch den Import bestimmten niedrigen Niveau und die Öffentlichkeit zahlt über die Steuern die Kosten der Förderung.
Die Landwirtschaftssubventionen sollen unter anderem die Selbstversorgung des Landes (oder Europas) mit Lebensmitteln sicherstellen, das heißt hier wird aus militärischen und anderen Sicherheitserwägungen eine Unabhängigkeit von Importen angestrebt. Da die Lebensmittelautarkie in der EU erreicht ist, erhalten die Landwirte heute Direktzahlungen sowie weitere Förderungen, die an Auflagen wie etwa bei der Lebensmittelsicherheit, beim Tierschutz und beim Umweltschutz gebunden sind. Im Rahmen der Regulierung der Landwirtschaft werden einheitliche Qualitätsstandards, geschützten Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen sowie umfassende Informationspflichten der Hersteller durchgesetzt.
Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Substitutionsprodukten
Viele Industrien haben hohe Eintrittsbarrieren. Das heißt, es muss zunächst ein sehr hohes initiales Investment getätigt werden, entweder in Form von einem Bau sehr teurer Anlagen oder in Form von Forschung und Entwicklung. Danach können Güter zu relativ niedrigen variablen Stückkosten produziert werden. Liegt der aktuelle Preis nicht zu weit über den variablen Stückkosten, so kann die Produktion für bestehende Firmen sehr profitabel sein, während sich neue Investments nicht lohnen. Dennoch können Neuinvestitionen als gesamtwirtschaftlich vorteilhaft erachtet und somit subventioniert werden, da hiermit Monopolgewinne vermieden werden.
Auch Kostendegressionen, die mit der Entwicklung von neuen Industrien einhergehen (beispielsweise der Entwicklung von Windrädern und Solarzellen) sind – volkswirtschaftlich betrachtet – Eintrittsbarrieren. Am Anfang sind hohe Verluste zu erwarten, bevor ein Industriezweig einen wettbewerbsfähigen Entwicklungsstand erreicht hat. Es kann sinnvoll sein, diese Anfangsverluste durch Subventionen zu überbrücken.
Weiterhin können externe Effekte zu der Einschätzung führen, dass ein Produkt (zum Beispiel die Bahn) volkswirtschaftlich betrachtet billiger ist als ein anderes (zum Beispiel das Auto), obwohl die Marktpreise dies nicht widerspiegeln. Die Subvention soll in diesem Fall dazu dienen, die geringeren externen Kosten wie Umweltverschmutzung, Lärm, CO2-Ausstoß, Verlust an allgemeiner Lebensqualität monetär zu vergüten.
Direkte Förderung von Forschung und Entwicklung
Von Firmen durchgeführte Forschung und Entwicklung hat positive externe Effekte, das heißt eine positive Rückkopplung auf die Volkswirtschaft insgesamt. Für die durchführende Firma zählt aber nur, ob die Forschung und Entwicklung für das eigene Unternehmen rentabel ist. Daher wird weniger Forschung und Entwicklung durchgeführt als für die Volkswirtschaft sinnvoll und wirtschaftlich ist. Daher kann es sinnvoll sein, Forschung und Entwicklung zu fördern.
Stützung von Preisen und Exportsubventionen
Exportsubventionen werden als Förderung der inländischen exportorientierten Industrie gewährt. Im Falle der Hermesbürgschaften werden Ausfallrisiken beim Export in gewisse Länder vom Staat übernommen. Da dem Export in der Regel ein gleicher Import entgegensteht, da die Ware bezahlt werden muss, dient die Exportförderung auch der Förderung des Außenhandels insgesamt.
Staatliche Steuerung durch Subventionen
Der Staat kann seine Ziele durch Gesetze und andere Regulierungen durchsetzen oder über Subventionen für Unternehmen und Privathaushalte ökonomische Anreize setzen, privatwirtschaftliche Entscheidungen an staatlichen Zielen auszurichten. Der zweite Weg hat den Vorteil, dass die Freiwilligkeit erhalten bleibt und den privatwirtschaftlichen Akteuren oftmals weit größere Spielräume in der Umsetzung verbleiben. Da auch gesetzliche Verordnungen mit volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sind, kann die zweite Möglichkeit volkswirtschaftlich billiger sein. Ein Beispiel für die staatliche Steuerung durch Subventionen ist das Gebäudeenergiegesetz, in dem Energiesparmaßnahmen sowie auch verschiedene Informations- und Beratungsleistungen gefördert werden, aber keine Zwangssanierungen angeordnet werden.
Vergabeverfahren
Subventionen können über verschiedene Verfahren vergeben werden:
Direktzahlungen
Die direkte Auszahlung von Geldern ist die klassische Form der Subvention. Hier wird aufgrund eines politischen Zwecks ein Unternehmen mit einer finanziellen Unterstützung versehen, welche direkt in dessen liquide Mittel einfließt. Diese müssen, im Gegensatz zu Darlehen, nicht zurückbezahlt werden.
Garantiepreise
Der Staat garantiert hier, dass die Erzeuger Preise über den Marktpreisen erhalten. Beispiele sind der Interventionspreis in der Agrarpolitik oder die Einspeisevergütungen im Bereich der Energiepolitik.
Darlehenskonditionen
Um unternehmerische Aktivitäten unabhängig von privatwirtschaftlichen Kreditregeln zu finanzieren, kann dem Unternehmen ein von der öffentlichen Hand subventioniertes, preisgünstigeres Darlehen vergeben oder ermöglicht werden. Darlehen zu günstigeren Konditionen, als am Markt zu bezahlen, ermöglicht der öffentlichen Hand eine unternehmerische Investition, die dennoch im Markt funktioniert und sich auch amortisieren kann. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat als primäre Aufgabe den industriellen Mittelstand, Existenzgründer und Privatpersonen mit günstigen Darlehen zu versorgen. Dabei werden alle Darlehen ausschließlich für Projekte in Infrastruktur, Wohnungsbau und Energiespartechniken, aber auch Bildungskredite, Filmfinanzierungen und Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit vergeben.
Bürgschaften
Ist es für einen Unternehmer zwar möglich, ein privatrechtliches Darlehen zu erhalten, bei dem aber die Kreditsicherheiten nicht ausreichend sind, so kann die öffentliche Hand mit öffentlichen Bürgschaften diese Sicherheiten stellen. Hauptanwendung für Bürgschaften ist die Exportkreditversicherung (z. B. Hermesdeckungen) zur Exportförderung.
Realförderung
Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen kann an öffentliche Ziele geknüpft werden. Bei der Realförderung verzichtet die öffentliche Hand auf den marktwirtschaftlich günstigsten Preis und akzeptiert zugunsten eines politischen Ziels Mehrkosten. Auch die Veräußerung von Sachwerten der öffentlichen Hand zu einem nicht marktüblichen Preis an einen Unternehmer sind Realförderungen (z. B. Grundstücksverkauf an gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften).
Steuervergünstigungen
Die Steuersubvention (auch Verschonungssubvention, indirekte Subventionen) ist eine Subvention im weiteren Sinne. Auch eine generelle Steuerbefreiung oder eine konkrete Steuerermäßigung durch einen Steuererlass erfüllen die Wesensmerkmale einer Subvention.
Andere Subventionen
Weitere Fälle sind die Produktionserstattung und Exportsubventionen aus dem Bereich der Agrarmarktordnungen.
Negative Auswirkungen
Subventionen erzeugen eine Subventionsmentalität. Unternehmerische Aktivitäten werden danach ausgerichtet, wofür es gerade Geld gibt. Dabei tritt die Expertise und das wirtschaftliche und fachliche Urteil sowie die intrinsische Motivation für die Herstellung guter Produkte in den Hintergrund.
Oftmals besteht die Hoffnung, durch Subventionen die Wettbewerbsfähigkeit „innovativer“ Industrien zu stärken. Tatsächlich bestätigen empirische Studien, dass Subventionen die Innovationsfähigkeit, Kundenorientierung, Angebotsattraktivität, Kostenkompetitivität, Anpassungsfähigkeit und generelle Wettbewerbsfähigkeit der Empfängerindustrien senken. Staatliche Zahlungen werden fest eingeplant. Je höher ihre Bedeutung für das Firmenergebnis, desto mehr wendet sich die interne Aufmerksamkeit weg von der Beobachtung der Märkte und hin zur Verfolgung politischer Kanäle und Lobbyarbeit, um herauszufinden, was getan werden muss, um Subventionszahlungen weiter zu erhalten oder zu steigern.
Die Subventionen an einige im Allgemeinen weniger profitable Industrien müssen von den profitablen, wettbewerbsfähigen Industrien erwirtschaftet werden. Dies führt zu einer Schädigung wettbewerbsfähigerer Industrien zugunsten nicht wettbewerbsfähiger Industrien und damit zu einer Schwächung der Wirtschaft insgesamt und zu einer Verfestigung von Fehlstrukturen. Subventionen verhindern Marktaustritte von weniger leistungsstarken Unternehmen. Kapital, Know-how, Fachkräfte usw. werden dadurch in unwirtschaftlichen Aktivitäten gebunden und aufstrebenden, produktiven Sektoren vorenthalten. Flächendeckende Subventionierung führt gesamtwirtschaftlich zu unrealistischen Renditezielen und lässt eigentlich profitable, aber außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit stehende Projekte unattraktiv erscheinen.
Förderungen kommen weit überproportional Großunternehmen zugute. Empirische Studien zeigen, dass kleinere und mittlere Unternehmen weder Zeit noch Personal haben, um über ständig wechselnde Förderprogramme informiert zu bleiben und die stets erforderlichen ausführlichen Anträge zu erstellen. Lobbyisten von Großunternehmen sind den staatlichen Akteuren bekannt, die Interaktionen mit diesen wenigen Vertretern ist aus Sicht der staatlichen Vergabestellen arbeitssparend und effizient.
Investitionen in Förderung und Entwicklung gelten oftmals als volkswirtschaftlich sinnvoll aber betriebswirtschaftlich nicht darstellbar. Aus diesem Grund sollen sie oftmals gefördert werden. Wieweit allerdings solche positiven wirtschaftliche Rückkopplungen in einer Größenordnung bestehen, die die allgegenwärtige öffentliche Förderung von privater Forschung und Entwicklung rechtfertigt, wurde bislang nicht systematisch untersucht. Zudem hat jede Firma einen Anreiz Förderungen zu beantragen, unabhängig davon ob die betreffende Investition auch ohne Förderung betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Somit ersetzt die Förderung unter Umständen nur private Investitionen und gibt Firmen einen ungerechten Wettbewerbsvorteil, ohne dass sich die Summe der betreffenden Investitionen erhöht. Besonders bei Startups besteht zudem das offensichtliche Risiko, dass sich Gründer auf bedingungslos fließenden Geldern schlichtweg ausruhen oder diese für gänzlich andere Zwecke ausgeben. Dem Subventionsgeber werden von Zeit zu Zeit angeblich aussichtsreiche Produkte präsentiert, die sich später am Markt als Flops erweisen, falls eine Markterschließung überhaupt ernsthaft in Angriff genommen wird.
Exportsubventionen sind eine sehr umstrittene Maßnahme. Das exportierende Land zahlt Steuergeld dafür, dass andere Länder verbilligte Waren erhalten. Die volkswirtschaftliche Bilanz davon ist trotz dem gegenzurechnenden volkswirtschaftlichen Effekt aus dem Mehrabsatz der exportierenden Industrien negativ. Das importierende Land hat von den Exportsubventionen eines anderen Landes oberflächlich Vorteile, da es in den Genuss verbilligter Waren ohne eigene staatliche Aufwände kommt. Tatsächlich werden Exportsubventionen jedoch im Allgemeinen im internationalen Handel als Dumping mit Misstrauen betrachtet und die betroffenen Staaten reagieren oftmals mit Gegenmaßnahmen zum Schutz der eigenen Industrie wie zum Beispiel Einfuhrzöllen.
Die Subventionierung der europäischen Landwirtschaft über Direktzahlungen und Garantiepreise und die Abschiebung der resultierenden Überproduktion ins Ausland unter Zahlung von Exportsubventionen wird regelmäßig für den Verfall der afrikanischen Landwirtschaft verantwortlich gemacht. Die Fischerei-Subventionen von EU, USA und China sind mitverantwortlich für die Überfischung der Meere.
Landwirtschaft und Fischerei erhalten steuervergünstigte Treibstoffe, die sich negativ auf das Klima auswirken. In Deutschland kritisiert das Umweltbundesamt zahlreiche Vergünstigungen als umweltschädlich. Allein auf Bundesebene wurden 2018 in diesem Bereich 65,4 Milliarden Euro ausgezahlt. Fast die Hälfte davon entfielen dabei auf den Bereich Verkehr. Besonders kritisiert wurden hier die Steuerbefreiung für Flugbenzin, die Befreiung internationaler Flüge von der Umsatzsteuer, die Vergünstigung für Dieselbenzin (Dieselprivileg), die Pendlerpauschale und das Dienstwagenprivileg, aber auch die Wohnungsbauprämie. Letztere sei nicht nur umweltschädlich, sondern auch sozial ungerecht, da überwiegend Haushalte mit vergleichsweise höherem Einkommen davon profitieren.
Die Verbilligung von Konsumpreisen aus sozialen Gründen führt ebenfalls oft zu Missbrauch. So heißt es, dass in der Sowjetunion staatlich subventioniertes verbilligtes Brot an Schweine verfüttert wurde. Oftmals ist hier der Markt auch stärker als der Regulator, so führen gedeckelte Mietpreise regelmäßig zu legalen und illegalen Ablösezahlungen.
Im Kultursektor führt die universelle Abhängigkeit von Subventionen nach den Autoren Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz in ihrem Buch Kulturinfarkt dazu, dass eine etablierte Kulturlobby für ihren Selbsterhalt sorgt. Geförderte Kunst sei marktfern, uninnovativ und spalte die Gesellschaft, indem sie sich ausschließlich an das Bildungsbürgertum richtet.
Rechtliche Einordnung
Deutsche Legaldefinition
Eine Legaldefinition gibt es in Abs. 8 StGB zum Subventionsbetrug:
Subvention im Sinne dieser Vorschrift ist
Die Subventionsberichte der Bundesregierung erfassen Finanzhilfen und Steuervergünstigungen.
Europarecht
Im Europarecht wird für Subvention der Begriff „staatliche Beihilfe“ verwendet. Diese Beihilfen werden über Abs. 7 Nr. 2 StGB in den Subventionsbegriff Strafgesetzbuches einbezogen.
Der Beihilfebegriff des AEUV (ex Art. 87 EGV) zeichnet sich durch fünf Elemente aus:
Gewährung aus staatlichen Mitteln: In diesem Zusammenhang ist es ausreichend, wenn die betreffende Maßnahme dem Staat zugerechnet werden kann. Unter Staat sind nicht nur alle staatlichen Ebenen (Bund, Land, Kommune) zu verstehen, sondern auch vom Staat errichtete Einrichtungen.
Begünstigung: Die begünstigende Wirkung ist zu bejahen, wenn das betreffende Unternehmen für die Maßnahme keine entsprechende – marktübliche – Gegenleistung erbringt (Mittelzuführung oder Belastungsminderung).
Selektivität: Eine Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige ist gegeben, wenn eine Maßnahme selektiv ist und dadurch das Gleichgewicht zwischen dem Beihilfeempfänger und seinen Wettbewerbern zugunsten des Ersten beeinflusst. Eine Maßnahme ist dann nicht selektiv, wenn sie durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, zu dem sie gehört, gerechtfertigt ist (Maßnahme, die an objektive Kriterien gebunden ist und in deren Genuss eine sehr große Anzahl von Unternehmen kommt).
Wettbewerbsverfälschung: Eine Wettbewerbsverfälschung liegt vor, wenn die Maßnahme tatsächlich oder potenziell in ein Wettbewerbsverhältnis eingreift und damit den Ablauf des Wettbewerbs verändert.
Handelsbeeinträchtigung: Bei der Handelsbeeinträchtigung reicht bereits eine mögliche Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel.
Eine staatliche Beihilfe liegt vor, wenn alle genannten Merkmale kumulativ erfüllt sind. In ff. AEUV (Beihilfenverbot) sind Details bzgl. der Zulässigkeit geregelt.
Der StabG regelt, dass Bundesmittel, die für bestimmte Zwecke an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung gegeben werden, insbesondere Finanzhilfen, so gewährt werden sollen, dass es den Zielen des StabG nicht widerspricht.
Der HGrG definiert Zuwendungen als und knüpft deren Gewähr an bestimmte Voraussetzungen: Solche dürfen nur „veranschlagt werden, wenn der Bund oder das Land an der Erfüllung durch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann.“
Subventionen und Freihandel in der EU
Ein Eingriff in das Marktgeschehen, der durch Subventionen bewirkt wird, wird dann zum rechtlichen Problem, wenn der Freihandel rechtlich gesichert ist, wie es innerhalb der Europäischen Union und zwischen den Vertragsstaaten der Welthandelsunion (WTO) der Fall ist. Deswegen enthält AEUV ein grundsätzliches Verbot von Beihilfen, das jedoch durch eine Reihe von Ausnahmetatbeständen durchbrochen wird (Europäisches Beihilfenrecht). Gewährt ein Mitgliedstaat Subventionen, die diesem Verbot zuwiderlaufen, kann die Europäische Kommission die Subventionsvergabe für unionsrechtswidrig erklären und einen Beschluss fassen, nach dem der Mitgliedstaat die Subventionen zurückverlangen muss. Beabsichtigt ein Mitgliedstaat die Vergabe von Subventionen, ist er nach Abs. 3 Satz 1 AEUV dazu verpflichtet, dies der Europäischen Kommission anzuzeigen (Notifizierungspflicht). Innerhalb der Welthandelsorganisation schränkt das Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen die Zulässigkeit von Subventionen einschließlich steuerlicher Subventionen stark ein. Sowohl innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als auch zwischen den Vertragsstaaten der Welthandelsorganisation kommt es häufig zu Konflikten über Exportsubventionen, die von einzelnen Staaten gewährt werden, um ihrer heimischen Wirtschaft Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Einen Sonderfall bilden dabei solche Exportsubventionen, die in Steuergesetzen enthalten sind.
USA
Nach US-amerikanischem Recht gelten auch private Vergünstigungen, etwa durch Unternehmen, Banken und Verbände, als „Subvention“. Diese Auffassung wurde wohl deshalb beibehalten, um eine Handhabe gegen die (unerwünschte) Tätigkeit privater Kompensationskassen zu besitzen.
Subventionsberichterstattung
In einer Reihe von Ländern erfolgt eine regelmäßige Subventionsberichterstattung der Regierung oder des zuständigen Ministeriums.
Deutschland
Die Bundesregierung ist nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verpflichtet, dem Bundestag im Abstand von zwei Jahren über die Subventionen des Bundes zu berichten. Der Subventionsbericht erfasst dabei Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes.
Hinweis: Die Begriffsbestimmung um den Begriff „Subvention“ wird auch im 20. Subventionsbericht thematisiert.
Daneben gibt es eine Subventionsberichterstattung durch einzelne Bundesländer:
Finanzhilfenbericht des Hessischen Ministeriums der Finanzen
der Subventionsbericht des Freistaats Thüringen
der Subventionsbericht des Landes Niedersachsen
der Subventionsbericht (Baden-Württemberg)
Schweiz
In der Datenbank kann nach verschiedenen Kriterien gesucht werden. In den Jahren 1997, 1999 und 2008 hat der Bundesrat jeweils einen Subventionsbericht veröffentlicht.
Österreich
Die österreichische Bundesregierung berichtet im Rahmen des Förderungsberichtes über die Subventionen.
Nichtstaatliche Zusammenstellungen
Daneben gibt es auch Zusammenstellungen von Subventionen von wissenschaftlichen und anderen nichtstaatlichen Institutionen wie der Kieler Subventionsbericht des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Dieser Bericht enthält auch Finanzhilfen und Steuervergünstigungen von Gemeinden und Ländern.
EU
Im Auftrag der EU werden mehrere Subventionsberichte erstellt. Beobachtet werden insbesondere Landwirtschafts- und Fischereisubventionen und Subventionen im Energiesektor. Als Energiesubventionen werden dabei alle Arten von Geldtransfers von öffentlichen Körperschaften an Private (Direktzahlungen, Steuervergünstigungen) betrachtet, weiterhin alle gesetzlich vorgegebenen Mechanismen und Prozesse, die zu Quersubventionen führen.
Ähnliche Instrumente der Wirtschaftspolitik
Als Instrumente zur Steuerung des Außenhandels gehören Subventionen in dieselbe Kategorie wie Import- und Exportzölle, Exportkontrollen und Einfuhrkontingente. Weiterhin stellen Subventionen oftmals eine Alternative zu einer direkten wirtschaftlichen Betätigung des Staates dar.
So gibt es mehrere Möglichkeiten, eine inländische Industrie vor der Konkurrenz durch Importe zu schützen. Die Industrie kann subventioniert werden, es können Importzölle erhoben werden, um Importe zu verteuern oder es können Einfuhrkontingente eingeführt werden, um die Importmengen zu beschränken.
Soll eine Preissteigerung zum Beispiel von Lebensmitteln verhindert werden, so können Exportzölle erhoben oder die Ausfuhr überhaupt verboten werden. Letzteres wurde bei Lebensmitteln in Kriegs- und Hungerzeiten angewandt.
Statt erwünschte Produkte zu subventionieren, können diese auch direkt von der öffentlichen Hand bereitgestellt werden. Dies ist im Bildungs- und Kultursektor wie auch im Infrastrukturbereich inklusive der Energieerzeugung häufig der Fall.
Siehe auch
Quersubvention, Windhundprinzip, Gießkannenprinzip, Rasenmäherprinzip
Förderprogramme der EU, Ausfuhrerstattung
GATT
SCM Agreement
meritorische Güter
Public Social Private Partnership
Staatsinterventionismus
Antisubventionsmaßnahmen
Subventionskodex
Schutzklausel-Kodex
Schlichtungs- und Streitbeilegungsverfahren
Weblinks
Walter Kortmann: Subventionen: Die verkannten Nebenwirkungen. In: Wirtschaftsdienst. H. 7/2004, S. 462–472 (PDF; 83 kB).
Empfänger der EU-Agrarfonds – Veröffentlichung durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
Zur Geschichte der Subventionen in der Schweiz 1848–1959. In: Berner Zeitung. 15. Mai 2010
Datenbank der Bundessubventionen (Schweiz)
Einzelnachweise
Zoll
Steuerrecht
Sozialstaat
Wirtschaftsförderung
Verwaltungsrecht
Politisches Instrument
Welthandelsrecht
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Q193219
| 121.578143 |
193710
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fauvismus
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Fauvismus
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Fauvismus wird in der Kunstgeschichte einer Stilrichtung der Malerei zugeordnet. Sie entstand aus einer Bewegung innerhalb der französischen Avantgarde zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Fauvismus bildet die erste Bewegung der klassischen Moderne.
Die Hauptvertreter der zunächst geschmähten Bewegung waren Henri Matisse, André Derain und Maurice de Vlaminck. Ihnen schlossen sich Raoul Dufy, Albert Marquet, Kees van Dongen, Othon Friesz und Georges Braque an. Von einigen Kunsthistorikern werden auch Henri Manguin, Charles Camoin, Jean Puy und Louis Valtat zu den Fauves gezählt, neueren Tendenzen zufolge ebenfalls Georges Rouault.
In den fauvistischen Bildern sollte die Farbgebung nicht mehr der illusionistischen Darstellung eines Gegenstandes dienen. Die malerische Aussage entstand aus dem Zusammenklang der Farbflächen. Typisch für die meisten Werke sind ihre leuchtenden Farben. Die Überlegungen zur Darstellung des Raumes sind jedoch ebenso wesentlicher Bestandteil der Bildkomposition.
Die Wurzeln des Fauvismus entstammen dem Impressionismus, Ziel war aber, der Flüchtigkeit impressionistischer Bilder entgegenzuarbeiten, um dem Werk mehr Dauer (frz. durée) zu verleihen. Eine eigene Theorie oder ein Manifest hatte der Fauvismus dabei nicht. Einer neueren Sichtweise zufolge habe der Fauvismus Gemeinsamkeiten mit dem Expressionismus.
1907 löste der Kubismus den Fauvismus ab und zog einige seiner Vertreter an. Es ist ein Erbe der Fauves, dass moderne Künstler die Farbe als individuelles Ausdrucksmittel sehen.
Begriff
Der Begriff „Fauvismus“ leitet sich her von dem französischen Wort fauves „wilde Bestien“. Als eine kleine Gruppe von Malern 1905 im Saal VII des Salon d’Automne ihre Bilder zeigte, sah der Kunstkritiker Louis Vauxcelles zwischen den Malereien eine weibliche Büste in florentinischer Art stehen, geschaffen vom französischen Bildhauer Albert Marque. Er rief: „Tiens, Donatello au milieu des fauves.“ („Sieh da, Donatello umgeben von wilden Bestien.“) Neben Henri Matisse und André Derain zeigten Albert Marquet, Henri Manguin, Othon Friesz, Jean Puy, Louis Valtat, Maurice de Vlaminck, Charles Camoin und Kees van Dongen ihre Werke.
Die Formulierung wurde berühmt durch die Aufnahme in einen Artikel in Gil Blas vom 17. Oktober 1905, in dem Vauxcelles über das Gemälde La femme au chapeau (Frau mit Hut) von Matisse schrieb, sie erleide „das Schicksal einer christlichen Jungfrau, die im Zirkus den wilden Bestien (Fauves) vorgeworfen wird“. Im selben Artikel wiederholte er die im so bezeichneten Cage aux fauves – dem Käfig der wilden Bestien (Saal VII) – getroffene Äußerung: „Donatello chez les fauves.“
Der Artikel verband Maler miteinander, die nie daran gedacht hatten, als eine geschlossene Gruppe aufzutreten. Ihre Bilder hingen im Saal VII des Salon d′Automne, weil die Verantwortlichen, Armand Dayot und Léonce Benedite, es so entschieden hatten. Die erste Ausstellung der von nun an Fauves genannten Maler fand vom 21. Oktober bis zum 20. November 1905 in einer kleinen Galerie in der Rue Victor-Massé 25 statt, die von Berthe Weill geführt wurde. Die ausstellenden Maler waren Camoin, Derain, Dufy, Friesz, Manguin, Marquet, Matisse und Vlaminck.
Die Gruppe selbst lehnte die Namensgebung ab. Der Ausdruck wurde von den Malern für so wenig zutreffend gehalten, dass sie ihn vor 1907 nicht gebrauchten. Sie hatten nicht das Bedürfnis, sich einen Namen geben zu müssen.
Die Bezeichnung Fauvismus – wie zuvor für den Impressionismus und später den Kubismus – war zufällig, kam von außen, war der Ausdruck einer Schockwirkung auf die Zeitgenossen. Das von Vauxcelles geprägte Wort belastete das Schicksal dieser neuen Malerei und verfälschte deren Verständnis. In dem Wort Fauve steckte unbewusst die zu dieser Zeit noch lebendige Ideologie, die den übermäßigen Farbenreichtum verurteilte und der Zeichnung für die Bildgestaltung den Vorrang gab. Die Farbe galt noch im Sinne Ingres’ als „tierischer Teil der Kunst“.
Fauvismus ist eine jener Stilbezeichnungen, die weder eine geistige Situation noch einen Stil der Malerei angemessen beschreiben. Bei Vlaminck oder van Dongen sind Züge des „wilden Tieres“ zu finden, insoweit man dies auf den Gegenstand oder die Technik bezieht, kaum jedoch bei Derain und Matisse.
Charakterisierung
Drei Hauptgruppen, zu denen noch der niederländische Einzelgänger Kees van Dongen kommt, tragen zur Bildung des Begriffs Fauvismus bei:
die Schüler Gustave Moreaus und der Académie Carrière: Henri Matisse, Albert Marquet, Charles Camoin, Henri Manguin und Jean Puy.
die Gruppe aus Chatou: André Derain und Maurice de Vlaminck.
das bekehrte Trio aus Le Havre von impressionistischer Herkunft: Othon Friesz, Raoul Dufy und Georges Braque.
Die Maler wollten mit der Vergangenheit, insbesondere dem Impressionismus und Realismus, brechen und nicht von einem Vorbild abhängig werden. Sie arbeiteten dem flüchtigen Eindruck impressionistischer Bilder entgegen, um dem Werk mehr Dauer (frz. durée) zu verleihen.
In dem Sujet Landschaftsmalerei wurden die grundlegenden Ziele entwickelt. In den Bildwerken sind Licht und Raumgestaltung durch die Farbe gleichwertig. Die räumlichen Erscheinungen werden als reine Fläche ohne Modellierung und Illusion des Helldunkels behandelt. An die Stelle der Raumillusion tritt ein durch Empfindungsvermögen und Phantasie gestalteter poetischer Raum. Dieser Raum drückt sich bildnerisch durch ein Zusammenspiel reiner, gleichmäßig gesättigter Farben aus. Die Fauves lehnten literarische Bezüge in der Malerei ab.
Der Ausdruck (frz.: expression) des Werkes liegt in der farbigen Oberfläche des Bildes, die der Betrachter als Ganzes erfasst. Die höchste Steigerung der Farbe genüge nicht, um den Fauvismus zu charakterisieren. „Das ist nur das Äußere“, so Matisse, „der Fauvismus ist dadurch entstanden, daß wir die nachahmenden Farben abgelehnt und mit den reinen weit stärkere Wirkungen […] erzielt haben, abgesehen von der Leuchtkraft der Farben.“ Für den Fauvismus typisch ist ebenso, dass die Maler die Übereinstimmung zwischen dem Ausdruck und dem inneren Gehalt des Bildes durch die ordnende Komposition anstrebten. Der Einfachheit der eingesetzten malerischen Mittel wurde hierbei eine deutliche Beachtung geschenkt.
Historische Eingliederung
Gesellschaft
Die Maler, die 1905 zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt waren, wurden kurz nach der Niederlage Frankreichs von 1870 und den Ereignissen der Pariser Kommune geboren und stammten aus meist bescheidenen Familienverhältnissen. Frankreich wurde 1894 von der Dreyfus-Affäre erschüttert und gespalten, es wurde viel protestiert. Das Vertrauen in die Staatsgewalt, Justiz, Armee, Kirche und in das Wirtschaftssystem war für manche Kritiker erschüttert. So kamen antiklerikale, antimilitaristische, antikonformistische, sogar anarchistische Tendenzen zum Vorschein.
Der Anarchismus zwischen 1900 und 1905 war in Frankreich jedoch keine aktive, gewalttätige Bewegung mehr, es handelte sich vielmehr um einen Kaffeehaus-Anarchismus. Die Fauves hatten sich zwar in einem gewissen Sinn den Anarchisten angenähert – so führte der Kampf gegen die anerkannte bürgerliche Kunst auch zum Kampf gegen die etablierte Ordnung. Doch Derain äußerte bereits 1905 in einem Brief an Vlaminck: „Ich bin wieder auf einen Anarchisten gestoßen. Überall, wo ich hinkomme, habe ich einen Haufen Anarchisten um mich, die jeden Abend die Welt zerstören und sie morgens wieder zusammensetzen. Das geht mir auf die Nerven, vor allem die Idee, geglaubt zu haben, daß ich selber einer sei.“
Die Weltausstellung von 1900 in Paris machte die Kluft deutlich, die zwischen der europäischen Industriegesellschaft und den neu entdeckten Kulturen des Fernen Ostens, Afrikas und Ozeaniens lag. Auf diese Weise gelangten Kunstwerke weit entfernter Kulturen in die Hauptstadt Frankreichs, die bei den Fauves Beachtung fanden.
Philosophie und Literatur
Der Geist der Fauves ist vergleichbar mit den Gedanken André Gides. Gide preist den Kult des Lebens, jenen Zustand der leidenschaftlichen Begeisterung, in dem sich das Individuum entfaltet, was er 1897 in Les nourritures terrestres zum Ausdruck bringt. Die literarische Haltung Gides, der aus Unmut über den Symbolismus die Kunst des Schreibens erneuern will, entsprach der Reaktion der Fauves. So wendeten sie sich gegen die Unproduktivität der offiziellen Kunst und die Auswüchse des sich im Anekdotischen verlierenden Symbolismus in der Malerei.
Im Januar und Februar 1900 erschienen in der Zeitschrift Mercure de France Artikel von Jules de Gaultier, der die antirationalistische und individualistische Grundlage der Philosophie Nietzsches sowie die in Also sprach Zarathustra im Überfluss vorhandene lyrische Begeisterung hervorhob. Ein anderer Aspekt des Nietzsche’schen Denkens war die Verteidigung des Dionysischen gegen das Christentum. Diese Haltung machte aus Nietzsche den Propheten des Méditerranéisme, einen Philosophen der Mittelmeerländer, den die Fauves bevorzugten. Die Verherrlichung des Lebens, der freudige Individualismus Nietzsches zu jener Zeit wurde als eine Reaktion gegen den Pessimismus und die Auswüchse des Fin de siècle empfunden. Was etwa Jules de Gaultier über Also sprach Zarathustra sagt, könnte Teil eines Manifestes des Fauvismus sein: „Diese ist eine Lust, ein neuer Appetit, eine neue Gabe, Farben zu sehen, Klänge zu vernehmen und Gefühle zu empfinden, die bisher weder gesehen, noch vernommen oder empfunden wurden.“
Malerei
Auf die jungen Maler des beginnenden 20. Jahrhunderts in Paris drangen sehr viele Einflüsse und Gegenströmungen ein. Die populäre Kunst jener Zeit war eine Mischung von akademischem „poetischem Realismus“ à la Bouguereau und Fin-de-siècle Erscheinungen wie der Art Nouveau. Der offizielle Akademiestil präsentierte die letzten Phasen des Neoklassizismus und Realismus. Den Gegensatz zu dieser populären Malerei bildete ein wichtiger Teil der französischen Malkultur, die bereits zur Tradition gewordene Avantgarde. Ihre beiden Hauptströmungen waren der Impressionismus und Neoimpressionismus (siehe hierzu Divisionismus), des Weiteren der Symbolismus, Cloisonismus, Synthetismus, die Künstlergruppe der Nabis und die Arbeiten van Goghs, Gauguins und Cézannes. Ihr gemeinsames Anliegen war, den durch den Impressionismus hervorgerufenen zerfließenden Bildeindruck zu festigen. Die Einheit der nicht-illusionistischen Bildfläche beherrschte das Wollen der Avantgarde.
Die Arbeiten der führenden Köpfe bildeten die Anhalts- und Konfrontationspunkte für die jungen Maler. In ihren Werken erkannten sie, etwa bei van Gogh und Gauguin, dass die flächige Behandlung der Farbe in den Vordergrund trat, die dem Zerfließen impressionistischer Werke entgegengestellt wurde. Bei den Divisionisten war es die Farblogik und Farblehre Chevreuls, die auf der sich im Auge des Betrachters vollziehenden additiven Farbmischung basierte, mit deren Hilfe man dem Zerfließen entgehen wollte. Signac, der Theoretiker und Fortsetzer der Bewegung, veröffentlichte in der Revue Blanche vom Mai bis Juli 1898 alle Kapitel seines aufsehenerregenden doktrinären Werkes: Von Eugène Delacroix zum Neoimpressionismus. Der beherrschende Einfluss war jedoch der Cézannes, weniger im Hinblick auf die reine Farbe, sondern als ein Beispiel für die Struktur des Bildes und die Energie seiner Durchführung.
Entwicklung
Moreau, der Lehrer
Der Lehrer, von dem einige Fauves später immer wieder mit Verehrung und Dankbarkeit sprachen, war Gustave Moreau. Moreau unterrichtete von 1891 bis 1898 an der École des Beaux-Arts. Er verbrachte ganze Morgen im Gespräch mit seinen Schülern und führte sie immer wieder in den Louvre. André Suarès schrieb: „Er hat das Verdienst gehabt, zu verstehen, was ihm entgegengesetzt war und das ihn am heftigsten hätte abstoßen müssen. Er war der sicherste Führer, der weiseste Mentor.“ Roger Marx formulierte in der Revue encyclopédique vom 25. April 1896: „Alle, die ihre Individualität entwickeln wollen, haben sich um Moreau geschart.“ Berühmtheit erlangte der Ausspruch Moreaus: „Ich bin die Brücke, über die einige von Ihnen gehen werden.“
In den von Tériade 1951 aufgezeichneten Darlegungen Matisse spricht äußerte dieser über seinen Lehrer Moreau: „Mein Lehrer, Gustave Moreau, pflegte zu sagen, dass die Manierismen eines Stils sich nach einer gewissen Zeit gegen ihn wenden, und dann müssen die Qualitäten des Bildes stark genug sein, um nicht zu versagen. Darum bin ich wachsam gegenüber allen scheinbar so außerordentlichen Techniken.“
Matisse 1898–1905
Für die Entwicklung des Fauvismus war der Werdegang von Matisse entscheidend. Er begann ab etwa 1897, sicherlich jedoch nach dem Tode Moreaus 1898, Pissarro zu besuchen. Pissarro war das moralische Gewissen und der künstlerische Führer seiner Zeit, der noch die direkte Lehre Corots empfangen, die Entwicklung Cézannes und Gauguins erlebt und die Versuche Seurats unterstützt hatte. Er war auch offen für die Anfänge von Matisse und gab ihm unvergessliche Ratschläge. Matisse begann Gemälde zu schaffen, in denen sich der Beginn des Ausbruchs der Farbe äußerte und bis 1901 steigerte.
Im Jahre 1935 äußerte Matisse in seinem Essay Über Modernismus und Tradition: „Als ich zu malen begann, standen wir zu unseren Vorgängern nicht im Widerspruch, und wir äußerten unsere Ansichten vorsichtig und allmählich. Die Impressionisten waren die anerkannten Führer, und die Nachimpressionisten gingen in ihren Fußstapfen. Ich tat das nicht.“
Der Korsika-Aufenthalt im Jahr 1898 deutet die ersten fauvistischen Schritte an. Matisse untersuchte in den Jahren 1900 bis 1903 die Struktur der Formen. Darunter verstand er zum einen die Zeichnung, die das Wesen des Objekts zum Ausdruck bringt – was er le dessin compris nennt –, und zum anderen die Zeichnung, die die Stabilität des Objektes ausdrückt – was er dessin d’aplomb nennt. Nach einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Neoimpressionismus gelangte Matisse dazu, die Farbe von der Vormundschaft der Kontur zu erlösen und den dargestellten Raum aus Beziehungen kontrastierender Farbpläne – vereinfacht lesbar aus Farbflächen – zu konstruieren.
Mit dem Bild Vue de Saint-Tropez (Sicht auf Saint-Tropez), ausgestellt 1904 im Salon d’Automne, leitete er den Fauvismus ein. Es entspricht den zwei oder drei Werken, die Derain Ende des Jahres 1904 und Anfang des Jahres 1905 malte. Die frühe Reife Derains, dem jüngsten der Fauves, war derart auffallend, dass Picasso ihm, ohne zu zögern, die Vaterschaft des Fauvismus zugesprochen hatte.
In seiner divisionistischen Komposition Luxe, calme et volupté (1904–1905) entdeckte Matisse den Widerspruch zwischen der „linearen, skulpturhaften Plastizität“ der Zeichnung und der „Plastizität der Farben“. Die malerische Aussage findet weniger in reinen Farben Ausdruck als in einer nicht-illusionistischen, plastischen Definition des Raumes.
Die im Herbstsalon von 1904 von Matisse gezeigten Arbeiten regten den zuvor impressionistisch malenden Friesz an, sich der Bewegung anzuschließen.
Als Matisse im Jahre 1905 im Salon des Indépendants Luxe, calme et volupté ausstellte, wechselte nun auch Dufy seine Richtung. Die beiden Maler aus Le Havre, Friesz und Dufy, verzichteten nunmehr auf ihren frühen Impressionismus und folgten Matisse. Dufy äußerte hierzu: „Vor diesem Werke habe ich die Lebensberechtigung der neuen Malerei verstanden, und der impressionistische Realismus verlor seinen Reiz für mich angesichts dieses Wunders, Zeichnung und Farbe rein imaginativ zu behandeln.“
Schule von Chatou seit 1901
Man hat Chatou das Argenteuil – der ehemalige Tummelplatz der Impressionisten – des Fauvismus genannt. In diesem kleinen Vorort hatte sich die Verbindung der drei Pioniere der Bewegung, Matisse, Derain und Vlaminck, die letzteren in Chatou ansässig, vollzogen.
Im Jahre 1901, während eines Besuchs der Gedächtnisausstellung für van Gogh in der Galerie Alexandre Bernheim (später Bernheim-Jeune), hatte Derain Matisse, den er zuvor beim Kopieren klassischer Werke im Louvre kennengelernt hatte, seinem Freund Vlaminck vorgestellt. Diese oft erwähnte historische Begegnung bezeichnet keineswegs genau die Geburt des Fauvismus, bildete aber eine seiner wichtigsten Keimzellen. Gelegentlich spricht man auch von einer Schule von Chatou. So erinnerte sich Matisse: „Aufrichtig gesagt, hat die Malerei Derains und Vlamincks mich nicht erstaunt, denn sie war meinen eigenen Versuchen ähnlich.“
In der Haltung Matisse’ und Vlamincks standen sich die beiden Pole des Fauvismus gegenüber, aus denen er einerseits seine Kraft und Geschlossenheit zog, andererseits jedoch seine heterogene Struktur behielt. Matisse vertrat den Standpunkt, dass es wichtig sei, dem Instinkt entgegenzuarbeiten. Vlaminck hingegen war bemüht, mit allen Sinnen zu malen, ohne an den Stil zu denken. Matisse übernahm das klassische Erbe und hatte nie den Einfluss anderer abgelehnt. Die Persönlichkeit des Künstlers bestätigte sich für ihn nur durch den Kampf mit den gegensätzlichen Ideen und dem redlichen Sieg über sie. Für Vlaminck dagegen war die Malerei nicht eine ästhetische Erfahrung, sondern eine Gärung der Säfte, eine „Eiterung, ein Abszeß“. Er lehnte alle Einflüsse der Vorläufer ab. So zeigt das Bild Restaurant de La Machine à Bougival von Vlaminck seine Vorlieben für die Grundtöne Gelb, Rot und Blau.
Mit Derain bildete sich, als Bindeglied zweier so gegensätzlicher Naturen, die grundlegende Dreiheit des Fauvismus. Im Herbst 1904 kehrte Derain, der seit 1901 Militärdienst zu leisten hatte, aus dem Soldatenleben zurück. Damit wurde der Austausch zwischen Matisse und der wiederhergestellten Truppe aus Chatou, die die Farbe wie „Dynamitpatronen“ verwendete, überaus lebhaft.
Die Werke Derains während dieser Schaffensperiode (1904) waren zum Teil noch unter dem Einfluss van Goghs und der Neo-Impressionisten entstanden. Jedoch zeigt Bords de rivière, Chatou (Flussufer, Chatou) bereits die Suche nach einer Synthese der Form, mit Hilfe derer nicht die Wirklichkeit abgebildet, sondern eine ihr gleichwertige Bildwelt geschaffen werden soll. In La Seine au Pecq (1904) deutete sich nun eine Malweise an, die deutlich den fauvistischen Bestrebungen zugewandt ist.
Geburt des Fauvismus in Collioure 1905
Matisse und Derain verbrachten den Sommer des Jahres 1905 gemeinsam in Collioure. Wenn Céret, nach dem Wort Salmons, das „Mekka des Kubismus“ war, so wurde der Fauvismus in Collioure geboren, und dort vollzog sich der Übergang vom Post-Impressionismus zu jener neuen Art, die im nächsten Herbstsalon Skandal erregen sollte.
Die ersten Arbeiten in Collioure waren noch divisionistischen Überlegungen zugewandt. In dem nahegelegenen Corneilla-de-Conflent kam es zu einer Begegnung mit dem Werk Gauguins. Die beiden Maler sahen bei Daniel de Monfried, dem treuesten Freund Gauguins, die noch unbekannten Werke aus Ozeanien. In ihnen erkannten sie eine Bestätigung ihres Wegs zur „subjektiven Farbe“ (→ Lösen der Farbgebung von der „objektiven“ Darstellung der Lokalfarbe). Im Werk Gauguins ist die flache Farbe die grundlegende Idee. Sie überwindet „die Zerstreuung der Lokalfarbe im Lichte“, indem sie dem Licht die „Übereinstimmung stark farbiger Flächen“ überordnet. In diesem Punkt betonte Matisse, dass Gauguin nicht zu den Fauves gerechnet werden kann, da in seinem Werk der Aufbau des Raumes durch die Farbe fehlt. Gauguins Rolle als Vorläufer ist einerseits erkennbar, andererseits auch die Reinigung, die seine Nachfolger erreicht hatten.
Die divisionistische Sichtweise wurde nun gänzlich in Frage gestellt, da sie in völligem Widerspruch zu dem von Matisse und Derain entwickelten Verhältnis von Künstler und Natur stand. Matisse hatte den Divisionismus später streng beurteilt und wie Pissarro die Grenzen und das Sterile einer „zu formelhaften Doktrin für den Aufbau der Farben“ gesehen. Aus seiner Sicht beruhe die divisionistische Malweise auf einfachen „Eindrücken der Netzhaut“ und bezwecke nur die „rein physische Ordnung“ der Farben. Paul Signac nahm die Absage Matisse’ an den Neoimpressionismus sehr persönlich. Auch Derain berichtete Vlaminck in einem Brief vom 28. Juli 1905 von einer neuen Konzeption des Lichts: dass er „alles ausrotten muss, was die Unterteilung der Farbtöne mit sich“ bringt, und ergänzte, „es schadet den Dingen, die ihre Harmonie aus absichtlichen Disharmonien ziehen. Es ist im Grunde eine Welt, die sich selbst zerstört, sobald man sie bis an den Rand des Absoluten vorantreibt.“
Die letzten Werke von Collioure zeigen von nun an den Weg zu jener Übersteigerung, die das Wesen des Fauvismus bestimmen wird. Als Übergang entstand eine neue Mischung von Divisionismus und flacher Farbe. Die Pinselschrift ist dünn und flüssig, fast aquarellartig in ihrer Leichtigkeit, so etwa in La sieste von Matisse und Bateaux de pêche à Collioure von Derain. In ihren Bildern wurde die Illusion des Raumes, der Masse und der Materie nun völlig aufgehoben. Ein weiteres Beispiel ist Matisse’ Gemälde Offenes Fenster in Collioure.
In den Werken aus Collioure verschwindet jede Spur der alten malerischen Farbperspektive, die warme Töne für den Vordergrund und kühle für die bläuliche Ferne verwendete, und die auch die Impressionisten zu überwinden trachteten. Ohne Kontur in strahlenden Farben nebeneinandergesetzt, bilden die Farben teppichartig die Oberfläche und lassen jene reine Harmonie entstehen, die Matisse einen „geistigen Raum“ genannt hatte. Hierbei wird die Bedeutung des Lichts als ein Element der Wirklichkeit, das das Objekt modelliert, reduziert. An die Stelle des Lichtraums tritt ein aus dem Gefühl des Künstlers entstandener Farbraum und an die Stelle der deskriptiven Wiedergabe der Formen setzte der Fauve das, was Maurice Denis als „Noumen der Bilder“ bezeichnete und was man heute Zeichen nennen könnte.
Nach Paris zurückgekehrt, ging Matisse an die Figur und malte in wenigen Tagen La femme au chapeau (Frau mit Hut). Es gibt nun keine Rangordnung mehr zwischen Figur und Umraum, alles ist bedeutsam und gleichwertig, wird dem Gesamtrhythmus durch eine Folge von Farbflächen eingefügt, frei nach dem Vorbild der Aquarelle Cézannes.
Heute erinnert der Chemin du Fauvisme in Collioure an die dortige Entstehung des Fauvismus: An 19 Stellen sind Reproduktionen der dort entstandenen Gemälde von Matisse und Derain angebracht.
Höhepunkt und Ende
Gruppe der Fauves
Die Gruppe der Fauves entwickelte sich aus freundschaftlichen Beziehungen. Während der fauvistischen Jahre waren sie paarweise unterwegs und tauschten sich so untereinander aus: Vlaminck und Derain in Chatou, Matisse und Marquet in Paris, Marquet und Dufy in Sainte-Adresse, Trouville und Le Havre, Friesz und Braque in Antwerpen, Dufy und Friesz in Falaize und Le Havre, Matisse und Derain in Collioure, Dufy und Braque in L’Estaque.
Was sie vor allem verband, war das leidenschaftliche Bekenntnis zur Farbe und zur Verwendung bestimmter Mittel, um sie zur Geltung zu bringen. Jeder von ihnen sagte: „Farbe“, und jeder meinte damit etwas anderes. Andererseits wiederum ist allen gemeinsam, dass sie in ihren tiefen Krisen in Cézannes Werk Hilfe suchen. Der Fauvismus verfügt nicht über dieselbe einheitliche Methode wie der programmatische Impressionismus oder der Neoimpressionismus.
Ein Vergleich der Bilder Dufys mit denen von Matisse und Derain zeigt die Gegensätzlichkeiten. Bei Dufy sind Form und Linie zunehmend unabhängig voneinander. Seine Werke stehen nicht nur im Gegensatz zu dem von Derain zur visuellen Verankerung seiner Farbfelder angestrebten Masseneffekt, sondern auch zu Matisse, der durch die Linie die Form bis zum äußersten spannt. So ist etwa Dufys Gemälde Les affiches à Trouville (Plakate in Trouville) aus dem Jahre 1906 noch näher an dem Werk Marquets orientiert. Als der Kubismus zum Vorschein trat, setzte sich Dufy zeitweilig mit dessen Bestrebungen auseinander.
Der „Fauvist auf Samtpfoten“ Marquet äußerte später, dass seine Anwesenheit im berühmten „Käfig“ (Saal VII) von 1905 viel eher einem Zufall als malerischen Gründen zu verdanken war. Die fünf Landschaften, die er dort ausstellte, waren unter dem grauen Himmel von Paris gemalt. Mehr als van Gogh und die Impressionisten war es Manet, der einen entscheidenden Einfluss auf ihn ausübte. Marquets Ansichten von Paris – etwa Le Pont Saint-Michel – fügen dem Fauvismus jedoch eine ganz besondere Note hinzu.
Friesz war vor allem an einer koloristischen Orchestrierung („Vielfarbigkeit“) interessiert – in La régate à Anvers (Regatta in Antwerpen) erkennbar. Er kehrte bereits 1908 wieder zu einer von der Zeichnung dominierten Malerei zurück. Friesz wandte sich später zeitweilig den Bestrebungen des Kubismus zu.
Van Dongen war mit zwei Werken – Torso und Das Hemd – im Saal VII des Herbstsalons von 1905 vertreten. Er schloss sich zwar den Fauvisten an, jedoch war sein Torso viel weniger fauvistisch als zum Beispiel die im gleichen Saal ausgestellte La femme au chapeau von Matisse. Ihre im Herbstsalon gezeigten Werke verdeutlichen unmittelbar die lebenslange Gegensätzlichkeit der beiden Maler.
Die Künstler Louis Valtat, Henri Manguin, Jean Puy und Charles Camoin wurden in den wenigen Jahren der fauvistischen Bewegung häufiger als in den folgenden Jahrzehnten genannt. Sie stehen am Rande des Fauvismus als Maler, die unter sich verwandter als mit den anderen Fauves erscheinen. In diesem Zusammenhang ist die Rolle Rouaults die eines völligen Außenseiters, der dennoch in neuerer Literatur gelegentlich zu den Fauves gerechnet wird.
Höhepunkt 1906
Das Jahr 1906 krönte den Triumph und die Verbreitung des Fauvismus durch den Anschluss Braques und seine Wirkung auf das Ausland. Der Herbstsalon von 1906 versammelte die vollständige Gruppe der Fauves in ihrer höchsten Entfaltung, in der sich ihre wesentlichen Grundsätze zeigten.
Derains Bilder aus London sind einige der geglücktesten Werke des Fauvismus. Sein Aufenthalt in der britischen Hauptstadt wurde von Vollard angeregt, der unter dem Eindruck der Arbeiten des Herbstsalons von 1905 die berühmte Reihe Monets in einem anderen Geiste erneuert sehen wollte. Es entstanden Werke in zwei deutlich unterscheidbaren Richtungen: in breitem Pinselstrich und im Nebeneinander kolorierter Massen. Die Brücke von Charing Cross ist ein Beispiel für die erste Richtung. Die Westminsterbrücke, die Derain unter allen Londoner Bildern für den Herbstsalon 1906 ausgewählt hatte, fasst das Ergebnis dieser Zeit zusammen. In diesem Bild vollzieht sich eine neuartige und meisterhafte Synthese von Lautrec und Gauguin.
Derain ist neben Matisse der führende Künstler der Fauves. Seine Bilder erweisen sich als eine Reihe von Meisterwerken, die sich den klassischen Werken des Impressionismus gleichwertig anschließen.
Das Gemälde Le bonheur de vivre (auch La joie de vivre genannt – Die Lebensfreude) von Matisse bildet, vor Picassos Gemälde Les Demoiselles d’Avignon, das erste wahrhaft monumentale Werk der Malerei des 20. Jahrhunderts. Es wurde im Frühjahr 1906 auf dem Salon des Indépendants von Gertrude und Leo Stein erworben. Matisse überwand hier die abendländische Alternative, die Linie und Farbe trennt, indem sie der ersteren eine intellektuelle, der Farbe eine erregende Rolle zuspricht und die Kunst als die Mimik entweder der äußeren oder der inneren Welt ansieht.
Ende 1907
Ab 1907 löste sich die Einheit der Bewegung unter dem Vorstoß des von Picasso und Braque eingeleiteten Kubismus auf, an dessen Entstehung Matisse und Derain nicht unbeteiligt waren. Dass die beiden gegensätzlichen Bewegungen solidarisch sind, zeigt sich in Braque, der nacheinander und ohne Vorbehalte, fauvistisch und kubistisch gemalt hatte.
Anlässlich eines dritten Aufenthaltes Braques in L’Estaque im Sommer 1908, den auch Dufy für einige Zeit teilte, verzichtete Braque auf die fauvistische Palette. Er baute seine Landschaften – etwa Häuser in L’Estaque – und Stillleben in einer gedämpften Skala von Grau, Ocker und Grün aus facettenartigen Flächen auf, die Louis Vauxcelles dazu veranlassten, von „Kuben“ zu sprechen.
Nach dem Zerfall der Bewegung, da sich auch Derain ab 1907 dem Kubismus zuwandte, gewann Matisse große internationale Bedeutung. Sein Einfluss wurde vor allem in Deutschland und in den nordischen Ländern wirksam. So erschien 1909 in der deutschen Zeitschrift Kunst und Künstler eine Übersetzung seiner Schrift Notizen eines Malers, die im Dezember 1908 bereits in der Grand Revue veröffentlicht wurde. Diesem Aufsatz kommt für die Bewegung der Fauves nachträglich eine programmatische Bedeutung zu.
1929 sprach sich Matisse in seinen Gedanken und Aussprüchen über den Fauvismus aus: „Der Fauvismus erschütterte die Tyrannei des Divisionismus. Es läßt sich in einem allzu ordentlichen Haushalt, einem Haushalt von Tanten aus der Provinz, nicht leben. Also bricht man in die Wildnis auf, um sich einfachere Mittel zu schaffen, die den Geist nicht ersticken.“ In ähnlicher Weise äußerte sich Derain einige Jahre später: „Das große Verdienst dieser Methode war, daß sie das Bild von allen imitativen und konventionellen Kontakten befreite. Was falsch war an unserer Einstellung, war […] die Dinge von zu weit her anzugehen und zu übereilten Urteilen zu kommen. So wurde es notwendig, zu vorsichtigeren Einstellungen zurückzukehren.“
Rezeption
Erste Reaktionen
Vauxcelles Bezeichnung Fauves wurde vom Publikum abschätzig aufgenommen. Vauxcelles selbst stand der Bewegung jedoch nicht ablehnend gegenüber. Camille Mauclair, der Kritiker des Figaro, dagegen äußerte sich – unter Verwendung eines Zitates von John Ruskin – im Jahre 1905 deutlich abweisend: „Ein Farbkübel ist über den Kopf des Publikums ausgeschüttet worden!“ Im Journal de Rouen konnte man in einem Artikel eines gewissen Nicolle lesen: „Was man uns da zeigt, hat – die verwendeten Materialien einmal ausgenommen – mit Malerei nichts zu tun: Blau, Rot, Gelb, Grün, lauter grelle Farbkleckse, die völlig zufällig aneinandergefügt wurden – primitive und naive Spielereien eines Kindes, das sich mit dem Farbkasten vergnügt, den es geschenkt bekam.“
Die Aufnahme beim Publikum im Allgemeinen als „gemischt“ zu bezeichnen, ist jedoch zu wohlwollend. Viele Besucher regten sich auf. Es gab sogar Versuche, Matisse’ Gemälde La femme au chapeau zu zerstören.
Michel Puy, der Bruder von Jean Puy, warf den zeitgenössischen Literaten vor, dass sie die Aussage der Fauves nicht zur Kenntnis genommen hätten. Eine Ausnahme bildete André Gide, der in jener „Verrücktheit der Farben“ ein „Ergebnis bestimmter Theorien“ gesehen hatte.
Maurice Denis äußerte sich in der Zeitschrift L’Ermitage vom 15. November eher positiv, wenn auch verblüfft. Er vermutete zu Unrecht bei Matisse eine vorgefasste theoretische Haltung, erkannte jedoch dessen wesentliche Vorzüge an: „Das ist Malerei außerhalb jeder Zufälligkeit, der reine Vorgang des Malens […] Das ist wahrhaft das Suchen nach dem Absoluten.“
Élie Faure, der große französische Kunsthistoriker, schrieb im Vorwort des Ausstellungskatalogs des Salon d’Automne im Jahre 1905: „Wir müssen die Vorurteilslosigkeit und die Bereitschaft zeigen, eine völlig neue Sprache zu verstehen.“
Kunsthistorische Einordnung
Die Farbe war jahrhundertelang nur die Ergänzung der Zeichnung. Raffael, Mantegna und Dürer, wie fast alle Maler der Renaissance, bauten das Bild in erster Linie durch die Zeichnung auf und fügten alsdann die Lokalfarbe hinzu. Von Delacroix über die Impressionisten bis van Gogh und durch Cézanne, der den entscheidenden Impuls gab und die farbigen Massen einführte, kann man verfolgen, wie der Farbe immer mehr Beachtung geschenkt wurde.
Eine erste expressionistische, mit symbolischen und Jugendstilelementen vermischte Welle erschien bereits zwischen 1885 und 1900 als Reaktion gegen den Impressionismus und den objektiven Ordnungswillen Cézannes und Seurats. Ihre Vertreter waren van Gogh, Gauguin, Lautrec, Ensor, Munch und Hodler. Die innere Angst der Künstler befreite sich nicht nur durch eine Steigerung der Farbe, sondern auch durch expressive Formen und die Betonung spannungsgeladener Linien. Eine zweite expressionistische Welle, weit wuchtiger als die erste, zeigte sich so in Frankreich bereits durch die Beiträge Rouaults, im Frühwerk Picassos, im Schaffen des Fauvismus überhaupt und in Deutschland mit der Gründung der Dresdner Brücke.
Der Fauvismus hatte nur eine kurze Lebensdauer, jedoch hängt der Beitrag des Fauvismus auf die europäische Malerei nicht von seiner kurzen Dauer ab. Der Fauvismus hat, zum ersten Mal in der Geschichte der abendländischen Malerei, die Farbe, vor allem die ungebrochene Farbe, in den Mittelpunkt der Gestaltung gestellt. Hierdurch wurden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Farbe an sich aufgewiesen. Die stärkste farbige Wirkung wird nicht mit den buntesten Farben, sondern mit der reichsten Vision der Farbe geschaffen. Die fauvistischen Werke verdeutlichen auf diese Weise, dass Buntheit mit beseelter Farbigkeit nichts zu tun hat.
Die Fauvisten erwarteten von der Kunst nicht die Veränderung der Gesellschaft, die sie mit ihren Ungerechtigkeiten und auch ihren schönen Seiten akzeptierten. Sie glaubten auch nicht, dass die Malerei zu zerstören sei, wie die Dadaisten es forderten. Sie befanden im Gegenteil, dass die Malerei weiterentwickelt werden müsse.
Position zum deutschen Expressionismus
Eine neuere Tendenz der Kunstkritik innerhalb einer generellen Standortbestimmung der europäischen Malerei zwischen 1900 und 1910 ist die, den Fauvismus und die Bewegung der Dresdner Brücke mit dem Expressionismus zu assoziieren. Es gibt auch Meinungen, die jeglichen Unterschied zwischen Fauvismus und Brücke verneinen, mit der Begründung, eine solche Unterscheidung beruhe auf nationalistischen, rassistischen Überlegungen und auf Konkurrenzdenken.
In den Anfängen der Brücke traten jedoch bereits Unterschiede zum Fauvismus zutage, so in der jeweiligen Auffassung von Leben und Kunst. Die von der nordischen Kunst geprägten Maler bezogen ihre Inspiration aus den alten nordischen Themen von zwanghaften Besessenheiten, unbewussten Trieben, Träumen und Alpträumen. Sie hatten auch Kierkegaard als Quelle und dessen Auffassung von Angst, in der er nicht nur eine Grundprägung des Menschen sah, sondern die für ihn auch die ganze Natur prägte. Sie waren im Bereich der Malerei beeinflusst von den Arbeiten Munchs, die ganz im Gegensatz stehen zu der Malweise Cézannes.
Für die Fauves wirken die Farben auf die Netzhaut; als Söhne Newtons und Chevreuls interessierte sie das Sonnenspektrum. Für die Expressionisten dagegen sind Farben symbolisch und mythisch, wirken auf die Seele. Sie sind zu bewerten vor dem Hintergrund von Goethes Auffassungen von der Farbenlehre und der Metaphysik. So fand der deutsche Expressionismus gerade in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und geistiger Ratlosigkeit besondere Beachtung. Im Expressionismus wirkt die Farbgebung ungezügelt und ungebändigt, der Fauvismus hingegen stand unter der Herrschaft der Farbe.
Nachwirkungen und Einflüsse
In Frankreich wurde der Fauvismus um 1907 vom Kubismus abgelöst. In Deutschland waren es die expressionistischen Maler, vor allem die Mitglieder des Blauen Reiters, die von den Fauves angeregt wurden. Kandinsky und Jawlensky waren im historischen Herbstsalon von 1905 reich vertreten, jedoch nicht im „Käfig der Wilden“, sondern in der von Diaghilew organisierten russischen Sektion. Unter dem Einfluss Matisse’ stand die fauvistische Phase Kandinskys und Jawlenskys. So sind in Kandinskys Arbeiten Perioden zu beobachten, in denen sich mit einiger Verspätung Entwicklungsphasen des Fauvismus wiederholen. Nachdem Matisse 1908 München besucht hatte, gründete Kandinsky die „Neue Künstlervereinigung München“ (N.K.V.M.) im Jahr 1909. Der Besuch wurde 1910 wiederholt.
Matisse hatte im Winter 1908/09 in Berlin bei Cassirer ausgestellt und war zwischen 1908 und 1910 dreimal in Deutschland. Gefördert durch das Beispiel Matisse’ und des Fauvismus festigte sich der Stil der Dresdner Brücke.
Das Werk von Matisse stellte das Gegengewicht zum sich entfaltenden Kubismus dar, dessen Gegenpol er bildete. 1908 gründete Matisse eine private Schule, die Académie Matisse. Dort unterrichtete er von Januar 1908 bis 1911 und hatte schließlich 100 Schüler aus dem In- und Ausland.
1909 wurde van Dongen Mitglied der Dresdner Künstlergruppe Brücke. Max Pechstein hatte van Dongen um die Jahreswende 1907/1908 in Paris getroffen und ihn dazu ermuntert, seine fauvistischen Werke innerhalb einer Ausstellung der Brücke-Maler 1908 in Dresden zu präsentieren.
Die Kunst der Fauves wirkte sich auch auf die Maler der russischen Avantgarde wie Kasimir Malewitsch und Natalia Gontscharowa aus. Sie beeinflussten ebenfalls einige niederländische Künstler, womöglich auch den italienischen Futuristen Umberto Boccioni. Für Maler wie Pierre Bonnard, Fernand Léger, Robert Delaunay, František Kupka und Roger de La Fresnaye wurde die Farbe zum wichtigsten bildnerischen Ausdrucksmittel.
Der Fauvismus wird gelegentlich auch als ein Wegbereiter der abstrakten Malerei angesehen. Die Fauves vollzogen aber den hierfür letzten Schritt, auf den Bezug zum Objekt völlig zu verzichten, nicht – da auf diese Weise, wie Matisse und auch Derain betonten, die Abstraktion nur imitiert werde.
Unter dem Einfluss des Französischen Kulturinstituts in Innsbruck, das mit Ausstellungen französischer Künstler und Stipendien für Frankreichaufenthalte den kulturellen Austausch förderte, gelangte der Fauvismus nach 1945 nach Tirol, wo er eine große Nachwirkung in der Malerei entfaltete. Künstler wie Fritz Berger, Gerhild Diesner, Walter Honeder, Emmerich Kerle oder Hilde Nöbl nahmen in ihrem Schaffen deutliche Anleihen bei den Fauvisten.
Literatur
Jean-Paul Crespelle: Fauves und Expressionisten. (Titel der Originalausgabe: Les Fauves). Bruckmann, München 1963.
Bernard Denvir: Fauvismus und Expressionismus. (Titel der Originalausgabe: Fauvism and Expressionism, aus dem Französischen übersetzt von Karlheinz Mahr), Knaur-Taschenbücher Band 447, München/ Zürich 1976, ISBN 3-426-00447-X.
Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris. (Aus dem Französischen übersetzt von Diethard H. Klein), Editions Pierre Terrail, Paris 1992, ISBN 2-87939-053-2.
Marcel Giry: Der Fauvismus – Ursprünge und Entwicklung. (Titel der Originalausgabe: Les Fauves, Orgines et Evolution, aus dem Französischen übersetzt von Gunhilt Perrin), Office du Livre, Fribourg, und Edition Georg Popp, Würzburg 1981, ISBN 3-88155-088-7.
Claudine Grammont, Heinz Widauer: Matisse und die Fauves. Wienand, Köln 2013, ISBN 978-3-86832-155-5.
Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus. Büchergilde Gutenberg, Zürich 1961.
Jean Leymarie: Fauvismus. (Aus dem Französischen übersetzt von Karl Georg Hemmerich), Editions d’Art, Albert Skira Verlag, Genève 1959.
Henri Matisse, Jack D. Flam (Hrsg.): Über Kunst. (Titel der Originalausgabe: Matisse on Art, aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Hammer-Kraft), Diogenes Verlag, Zürich 1982, ISBN 3-257-21457-X.
Martin Schieder: „Aucun rapport avec la peinture“. Die Fauves im Salon d’Automne von 1905 und die Kunstkritik. In: Prenez garde à la peinture! Kunstkritik in Frankreich 1900–1945, hrsg. von Uwe Fleckner und Thomas W. Gaehtgens (Passagen/Passages, Bd. 1), Berlin 1999, S. 405–423.
Kristian Sotriffer: Expressionismus und Fauvismus. Verlag Anton Schroll & Co., Wien 1971.
Denys Sutton: André Derain. (Aus dem Englischen übersetzt von Renate Gerhardt), Phaidon Verlag, Köln 1960.
Weblinks
The Metropolitan Museum of Art
Fauvismus bei SanderHome (detaillierte Bildergalerie)
Anmerkungen
Abbildungen
Einzelnachweise
Stilrichtung in der Malerei
Kunst der Moderne
Henri Matisse
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Q166593
| 95.255286 |
5924
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https://de.wikipedia.org/wiki/1832
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1832
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Griechenland
17. März: Die griechische Nationalversammlung wählt Otto I. von Wittelsbach zum König von Griechenland.
13. April: Augustinos Kapodistrias legt nach knapp vier Monaten sein Amt als Präsident von Griechenland nieder. Die Erste Hellenische Republik hört damit zu existieren auf.
7. Mai: Auf der Londoner Konferenz einigen sich Großbritannien, Frankreich und Russland Griechenland als unabhängiges Königreich zu gestalten und sind mit Otto von Wittelsbach als dessen künftigen Herrscher einverstanden. Für seinen Gebietsverlust wird das Osmanische Reich finanziell entschädigt.
8. August: Die Nationalversammlung in Nafplio nimmt das Londoner Protokoll einstimmig an.
30. August: Ein Londoner Protokoll der Schutzmächte grenzt das Staatsgebiet des Königreichs Griechenland vom Osmanischen Reich ab.
Deutscher Bund
27. Mai: Dem Aufruf von Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth zum Marsch auf die Maxburg, das Hambacher Schloss, folgen circa 30.000 Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und vielen Nationen. Bis zum 30. Mai feiern Demokraten und Nationale das Hambacher Fest für Einheit und Freiheit in Deutschland unter der schwarz-rot-goldenen Fahne.
5. Juli: Im Deutschen Bund wird der Gebrauch politischer Abzeichen gesetzlich verboten. Das zielt besonders auf Schwarz-Rot-Gold als Zeichen nationaler Gesinnung. Als Reaktion auf das Hambacher Fest werden ferner Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt.
Einführung der neuen Amtsbezeichnung „Bürgermeister“ anstatt des bis dahin gebräuchlichen „Schultheiß“
Weitere Ereignisse in Europa
11. Mai: In Großbritannien wird ein Anatomiegesetz verabschiedet, um praktizierten Leichendiebstahl zu verhindern.
5. Juni: Beginn des Juniaufstandes in Paris
7. Juni: Verabschiedung des Reform Act von 1832 in Großbritannien.
9. August: Leopold I., König der Belgier, heiratet in der Kapelle des Schlosses Compiègne die französische Prinzessin Louise d’Orléans, Tochter des Königs Louis-Philippe I.
15. November: Nach Geheimverhandlungen bilden sechs konservative Schweizer Kantone den Sarnerbund als Reaktion auf das zuvor entstandene Siebnerkonkordat der liberalen Kantone.
15. November bis 24. Dezember: Die Belagerung von Antwerpen ist die letzte militärische Aktion in Folge der Belgischen Revolution. Dabei wird die von niederländischen Truppen verteidigte Zitadelle von Antwerpen von französischen Truppen eingenommen.
Südamerika
12. Februar: Die bisher zu Spanien gehörenden Galapagosinseln werden von Ecuador annektiert.
Vereinigte Staaten von Amerika
27. August: Mit der Gefangennahme des sich ergebenden Häuptlings Black Hawk endet der letzte Indianerkrieg östlich des Mississippi River in den Vereinigten Staaten.
24. November: Das Parlament von South Carolina hebt gültige Zollgesetze des Bundes aus den Jahren 1828 und 1832 in seinem Staatsgebiet auf. Es löst damit die Nullifikationskrise aus. US-Präsident Andrew Jackson setzt daraufhin mehrere Schiffe der Kriegsmarine nach Charleston in Marsch.
28. Dezember: Mit John C. Calhoun tritt erstmals ein Vizepräsident der Vereinigten Staaten vom Amt zurück. Ursache ist seine Doktrin in der Nullifikationskrise, ein Bundesstaat dürfe Bundesgesetze auf seinem Territorium für ungültig erklären.
Wirtschaft
5. Juni: Als Folge der Belgischen Revolution wird als neue Währung der Belgische Franc eingeführt, der in seinem Wert lange Jahre an den Französischen Franc gekoppelt ist.
26. September: Der Göta-Kanal in Schweden wird eröffnet. Dadurch soll das Passieren des Öresunds und somit der Sundzoll an Dänemark vermieden werden.
Die Houghton Mifflin Harcourt Publishing Company wird gegründet.
Wissenschaft und Technik
Expeditionen
Die Reise der HMS Beagle
6. Januar: Nachdem Madeira nur aus Orientierungsgründen passiert worden ist, ist Teneriffa die erste Station der HMS Beagle. Charles Darwin kann jedoch ebenso wie der Rest der Besatzung wegen einer verhängten Quarantäne nicht an Land gehen.
16. Januar: Auf der Kap-Verde-Insel Santiago gibt es die erste Möglichkeit für einen Landgang.
28. Februar: Die HMS Beagle erreicht die südamerikanische Küste bei Salvador da Bahia und ankert in der Allerheiligenbucht, Weiterfahrt nach Rio de Janeiro und Beginn der Vermessungsarbeiten.
22. September: Charles Darwin entdeckt in der Nähe von Bahía Blanca in Punta Alta seine ersten Fossilien.
Zum Jahreswechsel hält sich die HMS Beagle im Gebiet um Feuerland auf, wo eine Missionsstation errichtet wird. Kapitän Robert FitzRoy entdeckt den Beagle-Kanal.
Weitere Expeditionen
21. Februar: Eine englische Antarktis-Expedition unter John Biscoe entdeckt die Grahamland vorgelagerten Inseln.
13. Juli: Henry Rowe Schoolcraft findet mit dem Lake Itasca die Quellen des Mississippi River.
Verkehr
1. März: Die seit 1827 bestehende Bahnstrecke Saint-Étienne–Andrézieux wird für den Personenverkehr geöffnet.
1. August: Die Pferdeeisenbahn Budweis–Linz wird nach Fertigstellung der letzten Teilstrecke nach Urfahr als zweite europäische Festlandeisenbahn eröffnet. Sie ist mit über 128 Kilometern Länge die längste Pferdeeisenbahn der Welt.
1. Oktober: Die Bahnstrecke Saint-Étienne–Lyon wird auf gesamter Länge – vorläufig nur für den Personenverkehr – in Betrieb genommen.
26. November: In New York geht die erste Straßenbahn der Welt, eine Pferdebahn, in Betrieb.
Naturwissenschaften und Medizin
15. Dezember: Carl Friedrich Gauß stellt das erste absolute Maßsystem auf.
Caroline Eichler konstruiert eine Beinprothese mit Kniegelenk.
William Whewell prägt den Begriff des Katastrophismus, ein wissenschaftliches Paradigma, das von der überragenden Bedeutung von katastrophalen Ereignissen für die Geschichte unseres Sonnensystems, der Erde und der Entwicklung (Evolution) der Lebewesen ausgeht.
Kultur
Bildende Kunst
17. September: Der Klub Hamburgischer junger Künstler wird gegründet.
15. Dezember: Die französische Satirezeitschrift Le Charivari druckt die erste Karikatur des Künstlers Honoré Daumier ab, der in den folgenden vierzig Jahren etwa 3.900 Lithografien und Holzstiche aus seiner Hand folgen.
Die erste Klasse der Moskauer Hochschule für Malerei, Bildhauerei und Architektur beginnt die Ausbildung.
Literatur
Einige Monate nach dem Tod Johann Wolfgang von Goethes wird Faust. Der Tragödie zweiter Teil als Fortsetzung von Faust I veröffentlicht.
Der Roman Maler Nolten von Eduard Mörike erscheint in Emanuel Schweizerbart’s Verlagshandlung Stuttgart im Druck.
Musik und Theater
7. Februar: Die Uraufführung der Oper I Normanni a Parigi (Die Normannen in Paris) von Saverio Mercadante findet in Turin statt.
7. Februar: Der gefühlvolle Kerckermeister, ein parodierendes Zauberstück mit Gesang von Johann Nestroy wird als Benefizvorstellung für die erkrankte beliebte junge Schauspielerin und Lokal-Soubrette Thekla Demmer-Kneisel am Theater an der Wien bei Wien uraufgeführt. Die Aufnahme durch das Publikum ist begeistert, bei der Kritik eher gemischt.
16. Februar: In Prag erfolgt die Uraufführung der Oper Der Lastträger an der Themse von Conradin Kreutzer.
27. April: Dreyßig Jahre aus dem Leben eines Lumpen von Johann Nestroy hat seine Uraufführung.
12. Mai: Die komische Oper L’elisir d’amore von Gaetano Donizetti wird am Teatro della Canobbiana in Mailand uraufgeführt. Das Libretto stammt von Felice Romani nach Eugène Scribes Le philtre. Sabine Heinefetter singt die Hauptrolle. Das Werk wird zu einer der meistaufgeführten Opern des Komponisten.
1. Oktober: Die Uraufführung des Militärschauspiels His First Campaign von Adolphe Adam erfolgt im Covent Garden in London.
5. November: Die Uraufführung des historischen Melodrams The Dark Diamond von Adolphe Adam erfolgt im Covent Garden in London.
22. November: Am Théâtre Français in Paris erfolgt die Uraufführung des Dramas Le roi s’amuse von Victor Hugo. Während es die Zustände am absolutistischen Hofe anhand der amourösen Eskapaden des französischen Königs Franz I. und der Kabalen des Hofnarren Triboulet beschreibt, sind die zeitgenössischen Zensoren der Ansicht, es enthalte beleidigende Anspielungen auf König Louis-Philippe und sei allgemein unmoralisch. Das Stück wird daher sofort nach der Uraufführung verboten.
Gesellschaft
In London werden der konservative Carlton Club und der liberale Reform Club gegründet.
Religion
24. März: Joseph Smith, der Monate zuvor die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage gegründet hat, wird in Hiram (Ohio) von einigen Einwohnern geteert und gefedert.
9. Juni: Die Unterdrückung Polens durch Zar Nikolaus I. nimmt Papst Gregor XVI. zum Anlass, in der Enzyklika Cum primum über den bürgerlichen Gehorsam von Christen nachzudenken.
30. Juni: Die Erstausgabe der katholischen Schweizerischen Kirchenzeitung erscheint in Luzern.
15. August: Gregor XVI. veröffentlicht die Enzyklika Mirari vos arbitramur, in der er sich gegen die allgemeine Freiheit des Gewissens und der Meinungsäußerung ausspricht.
Gründung der beiden Missiovereine Franziskus-Xaverius-Verein zur Unterstützung der katholischen Missionen in Aachen und des Ludwig-Missions-Vereins in München.
Katastrophen
Die Cholera-Pandemie erreicht aus Mitteleuropa kommend England. Unter der Leitung von Edwin Chadwick wird als Reaktion auf erste Cholerafälle in London im Sinne der Miasmentheorie angeordnet, Abwässer und Verschlammungen aus den übelriechenden Abwasserkanälen in die Themse zu spülen. Da die Unternehmen, die London mit Trinkwasser versorgten, dieses aber der Themse entnehmen, führt die Maßnahme zur Verseuchung des Trinkwassers und einer Epidemie mit 14.000 Toten.
Sport
Auf dem Telliring in Aarau wird anlässlich des ersten Eidgenössischen Turnfests der Eidgenössische Turnverein gegründet.
Geboren
Januar/Februar
1. Januar: Thomas Theodore Crittenden, US-amerikanischer Politiker († 1909)
1. Januar: Charles N. Felton, US-amerikanischer Politiker († 1914)
1. Januar: Aloys Kunc, französischer Komponist und Organist († 1895)
5. Januar: Edwin O. Stanard, US-amerikanischer Politiker († 1914)
6. Januar: Gustave Doré, französischer Maler und Graphiker († 1883)
6. Januar: Lodovico Jacobini, Kardinal und päpstlicher Staatssekretär († 1887)
13. Januar: Horatio Alger, US-amerikanischer Autor († 1899)
17. Januar: Johannes Strebel, deutscher Orgelbauer († 1909)
17. Januar: Marie Wieck, deutsche Pianistin und Sängerin († 1916)
19. Januar: Ferdinand Laub, tschechischer Geiger († 1875)
20. Januar: William Larrabee, US-amerikanischer Politiker († 1912)
21. Januar: Jules Assézat, französischer Journalist, Verleger und Anthropologe († 1876)
21. Januar: Heinrich Honegger, Schweizer Jurist und Politiker († 1889)
21. Januar: Carl Hubert von Wendt, deutscher Gutsbesitzer und Politiker der Zentrumspartei († 1903)
23. Januar: Édouard Manet, französischer Maler († 1883)
24. Januar: Albert Arnz, deutscher Landschaftsmaler († 1914)
24. Januar: Joseph Choate, US-amerikanischer Jurist und Diplomat († 1917)
25. Januar: Paul Bronsart von Schellendorff, preußischer General und Kriegsminister († 1891)
25. Januar: Iwan Schischkin, russischer Maler und Grafiker († 1898)
27. Januar: Lewis Carroll, britischer Schriftsteller, Mathematiker und Fotograf († 1898)
27. Januar: Arthur Hughes, britischer Illustrator und Maler († 1915)
28. Januar: Franz Wüllner, deutscher Komponist und Dirigent († 1902)
29. Januar: Nikolai Ignatjew, russischer General und Diplomat († 1908)
30. Januar: Karl von Thielen, deutscher Politiker († 1906)
2. Februar: Timotheus Attar, osmanischer Bischof († 1891)
3. Februar: Abram P. Williams, US-amerikanischer Politiker († 1911)
6. Februar: John B. Gordon, US-amerikanischer General († 1904)
7. Februar: Hannah Whitall Smith, US-amerikanische Frauenrechtlerin, Autorin und Führerin der Heiligungsbewegung († 1911)
9. Februar: Adele Spitzeder, deutsche Anlagebetrügerin († 1895)
14. Februar: Johann Martin Bürkle, deutscher evangelischer Geistlicher und Schriftsteller († 1916)
15. Februar: Nicolás Ruiz Espadero, kubanischer Pianist und Komponist († 1890)
13. Februar: Johann Wilhelm Anton Albrecht Müller, deutscher Pathologe († 1909)
18. Februar: Octave Chanute, US-amerikanischer Eisenbahningenieur und Luftfahrt-Pionier († 1910)
18. Februar: Nathaniel P. Hill, US-amerikanischer Politiker († 1900)
21. Februar: John L. Barstow, US-amerikanischer Politiker († 1913)
22. Februar: Rudolf Baxmann, deutscher evangelischer Theologe († 1869)
22. Februar: Alexander Meyer, deutscher Journalist, Liberaler und Freihändler († 1908)
25. Februar: Karl Bartsch, deutscher Philologe und Gründer des ersten Germanistischen Instituts in Deutschland († 1888)
25. Februar: Maximilian Schmidt, bayerischer Heimatschriftsteller († 1919)
26. Februar: Thomas Anderson, schottischer Botaniker († 1870)
März/April
1. März: Ludwig Franzius, Baudirektor für Weserkorrektion († 1903)
1. März: Friedrich Grützmacher, deutscher Cellist und Komponist († 1903)
1. März: Josef Matras, österreichischer Schauspieler und Sänger († 1887)
2. März: Rudolf Löw, Schweizer Komponist und Organist († 1898)
3. März: Luigi Macchi, italienischer Kurienkardinal († 1907)
3. März: Pieter de Jong, niederländischer Orientalist († 1890)
5. März: Isaac Israel Hayes, US-amerikanischer Arzt und Polarforscher († 1881)
5. März: Alfred Jaell, österreichischer Pianist und Komponist († 1882)
5. März: Mathilde von Rothschild, deutsche Mäzenatin († 1924)
7. März: Jemima Morrell, englische Reiseschriftstellerin und Illustratorin († 1909)
11. März: William Ruffin Cox, General der Konföderierten († 1919)
12. März: Charles Cunningham Boycott, britischer Gutsverwalter in Irland († 1897)
12. März: Charles Friedel, französischer Chemiker († 1899)
12. März: Walter Grimshaw, britischer Autor von Schachproblemen († 1890)
13. März: Josef Albert Amann, deutscher Gynäkologe († 1906)
13. März: Olympe Audouard, französische Frauenrechtlerin († 1890)
17. März: Walter Q. Gresham, US-amerikanischer Politiker († 1895)
18. März: Wenzel Lustkandl, österreichischer Politiker und Jurist († 1906)
25. März: Nikolaus Rüdinger, Anatom († 1896)
29. März: Carl Haunold, österreichischer Maler und Librettist († 1911)
29. März: Julius Mařák, tschechisch-böhmischer Landschaftsmaler zwischen Romantik und Realismus († 1899)
30. März: Roger Q. Mills, US-amerikanischer Politiker († 1911)
3. April: Eugen von Keyserling, deutschbaltischer Forschungsreisender und Arachnologe († 1889)
4. April: Fedor Flinzer, deutscher Autor, Pädagoge und Illustrator († 1911)
4. April: Josef Zítek, böhmischer Architekt († 1909)
5. April: Ernst Wagner, deutscher Prähistoriker († 1920)
6. April: Emil von Riedel, bayerischer Politiker († 1906)
8. April: Alfred von Waldersee, deutscher Militär, Generalfeldmarschall Preußens († 1904)
10. April: Alexander McDonald, US-amerikanischer Politiker († 1903)
14. April: Wilhelm Busch, deutscher Dichter und Zeichner († 1908)
14. April: Herbert Viktor Anton Pernice, deutscher Jurist († 1875)
15. April: Herbert Vaughan, britischer Kardinal († 1903)
17. April: Oskar von Collas, preußischer Generalmajor († 1889)
19. April: José Echegaray, spanischer Schriftsteller, Politiker († 1916)
20. April: Eduard Langhans, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1891)
21. April: Werner Munzinger, Schweizer Afrikaforscher († 1875)
Mai/Juni
2. Mai: Santo Siorpaes, italienischer Bergsteiger († 1900)
6. Mai: Jan Ondříček, tschechischer Kapellmeister, Geiger und Musikpädagoge († 1900)
14. Mai: Rudolf Lipschitz, deutscher Mathematiker († 1903)
17. Mai: Heinrich Holtzmann, protestantischer Theologe († 1910)
17. Mai: Gneomar Ernst von Natzmer, preußischer Offizier und Militärschriftsteller († 1896)
20. Mai: Charles Umpherston Aitchison, britischer Kolonialbeamter († 1896)
20. Mai: Garretson W. Gibson, liberianischer Präsident († 1910)
21. Mai: Andreas August Carl Hermann Auleb, deutscher Jurist, Autor und Politiker († 1911)
21. Mai: Hudson Taylor, christlicher Missionar in China († 1905)
22. Mai: George Washington Anderson, US-amerikanischer Politiker († 1902)
24. Mai: Fulvio Fulgonio, italienischer Schriftsteller und Librettist († 1904)
25. Mai: Jules Blanchard, französischer Bildhauer († 1916)
26. Mai: Arnold Hug, schweizerischer Altphilologe († 1895)
26. Mai: Nakamura Keiu, japanischer Pädagoge und Übersetzer († 1891)
27. Mai: Zenas Ferry Moody, US-amerikanischer Politiker († 1917)
28. Mai: Heinrich XIV., Fürst Reuß jüngerer Linie, deutscher Reichsfürst († 1913)
2. Juni: Charles Colin, französischer Oboist, Organist, Musikpädagoge und Komponist († 1881)
10. Juni: Nikolaus Otto, deutscher Maschinenbauer († 1891)
11. Juni: Augustus Hill Garland, US-amerikanischer Politiker († 1899)
11. Juni: Christian Nikolaus Schnittger, deutscher Maler, Zeichner und Fotograf († 1896)
11. Juni: Jules Vallès, französischer Publizist, Romanschriftsteller, Revolutionär und Journalist († 1885)
17. Juni: William Crookes, englischer Physiker, Chemiker und Wissenschaftsjournalist († 1919)
20. Juni: Benjamin H. Bristow, US-amerikanischer Politiker († 1896)
21. Juni: Heinrich Ernst Stötzner, deutscher Pädagoge († 1910)
22. Juni: Heinrich de Ahna, österreichischer Violinist († 1892)
29. Juni: Rafqa Pietra Choboq Ar-Rayès, Heilige der katholischen Kirche († 1914)
Juli/August
5. Juli: Pawel Petrowitsch Tschistjakow, russischer Maler († 1919)
6. Juli: Ferdinand Maximilian von Österreich, Kaiser von Mexiko († 1867)
6. Juli: Alexis André, kanadischer Priester und Missionar († 1893)
7. Juli: Eduard Mulder, niederländischer Chemiker († 1924)
10. Juli: Alvan Graham Clark, US-amerikanischer Astronom und Teleskopmacher († 1897)
12. Juli: Ernst Heinrich Gebhardt, deutscher Liederdichter und Methodistenprediger († 1899)
14. Juli: Lucien Quélet, französischer Mykologe und Naturforscher († 1899)
16. Juli: Ferdinando Acton, italienischer Admiral und Marineminister († 1891)
16. Juli: Camille du Locle, französischer Librettist († 1903)
17. Juli: August Söderman, schwedischer Komponist der Romantik († 1876)
18. Juli: Leopold von Pezold, deutsch-baltischer Journalist († 1907)
19. Juli: Jānis Līcis, lettischer Priester und orthodoxer Märtyrer († 1905)
22. Juli: Colin Archer, norwegischer Yacht- und Schiffskonstrukteure († 1921)
29. Juli: Josef Schöffel, österreichischer Journalist und Politiker († 1910)
30. Juli: George Lemuel Woods, US-amerikanischer Politiker († 1890)
2. August: Carl Justi, deutscher Philosoph und Kunsthistoriker († 1912)
2. August: Henry Steel Olcott, US-amerikanischer Mitbegründer der Theosophischen Gesellschaft († 1907)
2. August: Samuel E. Pingree, US-amerikanischer Politiker († 1922)
3. August: Edward Wilmot Blyden, liberianischer Staatsmann und Panafrikanist († 1912)
3. August: Ivan Zajc, kroatischer Komponist und Dirigent († 1914)
7. August: Max Lange, deutscher Schachspieler († 1899)
8. August: Georg I., Thronfolger von Albert I. (Sachsen) († 1904)
9. August: Alexander von Monts, deutscher Offizier der Marine († 1889)
10. August: Elise Henle, deutsche Schriftstellerin († 1892)
12. August: Peter Soemer, deutscher Theologe und Dichter († 1902)
16. August: Wilhelm Wundt, deutscher Philosoph und Psychologe († 1920)
September/Oktober
1. September: Hermann Steudner, deutscher Naturforscher († 1863)
3. September: Wilhelm Ludwig Conrad Listemann, Kommunalpolitiker in Magdeburg († 1893)
4. September: Antonio Agliardi, Kardinal der katholischen Kirche († 1915)
7. September: Emilio Castelar, spanischer Schriftsteller und Politiker († 1899)
10. September: Randall L. Gibson, US-amerikanischer Politiker und General der Konföderiertenarmee († 1892)
10. September: Otto Knille, deutscher Maler († 1898)
12. September: C. W. Damodaram Pillai, tamilischer Philologe († 1901)
17. September: Wendelin Boeheim, österreichischer Waffentechniker, Offizier, Journalist und Museumsbedienster († 1900)
19. September: Moses Kimball Armstrong, US-amerikanischer Politiker († 1906)
20. September: Johann Joseph Abert, sudetendeutscher Komponist († 1915)
21. September: Louis Paul Cailletet, französischer Physiker († 1913)
29. September: Miguel Miramón, mexikanischer General († 1867)
29. September: Antonio Smith, chilenischer Landschaftsmaler († 1877)
30. September: Frederick Roberts, 1. Earl Roberts, britischer Generalfeldmarschall († 1914)
2. Oktober: Edward Tylor, britischer Anthropologe († 1917)
2. Oktober: Julius Sachs, deutscher Botaniker († 1897)
3. Oktober: Edward F. Noyes, US-amerikanischer Politiker († 1890)
4. Oktober: Joseph Munsch, österreichischer Maler († 1896)
4. Oktober: Hugo Oelbermann, deutscher Dichter und Buchhändler(† 1898)
6. Oktober: August Eisenlohr, deutscher Ägyptologe († 1902)
6. Oktober: Christian Mali, deutscher Kunstmaler und Professor († 1906)
6. Oktober: Hermann Roelcke, deutscher Unternehmer, Spekulant († 1896)
7. Oktober: William Thomas Blanford, englischer Geologe, Zoologe und Naturforscher († 1905)
8. Oktober: Pjotr Sokalski, russischer Komponist und Musikwissenschaftler († 1887)
14. Oktober: Johan Wolter Arnberg, schwedischer Nationalökonom und Bankdirektor († 1900)
14. Oktober: Heinrich Rattermann, deutschamerikanischer Schriftsteller und Zeitschriftenherausgeber († 1923)
15. Oktober: Karl Atz, italienischer Kunsthistoriker und Priester († 1913)
15. Oktober: Friedrich Tietjen, deutscher Astronom († 1895)
16. Oktober: Gideon C. Moody, US-amerikanischer Politiker († 1904)
16. Oktober: George Crockett Strong, US-amerikanischer General († 1863)
18. Oktober: Matthäus Much, österreichischer Denkmalpfleger und Archäologe († 1909)
20. Oktober: Anton Romako, österreichischer Maler († 1889)
20. Oktober: Constantin Lipsius, deutscher Architekt und Architekturtheoretiker († 1894)
21. Oktober: Gustav Langenscheidt, deutscher Sprachlehrer und Verlagsbuchhändler († 1895)
21. Oktober: Valdemar Tofte, dänischer Geiger und Musikpädagoge († 1907)
28. Oktober: Caroline Hammer, dänische Fotografin († 1915)
November/Dezember
1. November: Richard B. Hubbard, US-amerikanischer Diplomat und Politiker († 1901)
1. November: Gottfred Matthison-Hansen, dänischer Komponist († 1909)
7. November: Andrew Dickson White, US-amerikanischer Diplomat, Schriftsteller and Pädagoge († 1918)
8. November: Franz Schmitz, deutscher Architekt († 1894)
9. November: Émile Gaboriau, französischer Schriftsteller († 1873)
16. November: Paul Cérésole, Schweizer Politiker († 1905)
18. November: Adolf Erik Nordenskiöld, finnisch-schwedischer Polarforscher († 1901)
19. November: Gustav Teichmüller, deutscher Philosoph und Schriftsteller († 1888)
26. November: Mary Edwards Walker, US-amerikanische Ärztin und Frauenrechtlerin († 1919)
28. November: Leslie Stephen, englischer Kleriker, Schriftsteller und Bergsteiger († 1904)
29. November: Louisa May Alcott, US-amerikanische Schriftstellerin († 1888)
30. November: George Whitman Hendee, US-amerikanischer Politiker († 1906)
1. Dezember: Friedrich Helbig, deutscher Jurist und Schriftsteller († 1896)
8. Dezember: Bjørnstjerne Bjørnson, norwegischer Dichter und Politiker († 1910)
8. Dezember: Friedrich Junge, deutscher Biologe († 1905)
8. Dezember: Wilhelm Anton Riedemann, deutscher Kaufmann und Unternehmer († 1920)
10. Dezember: Karl Eduard Ferdinand Ascherson, deutscher Klassischer Philologe und Bibliothekar († 1904)
12. Dezember: Adolf von Arnim-Boitzenburg, deutscher Politiker († 1887)
12. Dezember: Peter Ludwig Mejdell Sylow, norwegischer Mathematiker († 1918)
14. Dezember: Thomas L. Young, US-amerikanischer Politiker († 1888)
15. Dezember: Gustave Eiffel, französischer Ingenieur († 1923)
16. Dezember: Wilhelm Foerster, deutscher Astronom († 1921)
17. Dezember: Thomas McKenny Hughes, britischer Geologe und Paläontologe († 1917)
28. Dezember: Melchior zur Straßen, deutscher Bildhauer († 1896)
29. Dezember: Werner Friedrich Alexander Ulfried von Arnswaldt, deutscher Rittergutsbesitzer, Jurist und Politiker († 1899)
29. Dezember: Gustav Kálnoky, österreichisch-ungarischer Staatsmann und Diplomat († 1898)
29. Dezember: Franz Pönninger, österreichischer Bildhauer und Medailleur († 1906)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Naftali Amsterdam, russischer Rabbiner († 1916)
Julián Gavino Arcas Lacal, spanischer Gitarrist, Komponist und Gitarrenlehrer († 1882)
Gestorben
Erstes Quartal
9. Januar: Karl von Kügelgen, russischer Hof- und Kabinettmaler (* 1772)
10. Januar: Andrew Henry, US-amerikanischer Trapper und Pelzhändler (* 1775)
26. Januar: Alexander Cochrane, britischer Admiral (* 1758)
26. Januar: Johan Storm Munch, norwegischer Bischof und Verfasser (* 1778)
28. Januar: Augustin-Daniel Belliard, französischer General (* 1769)
28. Januar: Carsten Tank, norwegischer Kaufmann und Politiker (* 1766)
30. Januar: Johann David August von Apell, deutscher Komponist, Schriftsteller, Theaterdirektor und geheimer Kammerrat (* 1754)
3. Februar: Karl Viktor von Bonstetten, Schweizer Schriftsteller (* 1745)
9. Februar: Franz Boos, deutscher Gärtner (* 1753)
10. Februar: Wilhelm Hepp, deutscher Orgelbauer (* 1764)
11. Februar: Julius Wilhelm von Oppel, deutscher Staatsmann (* 1766)
15. Februar: Asa Adgate, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1767)
29. Februar: Louis Auguste Curtat, Schweizer evangelischer Geistlicher und Politiker (* 1759)
4. März: Jean-François Champollion, französischer Sprachwissenschaftler (* 1790)
10. März: Muzio Clementi, klassischer Komponist (* 1752)
12. März: Friedrich Kuhlau, deutscher Komponist (* 1786)
19. März: Ludwig Halirsch, österreichischer Beamter und Dichter (* 1802)
22. März: Johann Wolfgang von Goethe, deutscher Dichter und Naturforscher (* 1749)
26. März: Corentin de Leissegues, französischer Admiral (* 1758)
27. März: Franz Niklaus König, Schweizer Genre- und Porträtmaler (* 1765)
28. März: Lazarus Bendavid, deutscher Mathematiker und Philosoph (* 1762)
29. März: Maria Theresia von Österreich-Este, Königin von Sardinien-Piemont (* 1773)
30. März: Stephen Groombridge, englischer Astronom und Handelsmann (* 1755)
31. März: Franz Sartori, österreichischer Arzt und Schriftsteller (* 1782)
Zweites Quartal
13. April: Jean-Baptiste Jacques Augustin, französischer Maler (* 1759)
16. April: Justus Christian Loder, deutsch-baltischer Mediziner (* 1753)
17. April: Peter Anker, norwegischer Diplomat und Gouverneur (* 1744)
20. April: John Parker, US-amerikanischer Politiker (* 1759)
21. April: Karl Wilhelm Ferdinand Unzelmann, deutscher Schauspieler und Sänger (* 1753)
22. April: Wilhelm Würfel, tschechischer, Komponist, Organist, Pianist und Musikpädagoge (* 1790)
24. April: Francis de Rottenburg, britischer General und Militärschriftsteller (* 1757)
28. April: Friedrich Gottlob Hayne, deutscher Botaniker, Apotheker und Hochschullehrer (* 1763)
9. Mai: Camillo Filippo Ludovico Borghese, Fürst zu Sulmona und Rossano (* 1775)
13. Mai: Georges Cuvier, französischer Naturforscher (* 1769)
14. Mai: Edward Dodwell, britischer Altertumsforscher (* 1767)
15. Mai: Louise-Élisabeth de Croÿ de Tourzel, Ehrendame von Marie-Antoinette und Gouvernante der königlichen Kinder (* 1749)
15. Mai: Carl Friedrich Zelter, deutscher Musiker (* 1758)
18. Mai: Bonifazio Asioli, italienischer Musiktheoretiker, Musikpädagoge, Cembalist, Kapellmeister und Komponist (* 1769)
20. Mai: Johann Michael Sailer, katholischer Theologe und Bischof von Regensburg (* 1751)
22. Mai: Karoline Ferdinande von Österreich, Prinzessin von Sachsen (* 1801)
30. Mai: Erdmann Traugott Reichel, Leipziger Kaufmann (* 1748)
30. Mai: Johanna Dorothea Stock, deutsche Malerin, Zeichnerin und Kopistin (* 1759)
31. Mai: Évariste Galois, französischer Mathematiker (* 1811)
1. Juni: Thomas Sumter, US-Militär und Politiker im Unabhängigkeitskrieg der USA (* 1734)
4. Juni: Jean-Pierre Abel-Rémusat, französischer Sinologe und Bibliothekar (* 1788)
6. Juni: Jeremy Bentham, britischer Jurist und Philosoph (* 1748)
9. Juni: Friedrich von Gentz, deutscher Schriftsteller und Politiker (* 1764)
12. Juni: Nikolaus Simrock, Beethovenfreund und Waldhornist am kurfürstlichen Hof (* 1751)
19. Juni: Samuel John Galton, britischer Waffenproduzent und Bankier (* 1753)
29. Juni: Francisco Ballesteros, spanischer General (* 1770)
Drittes Quartal
6. Juli: John Hely-Hutchinson, britischer General (* 1757)
20. Juli: Karl Julius Weber, deutscher Schriftsteller und Satiriker (* 1767)
22. Juli: Franz Herzog von Reichstadt, Nachkomme von Napoléon Bonaparte (* 1811)
28. Juli: Joseph Schreyvogel, österreichischer Schriftsteller (* 1768)
4. August: Franz Seraph von Orsini-Rosenberg, österreichischer General (* 1761)
10. August: Michael Frey, deutscher Komponist, Geiger und Kapellmeister (* 1787)
10. August: Niklaus Rudolf von Wattenwyl, Schweizer General und Politiker (* 1760)
11. August: Claude-Antoine Prieur, französischer Politiker, Offizier und Wissenschaftler (* 1763)
17. August: Johann Jakob Faesch, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1752)
23. August: Johann Georg Wagler, deutscher Zoologe und Herpetologe (* 1800)
24. August: Nicolas Léonard Sadi Carnot, französischer Physiker (* 1796)
31. August: Antoine-Léonard de Chézy, französischer Orientalist (* 1773)
2. September: Franz Xaver von Zach, deutsch-österreichischer Astronom (* 1754)
6. September: Charles Meynier, französischer Maler (* 1763)
9. September: Bernhard Klein, deutscher Komponist (* 1793)
9. September: Charles Matthieu Isidore Decaen, französischer General (* 1769)
18. September: Niklaus Wolf von Rippertschwand, Schweizer Landwirt und Heiler (* 1756)
21. September: Walter Scott, schottischer Schriftsteller (* 1771)
27. September: Karl Christian Friedrich Krause, deutscher Philosoph (* 1781)
Viertes Quartal
10. Oktober: James Stephen, britischer Parlamentarier (* 1758)
12. Oktober: John Clark, US-amerikanischer Politiker (* 1766)
14. Oktober: Heinrich Meyer, Schweizer Maler und Kunstschriftsteller (* 1760)
16. Oktober: Rai San’yō, japanischer Historiker und Dichter (* 1780)
26. Oktober: Stéphanie de Tascher de La Pagerie, französische Prinzessin (* 1788)
29. Oktober: Ghazi Muhammad, islamischer Prediger bei den Awaren in Dagestan (* 1795)
1. November: Julius von Voß, deutscher Schriftsteller (* 1768)
2. November: Axel Bundsen, dänischer Architekt und Baumeister (* 1768)
3. November: John Leslie, schottischer Mathematiker und Physiker (* 1766)
4. November: Charles Abbott, 1. Baron Tenterden, britischer Jurist (* 1762)
12. November: François Étienne de Rosily-Mesros, französischer Admiral (* 1748)
14. November: Charles Carroll, Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 (* 1737)
14. November: Rasmus Christian Rask, dänischer Sprachforscher (* 1787)
15. November: Jean-Baptiste Say, französischer Ökonom und Geschäftsmann (* 1767)
29. November: Karl Asmund Rudolphi, Naturforscher (* 1771)
5. Dezember: Christoph Gotthelf König, deutscher Pädagoge (* 1765)
18. Dezember: Philip Freneau, US-amerikanischer Dichter (* 1752)
21. Dezember: Johann Friedrich Pierer, deutscher Mediziner und Lexikograf (* 1767)
25. Dezember: Daniel Heinrich Delius, preußischer Regierungspräsident (* 1773)
26. Dezember: Matthäus Conrad, Schweizer Pfarrer (* 1745)
27. Dezember: Emanuel von Schimonsky, Fürstbischof von Breslau (* 1752)
28. Dezember: Charles de Lameth, französischer General (* 1757)
29. Dezember: Johann Friedrich Cotta, deutscher Verleger (* 1764)
29. Dezember: James Hillhouse, US-amerikanischer Politiker (* 1754)
29. Dezember: Isabelle de Montolieu, Schweizer Schriftstellerin (* 1751)
30. Dezember: Ludwig Devrient, deutscher Schauspieler (* 1784)
Weblinks
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Q7584
| 533.244255 |
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https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob
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Jakob
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Jakob, auch Israel genannt, Sohn Isaaks und Rebekkas und Enkel Abrahams, ist nach dem Buch Genesis der Bibel der dritte der Erzväter der Israeliten.
Etymologie
Der hebräische Name Jakob ( und ) ist die Kurzform eines Verbalsatznamens, bei dem das Subjekt (und zugleich theophore Element) ausgefallen ist. Das Prädikat leitet sich von der Verbwurzel ab, die außerhalb von Personennamen nur im Äthiopischen belegt ist und „beschützen“ bedeutet. Der Name lässt sich daher als „(Gott) hat beschützt“ übersetzen. Ähnliche Namen sind aus Elephantine (‘qbjh „JHWH hat beschützt“), Nippur (lAq-qab-bi-DINGIR-MEŠ und lAq-bi-ja-a-ma) und Harran (z. B. lDINGIR–a-qa-bi, lSe-eʾ–a-qa-ba, Se-eʾ–a-qa-bi) bekannt.
Die Septuaginta gibt den Namen als Ιακωβ Iakōb wieder, die Vulgata als Iacob.
In wird der Name Jakob mit dem Substantiv verbunden und der Name als „Fersenhalter“ gedeutet. bezieht den Namen auf die Verbwurzel und versteht ihn als „Betrüger“. Beide Deutungen sind Volksetymologien.
Biblische Erzählung
Jakob lebte nach biblischer Erzählung etwa im 18. Jahrhundert v. Chr. Er wurde als zweiter Sohn seiner Eltern Isaak und Rebekka kurz nach seinem Zwillingsbruder Esau geboren. Bei der Geburt hielt er sich an der Ferse Esaus fest, weshalb sein Name im Hebräischen auch als Fersenhalter erklärt wird . Über die Familienbeziehungen wird gesagt: „Isaak hatte Esau lieber, denn er aß gerne Wildbret; Rebekka aber hatte Jakob lieber.“ Als Esau eines Tages hungrig vom Feld kam, verkaufte er sein Erstgeburtsrecht an Jakob für ein Linsengericht. Später erschlich sich Jakob auf Initiative und mit Hilfe seiner Mutter auch den Erstgeburtssegen von seinem erblindeten Vater Isaak.
Aus Angst vor Esaus Zorn schickte Rebekka ihren Sohn nach Haran zu ihren Verwandten. Auf dem Weg dahin erschien ihm im Traum die Himmelsleiter . In Haran diente er Laban, dem Bruder seiner Mutter, jeweils sieben Jahre für dessen Töchter Lea und Rahel. Eigentlich hatte Jakob nur Rahel heiraten wollen, doch Laban sorgte mit List dafür, dass er zuerst Lea heiratete und ihm für Rahel weitere sieben Jahre dienen musste. Zwischen den Schwestern kam es zu einem regelrechten Kampf um den Ehemann. Da Rahel zunächst keine eigenen Kinder bekam, gab sie Jakob ihre Magd Bilha, mit der Jakob zwei Söhne zeugte. Schließlich erhörte Gott Rahels Gebete, und sie bekam in Haran den bis dahin jüngsten Sohn, Josef.
Durch Jakobs Fleiß wurde Laban ein reicher Mann. Aufgrund einer klugen Abmachung mit seinem Schwiegervater wurde Jakob selbst ebenfalls sehr reich. Nachdem Jakob seinem Onkel 20 Jahre gedient hatte, machte er sich mit seiner Familie und seinem ganzen Hab und Gut heimlich auf den Rückweg nach Kanaan. Als Laban drei Tage später davon erfuhr, verfolgte er Jakob. Doch in der Nacht, bevor die beiden aufeinandertreffen, erschien Gott Laban im Traum und warnte ihn, Jakob Böses zu tun. So schlossen die beiden am nächsten Tag einen Bund des Friedens und gingen getrennte Wege.
Als Jakob und Laban ihren Streit friedlich beigelegt hatten, errichtete Jakob eine Steinsäule und schichtete dann Steine zu einem Haufen auf, der dort noch jahrelang als ein Zeuge des Friedensbundes diente, den die beiden bei einem feierlichen Mahl geschlossen hatten. Sie nannten den Steinhaufen Galed (hebräisch , „Haufen des Zeugnisses“) und „Mizpa“ (hebräisch ‚Wachtturm‘; ).
Jakob fürchtete sich davor, in der Heimat auf seinen Bruder Esau zu treffen. In der Nacht, bevor die beiden sich begegneten, wurde Jakob am Fluss Jabbok von einem Mann angegriffen, der mit ihm die ganze Nacht rang. Jakob wurde dabei so schwer an der Hüfte verletzt, dass er fortan hinkte. Als die Morgendämmerung heraufzog, ließ Jakob ihn nur gegen einen Segen ziehen. Er erhielt von dem Mann, der sich als himmlisches Wesen herausstellte, den Namen Israel, „Gottesstreiter“, da er mit Gott und Menschen gerungen und gesiegt hatte. Dies ist das letzte Mal im Alten Testament, dass ein Mensch körperlichen Kontakt mit Gott ( El) hatte; weder Moses noch David erfuhren diese Ehre. Am nächsten Tag begegneten sich die beiden Brüder. Esau war Jakob gegenüber, anders als befürchtet, freundlich gestimmt.
Jakobs Nachkommen
Aus Jakobs Söhnen gehen die Zwölf Stämme Israels hervor:
Mit Jakobs Söhnen haben Esaus Nachkommen später Streit um Landrechte. Als Jakobs Tochter Dina vom Sohn eines fremden Landherren vergewaltigt wird, töten ihre Brüder daraufhin mit List alle Männer der Stadt und nehmen alle Frauen, Kinder und Tiere als Beute mit. Bei der Geburt ihres jüngsten Sohnes Benjamin stirbt Jakobs Lieblingsfrau Rahel. Etwas später stirbt auch sein Vater Isaak, den er gemeinsam mit seinem Bruder Esau begräbt.
Jakob wohnt nun im Land Kanaan. Seinen Sohn Josef bevorzugt und beschenkt er, worüber dessen Brüder sehr verärgert sind. Bei einer günstigen Gelegenheit wollen sie ihn zuerst töten, verkaufen ihn dann jedoch an midianitische Kaufleute. Ihrem Vater schicken sie Josefs bunten Mantel, den er von ihm bekommen hatte, in Ziegenblut getränkt. Jakob, der meint, sein Sohn sei von einem wilden Tier getötet worden, trauert lange um ihn. Etwa 22 Jahre später kommt Jakob wieder mit seinem Sohn Josef zusammen – der mittlerweile der zweithöchste Mann in Ägypten ist –, weil im ganzen Land eine siebenjährige Hungersnot ausgebrochen ist. Josef lässt seine ganze Verwandtschaft nach Ägypten umziehen, wo er ihnen den besten Landesteil Goschen schenkt. Vor seinem Tod lässt Jakob Josef rufen und erklärt ihm, dass er die beiden Söhne Josefs, Efraim und Manasse, als seine eigenen Söhne anerkennt:
Als Jakob (Israel) die beiden segnet, gibt er Efraim, dem Jüngeren, den Segen des Erstgeborenen und Manasse, dem Älteren, den Segen des Zweitgeborenen; obwohl Josef dagegen protestiert und versucht, seinen Vater zu einem Segen entsprechend der Reihenfolge der Geburten zu bewegen, beharrt dieser auf der von ihm gewählten Reihenfolge.
Jakobs Tod und Begräbnis
Unmittelbar vor seinem Tod ruft Jakob (Israel) seine zwölf leiblichen Söhne zusammen und beauftragt sie, ihn in der Höhle auf dem Grundstück des Hethiters Efron zu begraben, auf dem Grundstück von Machpela bei Mamre in Kanaan. Das Grundstück hatte Abraham von Efron als eigene Grabstätte gekauft. Dort hatte man Abraham und seine Frau Sara begraben, Isaak und seine Frau Rebekka ebenfalls, und auch Jakob hatte seine Frau Lea dort bestattet.
Jakob stirbt schließlich nach einem Aufenthalt von 17 Jahren in Ägypten. Auf Bitten von Josef wird der Leichnam seines Vaters einbalsamiert. Die Ärzte benötigen dafür vierzig Tage, und die Ägypter beweinen ihn siebzig Tage lang:
Stammbaum
Gedenktag
Folgende Kirchen erinnern am 5. Februar an Jakob:
Lutherische Kirche – Missouri-Synode
Römisch-katholische Kirche
Jakob im Islam
Jakob gilt als einer der Propheten des Islam, er wird im Koran als erwähnt:
: Sag: Wir glauben an Gott und (an das) was (als Offenbarung) auf uns, und was auf Abraham, Ismael, Isaak, Jakob und die Stämme (Israels) herabgesandt worden ist, und was Mose, Jesus und die Propheten von ihrem Herrn erhalten haben, ohne daß wir bei einem von ihnen (den anderen gegenüber) einen Unterschied machen. Ihm sind wir ergeben.
: Wir haben dir (Offenbarungen) eingegeben (ebenso) wie (früher) dem Noah und den Propheten nach ihm: Abraham (w. und wir haben dem Abraham (Offenbarungen) eingegeben) Ismael, Isaak, Jakob und den Stämmen (Israels) Jesus, Hiob, Jonas, Aaron und Salomo. Und dem David haben wir einen Psalter gegeben.
: Und gedenke unserer (unermüdlich) tätigen (?) (oder: kraftvollen?) und einsichtigen Diener Abraham, Isaak und Jakob! Wir haben sie in Sonderheit mit der Mahnung an die (jenseitige) Behausung ausgezeichnet. Sie gehören bei uns (im Jenseits) zu den Auserwählten und Frommen.
Filmische Verarbeitung
In der dystopischen US-amerikanischen Drama-Fernsehserie The Handmaid's Tale – Der Report der Magd wird die Geschichte von Jakob und Bilha als zentrales Motiv der Handlung aufgegriffen und ihre Geschichte regelmäßig zitiert.
Siehe auch
Die Bibel – Jakob
Zwei-Brüder-Motiv
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
Person im Buch Genesis
Person (Koran)
Person des evangelischen Namenkalenders
Josef (Sohn Jakobs)
Erzeltern
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Q289957
| 163.164376 |
6823
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https://de.wikipedia.org/wiki/1849
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1849
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Kaisertum Österreich/Italien
9. Februar: Im Kirchenstaat ruft im Rahmen des Risorgimento Giuseppe Mazzini die Römische Republik aus. Sie wird umgehend durch das Eingreifen französischer und spanischer Truppen bis zum 3. Juli gewaltsam niedergeschlagen.
7. März: Nach Erlass der Oktroyierten Verfassung im Kaisertum Österreich durch Kaiser Franz Joseph I. wird der Reichstag in Österreich-Ungarn gewaltsam aufgelöst.
12. März: Das Königreich Sardinien-Piemont erklärt Österreich den Krieg, weil Deputiertenkammer und das Volk eine Fortsetzung des Unabhängigkeitskampfes in Norditalien während des Risorgimento wünschen.
23. März: Italienische Aufständische unter Führung des polnischen Generals Wojciech Chrzanowski erleiden in der Schlacht bei Novara eine Niederlage. Die Österreicher, deren Heer der Feldmarschall Josef Graf Radetzky befehligt, behalten ihre Dominanz in Norditalien und verzögern das Risorgimento.
4. April: In der Ungarischen Revolution gehen die Rebellen aus der Schlacht bei Tápióbicske siegreich gegenüber den österreichischen Truppen hervor.
3. Juli: Französische und spanische Interventionstruppen erobern Rom, um Papst Pius IX. wieder zu weltlicher Macht zu verhelfen. Die Römische Republik wird gewaltsam abgeschafft.
13. August: Im Unabhängigkeitskrieg in Ungarn kapituliert die Armee unter General Artur Görgey gegenüber russischen Truppen. Im Rahmen der Heiligen Allianz schlagen diese gemeinsam mit österreichischen Einheiten die Revolution der Magyaren nieder.
6. Oktober: Auf Betreiben des Grafen Haynau wird Ludwig Batthyány, im Zuge der Ungarischen Revolution erster ungarischer Ministerpräsident, in Pest erschossen; am selben Tag werden 13 Anführer des Aufstands gegen das Kaisertum Österreich in Arad hingerichtet.
18. November: Das Königreich Kroatien und Slawonien wird von Ungarn abgetrennt und separates Kronland in der Habsburgermonarchie. Die Treue der Illyrischen Bewegung zur Habsburger Regierung in den Revolutionswirren wird damit honoriert.
Dänemark/Deutscher Bund
22. Februar: Die dänische Kündigung des Waffenstillstands von Malmö lässt den Schleswig-Holsteinischen Krieg wieder aufflammen.
4. März: Die oktroyierte österreichische Reichsverfassung macht Kroatien, Slawonien und Dalmatien zu einem eigenen Kronland Österreichs mit einem Ban als Statthalter.
13. März: An der Volksversammlung auf dem Judenbühl in Nürnberg nehmen etwa 30.000 Menschen teil.
27. März: Die Frankfurter Nationalversammlung beschließt die Paulskirchenverfassung.
28. März: Friedrich Wilhelm IV. von Preußen wird von der Frankfurter Nationalversammlung zum Deutschen Kaiser gewählt.
3. April: Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. gegenüber der Kaiserdeputation
5. April: Gefecht bei Eckernförde im Rahmen des Schleswig-Holsteinischen Krieges
3. Mai: Der beginnende Dresdner Maiaufstand zielt auf den Sturz von König Friedrich August II. von Sachsen und die Errichtung einer Republik. Der am 4. Mai eintreffende russische Anarchist Michail Bakunin setzt sich an die Spitze der Revolutionäre, zu denen auch Gottfried Semper und Richard Wagner zählen.
6. Mai: Domvikar Adolph Kolping gründet mit sieben Gesellen in der Kolumbaschule den Kölner Gesellenverein, Karl Marx verkündet am gleichen Tag im überfüllten Saal des Gürzenich sein Manifest der Kommunistischen Partei.
11. Mai: Badische Revolution – In der Festung Rastatt meutern Soldaten. Der Aufstand weitet sich landesweit aus und zwingt Großherzog Leopold wenige Tage danach zur Flucht aus Karlsruhe.
26. Mai: Preußen, Sachsen und Hannover schließen das Dreikönigsbündnis mit dem Ziel der Gründung eines Bundesstaates. Das Projekt erhält später die Bezeichnung Erfurter Union.
30. Mai: In Preußen wird das Dreiklassenwahlrecht eingeführt; die ausschließlich männlichen Wähler werden nach Höhe ihrer Steuerleistung in drei Klassen eingeteilt und haben so ein sehr unterschiedliches Stimmengewicht.
31. Mai: Märzrevolution: letzte Sitzung der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main, anschließend Umzug als Rumpfparlament nach Stuttgart
4. Juni: Im Schleswig-Holsteinischen Krieg liefern sich deutsche und dänische Schiffe das Seegefecht bei Helgoland, das einzige der deutschen Reichsflotte.
5. Juni: 1. Verfassung in Dänemark
18. Juni: Das nach Stuttgart ausgewichene Rumpfparlament der Frankfurter Nationalversammlung wird durch militärische Gewalt aufgelöst. Nichtwürttembergische Abgeordnete werden des Landes verwiesen.
23. Juli: Rastatt wird von preußischen Truppen eingenommen. Der nach dem Heckeraufstand erneute Versuch, im Großherzogtum Baden eine Republik zu errichten, ist wiederum gescheitert.
5. Dezember: Einführung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen
Weitere Ereignisse in Europa
18. Juni: Regierungswechsel in Portugal. Trotz großer Proteste ernennt Königin Maria II. den Markgrafen von Tomar erneut als Nachfolger des Herzogs von Saldanha zum Ministerpräsidenten.
22. Dezember: Eine Begnadigung durch Zar Nikolaus I. rettet den Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski vor dem angetretenen Erschießungspeloton.
Australien
13. Februar: Das erste deutsche Schiff mit Auswanderern nach Australien, die Goddefroy, kommt in Melbourne an. Unter den Forty-Eighters befinden sich viele nach der Deutschen Revolution politisch Verfolgte.
Asien
21. Februar: Das Heer der Sikhs verliert die Schlacht von Gujarat gegen die britischen Truppen unter Hugh Gough. Ihr Reich im Punjab wird in der Folge nach Britisch-Indien eingegliedert.
29. März: Das Pandschab mit seiner Hauptstadt Lahore wird Teil des britischen Weltreichs.
Amerika
5. März: Zachary Taylor wird als 12. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt, er löst James K. Polk ab.
Wirtschaft
Geld- und Postwesen
1. Januar: Die Schweizerische Post wird gegründet, der der Transport von Briefen, Paketen, Geldsendungen und Personen obliegt.
3. März: Der US-Kongress gestattet der United States Mint das Prägen von Goldmünzen im Nennwert von einem und von zwanzig US-Dollar.
1. November: Als erstes deutsches Land gibt das Königreich Bayern eine Briefmarke heraus.
Nachrichtenwesen
21. April: In Großenhain/Sachsen erscheint die erste Ausgabe der von Louise Otto gegründeten Frauen-Zeitung.
19. Mai: Die von Karl Marx in Köln herausgegebene Neue Rheinische Zeitung stellt nach dem Scheitern der Märzrevolution in der preußischen Rheinprovinz ihr Erscheinen ein.
1. Juni: Karl Thienemann gründet in Stuttgart den Thienemann Verlag.
27. November: Bernhard Wolff gründet das Telegraphische Correspondenz-Bureau in Berlin als Nachrichtenbüro für die Presse. Es handelt sich um die erste deutsche und eine der ersten Nachrichtenagenturen Europas.
Patente
10. April: Walter Hunt erhält das Patent auf die von ihm erfundene Sicherheitsnadel.
Verkehr
25. September: Mit der Eröffnung des Abschnitts Eisenach–Gerstungen ist die von der Thüringischen Eisenbahn-Gesellschaft errichtete Gesamtstrecke der Thüringer Bahn fertiggestellt.
1. Dezember: Die Bahnstrecke Nördlingen–Pleinfeld wird eröffnet.
Wissenschaft und Technik
12. April: Der italienische Astronom Annibale de Gasparis sichtet als Erster Hygiea, den drittgrößten Asteroiden.
26. April: Der irische Astronom William Parsons findet im Sternbild Jungfrau die Galaxie NGC 5569.
18. Juli: In Montevideo wird die Universidad de la República gegründet, die erste öffentliche Hochschule Uruguays.
21. Juli: Erstmals wird ein Ballon von einem Schiff aus gestartet. Die österreichische Marine will aus der Luft bei der Bekämpfung der Repubblica di San Marco Bomben auf Venedig werfen. Schlechte Windverhältnisse vereiteln jedoch den Abwurf.
15. November: Gründung der „kaiserlich-königlichen Geologischen Reichsanstalt“ (heute: Geologische Bundesanstalt) durch Kaiser Franz Joseph I.
James B. Francis entwickelt die Francis-Turbine.
Kultur
Literatur
Ende des Jahres: Immensee, eine Novelle von Theodor Storm, erscheint in dem von Karl Leonhard Biernatzki herausgegebenen Volksbuch auf das Jahr 1850.
Musik und Theater
9. März: Die komische Oper Die lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai mit dem Libretto von Salomon Hermann Mosenthal nach der gleichnamigen Komödie von William Shakespeare hat am Königlichen Opernhaus in Berlin ihre Uraufführung. Das Werk, das vom Komponisten selbst dirigiert wird, feiert sofort einen fulminanten Erfolg.
16. April: Die Uraufführung der Oper Le prophète (Der Prophet) von Giacomo Meyerbeer mit dem Libretto von Eugène Scribe und Émile Deschamps erfolgt an der Grand Opéra Paris.
10. Mai: Anlässlich einer Aufführung des Theaterstücks Macbeth von William Shakespeare in New York entzündet sich der Astor Place Riot. Die Krawalle forderten mindestens 25 Tote und über 120 Verletzte. Auslöser des Aufruhrs ist die Konkurrenz der Schauspieler Edwin Forrest und William Charles Macready, im Hintergrund stehen soziale Spannungen und anti-britische Ressentiments.
1. Oktober: Die Uraufführung der komischen Oper La fée aux roses von Fromental Halévy findet an der Opéra-Comique in Paris statt.
17. November: Das Theaterstück Höllenangst von Johann Nestroy wird am Carl-Theater in Wien uraufgeführt. Die zeitgenössischen Kommentare sind durchwegs negativ und auch das Publikum verhält sich dem Stück gegenüber ablehnend.
Gesellschaft
6. Mai: Adolph Kolping gründet in Köln einen katholischen Gesellenverein.
16. Oktober: Gründung des bischöflichen Internatsgymnasiums Collegium Augustinianum Gaesdonck
Die Londoner Hutmacher Thomas und William Bowler fertigen erstmals eine sogenannte Melone.
Religion
8. Dezember: In der Enzyklika Nostis et nobiscum geht Papst Pius IX. auf Entwicklungen in Italien ein und wendet sich gegen die Theorien des Sozialismus und des Kommunismus.
Katastrophen
Ende der „Großen Hungersnot“ (Great Famine) in Irland
Sport
18. Februar: In Bochum wird der Bochumer Turnverein gegründet.
Geboren
Januar/Februar
1. Januar: Arthur Hartmann, deutscher HNO-Arzt und Hochschullehrer († 1931)
1. Januar: Friedrich von Puteani, tschechischer Maler und Radierer († 1917)
2. Januar: Benjamin F. Alexander, US-amerikanischer Politiker († 1911)
2. Januar: Adolf Philippi, deutscher Bürgermeister und Abgeordneter († 1923)
2. Januar: Heinrich von Mendel-Steinfels, preußischer Landesökonomierat und Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses († 1902)
3. Januar: Ernest Denis, französischer Historiker († 1921)
3. Januar: Carl Wuttke, deutscher Landschaftsmaler († 1927)
4. Januar: Helene von Lebbin, deutsche Salonière († 1915)
5. Januar: Jethro Teall, britischer Geologe († 1924)
6. Januar: Wilhelm Idel, deutscher Heimatforscher und Dichter († 1927)
7. Januar: Albert von Koller, General der Infanterie der österreichisch-ungarischen Streitkräfte († 1942)
7. Januar: Albert Locher, Schweizer Politiker und Landwirt († 1914)
8. Januar: Stepan Ossipowitsch Makarow, russischer Admiral und Polarforscher († 1904)
8. Januar: John McLaughlin, kanadischer Politiker († 1911)
9. Januar: John Hartley, englischer Tennisspieler († 1935)
9. Januar: Gaetano Koch, italienischer Architekt des Historismus († 1910)
9. Januar: Laura Kieler, dänisch-norwegische Schriftstellerin († 1932)
10. Januar: Robert Crosbie, kanadisch-US-amerikanischer Theosoph († 1919)
10. Januar: Friedrich Wilhelm Putzger, deutscher Pädagoge und Schulbuchautor († 1913)
11. Januar: Alexandre Guillot, Schweizer evangelischer Geistlicher († 1930)
11. Januar: Oskar Lassar, deutscher Arzt († 1907)
11. Januar: Ignacio Pinazo, spanischer Maler († 1916)
11. Januar: Alexander Pomeranzew, russischer Architekt († 1918)
11. Januar: William J. Mills, US-amerikanischer Politiker († 1915)
12. Januar: Candelario Obeso, kolumbianischer Schriftsteller († 1884)
12. Januar: Murphy J. Foster, US-amerikanischer Politiker († 1921)
13. Januar: Alfhild Agrell, schwedische Schriftstellerin († 1923)
13. Januar: Erwin Bälz, deutscher Internist und Anthropologe († 1913)
16. Januar: Juhana Heikki Erkko, finnischer Schriftsteller († 1906)
18. Januar: Edmund Barton, australischer Politiker und Premierminister († 1920)
18. Januar: Antonio Cecchi, italienischer Entdecker († 1896)
18. Januar: Richard Pischel, deutscher Indologe († 1908)
21. Januar: Józef Szczepkowski, polnischer Opernsänger († 1909)
22. Januar: August Strindberg, schwedischer Schriftsteller und Dramatiker († 1912)
29. Januar: Newton Blanchard, US-amerikanischer Politiker († 1922)
30. Januar: Josef Anton Schobinger, Schweizer Politiker († 1911)
31. Januar: August Reinsdorf, deutscher Anarchist († 1885)
2. Februar: Pavol Országh Hviezdoslav, slowakischer Dichter († 1921)
3. Februar: Ilse Frapan, deutsche Schriftstellerin († 1908)
5. Februar: August Palm, schwedischer Sozialdemokrat und Agitator († 1922)
6. Februar: Hermine Villinger, deutsche Schriftstellerin († 1917)
7. Februar: Joseph Belli, deutscher Sozialdemokrat († 1927)
8. Februar: Aristide Cavallari, Patriarch von Venedig und Kardinal († 1914)
9. Februar: Giovanni Passannante, italienischer Anarchist († 1910)
13. Februar: Hauptmann von Köpenick, eigentlich Friedrich Wilhelm Voigt, deutsch-luxemburgischer Schuhmacher und Hochstapler († 1922)
13. Februar: Oskar Nast, Oberbürgermeister († 1907)
13. Februar: Randolph Churchill, britischer Politiker († 1895)
18. Februar: Alexander Lange Kielland, norwegischer Autor († 1906)
18. Februar: Jérôme-Eugène Coggia, französischer Astronom († 1919)
20. Februar: Iwan Geschow, bulgarischer Politiker und Ministerpräsident († 1924)
21. Februar: Édouard Gaston Deville, kanadischer Entdecker († 1924)
24. Februar: Franz Skarbina, deutscher Maler († 1910)
25. Februar: Erich Zweigert, deutscher Politiker († 1906)
27. Februar: Václav Beneš Třebízský, tschechischer Schriftsteller und Priester († 1884)
März/April
2. März: Anton Krettner, deutscher Komponist und Bürgermeister von Bad Tölz († 1899)
3. März: Leonhard Tietz, deutscher Kaufmann jüdischer Abstammung († 1914)
4. März: Ludwig Brackebusch, deutscher Geologe, Mineraloge, Paläontologe und Professor († 1906)
6. März: August Luchs, deutscher Altphilologe († 1938)
6. März: Georg Luger, österreichischer Waffentechniker († 1923)
7. März: Luther Burbank, US-amerikanischer Pflanzenzüchter († 1926)
17. März: Carl Zaar, deutscher Architekt († 1924)
18. März: Theodor Auracher, deutscher Altphilologe und Fachautor († 1891)
18. März: Wilhelm von Seldeneck, deutscher Unternehmer († 1925)
19. März: Alfred von Tirpitz, deutscher Großadmiral († 1930)
20. März: Henri Dallier, französischer Komponist und Organist († 1934)
20. März: Henry Petersen, dänischer Archäologe († 1896)
25. März: Ernest Martin, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1910)
25. März: Sahag II. Khabayan, Katholikos des Großen Hauses von Kilikien († 1939)
26. März: Armand Peugeot, französischer Unternehmer († 1915)
27. März: Carlo Dossi, italienischer Schriftsteller und Diplomat († 1910)
28. März: James Darmesteter, französischer Orientalist († 1894)
30. März: Karl Armbrust, deutscher Organist und Komponist († 1896)
31. März: Ernst Assmann, deutscher Mediziner und Wissenschaftler († 1926)
3. April: Walter Guion, US-amerikanischer Jurist und Politiker († 1927)
6. April: John William Waterhouse, britischer Maler († 1917)
12. April: Albert Heim, Schweizer Geologe († 1937)
14. April: Sergei Iwanowitsch Mosin, russischer Waffenkonstrukteur († 1902)
16. April: Antonio Spagnoli, Trentiner Bildhauer († 1932)
17. April: William R. Day, US-amerikanischer Politiker († 1923)
18. April: Adolf Slaby, deutscher Erfinder, erster Ordinarius für Elektrotechnik an der TH Berlin († 1913)
20. April: Ulrich Dürrenmatt, Journalist und Politiker († 1908)
21. April: Oscar Hertwig, deutscher Zoologe († 1922)
23. April: Alexander Georg Aster, deutscher Architekt und Sachbuchautor († 1917)
24. April: Joseph Gallieni, französischer Marschall, Gouverneur von Madagaskar und Kriegsminister († 1916)
25. April: Haruthiun Abeljanz, Schweizer Chemiker († 1921)
25. April: Felix Klein, deutscher Mathematiker († 1925)
25. April: Joseph Zimmermann, Schweizer römisch-katholischer Geistlicher († 1921)
Mai/Juni
3. Mai: Bernhard von Bülow, deutscher Staatsmann († 1929)
3. Mai: Bertha Benz, deutsche Automobilpionierin, Ehefrau von Carl Benz († 1944)
8. Mai: Ewald Haase, deutscher Feuerwehrmann, Politiker und Radsportfunktionär († 1930)
9. Mai: Friedrich Freudenthal, 'Heimatschriftsteller' in Niederdeutschland († 1929)
9. Mai: Theodor Leutwein, deutscher Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika († 1921)
10. Mai: Ernst Müller, Schweizer evangelischer Geistlicher und Bühnenautor († 1927)
17. Mai: Max Aronheim, deutscher Jurist und Unternehmer († 1905)
19. Mai: Adrien Lachenal, Schweizer Politiker († 1918)
20. Mai: Georg Bötticher, deutscher Grafiker und Schriftsteller († 1918)
22. Mai: Louis Perrier, Schweizer Politiker († 1913)
25. Mai: Tom Wiggins, US-amerikanischer Musiker und Komponist († 1908)
26. Mai: Albert Adamo, deutscher Maler († 1887)
26. Mai: Ernst Julius Remak, deutscher Neurologe († 1911)
26. Mai: Hubert von Herkomer, deutsch-britischer Maler, Bildhauer, Musiker und Schriftsteller († 1914)
29. Mai: Lorenz Adlon, deutscher Gastronom und Hotelier († 1921)
1. Juni: Gustav von Escherich, österreichischer Mathematiker († 1935)
3. Juni: Luis Bográn Barahona, Präsident von Honduras († 1895)
6. Juni: William T. Watson, US-amerikanischer Politiker († 1917)
7. Juni: Manuel Bonilla, General und Präsident von Honduras († 1913)
9. Juni: Michael Ancher, dänischer Maler († 1927)
9. Juni: Karl Tanera, deutscher Offizier und Schriftsteller († 1904)
10. Juni: Eduard Arnhold, deutscher Unternehmer, Kunstmäzen und Philanthrop († 1925)
12. Juni: Onofre Jarpa Labra, chilenischer Maler († 1940)
14. Juni: Hugo von Habermann, deutscher Maler († 1929)
17. Juni: Andrea Aiuti, Kardinal der katholischen Kirche († 1905)
29. Juni: Sergei Juljewitsch Witte, russischer Politiker († 1915)
29. Juni: John Hunn, US-amerikanischer Politiker († 1926)
30. Juni: William Joseph Deboe, US-amerikanischer Politiker († 1927)
Juli/August
2. Juli: Marie Therese von Österreich-Este, letzte bayerische Königin († 1919)
3. Juli: Viktor von Grumbkow, preußischer Generalmajor († 1901)
8. Juli: Edward Marjoribanks, 2. Baron Tweedmouth, britischer Staatsmann († 1909)
10. Juli: John W. Griggs, US-amerikanischer Politiker († 1927)
12. Juli: William Osler, kanadischer Mediziner († 1919)
13. Juli: Ferdinand Brütt, deutscher Maler († 1936)
13. Juli: Hermann Helmer, deutscher Architekt († 1919)
16. Juli: Curt von Prittwitz und Gaffron, deutscher Admiral, Mitglied des preußischen Herrenhauses († 1922)
16. Juli: Theodor Barth, deutscher Politiker und Publizist († 1909)
18. Juli: Hugo Riemann, deutscher Musiktheoretiker, Musikhistoriker und Musikpädagoge († 1919)
19. Juli: François-Alphonse Aulard, französischer Historiker († 1928)
22. Juli: Emma Lazarus, US-amerikanische Dichterin († 1887)
23. Juli: Seth Bullock, US-amerikanischer Westernheld († 1919)
23. Juli: Géza Zichy, ungarischer Pianist und Komponist († 1924)
24. Juli: August Scherl, deutscher Großverleger († 1921)
29. Juli: Edward Theodore Compton, englischer Maler und Alpinist († 1921)
29. Juli: Franz Fischer, deutscher Dirigent und Cellist († 1918)
1. August: August Specht, deutscher Tiermaler († 1923)
3. August: William Gregory, US-amerikanischer Politiker († 1901)
9. August: Charles Nagel, US-amerikanischer Politiker und Jurist († 1940)
15. August: Max Jacob, deutscher Architekt († 1921)
15. August: Charles Labelle, kanadischer Komponist, Chorleiter, Dirigent und Musikpädagoge († 1903)
18. August: Benjamin Godard, französischer Komponist († 1895)
20. August: Joseph-Jean-Félix Aubert, französischer Maler († 1924)
23. August: William Ernest Henley, englischer Schriftsteller († 1903)
23. August: William S. West, US-amerikanischer Politiker († 1914)
September/Oktober
1. September: Emil Zuckerkandl, österreichischer Mediziner († 1910)
8. September: Gustav Schreck, deutscher Musiklehrer, Komponist und Chorleiter († 1918)
9. September: Rienzi Melville Johnston, US-amerikanischer Journalist und Politiker († 1926)
12. September: Alfonso Carlos de Borbón, carlistischer Thronprätendent in Spanien und Frankreich († 1936)
16. September: Ottilie Schwahn, deutsche Erzählerin († 1918)
19. September: Friedrich Seifriz, österreichischer Gutsbesitzer und Politiker († 1912)
22. September: Alexander Forrest, australischer Entdecker († 1901)
22. September: Anton von Kersting, deutscher Militär († 1922)
23. September: Hugo von Seeliger, deutscher Astronom († 1924)
24. September: James Black, US-amerikanischer Politiker († 1938)
26. September: Iwan Pawlow, russischer Mediziner und Nobelpreisträger († 1936)
27. September: Cosme San Martín, chilenischer Maler († 1906)
29. September: Franz von Assisi Ludwig Prinz von Arenberg, deutscher Diplomat und Politiker († 1907)
29. September: Edwin Doak Mead, US-amerikanischer Autor, Herausgeber und Pazifist († 1937)
30. September: Adolf Kaegi, Schweizer Indologe, Sprachwissenschaftler und Gräzist († 1923)
September: Cesare Dall’Olio, italienischer Komponist und Musikpädagoge († 1906)
1. Oktober: Anne Charlotte Leffler, schwedische Schriftstellerin († 1892)
5. Oktober: Wilhelm Blos, Journalist, Staatspräsident von Württemberg († 1927)
6. Oktober: Basil Zaharoff, britischer Waffenhändler und Spielbankbesitzer († 1936)
6. Oktober: Ludwig Purtscheller, österreichischer Bergsteiger, Lehrer († 1900)
9. Oktober: Gustav Lilienthal, deutscher Baumeister und Sozialreformer († 1933)
11. Oktober: Carl Wolff, rumänischer Volkswirtschaftler, Journalist und Politiker († 1929)
11. Oktober: William Knox D’Arcy, britischer Unternehmer († 1917)
12. Oktober: Robert Müser, Sohn und Nachfolger des „Kohlendoktors“ Friedrich Wilhelm Müser († 1927)
16. Oktober: Samuel Train Dutton, US-amerikanischer Pädagoge und Friedensaktivist († 1919)
16. Oktober: Arnold Krug, deutscher Komponist († 1904)
16. Oktober: Alfred von Wierusz-Kowalski, polnischer Maler († 1915)
17. Oktober: Martin Binder, deutscher Orgelbauer († 1904)
21. Oktober: Gustav Adolf Arndt, deutscher Jurist und Hochschullehrer († 1926)
26. Oktober: Heinrich Bulthaupt, deutscher Autor († 1905)
26. Oktober: Ferdinand Georg Frobenius, deutscher Mathematiker († 1917)
30. Oktober: Georg Kaibel, deutscher Altphilologe († 1901)
30. Oktober: Arthur Lossow, deutscher Textilunternehmer († 1943)
30. Oktober: Takaki Kanehiro, japanischer Marinearzt († 1920)
November/Dezember
1. November: William Merritt Chase, US-amerikanischer Maler († 1916)
2. November: Johannes Benjamin Brennecke, deutscher Geheimer Sanitätsrat und Arzt († 1931)
3. November: Georg Goetz, deutscher Altphilologe († 1932)
4. November: Max Kienitz, deutscher Forstmeister, Forstwissenschaftler und Naturschützer († 1931)
4. November: James Orman, US-amerikanischer Politiker († 1919)
7. November: Ernesto Rodolfo Hintze Ribeiro, portugiesischer Politiker († 1907)
10. November: József Hampel, ungarischer Archäologe und Museumskurator († 1913)
12. November: Ernst Sandberg, deutscher Mediziner († 1917)
14. November: Oskar Kopka von Lossow, preußischer Generalleutnant und Militärschriftsteller († 1916)
19. November: James Mason, irisch-US-amerikanischer Schachspieler († 1905)
21. November: Hermann Möckel, deutscher Seminaroberlehrer, Stadtverordnetenvorsteher, Vereins- und Verbandsfunktionär († 1920)
21. November: Paul Rée, deutscher Philosoph, Empirist († 1901)
22. November: Fritz Mauthner, deutscher Philosoph und Schriftsteller († 1923)
24. November: Frances Hodgson Burnett, britische Autorin († 1924)
24. November: Benedikt Niese, deutscher klassischer Philologe und Althistoriker († 1910)
29. November: Edward Bibbins Aveling, englischer Zoologe († 1898)
29. November: John Ambrose Fleming, britischer Elektroingenieur und Physiker († 1945)
29. November: Horace Lamb, britischer Mathematiker und Physiker († 1934)
4. Dezember: Ernesto Köhler, italienischer Flötist und Komponist († 1907)
5. Dezember: Helene Adler, deutsche Schriftstellerin († 1923)
6. Dezember: August von Mackensen, deutscher Generalfeldmarschall († 1945)
6. Dezember: Charles Spalding Thomas, US-amerikanischer Politiker († 1934)
7. Dezember: Max Emanuel, bayrischer Herzog († 1893)
7. Dezember: Pierre-Paulin Andrieu, französischer Kardinal der römisch-katholischen Kirche († 1935)
10. Dezember: Prosper Mathieu Henry, französischer Optiker und Astronom († 1903)
11. Dezember: Ellen Key, schwedische Reformpädagogin und Schriftstellerin († 1926)
13. Dezember: Otto Lenel, deutscher Rechtshistoriker († 1935)
19. Dezember: Henry Clay Frick, US-amerikanischer Industrieller († 1919)
20. Dezember: John W. Kern, US-amerikanischer Politiker († 1917)
22. Dezember: Christian Rohlfs, deutscher Maler des Expressionismus († 1938)
23. Dezember: Stine Andresen, deutsche Schriftstellerin († 1927)
25. Dezember: Nogi Maresuke, japanischer General († 1912)
28. Dezember: Herbert von Bismarck, Sohn von Otto von Bismarck († 1904)
29. Dezember: Otto Stoll, Schweizer Geograph und Ethnologe († 1922)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Muhammad Abduh, islamische Reformer († 1905)
Josep Amargós i Samaranch, spanischer Architekt († 1918)
Aurel Eisenkolb, rumäniendeutscher Komponist († 1918)
Wenzel Josef Heller, böhmischer Komponist, Kirchenmusiker, Militärkapellmeister und Chorleiter († 1914)
Franciszek Słomkowski, polnischer Geiger, Dirigent, Musikpädagoge und Komponist († 1924)
Louis Tiercelin, französischer Schriftsteller († 1915)
Gestorben
Januar bis April
1. Januar: Georg Reinbeck, deutscher Schriftsteller, Germanist und Pädagoge (* 1766)
4. Januar: Franz Xaver Gabelsberger, Erfinder der heute gebräuchlichen Deutschen Einheitskurzschrift (* 1789)
6. Januar: Johann Caspar von Orelli, Schweizer klassischer Philologe (* 1787)
9. Januar: Jan Kops, niederländischer reformierter Theologe und Agrarwissenschaftler (* 1765)
11. Januar: Ray Greene, US-amerikanischer Politiker (* 1765)
13. Januar: Francisco Ramón Vicuña Larraín, chilenischer Präsident (* 1775)
25. Januar: Elias Parish Alvars, englischer Harfenist und Komponist (* 1808)
26. Januar: Thomas Lovell Beddoes, englischer Dichter (* 1803)
27. Januar: Julius August Ludwig Wegscheider, protestantischer Theologe (* 1771)
28. Januar: Rudolf Burnitz, deutscher Architekt (* 1788)
28. Januar: David L. Morril, US-amerikanischer Politiker (* 1772)
2. Februar: Mullah Husayn, erster Buchstabe des Lebendigen (* 1813)
2. Februar: Benjamin W. Leigh, US-amerikanischer Politiker (* 1781)
15. Februar: Pierre-François Verhulst, belgischer Mathematiker (* 1804)
24. Februar: Joseph Adamy, nassauischer Grubenbesitzer und Politiker (* 1778)
26. Februar: Mariano Rivera Paz, Präsident von Guatemala (* 1804)
3. März: Benedict Arnold, US-amerikanischer Politiker (* 1780)
3. März: Johann Heinssen, deutscher Orgelbauer (* 1797)
12. März: Maria Christina von Neapel-Sizilien, Königin von Sardinien-Piemont (* 1779)
13. März: Alessandro Sanquirico, italienischer Maler, Szenograf, Architekt und Dekorateur (* 1777)
17. März: Wilhelm II., König der Niederlande und Großherzog von Luxemburg (* 1792)
20. März: José Bernardo Escobar, Präsident von Guatemala (* 1797)
24. März: Johann Wolfgang Döbereiner, deutscher Chemiker (* 1780)
3. April: Juliusz Słowacki, polnischer Dichter (* 1809)
4. April: August von Hartmann, württembergischer Beamter und Hochschullehrer (* 1764)
7. April: Josef Franz von Sales Johann Baptist Karl Nikolaus von Flüe Amrhyn, Schweizer Bundeskanzler (* 1800)
7. April: Friedrich Wilhelm Rettberg, deutscher evangelischer Theologe, Philosoph und Kirchenhistoriker (* 1805)
13. April: Théophile Marion Dumersan, französischer Bühnenautor, Lyriker, Librettist und Numismatiker (* 1780)
15. April: Thomas Carr, US-amerikanischer Musikverleger, Komponist und Organist (* 1780)
18. April: Carlo Rossi, italienisch-russischer Architekt (* 1775)
27. April: William B. Cooper, US-amerikanischer Politiker (* 1771)
28. April: René Primevère Lesson, französischer Arzt und Naturforscher (* 1794)
Mai bis August
3. Mai: Max Schneckenburger, deutscher Autor (* 1819)
5. Mai: Ferdinand von Maltzan, deutscher Rittergutsbesitzer und mecklenburgischer Erblandmarschall von Wenden; hob 1816 als erster in Mecklenburg die Leibeigenschaft auf seinen Gütern auf (* 1778)
7. Mai: Gutle Rothschild, Ehefrau des Bankiers Mayer Amschel Rothschild (* 1753)
9. Mai: Wilhelm Adolph Haußner, Arzt und Stadtverordneter in Pirna (* 1819)
10. Mai: Katsushika Hokusai, japanischer Vertreter des Ukiyo-e (* 1760)
11. Mai: Otto Nicolai, deutscher Komponist (* 1810)
11. Mai: Stephan Ludwig Roth, siebenbürgisch-sächsischer Schriftsteller, Schulreformer und Politiker (* 1796)
12. Mai: Laurenz Lersch, deutscher Altphilologe (* 1811)
18. Mai: Samuel Amsler, Schweizer Kupferstecher (* 1791)
19. Mai: Theodor Heinsius, deutscher Sprachforscher und Lexikograf (* 1770)
20. Mai: Michael Traugott Pfeiffer, deutsch-schweizerischer Musikpädagoge (* 1771)
28. Mai: Anne Brontë, englische Schriftstellerin (* 1820)
1. Juni: Maria Elisabeth in Bayern, Fürstin von Wagram und Herzogin von Neuchâtel (* 1784)
10. Juni: Alois von Beckh-Widmanstätten, österreichischer Drucker (* 1754)
10. Juni: Thomas Robert Bugeaud, französischer General und Marschall von Frankreich (* 1784)
11. Juni: Wilhelm Caspar Joseph Höffgen, deutscher Orgelbauer (* 1773)
12. Juni: Angelica Catalani, italienische Opernsängerin (* 1780)
13. Juni: Colomba Antonietti, italienische Patriotin (* 1826)
15. Juni: James K. Polk, US-amerikanischer Präsident (* 1795)
24. Juni: Wilhelm Ludwig Viktor Henckel von Donnersmarck, preußischer General (* 1775)
26. Juni: Joseph Anton Dreher, deutscher Orgelbauer (* 1794)
26. Juni: Johann Georg Florschütz, deutscher evangelischer Geistlicher (* 1779)
28. Juni: Maximilien Joseph Moll, deutscher Uhrmacher und Revolutionär, gefallen bei Rothenfels an der Murg (* 1813 in Köln)
2. Juli: Áron Gábor, Artillerieoffizier in der ungarischen Revolution von 1848/1849 (* 1814)
17. Juli: Alojz Ipavec, slowenischer Komponist (* 1815)
18. Juli: Jonathan Bätz, niederländischer Orgelbauer (* 1787)
27. Juli: Charlotte Elisabeth Sophie Louise Wilhelmine von Ahlefeld, deutsche Schriftstellerin (* 1781)
28. Juli: Karl Albert I., König von Sardinien-Piemont und Herzog von Savoyen (* 1798)
28. Juli: Gabriel Jean Joseph Molitor, französischer General, Marschall von Frankreich (* 1770)
31. Juli: Johann Maximilian Dortu, deutscher Revolutionär (* 1826)
31. Juli: Sándor Petőfi, ungarischer Nationaldichter (* 1823)
2. August: Muhammad Ali Pascha, Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten (* um 1770)
7. August: Ernst Elsenhans, Stuttgarter Journalist und Revolutionär (* 1815)
9. August: Friedrich Neff, badischer Jurist, Philosoph und Revolutionär (* 1821)
11. August: Gustav Nikolaus Tiedemann, Badischer Leutnant und Revolutionär (* 1808)
11. August: Konrad Heilig, Badischer Unteroffizier und Revolutionär (* 1817)
12. August: Albert Gallatin, US-amerikanischer Politiker und Diplomat (* 1761)
14. August: Wilhelm Adolph von Trützschler, Thüringer Jurist, Teilnehmer der Revolution in Baden (* 1818)
21. August: Gebhard Kromer, badischer Soldat und Revolutionär (* 1821)
22. August: Joseph von Thoma, deutscher Forstbeamter (* 1767)
26. August: Marianna Clara Auernhammer, österreichische Sängerin, Pianistin und Komponistin (* 1786)
26. August: Jacques Féréol Mazas, französischer Violinist und Violinpädagoge (* 1782)
26. August: Karl Gottfried Nadler, deutscher Jurist und Pfälzer Mundartdichter (* 1809)
September bis Dezember
1. September: Pawel Wassiljewitsch Tschitschagow, russischer Admiral (* 1767)
3. September: Ernst von Feuchtersleben, österreichischer Popularphilosoph, Arzt, Lyriker und Essayist (* 1806)
4. September: Karl Ferdinand Becker, deutscher Arzt, Naturwissenschaftler, Pädagoge und Sprachforscher (* 1775)
7. September: Mariano Paredes y Arrillaga, mexikanischer Militär und interimistischer Präsident von Mexiko (* 1797)
7. September: Johann Karl Heinrich von Zobel, deutscher lutherischer Theologe und Ehrenbürger von Borna (* 1773)
13. September: Jean-Louis Duby, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer (* 1764)
25. September: Johann Strauss, österreichischer Komponist (* 1804)
30. September: Silas H. Jennison, US-amerikanischer Politiker (* 1791)
7. Oktober: Edgar Allan Poe, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1809)
9. Oktober: William Townsend Aiton, englischer botanischer Gärtner (* 1766)
11. Oktober: Valentin Streuber, badischer Revolutionär (* 1798)
13. Oktober: Pietro Anderloni, italienischer Kupferstecher (* 1784)
17. Oktober: Frédéric Chopin, polnischer Komponist (* 1810)
18. Oktober: Christian Märklin, evangelischer Theologe (* 1807)
22. Oktober: Gottlob König, deutscher Forstwissenschaftler (* 1779)
24. Oktober: José da Gama Carneiro e Sousa, portugiesischer Militär und Politiker (* 1788)
1. November: Peter Alois Gratz, katholischer Bibelwissenschaftler (* 1769)
3. November: Karl Albert von Kamptz, Jurist und preußischer Staats- und Justizminister (* 1769)
4. November: George Anson, britischer Politiker (* 1769)
7. November: Christian von Rother, preußischer Politiker (* 1778)
12. November: Johann Georg Gröber, österreichischer Orgelbauer (* 1775)
13. November: William Etty, britischer Maler der Romantik (* 1787)
14. November: Carl Adams, deutscher Mathematiker und Lehrer (* 1811)
21. November: François-Marius Granet, französischer Maler (* 1775)
25. November: Juan Arolas, spanischer Dichter (* 1805)
26. November: Julius Eduard Hitzig, deutscher Schriftsteller und Kammergerichtsrat (* 1780)
26. November: Lodovico Pavoni, Seliger, italienischer Priester und Ordensgründer (* 1827)
2. Dezember: Adelheid von Sachsen-Meiningen, englische Königsgemahlin und Namensgeberin für die Stadt Adelaide (* 1792)
2. Dezember: Isaak Löw Hofmann, österreichischer Kaufmann (* 1759)
8. Dezember: Bernhard Dräsecke, evangelischer Theologe, Generalsuperintendent und Bischof (* 1774)
13. Dezember: Johann Centurius von Hoffmannsegg, deutscher Botaniker, Entomologe und Ornithologe (* 1766)
14. Dezember: Conradin Kreutzer, deutscher Komponist (* 1780)
21. Dezember: Johann Gottlieb Freiherr von Süßkind, Bankier und Großgrundbesitzer, reichster Mann Schwabens seit dem Dreißigjährigen Krieg (* 1767)
25. Dezember: Ernst Konstantin, paragierter Landgraf von Hessen-Philippsthal (* 1771)
27. Dezember: Jacques-Laurent Agasse, Schweizer Tier- und Landschaftsmaler (* 1767)
29. Dezember: Dionisio Aguado, spanischer Gitarrist und Komponist (* 1784)
31. Dezember: Carl Borromäus Egger, deutscher römisch-katholischer Geistlicher und Politiker (* 1772)
Genaues Todesdatum unbekannt
Emil Reiniger, deutscher Arzt, Dichter und Mitgründer der ersten Volksbücherei Deutschlands (* 1792)
Weblinks
Digitalisierte Zeitungen des Jahres 1849 im Zeitungsinformationssystem (ZEFYS) der Staatsbibliothek zu Berlin.
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Q7650
| 646.540052 |
302989
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https://de.wikipedia.org/wiki/Blutung
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Blutung
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Eine Blutung, auch Hämorrhagie (, von , latinisiert: haemorrhagia), ist das Austreten von Blut aus einem beliebigen Bereich der Blutbahn bzw. des Blutkreislaufs. Blutungen sind aus allen Gefäßen des Körperkreislaufs oder des Lungenkreislaufs möglich.
Blutungen können nach außen aus dem Körper austreten (äußere Blutung) oder nach innen in den Körper einbluten (innere Blutung). In Folge einer Blutung kann sich ein Hämatom (Bluterguss) bilden.
Wenn der Blutverlust groß ist (Hypovolämie), kann er sehr schnell zum Schock und schließlich zum Tod führen (Verbluten). Dies kann auch bei Blutungen allein aus den Kapillaren, wie bei Hämorrhagischem Fieber (z. B. Marburg-Fieber oder Ebolafieber), der Fall sein.
Erhöhte Blutungsneigungen werden als hämorrhagische Diathese bezeichnet. Nach der Größe unterscheidet man punktförmige (Petechien), fleckenartige (Ekchymosen), münzgroße (Sugillationen) und großflächige Blutungen (Suffusionen).
Ursachen
Neben verletzungsbedingten (traumatischen) Blutungsursachen gibt es vor allem folgende nichttraumatische Blutungsursachen:
Gastrointestinale Blutungen im Verdauungstrakt
(spontane) Gefäßrupturen, etwa bei einem Aneurysma
Gynäkologische Blutungen, etwa bei einer Extrauteringravidität
Varizenblutungen aus Krampfadern
Nasophyarngeale Blutungen wie bei Nasenbluten, durch Nasopharynxkarzinom oder durch Juveniles Nasenrachenfibrom
Blutgefäßarrosionen (bei Tumoren oder durch chronische Entzündungen)
Maßnahmen zur Blutstillung
Blutende Wunden sind zunächst mit einer Wundauflage abzudecken. Eventuelle Fremdkörper in der Wunde sollten abgepolstert, ihre Entfernung Fachpersonal überlassen werden. Bei starken Blutungen, die insbesondere bei Verletzung einer größeren Arterie (Schlagader) oder einer größeren Vene (Blutader) auftreten, kann es darüber hinaus nötig sein, einen Druckverband anzulegen.
Sollte dadurch eine Blutung nicht zum Stillstand kommen, kann es notwendig sein, Arterien proximal der Blutung zu komprimieren. Das Abbinden wird eingesetzt, wenn durch Druck keine adäquate Blutstillung erreicht werden kann.
Bagatellblutungen können unter Umständen unversorgt bleiben. Da die Blutung einen wundreinigenden Effekt hat, verringert sich die Gefährdung durch Wundinfektionen. Auf gar keinen Fall sollten Wunden ausgewaschen werden.
Tod durch Verbluten
Bei einer Ruptur der Aorta und dem damit verbundenen schnellen Zusammenbruch des Blutkreislaufs tritt der Tod innerhalb von wenigen Sekunden ein. Bei einem langsamen Blutverlust kann es einige Stunden dauern, bis der Verletzte alle Stadien des hämorrhagischen Schocks durchlebt hat:
Bei dem Volumen eines gesunden, erwachsenen Menschen von fünf bis sechs Litern Blut ist das Fehlen von bis zu 0,75 Litern Blut meist unkritisch. Eine Blutspende entspricht etwa 0,5 Litern. Der Verlust von 1,5 Litern führt zu Durst- und Schwächegefühl, die Atmung beschleunigt sich, der Betroffene verspürt Angst. Ab zwei Litern Blutverlust fühlt man sich verwirrt, schwindelig und verliert schließlich das Bewusstsein. Durch die massive Reduzierung des Herzzeitvolumens erfolgt der Zusammenbruch des Blutkreislaufs. Die möglichen Blutverluste bei Knochenverletzungen sind für das Becken mit 5000 ml, den Oberschenkel mit 2000 ml, den Unterschenkel mit 1000 ml, den Oberarm mit 800 ml und den Unterarm mit 400 ml realistisch.
Siehe auch
Einblutung
Weblinks
Einzelnachweise
Krankheitsbild in der Notfallmedizin
Erste Hilfe
Blut
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Q166019
| 85.3626 |
686374
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https://de.wikipedia.org/wiki/Konfession
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Konfession
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Als Konfession ( ‚Geständnis‘, ‚Bekenntnis‘, ‚Beichte‘) wird im heutigen Sprachgebrauch eine Untergruppe innerhalb einer Religion (ursprünglich nur der christlichen) bezeichnet, die sich in Lehre, Organisation oder Praxis von anderen Untergruppen unterscheidet.
Der im Christentum entstandene Begriff bedeutete in der christlichen Theologie ursprünglich eine Zusammenfassung von Glaubenssätzen. Daher wird der Ausdruck Konfession für eine christliche Richtung verwendet, die sich durch ein gemeinsames Bekenntnis von anderen christlichen Richtungen unterscheidet; in weiterem Sinn umfasst der Begriff christliche Richtungen allgemein, also die unterschiedlichen christlichen Kirchen und Gruppierungen.
In der Bevölkerungsstatistik wird unter Konfession in der Regel die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft verstanden. Siehe dazu: Religionen in Deutschland.
Begriffsgeschichte
Konfession (von lateinisch confessio ‚Geständnis‘, ‚Bekenntnis‘, ‚Beichte‘) bezeichnete ursprünglich ein Bekenntnis im geistlichen oder strafrechtlichen Sinn. Im Mittelalter wurde damit auch die Beichte in der römisch-katholischen Kirche bezeichnet.
Im Zuge der Reformation bildete die Konfession das Glaubensbekenntnis einer protestantischen Partei (z. B. Augsburger Konfession, Heidelberger Katechismus). Dieses wurde gleichsam zur identitätsstiftenden Gründungsurkunde der jeweiligen Religionspartei.
Durch den inneren Zusammenhang von geistlicher Orientierung und politischer Kirchenhoheit () wandelte sich die Bedeutung vom speziellen Konfessionsbegriff als formuliertes Bekenntnis zur jeweils zugehörigen Kirche. Neben evangelischen Kirchen mit lutherischem und reformiertem Bekenntnisstand bildeten sich – teils nach Überwinden der theologischen Unterschiede, teils durch ökonomische oder politische Zwänge bedingt – nach der Aufklärung unierte Kirchen, die sich entweder sowohl auf die lutherischen als auch auf die reformierten Bekenntnistexte gründen oder diese Unterschiede überwinden wollten. In der Praxis spielen die Unterschiede heute innerhalb der evangelischen Konfessionen keine große Rolle mehr. In Deutschland wechseln Angehörige einer evangelischen Landeskirche ihre Konfession schon alleine durch den Umzug in den Bereich einer Landeskirche anderer Konfession.
Die orthodoxe und die römisch-katholische Kirche verstehen sich selbst nicht in diesem Sinn als Konfession, da sie sich nicht durch die Vereinbarung einer gemeinsamen Bekenntnisformulierung konstituiert haben. Sie werden jedoch seit dem Konzil von Trient gewöhnlich unter dem Begriff mit eingeschlossen.
Die Bezeichnung erfuhr eine Bedeutungserweiterung, als im 19. Jahrhundert zahlreiche Gruppen in den deutschsprachigen Raum eindrangen, die sich nach angelsächsischem Sprachgebrauch nicht durch ihr spezifisches Bekenntnis, sondern durch ihre spezifische Bezeichnung () unterschieden. Das englische Wort Denomination fand jedoch kaum Eingang in den deutschen Sprachgebrauch, stattdessen nannte man alsbald alle etablierten unterschiedlichen christlichen Strömungen Konfessionen, sofern sie nicht als Sekte marginalisiert wurden.
Christliche Konfessionen
Eine Konfession im Christentum ist eine Kirche oder ein Verband von Kirchen oder Kirchengemeinden, die sich in ihren Lehren von anderen Konfessionen abgrenzt. Die drei Hauptkonfessionen sind die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche, zu den orthodoxen Kirchen oder den evangelischen Kirchen. Daneben existieren u. a. auch die Orientalisch-orthodoxen Kirchen, hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Ostkirchen, welche sich nach dem Konzil von Ephesos (431) oder nach dem Konzil von Chalcedon (451) von der römischen Reichskirche trennten (z. B. Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien).
Der Protestantismus wiederum hatte sich bereits in der Reformationszeit zunächst in eine lutherische, eine reformierte und eine täuferische Konfession geteilt; im Laufe der Jahrhunderte kamen u. a. die Baptisten, die Methodisten und die Anglikaner hinzu, die heute ebenfalls zu den evangelischen Konfessionen gezählt werden.
Von Konfessionen zu unterscheiden sind sogenannte Bewegungen, wie z. B. der Pietismus, die Pfingstbewegung und die Charismatische Bewegung sowie der Evangelikalismus (wobei dieser in weiten Teilen auch als – freilich inoffizielle – „Dachbewegung“ der beiden Erstgenannten gelten kann). Solche Bewegungen sind in der Regel, zumindest formal, konfessionsübergreifend oder haben keine diesbezüglichen Grenzen definiert. Dies trifft grundsätzlich auch auf die vier exemplarisch aufgeführten Bewegungen zu, in der Praxis bewegen diese sich aber entweder ganz (Pietismus) oder ganz überwiegend (Pfingstler und Charismatiker, Evangelikale) auf dem Boden des protestantischen Bekenntnisses.
Konfessionen wie Bewegungen üben normalerweise prägenden Einfluss sowohl auf die Theologie als auch auf die Praxis (z. B. Liturgie) ihrer jeweiligen Gemeinden aus. Trotzdem dient zumindest der Terminus „Konfession“ auch zur Beschreibung von kongregationalistischen Gruppen, in denen anstelle einer übergeordneten Kirche in erster Linie die einzelnen Gemeinden selbst das eigentliche Glaubensbekenntnis definieren, so u. a. bei den Mennoniten, Baptisten und Pfingstlern.
Die Anwendung des Terminus „Konfession“ auf eine bestimmte Gruppe von Gläubigen setzt nicht notwendigerweise die Anerkennung einer Gleichwertigkeit aller Konfessionen voraus. Bestimmte Glaubensgemeinschaften, wie z. B. die römisch-katholische oder die orthodoxe Kirche, verwenden den Terminus nicht für sich selbst.
Konfessionsbildung
Die Bildung von Konfessionen kann sich schrittweise über ausgedehnte Zeiträume und aus einem Zusammenspiel verschiedener theologischer, kultureller und politischer Faktoren entwickeln wie beispielsweise beim morgenländischen Schisma.
Des Weiteren kann eine Konfession innerhalb wesentlich kürzerer Zeit durch eine geistliche oder theologische Erneuerung oder durch eine Erweckung in einer bestehenden Kirche entstehen und sich dann zu einer eigenen Gruppe entwickeln, beispielsweise die Lutheraner aus der römisch-katholischen Kirche oder der Methodismus aus der Church of England. Ebenso kann eine neue Konfession durch Abspaltung von einer bestehenden Gruppe entstehen, oft aufgrund der Einführung von Neuerungen, die von einer Minderheit der bestehenden Gruppe nicht mitgetragen werden, worauf sich diese Minderheit selbständig macht, beispielsweise die Altkatholiken.
In einigen Fällen haben sich neue Konfessionen durch die Vereinigung von bestehenden Konfessionen gebildet, beispielsweise die United Church of Canada aus der lutherischen, presbyterischen und methodistischen Kirche.
Einige wenige Konfessionen berufen sich bezüglich ihrer Entstehung auf spezifische neue Offenbarungen, beispielsweise der Mormonismus.
Überkonfessionell
Laut Wörterbuch heißt überkonfessionell „die Konfessionen übergreifend, nicht von ihnen abhängend“. Ein Überkonfessioneller ist nach seinem Selbstverständnis Christ und sieht sich als Teil der Gemeinschaft der Christen, ohne an eine Konfession gebunden zu sein. Es gibt auch überkonfessionelle Glaubensgemeinschaften und Vereine, welche ebenfalls von einer Konfession unabhängig sind und fast ausschließlich die Bibel als Lehre nehmen (jedoch sind diese Gemeinschaften fast durchweg im weiteren evangelischen Bereich anzusiedeln und weniger im katholischen oder orthodoxen; da sie meist das reformatorische Prinzip sola scriptura vertreten). Vor allem im englischsprachigen Raum spielen die „Non-Denominational Churches“ ( ‚nicht konfessionsgebunden‘; nicht zu verwechseln mit engl. ‚un-konfessionell‘, also konfessionslos) seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Rolle. „Überkonfessionell“ ist daher auf keinen Fall mit den beiden Begriffen konfessionslos oder ökumenisch gleichzusetzen. Ökumenische Werke können allerdings in verschiedenen Bereichen überkonfessionell arbeiten.
Bekannte Beispiele überkonfessioneller Gemeinschaften und Werke in Deutschland sind etwa die Herrnhuter Brüdergemeine, der Gideonbund, die Heilsarmee, die ICF Church, die Jesus Freaks und die Calvary Chapels.
Aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt der Begriff gottgläubig. Als „gottgläubig“ galt, wer sich von den anerkannten Religionsgemeinschaften abgewandt hatte, jedoch nicht glaubenslos war.
Nichtchristliche Konfessionen
Mittlerweile wird gelegentlich die Bezeichnung Konfession auch auf andere Religionen als das Christentum angewendet. Christliche Theologen vertreten jedoch die Auffassung, dass der Begriff Konfession sachgemäß nicht auf Gruppierungen innerhalb nichtchristlicher Religionen angewendet werden könne. Diese werden beispielsweise als Richtungen, Schulen, Strömungen oder Traditionen bezeichnet. Im Englischen wird meist das Wort Denomination gebraucht, das ansatzweise auch im Deutschen Verwendung findet.
Siehe auch
Liste christlicher Konfessionen
Literatur
Heinz Duchhardt, Gerhard May (Hrsg.): Union – Konversion – Toleranz: Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert. von Zabern, Mainz 2000, ISBN 3-8053-2638-6, S. 365.
Edwin Habel: Mittellateinisches Glossar (= Uni-Taschenbücher. Band 1551). (2. Auflage 1959) Mit einer Einführung von Heinz-Dieter Heimann hrsg. von Friedrich Göbel, Paderborn 1989, S. 77.
Einzelnachweise
Bekenntnis
Religionssoziologie
da:Kirke (trosretning)
hy:Կրոնադավանություն
lv:Konfesija
nl:Kerkgenootschap
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Q13414953
| 457.084396 |
143909
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https://de.wikipedia.org/wiki/Malawisee
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Malawisee
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Der Malawisee oder Njassasee (nach Nyasa in Tansania, Niassa in Mosambik; von Yao nyasa „See“) in Ostafrika ist der neuntgrößte See der Erde. Sein Abfluss ist der Shire am südlichen Ende. Die Anrainerstaaten des Sees sind Tansania, Malawi und Mosambik, wobei Malawi die längste Uferlinie hat und fast das komplette Westufer umfasst.
Beschreibung
Der Malawisee ist einer der Afrikanischen Großen Seen im Großen Afrikanischen Grabenbruch. Mit einer Länge von 560 Kilometern, einer Breite bis zu 80 Kilometern (durchschnittlich 50 Kilometern) und einer Tiefe von bis zu 704 Metern ist er der drittgrößte See Afrikas und wird dort hinsichtlich seiner Fläche nur vom Tanganjikasee und vom Viktoriasee übertroffen. Da der See seit mehr als einer Million Jahren existiert, gehört er zu den Langzeitseen der Erde. Er ist bekannt für seine Vielzahl an Fischarten.
Geographie
Nach Norden hin werden die Ufer steiler. Ganz im Norden ragen auf tansanischer Seite die Livingstone-Berge mit Steilwänden bis zu fast 2500 Metern Höhe direkt aus dem See. Hier können sehr starke Winde mit hohem Wellengang und tückische Fallwinde auftreten. Wer hier segelt oder windsurft, muss diese Gefahren beachten. Die gegenüberliegende malawische Seeseite zwischen Karonga und Chilumba ist weit weniger schroff als die zwischen Chilumba und Nkhata Bay.
Hydrologie
Er hat ein Einzugsgebiet von 126.500 km². Über den Malawisee entwässern kleinere Teile Tansanias (26.600 km²) und Mosambiks (12.370 km²). Den größten Teil seines Einzugsgebietes stellt allerdings der gesamte Norden Malawis mit 87.530 km². Im Westen sind die Einzugsgebietsgrenzen praktisch identisch mit den malawischen Landesgrenzen.
Der Malawisee entwässert über den Shire nach Süden in den Sambesi.
Ökologie
Das Wasser des Sees ist sehr klar. Am Seeufer lässt sich bis auf den Grund schauen. Unzählige Seeadler leben am Malawisee. Zu achten ist vor allem auf Flusspferde, die zu Wasser wie zu Lande sehr beweglich und schnell sind. Sie sind zwar Pflanzenfresser, greifen Menschen aber an, wenn sie ihnen den Fluchtweg ins offene Wasser abschneiden. Sie versuchen ihre Opfer unter Wasser zu ziehen und zu ertränken. Es kommen jedes Jahr mehr Menschen durch Nilpferde zu Tode als durch Krokodile, die im fischreichen See genug Nahrung finden. Wer zu kleineren, unbewohnten Inseln fährt, sollte auf Wildtiere gefasst sein, darunter Seepythons und große Warane. An bewohnten Stellen ist der See vergleichsweise ungefährlich.
Bedrohter See des Jahres 2022
Der Global Nature Fund ernannte den See zum Bedrohten See des Jahres 2022. Das Bevölkerungswachstum in den angrenzenden Ländern führt zur Überfischung und zu zunehmender Verschmutzung, der Klimawandel zum stetigen Absinken des Wasserstandes (siehe auch unter Weblinks).
Fauna
Der Malawisee ist für seinen Artenreichtum an maulbrütenden Buntbarschen bekannt. Insgesamt leben fast 450 Fischarten in dem See, die meisten sind Buntbarsche. Fast alle Buntbarschgattungen und -arten sind endemisch. Zu den endemischen Buntbarschgattungen gehören Aulonocara, Labeotropheus, Labidochromis, Maylandia, Melanochromis, Pseudotropheus und Sciaenochromis. Sie bilden einen Artenschwarm, der aus einem Haplochromis oder Pseudocrenilabrus-artigen Vorfahren hervorgegangen ist. Die ökologisch an die felsigen Küsten des Sees gebundenen Buntbarscharten werden von den Bewohnern des Seeufers Mbuna genannt, die übrigen Utaka. Neben den Buntbarschen kommen im Malawisee Nilhechte, verschiedene Welsarten, Karpfenfische, Salmler, ein Stachelaal (Mastacembelus shiranus) und drei Arten von Zahnkärpflingen vor.
Viele Buntbarsche sind beliebte Aquarienfische. Für die menschliche Ernährung von Bedeutung sind der „Chambo“, eigentlich vier Buntbarscharten der Gattung Oreochromis, und der Kampango, eine Welsart (Bagrus meridionalis), die auch exportiert wurden. Allerdings wird nur der südlichste Teil des Malawisees wirtschaftlich nach ihnen befischt. Auch Fischer in Pirogen angeln nach ihnen, nicht jedoch in markttauglichen Mengen. Zum Schutz der Brutstätten der Fische wurde 1980 am Südufer des Sees bei Monkey Bay der Malawisee-Nationalpark eingerichtet, der seit 1984 auch auf der Liste des UNESCO-Weltnaturerbes steht.
Das ZDF berichtete 2018, dass als Folge der Überfischung „seit einigen Jahren“ die Bestände des „Chambo“ im Malawisee so stark zurückgegangen sind, dass fast keine ausgewachsenen Exemplare mehr gefischt werden können und die hungernde Bevölkerung auf kleinere Fische ausweicht.
Tourismus
Auf dem Malawisee findet Passagier- und Frachtverkehr mit der MS Ilala statt. Die Häfen sind von Süden nach Norden: Monkey Bay, Chipoka, Makanjila, Nkhotakota, Nkhata Bay, Mphandi Port, Ruarwe, Charo, Mlowe, Chilumba, Kambwe bei Karonga. Die Hin- und Rückfahrt Monkey Bay–Karonga dauert fünf Tage. Von Nkhata Bay werden zweimal wöchentlich die Inseln Chizumulu und Likoma angelaufen.
Der Fährverkehr zwischen Mbamba Bay und Nkhata Bay ist derzeit (2016) aufgrund von Streitigkeiten zwischen Malawi und Tansania um Nutzungsrechte am See eingestellt, doch fahren gelegentlich kleine, private Boote die neben Waren auch eine geringe Anzahl von Personen befördern.
Der Distrikt Mangochi bietet mit zahlreichen Hotels, Lodges und Camps für Touristen die beste Infrastruktur. Weiter nördlich befindet sich der Badeort Senga mit ähnlich gutem, doch weit weniger umfassendem Angebot. Bei Rucksacktouristen haben sich Nkhata Bay und Cape MacLear als Ziele etabliert.
Der Malawisee ist nur teilweise frei von Bilharziose. Als Grund für das im Vergleich zu anderen afrikanischen Seen geringere Vorkommen von Schistosoma-Larven im Wasser wird ein hoher Magnesiumgehalt des Wassers vermutet, aber auch, weil Buntbarsche Schnecken, also das Wirtstier des Schistosomiasis-Erregers, fressen. Es handelt sich um Spekulationen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kommen Schistosoma allgemein in seichtem Wasser und an Flussmündungen zahlreicher vor als an Sandstränden, in bewegtem und in tiefem Wasser. Für den Malawisee wurden bei Wasseruntersuchungen regional, abhängig von der Ufervegetation, Wassertiefe und anderen Faktoren unterschiedliche Konzentrationen des Erregers festgestellt. Jährlich werden zahlreiche Einheimische und Touristen von Schistosoma infiziert, wobei das höchste Risiko einer Erkrankung um Cape MacLear besteht. Vor 1985 waren die offenen Teile des Sees frei von Schistosomiasis-Erregern, seitdem hat deren Vorkommen, vor allem im Süden, stark zugenommen. Möglicherweise ist die Überfischung der Buntbarsche eine Ursache.
Geschichte
Die älteste Spur menschlicher Besiedlung am Malawisee findet sich in Karonga, wo das älteste zur Gattung Homo gestellte Fossil gefunden wurde, das bisher von Paläoanthropologen entdeckt werden konnte. Der mehr als zwei Millionen Jahre alte, bezahnte Unterkiefer erhielt die Sammlungsnummer UR 501 und wurde von seinem Entdecker, Friedemann Schrenk, als Homo rudolfensis eingeordnet.
Nkhotakota ist einer der ältesten Marktplätze Afrikas südlich der Sahara. Seine Geschichte ist wenig erforscht.
Die Geschichte der europäischen kolonialen Eroberung am Malawisee begann mit dem englischen Forschungsreisenden David Livingstone, der zwischen 1858 und 1863 auf vier Reisen mit weiteren Begleitern die Region am und um den von ihm benannten Nyassasee erkundete und ihn auf diese Weise für die europäische Wahrnehmung „entdeckte“.
Während der britischen Protektoratszeit (1891–1953) wurde eine Eisenbahnlinie von Mtwara (heute in Tansania) am Indischen Ozean nach Mbamba Bay am tansanischen Ufer des Malawisee geplant, doch wurde der Plan nicht verwirklicht. Dieses Vorhaben wurde unter Präsident Hastings nach 1964 erneut diskutiert und als Anschlussstrecke zur Mtwara-Nachingwea Railway in Aussicht genommen, die auf dem Gebiet von Tansania bereits zeitweilig in Betrieb war. Heute gibt es noch immer Pläne, die Eisenbahnstrecke, die sogenannte Mtwara Development Corridor zu bauen, um Kohlevorkommen im Mchuchuma-Katewake-Gebiet zu erschließen sowie eine alternative Weltmeerverbindung für Malawi zu schaffen.
Nach dem Erlangen der Unabhängigkeit Malawis in 1964 entwickelte sich in der frühen Regierungszeit von Hastings Kamuzu Banda (seit 1966 Präsident) eine enge Zusammenarbeit mit Südafrika. Malawi war zu dieser Zeit der offenkundig einzige afrikanische Staat, der sich gegenüber dem Apartheidregime kooperationsbereit zeigte. Das war die Grundlage für die Gründung der Marine von Malawi mit südafrikanischer Unterstützung. Der Hafen in der südlich gelegenen Monkey Bay sollte ein erster Flottenstützpunkt werden. Eine kleine Gruppe malawischer Militärs war in den 1970er Jahren nach Südafrika zur Marineausbildung in Langebaan in der Saldanha Bay gekommen. Es war sogar geplant, ein ehemaliges Schulschiff von Südafrika auf dem Wasser- und Landweg hierher zu verlegen. Dieser Plan scheiterte 1975 nach erheblichen Vorbereitungen, weil das benachbarte Mosambik nach der Nelkenrevolution in Portugal unabhängig wurde und die neuen Verhältnisse einen solchen Transport unwahrscheinlich werden ließen. Die vorgesehene Crew kehrte nach Malawi zurück. Südafrika ließ später einen Attaché seiner Marine in Malawi akkreditieren. Monkey Bay entwickelte sich später zum Heimathafen der Malawi Defence Force – Marine Unit.
Grenzstreitigkeiten zwischen Malawi und Tansania
Es gibt Grenzstreitigkeiten zwischen Malawi und Tansania. Deren Ursprung liegt im Helgoland-Sansibar-Vertrag von 1890. Damals wurden die kolonialen Grenzen zwischen dem britischen Njassaland (heute Malawi) und Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) so festgelegt, dass der gesamte See zum britischen Kolonialgebiet gehört. Diese Grenzen wurden nach der Dekolonisation auch von den beiden ersten Staatspräsidenten Malawis und Tansanias anerkannt. Später jedoch beanspruchte Tansania die Gebiete, die nach aktuellem internationalem Recht auf seiner Hälfte des Sees liegen. Der Konflikt verschärfte sich, als 2012 auf tansanischer Seite Öl- und Gasvorkommen entdeckt wurden, die Malawi ökonomisch nutzen will.
Literatur
David H. Eccles: An outline of the physical limnology of Lake Malawi. In: Limnology and Oceanography. Band 19, Nr. 5, September 1974, S. 730–742 (psu.edu, PDF; 1,21 MB)
Weblinks
Bedrohter See des Jahres 2022: Malawisee, Global Nature Fund
Belege
SMalawisee
Gewässer in der Provinz Niassa
Gewässer in der Region Mbeya
Njombe (Region)
Ruvuma (Region)
Meromiktisches Gewässer
Gewässer in der Southern Region (Malawi)
Gewässer in der Northern Region (Malawi)
Gewässer in der Central Region (Malawi)
Bedrohter See des Jahres
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Q5532
| 93.624715 |
418904
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https://de.wikipedia.org/wiki/Postalveolar
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Postalveolar
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Als postalveolar oder palatoalveolar werden in der Phonologie diejenigen Konsonanten bezeichnet, deren Artikulationsort sich direkt hinter dem Zahnfach (Zahndamm, Alveole) befindet.
Postalveolare in der deutschen Sprache sind z. B. das sch in schön oder der Laut des zweiten g in Garage.
Literatur
John Clark; Collin Yallop; Janet Fletcher: An Introduction to Phonetics and Phonology. 3rd Edition. Blackwell Textbooks in Linguistics, Wiley-Blackwell, 2006
T. Alan Hall: Phonologie: Eine Einführung. De Gruyter Studienbuch, de Gruyter, Berlin / New York 2000, ISBN 3-11-015641-5
Peter Ladefoged; Ian Maddieson: The Sounds of the World’s Languages. Blackwell, Oxford 1996, ISBN 0-631-19814-8.
Weblinks
Phonetik und Phonologie. Kapitel 1–9, Universität Bremen
International Phonetic Association
Einzelnachweise
Artikulationsort
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Q49748
| 321.663812 |
1954
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https://de.wikipedia.org/wiki/Gartenbohne
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Gartenbohne
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Die Gartenbohne (Phaseolus vulgaris), auch Grüne Bohne, Schnittbohne oder österreichisch Fisole genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung Phaseolus in der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler (Faboideae). Sie ist in Deutschland fast immer mit dem Ausdruck „Bohne“ gemeint, der sich aber auch auf viele andere Nutzpflanzenarten beziehen kann. Je nach Wuchsform wird die Art auch als Buschbohne oder Stangenbohne bezeichnet.
Gartenbohnen gehören botanisch zu den Körnerleguminosen und nach landwirtschaftlichem Nutzen zu den Eiweißpflanzen. In den Tropen (vor allem in Mittel- und Südamerika) spielen Gartenbohnen aufgrund ihres hohen Proteingehaltes eine elementare Rolle für die Grundversorgung der Bevölkerung, da Maniok und Kochbananen nur einen geringen Eiweißgehalt aufweisen. Körnerleguminosen haben mit 23 % Roheiweißgehalt den zweithöchsten Proteinwert von Nahrungspflanzen nach den Sojabohnen. Gartenbohnen enthalten für den Menschen giftige Lektine (Phaseolin), die durch Kochen zerstört werden. Bohnen und Hülsen sind daher roh nur eingeschränkt genießbar.
Die Gartenbohne wurde durch den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. (VEN) zum Gemüse des Jahres 2004 gewählt.
Beschreibung
Vegetative Merkmale
Die Gartenbohne ist eine einjährige Pflanze. Die Blätter sind dreizählig, in ihren Achseln entspringen Seitentriebe. Von den zwei Varietäten wird die Stangenbohne zwei bis vier Meter hoch und windet sich als Linkswinder (von oben betrachtet gegen den Uhrzeigersinn) an Stützen nach oben. Die Buschbohne hat ein begrenztes Längenwachstum, windet nicht und wird nur 30 bis 60 cm hoch. Die Buschbohne beendet nach vier bis acht Internodien das Wachstum und bildet endständige Blütenstände.
Die Hauptwurzel ist schwach ausgeprägt. Von ihr zweigen viele Seitenwurzeln ab, die bis 30 cm lang werden. An den Seitenwurzeln sitzen die für die Leguminosen charakteristischen Wurzelknöllchen mit den stickstofffixierenden, symbiontischen Knöllchenbakterien der Art Rhizobium leguminosarum.
Gartenbohnen bilden unterschiedliche Wuchshabitus aus:
determinate: buschbildend, begrenztes Wachstum, Vegetationspunkt endet am Hauptspross
indeterminate: buschbildend, kurzer Hauptsproß, Terminalknospe des Hauptsproß bleibt vegetativ
unbegrenzt wachsend, schwach windend, langer Hauptspross
unbegrenzt wachsend, stark windend, abhängig von Standort und Tageslänge
Generative Merkmale
Die Blütezeit reicht von Juni bis September. Mehrere Blüten sind wechselständig in traubigen Blütenständen angeordnet. Die zwittrige Blüte ist zygomorph und fünfzählig mit doppelter Blütenhülle. Die Blütenkrone hat den typischen Aufbau einer Schmetterlingsblüte und ist 1 bis 2 Zentimeter lang.
Die Hülsenfrucht ist bei einer Länge von 5 bis 25 Zentimetern im Querschnitt flach oder rund und sehr variabel. Ihre Farbe kann grün, gelb, blau, violett-gestreift oder schwarz marmoriert sein. Die Samen sind unterschiedlich groß, ihre Farbe reicht von weiß, hellbraun bis dunkelbraun und weiß-rot gesprenkelt.
Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 22.
Ökologie
Die Wurzelknöllchen sind mit stickstoffbindenden Bakterien besiedelt.
Die Keimung verläuft epigäisch, die dicken Speicher-Keimblätter kommen aus dem Boden und entfalten sich, sterben aber, nach Auszehrung, recht schnell ab. Die Keimblätter dienen als Nährstoffspeicher. Sie entfalten sich über dem Boden, wobei sie ergrünen, man spricht von einer epigäischen Keimung. Der Keimspross ist relativ weit entwickelt, so dass sogar die ersten Laubblätter erkennbar sind.
Die Gartenbohne ist eine einjährige Kletterpflanze und ein Linkswinder. Die Schlafbewegungen der Laubblätter werden durch Schwankungen des Zellsaftes in den Blatt- und Fiedergelenken ermöglicht. Bei der Buschbohne beginnt die Schlafstellung, einem inneren Rhythmus folgend, um 6 Uhr abends. Morgens um 6 Uhr heben sich die Laubblätter wieder. Dies ist eine Anpassung an den äquatorialen, tropischen Kurztag ihrer Heimat. Die Abscheidung von Wassertröpfchen, Guttation genannt, erfolgt durch Drüsenhaare, sogenannte Hydathoden.
Die europäischen Sorten sind sämtlich tagneutral, die Zeit bis zur Blüte ist von der Wärmemenge abhängig.
Fremdbestäubung ist möglich, es herrscht jedoch Selbstbestäubung vor. In Mitteleuropa erfolgt die Bestäubung bereits vor Öffnung der Blüten. Die Blüten sind streng vormännliche „Pollen-Schmetterlingsblumen“ mit einer „Griffelbürsten-Klappeinrichtung“. Die Öffnung der Staubbeutel erfolgt schon in der Blütenknospe. Nur kräftige Hummeln können die Blüten öffnen. Auch Selbstbestäubung ist möglich.
Die Hülsenfrüchte bleiben bei den Kulturformen gewöhnlich geschlossen. Die Wildform ist ein Austrocknungsstreuer.
Das Tausendkorngewicht beträgt je nach Sorte zwischen 250 und 530 g. Die Samen sind stärkehaltig.
Giftigkeit
Rohe Bohnen sind giftig. Ähnlich wirken auch Grüne Bohnen. Hauptwirkstoff ist das zu den Lektinen gehörende Toxalbumin Phasin. Phasin lässt Erythrocyten agglutinieren und regt die Mitose von Lymphocyten an.
Phasin ruft Erbrechen, Durchfall und Absorptionsstörungen im Darm hervor. Es kann zu schweren, eventuell tödlichen hämorrhagischen Gasteroenteritiden führen, weiter zu tonischen Krämpfen, Schock, Hypokaliämie und als Folge davon zu Veränderungen im Elektrokardiogramm.
Phasin wird durch Kochen zerstört, ausreichend gekochte Bohnen sind unbedenklich.
Grüne Bohnen erzeugen bei Menschen, die dazu disponiert sind, eine Dermatitis, die als „Bohnenkrätze“ in Konservenfabriken bekannt ist.
Kulturgeschichte
Die Gartenbohne ist nur in Kultur bekannt. Ihre wilde Stammform dürfte die in Südamerika heimische Phaseolus aborigineus sein. Die ältesten Funde der Gartenbohne stammen aus der Guitarrero-Höhle in Peru von etwa 6000 v. Chr. und aus Pichasca in Chile von etwa 2700 v. Chr. Die nächsten Funde stammen dann erst wieder aus der Zeit von 300 v. Chr. bis etwa Christi Geburt, der Zeit der mittelamerikanischen Hochkulturen. Die Funde sind sowohl Samen als auch Hülsen. Generell sind die Samen kleiner als die heutiger Sorten, aber wesentlich variabler in Form, Farbe und Muster.
In präkolumbischer Zeit verbreitete sich der Gartenbohnen-Anbau in den Amerikas sehr weit. Die Gartenbohne war neben Kürbis und Mais die wichtigste Nahrungspflanze (Milpa). Im Norden reichte der Anbau bis zum Sankt-Lorenz-Strom, von wo Jacques Cartier den Anbau beschrieb. Aus Florida beschrieb de Soto die Gartenbohne 1539, Lescarbot 1608 aus Maine. Alle frühen europäischen Autoren betonen auch die große Bedeutung der Bohnen für die Ernährung der Indianer. Bei den Inka war die Gartenbohne nach frühen spanischen Berichten (Inca Garcilaso de la Vega) die Nahrung der unteren Bevölkerungsschichten, während die Oberschicht die Mondbohne (Phaseolus lunatus) bevorzugte.
Während die nord- und mittelamerikanischen Wildsippen ebenfalls zu Phaseolus vulgaris gestellt werden, werden die wilden Verwandten in Südamerika zu Phaseolus aborigineus gestellt. Die nord- und mittelamerikanischen Wildsippen werden als eingeschleppt interpretiert.
Nach Europa gelangte die Gartenbohne im 16. Jahrhundert. Die älteste Abbildung aus Deutschland stammt aus dem Kräuterbuch von Leonhart Fuchs 1543, der sie als „Welsch Bonen“ bezeichnet. Weitere frühe Erwähnungen stammen von Georg Oelinger (1553) und Kaspar Bauhin. In Europa verdrängte sie die bis dahin angebauten Bohnen, die Ackerbohne und die Kuhbohne. Die lateinische und auch noch mittelalterliche Bezeichnung für die Kuhbohne (fasiolum, faseolum, phaseolum) ging nun auf die neue, vorherrschende Gartenbohne über.
Zucht
Genetische Vielfalt und Zuchtziele
Infolge der Domestikation der Bohne vor 7000 oder 8000 Jahren hauptsächlich im Hochland von Mexiko ist sie heute weltweit eine bedeutende Nutzpflanze für eine Reihe von Klimazonen und unterschiedlichen Landnutzungssystemen. Im Laufe der ersten Domestikationsphase und der folgenden Evolution (Inkulturnahme, Selektion, Migration und genetischer Drift) veränderten sich die morphologischen, physiologischen und genetischen Eigenschaften der heutigen Bohnensorten. Als Anpassung auf die unterschiedlichsten geographischen Lagen und Klimazonen bildete sich eine große genetische Variabilität an Stämmen von Rhizobium phaseoli und die unterschiedlichsten Krankheiten und Schädlinge aus.
Bohnen liefern durch die Hybridisierung der einzelnen Genotypen eine noch höhere genetische Variabilität, was die pflanzenphysiologische Grundlagenforschung und Züchtungsarbeit sehr erleichtert.
Bei Bohnen unterscheidet man nach ihrer genetischen Herkunft den andinen (andines Hochland von Peru und Bolivien) und den mesoamerikanischen (Mexiko und Mittelamerika) Genpool. In beiden Genzentren wurden unterschiedliche Bohnengenotypen für die lokalen Boden- und Klimaverhältnisse entwickelt.
Die Wildform von P. vulgaris wurde erstmals entlang dem Andenbogen von Argentinien bis Kolumbien domestiziert. Bohnen sind neben den Kürbissen die ältesten angebauten Nutzpflanzen Amerikas und gehören noch heute zu den wichtigsten Pflanzenkulturen der kleinbäuerlichen Subsistenzlandwirtschaft in Lateinamerika und Afrika.
In der Saatgutbank des CIAT (IBN – International Bean Germplasm Nursery) werden über 10.000 unterschiedliche Bohnenherkünfte mit den unterschiedlichsten Resistenzgenen konserviert, davon sind allein 2.000 Genotypen aus Ruanda, Burundi, Honduras und Chile.
Zu den Hauptzielen in der Pflanzenzüchtung gehört die qualitative Verbesserung von Inhaltsstoffen (z. B. Aminosäuremuster), der ökophysiologischen Anpassung und Ertragsstabilität für suboptimale Standorte (z. B. abiotischer Stress wie Trockentoleranz, Bodenazidität etc.) und Resistenzzüchtung gegen Krankheiten und Schädlinge. Genetische Untersuchungen verschiedener Bohnenlinien haben ergeben, dass insbesondere für die qualitative Verbesserung noch ein großes züchterisches Potential vorhanden ist.
Exportpflanzen und Marktfrüchte (Cash Crops) wie Getreide und Sojabohnen als Ölsaat liefern immer noch den höchsten Anteil der pflanzlichen Roheiweißproduktion und wurden traditionell züchterisch intensiver bearbeitet als Eiweißpflanzen wie die Körnerleguminosen. Auch blieb das Anbaugebiet der Bohnen von 1972 bis 1981 noch weitgehend konstant.
Sorten
Es gibt Tausende von Sorten. Für den Anbau unterteilt man nach der Nutzung in:
Filetbohnen, Sorten mit fleischiger Hülse, die vorwiegend als Grüne Bohnen mit noch grüner Hülse geerntet und genutzt werden,
Kernbohnen oder Trockenkochbohnen, bei denen die Nutzung der Samen (genannt Bohnenkerne) im Vordergrund steht und
Zwiebohnen, Sorten, die je nach Erntezeitpunkt sowohl zur Gewinnung grüner Hülsen als auch zur Ernte von Bohnenkernen nutzbar sind.
Wachsbohnen sind Filetbohnen mit gelben Hülsen, Perlbohnen sind meist kleinsamige Bohnen, bei denen die rundlichen Samen in der Hülse hervortreten und wie eine Perlenkette aufgereiht aussehen. Prinzessbohnen sind besonders jung geerntete und daher feinere Filetbohnen.
Außerhalb der Saison werden aus verschiedenen afrikanischen Ländern teils mit Luftfracht importierte Filetbohnen als Keniabohnen vermarktet.
In Deutschland verbreitete Sorten sind bei Filetbohnen: Neckarkönigin, Saxa, Delinel, Blauhilde; bei Wachsbohnen: Beste von allen, Neckargold; als Zwiebohne: Feuerzunge.
Kidney-Bohne ist ursprünglich nur ein anderer Name für die Gartenbohne, bezeichnet heute aber auch bestimmte rotsamige Sorten. Der Ausdruck Kidney-Bean (zu deutsch: „Nieren-Bohne“) wurde im 19. Jahrhundert im englischen Sprachraum noch für alle Vertreter der Gattung Phaseolus gebraucht, in Abgrenzung zu den heute als Ackerbohne bezeichneten Bohnen. Ausschlaggebend war die ausgeprägte Nierenform der Samen.
Zwar ist die Bezeichnung im englischen Sprachraum auch heute noch für die Gartenbohne als Art in Gebrauch, wird aber umgangssprachlich vor allem für die großen, roten Samen der Gartenbohne gebraucht. Sorten der Kidneybohne, großsamig, rot bis rosa: Red Kidney, Redkloud, Diacol-Calima.
Die Pintobohne (Spanisch: frijol pinto) ist rot-braun gesprenkelt mit beigefarbenem Grundton – die Farbgebung ähnelt einem Wachtelei, darum wird sie auch Wachtelbohne genannt. Es ist die in den USA und Nordwesten von Mexiko am häufigsten verwendete Varietät der Gartenbohne. Die Pintobohne wird im Aufweichwasser gekocht, püriert und teilweise frittiert. Ganz oder püriert wird sie oft als Füllung für Burritos verwendet. Im Südwesten der USA wird die Pintobohne als wichtiges Symbol der regionalen Identität angesehen, insbesondere bei den mexikanischstämmigen Einwohnern. Zusammen mit der Chilifrucht ist sie die offizielle Gemüsesorte des Bundesstaates New Mexico. Sorten der Pintobohne sind: Sierra, Burke, Othello, Maverick.
Weitere handelsübliche Bohnensorten von überregionaler Bedeutung sind:
großsamig, weiß: 'Alubia', 'Cristal'
kleinsamig, schwarz: 'Rio Tibagi', 'Porrillo sintético', 'ICA-Pijao'
kleinsamig, weiß: 'Arroz', 'California', 'White’, 'Sanilac'
Eine neue, mit traditionellen Methoden gezüchtete Sorte Prim Beans ist arm an Tanninen und führt kaum mehr zu Blähungen.
Anbau
Ökophysiologie
Bohnen als „plastische“ Pflanzen sind an die verschiedensten Klimata und ökologischen Bedingungen angepasst.
Nur wenige Pflanzen zeigen eine derart große Mannigfaltigkeit an Anpassungsmechanismen an unterschiedlichen Standorten sowie Wuchstypen und Vegetationslängen.
Phaseolus vulgaris wächst am besten in Regionen mit einer durchschnittlichen Temperatur von 18 bis 30 °C während der Wachstumsperiode. Möglichst gleichmäßig verteilte Niederschläge und relativ kühle Nächte unter 20 °C begünstigen Wachstum und Samenertrag. Im kühlen und niederschlagsarmen Hochland wird der Anbau von großsamigen Sorten bevorzugt, da durch eine rasche und tiefgründige Wurzelentwicklung ein größeres Bodenvolumen erschlossen wird und unerwartete und kurze Trockenperioden somit überbrückt werden können.
Trockenperioden, die länger als zwei Wochen dauern, können die Bohnen in den Tropen, insbesondere während der Blüte, nachhaltig schädigen und es kommt zu Ertragsreduktionen. In den humiden Tropen auf schlecht drainierten Standorten sind wiederum Sorten mit einem flacheren Wurzelwerk von Vorteil, um teilweise auch Staunässe auszuhalten. Starke Niederschläge verbunden mit einer hohen Luftfeuchtigkeit können das Entstehen zahlreicher Pilzkrankheiten begünstigen. Die meisten handelsüblichen Bohnensorten sind im Vergleich zur Sojabohne tagneutral, das bedeutet, die Photoperiode Kurztag/Langtag hat keinen nachweislichen Einfluss auf die Blühinduktion.
Geeignet sind Böden mit einem mittleren pH-Wert zwischen 4,5 und 8,0. Auf sauren Böden treten Mangelerscheinungen wie Phosphormangel auf, dabei kann Phosphor nicht mehr in ausreichenden Mengen von der Wurzel aufgenommen werden. Gelöste Metalle wie Aluminium und Mangan können zu toxischen Symptomen führen. Stark ertragsreiche Bohnensorten werden nur unzureichend durch die N-Fixierung versorgt, hier muss mit Stickstoff (bis ca. 10 kg N/ha) nachgedüngt werden.
Anbaumethoden und Produktionsverfahren
In Lateinamerika und Afrika finden sie ihre häufigste Verwendung in kleinbäuerlichen Mischkulturen zusammen mit Mais oder Kaffee. Der Anbau der Bohnen erfolgt entweder gleichzeitig mit der Aussaat des Maises oder zeitlich versetzt, um sich die Wechselwirkungen der Stickstoff-Fixierung zunutze zu machen. Eine insbesondere von der indigenen Bevölkerung Mexikos und der USA genutzte Anbaumethode, bei der die drei Feldfrüchte Kürbis, Mais und Bohnen zusammen angebaut werden, wird als Drei Schwestern bezeichnet. In Kaffeeplantagen Kolumbiens wurden Bohnen angebaut, um die Grundnahrungsversorgung der Pflücker zu sichern. Der Grund dafür, dass Bohnen selten in größeren Kulturen angebaut werden, liegt an ihrer hohen Anfälligkeit für Krankheiten und Schädlinge, geringen und instabilen Erträgen, hohe Marktpreisfluktuationen und lokale Präferenzen eines ganz bestimmten Samentyps. Das semiaride Hochland Mexikos ist das größte zusammenhängende Bohnenanbaugebiet der Welt. Obwohl andere Nutzpflanzen mit höheren Deckungsbeiträgen wie Mais die Bohnen dort vielerorts verdrängt haben, sind in dieser Zone mit geringen und unregelmäßigen Niederschlägen, lokale Bohnen-Landsorten mit die beste Option der Landnutzung. In Brasilien werden Bohnen in allen Bundesstaaten angebaut, wobei die fruchtbarsten und ertragsfähigsten Böden meist mit profitablen Sojabohnen bepflanzt werden und Bohnen mehr und mehr auf ungünstigere und weniger produktive Standorte verdrängt werden. Diese Verschiebung auf die Marginalböden führt zu neuen Risiken wie dem Goldenen Mosaikvirus und Ertragsausfällen durch Trockenheit und geringer Bodenfertilität.
Die Saattiefe beträgt meist nicht mehr als 2,5 cm, um ein rasches Wachstum zu beschleunigen. Der Boden wird vorher grundbearbeitet, soll abgesetzt, mindestens 25 cm tief sein und einen geringen Bestand an Unkräutern (korrekte Bezeichnung Ackerwildpflanzen oder Ackersegetalflora) haben, um die Bohnen einem möglichst geringen Konkurrenzdruck durch andere Pflanzen auszusetzen. In den Tropen wird nach Möglichkeit am Anfang der Regenzeit ausgesät, um während der gesamten Vegetationsperiode ausreichende Niederschläge zu erhalten, hingegen in den gemäßigten Breiten erst, wenn keine Nachtfröste mehr zu erwarten sind und die durchschnittliche Temperatur über 12 °C liegt.
Im Bohnenanbau finden Herbizide wie Alachlor, Fluordifen und Metolachlor im Vorauflauf (vor der Saat) und Bentazon im Nachauflauf (nach der Saat) Verwendung.
Um hohe Samenerträge zu erreichen wird mit Stickstoff gedüngt, um das vegetative Wachstum und einen hohen Blattflächenindex anzuregen. Phosphorarme tropische Böden erfordern außerdem zusätzliche P-Gaben, da Phosphate beispielsweise in Ultisolen und Oxisolen fest fixiert werden. Kommt eine Mineraldüngung aus Kostengründen nicht in Frage, so kann die Bodenbiologie durch Gründüngung und Mulchwirtschaft nachhaltig verbessert werden. Die verschiedenen Rhizobienstämme sind hochspezialisiert auf den jeweiligen Bohnen-Genotyp angepasst und finden ihr Optimum bei einer ausreichenden Versorgung mit Spurenelementen wie Kalzium, Molybdän, Kobalt, Eisen und Kupfer, einer Bodentemperatur nicht über 32 °C und eine hohe Assimilatversorgung durch die Pflanze.
Auf schattenarmen Standorten mit starker Sonneneinstrahlung verhindert ein dichter, geschlossener Pflanzenbestand die übermäßige Bodenerhitzung und Schädigung der Rhizobien.
Erntereif sind die Bohnen bei einem Wassergehalt von etwa 18 %, die Hülsen müssen dabei trocken und dreschfähig sein.
Wirtschaftliche Bedeutung
Die größten Bohnenproduzenten weltweit
2020 wurden laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO weltweit etwa 23 Millionen Tonnen grüne Bohnen und 27,5 Millionen Tonnen trockene Bohnen geerntet.
Folgende Tabellen geben eine Übersicht über die 10 jeweils größten Produzenten von grünen und trockenen Bohnen weltweit.
2020 lagen die Erntemengen für grüne Bohnen in Deutschland bei 41.360 t, in der Schweiz bei 10.545 t und in Österreich bei 6.770 t.
Nutzung
Alle Bohnen der Gruppe Phaseolus sind roh giftig. Erst das Erhitzen (in Kochwasser) auf mehr als 70 °C zersetzt das Gift Lectin (Phasin, ein Samenglykoprotein). Sie werden für Bohnensalate, Bohnensuppen oder -eintöpfe verwendet.
Unreife Hülsen
In Europa, Nordafrika und Vorderasien werden die noch nicht ausgereiften Hülsen der Gartenbohnen vielfach als Gemüse gegessen (Grüne Bohnen, gelbe Wachsbohnen), ein bekanntes deutsches Gericht daraus sind Saure Bohnen und Bohnensalat aus grünen Bohnen. Getrocknet erhält man die in der Schweiz verbreiteten Dörrbohnen. Grüne Bohnen können auch Bestandteil von Gemüseeintöpfen sein.
Getrocknete Bohnen
Die reifen, trockenen Bohnen sind ein viel genutztes Grundnahrungsmittel, das sich leicht und lange lagern lässt. Die vergleichsweise billigen Bohnen decken als Grundnahrungsmittel in vielen Ländern einen Großteil der Eiweißversorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten.
Bohnen werden in vielen regionalen Varianten als Suppen- und Eintopfzutat verwendet, beispielsweise im Bohneneintopf der deutschen Küche, in der serbischen Bohnensuppe, in der italienischen Minestrone und in Baked Beans, die auch in Konservendosen gehandelt werden. In Frankreich gibt es Cassoulet, in Spanien Fabada. Bohnen sind Grundbestandteil des brasilianischen Nationalgerichts „Feijoada“ und können je nach Region ein Bestandteil von Chili con Carne sein. Das indische Dal ist ein Gericht, das aus den verschiedensten Hülsenfrüchten hergestellt wird, wovon Rajma Dal eine Variante aus roten Gartenbohnen ist. Gallo Pinto ist ein Gericht aus Bohnen und Reis.
Flageolettbohnen
Im Reifegrad zwischen den „Grünen Bohnen“ und der „Trockenkochbohne“ oder „Körnerbohne“ liegen die Flageolettbohnen, bei denen die noch unreifen, weißen Kerne geerntet werden, wenn die Hülsen eine lederartige Reife haben. Sie gelten als Delikatesse und sind nur saisonal erhältlich.
Bohnenblätter
Vor allem im Balkan werden die Bohnenblätter zur Beseitigung von Bettwanzen genutzt. Sie werden abends großzügig um das gesamte Bett gestreut. Die Bettwanzen verfangen sich in den feinen Haaren der Blätter und können am nächsten Morgen mit den Blättern aufgesammelt werden.
Ernährungsphysiologie
Die Samen der Gartenbohne haben einen hohen Proteingehalt und enthalten eine Reihe von essentiellen Aminosäuren, das enthaltene Protein deckt aber nicht alle essentiellen Aminosäuren ab. Die Kohlenhydrate der Bohne liegen in vom Menschen teilweise nicht abbaubaren Oligosaccharosen vor. Bohnen enthalten größere Mengen der Mineralstoffe Calcium, Kalium, Magnesium und Eisen (v. a. in der Form von Leghämoglobin) sowie der Vitamine B2, B6, C, E, Provitamin A (Betacarotin) und Folsäure. Das Vitamin C unterstützt die Aufnahme des enthaltenen Eisens.
Der Verzehr von Bohnen kann zu einer stark vermehrten Gasbildung im Dickdarm und dadurch zu Blähungen führen. Der Grund hierfür ist, dass bestimmte in Bohnen enthaltene Dreifachzucker, wie zum Beispiel Raffinose, nicht vom Menschen verdaut werden können, von Darmbakterien aber sehr wohl – unter Absonderung von Faulgasen – metabolisiert werden. Dies führt zu Blähungen. Eine Möglichkeit, dieser Nebenwirkung vorzubeugen, ist, die Bohnen vor der Zubereitung zu wässern, um die fraglichen Zucker auszuwaschen. Dabei gehen aber auch Mineralstoffe und wasserlösliche Vitamine verloren. Die andere Möglichkeit besteht in der Einnahme des Enzyms α-Galactosidase A, das die Raffinose in Saccharose und Galaktose spaltet. Die Zugabe von Gewürzen wie Asant, Fenchel, Anis, Koriander, Kreuzkümmel und Kümmel führt nicht zu einer Verringerung der Menge an produziertem Gas, wirken aber entspannend auf die Darmmuskulatur, was die Blähungen für manche Erwachsene und insbesondere Kleinkinder weniger unangenehm macht.
Krankheiten und Schädlinge
Die im Folgenden genannten Arten haben vor allem in Mitteleuropa Bedeutung im Gartenbohnen-Anbau. Die wichtigste Virenerkrankung ist das Gewöhnliche Bohnenmosaikvirus (bean common mosaic virus), das zum Absterben der befallenen Pflanzenteile und zu erheblichen Ertragseinbußen führt. Von geringerer Bedeutung sind das Gelbmosaikvirus der Gartenbohne (bean yellow mosaic virus), das Tabaknekrosevirus (tobacco necrosis virus) und das Luzernemosaikvirus (alfalfa mosaic virus).
Die bedeutendste bakterielle Krankheit ist die Fettfleckenkrankheit, verursacht durch Pseudomonas syringae pv. phaseolicola. Sie führt zu starken Ertrags- und Qualitätseinbußen. Es können alle Blätter einer Pflanze vertrocknen und vor der Blüte abfallen. Unter den pilzlichen Erregern sind die Erreger der Brennfleckenkrankheit wirtschaftlich am wichtigsten, unter ihnen Colletotrichum lindemuthianum. Sie befallen meist schon die Sämlinge und können zum Absterben der Jungpflanzen führen, zumindest den Ertrag stark reduzieren. Weitere Krankheiten sind der Bohnenbrand (Xanthomonas campestris pv. phaseoli) der Bohnenrost (Uromyces appendiculatus) und Sclerotinia sclerotiorum.
Unter den tierischen Schädlingen sind zwei von Bedeutung. Die Schwarze Bohnenblattlaus (Aphis fabae) überwintert an Euonymus europaea und befällt im Mai die Gartenbohne, wo sie in mehreren Generationen besonders im Juni und Juli in Massen auftreten kann. Die Bohnenfliege (Phorbia platura) legt ihre Eier an die Bohnensamen, von denen sich die Maden dann ernähren. Der Befall wird daher umgangssprachlich auch als Bohnenwurm bezeichnet.
Als Vorratsschädling können getrocknete Bohnen von Speisebohnenkäfern (Acanthoscelides obtectus) aus der Familie der Samenkäfer befallen werden.
Spiele
Getrocknete Bohnen als Zählsteine gaben dem Bohnenspiel, einer Variante der weit verbreiteten Mancala-Spiele, seinen deutschsprachigen Namen.
Zum Dreikönigstag (6. Januar) wurde früher eine Bohne in den Kuchen gebacken. Wer sie fand, war der Bohnenkönig, manchmal gab es auch zusätzlich eine weiße Bohne für die Bohnenkönigin. Wenn der König trank, wurde gerufen: „Der König trinkt!“ und alle mussten mittrinken. Bei diesem Fest wurde das Bohnenlied gesungen, woher die Redewendung kommt: Das geht mir über das Bohnenlied.
Der Anbau von Bohnen ist das Hauptthema des prämierten Kartenspiels Bohnanza und seiner zahlreichen Ableger. Dabei werden nicht nur Bohnen im eigentlichen Sinne dargestellt, sondern auch metaphorisch „Bohnen“ genannte Gegenstände wie Blaue Bohnen, Kakaobohnen oder Weinbrandbohnen.
Literatur
Annual Report CIAT – Bean Program (Strategic Research and Regional Networks), CIAT, Palmira/Kolumbien, Dezember 1994.
Sigmund Rehm (Hrsg.): Spezieller Pflanzenbau in den Tropen und Subtropen. (= Handbuch der Landwirtschaft und Ernährung in den Entwicklungsländern. 4). 2. völlig neubearbeitete und erweiterte Ausgabe. Ulmer, Stuttgart 1989, ISBN 3-8001-3072-6,
Howard F. Schwartz, Guillermo E. Gálvez: Bean Production Problems – Disease, Insect, Soil and Climatic Constraints of Phaseolus vulgaris. CIAT, Kolumbien 1980.
Current Topics in Breeding Common Beans. CIAT, Kolumbien 1988.
A. van Schoonhoven, O. Voysest (Hrsg.): Common Beans. Research for Crop Improvement. CAB International, Wallingfort u. a. 1991, ISBN 958-9183-24-7.
Sigmund Rehm, Gustav Espig: Die Kulturpflanzen der Tropen und Subtropen. Ulmer, Göttingen 1984, ISBN 3-8001-4108-6.
Jeffrey Wescott White: A quantitative analysis of the growth and development of bean plants (Phaseolus vulgaris L.). University Microfilms International, Ann Arbor Mich. 1981 (PhD Thesis, University of California, Berkeley).
K. Hiller, M. F. Melzig: Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2010, ISBN 978-3-8274-2053-4.
Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder. Die häufigsten mitteleuropäischen Arten im Portrait. 7., korrigierte und erweiterte Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2011, ISBN 978-3-494-01424-1.
L. Roth, M. Daunderer, K. Kornmann: Giftpflanzen Pflanzengifte. 6. überarbeitete Auflage. Nikol-Verlag, 2012, ISBN 978-3-86820-009-6.
Ingrid und Peter Schönfelder: Das neue Handbuch der Heilpflanzen, Botanik Arzneidrogen, Wirkstoffe Anwendungen. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-440-12932-6.
Lilian Mostasso, Fabio L. Mostasso, Beatriz G. Dias, Milton A.T. Vargas, M. Hungria: Selection of bean (Phaseolus vulgaris L.) rhizobial strains for the Brazilian Cerrados. In: Field Crops Research 73, (2002), 121–132, .
Weblinks
Thomas Meyer: Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei Flora-de: Flora von Deutschland (alter Name der Website: Blumen in Schwaben)
Crop Science Crop Science Society of America
Afrikanische Bohnenanbaugebiete – Übersichtskarte (englisch)
Crop Water Information for Bean.
W. Europe biggest importers, UK especially. (PDF; 944 kB)
Die Wiege der Gartenbohne. Die Gartenbohne stammt aus Mexiko und nicht wie bisher angenommen aus den südamerikanischen Anden. Auf: pflanzenforschung.de vom 8. März 2012
Bettwanzen in den Bohnen. Auf: wissenschaft.de vom 10. April 2013
Einzelnachweise
Phaseoleae (Tribus)
Fruchtgemüse
Bohne
Kletterpflanze
|
Q42339
| 91.399527 |
213729
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchenschiff
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Kirchenschiff
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Als Kirchenschiffe bezeichnet man die Längsräume von Kirchen. Hat eine Kirche mehrere Schiffe, so sind diese durch Scheidewände mit Arkadenreihen voneinander abgeteilt.
Bauformen
Während Saalkirchen einschiffig sind, bestehen Kirchen oft aus mehreren parallel angeordneten Raumteilen, „Schiff“ genannt, die unterschiedliche Breiten und Höhen haben können. Eine Basilika ist eine Kirche, deren mittleres Schiff höher ist als die Seitenschiffe, wobei das Mittelschiff über eigene Fenster im Obergaden verfügt. Eine Hallenkirche dagegen hat gleich hohe Schiffe, so dass das Mittelschiff über keine eigene Fensterzone verfügt, da es die benachbarten Schiffe nicht überragt. Zudem gibt es auch Zwischentypen aus diesen Bauformen, wie die Pseudobasilika oder Staffelhalle, bei der die Schiffe in der Höhe abgestuft sind, aber nicht wie bei einer echten Basilika über eine Fensterzone verfügen. Als Wandpfeilerkirche bezeichnet man Saalbauten, bei denen wandgebundene Pfeiler von den Wänden her in das Kircheninnere hervortreten, so dass an den Längswänden zwischen den Pfeilern einzelne Raumteile entstehen. Beim Raum eines Zentralbaus wird in der Regel nicht von einem Schiff gesprochen.
Mittelschiff und Seitenschiffe
Das Mittelschiff oder auch Hauptschiff ist der mittlere Bau und in der Regel der breiteste, höchste und längste Raum der Kirche. Dieser Teil ist meist für die Besucher des Gottesdienstes bestimmt. Dem Hauptschiff beigestellte, durch Säulen oder Pfeiler abgetrennte Räume, werden als Seitenschiffe bzw. Nebenschiffe oder auch veraltet als Abseite bezeichnet. Alle diese Bauten zusammen werden auch Langhaus genannt. Der Chor und das Querhaus einer Kirche können ebenfalls aus mehreren Schiffen bestehen. Die Trennwände zwischen Mittelschiff und Seitenschiffen und zwischen Seitenschiffen werden Scheidewände genannt, die meist mit Arkaden aufgelöst sind.
Sofern es das Baugrundstück zulässt, ist das Langhaus normalerweise in westöstlicher Richtung erbaut und der Chor nach Osten ausgerichtet – als Sinnbild der Neuen Sonne bzw. der Auferstehung Christi. Der halbrunde Abschluss des Langhauses hinter dem Chor heißt Apsis.
Die zweite Etage über Seitenschiffen wird Empore oder Tribüne genannt.
Querschiff
Das Querschiff oder Querhaus (auch Transept) bezeichnet das in rechtwinkliger Position zum Langhaus verlaufende kürzere Schiff. Dieses ist meist vor dem Übergang zum Chor angelegt und bildet so im Grundriss eine Kreuzform. Seltener sind auch mehrere Querschiffe, die im Grundriss ein Kreuz mit entsprechend vielen Querbalken ergeben. An der Abteikirche von Cluny III gab es ein kleines und ein großes Querhaus, eine Anlage, die auch in der englischen Gotik oft auftritt. Westquerhäuser sind nur gelegentlich gebaut worden.
Die Stelle, an der Langhaus und Querschiff zusammentreffen, wird als Vierung bezeichnet. Im äußeren Bild der Kirche ist diese Stelle häufig durch einen Dachreiter oder einen Vierungsturm markiert. Die beiden von der Vierung abgehenden Enden des Querhauses heißen auch Querarme.
In den Basiliken der Spätantike und des frühen Mittelalters läuft das Querhaus als eigener Raumteil durch und trennt das Langhaus von der Apsis. Es entsteht keine Vierung (römisches Querhaus).
Hochschiff
Das Hochschiff ist ein Teil des Mittelschiffes einer Basilika. Es befindet sich über den Arkaden im Bereich der Obergaden.
Schematische Darstellung
Wortherkunft
Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm lässt offen, ob es sich um die Metapher Schiff (etwa im Sinn der vor dem Verderben rettenden Arche) handelt oder um die bereits frühe Übernahme von oder (naós oder neṓs „Tempel, Tempelraum“) in das mittelalterliche Latein und seine Verwechslung mit (naus „Schiff“). Jedenfalls ist die lateinische Bezeichnung navis („Schiff“) seit dem Mittelalter für den zentralen Versammlungsraum der Gläubigen in der Kirche belegt. Im klassischen Latein war die Bezeichnung eines architektonischen Raums als navis nicht üblich; allerdings tritt die Schiffsmetapher für den Staat und die Bürgergemeinschaft in der Antike öfter auf.
Im Hintergrund der Vorstellung von der Kirche als Schiff stehen zwei biblische Geschichten, zum einen die Erzählung vom wunderbaren Fischzug des Petrus , zum anderen die Geschichte vom Seewandel Jesu und dem im Wasser versinkenden Petrus .
Die zuletzt genannte biblische Erzählung wird sehr früh schon von Tertullian (geb. um 160 in Karthago, gest. nach 220 ebenda) in seiner Schrift De Baptismo (Kap. 12) aufgegriffen und mit dem Begriff der Kirche zusammengebracht. In Anspielung auf die Rettung des Petrus, dessen Seewandel missglückt, bezeichnet er das Schifflein, in dem Jesus und seine Jünger auf dem See Genezareth umherfuhren, als Sinnbild der Kirche.
Vor dem Hintergrund der Verfolgungssituation in den ersten Jahrhunderten liegt diese Deutung nahe. Wie das Schiff, das Jesus und seine Jünger trägt, von den Wogen geschüttelt wird und dem Verderben ausgeliefert zu sein scheint, so ergeht es in den ersten Jahrhunderten der Kirche, die unter staatlicher Verfolgung und inneren Kämpfen immer mehr zu leiden hatte. Dabei wird unterstellt, dass bei Tertullians Deutung der Geschichte auch die Hoffnung mitschwang, es möge sich in der Zukunft auch ein dem Ausgang der biblischen Geschichte entsprechendes Ereignis einstellen. Wie sich der aufgewühlte See, dem Worte Jesu gehorchend, wieder glättet, so soll an die Stelle der Verfolgungssituation ein Friedenszustand zwischen dem römischen Staat und der Kirche treten.
Siehe auch
Naos (Architektur)
Weblinks
Kirchenschiff. In: relilex.de, abgerufen am 8. Oktober 2016
Einzelnachweise
Kirche (Architektur)
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Q188714
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4oz%C3%A4n
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Paläozän
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Das Paläozän, in Fachpublikationen auch als Paleozän (analog engl. Paleocene) transkribiert, ist in der Erdgeschichte ein Zeitintervall, die unterste chronostratigraphische Serie (bzw. Epoche in der Geochronologie) des Paläogens (früher des Tertiärs). Das Paläozän begann vor rund Millionen Jahren und endete vor etwa Millionen Jahren. Es ist zwischen der Kreide, dem letzten System des Mesozoikums (Erdmittelalter), und dem Eozän eingeordnet.
Namensgebung und Geschichte
Nach der ursprünglichen Aufteilung des Tertiärs in die drei Serien Eozän, Miozän und Pliozän durch Charles Lyell führte 1847 der Paläobotaniker Wilhelm Philipp Schimper als weitere Unterteilung das Paläozän ein. Schimper war an der Universität Straßburg tätig und verfasste seine Studien in französischer Sprache. Die Transkription des von ihm in die Geologie eingeführten Wortes „paléocène“ ist im Deutschen umstritten, vielfach wird statt der Form „Paläozän“ auch die Schreibweise „Paleozän“ verwendet. Letztere geht auf die Ansicht zurück, Schimper habe den Namen der von ihm begründeten Periode „paléocène“ aus „pal(éo)-“ und „-éocène“ (also in der Bedeutung „Alt-Eozän“) zusammengezogen. Im Zusammenhang von Schimpers Arbeit gibt es aber mehr Hinweise darauf, dass er den Begriff aus den Bestandteilen „paléo-“ (von griech. παλαιός = alt) und „-cène“ (von griech. καινός = neu, ungewöhnlich) gebildet hat, so wie auch die anderen Epochen des Känozoikums auf „-zän“ enden. Auf diese Ansicht gründet sich die heute im deutschen Sprachgebrauch hauptsächlich verwendete Schreibweise „Paläozän“. Die Stratigraphische Tabelle von Deutschland von 2002 verwendet allerdings die Schreibweise Paleozän. Es bleibt aber abzuwarten, ob damit die Entscheidung zugunsten der Schreibweise Paleozän gegenüber Paläozän endgültig gefallen ist.
Definition und GSSP
Die Untergrenze des Paläozäns (und damit des Paläogens und des Daniums) ist der Top der Iridium-Anomalie der Kreide-Paläogen-Grenze. Die Obergrenze (und damit auch die Basis von Eozän und Ypresium) ist durch eine Änderung im Kohlenstoff-Isotopen-Verhältnis ("Carbon Isotope Escursion") definiert. Der GSSP des Paläozäns (und damit auch die GSSP von Paläogen und Danium) ist ein Profil bei El Kef in Tunesien.
Untergliederung
Das Paläozän wird in drei chronostratigraphische Stufen
System: Paläogen (– mya)
Serie: Oligozän (– mya)
Serie: Eozän (– mya)
Serie: Paläozän (– mya)
Stufe: Thanetium (– mya)
Stufe: Seelandium (– mya)
Stufe: Danium (– mya)
untergliedert. Regional wurde noch eine ganze Reihe weiterer Stufen vorgeschlagen, die entweder nur regional in Gebrauch sind oder sich nicht als international anerkannte Stufen durchsetzen konnten.
Verteilung der Kontinente
Das Gesicht der Erde unterschied sich durch die Verteilung und Anordnung der Kontinente im Paläozän deutlich von den heutigen Gegebenheiten. Am Beginn der Epoche existierten noch einige zusammenhängende Teile des alten Südkontinents Gondwana. So waren Australien und Südamerika noch mit Antarktika verbunden, Afrika und Indien jedoch weiter nördlich bereits isoliert. Zwischen diesen Südkontinenten und dem nördlich gelegenen Laurasien legte sich die Tethys wie ein Gürtel um die Erde. Nordamerika war über Grönland mit Europa verbunden und hatte über die Beringstraße auch mit Ostasien Kontakt. Dafür bildete ein Flachmeer, die Turgaistraße, die das Tethys-Meer mit dem Polarmeer verband, die Grenze zwischen Asien und Europa.
Klima und Umwelt
Der Beginn des Paläozäns war nach dem Einschlag des Chicxulub-Asteroiden an der Kreide-Paläogen-Grenze von rasch wechselnden Klimabedingungen geprägt. Durch die Auswurfmasse des Impakts von schätzungsweise 50.000 Kubikkilometern verteilte sich innerhalb weniger Tage in der gesamten Atmosphäre eine dichte Wolke aus Ruß- und Staubpartikeln, die das Sonnenlicht über Monate absorbierte und einen globalen Temperatursturz bewirkte. Einen zusätzlichen Abkühlungsfaktor bildete möglicherweise eine Schicht von Schwefelsäure-Aerosolen, die einer Analyse zufolge maßgeblich dazu beitrugen, dass die weltweite Durchschnittstemperatur für einige Jahre unter den Gefrierpunkt sank. Nach dem relativ raschen Abbau der Schwefelverbindungen begann eine signifikante Erwärmungsphase, zum Teil verursacht durch über 400 Gigatonnen zusätzliches Kohlenstoffdioxid, das der Impakt aus marinen Karbonat- und Anhydritgesteinen freigesetzt hatte, zum anderen Teil aufgrund der vulkanischen CO2-Ausgasungen des Dekkan-Trapps im heutigen Westindien. In der Wissenschaft herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob die Hauptaktivität dieser Magmatischen Großprovinz vor oder nach der Kreide-Paläogen-Grenze auftrat beziehungsweise unmittelbar durch die tektonischen Erschütterungen des Asteroideneinschlags forciert wurde.
In den Ozeanen ähnelte die chemische Beschaffenheit der oberflächennahen Wasserschichten einschließlich des pH-Werts nach etwa 80.000 Jahren wieder jener der späten Kreide, während die vollständige Regeneration der Meere bis in die Tiefseebereiche wahrscheinlich mehr als 1 Million Jahre beanspruchte. Im Hinblick auf die Atmosphäre postulieren einige Studien für das frühe und mittlere Paläozän mit 300 bis 450 ppm geringere CO2-Werte als im Maastrichtium, dagegen berechneten andere Arbeiten auf der Basis von Multiproxy-Auswertungen einen Mittelwert von 600 ppm mit entsprechend höherer Globaltemperatur. Die Entwicklung zu einem stabilen Warmklima wurde im späteren Paläozän (≈ 59 mya) durch eine weltweit auftretende Abkühlungsphase mit einer deutlichen Reduzierung der CO2-Konzentration unterbrochen. Die relativ starke Absenkung des Meeresspiegels über mehrere hunderttausend Jahre deutet auf eine zeitlich begrenzte antarktische Inlandsvereisung hin. Als Gründe für das kälter werdende Klima kommen vor allem Gebirgsbildungsprozesse (Orogenese) und tektonische Verschiebungen in Frage. Im Mittelpunkt der Forschung steht dabei die Nordatlantische Magmatische Großprovinz (englisch North Atlantic Igneous Province (NAIP), auch Thulean Plateau), die während der Bildung und Ausdehnung des Nordatlantiks entstand. Die magmatischen beziehungsweise vulkanischen Prozesse setzten bereits im frühen Paläozän ein (etwa 64 bis 63 mya), reichten in stark abgeschwächter Form bis in das Miozän und verzeichneten mehrere erhöhte Aktivitätszyklen, wobei abwechselnd intrusive und effusive Phasen entlang der divergierenden Plattenränder auftraten. Die dabei aus dem Erdmantel aufsteigenden Flutbasalte besaßen eine Ausdehnung von ungefähr 1,3 bis 1,5 Millionen km² und bedeckten Teile von Grönland, Island, Norwegen, Irland und Schottland.
Im weiteren Verlauf der Epoche wurde das Klima wieder wärmer und feuchter. In Grönland und Patagonien gedieh subtropische Vegetation, und in den Polarregionen herrschte ein gemäßigtes Klima. Am Paläozän-Eozän-Übergang vor rund 56 Millionen Jahren kam es zu einem raschen weltweiten Temperaturanstieg von mindestens 6 °C. Das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum (PETM) wurde durch eine plötzliche Freisetzung von Kohlenstoffdioxid beziehungsweise Methan ausgelöst. Als Quelle kommen instabil gewordene Methanhydrat-Lagerstätten auf den Koninentalschelfen, tauende Permafrostböden oder die Ausgasungen der Nordatlantischen Magmatischen Großprovinz in Frage. Die Dauer des Temperaturanstiegs wird in der neueren Fachliteratur auf etwa 4000 Jahre veranschlagt. Die Rückkehr zum vorherigen Klimazustand betrug etwa 170.000 bis 200.000 Jahre.
Fauna des Paläozäns
Gekennzeichnet ist das Paläozän durch die Weiterentwicklung der ehemals kleinen Säugetiere, die nach dem Aussterben der Nichtvogel-Dinosaurier an der Grenze von Oberkreide zum Paläozän an Größe und Arten rasch zunahmen und innerhalb kurzer Zeit eine Vielzahl verwaister ökologischer Nischen besetzten. Sie profitierten dabei von der relativ zügig verlaufenden Regeneration der terrestrischen Biotope und konnten somit in der Zeit von 0,4 bis 1,0 Millionen Jahre nach dem Chicxulub-Impakt eine erste Zunahme der Biodiversität und damit die Bildung neuer Arten verzeichnen.
Auch die Vögel, von denen nur ein kleiner Teil die Zäsur des Massenaussterbens überlebt hatte, vollzogen unter weltweiter Verbreitung eine rasche evolutive Entwicklung, wobei große Laufvögel der Gattung Gastornis bereits im Mittleren Paläozän auftraten.
Einen besonderen Status in dem Zusammenhang nahm Südamerika ein, das im Paläozän und darüber hinaus im größten Teil des Känozoikums von anderen Kontinenten bis auf Australo-Antarktika isoliert war. Aus diesem Grund entstand dort eine endemische Fauna, darunter Säugetierformen wie Gürteltiere, Ameisenbären sowie drei Ordnungen der Beuteltiere.
Literatur
Deutsche Stratigraphische Kommission (Hrsg.): Stratigraphische Tabelle von Deutschland 2002. Potsdam 2002, ISBN 3-00-010197-7, (PDF; 6,57 MB)
Felix M. Gradstein, Jim Ogg, Jim Smith, Alan Smith (Hrsg.): A Geologic timescale 2004. 3. edition. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2004, ISBN 0-521-78673-8.
Eustoquio Molina, Laia Alegret, Ignacio Arenillas, José A. Arz, Njoud Gallala, Jan Hardenbol, Katharina von Salis, Etienne Steurbaut, Noël Vandenberghe, Dalila Zaghbib-Turki: The Global Boundary Stratotype Section and Point for the base of the Danian Stage (Paleocene, Paleogene, „Tertiary“, Cenozoic) at El Kef, Tunisia. Original definition and revision. In: Episodes. 29, 4, 2006, , S. 263–273.
Hans Murawski, Wilhelm Meyer: Geologisches Wörterbuch. 10. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Enke Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-432-84100-0 (Enke-Taschenbuch).
Weblinks
Paleozäne Mikrofossilien: 35+ Bilder von Foraminiferen
Kommission für die paläontologische und stratigraphische Erforschung Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Die Stratigraphische Tabelle von Österreich (sedimentäre Schichtfolgen). Wien 2004 (PDF; 376 kB)
International Chronostratigraphic Chart 2020/03 (Regelmäßig aktualisierte Chronostratigraphische Zeittafel der International Commission on Stratigraphy)
Einzelnachweise
Palaozan
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Q76252
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https://de.wikipedia.org/wiki/Taufbecken
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Taufbecken
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Ein Taufbecken, Taufständer, Taufstein, Tauftisch oder Taufstock, in Teilen Norddeutschlands auch Fünte (von lat. fons „Quelle, Brunnen“) genannt, dient der Taufe. Im Gegensatz zur Umgangssprache, in der Taufbecken, Taufstein und Taufstock synonym verwendet werden, unterscheidet die Fachsprache der Kunstgeschichte präzise: Ein Taufstein ist ein Taufbecken, das aus Stein gefertigt wurde, während ein Taufstock aus Holz besteht.
Da die Taufe den Ritus der Aufnahme in die Kirche darstellt, kann sich das Taufbecken häufig in der Nähe des Portals einer Kirche befinden, in einer Taufkapelle oder in einem eigenen Gebäude, dem Baptisterium.
Geschichte
In den ersten Jahrhunderten der Kirche wurde meist durch Untertauchen in „lebendigem Wasser“ getauft. Taufen durch Übergießen bildeten nach Beckmann die Ausnahme. Seit dem 4. Jahrhundert war die Taufe durch Übergießen des im Wasser stehenden Täuflings vorherrschend, wie es Darstellungen aus Spätantike und Frühmittelalter belegen. In einigen Regionen der frühen Kirche wurde der Täufling weiterhin durch Untertauchen getauft. Die meisten erhaltenen Taufbecken des ersten Jahrtausends rund ums Mittelmeer sind jedoch dazu zu klein. Ein Untertauchen erwachsener Täuflinge ist hier nicht möglich. Da anfangs sowohl Taufliturgie als auch Taufvollzug hauptsächlich auf Heranwachsende und Erwachsene ausgerichtet waren, gebrauchte man in den Boden eingelassene Becken, Piscina (von lat.: piscina= Wasserbehälter) genannt.
Die älteste Taufpiscina ist aus der syrischen Hauskirche von Dura Europos aus dem 3. Jahrhundert bekannt. Das Taufbecken des Lateranbaptisteriums in Rom aus dem 4. Jahrhundert ist unter der heutigen Anlage noch vorhanden. Eine in den Boden eingetiefte Taufpiscina des 4. Jahrhunderts wurde in der Kathedralgruppe von Genf ausgegraben. Untersuchungen zeigen, dass sie – wie auch zahlreiche andere frühchristliche Taufbecken – verkleinert wurde, was darauf schließen lässt, dass die Immersionstaufe durch die Taufe durch Übergießen ersetzt wurde. Der Zeitpunkt, zu dem dies geschah, wird nach der Gesamtbearbeitung der Grabungen unter der Kathedrale von Genf zu beurteilen sein. Die Funktion des 64 m² großen Beckens zwischen den Basilikabauten am Ort, an dem später der Trierer Dom errichtet wurde, ist umstritten. Vielleicht handelt es sich hier um ein repräsentatives Becken. Eines der fast 1000 bekannten frühchristlichen Taufbecken rund um das Mittelmeer ist innerhalb der konservierten Grundmauern des Baptisteriums in Portbail in der Normandie zu besichtigen, es stammt vielleicht schon aus vormerowingischer Zeit. Dieses ist aber, wie auch die älteste Piscina des bekannten Baptisteriums von Poitiers, aufgrund der bekannten archäologischen Funde nicht präzise zu datieren. Die meisten durch Ausgrabungen erfassten frühchristlichen Taufbecken in Frankreich und Deutschland gehören in die mittlere Merowingerzeit, also in das 6./7. Jahrhundert.
Mit zunehmender Verbreitung des Christentums wurden mehr und mehr Kinder getauft, weshalb Taufbecken – sehr viel später auch Cuppa oder Tauffünte genannt – im Osten seit dem 6./7. Jahrhundert und im Westen seit der Karolingerzeit üblich wurden.
Gestaltung
Formen
Die frühesten freistehenden Taufsteine sind auf dem Boden stehende Monolithen, oft mit Reliefs, Ornamenten oder Figurinen kunstvoll verziert. Auch aus Bronze wurden Taufbecken gefertigt, z. B. mittelalterliche Bronzefünten des niederdeutschen Kulturraums. Weitere Bezeichnungen für diese ersten Taufbecken sind Taufkufe (Kufe = Eimer) und Taufkübel. Beide Begriffe verdeutlichen klar das noch fassartige Aussehen. In der weiteren Entwicklung wurden diese erste Becken auf Stützen gestellt. Diese Stützen konnten als Tiere, Dämonen oder Mischwesen ausgebildet sein und dienten der Abwehr des Bösen. Beim Übergang von der Romanik zur Gotik wurden die Becken stetig schmaler und höher, sodass sich allmählich eine Kelchform herausbildete. Die Taufsteine bestanden nun meist aus einem Fuß, einem Schaft und einem mehr oder weniger voluminösen Becken. Die dämonenabwehrenden Figuren der Romanik wandelten sich gleichzeitig in Darstellungen von Engeln und Symbole der Evangelisten oder fielen ganz weg. Fuß und Schaft des Unterbaues wurden noch einmal schmaler, bis sie sich in der Renaissance- und Barockzeit zu säulenartigen Stützen einer nur noch eine geringe Wassermenge fassenden Taufschale hin entwickelten.
Häufig sind Becken heute rund oder auch achteckig, z. B. in Anspielung an die sieben Schöpfungstage und die „neue Schöpfung“ oder auch an die Beschneidung Jesu, die nach jüdischem Brauch am achten Tag nach der Geburt erfolgte. Im Mittelalter ebenfalls häufig ist eine Gestaltung, die sich an der Beschreibung des „ehernen Meeres“ im salomonischen Tempel orientiert. Einige moderne dreieckige Becken symbolisieren die Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist.
In der Feier der Osternacht wird nach abendländischer Tradition das Taufwasser geweiht. Der Taufstein war also durchgängig mit Wasser gefüllt, das nur einmal im Jahr erneuert wurde; als Schutz vor Verunreinigungen und Verdunstung besaßen die meisten Taufsteine einen metallenen oder hölzernen Deckel. Seit der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils wird das Taufwasser in katholischen Kirchen nur für die Osterzeit aufbewahrt, ansonsten für jede Tauffeier eigens geweiht.
Romanik
Gotik
Renaissance
Barock
Sonderformen
Die Tauflese, eine Kombination aus Taufbecken und Lesepult, befindet sich in der Kirche Schmannewitz. Das gotische Taufbecken in La Baussaine vereint einen Behälter für das Wasser mit dem für die Taufe.
Fassungsvermögen
Die Fassungsvermögen betrugen in der Regel 150 bis 180 Liter, in Einzelfällen sogar bis zu 420 Liter. Ausmessungen des Bremer Eichamtes im Jahre 2000 von insgesamt 51 Bronzetaufbecken aus romanischen und frühgotischen Kirchen aus dem 13. und 14. Jahrhundert ergaben, dass sie in der Regel auch ein bestimmtes Volumen als Eichmaß verkörperten. Die dargestellten Volumina waren zum Beispiel 1 Ohm, 1 Oxhoft, 1 Malter oder 2 Scheffel.
Heutige Situation
In der Westkirche ging man nicht zuletzt wegen möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigung durch Untertauchen der Neugeborenen zum Begießen oder Besprengen des Täuflings mit dem Taufwasser über. Ab dem Barock wurden immer häufiger Taufschalen eingesetzt, die auch Haustaufen erlaubten. Sie fassen etwa ein bis zwei Liter Wasser und sind in der Mehrzahl aus Messing oder Silber. Manche Taufschalen sind kostbar verziert, manche tragen nur schlichte Widmungsinschriften. Dort, wo alte Taufsteine vorhanden sind, sind die Taufschalen oft darauf befestigt. Die Taufständer jüngerer Kirchen sind häufig den alten Taufsteinen nachempfunden.
Lutherische und Reformierte Kirchen
Die überlieferten Taufsteine oder Taufbecken des Mittelalters wurden weiter verwendet, aber sie waren nun leer und wurden anlässlich einer Taufe mit Wasser gefüllt. Dazu diente die Taufkanne, „die ein speziell lutherisches Gerät ist.“
In lutherischen Kirchen wurde nach 1700 der Taufengel beliebt, der die Taufschale in den Händen hält. Er „schwebte“ oben im Kirchenraum und wurde für die Taufhandlung herabgesenkt. Die Taufengel waren eine Modeerscheinung, begünstigt durch das Fehlen von Vorschriften zur Gestaltung liturgischen Inventars. Eine andere Innovation lutherischer Kirchen im 18. Jahrhundert war die praktische Verbindung von Taufstein und Lesepult. Der Deckel des Taufsteins diente als Ablage für liturgische Bücher.
Orthodoxe Kirchen
Die orthodoxen Kirchen kennen bis heute die Taufe von Kindern durch Untertauchen. Weit verbreitet sind (relativ große) Taufbecken aus Metall. Am Rand haben diese Becken eine Halterung für drei Kerzen, die bei der Taufzeremonie als Symbol der Dreifaltigkeit aufgesteckt werden.
Freikirchen
Die aus der reformatorischen Täuferbewegung kommenden Mennoniten praktizieren je nach Gemeinde das Untertauchen oder das Besprengen bzw. Begießen über einem kleineren Taufbecken.
Baptisten praktizieren die Taufe durch Untertauchen und sind frei darin, sie in Gewässern oder auch den Anlagen eines Schwimmbades o. ä. durchzuführen, je nach örtlichen Gegebenheiten.
In historischen Baptistenkirchen des 19. Jahrhunderts in Deutschland sieht eine typische Anordnung so aus: „Da gibt es in der Mitte eine sehr hoch angeordnete Kanzel, und genau darunter in einer Art Gruft liegt das Taufbecken.“ Das ist insofern stimmig, als das Untertauchen im Wasser theologisch als Sterben und Auferstehen mit Christus interpretiert wird. In neueren baptistischen Kirchen befindet sich das Taufbecken meist asymmetrisch in einer Raumecke – aus praktischen Gründen, um dem Täufling den Weg zu einem Umkleideraum zu verkürzen. Der freikirchliche Architekt Ulrich Arndt befürwortet es, bei neuen Kirchen den Ort der Taufe in den Mittelpunkt zu stellen; er sieht die baptistische Taufarchitektur ideal verwirklicht in der Taufkirche St.-Petri-Pauli in Eisleben.
Moderne Baptisterien
Literatur
Ulrich Arndt: Gibt's eigentlich baptistische Kirchenarchitektur? In: Herrlich. Das GJW-Magazin (02/2016), S. 28–31.
Gisela Aye, Axel Chr. Kronenberg: Taufbecken und Taufengel in Niedersachsen. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2006, ISBN 3-7954-1907-7 (Adiaphora 5).
Colin Stuart Drake: The Romanesque Fonts of Northern Europe and Scandinavia. Boydell Press, Woodbridge u. a. 2002, ISBN 0-85115-854-4.
Hartmut Mai: Taufsteine, Taufbecken und Taufständer – Geschichte und Ikonographie. In: Bettina Seyderhelm (Hrsg.): Tausend Jahre Taufen in Mitteldeutschland, Schnell & Steiner, Regensburg 2006, ISBN 978-3-7954-1893-9. S. 156–172.
Stefanie Meier-Kreiskott: Spätgotische Taufsteine im deutschen Südwesten. Dissertation, LMU München 2008.
Martina Langel: Der Taufort im Kirchenbau unter besonderer Berücksichtigung des Kirchenbaus im Erzbistum Köln nach 1945. Schmitt, Siegburg 1993, ISBN 3-87710-156-9.
Peter Poscharsky: Der Ort der Taufe. In: Bettina Seyderhelm (Hrsg.): Tausend Jahre Taufen in Mitteldeutschland, Schnell & Steiner, Regensburg 2006, ISBN 978-3-7954-1893-9. S. 21–27.
Sebastian Ristow: Baptisterien im Frankenreich. In: Acta Praehistorica et Archaeologica. 30, 1998, , S. 166–176.
Sebastian Ristow: Art. Taufstein/Taufbecken/Taufpiscina. In: Theologische Realenzyklopädie. 32, 2001, S. 741–744.
Weblinks
Baptisteria, Taufbecken (Baptisterium) Fotos, Zeichnungen + Infos. In: Quadralectic Architecture, Falcon Press, 2011 (englisch, nur online auf wordpress.com)
Fotos von Taufbecken in Europa
Fotos von Taufbecken in Europa
Einzelnachweise
Flüssigkeitsbehälter
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Q208820
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Subsets and Splits
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